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Schüler AZ | DIE SCHÜLERZEITUNG der <strong>Gießener</strong> <strong>Allgemeine</strong>n Zeitung/Alsfelder <strong>Allgemeine</strong>n Zeitung<br />

In all den Jahren ist Ries natürlich zu<br />

einem absoluten Weihnachtsbaumkenner<br />

geworden. Sein wichtigster Tipp:<br />

Immer im Hellen kaufen! Denn abends im<br />

Scheinwerferlicht sieht man die braunen<br />

Nadeln nicht. Außerdem sollte man zu<br />

Hause messen, wie hoch der Baum sein<br />

darf, und dann einen Zollstock mitnehmen.<br />

Nach 25 Jahren Erfahrung teilt Ries seine<br />

Kunden in sechs Kategorien ein. Kategorie<br />

eins: Männer, die allein kommen.<br />

Sie fragen, welchen Baum sie nehmen<br />

sollen, schauen ihn sich kurz an, nehmen<br />

ihn und bezahlen den Preis, der verlangt<br />

wird. Kategorie zwei: Das mittelalte Ehepaar.<br />

Es lässt sich einen Baum empfehlen,<br />

schaut sich dann noch 20 Minuten<br />

um und nimmt am Ende doch den ersten.<br />

Die dritte Gruppe bilden Studenten<br />

– überwiegend Anfänger mit hohem<br />

Beratungsbedarf. »Die wollen alles<br />

Mögliche wissen: ›Braucht der Wasser?<br />

Wie kommt man an den Schmuck?‹<br />

Viele wissen noch nicht mal, dass der<br />

nicht von alleine steht, sondern dass sie<br />

einen Tannenbaumständer dafür brauchen.<br />

Die waren bisher von zu Hause<br />

gewohnt, dass der Baum an Heiligabend<br />

einfach da war.« Dann sind da die Älteren.<br />

Sie tendieren zum kleineren Baum<br />

Unkomplizierter Weihnachtsbaum<br />

und fragen schon mal nach Rotfichte.<br />

Aber: »Rotfichte war früher.« Heute ist<br />

Nordmanntanne angesagt, mit dichteren<br />

Zweigen, aber auch doppelt so<br />

Wenn Christoph Ries Urlaub macht, dann bedeutet das Kälte und Schnee statt<br />

Sonne und Sandstrand.<br />

Foto: dpa<br />

Egal ob Christ oder Atheist, Muslim<br />

oder Jude – der Weihnachtsbaum<br />

spricht alle an. Warum das so ist, erläutert<br />

die Volkskundlerin Oliwia Murawska<br />

von der Universität Münster.<br />

Warum stellen sich auch Muslime einen<br />

Weihnachtsbaum auf?<br />

Oliwia Murawska: Der Weihnachtsbaum<br />

ist als Symbol unkompliziert, weil er<br />

kein genuin christliches Symbol ist. Er<br />

wurde weder von der Kirche initiiert<br />

noch spielt er im Gottesdienst eine<br />

entscheidende Rolle. Er kam auch erst<br />

sehr spät in die Gotteshäuser, und dann<br />

auch eher als Schmuck.<br />

Wenn der Weihnachtsbaum kein genuin<br />

christliches Symbol ist, wie Sie sagen, wofür<br />

steht er dann sonst noch?<br />

Murawska: Das wechselt immer, je nach<br />

Zeit und gesellschaftlichem Kontext.<br />

Im 19. Jahrhundert zum Beispiel symbolisierte<br />

er die bürgerliche Familienidylle,<br />

heute sind es auch Medien und<br />

Werbung, die das Bild vom Weihnachtsbaum<br />

mitprägen. Für dieses Bild sind<br />

in unserer heutigen globalisierten Welt<br />

viele empfänglich, unabhängig von der<br />

Religion.<br />

Ist der Weihnachtsbaum heutzutage nicht<br />

in erster Linie ein Symbol für Kommerz und<br />

Konsum?<br />

Murawska: Auf keinen Fall, denn er<br />

erfüllt ja viele unterschiedliche Bedürfnisse.<br />

Zum Beispiel nach Licht in der<br />

dunklen und kalten Jahreszeit. Nach<br />

Atmosphäre, er vermittelt diesen ganz<br />

speziellen Zauber. Und nach Natur.<br />

Gerade im städtischen Milieu, aus dem<br />

der Weihnachtsbaum stammt, erfüllt er<br />

ein Bedürfnis nach ländlicher Idylle. Und<br />

er ist auch nach wie vor ein wichtiger<br />

Bestandteil des Familienfestes.<br />

teuer. Rotfichtenkäufer sind in der Regel<br />

Nostalgiker, erklärt der Weihnachtsbaumverkäufer.<br />

In die fünfte Kategorie fallen überzeugte<br />

Villenbesitzer, die eine Vier-Meter-Tanne<br />

ordern – der Preis ist Nebensache. Am<br />

Ende kommen die Schnäppchenjäger.<br />

Sie sehen sich endlos um, kaufen nichts,<br />

sondern prüfen erst noch andere Stände.<br />

»Kurz vor Weihnachten kaufen sie dann<br />

schließlich den letzten Ramsch und denken<br />

noch, sie hätten ein Schnäppchen<br />

gemacht.« Seinen eigenen Baum sucht<br />

sich Ries ganz spontan aus: »Ich packe<br />

irgendwann einen aus und sage: Das ist<br />

meiner!«<br />

Für Spätentschlossene hat Ries auch an<br />

Heiligabend noch geöffnet. Anschließend<br />

muss er sich sputen, um rechtzeitig zu<br />

seiner Frau und seinen beiden Töchtern<br />

zu kommen. Vor drei Jahren, als wir in<br />

Deutschland eine weiße Weihnacht erlebten,<br />

hat er für diesen Weg sechs Stunden<br />

gebraucht. »Fast wäre ich zu spät zur<br />

Bescherung gekommen.« Und das wäre<br />

für einen Weihnachtsbaumverkäufer natürlich<br />

besonders tragisch gewesen.<br />

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