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Thalia Magazin

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THALIA | Lieblingsbild<br />

57<br />

Egal, dass es ein Bild der Liebe ist, verrät jedes Detail, einer Liebe über<br />

den Tod hinaus, und selbst die tödliche Halswunde wird vom Maler<br />

so fein angelegt, als wolle er sie nicht wahrhaben.<br />

Foto: © Mathias Bothor<br />

Die Geschichte dazu entstammt den „Metamorphosen“ des Ovid: Der<br />

Herrscher von Kreta, heißt es da, konnte mit keiner Frau schlafen, da<br />

seine Gemahlin ihn mit einem Zauber belegt hatte. Kaum näherte<br />

er sich einer anderen Frau, drangen Schlangen, Skorpione und Tausendfüßler<br />

aus seinem Leib. Prokris heilte den König von diesem Spuk<br />

und erhielt zum Lohn einen unfehlbaren Speer und den schnellen,<br />

unsterblichen Hund Lailaps.<br />

Roger Willemsen<br />

veröffentlichte sein erstes Buch 1984 und arbeitete<br />

danach als Dozent, Übersetzer und Korrespondent aus<br />

London, ab 1991 auch als Moderator, Regisseur und<br />

Produzent fürs Fernsehen. Er erhielt u. a. den Bayerischen<br />

Fernsehpreis und den Adolf-Grimme-Preis in<br />

Gold. Er ist Honorarprofessor für Literaturwissenschaft<br />

an der Humboldt-Universität in Berlin.<br />

Ab 06.03. bei<br />

<strong>Thalia</strong><br />

Roger Willemsen<br />

Das Hohe Haus<br />

400 Seiten, € 19,99<br />

ISBN 978-3-10-092109-3<br />

eBook, ca. € 17,99<br />

ISBN 978-3-10-402855-2<br />

S. Fischer Verlag<br />

Da aber die unselige Prokris eifersüchtig war auf die Liebschaften des<br />

eigenen Gemahls Kephalos, stellte sie ihn ihrerseits auf die Probe,<br />

indem sie ihn in der Gestalt einer schönen Fremden verführte. Zur<br />

anschließenden Versöhnung erhielt er den unfehlbaren Speer. Als sie<br />

dem Gatten dann weiter nachstellte und sich im Gebüsch verbarg,<br />

tötete er seine Frau mit dem Speer, da er sie für ein Jagdwild hielt:<br />

„Ach sie sank, und es flohn mit dem Blut die wenigen Kräfte. Und so<br />

lange zu schaun sie vermag; mich schaut sie, und in mich fließt die<br />

bekümmerte Seel', in meine Lippen geatmet.“ So heißt es bei Ovid,<br />

wo es noch über viele Verse so herzzerreißend zugeht.<br />

Wer aber, wollte ich wissen, ist der Maler, der sich dieses merkwürdigen<br />

Stoffes angenommen hat, und ich stieß auf den seltsamsten<br />

Charakter. Piero di Cosimo malte sein Werk um 1500. Schon zu<br />

Lebzeiten genoss er den Ruf eines Sonderlings, lebte als Junggeselle<br />

in einem großen Haus mit verwildertem Garten, stand manchmal<br />

oben auf dem Balkon und freute sich daran zuzusehen, wie sich die<br />

Natur diesen Garten wieder holte und in einen kleinen Dschungel<br />

verwandelte, in dem manchmal die Kinder spielten. Piero di Cosimo<br />

beschäftigte sich außerdem mit Philosophie, ernährte sich vor allem<br />

von hartgekochten Eiern, hasste das Läuten der Kirchenglocken sowie<br />

den Chorgesang, und bisweilen stellte er sich auf seinen Balkon<br />

auch nur, um Brandreden gegen Ärzte und Rechtsanwälte zu halten.<br />

Erst Tage nach seinem Tod wurde er am Fuß der großen Treppe seines<br />

Hauses mit gebrochenem Genick gefunden. Kein Wunder also, dass<br />

die schillerndste aller „Künstlerviten“ des berühmten Malerkollegen<br />

und Autors Giorgio Vasari Piero di Cosimo gewidmet ist.<br />

Der „Tod der Prokris“ trägt ganz die Handschrift dieses wunderlichen<br />

Menschen, eines Unikums unter den Malern, doch ist dies zugleich<br />

ein zart empfundenes Werk, dessen eigentlicher Gegenstand das<br />

Gefühl der untröstlichen Liebe ist, und seltsam, wann immer ich zu<br />

diesem Bild zurückkehre, finde ich etwas Neues in ihm. Es muss am<br />

Gefühl liegen, das ja auch immer neu ist.<br />

Roger Willemsen

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