Isabella von Ägypten - Universität Heidelberg
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ischen Erfahrungswirklichkeit zu schaffen; bei der <strong>Isabella</strong>-Ebene stehen symbolhafte Züge im<br />
Vordergrund, sie repräsentiert eine poetische Weltordnung. Der scheiternde Versuch, diese bei-<br />
den Ebenen zusammenzuführen, ist das eigentliche Thema der Erzählung. Die Spannungen zwi-<br />
schen ihnen sind jedoch so stark, dass sie sich am Ende der Erzählung ganz trennen. Dieser<br />
Konflikt erzeugt jedoch keine phantastischen Effekte, denn es wird keine Opposition in Bezug<br />
auf den Wirklichkeitsstatus der beiden Ebenen aufgebaut. Stattdessen bilden sie eine gemein-<br />
same Normrealität, die die Folie für die tatsächlich phantastischen Elemente der Erzählung ist.<br />
Die ‚Alltagswelt‘ in Arnims Erzählung umfasst Karl und <strong>Isabella</strong> gleichermaßen. Zu diesem<br />
Eindruck trägt entscheidend bei, dass die Erzählung auf der <strong>Isabella</strong>-Ebene beginnt. Mit ihr<br />
wird der Leser als erstes konfrontiert und auch im weiteren Verlauf wird die historische Welt<br />
fast immer <strong>von</strong> ihrem Blickwinkel aus betrachtet. Der Blick geht also nicht <strong>von</strong> einer histori-<br />
schen Welt auf eine poetisierte, was einen verwirrenden und phantastischen Effekt auslösen<br />
könnte, sondern umgekehrt, <strong>von</strong> einer als selbstverständlich präsentierten, poetisierten Welt auf<br />
die sie umschließende historische. Neumann kommentiert: „[Die Geschichte] tritt in einen poe-<br />
tisch präparierten Raum, in dem Legendenhaftes und Historisches sich auf weiter Strecke un-<br />
trennbar durchdringen werden. [...] Für die Erzählwelt bedeutet sie [i.e. diese Durchdringung],<br />
daß Legende und Historie ihre Andersartigkeit gegeneinander aufheben.“ 67<br />
Dass die beiden Ebenen als gleichberechtigt und Teil derselben Wirklichkeit empfunden wer-<br />
den können, liegt auch daran, dass die zentrale Figur <strong>Isabella</strong> trotz ihrer Andersartigkeit keine<br />
groben Verstöße gegen die Gesetze der Erfahrungswirklichkeit begeht. Ihre besondere Bega-<br />
bung der poetischen Wahrnehmung bezieht sich auf die Interpretation <strong>von</strong> Wirklichkeit, nicht<br />
auf deren Veränderung und so bleibt sie innerhalb der Regeln für eine ‚realistische‘ Norm-<br />
realität.<br />
Die Figuren auf beiden Ebenen sind gleichermaßen menschlich und denselben Naturgesetzen<br />
unterworfen. Die heilsgeschichtlichen Parallelen in der Geschichte der Zigeuner sind erkennbar<br />
als literarische Kunstgriffe. Völker kommentiert: „Zwar erstrahlt <strong>Isabella</strong> am Ende im mysti-<br />
schen Schein einer Heiligen [...], doch erwächst dieses ‚Romantische‘ aus einem sehr fein und<br />
realistisch gesponnenen Erzählgeflecht.“ 68<br />
Zur Verknüpfung der Ebenen trägt auch bei, dass es Figuren gibt, die eine Brücke zwischen ih-<br />
nen schlagen: Braka und Frau Nietken. Die Zigeunerin Braka ist <strong>Isabella</strong>s Ersatzmutter und ein-<br />
deutig ihrer Welt zugeordnet. In vielerlei Hinsicht ist sie jedoch eine Kontrastfigur zu <strong>Isabella</strong>:<br />
lebenslustig, pragmatisch, geldgierig und <strong>von</strong> fragwürdiger Moral entspricht sie eher dem nega-<br />
tiven Klischeebild <strong>von</strong> den Zigeunern als dem Bild vom poetischen Idealvolk. 69 Sie gehört also<br />
67. Neumann: Legende, Sage und Geschichte, S. 299.<br />
68. Völker: Naturpoesie, Phantasie, Phantastik, S. 116.<br />
69. Siehe Kugler: Kunst-Zigeuner, S. 145-147.<br />
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