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PDF-Datei - Karl-May-Gesellschaft

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„Gut, ich bin bereit, an deiner Stelle die Gefahr von euch abzuwenden, aber nur unter einer Bedingung. Ich<br />

werde ihn umschleichen und nach dir zu heraustreiben. Dann hast du, wenn er sich auf dich wirft, einen<br />

herrlichen Schuß.“<br />

Ich that einige Schritte, als ob ich dieses Vorhaben ausführen wolle. Da schrie er auf:<br />

„Um Allahs willen, thue das nicht; ich mag nichts davon wissen!“<br />

„Aha, du fürchtest dich. Nun, so will ich dir zeigen, wie groß die Gefahr ist, welche es dabei giebt. Das sind<br />

nicht die Hinterpranken eines Löwen, sondern die Füße eines Kameles.“<br />

„Du irrst dich, du irrst dich! Deine Augen sind schlecht. Du hast es ja selbst gesagt, daß du zuweilen einen<br />

Löwen für ein Kamel hältst!“<br />

„Und du ein Kamel für einen Löwen. Du sollst sofort den Beweis dafür haben. Ja, dieses Tier war<br />

bedeutend höher als der Löwe, welchen ich geschossen habe; es war aber kein Löwe, sondern das Kamel<br />

des Fakir el Fukara! Da, schaut her!“<br />

Ich ging hin und schob mit dem Gewehre die Zweige auseinander. Da sahen sie das Kamel liegen; es war<br />

in das rechte Hinterbein geschossen. Nun war es mit der Angst der Asaker plötzlich vorüber. Sie drängten<br />

sich herbei und brachen in ein schallendes Gelächter aus.<br />

„Welch ein Löwe, welch ein grausiges Untier!“ rief einer von ihnen. „Hätte die Kugel des Fessarah ihn nicht<br />

niedergestreckt, so würde dieser Menschenfresser uns alle verschlingen. Ja, der Fessarah hat uns aus einer<br />

entsetzlichen Gefahr befreit; er hat uns allen das Leben [76] gerettet; er ist der berühmteste Löwenjäger im<br />

ganzen Lande. Erhebt eure Stimmen, ihr Männer, um ihn zu preisen! Ruft dreimal Heil, Heil, Heil über ihn!“<br />

„Heil, Heil, Heil!“ lachten und jubelten sie.<br />

Der Gepriesene antwortete nicht und entzog sich den weiteren Huldigungen, indem er davonrannte und<br />

sich in das Gebüsch versteckte. Das Kamel konnte nicht auf, denn der rechte Schenkelknochen war ihm<br />

zerschmettert; es mußte getötet werden. Eben kehrte sein Besitzer, der Fakir el Fukara, aus dem Walde<br />

zurück. Er kam zu mir, gab mir die Hand und sagte, so daß alle es hörten:<br />

„Effendi, verzeihe mir, daß ich dich stehen ließ, ohne dir zu danken! Es war zu schrecklich. Ich hatte zu viel<br />

gewagt. Meine Glieder klapperten, und meine Seele zitterte mir im Leibe. Der Fresser hatte es auf mich<br />

abgesehen, und ohne dich wäre ich von ihm zerrissen worden. Das Entsetzen hatte mir die Sprache<br />

geraubt, so daß ich dir kein Wort sagen konnte. Ich entwich in das Dunkel des Waldes, um im stillen Allah zu<br />

preisen. Nun kann ich wieder reden und sage dir Dank. Du bist mein Freund und Bruder; die Feindschaft, mit<br />

welcher ich dich betrachtete, ist verschwunden, und ich wünsche, dir den Beweis geben zu können, daß<br />

meine Gesinnung gegen dich sich vollständig umgewandelt hat. Willst du mir verzeihen?“<br />

„Gern,“ antwortete ich, indem ich ihm die Hand schüttelte.<br />

„So sage mir, wie ich dir dienen und dir einen großen Gefallen erweisen kann!“<br />

„Dessen bedarf es nicht. Du wußtest es nicht, was es heißt, von dem Herrn mit dem dicken Kopfe<br />

angegriffen zu werden; ich habe es dir gezeigt und bin nun [77] befriedigt. Würdest du es noch einmal<br />

wagen, dich einem Löwen entgegenzustellen?“<br />

„Niemals, nie! Bei seinem Anblicke erstarrt einem das Blut im Leibe, und es ist, als ob einem alles Fleisch<br />

von den Knochen falle.“<br />

„Das ist die Furcht, die Angst. Warum bin denn ich ganz ruhig geblieben? Hätte auch ich mich gefürchtet,<br />

so wäre es sehr schlimm geworden.“<br />

„Ja, Effendi, es ist mir unbegreiflich, wie du es wagen konntest, den Löwen zu veranlassen, sich von mir zu<br />

wenden, um sich auf dich zu werfen und obendrein, nachdem ich mich so feindselig gegen dich verhalten<br />

hatte! Schreibt dir das etwa dein Glaube vor?“<br />

„Nein. Ein guter Christ wird allerdings seinem ärgsten Gegner gern verzeihen, denn Christus, der Sohn<br />

Gottes, hat uns sogar geboten, unsere Feinde zu lieben; aber daß ich, um einem Moslem das Leben zu<br />

retten, mich selbst von dem Löwen zerreißen lassen soll, das gebietet mir mein Glaube nicht. Ich habe hier<br />

weniger als Christ als vielmehr als Mann gehandelt, als ein Schütze, ein Jäger, den selbst der Würger der<br />

Herden nicht aus der Fassung bringen kann. Als unerschrockener Mann habe ich den Löwen erschossen;<br />

als Christ bin ich bereit, mich mit dir zu versöhnen. Das ist es.“<br />

„Es bleibt sich gleich, ob du mich als Mensch oder als Christ errettet hast. Ich habe dir das Leben zu<br />

verdanken und bitte dich, mir zu sagen, wie ich diese große Schuld wenigstens einigermaßen abtragen<br />

kann.“<br />

„Es ist von keiner Schuld die Rede. Ich hätte das Tier auf alle Fälle erlegt; daß ich es von dir ablenken<br />

mußte, um gut zum Schuß zu kommen, das war nur ein Zufall, welcher dich zu nichts verpflichtet. Ich werde<br />

[78] mir das Fell des Löwen nehmen und bin mit diesem Lohne vollständig zufrieden.“<br />

„Das ist mir nur dann begreiflich, wenn ich annehme, daß du nur aus Stolz den Dank eines Mannes,<br />

welcher dich beleidigt hat, verschmähst. Aber auch ich habe mein Ehrgefühl, welches mir verbietet, mich<br />

gänzlich abweisen zu lassen. Ich werde nachdenken und hoffe, eine Gelegenheit zu finden, dir einen Dienst<br />

zu leisten, den du anzunehmen gezwungen bist. Du weißt noch gar nicht, wen du gerettet hast. Später,<br />

wenn du weiteres von mir hörst, wirst du erkennen, daß dir All-Islam und der ganze Orient verbunden ist. Da<br />

liegt mein Kamel. Was ist mit ihm geschehen?“<br />

„Der Fessarah hat es angeschossen, weil er es für einen Löwen hielt.“<br />

„Dieser Dummkopf! Die Angst hat ihn blind gemacht. Ist es schwer verwundet?“<br />

GR 17 / Im Lande des Mahdi 2 – Seite 24

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