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PDF-Datei - Karl-May-Gesellschaft

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„Setze dich für einige Augenblicke zu mir, Effendi! Ich möchte über eine Angelegenheit, welche mir sehr<br />

wichtig ist, mit dir sprechen.“<br />

Ich nahm in der Erwartung neben ihm Platz, daß er mir sein Gespräch mit dem Alten mitteilen werde, aber<br />

schon der Anfang zeigte, daß ich mich geirrt hatte, denn er begann:<br />

„Du bist ein Christ. Kennst du euer Kitab el mukaddas 1 ) [ 1 ) Heilige Buch = Bibel.] genau?“<br />

„Ja. Ich habe es mit besonderem Fleiße studiert.“<br />

„Und kennst du auch die Erklärungen, welche eure Schriftgelehrten dazu gegeben haben?“<br />

„Ja.“<br />

„So sage mir, ob ihr Muhammed für einen Propheten haltet!“<br />

„Nach unserer Ueberzeugung ist er kein Prophet, sondern nur ein gewöhnlicher Mensch.“<br />

[102] „So giebt es bei euch wohl gar keine Propheten?“<br />

„O doch! Wir verstehen unter den Propheten diejenigen vom heiligen Geiste erleuchteten Männer, welche<br />

Gott zu seinem Volke sandte, um dasselbe über die ewigen Wahrheiten zu belehren und es auf den Weg<br />

des Heils zu leiten.“<br />

„Das hat Muhammed doch auch gethan!“<br />

„Nein. Der Weg, auf welchen er seine Anhänger wies, ist ein Irrweg.“<br />

„So haltet ihr seine Lehre für durchaus falsch?“<br />

„Ich möchte diese Frage freilich nicht mit einem kurzen Ja beantworten. Er hat Richtiges und Falsches<br />

zusammengeworfen. Da, wo er lebte, gab es Juden und Christen. Von diesen lernte er den Inhalt unserer<br />

Bibel kennen und konstruierte sich aus derselben und aus allerlei heidnischen Anschauungen, welche er<br />

vorfand, die Lehre, welche ihr Islam nennt. Was davon aus unserer heiligen Schrift stammt, ist richtig, das<br />

übrige aber falsch. Da nun selbst die reinste Wahrheit, wenn sie mit der Lüge verquickt wird, nicht mehr<br />

Wahrheit ist, so muß der Kuran trotz vieler Stellen, mit denen wir einverstanden sind, verworfen werden.“<br />

„Effendi, ihr begeht den großen Fehler, den Kuran zu verurteilen, ohne ihn zu kennen.“<br />

„Das ist nicht wahr. Ich kann diese deine Behauptung mit vollem Rechte umdrehen. Giebt es eine einzige<br />

muhammedanische Medresse 1 ) [ 1 ) Universität.], an welcher die Schüler unsere Bibel kennen lernen?“<br />

„Nein, denn es ist Lehrern und Schülern verboten, sich mit den Lehren Andersgläubiger zu beschäftigen.<br />

Sie würden eine große Sünde begehen, wenn sie dies thäten.“<br />

[103] „An unsern Medressen aber giebt es sehr gelehrte und sehr berühmte Männer, welche mit ihren<br />

Schülern den Kuran studieren und denselben wenigstens, ich sage wenigstens, ebenso genau kennen wie<br />

eure Professoren. Ihr könnt die Bibel gar nicht kennen und nennt uns dennoch Giaurs; wir aber kennen den<br />

Kuran und sind also sehr wohl im stande, über den Islam ein Urteil zu fällen.“<br />

„Bist du auch der Schüler eines solchen Lehrers gewesen?“<br />

„Ja, und zwar des berühmtesten. Er hat Abu 'l feda, Beidhawi, Alis hundert Sprüche, Samachschari und<br />

andere eurer Gelehrten übersetzt. ich lernte bei ihm eure Sprache, den Kuran, die Sunna und die von euren<br />

Religionslehrern dazu gegebenen Erläuterungen kennen und bin bereit, dir über den Islam jede gewünschte<br />

Aufklärung zu geben.“<br />

„Wunder über Wunder! Ein Christ will mir, dem gelehrten Fakir el Fukara, Erklärung des Kuran, der Sunna<br />

und aller heiligen Schriften geben! Sollte man so etwas für möglich halten! Du bist nicht nur in Thaten,<br />

sondern auch in Worten verwegen, Effendi!“<br />

„Von einer Verwegenheit kann da gar keine Rede sein. Was ich sage, hat alles Grund und vollständige<br />

Berechtigung. Versuche es!“<br />

„Nein. Ich werde mich hüten, mit einem Christen über den Islam zu disputieren. Du lässest dich doch nicht<br />

bekehren. Es waren nur einige wenige Fragen, welche du mir beantworten solltest. Selbst dem weisesten<br />

der Weisen ist es unmöglich, ein endgültiges Urteil über unsern Glauben zu fällen, denn Muhammed hat das<br />

Werk nur begonnen. Zu Ende führen wird es ein anderer.“<br />

[104] „Wer?“<br />

„Das fragst du? Und doch behauptest du, den Kuran und alle seine Erläuterungen zu kennen! Durch diese<br />

Frage hast du bewiesen, daß du sie noch nicht kennst.“<br />

„Du irrst dich abermals. Ich weiß, daß du den Paraklet, den Ma'dijj meinst, den viele von euch erwarten.“<br />

Dieses Wort darf nicht Mahdi, sondern es muß Ma'dijj geschrieben werden; es kommt von dem arabischen<br />

Verbum hahdaja her, welches „führen“ heißt, und bedeutet: der auf den rechten Weg Geführte, der Helfer,<br />

der Vermittler. Doch werde ich dem einmal gewohnten Gebrauche folgen und Mahdi schreiben.<br />

„Du, weißt das also doch?“ fragte er. „Hast du gehört, daß ein Mahdi kommen wird?“<br />

„Gehört und auch gelesen. Der Kuran erwähnt nichts von ihm, und auch den Kommentaren ist die<br />

Sendung eines Mahdi unbekannt; er lebt nur in der mündlichen Ueberlieferung, auf die ich nichts gebe.“<br />

„Ich desto mehr. Allah wird einen Propheten senden, welcher das von Muhammed begonnene Werk zu<br />

vollenden hat. Dieser Prophet wird die Ungläubigen entweder bekehren oder, wenn sie sich nicht bekehren<br />

lassen, sie vernichten und dann die Güter dieser Erde so verteilen, daß ein jeder nach seiner Frömmigkeit<br />

erhält, was ihm gebührt.“<br />

„Das sind mehr weltliche als religiöse Hoffnungen und Wünsche. Wäre ich Moslem, ich würde mich nur an<br />

den Kuran halten, nach dessen Lehren ein solcher Mahdi nicht erwartet werden kann.“<br />

GR 17 / Im Lande des Mahdi 2 – Seite 32

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