31.10.2012 Aufrufe

Isabella von Ägypten - Universität Heidelberg

Isabella von Ägypten - Universität Heidelberg

Isabella von Ägypten - Universität Heidelberg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

gelten, solange sie im Text nicht explizit außer Kraft gesetzt werden. 19 Eine vollständige Welt-<br />

beschreibung ohne solche Defaultannahmen ist unmöglich. Die Annahme einer völligen Ei-<br />

gengesetzlichkeit des fiktionalen Textes, wie Durst sie versucht, widerspricht der menschlichen<br />

Wahrnehmungsweise und die Interpretation übernatürlicher Elemente als explizit gemachte lite-<br />

rarische Techniken scheint mir am Kern ihrer Wirkung vorbei zu gehen. Die Überraschung (und<br />

möglicherweise auch Verstörung) angesichts solcher Verstöße ergibt sich nicht aufgrund der<br />

Offenlegung literarischer Kunstgriffe, sondern aufgrund der Diskrepanz zur Erfahrungswirk-<br />

lichkeit.<br />

Bezüge zur nichtfiktionalen Wirklichkeit werden also bei der Analyse eine Rolle spielen. Aller-<br />

dings soll weder eine objektive Wirklichkeit postuliert, noch mit der Auffassung des individuel-<br />

len Lesers argumentiert werden. Grundlage soll vielmehr das außerliterarische belief system<br />

sein, also die Menge der Konzepte, die das Weltbild der Autoren und der Zeitgenossen in ihrem<br />

Kulturkreis, der intendierten Leserschaft, ausmachen. Dieses bezeichne ich mit dem Begriff<br />

‚Erfahrungswirklichkeit‘. Auch dieses Vorgehen ist nicht unproblematisch, denn es gibt sicher-<br />

lich Grauzonen, was zur Erfahrungswirklichkeit gezählt werden kann. Ein Bezug zum außerlite-<br />

rarischen Realitätsempfinden erscheint aber unverzichtbar, um die Wirkung phantastischer El-<br />

emente zu erklären. Einen Verstoß gegen die Erfahrungswirklichkeit bezeichne ich als<br />

‚übernatürlich‘, was nicht automatisch gleichzusetzen ist mit ‚phantastisch‘.<br />

Beim Gebrauch des Begriffs ‚Phantastik‘ werde ich mich nicht an der minimalistischen Defini-<br />

tion orientieren. Das Kriterium der Unentscheidbarkeit zwischen wunderbarer oder rationaler<br />

Erklärung eines Phänomens zur Bestimmung des Phantastischen ist, wie häufig kritisiert wurde,<br />

in Gefahr, <strong>von</strong> der Leserwahrnehmung abzuhängen und es ergibt sich auch das oft angeführte<br />

Problem, dass ein Text durch einen einzigen angefügten Satz, der die Auflösung bringt, das<br />

Genre wechseln kann. 20 Abgesehen da<strong>von</strong> hat die Verwendung der minimalistischen Termino-<br />

logie in Hinblick auf die hier behandelten Texte nicht den Vorteil größerer Präzision, da in die-<br />

sen keine Unentscheidbarkeit vorliegt, sie also <strong>von</strong> vornherein dem Wunderbaren zugeordnet<br />

werden müssten und man also nur immer den Begriff ‚Phantastisches‘ durch ‚Wunderbares‘ er-<br />

setzen würde. Auf Todorovs phantastische Unschlüssigkeit und den vom ihm eingeführten Be-<br />

griff des ‚Unheimlichen‘ wird allerdings an einigen Stellen der Arbeit Bezug genommen, wenn<br />

sie hilfreich zur Beschreibung der Wirkung des Phantastischen sind.<br />

Ich gebrauche den Begriff ‚Phantastik‘ weitgehend im Sinne der historischen maximalistischen<br />

Definition, wobei allerdings die innerliterarische Normrealität der Hintergrund ist, vor dem er<br />

definiert wird. Dabei ist es entscheidend, dass eine Spannung zwischen dieser und den phantas-<br />

tischen Elementen spürbar ist, selbst wenn die phantastischen Elemente als real akzeptiert wer-<br />

19. Siehe Blume: Fiktion und Weltwissen, S. 83-85.<br />

20. Siehe z.B. Blume: Fiktion und Weltwissen, S. 139f.<br />

- 10 -

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!