PDF-Datei - Karl-May-Gesellschaft
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„Nein,“ antwortete ich. „Bald wird er das Wundfieber bekommen, und wenn er dann zu schwatzen beginnt,<br />
stört er uns im Schlafe. Tragt ihn da hinüber nach den beiden Kafalah-Bäumen 1 ) [ 1 ) Boswellia papyrifera.], setzt<br />
ihn an dem einen nieder, und bindet ihn so mit dem Rücken an demselben fest, daß er auch den Kopf nicht<br />
bewegen kann! Indessen mag Abd Asl einen andern Mann bestimmen, welcher mit dir kämpfen kann.“<br />
Dieser Befehl kam meinen Leuten wohl sonderbar vor, doch führten sie ihn aus, ohne eine<br />
Gegenbemerkung zu machen. Sie wußten, daß ich bei allem, was ich that, selbst wenn es scheinbar<br />
unerklärlich war, doch einen bestimmten Zweck verfolgte. Und weil ich einen solchen auch jetzt hatte, war<br />
meine Kugel nur in das Bein des Flüchtlings gerichtet gewesen.<br />
Die Flucht dieses Mannes war mir sehr begreiflich. Er hatte Ibn Asl, den Sklavenräuber, den Sohn des<br />
Alten, aufsuchen sollen, um ihn zu benachrichtigen, daß der Angriff gegen uns verunglückt sei und er<br />
infolgedessen kommen und die Gefangenen befreien sollte. Der Alte war ergrimmt über das Nichtgelingen<br />
dieses Planes; das sah ich seinen Augen an. Er wählte einen andern Mann zum Kampfe aus, und dieser<br />
schien allerdings mehr zu fürchten zu sein als der Dschelabi, welcher vorhin nur [89] erwählt worden war,<br />
weil er höchst wahrscheinlich ein guter Läufer war.<br />
Der jetzige Gegner Ben Nils hatte fast die tiefdunkle Farbe eines Negers; seine Brust war breit und sein<br />
Knochenbau sehr kräftig. Trotzdem zeigte sich Ben Nil nicht im geringsten beunruhigt. Sie standen ungefähr<br />
fünf Schritte voneinander, ganz still und bewegungslos. Keiner ließ den Blick von dem Auge des andern. Da<br />
plötzlich that der Schwarze einen weiten, tigerartigen Sprung auf Ben Nil zu und holte zum Stoße aus. Er<br />
hatte ihn überraschen, vollständig überrumpeln wollen. Der Jüngling aber wich blitzschnell zur Seite, that<br />
einen kurzen Quersprung, kam dadurch, ehe dieser sich umdrehen konnte, hinter den Schwarzen und stieß<br />
ihm das Messer bis an das Heft in den Rücken. Der Getroffene stürzte da, wo er stand, nieder. Die Klinge<br />
war ihm, wie sich nachher zeigte, von hinten in das Herz getroffen.<br />
„Afarihm, maschallah aldïk - bravo, bravo!“ schrieen die Asaker vor Freude laut. „Das war herrlich, das war<br />
prächtig!. Gleich der erste Stoß hat ihn gefällt. Wer konnte das dir, Ben Nil, du Sohn der Tapferkeit,<br />
zutrauen!“<br />
Dieser wendete sich sehr ruhig an mich:<br />
„Effendi, siehst du nun, daß du keine Angst um mich zu haben brauchtest? Ich hätte diesen Mann erlegt<br />
und wenn er doppelt größer und stärker gewesen wäre. Mein Auge ist scharf, meine Hand ist sicher, und<br />
mein Herz kennt keine Unruhe, welche den Blick verdunkelt. Gehört mir nun Abd Asl auch?“<br />
„Ja,“ antwortete ich, sehr wißbegierig, was er nun machen werde.<br />
Im Falle, daß er ihn wirklich erstechen wollte, mußte [90] ich um Aufschub bitten. Er beugte sich zu dem<br />
Schwarzen nieder und zog ihm das Messer aus dem Rücken. Die blutige Klinge betrachtend, schüttelte er<br />
leise den Kopf und sagte dann:<br />
„Du hast recht, Effendi, es ist etwas sehr Verantwortliches, einen Menschen zu töten. Dieses Blut ist mir<br />
widerwärtig. Glaubst du, daß der Reïs Effendina den Alten, dessen Leben mir gehört, auch streng bestrafen<br />
würde?“<br />
„Auf das allerstrengste natürlich!“<br />
„So möchte ich ihm das Leben schenken. Dieser Schwarze hat für den Alten gekämpft und ist für ihn<br />
gestorben; darum will ich mich mit dem, was geschehen ist, begnügen. Bist du einverstanden?“<br />
„Ganz und gar! Ich freue mich sehr, solche Worte von dir zu hören. Dein Entschluß macht dir mehr Ehre,<br />
als du von dem Tode Abd Asls haben würdest.“<br />
„Aber ich verlange, daß er später auf das strengste bestraft wird!“<br />
„Ich werde dafür sorgen, daß dies geschieht. Und damit er jetzt nicht wieder irgend einen Fluchtversuch<br />
veranlassen kann, schafft ihn hinüber zu dem Dschelabi, und bindet ihn an den zweiten Kafalah-Baum!“<br />
Der Alte wurde von einigen Asakern fortgeschafft. Ben Nil aber fragte verwundert:<br />
„Warum läßt du diese beiden Kerls dorthin bringen? Hier hätten wir sie doch sicherer.“<br />
„Das ist wahr. Wir werden sie auch wieder holen; aber vorher will ich erfahren, was man gegen den Reïs<br />
Effendina vor hat.“<br />
„Das weißt du doch!“<br />
„Nein, denn das mit dem Gifte und dem Bäcker war eine Lüge. Gehe jetzt hin, und setze dich als Wächter<br />
[91] zu ihnen. Ich werde mich hinter sie schleichen, und wenn ich dann in ihrem Rücken liege, entfernst du<br />
dich hierher. Dann glauben sie, allein zu sein, und werden miteinander sprechen.“<br />
Er ging und setzte sich bei den beiden nieder. Die Kafalah-Bäume standen seitwärts von unserm Lager<br />
eng nebeneinander, und die zwei Gefangenen waren in der Weise, daß sie nach uns blickten, an die<br />
Stämme gebunden. Sie konnten jeden, der aufstand, deutlich sehen, nicht aber, wenn wir saßen,<br />
entscheiden, ob einer von uns fehlte oder nicht. Darauf baute ich meinen Plan.<br />
Mehrere Asaker mußten um die Leiche des Schwarzen eine dichte Gruppe bilden und so thun, als ob sie<br />
sich über denselben unterhielten. Diese Gruppe bot mir Deckung zu meiner unbemerkten Entfernung. Als<br />
sich die Leute aufgestellt hatten, ging ich fort. Die beiden Gefangenen saßen rechts unter den Bäumen; ich<br />
entfernte mich nach links, und gerade in der Mitte standen die Asaker, so daß die ersteren mich unmöglich<br />
sehen konnten. Erst als ich den Wald erreicht hatte, setzten sich die Soldaten nieder, um bei meiner<br />
Rückkehr dasselbe Experiment zu wiederholen.“<br />
GR 17 / Im Lande des Mahdi 2 – Seite 28