Jahresbericht - Jugendwohlfahrt
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Daten und Fakten<br />
Soziale Diagnose<br />
14<br />
Jeder Meldung über einen Verdacht einer möglichen Kindeswohlgefährdung<br />
muss nachgegangen werden. Die<br />
<strong>Jugendwohlfahrt</strong> verschafft sich einen persönlichen Eindruck<br />
der Lebensumstände des Kindes und seiner Familie<br />
und holt, wenn nötig, Wahrnehmungen Dritter und<br />
Fachexpertisen ein.<br />
Bei Bedarf werden die Sozialarbeiter/-innen der Bezirksverwaltungsbehörden<br />
bei der Abklärung von Gefährdungsmeldungen<br />
durch spezielle Dienste der Abteilung<br />
<strong>Jugendwohlfahrt</strong> unterstützt:<br />
Der Psychologische Fachdienst der Abteilung <strong>Jugendwohlfahrt</strong><br />
unterstützt durch psychologische Diagnostik.<br />
Auf Basis konkreter Fragestellungen der Sozialarbeiter/-<br />
innen werden fachliche Einschätzungen abgegeben, die<br />
in den Prozess der Abklärung einfließen. Der Psychologische<br />
Fachdienst verzeichnete im Jahr 2010 843 abgeschlossene<br />
Abklärungsfälle.<br />
Das Angebot des Multiprofessionellen Diagnostik<br />
Teams (MDT) richtet sich an Sozialarbeiter/-innen der<br />
Bezirksverwaltungsbehörden, für die sich bei sehr komplexen<br />
Fällen im Bereich Abklärung und Hilfeplanung die<br />
Notwendigkeit einer multiprofessionellen (klinisch-psychologisch,<br />
psychiatrisch und/oder sozialpädagogisch)<br />
Diagnostik ergibt.<br />
Das Multiprofessionelle Diagnostik Team hat im ersten<br />
Jahr 49 Fälle mit 63 Minderjährigen unterstützt.<br />
Ergebnis der Abklärung ist eine fachliche Einschätzung<br />
als Grundlage für weitere Entscheidungen. Das Ergebnis<br />
der Sozialen Diagnose soll einen klaren Aufschluss<br />
darüber geben, ob eine Gefährdung vorliegt und eine individuelle<br />
Hilfeplanung einzuleiten ist. Der gesamte Prozess<br />
erfolgt unter größtmöglicher Beteiligung der Betroffenen,<br />
um die Voraussetzung für eine gute Kooperation<br />
zu schaffen.<br />
2011 wurden in Oberösterreich 6.112 Gefährdungsmeldungen<br />
abgeklärt. In gut der Hälfte (55,3 %) ergab das<br />
Abklärungsverfahren, dass keine Kindeswohlgefährdung<br />
vorliegt. Häufig (22,6 %) werden die Familien durch Betreuung<br />
und Kontrolle begleitet. In diesen Fällen liegt<br />
zwar akut keine Kindeswohlgefährdung vor, jedoch soll<br />
das Risiko, dass eine Verschlechterung der Situation eintritt,<br />
minimiert werden.<br />
Hat die Soziale Diagnose ergeben, dass eine Kindeswohlgefährdung<br />
vorliegt, besteht für das Kind ein<br />
Rechtsanspruch auf Erziehungshilfe<br />
in Form von Unterstützung der Erziehung (= Betreuung in<br />
der Herkunftsfamilie) oder<br />
in Form von Voller Erziehung, wenn die persönliche und<br />
soziale Entwicklung der Kinder so weit gefährdet ist,<br />
dass ihre Versorgung, Betreuung und Erziehung zu diesem<br />
Zeitpunkt zu Hause nicht möglich ist.<br />
In 19,6 % aller Gefährdungsmeldungen wurde im Jahr<br />
2011 Unterstützung der Erziehung, in 2,5 % Volle Erziehung<br />
als notwendige Maßnahme eingesetzt.<br />
Abklärungsverfahren nach Ergebnis<br />
keine weitere Befassung<br />
erforderlich<br />
55,3 %<br />
Volle Erziehung<br />
Betreuung, Kontrolle<br />
erforderlich<br />
22,6 %<br />
Unterstützung der Erziehung<br />
19,6 %<br />
Soziale Diagnose ist Grundlage und Aufgabe Sozialer<br />
Arbeit. Sozialarbeit geschieht im Wesentlichen dadurch,<br />
dass Helfer/-innen in eine bewusst gesteuerte Beziehung<br />
zum Hilfe suchenden Menschen treten. Diese Beziehung<br />
entsteht auch im Rahmen Sozialer Diagnostik.<br />
Diagnose wird im Alltag meist spontan mit dem Fachgebiet<br />
Medizin in Verbindung gebracht. Zur Sozialen Arbeit<br />
gibt es einen wesentlichen Unterschied. In der Medizin<br />
geht es um eine Erkenntnis unmittelbar am Menschen<br />
(z.B. Grippaler Infekt, Blinddarmentzündung). Die Soziale<br />
Diagnose beschäftigt sich dagegen mit Alltagsbewältigung<br />
von Menschen, besonders mit seinen Möglichkeiten,<br />
Unterstützung aus seinem Umfeld zu bekommen,<br />
und damit, wie dieses Umfeld gestaltet ist.<br />
Beim ersten Gespräch erklärt der/die Sozialarbeiter/-in<br />
den Anlass für die Kontaktaufnahme. In der <strong>Jugendwohlfahrt</strong><br />
ist dies häufig eine Meldung über eine mögliche<br />
Kindeswohlgefährdung oder das Ersuchen eines<br />
Pflegschaftsgerichtes um eine Stellungnahme in einem<br />
anhängigen Verfahren. Im Gespräch wird auch versucht,<br />
das Vertrauen der betroffenen Person zu gewinnen. Ehrlichkeit,<br />
Aufrichtigkeit, Offenheit und Freundlichkeit sind<br />
wichtige Voraussetzungen.<br />
Zunächst gilt es, viel über den Menschen, seine Lebensgeschichte,<br />
Haltungen und Lebensbedingungen<br />
zu erfahren (= Anamnese; „Vorgeschichte“). Soweit dies<br />
nicht schon beim ersten Kontakt geschehen ist, ist es<br />
immer wieder sinnvoll, Menschen dort aufzusuchen, wo<br />
ihr Alltag zu bewältigen ist (Hausbesuch). So kann der<br />
unmittelbarste Eindruck von ihrer alltäglichen Lebenswelt<br />
gewonnen werden.<br />
Bis zu diesem Zeitpunkt beachtet und dokumentiert der/<br />
die Sozialarbeiter/-in nur das offen Sichtbare, Hörbare.<br />
Mit Zustimmung der Betroffenen (bei entsprechenden<br />
rechtlichen Grundlagen in Einzelfällen auch ohne diese)<br />
werden auch Informationen an anderer Stelle (Schule,<br />
Kindergarten, Arzt, Psychologie, Sicherheitsbehörden,<br />
etc.) eingeholt.<br />
Das so Zusammengetragene wird dann geordnet und<br />
bewertet. So weit als möglich wird auf dieser Basis eine<br />
Einschätzung über die Bedingungen, unter denen der<br />
Alltag bewältigt wird (oder auch nicht), vorgenommen:<br />
die Fähigkeiten und Möglichkeiten der Hilfesuchenden,<br />
Einkommen, Wohnung, Sozialversicherung, Beziehungen<br />
und etliches mehr. Die Einschätzung wird in der Regel<br />
mit einem/r Kollegen/-in vorgenommen.<br />
Ergibt die Einschätzung einen Hilfe- oder Interventionsbedarf,<br />
wird ein Hilfeplan erstellt. Soweit möglich sollen<br />
die Hilfesuchenden auch in diesen Vorgang eingebunden<br />
werden.<br />
Im Kontext der <strong>Jugendwohlfahrt</strong> ist das Ziel der Sozialen<br />
Diagnose, Art und Umfang einer möglichen Kindeswohlgefährdung<br />
einzuschätzen. Kindeswohlgefährdung bedeutet,<br />
dass Eltern ihre pflegerische oder erzieherische<br />
Aufgabe nicht ausreichend wahrnehmen. Aufgabe der<br />
<strong>Jugendwohlfahrt</strong> ist es daher, die Eltern in ihrer Erziehungskompetenz<br />
zu unterstützen und den Kindern den<br />
notwendigen Schutz zu gewährleisten.<br />
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2,5 %<br />
Handbuch „Soziale Diagnose“