PDF-Datei - Karl-May-Gesellschaft
PDF-Datei - Karl-May-Gesellschaft
PDF-Datei - Karl-May-Gesellschaft
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Ich kam nicht weiter, denn er drehte sich plötzlich um und sprang davon, dem Rande der Lichtung zu. Ich<br />
war schnell hinter ihm her, ereilte ihn und faßte ihn am linken Arme. Er hatte die Flinte in der rechten Hand<br />
und holte aus, um mir den Kolben vor die Brust zu stoßen. Da riß ich ihn zur Erde nieder und kniete auf ihm,<br />
um ihn festzuhalten. Der Mann schäumte förmlich vor Wut und erging sich in Schimpfreden, welche eines<br />
zukünftigen Mahdi allerdings nicht würdig waren. Ich hatte überhaupt seine ganze Rede von der „Sendung“<br />
nicht für wirklichen Ernst genommen.<br />
Die Asaker waren nicht wenig darüber erstaunt, daß ich so plötzlich den Fakir el Fukara als Feind<br />
behandelte; als ich sie aber über seine Absicht, uns an Ibn Asl zu verraten, aufklärte, hätten sie ihn, den<br />
Undankbaren, am liebsten umbringen mögen.<br />
[115] Unser Reiseziel mußte durch das, was ich erfahren hatte, ein ganz anderes werden. Es galt jetzt,<br />
dem Reïs Effendina beizustehen; er mußte, falls es noch Zeit dazu war, gewarnt, und wenn es zu spät war,<br />
aus den Händen Ibn Asls gerettet werden. Eile that not, und da der Transport der Gefangenen nicht so<br />
schnell vor sich gehen konnte, beschloß ich, voran zu reiten und zwar sofort, ohne vorher geschlafen zu<br />
haben.<br />
Es war nicht geraten, ganz allein zu sein; aber wen sollte ich mitnehmen? Einen Askari? Nein. Ich ging<br />
Verhältnissen entgegen, welche sehr wahrscheinlich keine gewöhnlichen waren. Es war List, wohl auch<br />
Entschlossenheit und Mut erforderlich, und so bedurfte ich eines Begleiters, auf den ich mich in dieser<br />
Beziehung verlassen konnte. Zwar hätte ich gern Ben Nil das Kommando über die Asaker gegeben; ihm<br />
traute ich es zu, den Zug glücklich ans Ziel zu bringen, aber mir war er noch notwendiger. Besser, die<br />
Gefangenen entkamen, als daß dem Reïs Effendina ein Unglück geschah. Darum forderte ich Ben Nil auf,<br />
mit mir zu reiten, und übergab dem ältesten der Asaker den Befehl über dieselben. Er hatte einen<br />
erfahrenen Gehilfen an dem Fessarah-Führer, welcher die Karawane nach dem Dorfe Hegasi, welches in<br />
der Nähe der Insel Hassanieh liegt, bringen sollte. Dort wollte ich sie erwarten. Ich gab ihm seine berühmte<br />
Visionsflinte zurück, worüber er in außerordentliche Freude geriet.<br />
„Effendi", jubelte er, „deine Seele quillt vor Gnade über und deine Barmherzigkeit erquickt mein Herz.<br />
Verlaß dich auf mich, und habe keine Sorge; ich werde die Asaker samt den Gefangenen glücklich nach<br />
Hegasi führen. Reite also getrost, und Allah segne deine Pfade und beschütze dich!“- - -<br />
[116]<br />
Zweites Kapitel.<br />
Gefangen.<br />
Von dem Brunnen, an welchem das letzte Ereignis sich zutrug, bis zur Dschesireh Hassanieh ist eine<br />
Strecke von fast dreißig geographischen Meilen zurückzulegen. Unsere vortrefflichen Kamele legten diesen<br />
Weg in zwei Tagen zurück, waren aber dann, als wir uns dem Ziele näherten, so ermüdet, daß wir sie<br />
langsam gehen lassen mußten. Ich glaubte, die Richtung ganz genau genommen zu haben, war aber doch<br />
etwas zu weit nach links geraten, denn es stieg gerade vor uns der Dschebel Arasch Quol auf, welcher<br />
ziemlich weit nördlich von Hegasi liegt.<br />
Es war gegen Abend, als wir dort ankamen. Hegasi ist eine armselige Helle 1 ) [ 1 ) Dorf.], welche aus wenigen<br />
Hütten besteht, und liegt auf dem hohen Ufer des Nils, ziemlich gut gegen die Ueberschwemmungen des<br />
Flusses geschützt. Von der Helle führt ein Weg hinab zum Flusse nach der Stelle, an welcher die Fahrzeuge<br />
landen und die Tiere getränkt werden. Dieser Weg sowohl wie auch die Tränk- oder Landestelle wird am<br />
oberen Nile Mischrah genannt.<br />
Ich freute mich beim Anblicke des Flusses, den ich seit dem Zuge zu den Fessarah nicht wieder gesehen<br />
hatte. Die Bewohner des Dorfes kamen herbei, um uns nach dem Woher und Wohin und nach unserm<br />
Begehr zu fragen. [117] Ich hütete mich natürlich, ihnen sofort Auskunft zu erteilen, und ging ihren<br />
Erkundigungen durch Gegenfragen aus dem Wege.<br />
Zunächst führten wir unsere Kamele zum Flusse, um sie trinken zu lassen; dann brachten wir sie hinauf<br />
nach einer grasigen Stelle, deren Eigentümer uns gegen geringes Entgelt die Erlaubnis gab, sie da weiden<br />
zu lassen.<br />
Auf der Höhe der Mischrah saß ein Mann, welcher nicht in das Dorf zu gehören schien. Er war vollständig<br />
bewaffnet und besser gekleidet als die Bewohner der Helle. Als ich mich bei einem der letzteren nach ihm<br />
erkundigte, antwortete er*<br />
„Wir kennen ihn nicht. Er ist schon seit gestern hier und sitzt stets auf derselben Stelle, um flußabwärts zu<br />
blicken.“<br />
„Erwartet er vielleicht ein Schiff?“<br />
„Wahrscheinlich; aber er hat uns nicht geantwortet, als wir ihn danach fragten. Vor dem Dorfe hält ein<br />
gesatteltes Pferd, welches er sich von unserm Scheik el Beled 1 ) [ 1 ) Dorfschulze.] geliehen hat.“<br />
„Wann hat er es geritten?“<br />
„Noch gar nicht; aber es steht bereit, so lange er sich hier befindet.“<br />
„Wohin will er reiten?“<br />
„Das wissen wir nicht; dem Scheik el Beled wird er es wohl gesagt haben, da dieser ihm sonst sein Pferd<br />
nicht gegeben hätte.“<br />
GR 17 / Im Lande des Mahdi 2 – Seite 36