Neue Bücher - Instytut Książki
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JUSTYNA<br />
BARGIELSKA<br />
KLEINE<br />
FÜCHSE<br />
Justyna Bargielska (geb. 1977), Lyrikerin und<br />
Prosaistin. Ausgezeichnet u.a. mit dem Literaturpreis<br />
Gdynia. Małe lisy [Kleine Füchse; 2013] ist<br />
ihr zweiter Prosaband.<br />
In „Kleine Füchse” gibt die glasklare Stimme einer jungen<br />
Frau Geschichten zum Besten, eigene Geschichten oder Geschichten<br />
geradewegs aus dem Leben. Der Gegenstand: die<br />
Kinder, der Ehemann, der Hund, die Mutter, die Schwester<br />
und die Nachbarinnen. Die Wohnsiedlung, daneben der Wald.<br />
Der Haushalt, in der U-Bahn aufgeschnappte oder zu Hause<br />
von der Tochter geträllerte Rhythmen, der Vorstadtbus. Im<br />
Heimeligen lauert jedoch das Unheimliche, im Vertrauten das<br />
Sündhafte. Der märchenhaft angehauchte Liebesroman, die<br />
weltweit populärste frauenliterarische Gattung, erhält hier<br />
eine komplexe, ironische Dimension. „Hattet ihr denn mal<br />
was, Mädels, mit einem Gangster aus dem Wald? Denn genau<br />
das, Mädels, hatte ich” – so beginnt „Kleine Füchse”.<br />
Der Titel ist so vieldeutig wie einleuchtend. Sie sind es, die<br />
biblischen kleinen Füchse, die kleinen Sünden – in diesem Fall<br />
die Sünden der Hausfrauen – die die Weinberge verwüsten.<br />
Wie ist es doch verlockend, ein kleiner Fuchs zu sein und einfach<br />
im Wald bei der Siedlung herumzustreifen! Die in einem<br />
Grenzbereich von Traum, Erinnerung und Phantasie gesponnenen<br />
Märchen über den Messerstecher als Geliebten fordern<br />
alles in allem doch ihren Preis. Das alltägliche Familienleben,<br />
seine Materie selbst unterliegt einer gewissen Erosion, da das,<br />
was die Welt zu einem verzauberten Ort macht – die Poesie,<br />
und manchmal sogar die Religion – sich nun auf einen Bereich<br />
außerhalb des Hauses verlagert, in den Wald. Der tiefe Blick<br />
in die Dynamik dieses Prozesses ist jedoch nicht identisch mit<br />
Schuldgefühl. „Das geht mir am A... vorbei” ist die Autorin imstande<br />
zu schreiben, die sonst fast nie zu Vulgarismen greift.<br />
Der Sinn dieser Umschreibung ist einfach. Für die Frau sind<br />
Freiheit und Schaffenskraft seltene und unschätzbare Werte,<br />
die es mit dem eigenen Körper zu schützen gilt.<br />
Bargielskas poetischer Redefluss spaltet sich in zwei Figuren<br />
auf, die alltägliche, aber dadurch nicht weniger dramatische<br />
existentielle Erfahrungen dokumentieren. Agnieszka, die<br />
„Forschontärin”, eine der „Damen von der Stiftung”, ist eine<br />
selbständige junge Singlefrau, die u.a. einen Schreibkurs im<br />
Kulturzentrum der Siedlung leitet. Die Figur des literarischen<br />
Schaffens erscheint hier als grenzenloses kollektives Projekt,<br />
welches das eindeutige Verständnis der Autorschaft in Frage<br />
stellt. Auf diese Weise deklariert Bargielska, die scheinbar<br />
obenhin verschiedenste Frauennamen in den Text einfließen<br />
lässt, „Kleine Füchse” zwar zu ihrem, aber nicht allein von ihr<br />
stammenden Werk. In diesem weiblichen, von der Definition<br />
her leicht obszönen Redeschreibfluss, in dessen Zuge Leiden<br />
und Begehren auf die Bühne des Alltags vordringen, erweisen<br />
sich Worte, Gedanken, Orte und Erfahrungen als gemeinsam.<br />
Agnieszkas Geschichte verflicht sich erstaunlich eng mit der<br />
Mikroperspektive einer anderen Figur, einer Hausfrau und<br />
Mutter, die zum Glück oder Unglück für die Wirklichkeit<br />
selbst eine empfindsame Intellektuelle ist. Beide Frauen schlafen<br />
ganz offensichtlich mit demselben betörenden Räuber aus<br />
dem Wald.<br />
In „Obsoletki” [Obsoletes], Bargielskas letztem Buch, war<br />
es die Trauer, die dem Ganzen seinen Ton verlieh. Eine tiefe<br />
und zugleich problematische Trauer, zeichnete die Autorin<br />
doch die Erfahrung einer Fehlgeburt nach, den Verlust einer<br />
Person, die es in der realen Welt noch gar nicht gegeben hatte.<br />
Die medizinische Erfahrung fand einen religiösen Rhythmus<br />
und eine religiöse Bebilderung, der dunkle Schein von Trauerritualen<br />
erfüllte die Welt. „Kleine Füchse” ist da ganz anders.<br />
Die Rückkehr auf die Seite des Lebens bedeutet den Eintritt in<br />
die Sphäre erhöhter Gefahr, illegaler erotischer Leidenschaften<br />
und der Phantasie, von zu Hause wegzulaufen, auch wenn<br />
man dafür durch die Kanalisation abfließen müsste. Doch wie<br />
zu erwarten bleibt die große Katastrophe hier aus. Die Kinder,<br />
imaginär beim Versuch eines erweiterten Selbstmords mit<br />
Schlaftabletten betäubt, wachen doch am Schluss wieder auf.<br />
Und auch ihre Mutter kehrt ins Leben zurück. Die Aspekte des<br />
schriftstellerischen Ichs fügen sich zusammen, gemeinsam gehen<br />
die beiden Geliebten des Messerstechers zum Wohnblock<br />
zurück, gemeinsam tragen sie die Kinder. Die Handlung ist bei<br />
dieser Erzählung zwar wichtig und fesselnd, aber dennoch in<br />
gewissem Sinne konventionell. Das Wichtigste ist die Begabung<br />
der Autorin, alles zu Literatur zu verdichten, zu einer<br />
bündigen, ironischen, manchmal etwas surrealen Literatur,<br />
die aber immer von der Schönheit und der Bedrohung handelt,<br />
die sich in der Unbestimmtheit der Existenz verbergen.<br />
JUSTYNA BARGIELSKA<br />
„MAŁE LISY”<br />
CZARNE, WOŁOWIEC 2013<br />
125×195, 112 PAGES<br />
ISBN 978-83-7536-505-4<br />
TRANSLATION RIGHTS:<br />
POLISHRIGHTS.COM<br />
Kazimiera Szczuka