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„Keiner von uns ist wirklich gezähmt.“<br />
Todesfälle, der Ausstieg des langjährigen Bassisten Peter Nice alias Nelson und schließlich ein Brand im Studio, der fast alle Habseligkeiten<br />
vernichtete... Die Pechsträhne der Mannen um Kopf und Sänger Justin Sullivan ist lang. Nachdem ihr letztes Album bereits 2009<br />
erschien und die Akustikshows der Band als „Justin Sullivan & Friends“ betitelt waren, glaubten viele Fans das Ende schon gekommen.<br />
Doch wie so oft, kommt es anders: Das neue Werk Between Dog And Wolf setzt ohne Übertreibung den bisherigen Höhepunkt ihrer<br />
Karriere. Trotz – und gerade wegen – der Tatsache, dass sich New Model Army diesmal besonders stark gehäutet haben. Das Album<br />
gleicht beinahe einer Zäsur: facettenreich und diffizil, derart liebevoll en détail produziert, dass es auf der Bühne kaum zu realisieren sein<br />
wird, stilistisch vielfältig, die Lyrics von großer, retrospektiver Qualität. Der Phönix steigt aus der Asche.<br />
Justin Sullivan: Es war ein Album, das wir schon lange geplant haben.<br />
Wir benötigten lediglich Zeit. Natürlich war das Feuer ärgerlich, und wir<br />
haben viele Dinge verloren, aber letztendlich waren dies nur materielle Werte.<br />
Dass Nelson gehen würde, wussten wir bereits sehr lange, und es war ein gut<br />
gehütetes Geheimnis, bevor wir es bekannt gaben. Es war eine Trennung<br />
im Guten, dennoch brauchte es einige Zeit, bis wir einen neuen Bassisten<br />
gefunden haben. Das Album wurde im Wesentlichen von Michael Dean<br />
und mir konzipiert. Das Schlagzeug in all seinen Facetten ist ein wesentliches<br />
Element von Between Dog And Wolf. Nachdem die Richtung klar war, ist es<br />
ziemlich rasch entstanden, nämlich von August letzten Jahres bis zum Februar<br />
2013.<br />
<strong>Orkus</strong>: Wobei sich Between Dog And Wolf nicht anhört, als sei es schnell<br />
entstanden. Man spürt in jedem Song, dass hier sehr fein und mit Hingabe<br />
produziert und arrangiert wurde. Klingt beinahe wie eine neue Band...<br />
JS: Wann immer jemand neu in die Band kommt, bringt er frische Ideen und<br />
Energie mit. Unser neuer Bassist Ceri ist sehr jung – und allein diese Tatsache<br />
bedeutet eine Energiespritze. Ein weiterer Grund, warum wir ihn gewählt<br />
haben: Er ist ein hervorragender zweiter Drummer. Gerade weil der Fokus des<br />
neuen Albums auf den Drums liegt. Bei den Aufnahmen haben wir auch zuerst<br />
mit dem Schlagzeug angefangen.<br />
O: Dabei ist die Energie nicht vordergründig und laut, sondern eher subtil und<br />
dramaturgisch inszeniert.<br />
JS: Ich würde die Gesamtatmosphäre als „brütend“ bezeichnen. Es gibt<br />
Höhepunkte, aber sie kommen nicht sehr oft – und wenn, dann unerwartet<br />
oder fast unmerklich. Es ist ein sehr spannungsgeladenes Album... und diese<br />
Spannung wird nicht immer aufgelöst.<br />
O: Das geht konform mit den sehr persönlichen, retrospektiven Texten, die<br />
jegliche Plakativität eines 51st State vergessen lassen. Dementsprechend auch<br />
der Titel – ein altertümliches, französisches Synonym für den Sonnenaufgang...<br />
JS: Es ist auch ein Synonym für die Band. Wir sind allesamt nette Kerle, doch<br />
keiner von uns ist wirklich gezähmt. Wir mögen es, wenn man uns mag, aber<br />
es gibt auch Elemente in uns, die uns veranlassen, das zu tun, was wir wollen<br />
– egal ob es jemandem gefällt. Wenn bei unseren Konzerten jeder Besucher<br />
Vagabonds hören will, ist es möglich, dass wir das Stück spielen, falls wir Lust<br />
dazu haben – oder eben nicht, wenn uns nicht danach ist. Die Texte sind mit<br />
den Jahren immer persönlicher geworden. Mir geht es heute mehr um die<br />
Menschen als um das Weltgeschehen. Es ist sinnlos, einen tagespolitischen<br />
Song über den Börsencrash zu schreiben, der nach sechs Monaten bereits<br />
überholt ist. Das Menschsein selbst bietet so vielfältige, tiefe Thematiken. Und<br />
auch wenn viele Lieder aus der Ich-Perspektive geschrieben wurden, sind sie<br />
nur selten autobiographisch, eher beobachtend.<br />
O: Wie zum Beispiel I Need More Time, mit Zeilen wie: „I need more time to<br />
make good on the promises I made to the world when the world was moving<br />
slower.“ Ein Stück über das Altern und das Verrinnen der Zeit...?<br />
JS: Das ist nun ausgerechnet absolut nicht retrospektiv, sondern richtet den<br />
Blick eher in die Zukunft! Gerade junge Leute beklagen sich, dass sie keine Zeit<br />
haben, weil durch die zunehmende Technik unser Leben immer rasanter wird.<br />
Dadurch entsteht ein enormer Druck, und jeder fühlt sich gehetzt. Dieser<br />
90 - <strong>Orkus</strong>!