PDF-Datei - Karl-May-Gesellschaft
PDF-Datei - Karl-May-Gesellschaft
PDF-Datei - Karl-May-Gesellschaft
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
„Der Löwe holt sein Opfer auch hinter dem Kamele vor. Ich gehe, und dieser vortreffliche Fakir el Fukara<br />
wird mich auch begleiten.“<br />
„Ist es dein Ernst, Effendi?“ fragte der Fakir.<br />
„Du wolltest ja mit mir zum Löwen gehen! Oder sollte ich, was du so stolz bezweifeltest, wirklich doch mehr<br />
Mut und Geschicklichkeit besitzen als du? Prahlen kann jeder Feigling; aber ein Fakir el Fukara sollte doch -<br />
-“<br />
[62] „Schweig!“ unterbrach er mich. „Ich gehe mit.“<br />
„So komm! Und du, Ben Fessarah?“<br />
„Ich bleibe,“ antwortete der Führer.<br />
„Das wußte ich. Mit dem großen Maule bist du tapfer; aber ich werde deine Visionsflinte gewinnen.“<br />
„O Allah! O Muhammed! O Abu Bekr und Osman! Meine schöne, berühmte Visionsflinte,“ jammerte er.<br />
„Wenn du zurückbleibst, ist sie verloren!“<br />
„So - so - - so gehe ich mit, Effendi, immer hinter dir her. Geh nur voran; ich komme, ich komme!“<br />
Er zitterte am ganzen Leibe, kam aber doch hinterdrein, doch ganz genau hinter mir, damit der Löwe nicht<br />
ihn, sondern mich erwischen möge. Er dauerte mich, und ich hätte ihn gern zurückgewiesen; aber er hatte<br />
eine Strafe verdient; außerdem war ich überzeugt, daß er schon nach wenigen Schritten abhanden kommen<br />
werde.<br />
„Mehr Holz in die Feuer, damit die Flammen hoch steigen!“ gebot ich noch; dann hatte ich den Kreis der<br />
Menschen und Kamele hinter mir.<br />
Von den Asakern und den Gefangenen war kein Laut zu hören. Die Angst machte sie verstummen. Sie<br />
drängten sich, um Schutz zu suchen, jeder eng hinter den Leib eines Kameles. Innerlich war ich wohl der<br />
ruhigste von allen. Wenn der Augenblick der Gefahr da ist, hat jede vorher etwa vorhandene Bangigkeit<br />
aufzuhören, sonst ist man verloren. Der Fakir el Fukara hatte wohl nicht geglaubt, daß seine Großsprecherei<br />
solche Folgen haben werde; er war überzeugt gewesen, es nur mit einer Hyäne zu thun zu haben. Nun trieb<br />
ihn die Angst, für einen Feigling gehalten zu werden, hinter mir drein. Der Fessarahführer hatte ihm Platz<br />
gemacht und bildete nun den letzten. Er sah, als wir die Lichtung vielleicht [63] halb überschritten hatten, am<br />
Rande derselben eine Bewegung im Gebüsch, duckte sich entsetzt hinter einem einzelnen Busch, an<br />
welchem wir vorüber kamen, nieder und schrie:<br />
„Dort ist er, dort! O Allah, o Gnädiger, o Barmherziger! Ich bleibe mutig hier. Lauft fort, um euch zu retten!“<br />
Ja, wir sollten weiter gehen, um vom Löwen gesehen und angesprungen zu werden, während er „mutig“<br />
hinter dem Strauche versteckt lag!<br />
Auch ich hatte die Bewegung, durch welche er so in Schreck versetzt worden war, bemerkt, doch konnte<br />
sie unmöglich von dem Löwen verursacht worden sein; darum rief ich dem Feiglinge zu:<br />
„Komm nur weiter mit, sonst ist deine Flinte verloren! Du mußt doch thun, was ich thue!“<br />
„Nein, nein; ich bleibe hier und schieße ihn über den Haufen. Lauft nur, lauft! Und schreit recht laut, damit<br />
er Angst vor euch bekommt!“<br />
Er forderte uns jedenfalls nur aus dem Grunde zum Schreien auf, daß wir die Aufmerksamkeit des Löwen<br />
auf uns ziehen sollten. Dieser aber konnte noch nicht da sein. Als er zum erstenmal brüllte, war er gewiß<br />
zwei englische Meilen entfernt gewesen. Darum hatte ich mir zu meinen ironischen Aufforderungen an die<br />
beiden Begleiter Zeit genommen. Jetzt mochte das Tier vielleicht drei Viertel dieser Entfernung zurückgelegt<br />
haben.<br />
Da das Gebrüll aus Westen erklungen war, hatte ich mich natürlich nach dem dorthin liegenden Rand der<br />
Lichtung gewendet und blieb da stehen, um mir eine gute Position auszusuchen. Es war vorauszusehen,<br />
daß der anschleichende Löwe, um kein Geräusch zu machen, das Unterholz meiden werde. Da es nun hier<br />
auf dieser [64] Seite nur eine von Büschen freie Stelle gab, so war vorauszusehen, daß er aus derselben<br />
hervorbrechen werde. Ich hatte mich also in die Nähe derselben zu postieren.<br />
Es gab da zwei sehr starke Thalhabäume 1 ) [ 1 ) Acacia gummifera.], deren Stämme dicht nebeneinander<br />
standen; ein üppiges Sunutgesträuch hielt den Schein der Feuer ab und warf einen tiefen Schatten auf die<br />
Stelle.<br />
„Hier legen wir uns nieder,“ sagte ich. „Das ist der beste Platz.“<br />
„Warum hier?“ fragte der Fakir, indem er sich zu mir niederkauerte.<br />
„Weil der Löwe da, ungefähr zehn Schritte von uns, durchbrechen wird.“<br />
„Allah kerihm! Warum so nahe! Wir müssen mehr zurück! Vielleicht auf fünfzig oder sechzig Schritte.“<br />
„Nein. Je näher, desto besser und sicherer ist der Schuß.“<br />
„Effendi, du hast den Verstand verloren.“<br />
„Nein, aber ich habe mehr Mut als du. Ich höre deine Zähne klappern.“<br />
„Kann ich dafür? Mein Kinn ist plötzlich ganz locker geworden.“<br />
„Zittert auch deine Hand?“<br />
„Ja; es geht eine große Kälte durch meine Arme.“<br />
„So schieß ja nicht, wenn er kommt, sondern überlaß ihn mir! Du würdest schlecht oder gar nicht treffen<br />
und dadurch die Gefahr für uns verzehnfachen.“<br />
GR 17 / Im Lande des Mahdi 2 – Seite 20