PDF-Datei - Karl-May-Gesellschaft
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„Gern,“ antwortete ich, sehr neugierig darauf, was [95] er vorbringen werde, um mich zu übertölpeln. Er<br />
fing die Sache sehr fromm und scheinbar in sein Schicksal ergeben an, was meinen Widerwillen gegen ihn<br />
nur verstärken konnte. Er machte ein höchst betrübtes Gesicht und fuhr im weichsten Tone, dessen seine<br />
Stimme fähig war, fort:<br />
„Ja, eine große, schwere Sünde lastet auf meinem Gewissen. Ich möchte sie gern abwerfen und bin doch<br />
überzeugt, daß der Reïs Effendina mir die Gelegenheit dazu nicht geben wird. Darum wende ich mich an<br />
dich. Es ist ein Glück, daß der Fakir el Fukara gerade jetzt anwesend ist, denn nur er allein kennt die<br />
Verhältnisse so genau, wie es nötig ist, und darum ist er es allein, an den ich mich wenden kann. Würdest<br />
du mir erlauben, jetzt einmal mit ihm zu sprechen?“<br />
„Hm!“ machte ich mit bedenklichem Gesichte. „Du verlangst da etwas, was ich eigentlich nicht gestatten<br />
darf.“<br />
„Es sind ja nur wenige Worte!“<br />
„Ob viel oder wenig, das bleibt sich gleich. Du weißt selbst, wie gering mein Vertrauen zu dir sein kann.“<br />
„Du kannst ja dabeistehen und alles hören!“<br />
„Das beruhigt mich nicht. Wie nun, wenn du mich täuschen und dem Fakir el Fukara gewisse Winke geben<br />
willst, welche darauf hinzielen, daß er dich befreien soll?“<br />
„Das ist doch ganz unmöglich, wenn du dabei bist!“<br />
„O, es ist sehr leicht möglich. Du brauchst ja nur die Worte so zu setzen, daß ich sie nicht verstehe, er<br />
aber den Sinn derselben doch begreift.“<br />
„Ein solcher Wortkünstler bin ich nicht, Effendi. Laß dich erweichen! Du bist ein Christ!“<br />
[96] „Ja, jetzt berufst du dich auf meinen Glauben, früher aber hast du ihn verspottet. Ein Moslem würde<br />
sich freilich nicht erweichen lassen.“<br />
„Aber du! Ich werde so langsam und deutlich sprechen, daß du jedes einzelne Wort wie auf einer Wage<br />
wiegen und abmessen kannst. Denke doch, daß es wie ein Testament ist, daß ich wie ein Sterbender bin,<br />
dem der sichere Tod die Arme entgegenstreckt! Was ich von dir erbitte, ist etwas so Einfaches und Leichtes.<br />
Du bist streng und unerschrocken, aber grausam nicht. Willst du es zum erstenmale sein? In Beziehung auf<br />
List, Klugheit und Umsicht kommt dir niemand gleich. Meinst du, daß du dich gerade heute und jetzt auf<br />
diese Vorzüge nicht verlassen kannst? Hätte ich Hintergedanken, so würdest du sie viel eher merken als der<br />
Fakir el Fukara, dem du an Scharfsinn ja weit überlegen bist.“<br />
Er schmeichelte mir, um meine scheinbaren Bedenken zu besiegen. Ich erwies ihm nicht den Gefallen, so<br />
zu thun, als ob dieses Lob Eindruck auf mich mache, sondern antwortete:<br />
„Was du da redest, ist überflüssig, denn ich kenne mich und meine Eigenschaften selbst am allerbesten.<br />
Es würde allerdings weder dir noch dem Fakir el Fukara gelingen, mich zu betrügen; dazu seid ihr beide viel<br />
zu dumm. Ich will dir also deinen Wunsch, der für mich ein vollständig ungefährlicher ist, erfüllen.“<br />
„Ich danke dir!“ meinte er ruhig und bescheiden, obgleich ich ihn dumm genannt hatte. „Du hast recht; es<br />
ist für euch gar keine Gefahr dabei, denn du wirst alles hören.“<br />
„Ich werde nichts hören. Ich werde die gewünschte Unterredung nicht durch meine Gegenwart entweihen.“<br />
„So darf ich ohne Zeugen und ohne Aufsicht mit [97] ihm sprechen?“ fragte er, indem er seine Freude<br />
nicht vollständig zu verbergen vermochte.<br />
„Ja, wenigstens wird keiner von uns euch stören. Ob dieser sogenannte Dschelabi hier mit zuhören darf,<br />
das ist deine Sache. Ich werde dir jetzt den Fakir el Fukara senden und gebe dir volle zehn Minuten Zeit, mit<br />
ihm zu sprechen. Du siehst, wie rücksichtsvoll ich bin. Mißbrauche dies nicht, denn es würde dir schlecht<br />
bekommen. Ich würde ganz sicher bemerken, daß du mich hintergehen willst.“<br />
„Sorge dich nicht, Effendi! Ich meine es ehrlich, und deine Güte rührt mich so, daß ich, wenn ich wirklich<br />
eine Heimtücke geplant hätte, jetzt von derselben absehen würde.“<br />
„Gut, wenn es wirklich so ist. Hast du einmal von dem frommen und berühmten Marabut gehört, welchem<br />
ein Geist die Zungen von zwölf sprechenden Raben und die Ohren von zwölf jungen Adlern brachte?“<br />
„Ja. Er mußte sie essen und redete dann die Sprachen aller Menschen und Tiere und hörte bis in die<br />
weiteste Entfernung alles, was seine Feinde gegen ihn berieten.“<br />
„Nun wohl; ich sage dir, daß auch ich solche Zungen und Ohren gegessen habe. Nimm dich also in acht;<br />
ich höre alles!“<br />
Ich ging und bekam dabei den Beweis, daß ich gar keine bezauberten Adlerohren zu essen brauchte,<br />
denn die meinigen waren scharf genug, noch zu verstehen, daß der Alte seinem Genossen schadenfroh<br />
zuraunte:<br />
„Welch ein Glück; es wird gehen!“<br />
Der Fakir el Fukara war nicht wenig verwundert, als ich ihm sagte, daß der Alte mit ihm reden wolle und<br />
ganz ohne Beaufsichtigung mit ihm sprechen dürfe. Er [98] ging hinüber und setzte sich bei den beiden<br />
nieder. Auch die Asaker konnten sich mein Verhalten nicht erklären, und Ben Nil machte mir Vorstellungen.<br />
Ich wies dieselben mit dem Bemerken zurück, daß ich sehr wohl wisse, was ich thue.<br />
Nach Verlauf der zehn Minuten sah ich, daß der Fakir el Fukara aufstand, um an seinen Platz<br />
zurückzukehren. Er hatte von seiner Dankbarkeit gesprochen, und nun konnte ich mich überzeugen, ob er<br />
es mit derselben aufrichtig meine. Wenn er es mir vergelten wollte, daß ich ihm das Leben gerettet hatte, so<br />
mußte er mich über den Anschlag des Alten unterrichten. Doch hütete ich mich, ihm schon jetzt eine<br />
GR 17 / Im Lande des Mahdi 2 – Seite 30