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durchbruch<br />
Foto: Mirjam Wählen, Interview: Nella Beljan<br />
Phillipa Brown<br />
hat unter dem Namen<br />
Ladyhawke Millionen Platten verkauft und ist der bekannteste<br />
Pop-Export Neuseelands. Auch Courtney Love und<br />
Kylie Minogue zählen zu ihren Fans. Doch die 33-Jährige<br />
ist nicht nur hypermusikalisch. Vor einigen Jahren wurde bei<br />
ihr das Asperger-Syndrom, eine Form von Autismus,<br />
diagnostiziert. Umso beeindruckender, dass ihr dennoch<br />
eine Weltkarriere gelang.<br />
I<br />
n einem Ihrer Lieder singen Sie ‚<br />
‚I saw you dancing with a girl like me ‘.<br />
Was für eine Art von Mädchen<br />
sind Sie denn?<br />
Phillipa Brown Ich kann das nicht so genau<br />
sagen. Ehrlich gesagt habe ich mir<br />
in dem Lied vorgestellt, wie der Mann mit<br />
mir tanzt. Ich kann mir niemanden sonst<br />
als mich vorstellen. Ich bin halt ich und<br />
weiß nur, wie ich mich fühle. Ich finde das<br />
sehr schwer, mir vorzustellen, wie andere<br />
mich einschätzen.<br />
Und wenn Sie daran denken, wie Ihre<br />
Mutter Sie beschreibt?<br />
P B Als sehr ruhig und schüchtern. Und<br />
besessen von Musik. Meine Mutter ist<br />
ziemlich stolz auf mich.<br />
Es ist auffällig, dass Sie Männerkleidung<br />
tragen. Ich habe mal gelesen, dass Sie das<br />
machen, um die Geschlechtergrenzen<br />
aufzuweichen.<br />
P B Ja, das stimmt. Ich habe immer schon<br />
mehr Jungssachen angehabt. Ich mag diese<br />
Gender-Limitierungen nicht. Diese Einschränkungen<br />
beginnen schon im Kindesalter.<br />
Kinder wollen einfach nur spielen,<br />
ob mit Trucks oder Puppen. Und dann kommen<br />
die Erwachsenen dazwischen und<br />
nehmen ihnen ihr Spielzeug weg, weil<br />
Barbies nichts für Jungs seien oder Autos<br />
nichts für Mädchen. Und stecken sie in<br />
rosa oder hellblaue Sachen. Das ist so<br />
unfair! Ich selbst habe darunter als Kind<br />
ziemlich gelitten. Also ziehe ich mittlerweile<br />
gar keine Frauenkleidung an. Von den<br />
Stiefeln über die Jeans bis hin zum Pulli<br />
trage ich ausschließlich Männersachen. Das<br />
ist mein Protest.<br />
Sie wirken auch in Männerkleidung<br />
ziemlich feminin.<br />
P B Genau darum geht es. Männerkleidung<br />
macht mich nicht weniger weiblich.<br />
Gerade wegen Ihrer Outfits gelten Sie<br />
als modisches Vorbild. Macht Sie das<br />
nicht noch nervöser? Sie sollen ohnehin<br />
ziemliches Lampenfieber haben.<br />
P B Ja, ich bin dann dermaßen aufgeregt,<br />
dass ich mich schlagartig krank fühle. Oft<br />
muss ich mich übergeben, so schlimm ist<br />
das. Ich ertrage vor meinen Auftritten auch<br />
keinen Lärm und überhaupt keine Geräusche<br />
oder Menschen um mich herum.<br />
Manchmal bin ich sogar mitten in einer<br />
Show von der Bühne gerannt.<br />
Was machen Sie, um sich zu beruhigen?<br />
In welchem Moment hört die Nervosität<br />
manchmal auf?<br />
P B Ich trinke Bier. Alkohol beruhigt mich<br />
und lockt mich irgendwann aus meinem<br />
Schneckenhaus hervor. Ich rauche nicht, ich<br />
weiß mit 33 nicht einmal, wie eine<br />
Zigarette schmeckt und habe auch noch<br />
nie andere Drogen probiert. Aber Alkohol<br />
hilft mir. Dann bitte ich alle Leute um mich<br />
herum, mich alleine zu lassen. Und kauere<br />
mich wie ein kleiner Igel zusammen. Damit<br />
schirme ich mich von Lärm und Licht<br />
und Außen ab. So bleibe ich, bis ich auf<br />
die Bühne gehe. Manchmal hört das Lampenfieber<br />
auf, sobald ich vorm Mikro stehe.<br />
Manchmal aber auch nicht. Dann schaue<br />
ich auf den Zettel mit der Songfolge und<br />
denke: ‚Oh, Gott, noch so viele Lieder’ und<br />
kann es kaum erwarten, sie alle hinter<br />
mir zu haben.<br />
Sie haben Bühnenangst, sind äußerst<br />
schüchtern und mögen Blickkontakt<br />
nicht so gern. Schauen Sie dann bei den<br />
Shows überhaupt in die Gesichter im<br />
Publikum?<br />
P B Wenn ich auf der Bühne stehe, sehe<br />
ich meine Fans gar nicht. Das überfordert<br />
mich. Meist schließe ich auch die<br />
Augen, wenn ich meine Songs singe, das<br />
beruhigt mich ebenfalls ungemein. Ich<br />
kommuniziere auf der Bühne höchstens<br />
mit den vorderen, ersten Reihen der<br />
Konzertbesucher, da stehen immer die<br />
Hardcore-Fans. Dass sie meine Musik<br />
und mich sehr mögen, flößt mir Ruhe und<br />
Selbstvertrauen ein, da kann ich ihnen<br />
ins Gesicht blicken.<br />
Vor einigen Jahren wurde bei Ihnen das<br />
Asperger-Syndrom festgestellt, das zum<br />
Autismusspektrum gezählt wird und<br />
auch als Wrong Planet Syndrom bezeichnet<br />
wird (Anm.: Menschen mit Asperger<br />
fühlen sich oft, als seien sie auf dem<br />
falschen Planeten, da sie die Verhaltensweisen<br />
und emotionalen Konventionen<br />
der anderen nicht verstehen). Waren Sie<br />
froh, als Sie einen Namen dafür hatten,<br />
dass Sie sich anders fühlen? Hat sich<br />
damit etwas für Sie verändert?<br />
P B Ja und nein. Auf der einen Seite war ich<br />
irgendwie erleichtert, weil auf einmal klar<br />
war, wieso ich schon als Kind immer so<br />
ruhig, so zurückgezogen war oder mich<br />
stundenlang mit Puzzles beschäftigt habe.<br />
Für meine Mutter und mich gab es viele<br />
Aha-Erlebnisse, wenn wir von den<br />
Symptomen lasen. Aber eigentlich war es<br />
für mich nicht so wichtig. Ich bin halt ich,<br />
und nun habe ich einen Namen für einige<br />
Phänomene an mir, die andere seltsam<br />
finden. Es weisen aber viele Menschen<br />
diese Verhaltensweisen auf. Ganz<br />
bestimmt sehr viel mehr, als in den Statistiken<br />
auftauchen. Ich beobachte das ja<br />
an meinen Freunden und den Leuten um<br />
mich herum und denke: Die haben auch<br />
alle Asperger und sollten zum Arzt gehen.<br />
Und was würde sich dann ändern?<br />
Warum wäre es gut, zum Arzt zu gehen?<br />
P B Stimmt. Sie haben Recht. Die müssen<br />
nicht zum Arzt gehen. Mir haben die<br />
Tourneen und der Job geholfen. Dadurch<br />
treffe ich auf so viele fremde und unterschiedliche<br />
Menschen und habe schon viel<br />
besser gelernt, mit bestimmten Situationen<br />
umzugehen. Mein Leben hat sich, als<br />
bekannt wurde, dass ich Asperger habe,<br />
nämlich ganz schön verändert, das mochte<br />
ich gar nicht. Weil auf einmal diese große<br />
mediale Aufmerksamkeit da war und ich<br />
nur noch auf das Asperger festgelegt<br />
wurde, als sei das und nur das meine Identität.<br />
Es ist aber nur ein Teil.<br />
Das war bestimmt schwer. Und dann<br />
kursieren auch noch falsche, pauschale<br />
oder konträre Annahmen über Asperger.<br />
Früher ging man davon aus, dass<br />
Asperger-Menschen lieber für sich seien.<br />
In einem Ihrer Songs sprechen Sie aber<br />
davon, dass es schrecklich sei, wenn<br />
jemand ginge und dass Sie nicht alleine<br />
sein wollen.<br />
„Ich genieße Nähe. Aber<br />
Umarmungen mag<br />
ich nicht so gerne ... In<br />
Europa umarmt man<br />
sich ständig und verteilt<br />
Küsschen. Das ist<br />
der Horror für mich.“<br />
P B Ja, ich singe ständig davon. Darum<br />
dreht sich mein ganzes Schreiben, alle<br />
meine Lieder sind voll davon, dass ich es<br />
nicht mag, alleine zu sein. Dann bin ich<br />
nämlich allein mit meinen Gedanken und<br />
kreise die ganze Zeit um mich.<br />
Wie funktionieren Partnerschaften bei<br />
Ihnen? Können Sie Nähe zulassen?<br />
P B Ich brauche ziemlich lange, bis ich<br />
mich auf jemanden einlasse. Aber wenn<br />
ich erst einmal vertraue, dann genieße<br />
ich Nähe und möchte gern Zeit mit dem<br />
Menschen verbringen und ihn um mich<br />
herum haben. Das wird mir dann sehr<br />
wichtig. Umarmungen und Gedrücktwerden<br />
mag ich aber auch heute noch<br />
nicht so gern.<br />
Sie waren bestimmt schon in vielen merkwürdigen<br />
Situationen, weil Sie Umarmungen<br />
nicht so mögen, oder?<br />
P B Ja, absolut! Ich habe damit immer<br />
wieder komische Erlebnisse und daran<br />
merke ich ganz besonders, dass ich offenbar<br />
anders bin. Besonders hier in Europa.<br />
Hier umarmt man sich ständig, sogar<br />
zur Begrüßung, auch wenn man sich gar<br />
nicht so gut kennt!<br />
Und Küsschen rechts und links!<br />
P B (lacht) Ja, das ist der Horror für mich!<br />
Ich habe zum Beispiel einmal einen sehr<br />
netten Mann kennen gelernt. Ich glaube, er<br />
war Italiener. Ich sehe ihn das zweite Mal<br />
und er wollte mich mit Küsschen auf die<br />
Wangen begrüßen. Mir war das aber nicht<br />
klar. Ich werde nie vergessen, wie er auf<br />
meine ausgestreckte Hand starrte, als sei<br />
sie ein Alien. (lacht) Er sagte mir dann,<br />
dass man sich bei ihm anders begrüße.<br />
Also musste ich, mittlerweile völlig verstockt,<br />
ihm auch noch Küsschen auf beide<br />
Wangen geben. Das war schrecklich!<br />
Wenn Sie unterwegs sind, haben Sie<br />
immer eine Band dabei. Sie gehen auch<br />
mit den Leuten aus, verbringen Ihre<br />
gesamte Zeit mit ihnen. Wie ist das?<br />
P B Ach, meine Band ist super, wir<br />
verstehen uns sehr gut. Wir lachen über<br />
Situationen wie die mit dem Italiener.<br />
Bei meine Band kann ich sein wie ich bin.<br />
Das ist sehr angenehm. Ich laufe immer<br />
ziemlich schluffig herum, ich trage oft Hüte<br />
und mache mich unsichtbar. Für mein<br />
Team ist das völlig okay. Schlimm wird es<br />
nur, wenn wir Videos drehen. Wenn ich<br />
gefilmt werde, wie ich einfach nur die<br />
Straße entlanglaufe, sieht das fürchterlich<br />
aus. Ich gehe einfach nicht gerade. Und<br />
dann muss eine Szene zwanzig Mal<br />
wiederholt werden. Dabei gebe ich mir<br />
echt Mühe! (lacht) Bis es einigermaßen<br />
telegen wirkt, treibe ich die Leute am<br />
Set fast in den Wahnsinn! Glücklicherweise<br />
müssen wir nicht oft Videos drehen.<br />
Sie sollen ziemlich viele Instrumente<br />
spielen.<br />
p b Haben Sie gelesen, es seien zehn? Das<br />
stimmt nämlich nicht! (lacht) Es sind<br />
schon ein paar Instrumente, die ich spiele,<br />
und auf meinen Alben nehme ich am<br />
liebsten alles alleine auf. Aber ich finde es<br />
auch toll, eine Band zu haben. Auf der<br />
Bühne spiele ich meist Gitarre und singe.<br />
Aber eigentlich sind die Drums mein<br />
Instrument. Manchmal bin ich bei Auftritten<br />
neidisch, weil ich gern am Schlagzeug<br />
sitzen würde und dann richtig<br />
reinhauen könnte. ende<br />
PHILLIPA BROWN wurde 1979 in Masterton, Neuseeland<br />
geboren. International bekannt wurde sie 2008 mit<br />
ihrem Song „Paris is Burning“. Ihr zweites Album<br />
„Anxiety“ ist gerade bei Universal Music erschienen.<br />
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