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Interview Heidi! (Vorschau)

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Er ist das Gegengift<br />

zur neuen deutschen<br />

Volkskomödie.<br />

Oskar ROEHLER –<br />

Pro­vinzflüchtling,­<br />

Punk,­­Reg isseur,­<br />

Autor. In dem Film<br />

Quellen des Lebens<br />

erzählt er nun seine<br />

Geschichte,­die­auchdie<br />

Geschichte der<br />

BRD ist. Ein Gespräch<br />

über­das­Geräuschwachsender<br />

Knochen<br />

und das Geld der RAF<br />

IntervIew: Herr Roehler, Ihr neuer Film Quellen des<br />

Lebens dauert drei Stunden. Muss das denn wirklich<br />

sein?<br />

oskar roehler: Ich hatte im Prinzip auch überhaupt<br />

keine Lust auf den Film. Es gab ein sehr umfangreiches<br />

Drehbuch, das hatte ich irgendwann mal<br />

geschrieben, das war noch unter Eichinger als Serie<br />

gedacht. Und dann lag es da und lag und lag, und ich<br />

war so unglücklich, dass ich mich davon verabschiedet<br />

hatte, und dachte: „Leck mich doch, ganze Filmbranche!<br />

Leckt mich doch alle am Arsch!“ Zwei Monate<br />

totaler Frust, ich erzähl jetzt mal aus dem Nähkästchen.<br />

Das ging dann irgendwann vorüber, und ich<br />

habe aus diesem ganzen Material einen Roman gemacht.<br />

Ein großes Wagnis. Über zwei Jahre Arbeit.<br />

IntervIew: Ihr Roman Herkunft erschien 2011<br />

und ist nun die Vorlage für den Film.<br />

roehler: Genau. Ein Roman ist eine Kunstform,<br />

vor der ich viel Respekt hatte, wie Bergsteigen. Es<br />

wurden plötzlich 600 Seiten. Die habe ich dann noch<br />

mal für ein neues Drehbuch adaptiert. Ich war praktisch<br />

gezwungen, ich war es meinem neuen Produzenten<br />

schuldig, auch wenn ich unheimlich unleidlich<br />

und paranoid war in den Vorbereitungen.<br />

IntervIew: Auch noch beim Dreh?<br />

roehler: Da hat es sich dann aufgelöst, auch einfach,<br />

weil ich mit so tollen Leuten wie Jürgen Vogel<br />

zusammenarbeiten konnte, mit Moritz Bleibtreu,<br />

Lavinia Wilson oder Meret Becker oder Wilson<br />

Ochsenknecht, die menschlich alle auf einem tollen<br />

Level sind. Die haben mich da durchgetragen. Wie<br />

sagt der Beleuchter in dem Fassbinder-Film so schön<br />

zum Aufnahmeleiter: „Du Arschloch, wennst nichts<br />

arbeiten mogst, dann machst halt Regie.“<br />

IntervIew: Wie lief es denn mit den Kinderdarstellern?<br />

roehler: Ich hatte schlimme Ängste. Ich habe ja<br />

keine Kinder und musste mit einem Sechsjährigen<br />

drehen. Ich kenne Hunde besser als Kinder. Was soll<br />

ich jetzt mit so einem Alien anfangen? Das dachte ich.<br />

IntervIew: Dabei haben Sie das gut hingekriegt,<br />

die Kinder im Film spielen großartig!<br />

roehler: Ja, aber ich hatte eben überhaupt keine<br />

Ahnung mehr, was es bedeutet, ein Sechsjähriger oder<br />

ein Neunjähriger zu sein. Den 18-Jährigen, den kannte<br />

ich dann wieder, wie man so tickt, auch mit den<br />

Mädels und so. Also, alles war fürchterlich. Und dann<br />

bin ich in diese Herstellungsleitersitzungen gegangen<br />

und habe gehört, wie viele Millionen das alles kostet.<br />

Dieser Film, der mir schon so lange auf der Seele lag.<br />

IntervIew: Sollte man als Regisseur nicht sowieso<br />

unbedingt aus den Budgetbesprechungen herausgehalten<br />

werden?<br />

roehler: Ach, manchmal guckt man schon besser<br />

mit, wo noch Geld zu sparen ist. Eigentlich gehe<br />

ich sonst pragmatisch mit so etwas um, aber bei diesem<br />

Film habe ich die Zahlen gesehen und mich wie<br />

in einem Kafka-Roman gefühlt. Ich dachte, ich muss<br />

nach Hause gehen und mich hinlegen, weil ich mit<br />

der Verantwortung nicht klarkomme. Die Kosten für<br />

den Roman haben sich ja auf maximal 40 Euro belaufen,<br />

wenn man den Strom noch mit einrechnet.<br />

IntervIew: Aber Sie müssen noch Ihre Arbeitskraft<br />

hinzuaddieren.<br />

roehler: Gut, ich meine jetzt einfach die Herstellungskosten.<br />

Und beim Film stehen dann plötzlich<br />

5 000 Liter Farbe für 10 000 Euro rum, ja? Also, ich<br />

war dann irgendwann nicht mehr anwesend, war im<br />

Bett oder hab geheult oder so.<br />

IntervIew: Ach, ich würde sagen, dafür ist doch<br />

alles geradezu hervorragend geworden.<br />

roehler: Ja, weil man dann doch immer wieder<br />

merkt, wie toll es ist, einen Film mit Schauspielern zu<br />

drehen, die man mag. Und dann wurden eben allen<br />

Beteiligten die Sinne für ihre Arbeit geschärft.<br />

IntervIew: Wieso?<br />

roehler: Na, weil ich habe ja schon zehn Leute<br />

rausgeworfen, bevor wir überhaupt angefangen hatten<br />

zu drehen. Heads of irgendwelchen Departments.<br />

Aber dann hatten wir ein Team beisammen, wie es<br />

besser nicht hätte sein können. Erstaunlich cool.<br />

IntervIew: Wie oft haben Sie sich am Set vor<br />

Jürgen Vogel oder Meret Becker erschrocken, als die<br />

aus der Maske kamen?<br />

roehler: Jedes Mal. Unglaublich, so eine Maske<br />

hat einen dollen Effekt. Man muss aber auch wissen,<br />

die Meret liebt alte Menschen und beobachtet die<br />

schon seit 100 Jahren. Und sie kommt ihrem Vorbild,<br />

also meiner Großmutter, von der Art sehr nahe.<br />

IntervIew: Dass das Romanschreiben für Sie wie<br />

Bergsteigen war: Lag das an dem Umfang oder dem<br />

Inhalt, also der Aufarbeitung Ihrer Kindheit?<br />

roehler: Es ist einfach nicht vergleichbar mit<br />

jeder Arbeit, die ich vorher gemacht hatte, 600 Seiten,<br />

das ist ja ein halber Krieg und Frieden! Allerdings war<br />

das für die Arbeit am Drehbuch sehr hilfreich. Welche<br />

Stellen die wichtigen sind, war ganz klar. Ich habe<br />

das alte Drehbuch in den Müll geworfen, mir meinen<br />

Roman genommen und so Striche am Rand gemacht.<br />

Damals war ich da gerade in Zürich. Warum bin ich<br />

da eigentlich in Zürich gewesen? Ich weiß es nicht<br />

mehr, ich glaube, ich wollte kurzzeitig nach Zürich<br />

ziehen, weil ich Angst hatte, dass ich hier zu viel Steuern<br />

zahle – natürlich vollkommener Humbug. Ich saß<br />

da drei Tage im Hotel, habe meine Striche gemacht,<br />

und dann war ich fertig.<br />

IntervIew: Aber kam Ihnen da nicht noch mal<br />

der Gedanke, eine Serie daraus zu machen?<br />

roehler: Ja, das wäre reizvoll gewesen, hätte ich<br />

gerne gemacht. Aber ich mache jetzt ja quasi noch einen<br />

weiteren Teil, der heißt Punk, und den drehe ich<br />

im Sommer. Über Berlin in den Achtzigern. Tod den<br />

Hippies, es lebe der Punk! Eine Serie wäre zu aufwendig<br />

und auch zu kostspielig gewesen. Es ist ja ein<br />

großes zeitliches Panorama, das wir da erzählen.<br />

IntervIew: Stimmt. Warum fängt der Film eigentlich<br />

nicht mit Ihrer Geburt an? Warum wollten<br />

Sie auch noch die Geschichte Ihrer Großeltern erzählen,<br />

da hätte man doch Geld und Zeit sparen können.<br />

roehler: Ach, weil ich es schon interessant fand,<br />

wo dieses Liebespaar, das sich dann in der Liebe entzweit<br />

– also meine Eltern – herkommt. Ich stamme ja<br />

sozusagen aus drei unterschiedlichen Haushalten: Da<br />

waren einmal die Superintellektuellen, dann die Neureichen<br />

aus der Provinz, die fast nach amerikanischem<br />

Vorbild gelebt haben, und dann die mit einem fundamentalistischen<br />

Nazibackground, wo man ein archaisches,<br />

einfaches Leben geführt hat. Und diese Zusammenführung<br />

war für mich erzählenswert. Wenn du 50<br />

wirst, kommen so viele Erinnerungen und so viel Klarheit,<br />

warum Dinge schiefgelaufen sind, wer die wichtigen<br />

Figuren in der Familie sind, wer dich gestärkt hat.<br />

Aber eben auch, wie wichtig gesellschaftspolitische<br />

Themen sind. Diese Konfrontation zwischen den Generationen<br />

gibt es ja heute in dem Maße gar nicht<br />

mehr. Erst aus diesem Clash konnte sich eine gewichtige<br />

politische Gegenbewegung entwickeln.<br />

IntervIew: Aber was ist dann die Gegenbewegung<br />

von Robert, wie Sie in Herkunft heißen. Wo hat<br />

es bei Ihnen damals geclasht?<br />

roehler: Berlin. 80er-Jahre. Weg aus der Mittelschichtsgesellschaft,<br />

weg von diesen ästhetisch minderbemittelten<br />

Leuten, die dann Ökos wurden. Also<br />

hin zu einem Ästhetizismus, einer Dekadenz, die ja<br />

gelebt wurde in den Achtzigern, da gab es ja die wirklich<br />

verrückten Leute, die es haben krachen lassen. Da<br />

war was los, da gab es kein Morgen. Das war zwar keine<br />

politische Rebellion, aber das war eben das, was<br />

übrig blieb, wenn man aus Westdeutschland kam. Entweder<br />

du hast dich in München als Stricher mit Koks<br />

zudröhnen und dich von Filmproduzenten durchvögeln<br />

lassen, oder du bist nach Berlin gegangen.<br />

IntervIew: Aber was war so schlimm, dass man<br />

dort weg musste?<br />

roehler: Das war die Provinz. Die eigene Familie<br />

war gruselig geworden. Die waren erstarrt in den<br />

Lügen über sich selber. Außerdem habe ich viel Blödsinn<br />

gemacht, aber in einem Rahmen, der mich immer<br />

hysterischer hat werden lassen, weil ich merkte,<br />

dass das nichts bringt, nur den Klassenclown zu spielen.<br />

Dieses Universum war zwei oder drei Dimensionen<br />

zu klein, ich wollte in kaltes Wasser springen.<br />

IntervIew: Es gibt diese Szene im Film, in der<br />

Ihre beiden Hauptdarsteller in weißen Kleidern in<br />

einem Flussbett stehen und sich mit Schlamm beschmieren.<br />

Ich hab das Gefühl, das zeigt die Befreiung<br />

von dieser Vorstellung, dass die Jugend immer<br />

eine Antwort auf ihre Elterngeneration haben muss.<br />

roehler: Absolut. Das ist eine tief greifende Szene.<br />

IntervIew: Merkt man.<br />

roehler: Meine Lieblingsszene, weil sie so irrational,<br />

aber so beseelt ist. Ursächlich, kreatürlich,<br />

Liebe, Mann und Frau. Es gibt wichtige Dinge, und<br />

die passieren nicht oft. Und das ist so ein Momentum<br />

zwischen den beiden. Danach gibt es nicht mehr viel<br />

zu sagen, man wird es nie vergessen.<br />

IntervIew: Man fragt sich nach dem Film, wie<br />

Sie es geschafft haben, nicht abzurutschen.<br />

roehler: Mit irrsinnig viel Disziplin und auch<br />

Schutzengeln. Ein Schutzengel war vor allem meine<br />

Oma Gertrud, meine liebste Freundin. Mir hat mal<br />

eine Wahrsagerin gesagt, dass sie immer noch ihre<br />

brille<br />

privat<br />

hemd<br />

dries vAn noten<br />

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