Jahresheft 2013 Jahresbericht 2012 - Klinik Sonnenhof
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Die «Tics» ausgetrickst<br />
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chen zu beobachten ist. Die Behaltensleistung von<br />
Lernenden beträgt durchschnittlich 90% von dem,<br />
was sie mitdenkend erarbeitet und selbst ausgeführt<br />
haben. Im Vergleich dazu: Nur 20% von dem,<br />
was auditiv erfasst wird, bleibt in Erinnerung.<br />
Dieser Erkenntnis misst die <strong>Klinik</strong> <strong>Sonnenhof</strong> einen<br />
hohen Stellenwert zu: Neben den regelmässigen<br />
Praxisanleitungsgesprächen mit der Ausbildungsverantwortung<br />
Pflege/Pädagogik wird in Zukunft<br />
jeder und jedem SPiA, wie auch allen Vorpraktikantinnen<br />
und Vorpraktikanten eine Ansprechperson<br />
auf der Station zur Verfügung stehen. Mit dieser<br />
Stationsbegleitung erhalten sie die Möglichkeit,<br />
Alltagssituationen unmittelbar und im Kontext der<br />
jeweiligen Gruppe und des jeweiligen Teams zu<br />
reflektieren und von den Erfahrungen und dem<br />
Fachwissen der begleitenden Person zu profitieren.<br />
Die Stationsbegleitung ist gemeinsam mit der Ausbildungsverantwortung<br />
für die Gestaltung und Beurteilung<br />
des Lernprozesses zuständig. In je halbtägigen<br />
Lernlaboren erhalten die SPiAs ebenfalls die<br />
Möglichkeit, sich stationsübergreifend zu vernet-<br />
zen, Wissen zu generieren und weiterzuvermitteln,<br />
Lerninhalte der Ausbildung zu vertiefen oder sich<br />
über stationsspezifische Merkmale auszutauschen.<br />
Anhand von teilweise vorgegebenen Inhalten wird<br />
das Verständnis des Theorie-Praxis-Transfers gefördert<br />
und reflektiert. In Planung befindet sich eine<br />
regelmässig stattfindende Intervisionsgruppe für<br />
SPiAs aller Ausbildungsschulen. Bereits seit Langem<br />
besteht zudem eine Praktikumsrunde der<br />
<strong>Klinik</strong>schule, wo neue Praktikantinnen und Praktikanten<br />
vom Fachwissen von in der Klink tätigen<br />
Fachpersonen aus den verschiedenen Disziplinen<br />
profitieren. Die <strong>Klinik</strong> <strong>Sonnenhof</strong> legt mit der Einführung<br />
der neu integrierten Praxisausbildungselemente<br />
und des neuen Ausbildungskonzepts einen<br />
wichtigen Grundstein, um als attraktive Ausbildungsorganisation<br />
im Sozialbereich die Professionalisierung<br />
der Sozialen Arbeit in Zukunft zu unterstützen.<br />
Evelyn Müller<br />
Sozialpädagogin FH, Ausbildungsverantwortliche<br />
<strong>Klinik</strong> <strong>Sonnenhof</strong><br />
Überblick der Aus- und Bildungsangebote in der <strong>Klinik</strong> <strong>Sonnenhof</strong><br />
Ausbildungsschulen<br />
Praxisorganisations-<br />
Anerkennung (PAO)<br />
Ausbildungsstufe,<br />
Zeitpunkt<br />
Dauer<br />
Vorstufe<br />
Vorpraktikum (VP)<br />
Wird als Vorerfahrung<br />
von den ZHAW Zürich<br />
FHS St. Gallen<br />
Ausbildungsschulen FHNW Olten/ Basel<br />
vorausgesetzt<br />
Vor der Ausbildung<br />
6 bis 12 Monate<br />
Ausbildung Sozialpädagogik FH/HF (SPiA)<br />
Praktikum I u. II<br />
(PR I und II)<br />
Im Vollzeitstudium<br />
ca. 6 Monate<br />
Berufsbegleitende Ausbildung (bb)<br />
Fachhochschule<br />
FHS St. Gallen<br />
ZHAW Zürich,<br />
FHNW Olten/Basel<br />
Parallel zum<br />
Studium<br />
ca. 4 bis 5 Jahre<br />
Höhere Fachschule<br />
Agogis Zürich /<br />
St. Gallen<br />
HSL Luzern<br />
Parallel zum<br />
Studium<br />
3 Jahre Agogis<br />
4 Jahre HSL<br />
«Mit knapp sechs Jahren war ich mit meiner Familie<br />
zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Ein Magier<br />
zeigte Zaubertricks und holte sich als Assistent ein<br />
Kind auf die Bühne. Er wählte mich aus. Ich kann<br />
mich nur noch erinnern, dass ich versucht habe,<br />
einen Knoten zu lösen, und an die erschrockenen<br />
Gesichter im Publikum. Meine Eltern erzählten mir<br />
später, dass ich auf der Bühne begonnen habe,<br />
mich unkontrolliert zu bewegen, komisch zu<br />
zucken und meinen Kopf nach hinten zu schleudern.<br />
Meine Mutter dachte, es sei eine plötzliche<br />
allergische Reaktion und dass ich versuchte, mich<br />
am ganzen Körper zu kratzen. Der Zauberer schickte<br />
mich wieder an den Platz und entschuldigte<br />
sich bei meinen Eltern. Er habe nicht gewusst, dass<br />
ich behindert sei.<br />
In den nächsten Jahren nahmen die unkoordinierten<br />
Bewegungen und Zuckungen zu. Ich litt<br />
an Zwängen – sei es gewisse Bewegungen auszuführen<br />
oder mich Gedanken zu unterwerfen. Ich<br />
konnte meine Impulse nicht kontrollieren und<br />
rastete aus, bis Stühle flogen. Auch verbal verlor ich<br />
die Kontrolle. Ich begann plötzlich, Geräusche zu<br />
machen, zu pfeifen oder beschimpfte eine fremde<br />
Person auf der Strasse. Erinnern konnte ich mich an<br />
diese Handlungen nicht. Rund vier Jahre nach dem<br />
Erlebnis beim Zauberer rutsche ich in eine Depression<br />
und wurde in eine psychiatrische Jugendklinik<br />
eingewiesen – und hier stellten die Ärzte dann die<br />
Diagnose ‹Tourette-Syndrom› fest. Das ist eine<br />
seltene Erkrankung, bei der die Betroffenen<br />
Zuckungen und Laute nicht mehr kontrollieren<br />
können. Die genaue Ursache für das Tourette-<br />
Syndrom ist noch nicht bekannt. In meiner Familie<br />
gibt es ausser mir niemanden, der daran leidet. Auf<br />
der Bühne beim Zauberer stand ich wohl unter<br />
grossem Stress und reagierte darauf das erste Mal<br />
mit meinen ‹Tics›.<br />
Heute nehme ich täglich Medikamente gegen die<br />
Krankheit und kann somit meine ‹Tics› besser unterdrücken<br />
und die Zwänge kontrollieren. Zusätzlich<br />
lerne ich in einer Therapie, wie ich mental gegen<br />
Zwänge und ‹Tics› ankämpfen kann. Trotzdem<br />
muss ich mich dauernd konzentrieren, dass mein<br />
Kopf nicht plötzlich nach hinten schnellt. In der<br />
Schule war es für mich oft schwierig, mich zu konzentrieren.<br />
Meine ‹Tics› brockten mir viele Strafen<br />
ein. Ich wollte ganz bewusst, dass man mir diese<br />
Strafen nicht erlässt, nur weil ich ein ‹Tourettler› bin,<br />
sondern dass man mich wie alle anderen Schüler<br />
behandelt. Als ich diesen Sommer meinen letzten<br />
Schultag absolvierte, schenkte mir die Putzfrau des<br />
Schulhauses eine vergoldete WC-Bürste. Mein Putz-<br />
Straf-Einsatz werde ihr fehlen.<br />
Gefoppt oder ausgeschlossen wurde ich aufgrund<br />
meiner Krankheit nie. Ich spiele Fussball und wäre<br />
sehr gerne Torwart gewesen. Doch mit all meinen<br />
‹Tics› war es schwierig, die Bälle zu halten. Heute<br />
spiele ich als linker Flügel. Manchmal sagen meine<br />
Kollegen, dass ich ein wenig komisch renne. Mir<br />
fällt das jedoch nicht auf. In meiner Schulklasse<br />
wurde das Tourette-Syndrom thematisiert. Es<br />
wussten also alle, was mit mir los ist. Es war ein<br />
grosses Glück, dass für die Schulleitung und die<br />
Lehrerschaft klar war, dass ich in Urnäsch die<br />
Schule besuche – egal, wie stark meine ‹Tics› und<br />
Zwänge sind. Heute beginne ich eine Lehre als<br />
Auto-mechatroniker. Ich habe klare Ziele. Ich<br />
möchte eine gute Lehre absolvieren, später einen<br />
interessanten Job machen und irgendwann meine<br />
eigene Familie gründen.<br />
Meine grösste Hoffnung ist jedoch, dass ich in den<br />
nächsten Jahren die starken Medikamente, die sehr<br />
müde machen, absetzen kann. Denn bei jedem<br />
vierten Jugendlichen, der am Tourette-Syndrom<br />
leidet, verschwindet die Krankheit bis zum 25. Lebensjahr<br />
– und ich glaube fest daran, dass ich<br />
dazugehöre!»<br />
Lukas Sandholzer,<br />
15 Jahre, Urnäsch<br />
Notiert: Christa Wüthrich<br />
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