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Nun stimmt es natürlich nicht, dass Cattelan die Kunst ganz an den<br />
Nagel gehängt hat. Er gestaltet seit rund zwei Jahren zusammen<br />
mit dem Fotografen Pier Paolo Ferrari ein halbjährliches Magazin,<br />
das den irritierenden Titel „Toiletpaper“ trägt. Wenn man das<br />
Heft zum ersten Mal durchblättert, dann kann es passieren, dass<br />
man es schnell verstört wieder zuklappt – denn auf den ersten<br />
Blick treibt Cattelan die Vulgarität, die Produkt-, Foto- und Modeorgien<br />
der unzähligen Lifestyle-Titel auf die Spitze. Auf den Fotos<br />
des Magazins sieht man abgetrennte beringte Kunststofffinger<br />
mit Nagellack vor einem hellblauen Hintergrund. Das Gesicht einer<br />
Frau ist mit einem seltsamen hautähnlichen Kunststoff überzogen,<br />
was Assoziationen entweder an Pornos oder Schönheits-OPs<br />
hervorruft. Die Bilder zeigen ein Tattoo über einer Po-Ritze, gerahmt<br />
durch eine am Hintern herzförmig ausgeschnittene<br />
Hotpants, ein rauchendes Model vor dicken Bierbäuchen, das<br />
herausfordernd in die Kamera schaut oder ein Erdhörnchen, das<br />
sich Kokain durch die Nase ziehen will. Die Farben sind satt und<br />
knallbunt, häufig in seltsamen Pastelltönen gehalten.<br />
Eine Persiflage auf Lifestyle-Magazine sei das auf keinen Fall, sagt<br />
hingegen Cattelan. Er hat die Motive, die wir zeigen, exklusiv für<br />
<strong>Fräulein</strong> als eine Art „Best Of Toiletpaper“ zusammengestellt. Es<br />
gibt auch andere, ernste, aber nicht weniger provokante Bilder.<br />
Zum Beispiel eines von über dem Boden baumelnden Frauenfüßen.<br />
Man weiß nicht, ob die Frau sich aufgehängt hat oder ob sie in die<br />
Luft springt. Alles deutet aber auf das Erstere.<br />
Cattelan lernte Pierpaolo Ferrari bei einem Fototermin für eine<br />
Kunstausgabe des amerikanischen Modemagazins „W“. Das<br />
Shooting lief so gut, dass sie beschlossen, zukünftig häufiger zusammen<br />
zu arbeiten. Nach einer weiteren gemeinsamen Produktion<br />
für die Art- und Fashionzeitschrift „TAR“ beschlossen sie,<br />
„Toiletpaper“ zu gründen. Seit dem sind sie auf dem besten Weg,<br />
zum kleinen schrägen Lifestyle-Imperium zu werden. Cattelan und<br />
Ferrari und suchen die Nähe zu klassischen Publikationen wie<br />
zum Beispiel „Wallpaper“, mit dem sie ein Event zum Mailänder<br />
Möbelmesse ausrichteten oder mit „Vice“, für das Cattelan das<br />
Cover gestaltete – ein Stillleben mit einem Abflusspropfen, einen<br />
Tacker und einem Dildo. Angedacht ist eine Bekleidungslinie,<br />
bestehend aus einer Jacke – und einer Tischdecke. Die Möglichkeit,<br />
in der Pariser Galerie Lafayette mit einem eigenen Stand vertreten<br />
zu sein, besteht bereits. Derzeit hängt das morbide Foto mit den<br />
lackierten abhackten Finger auf einem riesigen Billboard in New<br />
York. Zur Launch-Party des jüngsten Magazinausgabe in New York<br />
stand ein zur Stretchlimousine ausgebauter Hummer-Geländewagen<br />
als Shuttle zur Verfügung; in Berlin ließ sich Cattelan die<br />
Release-Party seiner fünften Ausgabe während des Gallery<br />
Weekends von dem italienischen Likörhersteller Disaronno sponsorn.<br />
Ein Amaretto, der so vulgär und verführerisch süß schmeckt<br />
wie viele Bilder in Cattelans Magazin aussehen. Manchmal sind<br />
es Details, die man weglassen könnte, dann würden Pierpaolo<br />
Ferraris Aufnahmen hübsch und ansehnlich wirken. Doch da ist<br />
immer etwas, dass die Schönheit zerstört. Und selbst wenn ein<br />
Bild mal offenkundig schön sein sollte, dann erwartet einen auf der<br />
nächsten Seite gleich wieder der Abgrund. „Toiletpaper“ kann<br />
ein Höllenritt sein, aber auch ein visuelles Knallbonbon. Hat man<br />
die Bilder einmal gesehen, vergisst man sie erst mal nicht mehr.<br />
Cattelan sagt, er sei von einer Sucht nach Bildern befallen. Manchmal<br />
sind es tausende, die er sich pro Tag im Internet anschaut.<br />
Sein Magazin sei ein Vorwand, um diese Sucht zu befriedigen. Er<br />
Wie schon als Künstler versucht er mit allen<br />
Mitteln ein Metier zu erobern, das er<br />
gleichzeitig untergräbt. Statt der Kunst- ist<br />
es nun die Lifestyle-Welt.<br />
hat schon mal eine Zeitschrift mit dem Titel „Permanent Food“<br />
produziert: Dafür kaufte er spontan am Kiosk alle auffindbaren<br />
Magazine, riss die interessantesten Seiten heraus, klebte sie zu<br />
Collagen zusammen und schickte die in den Druck. „Toiletpaper“<br />
ist eine Weiterentwicklung davon. Die Fotos, die Cattelan und<br />
Ferrari wie gewöhnliche Fashionshoots mit Casting, Make-up etc.<br />
produzieren, zeigen Motive, die in Cattelans Kopf hängen geblieben<br />
sind, nachdem die Bilderflut über ihn hinweg gespült ist.<br />
Die grellen Farben und die meistens drastischen Motive können bei<br />
aller Ironie und morbidem Spaß aber die emotionale Kälte und<br />
den Weltekel nicht verbergen. Eigentlich ist sein Magazin also ein<br />
typisches Werk des Künstlers Cattelan. Wie schon als Künstler versucht<br />
er, mit allen Mitteln ein Metier zu erobern, das er gleichzeitig<br />
untergräbt. Statt der Kunst- ist es nun die Lifestyle-Welt.<br />
Zu der Präsentation des New Yorker Billboards am High Line Park<br />
werben Cattelan und Ferrari mit einem Foto von einem Stück rosa<br />
Seife, in das jemand herzhaft hineingebissen hat. Die Seife ist so<br />
lecker fotografiert, dass sie aussieht wie ein extrasüßes Stück Kuchen.<br />
Vielleicht ist Cattelan im Endeffekt doch einfach zu verstehen<br />
und sein Werk, auch das Magazin, enthält vor allem eine sehr<br />
wahre Erkenntnis: Nichts ist, wie es scheint. Das mag banal<br />
klingen, aber in der Konsequenz ist es ziemlich tragisch. Ende<br />
Maurizio Cattelan wurde 1960 in Padua geboren, lebt<br />
aber in New York. Im November vergangenen Jahres<br />
verabschiedete er sich dort mit einer Ausstellung im<br />
Guggenheim aus der Kunstwelt. Wir trafen ihn dank des<br />
italienischen Likörherstellers DIsaRONNO beim<br />
Launch-Event seines „Toiletpaper“-Magazins in Berlin.<br />
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