Neue Bücher - Instytut Książki
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„Mein Zuhause ist abgebrannt“, antwortete der Kleine,<br />
während er die letzten Bohnen auf seine Gabel häufte. „Es<br />
ist nichts davon übrig geblieben.“<br />
„Das tut mir leid“, brummelte Rybka verlegen und bedauerte,<br />
dass er dieses für den Jungen heikle Thema angeschnitten<br />
hatte. „Hoffentlich ist niemandem etwas passiert?“<br />
„Sie sind verbrannt. Alle. Mama, Papa, meine drei<br />
Schwestern und mein Bruder“, murmelte das Kind, ohne<br />
dabei den Blick vom Fernseher abzuwenden, auf dem SpongeBob<br />
Schwammkopf gerade über den Meeresboden hüpfte.<br />
„Da standen Männer mit Macheten, die haben aufgepasst,<br />
dass niemand dem Feuer entkam. Auf diese Weise ist mein<br />
Bruder gestorben, weil er versuchte, zu fliehen. Nur ich<br />
habe überlebt.“<br />
„Oh Gott, das tut mir wirklich sehr leid.“ Der schockierte<br />
Rybka bedauerte es, dass er überhaupt angefangen hatte,<br />
den Jungen auszufragen. „Du musst Schreckliches durchgemacht<br />
haben, Kleiner.“<br />
„Hm. Die Bohnen waren super, ich würde gerne noch eine<br />
Cola trinken“, sagte der Junge, schob den leeren Teller von<br />
sich und lächelte einschmeichelnd. „Darf ich?“<br />
Während er erneut in der Schlange vor der Kasse stand,<br />
überlegte Rybka, welche traumatischen Erlebnisse der Junge<br />
hinter sich haben musste. Man meinte zu wissen, was in diesen<br />
ganzen afrikanischen Ländern vor sich ging. Stammeskriege,<br />
Massaker, schmutzige Kriege, in denen verrückte<br />
Anführer selbst so kleine Knirpse zu Soldaten machten – sie<br />
mit Drogen vollstopften, ihnen Gewehre und Macheten in<br />
die Hand drückten und sie in gnadenlose Tötungsmaschinen<br />
verwandelten. Aber es war eine Sache, wenn man das<br />
alles durch den flachen Bildschirm des Fernsehers gefiltert<br />
betrachtete, und eine andere, wenn man jemandem gegenüberstand,<br />
der so etwas tatsächlich erlebt hatte. Dieser Junge<br />
hatte ganz offensichtlich das Pech gehabt, in einer von Konflikten<br />
geschüttelten Region geboren zu werden, und er hatte<br />
einen Albtraum erlebt, der sich sicherlich wie ein Schatten<br />
über sein gesamtes Leben legen würde. Ein Glück, dass<br />
es gelungen war, ihn dort herauszuholen. Der kleine Eugene<br />
verdiente es, in einer besseren Welt zu leben, in der Kinder<br />
zur Schule gingen, keine schrecklichen Dinge um sich herum<br />
sahen und eine wirkliche Kindheit hatten, anstatt mit<br />
einem Gewehr in der Hand durch die Gegend zu rennen und<br />
Tod und Verwüstung zu säen, bis ihnen irgendein anderes<br />
zugekifftes Kind eine Kugel verpasste.<br />
Der Kleine hatte mit ansehen müssen, wie seine Familie<br />
umgekommen war. Rybka konnte nur schwer begreifen, wie<br />
er so ruhig darüber sprechen konnte. Es musste ein Trauma<br />
sein, vielleicht stand er noch immer unter Schock. Das wäre<br />
vermutlich eine Erklärung für seine Ruhe und Emotionslosigkeit.<br />
Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit hatte er das Gefühl,<br />
genau das Richtige zu tun. Er half dabei, diesen Jungen zu<br />
retten, ihn aus der Hölle zu befreien und ihm ein neues Leben<br />
zu ermöglichen. Der kleine Eugene hatte mehr erlebt,<br />
als irgendein Mensch je erleben sollte, er hatte die Ermordung<br />
seiner Familie mit ansehen müssen und war selbst nur<br />
knapp dem Tode entronnen. Rybka schwor sich, dass er den<br />
Jungen nach London bringen würde, und wenn die Welt um<br />
ihn herum unterginge. Nicht des Geldes wegen, sondern<br />
weil es seine Pflicht war.<br />
Rybka war schon seit Jahren im Geschäft, der Schmuggel<br />
mit Kokain, oder „Charlie“, wie die Engländer das weiße<br />
Pulver umgangssprachlich nannten, sicherte ihm ein<br />
ständiges, nicht unerhebliches Einkommen. Und es ging so<br />
einfach, dass moralische Dilemmata ihm nachts nicht den<br />
Schlaf raubten. Es war einfach ein Job wie jeder andere. Der<br />
eine saß acht Stunden im Büro und wühlte in Papieren, ein<br />
anderer stand am Fließband. Rybka hatte sowohl das eine als<br />
auch das andere ausprobiert, und jetzt schmuggelte er eben<br />
Koks, einfach weil sich die Möglichkeit ergeben hatte, weil<br />
er den entsprechenden Leuten begegnet war. Wenn er es<br />
nicht täte, würde es ein anderer tun, nur ein ausgemachter<br />
Trottel würde sich eine solche Möglichkeit entgehen lassen.<br />
Großbritannien war wie ein riesiger Staubsauger: Tausende,<br />
Zehntausende, vielleicht sogar Hunderttausende, vom Sozialhilfeempfänger<br />
bis hin zum Manager eines Großkonzerns,<br />
zogen sich tagtäglich Bahnen weißen Pulvers durch gerollte<br />
Geldscheine in ihre Nasen. Zugedröhnte Politiker regierten<br />
das Land, zugedröhnte Manager leiteten die Konzerne, zugedröhnte<br />
Polizisten machten Jagd auf zugedröhnte Verbrecher,<br />
und selbst der durchschnittliche Dave Smith von nebenan<br />
zog sich am Wochenende gerne eine Bahn. Das Land<br />
funktionierte dank Kokain. Wenn man plötzlich sämtliche<br />
Lieferungen stoppte, würde wahrscheinlich alles stillstehen,<br />
wie eine Maschine, der der Treibstoff ausgegangen war. Die<br />
Wirtschaft bräche zusammen, die gesamte Produktion käme<br />
zum Erliegen und das Land versänke in Chaos und Aufruhr.<br />
Ganz Großbritannien würde in den Abgrund stürzen. So in<br />
etwa stellte Rybka sich das vor, wenn er sein Gewissen beruhigen<br />
wollte.<br />
Er betrachtete sich selbst gar nicht als Schmuggler, sondern<br />
eher als eine Art Ein-Mann-Kurierdienst für besondere<br />
Aufträge. Schmuggler waren Volltrottel, die sich nach<br />
Kolumbien schicken und mit kokaingefüllten Kondomen<br />
vollstopfen ließen, Idioten, die ihr Leben für ein paar miese<br />
Tausender riskierten, mit denen sie es auch auf keinen grünen<br />
Zweig bringen würden. Oder Schlauberger, die ihren<br />
Kombi mit Zigarettenstangen und Schnaps vollpackten und<br />
vierundzwanzig Stunden durch Europa gurkten, nur um in<br />
Dover vom erstbesten Zollbeamten angehalten zu werden,<br />
der einen Blick auf ihr Auto warf.<br />
Dieser Auftrag war anders als die anderen. Als er hörte,<br />
dass es darum ging, einen siebenjährigen Jungen von Marseille<br />
nach London zu bringen, hatte er zunächst abgelehnt.<br />
Ein diskretes Päckchen, das er in einem Geheimfach seines<br />
Kofferraums verstecken konnte, war eine Sache, ein lebender<br />
Mensch eine andere. Das Risiko war wesentlich größer,<br />
außerdem hatte die britische Polizei zuletzt ein besonderes<br />
Auge auf die Schleusung illegaler Einwanderer geworfen,<br />
vor allem weil es plötzlich zu viele von den legalen gegeben<br />
hatte. Aus all diesen Erwägungen heraus sagte Rybka seinem<br />
Auftraggeber, er möge sich jemand anderen suchen. Doch<br />
jener Gentleman war es offensichtlich nicht gewohnt, dass<br />
man ihm eine Abfuhr erteilte.<br />
„Du wirst mir den Jungen bringen“, sagte er und zog ein<br />
Geldbündel aus der Innentasche seines teueren Mantels.<br />
Aus dem Polnischen von Heinz Rosenau