PDF-Datei - Karl-May-Gesellschaft
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„Es war natürlich nur ein Scherz,“ antwortete ich, sehr erfreut über die Art und Weise, in welcher ich zur<br />
[159] Hälfte falsch und zur andern gar nicht verstanden worden war.<br />
„Du wirst sehr bald erfahren, daß es kein Scherz, sondern Ernst ist! Und dann habt ihr von Flucht<br />
gesprochen? Warum wollt ihr fliehen, wenn ihr ein gutes Gewissen habt?“<br />
„Wir haben von Flucht vor dem Feuer gesprochen, falls dieses dein eigenes Schiff ergreifen sollte. Sind wir<br />
gestern abend geflohen? Habe ich dir nicht vielmehr bewiesen, daß ich bei dir bleiben will, daß mir gar<br />
nichts daran liegt, von hier fortzukommen?“<br />
„Du scheinst ein Meister der Ausrede zu sein! Was aber wirst du mir denn antworten, wenn ich dich frage:<br />
Warum soll dein Gewehr losgehen, wenn der Reïs Effendina erscheint?“<br />
„Soll? Es soll eben nicht! Und mein Gewehr, das meinige? Ich habe von allen Gewehren, von den<br />
Gewehren im allgemeinen gesprochen. Ich befürchtete eine Unvorsichtigkeit, eine Hastigkeit, durch welche<br />
der Reïs gewarnt werden könnte. Du postierst deine Leute weit am Ufer hinab, und da sagte ich: Wenn nur<br />
nicht etwa aus Versehen irgend ein Gewehr losgeht. Dieser Mann hat zwar gelauscht, aber unvollständig<br />
oder verkehrt gehört. Ich rate ihm, ein anderes Mal die Ohren besser zu öffnen.“<br />
Ibn Asl ließ seinen Blick prüfend zwischen mir und dem Lauscher hin und her schweifen. Meine edle<br />
Dreistigkeit imponierte ihm. Es war klar, daß er irre wurde und mir Glauben zu schenken begann. Doch<br />
fragte er noch:<br />
„Ihr hattet aber doch Angst um den Reïs Effendina?“<br />
„Da hat dein wackerer Berichterstatter mich wieder [160] falsch verstanden. Nicht um, sondern vor dem<br />
Reïs hatte ich Angst.“<br />
„Wie stimmt das damit, daß du gestern zu mir sagtest, du hättest keine Angst?“<br />
„Da wußte ich noch nicht, was geschehen soll. Jetzt kenne ich aber deine Absichten, und als ich mit<br />
meinem Gehilfen über dieselben sprach, hatte ich Sorge, daß dieselben vereitelt werden könnten. Das habe<br />
ich gemeint.“<br />
„Vereitelt? Wer könnte sie vereiteln?“<br />
„Der Reïs. Er ist in Hegasi an das Land gegangen. Ihr habt ihn hierhergelockt, indem ihr ihn<br />
fälschlicherweise wissen ließet, daß hier ein Sklavenzug über den Nil gehen werde. Er muß also wissen, daß<br />
sich Händler oder gar Jäger hier befinden. Meinst du, daß er nun in aller Gemütlichkeit gefahren kommt wie<br />
einer, der spazieren segelt?“<br />
„Was denn?“<br />
„Ich halte es für sehr möglich, daß er sein Schiff in Hegasi läßt und seine Asaker auf dem Landwege<br />
hierher und euch in den Rücken führt. Während wir die Augen nach dem Flusse richten, schleicht er sich von<br />
der Steppe herbei und fällt über uns her. Darum hatte ich vor ihm Angst, keineswegs aber um ihn.“<br />
„Allah! Das ist richtig, sehr, sehr richtig. Daran habe ich nicht gedacht. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit<br />
auch landeinwärts richten und - -“<br />
Er wurde unterbrochen. Der stromaufwärts stehende Posten kam herbeigerannt und meldete ein Schiff,<br />
welches sich von dorther nähere. Sofort wurde das Boot bemannt und unter der Führung eines der beiden<br />
Offiziere diesem Fahrzeuge entgegengeschickt, um dasselbe zum Anlegen zu veranlassen.<br />
[161] Ich hatte Hoffnung, jetzt wieder losgebunden zu werden. Da fragte er mich:<br />
„Woher weißt du denn, was wir dem Reïs Effendina haben sagen lassen?“<br />
Leider hatte mich der Posten in Hegasi gestern gebeten, ihn nicht zu verraten. Ich war dem Manne für<br />
seine Mitteilungen zu Dank verpflichtet und wollte ihm keinen Schaden bereiten; darum antwortete ich:<br />
„Es wurde gestern am zweiten Feuer erwähnt. Wir saßen am ersten; ich hörte es aber doch.“<br />
Diese Unwahrheit entsprang aus einer ganz guten Absicht, fand aber sofort ihre Bestrafung, denn er<br />
antwortete:<br />
„Das ist eine Lüge, denn an dem Feuer konnte das nicht gesagt werden. Es wissen nur vier Personen um<br />
das, was ich dem Reïs Effendina wissen ließ, nämlich ich, die zwei Offiziere und der Posten von Hegasi. Von<br />
diesen hat es dir keiner gesagt. Von wem kannst du es wissen? Etwa gar von dem Reïs selbst? Ich wollte dir<br />
mein Vertrauen wieder schenken; jetzt aber sehe ich ein, daß deine Ausreden sehr spitzfindig und<br />
zweideutig waren. Ehe ich dich freilasse, werde ich diese Sache genau untersuchen, und wehe dir, wenn ich<br />
nur den geringsten verdächtigen Flecken an dir finde! Jetzt habe ich keine Zeit dazu. - Ihr bleibt unter<br />
Bewachung einstweilen hier liegen.“<br />
Er wendete sich von uns ab, denn seine Aufmerksamkeit wurde oberhalb unserer Ankerstelle, wo jetzt das<br />
betreffende Fahrzeug erschien, in Anspruch genommen. Es wurde von dem entgegengesandten Boote<br />
angesprochen und trat in Unterhandlung mit demselben. Dann sahen wir einen Mann über Bord und hinab in<br />
das Boot [162] steigen, welches mit ihm zurückkehrte; das Schiff aber wurde gegen das Ufer gesteuert, um<br />
dort anzulegen.<br />
Bei mir und Ben Nil stand ein Wächter, der uns scharf im Auge hielt. Mir war gar nicht bange. Ich meinte,<br />
annehmen zu dürfen, daß die von mir vorgebrachten Ausreden doch noch die beabsichtigte Wirkung haben<br />
würden. Beweisen konnte man uns nichts. Gravierend war nur das, was der Lauscher gegen uns<br />
vorgebracht hatte, und diesem war der wirkliche Zusammenhang entgangen; er hatte nur einzelne Punkte<br />
vernommen, aus und mit denen eine Ueberführung nicht zu konstruieren war. Bedenken konnte mir<br />
eigentlich nur der Augenblick erregen, an welchem entdeckt wurde, daß die Fässer leer seien. Da man<br />
GR 17 / Im Lande des Mahdi 2 – Seite 50