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REVIEWS - Webseite von Thomas Neumann

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<strong>REVIEWS</strong><br />

HELLSONGS<br />

Lounge MCD<br />

Lovely/Rough Trade | Was die drei Schweden Harriet<br />

Ohlsson, Johan Bringhed und Kalle Karlsson mit Stimme,<br />

Keyboard, Gitarre und Banjo anstellen, ist schon große<br />

Klasse. Sie selbst nennen ihre Musik „Lounge Metal“.<br />

Unterstützt <strong>von</strong> Gästen an Kontrabass und Violine werden<br />

mit METALLICA („Seek ans destroy“), BLACK SABBATH<br />

(„Paranoid“), JUDAS PRIEST („Breaking the law“), IRON<br />

MAIDEN („Run to the hills“), VAN HALEN („Jump“) und<br />

MOTÖRHEAD („Orgasmatron“) leider nur sechs Hardrock/Metal-Klassiker<br />

ganz neu interpretiert. Sie klingen<br />

komplett verwandelt und sind fast nicht wieder zu erkennen:<br />

ruhig, zart, ja schon fast weich und zuweilen auch<br />

melancholisch. Die Stücke werden sozusagen neu erfunden.<br />

Keine Spur <strong>von</strong> ausgelassener Bierseligkeit à la HAY-<br />

SEED DIXIES, sondern eher schwermütige Balladen zwischen<br />

Björk und Folk. Diese Interpretationen werden sicherlich<br />

einige Nur-Metal-Fans erst einmal vor den Kopf<br />

stoßen, aber wer seine Ohren auch für andere Klänge offen<br />

hat, wird hoffentlich genauso begeistert sein wie ich.<br />

(24:59) (9) Kay Wedel<br />

KARL HLAMKIN<br />

Da CD<br />

snegiri.ru | Karl Hlamkin ist schon fast ein Urgestein in<br />

der russischen Musikszene. In den Achtziger Jahren war er<br />

als Schlagzeuger in Sachen Hardrock (ZEMENT) und Punk<br />

(KARL-BLANCHE) aktiv, daneben nahm er auch den Pinsel<br />

zu Hand und betätigte sich als Maler. Seit den Neunziger<br />

Jahren widmet er sich nun seinen Soloprojekten. Die<br />

Begleitgruppe setzt sich unter anderem aus ehemaligen<br />

Mitgliedern der russischen Bands LENINGRAD und MES-<br />

SER FÜR FRAU MÜLLER zusammen. Mit so schönen Namen<br />

wie „Karl geht nach Israel“, „Pastor Karl Band“, „Karl<br />

Hlamkin und die Alkoholiker für Jesus“ oder „Karl Hlamkin<br />

und das Lassunsaufen-Orchester“ veröffentlichte er diverse<br />

Kassettenalben. Es heißt, dass er jeden Monat den Namen<br />

seiner Band ändert. Mit dem Album „Da“ wurde beim<br />

Moskauer Label Snegiri schließlich sogar eine richtige CD<br />

veröffentlicht und enthält eine bunte Mischung aus Latin,<br />

Karibik, Ska, Klezmer, Disco und russischen Chansons.<br />

Über allen thront die unnachahmliche „Drei-Schachteln-<br />

Zigaretten-am-Tag“-Stimme <strong>von</strong> Karl Hlamkin und verleiht<br />

dieser heiter beschwingten Musik ein kratzbürstige<br />

Note. Das finde ich sehr sympathisch. Aber Achtung, bis auf<br />

die oben genannte Internetadresse sind alle Angaben auf<br />

der CD in kyrillischen Buchstaben. (50:55) (8) Kay Wedel<br />

HAWAII MUD BOMBERS<br />

Mondo Primo CD<br />

Wicked Cool | Ein absolut fantastisches Album der Schweden,<br />

das allerdings eigentlich schon 2004 erschienen ist.<br />

Wicked Cool veröffentlicht „Mondo Primo“ nun mit zusätzlichen<br />

zwei Videos neu, und da der Sommer ansteht,<br />

verteile ich sogar einen Punkt mehr als Kollege Joachim<br />

Hiller bei seinem Review im Ox #57. Ansonsten traf die<br />

damalige Besprechung aber natürlich den Nagel auf den<br />

Kopf: „Dreizehn neue Songs der schwedischen Meister<br />

des BEACH BOYS-beeinflussten Pop-Punks, die sich auch<br />

hier wieder zwischen Helden wie RAMONES, REZILLOS<br />

und UNDERTONES tummeln und längst die verstummten<br />

PSYCHOTIC YOUTH beerbt haben, ja mit den TRAVOLTAS<br />

um den Titel der besten und eingängigsten europäischen<br />

Punk-Popper kämpfen und wo bei manchen Songs schon<br />

beinahe die Eingängigkeit der FOUNTAINS OF WAYNE er-<br />

reicht wird. Bei „Wolfin’ the lamb“ gibt’s sogar (ausgeliehene)<br />

„female vocals“, was den Schlammbombern auch<br />

sehr gut zu Gesicht steht. Komisch und unverständlich ist<br />

dabei mal wieder, dass diese Band in Europa kaum bekannt<br />

ist, in Japan dagegen umso mehr. Bestens übrigens auch die<br />

Produktion – so crisp, klar und druckvoll, wie man das <strong>von</strong><br />

einer solchen Platte erwartet.“ (36:47) (9) Bernd Fischer<br />

HEARTACHES<br />

Too Cool For School CD<br />

Swami | Die Schlagzahl ist hoch: 15 kurze und straffe<br />

Rock’n’Roll-Punk-Granaten feuert das Quartett um den<br />

Profi-Skater Kristian Svitak in einer guten halben Stunde<br />

ab. Das bedeutet 15 Mal<br />

klassischer 70s Punkrock<br />

mit gutem Schuss<br />

Cro-Magnon-Sensibilität.<br />

Kann man sich so<br />

vorstellen wie eine Mischung<br />

aus allen relevanten<br />

Inspirationsquellen,<br />

die Bands <strong>von</strong> diesem<br />

Schlage gerne für<br />

sich in Anspruch nehmen:<br />

SAINTS, RAMO-<br />

NES, VICTIMS, PSYCHO<br />

SURGEONS, HEART-<br />

BREAKERS, DEVIL DOGS. Ist also alles überhaupt nicht<br />

neu, vielleicht auch gewaltig ausgelutscht, aber rocken tut<br />

es einfach wie Sau. (7)<br />

Gereon Helmer<br />

HOUSTON SWING ENGINE<br />

Entre Hommes CD<br />

Headstrong | Hier gibt es auf die Fresse. Und zwar abwechslungsreich,<br />

rhythmisch versiert und mit der einen<br />

oder anderen Harmonie versehen. Die vier Jungs wissen,<br />

wo es lang geht. Hardcore, der auf den Tellerrand einfach<br />

drauf tritt, und gleich zwei Hände voller Einflüsse mit sich<br />

bringt. Wenn man sich anguckt, mit wem die Schweizer<br />

unter anderem schon die Bühne teilen durften (als da wären:<br />

QOTSA, HELMET, THERAPY?, THE BELLRAYS, McLUS-<br />

KY, GWAR ...), wundert es nicht, wie abgeklärt HOUSTON<br />

SWING ENGINE wirken. „Entre Hommes“ ist die inzwischen<br />

vierte Veröffentlichung und bietet eine knappe Stunde<br />

Vollbedienung. Es ist schon beeindruckend, wie es die<br />

Band schafft, den Hörer vierzehn Stücke lang bei der Stange<br />

zu halten, ohne dabei auf irgendwelche Bauerntricks<br />

zurückzugreifen. Denn seien wir mal ehrlich, die meisten<br />

Hardcore-Alben mit einer solchen Spielzeit kann man getrost<br />

in der Pfeife rauchen. Produziert wurde übrigens <strong>von</strong><br />

Santi Garcia, der hatte seine Finger auch schon bei STAND<br />

STILL, FAVEZ oder ONE MAN AND HIS DROID im Spiel.<br />

Bleibt nur zu hoffen, dass die Band es auch endlich mal auf<br />

eine deutsche Bühne schafft. Nicht auszudenken was passiert,<br />

wenn die live umsetzten können, was diese Aufnahme<br />

verspricht. (57:14) (8)<br />

Lars Koch<br />

HOW TO LOOT BRAZIL<br />

Autto Fister CD<br />

myspace.com/howtolootbrazil | Eine Indie-Band, die<br />

ihr Album selbstveröffentlicht und nicht einfach hofft auf<br />

schlechten Band-Contests vom Trendscout des Abends entdeckt<br />

zu werden? Sympathisch. Und dann noch aus einer<br />

Stadt, die man nur kennt, weil man an ihr vorbeifährt,<br />

wenn man dann doch mal ins Sauerland fahren sollte.<br />

Tanzbarer Wave-Punk im 4/4-Takt, mit leicht verstimmten<br />

Gitarren, ein paar Keyboardsounds und relativ eingängigen<br />

Hooklines ist sicher nichts Neues, aber es kann auch<br />

ohne PR-Management funktionieren und Spaß machen.<br />

Die Band haut auch nicht komplett um, aber die Erkenntnis,<br />

dass sie „für die U-Musik das sind, was B-Movies für<br />

die Filmkunst sind“ zeigt, das man selber weiß, was los ist.<br />

Der kleinste gemeinsame Nenner bei den Einflüssen sollen<br />

THE NOTWIST, FORWARD RUSSIA, THE SMITHS, IDEAL<br />

aber auch ABBA und die MELVINS sein und das verwirrt<br />

dann schon was. Trotzdem höre ich das Album jetzt schon<br />

zum mindestens dritten Mal und muss immer wieder mitwippen.<br />

An guter Laune liegt es sicherlich nicht, da die mir<br />

gerade abhanden gekommen ist, daher räume ich HOW<br />

TO LOOT BRAZIL ein paar Bonuspunkte ein und hoffe,<br />

dass es in Zukunft nicht so abwegig ist, das kleine Mädchen<br />

mit Pony und Pünktchenkleid ihren Hintern auch mal zu<br />

Bands bewegen, die nicht aus dem Königreich kommen.<br />

Timbo Jones<br />

HEX DISPENSERS<br />

s/t MLP/CD<br />

aliensnatch.com | Knackige Mini-LP aus dem Hause Alien<br />

Snatch, das ein erstaunlich gutes Händchen für aufregende<br />

neue Bands hat und zu einer ernsthaften Konkurrenz der<br />

Platzhirsche wie In The<br />

Red wird. Zehn Songs,<br />

allesamt hitverdächtige<br />

Kracher, die mit einer<br />

Lockerheit aus dem Ärmel<br />

geschüttelt klingen,<br />

wie ich es seit langem in<br />

dieser Sparte nicht mehr<br />

unter die Ohrmuscheln<br />

bekommen habe. Flotter<br />

eingängiger Bluespunk<br />

mit einem ansteckend<br />

fröhlichen Sexappeal, der<br />

einfach Laune macht und<br />

ähnlich zu fesseln weiß wie der erste Streich der GHETTO<br />

WAYS, nur eben wesentlich melodischer und einfach hammergeil.<br />

Die Wiederverwertung des ELO-Riffs aus „Don’t<br />

bring me down“ in „The crone“ ist ebenso genial umgesetzt<br />

wie das Gary Numan-Cover. Die Horror-Gesamtthematik,<br />

die zwischen einer Bluespunk-Umsetzung <strong>von</strong> H.P.<br />

Lovecraft und anderen Weird-Tales-Stories angesiedelt ist,<br />

gibt der Platte eine ganz besondere Note. Schickes Cover,<br />

erstklassiger Sound, ich bin rundum zufrieden! Hier nicht<br />

mit dem Arsch zu wackeln fällt, wirklich schwer, wer das<br />

nicht kann, der kratzt sich wahrscheinlich derzeit mit einer<br />

Stricknadel unter dem Ganzköpergips. Hit! (9)<br />

kalle stille<br />

HAUNTED GEORGE<br />

Bone Howl CD<br />

dead-beat-records.com | Da sitzt ein vereinsamter, kaputter,<br />

alter Trapper aus den Sümpfen <strong>von</strong> New Orleans in seiner<br />

Mine voller Katzengold und heult mit seinem schrottigen<br />

Verstärker, einer ollen Klampfe und dem fertigen<br />

Schlagzeug den Mond an. Einsamer Blues aus dem untersten<br />

Keller, der einzig und alleine dazu geeignet ist, verfallene<br />

Friedhöfe oder karge Sumpflandschaften zu beschallen.<br />

Fröhlich klingt das nicht, vielmehr einsam, einzigartig<br />

und so LoFi, wie eine Katze, die aus einem 50 Meter tiefen<br />

Brunnen herauf jault. Auf die gesamte Dauer dieser CD<br />

vielleicht etwas lang und doch zu monoton, aber auf Single<br />

oder in Portionen der einzig wahre Soundtrack für einen<br />

siechenden Ghoul oder einen verlassenen Vampir, der über<br />

das Elend seines Daseins grübelt. Sehr strange und in kleinen<br />

Dosen extrem genial. (9)<br />

kalle stille<br />

/RE-RELEASES<br />

Anfang und werden ergänzt um alle Tracks der drei vorangegangenen<br />

Singles sowie ein Booklet mit History und<br />

einem Teil der Texte. Im Oktober 1981 erschien dann die<br />

„Never Again“-EP, und man ist ehrlich überrascht vom<br />

Output der Briten aus Stoke-on-Trent, vergingen doch seinerzeit<br />

bei vielen anderen Bands teilweise Jahre zwischen<br />

den Releases, während es hier nur Monate waren. Auch hier<br />

gibt es reichlich Bonusmaterial, etwa die wichtige „State<br />

Violence State Control“-EP vom Oktober 1982 sowie auch<br />

ein paar spätere Aufnahmen, doch gerät hier die Chronologie<br />

durcheinander. Denn mit „Hear Nothing See Nothing<br />

Say Nothing“ veröffentlichten DISCHARGE im Mai 1982<br />

ihr erstes und wichtigstes Album, das wiederum die „Never<br />

Again“-EP <strong>von</strong> Oktober 1981 als Bonus enthält. Ein kleines<br />

Durcheinander also, doch da es nur Sinn macht, diese<br />

drei CDs im Paket zu kaufen, relativiert sich die Konfusion<br />

wieder. Das essentielle Frühwerk <strong>von</strong> DISCHARGE hat<br />

man mit diesen Rereleases jedenfalls annähernd komplett,<br />

und was die <strong>von</strong> diversen Ab- und Zugängen geplagte Band<br />

dann ab Mitte der Achtziger so trieb, ist eigentlich nur noch<br />

am Rande interessant, weil es im Vergleich zum brutalen,<br />

rauhen und innovativen Frühwerk letztlich eher konventioneller<br />

Metal war. Erst ab 2002 wurde es wieder interessant,<br />

das Comeback und das titellose Album konnten annähernd<br />

an die alten Zeiten anknüpfen. (10) Joachim Hiller<br />

D.O.A.<br />

Punk Rock Singles 1978-99 CD<br />

captainoi.com/Cargo | Wer bislang angesichts der Vielzahl<br />

<strong>von</strong> D.O.A.-(Re-)Releases unschlüssig war, wo sich<br />

denn ein Einstieg in das Universum der kanadischen Ur-<br />

Punks lohnt, bekommt<br />

eine Entscheidungshilfe:<br />

diese CD, die chronologisch<br />

21 Jahre Bandgeschichte<br />

abdeckt, ist<br />

der perfekte Einstieg. Erscheinen<br />

sonst alle Releases<br />

auf dem bandeigenen<br />

Label Sudden Death,<br />

so wurde diese Compilation<br />

an Captain Oi! „ausgeliehen“<br />

und verschafft<br />

anhand <strong>von</strong> 26 Single-<br />

Tracks einen exzellenten<br />

Überblick über das Schaffen der Formation aus Vancouver,<br />

deren charismatischer Frontmann Joe „Shithead“ Keithley<br />

einst den Begriff „Hardcore“ erstmals als Genrebezeichnung<br />

gebrauchte und deren ideeller Rahmen durch den<br />

auf dem Cover abgedruckten Claim „No God, No Country,<br />

No Lies“ abgesteckt wird. Hier gibt es also – ganz undogmatisch<br />

– die reine Hardcore-Punk-Lehre, und natürlich<br />

sind die ganzen Klassiker dabei, etwa „Disco sucks“, „World<br />

War 3“, „Fucked up Ronnie“, „General strike“ und „Dead<br />

men tell no tales“. Im Booklet gibt’s Abbildungen aller Singlecover<br />

sowie ausführliche Linernotes <strong>von</strong> Joe selbst – ein<br />

Pflicht-Release für alle, die bislang noch keine Platte <strong>von</strong><br />

D.O.A. im Schrank stehen haben. (68:01) (9)<br />

Joachim Hiller<br />

DEATH VESSEL<br />

Stay Close CD<br />

All Tomorrows Parties | Neuauflage eines bereits 2005<br />

veröffentlichten Albums der Country-Folk-Band, die inzwischen<br />

auf Sub Pop ist und zuletzt mit LOW auf Tour<br />

war. Nach zwei eher gequälten Folknummern zu Beginn<br />

versöhnt dann der dritte Track etwas, bei dem endlich mal<br />

die elektrische Gitarre zum Einsatz kommt, ebenso wie<br />

der Track danach, wo man dann auch mal ein Schlagzeug<br />

hört und DEATH VESSEL nach einer richtigen Countryband<br />

klingen, die allerdings den Song durch Elektronikeinlagen<br />

seltsam aufbrechen. Eine in Teilen nicht uninteressante<br />

Platte, vor allem wenn die Songs einen kompletten<br />

Bandsound besitzen wie beim sehr schönen, hymnischen<br />

„Snow don’t fall“, die aber mit allzu viel folkigem<br />

Lagerfeuer-Gedudel meine Geduld etwas überstrapaziert.<br />

Am irritierendsten dürfte hier aber sein, dass Singer/Songwriter<br />

Joel Thibodeau, der maßgeblich hinter DEATH VES-<br />

SEL steckt, wie ein pubertierendes Mädchen singt, so als ob<br />

der Herr den Stimmbruch übersprungen hätte, was „Stay<br />

Close“ allerdings auch nicht gerade überzeugender macht.<br />

(5) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />

EPILEPTICS<br />

System Rejects CD<br />

overgroundrecords.co.uk | Und noch mehr Anarchopunk-Archäologie<br />

aus dem Hause Overground: Bei den<br />

EPILEPTICS handelt es sich um die Vorgängerband <strong>von</strong><br />

FLUX OF PINK INDIANS. Die wurde 1978 gegründet, im<br />

gleichen Jahr fand ein erstes gemeinsames Konzert mit<br />

CRASS statt, und das war der Beginn einer langen Freundschaft,<br />

die auch nach dem Ende der einen Band und der<br />

Fortführung unter neuem Namen Bestand hatte. Auf dieser<br />

CD finden sich nun 28 Songs aus den Jahren 1978 und<br />

1979, Demo-, Single- und Live-Tracks in rauher, aber<br />

okayner Qualität, und wer Fan <strong>von</strong> FLUX OF PINK INDI-<br />

ANS (und CRASS) ist, sollte zugreifen, ist der stakkatohafte,<br />

typisch britische Sound jener Bands doch bereits hier in<br />

der Frühphase dominierend. Kommt mit dickem Booklet<br />

voller Fotos und mit ausführlicher Bandhistory. (7)<br />

Joachim Hiller<br />

ESCALATORS<br />

Live In Le Havre 1983 CD<br />

Anagram | Frontman der ESCALATORS ist Nigel Lewis.<br />

Dieser ist, gewollt oder nicht, eine Psychobilly-Legende.<br />

Er war Mitgründer der METEORS und neben P Paul Fenech<br />

der Songwriter. Die Gründe der Trennung sind nebulös<br />

geblieben und nie wirklich öffentlich geworden. Vergleicht<br />

man den weiteren Weg der beiden, sind musikalische Differenzen<br />

ein denkbarer Grund. Fenech hat mit der Entwicklung<br />

des puren Psychobilly großen Anteil an der Gründung<br />

einer ganzen Szene. Die Stücke <strong>von</strong> Lewis sind zwar sicher<br />

auch Klassiker, aber nicht richtungsweisend. Die hier vorliegenden<br />

Live-Aufnahmen seiner nächsten Bands enthalten<br />

seine METEORS-Tracks und diese sind auch eindeutig<br />

die stärksten Songs. Der Rest bewegt sich mehr in Richtung<br />

Wave. Da die Aufnahme leider sehr mäßig ist, ist eine bessere<br />

Beurteilung des Materials nicht möglich. (43:38) (3)<br />

Robert Noy<br />

ELEMAE<br />

Popular Misconceptions Of Happiness CD<br />

Engineer/Embrace | Schon in Ox #61 stimmte ich einen<br />

Lobgesang dieses Album betreffend an und argumentierte,<br />

ELEMAE hätten „mit ‚Popular Misconceptions Of Happiness‘<br />

ein wunderbares Album geschrieben, welches sie, da<br />

hat der Promowisch recht, völlig über die üblichen Verweise<br />

stellt. ELEMAE haben wirklich zu eigener Größe gefunden.<br />

Ihr Postcore ist melodisch, poetisch und ein wenig<br />

ruhiger geworden, hat aber nichts an Eleganz und Hymnenhaftigkeit<br />

eingebüßt. Vergesst Schubladen und Etiketten,<br />

ELEMAE haben ein wunderschönes Album geschrieben,<br />

das teils <strong>von</strong> Melancholie, teils <strong>von</strong> Euphorie lebt, aber<br />

immer mitreißend und beeindruckend ist. Allerdings sind<br />

die neuen Lieder schon eher was für die ruhigeren Gemüter,<br />

denn wer Krach oder dröhnende Amps erwartet, der<br />

wird sich hier wohl eher missverstanden fühlen, wenn er<br />

hier auf Blues-Schemata und einfühlsame Kompositionen<br />

stößt.“ Neu sind die zwei Bonus-Songs, der fünfzehnminütige<br />

Film mit diversen Clips und Interviews, sowie die<br />

Verpackung als Digipak. Weiterhin ein absolutes Highlight<br />

im Postcore-Bereich. (8)<br />

<strong>Thomas</strong> Eberhardt<br />

EARTH<br />

Hibernaculum CD+DVD<br />

southernlord.com/Soulfood | Mit „Hibernaculum“ ist<br />

die Verwandlung perfekt. Dass EARTH seit ihrer Wiedergeburt<br />

2002 nicht die EARTH der frühen Neunziger sind, hat<br />

ja bereits das 2005 ebenfalls<br />

auf Southern Lord<br />

veröffentlichte Album<br />

„Hex; Or Printing In The<br />

Infernal Method“ eindeutig<br />

gezeigt. Mastermind<br />

Dylan Carlson hat<br />

Blues, Country und Americana<br />

für sich entdeckt<br />

und diese neuen alten<br />

Einflüsse perfekt in den<br />

<strong>von</strong> ihm quasi erfundenen<br />

Dronerock (oder<br />

meinetwegen auch Drone<br />

Doom oder Drone Metal oder was auch immer) integriert.<br />

Diese neue Herangehensweise an seine (mittlerweile<br />

wieder völlig) instrumentale Ultraslow-Musik macht<br />

es dem Hörer einfacher, sich in Carlsons Klangwelten zurechtzufinden,<br />

erinnert das doch immer wieder an das, was<br />

Neil Young für den „Dead Man“-Soundtrack schrieb. Für<br />

„Hibernaculum“ hat Carlson nun drei alte EARTH-Songs<br />

aus den frühen Zeiten im aktuellen Soundgewand neu aufgenommen<br />

und diese Neuinterpretationen funktionieren<br />

dann auch ganz hervorragend. Beinahe schon verträumt<br />

und trotz aller Melancholie und dunkler Töne in keiner<br />

Weise düster oder gar verstörend, wirkt „Hibernaculum“<br />

eher wie ein sonniger Herbstnachmittag: Traurig, aber<br />

schön. Perfekt dazu passend, der vierte Song „A Plague Of<br />

Angels“, den es bisher nur auf der raren Tour-only-Split-<br />

12“ „AngelComa“ mit SUNN O))) <strong>von</strong> 2006 gab. Ergänzt<br />

wird „Hibernaculum“ durch eine gut einstündige DVD, die<br />

neben Livemitschnitten <strong>von</strong> der 2006er Europatour auch<br />

Interviews mit hauptsächlich natürlich Carlson, aber auch<br />

mit Schlagzeugerin Adrienne Davies beinhaltet. Interessant<br />

dabei ist vor allem Carlsons Erklärung des Konzepts,<br />

das er mit EARTH verfolgt, die er trotz aller Experimente,<br />

dem Hang zu beinahe unerträglicher Langsamkeit und einer<br />

dadurch resultierenden Nähe zur Avantgarde, in erster<br />

Linie als Rockband sieht, was er auch so beibehalten will.<br />

(9) André Bohnensack<br />

EARLY HOURS<br />

Light Guitars Action CD<br />

offthehip.com.au | Wenn sich irgendwo auf der Welt noch<br />

jemand an die EARLY HOURS aus einem abgelegenen Vorort<br />

<strong>von</strong> Perth, Australien erinnert, dann wohl Konzertbesucher<br />

aus Deutschland und Frankreich. Zwei Europatouren<br />

mit der Mehrheit der Shows in diesen beiden Ländern absolvierte<br />

die 1993 gegründete Band Mitte/Ende der Neunziger,<br />

und auch wenn sie aus dem westaustralischen Garagenpop-Mekka<br />

Perth kam, so existierte die Band in ihren<br />

Anfangstagen – ich beziehe mich da auf die ausführlichen<br />

Linernotes <strong>von</strong> David und Julie <strong>von</strong> Spinning Top/Zip Records<br />

– doch völlig losgelöst <strong>von</strong> der örtlichen Garage-Szene.<br />

Im Beinahe-Niemandsland entwickelte die Band um<br />

den hünenhaften Frontmann und Gitarrist Kirk Pohl ihren<br />

speziellen, sehr druckvollen, lauten Garage-Powerpop,<br />

der nach der selbstveröffentlichten „Top 10 Hits“-CD in<br />

Mini-Auflage in Deutschland via Twang Records auch auf<br />

Vinyl erhältlich war, ergänzt um zwei Bonus-Songs. 1996<br />

erschien dann auf Screaming Apple Records die „I’m Drained“-7“,<br />

und ein Jahr später das zweite Album „Evolution“<br />

(in Europa auf dem französischen Hellfire Club-Label als<br />

Doppel-7“). 1998 tourten die EARLY HOURS dann noch<br />

einmal, spielten 45 Shows in 60 Tagen, doch zurück in Australien<br />

war dann Mitte 1999 alles vorbei, und die Bandmitglieder<br />

zerstreuten sich in alle Welt. Dank Mickster <strong>von</strong><br />

Off The Hip allerdings wird das hörenswerte Vermächtnis<br />

der Nachwelt erhalten, denn auf dieser CD gibt’s alle Album-<br />

und 7“-Tracks in geballter Form. Ich sage: zugreifen!<br />

(71:02) (8) Joachim Hiller<br />

F-SPACE<br />

Preliminary Impact Record CD<br />

mobilization.com | Aus dem Jahre 2003 stammt das Album<br />

<strong>von</strong> F-SPACE, der weitgehend instrumentalen Zweitband<br />

<strong>von</strong> Ethan James <strong>von</strong> SAVAGE REPUBLIC, der auch das<br />

Mobilization-Label betreibt, wo die SR-Rereleases erschienen<br />

sind. Sein Labelpartner Scot Jenerik ist ebenfalls in der<br />

Band, neben CHROME-Drummer Aleph Kali und teilweise<br />

Joel Connell <strong>von</strong> MAN IS THE BASTARD. Die Obsession<br />

der Band: mächtige Percussion, an Glenn Branca erinnernde<br />

Gitarren-Soundwände – und Feuer. Zu den Live-<br />

Shows der „Industrial Pyro Punks“ gehören beeindruckende<br />

Feuerspuck-Aktivitäten, und zusammen mit der<br />

schon aus der Konserve betörenden, drohenden, ja beängstigenden<br />

Musik ergibt das laut Augen- und Ohrenzeugen<br />

ein oft als „apokalyptisch“ beschriebenes Erlebnis. Die Parallelen<br />

zu SAVAGE REPUBLIC sind dabei unübersehbar,<br />

wobei jene eher tribalistisch und kleinteilig arbeiten, während<br />

hier die großen, monumentalen Klangbögen vorherrschen,<br />

man den Spacerock <strong>von</strong> CHROME ebenso heraushören<br />

kann wie die breitwandigen Noisewände <strong>von</strong> NEU-<br />

ROSIS, ISIS und Co. Auf jeden Fall die Entdeckung wert!<br />

(63:42) (8) Joachim Hiller<br />

GUANA BATZ<br />

Get Around CD<br />

Anagram | GUANA BATZ gehören eindeutig zu den großen<br />

Bands der Psychobilly-Szene. Musikalisch hatte die<br />

Band um Sänger Pip aber bereits seit Mitte der Achtziger<br />

nicht viel Neues zu bieten. Aus dieser Zeit stammen ihre<br />

Hits, die sie heute immer noch als Headliner auf Festivals<br />

live hervorragend rüber bringen. Immer sehenswert, keine<br />

Frage. „Get around“ ist 1993 veröffentlicht worden und<br />

enthält keine Hits. Hier wird harmloser, etwas schnellerer<br />

Rockabilly ohne Schwung geboten. Die schwache Abmischung,<br />

mit einer leisen Stimme, gibt den Songs den Rest.<br />

Überflüssige Platte und vielleicht der Grund, warum sie<br />

seit dem nichts mehr Neues veröffentlich haben. Ihre Kreativität<br />

ist schon vor langer Zeit ausgereizt worden. Zur<br />

OX-FANZINE 72

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