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Neue Bücher - Instytut Książki

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ANGELIKA<br />

KUŹNIAK<br />

PAPUSZA<br />

Angelika Kuźniak Angelika Kuźniak (geb. 1974),<br />

Journalistin und Reporterin, drei Mal mit dem<br />

Grand Press-Preis ausgezeichnet. Ihr 2009 erschienener<br />

Reportagenband Marlena, der Marlene<br />

Dietrichs letzten Jahren gewidmet ist, wurde<br />

vom Publikum sehr positiv aufgenommen.<br />

Die Geschichte von Bronisława Wajs, genannt Papusza, ist<br />

fremdartig und exotisch. Die am Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

geborene Zigeunerin und Dichterin wurde als ein folkloristisches<br />

Schmuckstück gesehen – ein wenig wie „eine Frau<br />

mit Bart“. Die Gestalt aus dem Raritätenkabinett faszinierte,<br />

doch wurde sie ernst genommen? War sie eine „Zigeunerdichterin“<br />

oder einfach nur „Dichterin“? Aus Angelika Kuźniaks<br />

Buch geht klar hervor, was Papuszas Persönlichkeit geformt<br />

hat; die Welt des Zigeunerlagers war der Stoff, aus dem sie<br />

gemacht war, aber auch die Populärliteratur! Eine geborene<br />

„Perle“, ein Zigeunerkind, das neugierig auf die Welt war und<br />

das – gegen seine eigentliche Bestimmung – zuerst lesen und<br />

dann schreiben lernte, um schließlich alle Romane und Erzählungen<br />

zu verschlingen, die es in die Finger bekam.<br />

Papusza bedeutet Puppe – dieser inoffizielle Name ist auf das<br />

Aussehen des Mädchens zurückzuführen (Angelika Kuźniak<br />

benutzt Papusza statt Bronka und gibt damit ihrer Heldin nicht<br />

nur eine Stimme, sondern taucht sie in die Welt ihrer „eigenen“<br />

Tradition). Aber in Kuźniaks Erzählung hat der Name Papusza<br />

auch eine ernste Bedeutung – das Geschlecht, die soziale<br />

Herkunft, die familiären Beziehungen hatten zur Folge, dass<br />

Bronka Wajs in einem wörtlichen und damit dramatischen<br />

Sinne zur Puppe wurde: sie wurde von Hand zu Hand gereicht<br />

und reagierte wie ein Automat auf Anweisungen. Ihr zweiter<br />

Mann, der viel ältere Dionizy, hatte sie entführt und zur Heirat<br />

gezwungen. Papuszas Rettung war die Liebe zu dem jungen Witold,<br />

doch als er verschwand, trieb es sie in den Wahnsinn. Solche<br />

Geschichten machen sich recht gut in einem literarischen<br />

Text. Kuźniak zeigt, was passiert, wenn so eine Anziehung der<br />

Herzen – eine so große, wahrhaft „romantische“ Liebe gegen<br />

den Rest der Welt – zur Wirklichkeit wird.<br />

Die Autorin analysiert – taktvoll und behutsam, wie aus<br />

dem Hintergrund – Papuszas Geschichte und stellt Fragen,<br />

ohne Antworten zu suggerieren. Sie beschreibt die Beziehung<br />

zur Mutter, die für das Mädchen eine Autorität ist, die<br />

aber Papuszas Entscheidung, Dionizy – der sie misshandelt<br />

und vergewaltigt – zu verlassen, nicht unterstützt. Es ist eine<br />

Mutter, deren Rücken voller Narben von Peitschenhieben ist<br />

und die selbst an der Überzeugung festhalten, und ihr Kind<br />

glauben lassen muss, ein anderes Leben sei unmöglich (Papu-<br />

sza erzählt, dass der Mann einer Zigeunerin alles machen darf,<br />

ohne dass jemand protestiert, weil das der Brauch ist; sie erinnert<br />

sich, wie sie mit anderen Kindern „Zuhause“ spielte und<br />

das Wichtigste dabei das Schlagen der „Ehefrau“ war). Wie in<br />

einem klassischen Gewaltmuster gibt das Opfer dem Handeln<br />

des Peinigers einen Sinn. Die Mutter hilft der Tochter nicht, als<br />

diese der Macht des misshandelnden Ehemanns entkommen<br />

will, weil sie den Sinn des eigenen Schicksals und die Weltordnung,<br />

in der sie lebt, nicht in Frage stellen kann. Papusza lernt<br />

mit der Zeit, dass sie als Person nichts bedeutet: Sie ist nur die<br />

Funktion fremden Seins. Dionizy Wajs, der den Grundsätzen<br />

der Zigeunergemeinschaft treu bleibt, hat das Recht auf seiner<br />

Seite und Papusza ist eine Marionette in seinen Händen. Wajs<br />

hat aus einer Perspektive außerhalb dieser Gemeinschaft viele<br />

Verbrechen begangen, doch niemand war daran interessiert,<br />

Papusza zu retten; das Lesen war ihre Rettung. Papusza hat in<br />

ihren Liedern sowohl die zerstörte mündliche Kultur der zur<br />

Sesshaftigkeit gezwungenen Zigeuner als auch die Erinnerung<br />

an die Vernichtung dieses Volks bewahrt.<br />

Angelika Kuźniak zeichnet in Papusza ein vielschichtiges<br />

Porträt: das einer Dichterin, Leserin, Tochter, Mutter, Ehefrau,<br />

Künstlerin und Geliebten. Papuszas Gestalt schillert, hört<br />

nicht auf, zu verblüffen. „Dumm“ in den Augen des gierigen<br />

und grausamen Ehemanns; „eine Verräterin“ in den Augen der<br />

Zigeunergemeinschaft; „ein großes, wildes Naturtalent“ in den<br />

Augen der polnischen Dichter; machtlos, schwach, verzweifelt<br />

und wütend – so sieht sie sich selbst. Die Erzählung von der<br />

„verfluchten Dichterin“, die sowohl Ruhm einbrachte als auch<br />

große Scham hervorrief, dieses Buch über einen unfassbar<br />

starken Menschen könnte eine Diskussion entfachen. Vor allem<br />

aber könnte es Papuszas Lieder bekannt machen – nicht<br />

als exotische „Schmuckstücke“, sondern als Lyrik, die von einer<br />

Ära und ihren Erfahrungen Zeugnis ablegt.<br />

ANGELIKA KUŹNIAK<br />

„PAPUSZA”<br />

CZARNE, WOŁOWIEC 2013<br />

133×215, 200 PAGES<br />

ISBN: 978-83-7536-501-6<br />

TRANSLATION RIGHTS:<br />

POLISHRIGHTS.COM<br />

Anna Marchewka

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