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Isabella von Ägypten - Universität Heidelberg

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Arnims Ziel ist es also nicht, die Verhältnisse der realen Zigeuner darzustellen, sondern er<br />

schafft ein Kunstvolk, wobei er sich auf bereits vorhandene, sagen- und legendenhafte Vorstel-<br />

lungen stützt und diese seiner Aussageabsicht anpasst. Die wichtigsten Aspekte, die er den Zi-<br />

geunern zuschreibt, sind Christlichkeit, Feudalität und Anti-Kapitalismus.<br />

Die christlichen Bezüge sind wohl die auffälligste Besonderheit bei Arnims Zeichnung der Zi-<br />

geuner. Ausgangspunkt für die Darstellung der Zigeuner als vorbildlich christliches Volk ist<br />

ihre ‚Ursprungssage‘, die am Anfang der Novelle erzählt wird und maßgeblich für den Hand-<br />

lungsverlauf ist. Nach dieser sind die Zigeuner die Hälfte des ägyptischen Volkes, die sich<br />

selbst zu einer Wallfahrt verpflichtet hat, um dafür zu büßen, dass die Ägypter die Heilige Fa-<br />

milie abgewiesen haben, als diese in ihrem Land Zuflucht suchte (siehe IÄ, S. 624f.). 53 Die Zi-<br />

geuner haben ihr „,Gelübde, so weit zu ziehen, als sie noch Christen fänden“ (IÄ, S. 624) er-<br />

füllt, ihre Rückkehr nach <strong>Ägypten</strong> ist jedoch durch die politischen Verhältnisse und die<br />

Feindseligkeit ihrer Umwelt erschwert. 54<br />

Arnim kombiniert die Motive des Sündenfalls, der Buße und der Erlösung, wodurch seine Ge-<br />

schichte der Zigeuner eine heilsgeschichtliche Dimension erhält. Sie werden als vorbildliche<br />

Christen dargestellt, deren Bußbereitschaft an Märtyrertum grenzt, was sich deutlich an der<br />

Darstellung <strong>von</strong> der Hinrichtung des unschuldigen Zigeunerherzogs zeigt, die Anklänge an den<br />

Leidensweg Christi hat. 55 Hinzu kommt, dass „Michaels Tod als gleichzeitige Rückkehr zu Gott<br />

und nach <strong>Ägypten</strong> beschrieben [wird], wodurch die <strong>von</strong> den Zigeunern erhoffte Rückkehr in ihr<br />

Heimatland ebenfalls metaphysisch überhöht wird.“ 56<br />

Die Stellung <strong>Isabella</strong>s in dieser religiösen Utopie ist zentral. Eine Prophezeiung der Zigeuner<br />

verheißt ihr: „Du mußt <strong>von</strong> diesem künftigen Erben der halben Welt [i.e. Karl], ein Kind be-<br />

kommen, das durch die Liebe seines mächtigen Vaters den verstreuten Überbleib Deines Vol-<br />

kes in Europa sammelt und in die heiligen Wohnplätze unseres Ägypterlandes zurückführt.“<br />

(IÄ, S. 670) Parallelen zur Mutter Gottes sind unverkennbar. Noch verstärkt werden diese An-<br />

klänge durch ein „wunderbares Sternenzeichen“ (IÄ, S. 694), das sich zeigt, als das Erlöserkind<br />

gezeugt wird, und das auf den Stern <strong>von</strong> Bethlehem verweist. <strong>Isabella</strong> selbst wird als fromm<br />

charakterisiert. Sie kennt „viele schöne Gebete“ (IÄ, S. 661), ihre Liebe zu Karl ist in die Nähe<br />

53. Diese Geschichte zur Erklärung der Heimatlosigkeit der Zigeuner findet sich bereits in den 1522<br />

abgeschlossenen „Annales Boiorum“ des Aventinus, wo sie allerdings als Lüge der negativ dargestellten<br />

Zigeuner bezeichnet wird und zur Betonung ihrer Unchristlichkeit dient (siehe Kugler: Kunst-Zigeuner,<br />

S. 27-29).<br />

54. Auch für das Motiv einer möglichen Rückkehr der Zigeuner in ihr Heimatland gibt es historische<br />

Vorlagen. In den Darstellungen <strong>von</strong> Johannes Stumpf (1548) und Jacob Thomasius (1652) etwa<br />

wird eine erste Gruppe <strong>von</strong> ‚guten‘ Zigeunern, die nach einer christlichen Wallfahrt nach Hause<br />

zurückgekehrt sind, unterschieden <strong>von</strong> den ‚unmoralischen‘, die noch zu Lebzeiten der Autoren<br />

herumwandern (siehe Kugler: Kunst-Zigeuner, S. 30 und S. 35-40).<br />

55. Das Motiv des krähenden Hahnes, dessen Schrei zur Verhaftung Michaels und seiner Gefährten<br />

führt, erinnert an die Verleugnung Christi durch Petrus, sein Tod am „Dreifuß“ (IÄ, S. 623) an den<br />

Kreuzestod, <strong>Isabella</strong>s Totenmahl an das letzte Abendmahl (siehe IÄ, S. 625-627 und Kugler: Kunst-<br />

Zigeuner, S. 121).<br />

56. Kugler: Kunst-Zigeuner, S. 121.<br />

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