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Thalia Magazin

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THALIA | Lieblingsbild<br />

Roger Willemsen – Mein Lieblingsbild<br />

Piero di Cosimo:<br />

Tod der Prokris<br />

Piero di Cosimo, Der Tod der Prokris, um 1486, 65 x 188 cm, Öl auf Leinwand, London National Gallery<br />

Manchmal löst die Malerei, ohne dass man es zunächst<br />

merkt, einen Bann aus. Dann bleibt man vor einem Bild<br />

stehen, kann sich nicht sattsehen, und die Zeit vergeht<br />

unmerklich. Der Blick schweift dahin, er liest und liest und fördert<br />

offenbar etwas zutage, sonst würde man weitergehen. So ging es mir<br />

mit Piero di Cosimos „Tod der Prokris“. Vage erinnerte ich mich an den<br />

Maler, ein Schlachtenbild, eine mythologische Szene im Florentiner<br />

Stil, gemalt auf der Schwelle zur Hochrenaissance, als Maler und<br />

Philosophen das Heidnische zu lieben lernten.<br />

Keine Ahnung hatte ich, wer Prokris war, welche Geschichte da<br />

erzählt wurde, auf wen sie zurückging. Aber es war ja offensichtlich,<br />

dass da der Höhepunkt eines Trauerspiels erzählt wurde, unter Aufbietung<br />

aller Mittel wie Liebe zur Frau, zum Tier, zum Faun; das Drama<br />

des Verlusts, die Theatralik der Trauer, die Lyrik der Natur. Es gibt<br />

einen starken, von drei Kreaturen bestimmten Vordergrund, einen<br />

von drei Tieren bestimmten Mittelgrund, und schließlich die Tiefe<br />

einer idealen Fluss- oder Seenlandschaft. Ja, es verherrlicht die Natur<br />

gleich doppelt: als Makrokosmos in der Sanftmut der Berge- und<br />

Buchten-Landschaft und als Mikrokosmos im Liebreiz der Botanik,<br />

die wie beim zeitgleich arbeitenden Leonardo detailliert, bis in die<br />

Blattstände „korrekt“ und vielfältig angelegt ist. Solche Wiesen sind<br />

heute weitgehend verschwunden, anders gesagt, sie sind den Weg<br />

der Prokris gegangen.<br />

Etwas an diesem Bild mit seinem exzentrischen Querformat, seinem<br />

selten bearbeiteten, mythologischen Stoff, seiner bizarren Zusammenführung<br />

von Frau, Faun und Tier ist rührend und rätselhaft.<br />

Man muss nicht genau wissen, was da erzählt wird, und wird doch<br />

mitbewegt von den Ausdrucksgesten, der tiefen, sorgenvollen<br />

Anteilnahme des Fauns, der elegischen Hingabe an das Sterben der<br />

Frau, dem traurigsten Hund der Kunstgeschichte, dem Symbol der<br />

Treue. Und dann diese Raffinesse, mit der sich das Schleierband um<br />

Knie, Hüfte, Unterarm windet, der Wölbung des Beckens, des Bauches<br />

schmeichelnd – die Ausstellung gleichermaßen des Nackten wie des<br />

Behaarten, des Erotischen, aber eigentlich posthum Erotischen.

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