in Düsseldorf - Evangelische Kirche im Rheinland
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Die römisch-katholischen Christen haben ihren Papst –<br />
und Maria. Als Johannes Paul II. 1987 den Marien-<br />
Wallfahrtsort Kevelaer besuchte, herrschte <strong>in</strong> der niederrhe<strong>in</strong>ischen<br />
Stadt der Ausnahmezustand. Aber auch zu gewöhnlichen<br />
Zeiten prägen pilgernde Menschen das Stadtbild.<br />
Rund 800000 kommen Jahr für Jahr, um <strong>in</strong> der Gnadenkapelle<br />
zur Jungfrau und Gottesmutter Maria zu beten.<br />
„später viel später / blickte maria / ratlos von den<br />
altären / auf die sie / gestellt worden war / und<br />
sie glaubte / an e<strong>in</strong>e verwechslung / als sie /<br />
– die vielfache mutter – / zur jungfrau / hochgelobt<br />
wurde / und sie bangte / um ihren verstand / als<br />
<strong>im</strong>mer mehr leute / auf die knie fielen / vor ihr“ *<br />
Protestanten schütteln über diesen Trubel meist verständnislos<br />
den Kopf – auch wenn so mancher katholische Christ<br />
angesichts des Auswuchses an Volksfrömmigkeit klarstellt,<br />
dass Maria nach katholischer Lehre nicht angebetet, sondern<br />
als Vorbild des Glaubens verehrt wird. Maria ist für viele<br />
Protestanten ke<strong>in</strong> Thema. Sie gehört für sie allenfalls zum<br />
Inventar weihnachtlicher Krippenszenen. Und theologische<br />
Diskussionen führen sie höchstens über die „Jungfrau“ des<br />
Apostolischen Glaubensbekenntnisses.<br />
„und angst / zerpresste ihr herz / je <strong>in</strong>niger sie /<br />
– e<strong>in</strong>e machtlose frau – / angefleht wurde / um hilfe<br />
um wunder“<br />
Dabei kann die Mutter Jesu auch dem evangelischen Glauben<br />
wichtige Impulse geben. Diese Erfahrung machten Frauen aus<br />
der evangelischen <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> den vergangenen Jahrzehnten. Sie<br />
entdeckten Maria für sich neu. „E<strong>in</strong>e Begegnung mit der<br />
Muttergottes“ nennt etwa die <strong>in</strong>zwischen verstorbene fem<strong>in</strong>istische<br />
Theolog<strong>in</strong> Dorothee Sölle ihr Buch über Maria. Es ist der<br />
an der Theologie der Befreiung geschulte Blick, der die e<strong>in</strong>fache<br />
Frau aus der armen Bevölkerung wahrn<strong>im</strong>mt und ihre<br />
Hoffnung auf den Gott, der die Verhältnisse umdrehen wird.<br />
„am tiefsten / verstörte sie aber / der blasphemische<br />
kniefall / von potentaten und schergen / gegen die sie<br />
doch e<strong>in</strong>st / gesungen hatte voll hoffnung“<br />
Dorothee Sölle hat die Geschichte der Maria von unten gelesen<br />
und die Mutter Jesu so aus h<strong>im</strong>mlischen Sphären zurück auf<br />
die Erde geholt. Sie f<strong>in</strong>det ke<strong>in</strong>e angebetete H<strong>im</strong>melskönig<strong>in</strong>,<br />
ke<strong>in</strong>e Patron<strong>in</strong> voller Güte, die e<strong>in</strong>en Schutzmantel ausbreitet,<br />
ke<strong>in</strong> Objekt Hilfe suchender Gebete. Maria ist e<strong>in</strong>e unverheiratete<br />
Frau, die schwanger wird, deren Sohn ihr später fremd<br />
wird, die <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Todesstunde unter dem Galgen steht – und<br />
die trotz dieses vordergründigen Scheiterns e<strong>in</strong>es Menschenlebens<br />
ihre Beziehung zu Gott nicht verleugnet. Wer Maria<br />
heute begegnen will, muss die Bilder der Tradition h<strong>in</strong>ter sich<br />
lassen. Sölle überträgt dazu die biblische Geschichte von Maria<br />
und der Geburt ihres Sohnes auch <strong>in</strong> die Gegenwart: als die<br />
Geschichte e<strong>in</strong>er alle<strong>in</strong>stehenden, arbeitslosen Frau, die auf<br />
Wohnungssuche ist und ihren Sohn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em besetzten Haus<br />
zur Welt br<strong>in</strong>gt. Diese Frau freut sich dennoch über ihr K<strong>in</strong>d,<br />
über den Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es neuen Lebens.<br />
„und Maria trat / aus ihren bildern / und kletterte / von<br />
ihren altären herab / und sie war und sie ist / vielleibig<br />
vielst<strong>im</strong>mig / die subversive hoffnung / ihres gesangs“<br />
Maria s<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> kraftvolles Lied, das als „Magnificat“ aus<br />
dem ersten Kapitel des Lukasevangeliums E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> die<br />
Gesangbücher gefunden hat: „Se<strong>in</strong>e Barmherzigkeit währet<br />
von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. Er<br />
übt Gewalt mit se<strong>in</strong>em Arm und zerstreut, die hoffärtig s<strong>in</strong>d<br />
<strong>in</strong> ihres Herzens S<strong>in</strong>n. Er stößt die Gewaltigen vom Thron<br />
und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern<br />
und lässt die Reichen leer ausgehen.“ Marias Magnificat ist<br />
e<strong>in</strong> Lied der Befreiung. Wie das, das ihre Namensschwester<br />
Mirjam nach dem Durchzug der Israeliten durchs Schilfmeer<br />
anst<strong>im</strong>mte: „Lasst uns dem Herrn s<strong>in</strong>gen, denn er hat e<strong>in</strong>e<br />
herrliche Tat getan; Ross und Reiter hat er <strong>in</strong>s Meer gestürzt.“<br />
Erlösung ist nicht von Befreiung zu trennen.<br />
„Maria konnte kaum lesen / und maria konnte<br />
kaum schreiben / und maria durfte nicht s<strong>in</strong>gen /<br />
noch reden <strong>im</strong> bethaus der juden / wo die männer<br />
dem mann-gott dienen<br />
dafür aber sang sie / ihrem ältesten sohn /<br />
dafür aber sang sie / den töchtern den anderen<br />
söhnen / von der großen gnade und ihrem /<br />
heiligen umsturz<br />
dennoch / erschrak sie / am tage /da jesus<br />
die werkstatt / und ihre familie verließ /<br />
um <strong>im</strong> namen gottes / und mit dem feuer<br />
des täufers / ihren gesang / zu leben“<br />
Wor<strong>in</strong> liegt das Gehe<strong>im</strong>nis der Maria – auch für evangelische<br />
Christen? Maria sagt <strong>in</strong> der Tradition ihres jüdischen Volkes<br />
Ja zu Gott, Ja zum Leben und Ne<strong>in</strong> zu Unterdrückung und<br />
Hunger. Und sie sagt es als Frau, die e<strong>in</strong>zig Gott zutraut, dass<br />
alles gut wird – für uns hörbar <strong>in</strong> ihrem Gesang. Dorothee<br />
Sölle formuliert es so: „Sie sagt uns, dass die Welt nicht<br />
nur die unheilvolle Bühne e<strong>in</strong>er absurden Tragödie ist, <strong>in</strong><br />
der Sieger und Besiegte <strong>im</strong>mer die Gleichen s<strong>in</strong>d, sondern<br />
e<strong>in</strong> Ort der Hoffnung, die das Leben beschützt und das<br />
Un wahrsche<strong>in</strong>liche, das wir Barmherzigkeit nennen, wahr<br />
werden lässt.“<br />
WOLFGANG BEIDERWIEDEN<br />
* Die kursiven Zeilen stammen aus dem Gedicht „und maria“<br />
des Schweizer Theologen und Dichters Kurt Marti.<br />
Buchtipp Dorothee Sölle: „Maria: E<strong>in</strong>e Begeg nung mit der Muttergottes“,<br />
Verlag Herder, Freiburg 2005, 109 Seiten, 9,90 Euro<br />
W<strong>in</strong>ter 2010 | bei uns <strong>in</strong> Düsseldorf 7