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Interview Heidi! (Vorschau)

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Anger: Nein, ich kannte ihn natürlich. Die kleine<br />

Dame ist der Schlüssel zum Film, weil ich das Umfeld,<br />

die Fontänen und Skulpturen, größer erscheinen<br />

lassen wollte.<br />

IntervIew: War es von Anfang an Ihre Idee, die<br />

Fontänen zu Vivaldi sprudeln zu lassen?<br />

Anger: Vom ersten Tag an. Ich liebe Die vier<br />

Jahreszeiten, und ich wusste immer, dass ich irgendwann<br />

das Wintermotiv in meiner Arbeit verwenden<br />

würde.<br />

IntervIew: Der Titel Eaux d’artifice …<br />

Anger: … ist ein Wortspiel, auf das ich stolz<br />

bin: Feu d’artifice bedeutet Feuerwerk auf Französisch,<br />

ich verweise also mit einem Augenzwinkern auf<br />

Fireworks.<br />

IntervIew: Sie drehen ausschließlich Kurzfilme.<br />

Hatten Sie nie Lust, etwas in Spielfilmlänge zu drehen?<br />

Anger: Schon, aber dafür fehlte mir immer das<br />

Budget. Mein Geld reichte meistens für 15 Minuten,<br />

manchmal auch für eine halbe Stunde oder 40 Minuten.<br />

Aber das ist nicht tragisch: Ich vergleiche meine<br />

Filme gerne mit Gedichten. Von denen erwartet auch<br />

keiner, dass sie ein Roman sind.<br />

Eine Angestellte der Galerie Sprüth Magers, die Kenneth<br />

Anger betreut, kündigt an, dass die verabredete<br />

Gesprächszeit bald vorüber sei. Anger schaut auf, sagt:<br />

„Wir haben noch keinen Kaffee bekommen. Bieten<br />

Sie diesem Gentleman erst einmal ein Getränk an.“<br />

Anger: Bitte fahren Sie fort!<br />

IntervIew: Weinen Sie im Kino?<br />

Anger: Nein, ich bin keine Heulsuse, wenn Sie<br />

das meinen. Aber Filme berühren mich durchaus.<br />

IntervIew: Inauguration Of The Pleasure Dome<br />

war der erste und einzige Film, den ich auf LSD gesehen<br />

habe.<br />

Anger: War es aufregend?<br />

IntervIew: Schön. Verstörend. Und rätselhaft.<br />

Anger: Ich habe nicht viel mit Drogen experimentiert,<br />

schon gar nicht mit harten Drogen. Allerdings<br />

versuchte ich einst, auf LSD zu filmen. Das<br />

klappte überhaupt nicht! Ich bekam das Bild nie<br />

scharf. Vielleicht lag das aber auch an meinen Augen -<br />

oder das LSD war einfach zu stark. Sie wissen schon:<br />

Das war in den Sechzigern in San Francisco …<br />

IntervIew: Dort arbeiteten Sie an einem Ihrer<br />

Hauptwerke, an Lucifer Rising.<br />

Anger: Ein durchaus kompliziertes Unterfangen.<br />

IntervIew: Es scheint nicht gerade einfach, einen<br />

adäquaten Luzifer zu finden.<br />

Anger: Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise:<br />

Es war die Hölle.<br />

IntervIew: Dabei war Ihr Luzifer nicht der Leibhaftige<br />

nach der christlichen Lesart, sondern der Luzifer<br />

nach der Interpretation Aleister Crowleys.<br />

Anger: Luzifer als der Lichtbringende, ja. Tief<br />

in mir spüre ich eine Stimme, die sagt: Du bist noch<br />

nicht fertig mit dem Thema. Irgendwann werde ich<br />

wohl zu Lucifer Rising zurückkehren. Aber das ist<br />

Zukunftsmusik.<br />

IntervIew: Gerüchteweise sollte Mick Jagger die<br />

Rolle übernehmen …<br />

Anger: … dann seine Bruder Chris, Chris Jagger,<br />

der mir jedoch viel zu viele Fragen stellte. Wir<br />

drehten in Ägypten, und der Kerl wollte ständig wissen,<br />

warum dies oder jenes geschieht, was all das zu<br />

bedeuten hat. Dabei war er nur ein Erfüllungsgehilfe,<br />

eine Marionette. Ich brüllte ihn an: „Halt die Klappe.<br />

Das verstehst du nicht.“ Letztendlich musste ich ihn<br />

nach Hause schicken.<br />

“<br />

DAs jüngste gerücht:<br />

Hollywood BaBylon, 1959<br />

Ich mag den Ausdruck<br />

Queer Cinema<br />

nicht. Das klingt<br />

wie Kino für Mädchen.<br />

Und die okkulte<br />

Dimension meines<br />

Werkes wissen die<br />

wenigsten zu lesen<br />

”<br />

– Kenneth Anger<br />

IntervIew: Die Rolle der Lilith übernahm Marianne<br />

Faithfull.<br />

Anger: Und sie war schrecklich, grauenhaft, die<br />

Schlange im Garten Eden. Sie trug alles Böse, was<br />

Frauen zu bieten haben, in sich. Wegen ihr wären<br />

wir beinahe im Knast gelandet. Schlimmer noch: Wir<br />

hätten wegen Marianne Faithfull hingerichtet werden<br />

können. Damals drohte in Ägypten die Todesstrafe<br />

für Heroinbesitz …<br />

IntervIew: Heroin?<br />

Anger: Marianne war zu dieser Zeit hochgradig<br />

süchtig. Sie schmuggelte ihr Rauschgift im Makeup<br />

nach Ägypten. Ungeachtet aller Konsequenzen.<br />

Mir fiel das auf, weil sie plötzlich mit diesem grauen<br />

Gesicht an meinem Set erschien. Sie war total zugedröhnt<br />

und merkte nicht einmal mehr, dass ihr Makeup<br />

eigentlich Heroin war.<br />

IntervIew: Den Soundtrack zu Lucifer Rising sollte<br />

Jimmy Page beisteuern.<br />

Anger: Ja, aber Jimmy schickte nur 20 Minuten.<br />

Ich brauchte jedoch 40 Minuten. Er hatte damals<br />

ebenfalls ein ziemlich heftiges Heroinproblem, was<br />

kein Geheimnis war. Mit solchen Leuten kann ich<br />

einfach nicht arbeiten.<br />

IntervIew: Stattdessen steuerte Ihr alter Freund<br />

Bobby Beausoleil den Soundtrack bei. Er nahm die<br />

Musik im Gefängnis auf.<br />

Anger: Das stimmt. Und zwölf verurteilte Mörder<br />

halfen ihm dabei.<br />

IntervIew: Bobby Beausoleil sitzt eine lebenslange<br />

Haftstrafe für den Mord am Musiker Gary<br />

Hinman ab.<br />

Anger: Er war Mitglied der Manson Family,<br />

Bobby Beausoleil ist einer der Manson-Mörder, richtig.<br />

Ich habe ihn einmal hinter Gittern besucht, aber<br />

das war ganz furchtbar. All die Kontrollen, Stahltüren,<br />

Gitter, Schlüsselringe. Einfach nicht meine Welt.<br />

Seither haben wir uns nur noch geschrieben.<br />

IntervIew: Vor der Tat lebten Bobby und Sie zusammen<br />

in San Francisco. Sie waren ein Paar. Was ist<br />

schiefgelaufen?<br />

Anger: Ich machte Schluss und schmiss Bobby<br />

raus.<br />

IntervIew: Warum?<br />

Anger: Bobby war jung, viel jünger als ich. Er<br />

bat mich um 700 Dollar, um Verstärker für seine<br />

Band The Magick Powerhouse of Oz zu kaufen. Ich<br />

gab ihm das Geld, er fuhr nach Südkalifornien. Doch<br />

anstatt mit Lautsprechern kam er mit diesen Paketen<br />

zurück, die fortan in seinem Zimmer lagerten. Wir<br />

hatten damals einen Hund, Snowfox, einen Husky.<br />

Und der fing an, ständig an diesen ominösen Paketen<br />

rumzuschnüffeln. Irgendwann fiel mir das auf.<br />

Ich fand es merkwürdig. Also schnitt ich ein Loch<br />

in eines der Pakete – und was bröckelt raus? Marihuana!<br />

IntervIew: Jetzt klingen Sie aber spießig, Herr<br />

Anger! Wir reden schließlich über die Sixties! Haight-<br />

Ashbury! San Francisco!<br />

Anger: Na und? Bobby war jung, viel zu jung. Er<br />

war minderjährig. Und er log mich an.<br />

IntervIew: Was passierte dann?<br />

Anger: Ich setzte ihn vor die Tür. Ich war verletzt.<br />

Und sauer. Daraufhin stahl Bobby meinen Van<br />

und brauste davon. Er wollte runter nach Südkalifornien,<br />

doch der Van blieb auf halber Strecke liegen.<br />

Unglücklicherweise genau vor der Ranch, die damals<br />

Charlie Manson und seine Bande bewohnten. Das<br />

mag jetzt wie eine schlecht konstruierte Geschichte<br />

klingen, aber ich schwöre Ihnen: Sie entspricht der<br />

Wahrheit. Die Girls entdeckten den hübschen Jungen,<br />

tanzten um ihn rum, rauchten sein Gras, da war<br />

es um ihn geschehen. Bobby war sehr jung. Wahrscheinlich<br />

fand er in Charlie Manson eine Vaterfigur.<br />

IntervIew: Immerhin brachte Manson ihn dazu,<br />

einen Menschen umzubringen. Angeblich wegen eines<br />

missglückten Drogendeals.<br />

Anger: Schrecklich. Und traurig. Sehr traurig.<br />

IntervIew: Während Bobby einer von Mansons<br />

Todesengeln wurde, schalteten Sie eine Todesanzeige<br />

für Kenneth Anger in der Village Voice. Eine ziemlich<br />

drastische Maßnahme, finden Sie nicht auch?<br />

Anger: Nein, wieso? Ich wollte meine Karriere<br />

als Filmemacher tatsächlich beerdigen. Kenneth<br />

Anger. Filmmaker. 1947–1967. Aus. Schluss. Vorbei.<br />

Bobby hatte mir das Material meines wichtigsten Projekts<br />

gestohlen, und ich war wirklich am Ende. Und<br />

da ich gerade in New York war, dachte ich, dies sei<br />

eine adäquate Reaktion.<br />

IntervIew: Dachten Sie tatsächlich, dass Ihre<br />

Foto: Lucifer Rising Poster, designed by Page Wood<br />

„ICH BIN KEIN SATANIST, ICH BIN HEIDE” – FILMPLAKAT ZU LUCIFER RISING, 1970<br />

Freunde und Familie es amüsant finden, Ihre Todesanzeige<br />

zu lesen?<br />

ANGER: Teilweise. Die meisten wussten natürlich,<br />

wie verrückt und gestört Kenneth Anger ist. Sie<br />

dachten wahrscheinlich: „Ach, schau her. Ein echter<br />

Kenneth Anger.“ Ich hatte immer einen Hang zu<br />

Drama und zur Inszenierung. Das verdanke ich wahrscheinlich<br />

einem meiner früheren Leben.<br />

INTERVIEW: Vor der Halloweennacht 2008 kündigten<br />

Sie ebenfalls an zu sterben. Dennoch sitzen<br />

Sie heute hier.<br />

ANGER: Daran kann ich mich nicht einmal mehr<br />

erinnern. Aber ein gelungener Publicity-Stunt, wie es<br />

scheint, oder nicht?<br />

INTERVIEW: Prägnante Schlagzeilen scheinen jedenfalls<br />

eine Ihrer Gaben zu sein. Eine andere lieferten<br />

Sie in den Achtzigern: Nach wie vor hält sich<br />

das Gerücht, Sie hätten dem Gründer des <strong>Interview</strong>-<br />

Magazins einen Eimer Farbe vor die Haustüre gekippt.<br />

Hegten Sie gegen Andy Warhol einen besonderen<br />

Groll?<br />

ANGER: Ich war auf Krawall gebürstet, ein Hitzkopf.<br />

Außerdem konnte es sich Warhol leisten, die<br />

rote Farbe wegmachen zu lassen.<br />

INTERVIEW: Kannten Sie ihn denn?<br />

ANGER: Nein. Wir waren zwar einmal im selben<br />

Raum in New York, aber Warhol hatte ja ständig<br />

seine Rasselbande um sich, all die Taugenichtse und<br />

Möchtegerns. Eigentlich wollte ich ihn ansprechen,<br />

von Underground-Filmemacher zu Underground-<br />

Filmemacher. Aber dieses Spektakel war mir dann zu<br />

doof. Zumal Warhol dafür bekannt war, ohnehin nur<br />

„Yes“, „No“, „Really“ und „Amazing“ zu sagen.<br />

INTERVIEW: War das während der Zeit, als Sie<br />

Scorpio Rising in New York drehten?<br />

ANGER: Nein, später. Als ich Scorpio Rising drehte,<br />

hatte Warhol noch keinen Schimmer von Filmen.<br />

INTERVIEW: Der Film entstand lange vor Easy Rider,<br />

lange vor Hell’s Angels von Hunter S. Thompson,<br />

lange bevor die Jungs auf den schweren Maschinen zu<br />

Outlaws und Helden der Gegenkultur wurden.<br />

ANGER: Er symbolisiert auf eine Art den Anfang<br />

all dessen. Ich kannte die ersten Hells Angels, und die<br />

waren keineswegs so degeneriert wie die Saat, die sie<br />

säten. Die Jungs im Film, meine Jungs, waren geradezu<br />

unschuldig, verglichen mit der späteren Brut. Sie<br />

arbeiteten tagsüber auf dem Fulton Fish Market, dem<br />

örtlichen Fischmarkt, und steckten jeden Cent in ihre<br />

handgefertigten Feuerstühle.<br />

INTERVIEW: Im Film schneiden Sie gekonnt zwischen<br />

Motorradaufnahmen, Hakenkreuz- und Passionsbildern<br />

umher. Hat sich darüber nie jemand beschwert?<br />

ANGER: Wer sollte sich beschweren?<br />

INTERVIEW: Vielleicht irgendwelche Nazis. Eine<br />

Motorradgang. Oder ein paar aufgebrachte Christen,<br />

denen der Zusammenhang zwischen Rockern, Hakenkreuzen<br />

und dem Heiland nicht sofort einleuchten<br />

will.<br />

ANGER: Na ja, gerüchteweise haben sich ein paar<br />

Nazis anonym bei irgendeiner Behörde in Los Ange les<br />

tatsächlich wegen des Films beschwert. Sie monierten,<br />

ich habe ihre Flagge besudelt. Aber das war Kokolores.<br />

Und die christlichen Aufnahmen, entliehen einem<br />

Film namens The Last Journey To Jerusalem, landeten<br />

durch einen obskuren Zufall in meinem Briefkasten.<br />

Stellen Sie sich das mal vor: Der Film einer<br />

Kirchengruppe im Briefkasten von Kenneth Anger!<br />

Man könnte behaupten: Eine göttliche Fügung.<br />

Vielleicht war es auch nur ein sehr guter Witz eines<br />

Freundes. Wie dem auch sei – mir gefiel die Parallele<br />

zwischen Heiland, seinen Jüngern und der Motorradgang.<br />

Irgendwann bekamen jedoch ein paar Nonnen<br />

aus Los Angeles Scorpio Rising zu Gesicht …<br />

INTERVIEW: … und die drohten, Sie ins ewige<br />

Höllenfeuer zu stoßen?<br />

ANGER: Nein. Die Damen fanden es okay, wie ich<br />

die Aufnahmen verwendet habe. Sie meinten, mein<br />

Film sei auf eine Art auch sehr religiös (lacht). Die<br />

Nonnen bedankten sich sogar bei mir dafür.<br />

INTERVIEW: Herr Anger, der dritte Teil von Hollywood<br />

Babylon ist seit mehr als zehn Jahren angekündigt.<br />

Es gibt eine Menge Leute, die sich darauf freuen<br />

würden, das jüngste Gerücht von Ihnen serviert zu<br />

bekommen.<br />

ANGER: Ein schönes Kompliment. Leider glaube<br />

ich nicht daran, dass die Kapitel, die ich schon lange<br />

fertig habe, jemals das Licht der Welt sehen werden.<br />

Meine Anwälte raten mir davon ab.<br />

INTERVIEW: Wieso das?<br />

ANGER: Ach, etliche Dinge, die ich schreiben<br />

würde, sind ziemlich heikel. Beispielsweise das Kapitel<br />

über Tom Cruise und Scientology. Ich habe das<br />

gründlich recherchiert, mit vielen Menschen gesprochen,<br />

ich kann erklären, warum Tom Cruise und John<br />

Travolta solch enthusiastische Vollidioten im Dienste<br />

dieser Sekte sind. Aber es sind Vollidioten mit einer<br />

Armee von Anwälten. Irgendwie ist das Ganze ohnehin<br />

ein trauriger Verein. Wen haben die schon groß<br />

geködert? Außer Tom Cruise, Karen Black und John<br />

Travolta? Und die werden immer älter – Tom ist mittlerweile<br />

schon jenseits der 50! Wissen Sie, letztendlich<br />

bin ich Underground-Filmemacher. Kein Romancier,<br />

kein Regisseur für Musikvideos. Ich habe die amerikanische<br />

Avantgarde erfunden. Ich bin Kenneth Anger!<br />

KENNETH ANGER BEI SPRÜTH MAGERS/BERLIN<br />

BIS 23. FEBRUAR 2013<br />

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