REvIEWS - Webseite von Thomas Neumann
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Alben 82<br />
Playlists 83<br />
Leser- & Verkaufscharts 83<br />
Top Of The Ox 85<br />
Singles 86<br />
Games 90<br />
Die Bands der Ox-CD 91<br />
Re-Releases 92<br />
Demos 98<br />
Sampler & Compilations 100<br />
DVDs 102<br />
Comics 108<br />
Fanzines 112<br />
Movies 113<br />
Literatur 116<br />
DIE ABKÜRZUNGEN<br />
LP = LP, 7” = Single, CD = CD, MCD = CD-Maxisingle,<br />
2LP = Doppel-LP, 2CD = Doppel-CD<br />
DIE BEWERTUNGSSKALA<br />
10 Ein (zukünftiger) Klassiker.<br />
9 Eine „Platte des Jahres“.<br />
8 Überdurchschnittlich gut.<br />
7 Rundum gelungen.<br />
6 Okay, ohne Höhen und Tiefen<br />
5 Einfach durchschnittlich<br />
4 Kann man noch durchgehen lassen<br />
3 Rumdum schwach<br />
2 Wirklich schlecht<br />
1 Schrott der allerübelsten Sorte<br />
50 LIONS<br />
Where Life Expires<br />
CD | Six Feet Under | sixfeetunderrecords.com |<br />
25:07 || Die Australier 50 LIONS geben auch auf ihrem<br />
„Time Is The Enemy“-Nachfolger “„Where Life Expires“<br />
mächtig Gas und knüppeln sich in nur knapp über 25<br />
Minuten durch die elf neuen Songs. Klar, dass dabei ein<br />
gewisser Bollo-Faktor nicht <strong>von</strong> der Hand zu weisen ist.<br />
Das ist nicht zuletzt aber auch den eindeutig vorhandenen<br />
Parallelen zu INTEGRITY zu zuschreiben, bei welchen<br />
man jedoch auf filigran frickelnde Sologitarren verzichtet<br />
und stattdessen mehr auf die pumpenden Riffs und aggressiven<br />
Gangshouts setzt, für die seinerzeit schon Dwid und<br />
Co. bekannt und groß wurden. Wie auch schon auf dem<br />
Vorgänger geht innovativ demnach vollkommen anders,<br />
jedoch ist mir eine gute Kopie immer noch tausendmal<br />
lieber als ein schlechtes Original. (6) Jens Kirsch<br />
1328<br />
Music For The Drinking Class<br />
CD | 1328-beercore.de | 41:01 || Juchu, darauf habe<br />
ich gewartet. Sind bei vielen Punkbands Texte übers Saufen<br />
ja eigentlich Gang und Gebe, kommen die Münchner hier<br />
mit feinstem Hardcore daher. Die Musik ist echt cool und<br />
hat einen schnellen Achtziger-Einschlag. Absolut metalfrei<br />
und nicht ein Stück langweilig. Gefällt mir unwahrscheinlich<br />
gut! Doch leider kommen wir jetzt zu den Texten.<br />
Gut,wer sich nach dem Gründungsjahr des Augustiner<br />
Biers benennt wird mit SxE nicht soooviel am Hut haben.<br />
Mit Beercore als Genre wird die Marschrichtung vorgegeben.<br />
Und da ich pathetisch bin und Straight Edge, finde ich<br />
dann auch die Textzeilen über SxE ziemlich panne. Kurz<br />
zusammengefasst, bin ich wahrscheinlich zu humorlos,<br />
um das alles lustig zu finden. Kleines Schmankerl am Ende<br />
der CD: drei Münchner Bands covern 1328 und zollen den<br />
Bierhelden Tribut. (6) Sebastian Walkenhorst<br />
1984<br />
Territory<br />
MCD | Snow White | snowwhite.de | 7:47 || Nach<br />
einem brillanten Debütalbum in Gestalt <strong>von</strong> „Open Jail“<br />
aus dem Jahre 2008 melden sich die Franzosen 1984 aus<br />
Strasbourg nun mit „Territory“ zurück. Und immer noch<br />
spielen sie einen treibenden und Chorus-geladenen Post-<br />
Punk und Wave-Rock par excellence. Man darf annehmen,<br />
dass sich auch 1984 über das gerade erschienene<br />
KILLING JOKE-Album in Originalbesetzung freuen dürften,<br />
denn der Bass auf „Territory“ hat einiges, was an die<br />
„Wardance“-Zeiten <strong>von</strong> KILLING JOKE erinnert. Leider<br />
diesmal nur zwei Songs, aber diese nähren die Hoffnung,<br />
dass das nächste Album wieder ein großartiges wird. (8)<br />
Markus Kolodziej<br />
ACTRESS<br />
Glacier<br />
LP | Shark Men | myspace.com/sharkmenrecords ||<br />
„Glacier“ ist gerade erst frisch aus dem Presswerk, da sind<br />
ACTRESS auch schon wieder Geschichte. Hinterlassen hat<br />
OX-FANZINE 82<br />
EIN pAAR WoRTE ZU UNSERER SKALA<br />
Wir werden immer wieder darauf angesprochen, dass zu<br />
viele Platten gut bewertet werden. Dazu ist zu sagen: Da wir<br />
schon im Vorfeld die nicht mal ansatzweise ins Heft passenden<br />
Platten aussortieren, fallen viele Kandidaten für<br />
eine Wertung unter 5 schon <strong>von</strong> vornherein weg. Dazu<br />
kommt, dass wir versuchen, jede Platte einem Spezialisten<br />
für das entsprechende Genre zuzuteilen, was den Notenschnitt<br />
erfahrungsgemäß ebenfalls anhebt. Und: Wenn<br />
mal wieder der Platz eng wird, fliegen die miesen Platten<br />
als erstes raus – und die guten bleiben. Abgesehen da<strong>von</strong>:<br />
Alles ist subjektiv, auch unsere Bewertungen. Und fehlt<br />
eine Note, wollte der Autor keine vergeben, was aber nicht<br />
bedeutet, dass die Platte schlecht ist.<br />
UNSERE REvIEW-poLITIK<br />
Wir besprechen jeden Tonträger, der im weitesten Sinne in<br />
unser Heft passt. Einen Anspruch auf Rezension gibt es aber<br />
nicht, und wir behalten es uns vor, Tonträger unrezensiert<br />
in unsere „Kiste des Grauens“ auszusortieren.<br />
Grundsätzlich bestehen wir auf der Zusendung kompletter<br />
Releases, das heißt „nackte“ gebrannte CDs ohne<br />
Cover etc. werden nicht berücksichtigt bzw. nur dann,<br />
wenn wir sicher gehen können, dass wir auch die fertige<br />
CD geschickt bekommen. Auf keinen Fall besprechen wir<br />
CDs mit ausgeblendeten Stücken sowie wie mit Watermark<br />
versehene CDs. Letztere werden <strong>von</strong> uns ohne Kommentar<br />
als unfreie, versicherte Pakete an das Label zurückgeschickt.<br />
Außerdem besprechen wir prinzipiell keine Releases,<br />
die bloß als Stream oder Download vorliegen.<br />
Noch mEhR <strong>REvIEWS</strong> GEfäLLIG?<br />
Unter www.ox-fanzine.de gibt’s über 29.000 Reviews aus<br />
über 60 Ausgaben, alphabetisch und nach Ausgabe geordnet,<br />
und teilweise sogar noch mehr Reviews als sich im<br />
Heft finden, denn oft können wir einfach nicht alles unterbringen.<br />
Das Ganze mit komfortabler Suchfunktion nach<br />
Bandname, Plattentitel und Label.<br />
man auf vorliegender Platte die gesamte Diskografie, deren<br />
Qualität unfassbar beeindruckend ist. Hier waren echte<br />
Musiker am Werk, die neben den spielerischen Fähigkeiten<br />
durch ein unfassbares Gespür für ein fesselndes Songwriting<br />
staunend aufhorchen lassen. Irgendwo zwischen<br />
BOTCH, CONVERGE und ED GEIN angesiedelt und mit<br />
diversen postrockaffinen Elementen versehen peitschen<br />
die drei Musiker sich durch ihre Songs und dem Hörer<br />
stellt sich unweigerlich die Frage, wohin wäre die Reise<br />
für ACTRESS wohl noch gegangen? Erst recht aufgrund<br />
der Tatsache, dass es diese großartige Band nicht mehr gibt,<br />
werde ich diese Platte in Ehren halten und sicherlich noch<br />
sehr oft auf den Plattenteller legen. Ganz großes Kino! (9)<br />
Jens Kirsch<br />
AAA<br />
THE AUDITION<br />
Great Danger<br />
CD | Victory | victoryrecords.com || Mit dem mittlerweile<br />
vierten Album, auch diesmal wieder auf Victory,<br />
beweisen THE AUDITION eindrucksvoll, dass sie sich vom<br />
Support-Act zur ernst zu nehmenden Hauptband entwickelt<br />
haben, für die es sich lohnen würde, den Weg zum<br />
Club seines Vertrauens anzutreten. Musikalisch hat sich<br />
auch auf „Great Danger“ nicht allzu viel geändert, aber<br />
warum auch? Die ohnehin schon gut funktionierenden<br />
Versatzstücke aus FALL OUT BOY und meinetwegen ALL<br />
TIME LOW sind nochmal verfeinert worden und machen<br />
das Album zu einer mit Hooklines und Singalongs geladenen<br />
Granate, die den dreckigen deutschen Winter endgültig<br />
in die Annalen der Geschichte bomben könnte. Der<br />
Sommer kann kommen. (7) David Schumann<br />
AMARI<br />
Poweri<br />
CD | Labile | labile.net | 44:31 || „Wrong Pop Music“<br />
aus Madrid. AMARI mixen auf ihrem siebten Album ziemlich<br />
unkonventionell, aber erstaunlich gut klingend, Elemente<br />
aus Indie, Dance, Rock, Folk. Pop und Rap. Abwechslungsreich,<br />
eingängig, dröhnend, melodisch – hier ist alles<br />
möglich. Das kann der neue Disco-Sound werden. Und die<br />
Attitüde stimmt auf den ersten Blick auch. (8)<br />
Christoph Parkinson<br />
AYS<br />
The Path Of Ages<br />
MCD | Cobra X | myspace.com/cobraxrecords |<br />
10:46 || Als die Band aus Wegberg (mit Postadresse in<br />
Düsseldorf) 2008 ihr Debüt auf Field Of Hope veröffentlichte,<br />
kürzten sie ihren Namen noch nicht mit AYS ab,<br />
sondern schrieben ihn AGAINST YOUR SOCIETY aus. Jetzt,<br />
auf dieser als 7“ und MCD veröffentlichten 6-Song-EP, findet<br />
sich allenthalben nur die klassische Drei-Buchstaben-<br />
Abkürzung. Keiner der Songs läuft länger als knapp über<br />
zwei Minuten, doch martialische Bolzer sind die Nummern<br />
dennoch nicht, sondern vielmehr sehr wuchtig<br />
produzierte, düstere Hardcore-Brecher, die sich <strong>von</strong> den<br />
Youthcrew-Songs der Frühphase klar in eine Richtung<br />
entwickelt haben, in die einst in den Neunzigern INTEG-<br />
RITY gingen. Mit plumpem Metal(core) hat das dennoch<br />
nichts zu tun, es ist einfach der gelungene, beeindruckende<br />
Versuch, ganz klassischen Hardcore in Richtung maximale<br />
Härte zu intensivieren. Neues Album demnächst, auch auf<br />
Cobra X Records aus dem Ruhrgebiet. (8) Joachim Hiller<br />
ALL TIME LOW<br />
MTV Unplugged<br />
CD | Hopeless | hopelessrecords.com || Es gab mal<br />
eine Zeit, da galt es als musikalischer Ritterschlag, wenn<br />
MTV einen zu seiner berühmten Unplugged-Session einlud.<br />
Ich glaube, DASHBOARD CONFESSIONAL war damals<br />
die erste Band aus dem Emo-Kosmos, der diese Ehre<br />
zuteil wurde, obwohl man über Sinn und Unsinn, eine<br />
sowieso hauptsächlich akustisch spielende Band zu einer<br />
Unplugged Session zu bitten, natürlich diskutieren kann.<br />
Seitdem hat allerdings inzwischen jede Pop-Punk/Emo-<br />
Band, die etwas auf sich hält, Schubladen voller akustischer<br />
Versionen ihrer Album-Songs, die in der Regel auf B-Seiten<br />
<strong>von</strong> Single-Auskopplungen verheizt werden und niemanden<br />
so wirklich interessieren. Vor diesem Hintergrund<br />
kann man natürlich auch über den „MTV Unplugged“-<br />
Auftritt <strong>von</strong> ALL TIME LOW, einer der definitiv besseren<br />
Pop-Punk-Bands der letzten Jahre, sprechen, der soeben<br />
via Hopeless Records unters Volk gebracht wird. Sechs<br />
Songs aus allen Schaffensphasen sind auf der CD zu hören,<br />
bei der alle F-Wörter schön MTV-gerecht ausgeblendet<br />
und die Songs ansonsten kaum verändert wurden. Für Fans<br />
<strong>von</strong> Unplugged-Events empfehlenswert, ansonsten eigentlich<br />
eher überflüssig. (6) David Schumann<br />
ATTACK IN BLACK<br />
Years (By One Thousand Fingertips)<br />
CD | Dine Alone/Soulfood | dinealonerecords.com<br />
| 51:43 || Mit ihrem 2007er Release „Marriage“ (welches,<br />
wie auch das aktuelle Album, in Deutschland erst ein<br />
Jahr später veröffentlicht<br />
wurde) schuf das Quartett<br />
aus Welland, Ontario/Kanada<br />
ein Album,<br />
das für viele – nicht nur<br />
laut Infozettel – genau<br />
die Platte war, die Bands<br />
wie GET UP KIDS,<br />
JIMMY EAT WORLD und<br />
DEATH CAB FOR CUTIE<br />
seit Jahren nicht veröffentlicht<br />
haben. „Marriage“<br />
ist und bleibt jedoch<br />
bewusst ein Unikat im<br />
musikalischen Kosmos <strong>von</strong> ATTACK IN BLACK. Nahmen<br />
mich ATTACK IN BLACK bei „Marriage“ direkt mit auf ihre<br />
Reise, stand ich bei „Years ...“ erstmal lange mit erhobenem<br />
Daumen am Straßenrand und wartete 16 Songs lang,<br />
um mitgenommen zu werden. „Years ...“ geht weiter in die<br />
musikalische Richtung, die die Kanadier bereits mit dem in<br />
nur drei Tagen eingespielten Album „Curve Of The Earth“<br />
einschlugen. Entspannte Lo-Fi Sounds vermischen sich<br />
mit experimentellem – teilweise psychedelischem – Indie,<br />
der im Singer/Songwriter-Gewand geschmückt, mit Folk<br />
liebäugelt. Sicherlich kann man dieses Album nicht mit<br />
„Marriage“ vergleichen, zu unterschiedlich sind beide<br />
Werke, doch nachdem ich wusste was mich hier erwartet,<br />
offenbarte sich für mich Mal für Mal die Schönheit<br />
des hier fast einstündig gebotenen Musikerlebnisses. Als<br />
Band hat man es immer schwer, wenn man nicht an einem<br />
Sound festhält und so wird „Years ...“ auch sicher nicht nur<br />
Fans haben. Mir jedenfalls ist die Platte ans Herz gewachsen<br />
und trotz mancher Längen freue ich mich nach dem Ausklingen<br />
der letzten Töne <strong>von</strong> „The surface I would travel“<br />
bereits darauf, den Playknopf ein weiteres Mal zu betätigen.<br />
(8) Tim Masson<br />
A WEATHER<br />
Everyday Balloons<br />
CD | Team Love | team-love.com | 51:15 || Da gibt<br />
es ganz feine Spannungen, die das zweite Album der Portlander<br />
A WEATHER so interessant und hörenswert machen.<br />
Nach Beiläufigkeit hören sich die intim produzierten kleinen<br />
Poprock-Songs zunächst an, ein wenig wie CALLIOPE<br />
auf ihrem übersehenen „(In)Organics“-Album. Keine großen<br />
Gesten, kein Aufbäumen, keine Aufsehen erregenden<br />
Brüche. Aber da sind doch die kleinen Akzentuierungen<br />
und melodischen Kniffe in den behutsam geschriebenen<br />
Songs, der zweistimmige Gesang und eine bestenfalls betörende<br />
Sanftheit, die die Songs so fesselnd werden lassen. Da<br />
muss man ein wenig Ruhe mitbringen und Gelassenheit,<br />
um sich auf das funkelnde Kleinod einzulassen.(8)<br />
Christian Maiwald<br />
ADOLAR<br />
Schwörende Seen, ihr Schicksalsjahre!<br />
CD | Unterm Durchschnitt | unterm-durchschnutt.<br />
de | 36:25 || Diese Band erwischt einen verdammt<br />
nochmal auf dem falschen Fuß. Denn dass Musik so verschiedene<br />
Gefühle wie Fremdscham und Enthusiasmus<br />
gleichzeitig auslöst, passiert nun wirklich nicht allzu oft.<br />
<strong>REvIEWS</strong><br />
Aber das macht das ganze Album mit diesem beknackten<br />
Titel aus: die deutschen Texte sind fast ohne Ausnahme<br />
höchstpeinlich und in Kombination mit dem totgeglaubten<br />
Schrei/Melodie-Wechsel im Gesang verbinden sie<br />
bis auf wenige konfuse Stellen mit Sprechgesang sämtliche<br />
Emo-Klischees. Das Schlimme ist, so sehr man sich<br />
dagegen wehrt, „Schwörende Seen, ihr Schicksalsjahre!“<br />
ist ein wirklich großartiges Album. Auch wenn man an<br />
bestimmten Stellen ganz schlimme Gänsehaut bekommt,<br />
der Druck, die technische Ausgefeiltheit und die Liebe zur<br />
Musik dieser noch sehr jungen ADOLAR ist eine Meisterleistung.<br />
Und die Maxima ziehen sich durch alle zehn<br />
Songs: Songwriting, durchdacht bis ins kleinste Detail,<br />
orchestrale Hymnen mit Kirchenorgel, die QUEEN’sche<br />
Großkotzigkeit in der Weiterführung des Pop, aber der<br />
Druck <strong>von</strong> HiFi-Hardcore-Bands wie beispielsweise<br />
POISON THE WELL oder vielen Post-Rock-Bands. Und die<br />
Platte in einer Kirche aufzunehmen – erschreckend peinlich<br />
und doch ziemlich gut. (9) Christoph Schulz<br />
ALWAYS WANTED WAR<br />
Doom 3D<br />
CD | Tief in Marcellos Schuld | myspace.com/marcellosschuld<br />
| 18:41 || Dieses Kurzalbum <strong>von</strong> ALWAYS<br />
WANTED WAR beginnt tatsächlich ziemlich vernünftig:<br />
das hier klingt zunächst nach treibendem Metalcore, der<br />
so irgendwie gar nichts mit der mittlerweile aufgebauten<br />
Metalcore-Klischee-Welt zu tun haben will. Eigentlich<br />
ganz sympathisch also. Doch dann irgendwann fangen<br />
die Jungs aus Cuxhaven an, immer wieder seltsam deplatziert<br />
wirkendes Melody-Punk-Geballer in die Songs einzubauen.<br />
Das sowie eine über die Gesamtspieldauer unklar<br />
wahrnehmbare Unreife hauen die Songs irgendwie komplett<br />
aus der Spur. Mich beschleicht das Gefühl, dass die<br />
Band sich nicht so richtig einig ist, in welche Richtung die<br />
Reise gehen soll. Auf Dauer ist das Ganze doch arg monoton<br />
und vorhersehbar. Mir ist durchaus bewusst, dass das<br />
jetzt wie eine etwas mühe- und ahnungslose Beschreibung<br />
klingt – aber im Falle dieser Scheibe ist einfach nicht mehr<br />
zu sagen. Konstantin Hanke<br />
ABSCESS<br />
Dawn Of Inhumanity<br />
CD | Peaceville | peaceville.com | 52:25 || Würfe<br />
man Chris Reifert und Danny Coralles vor, in ihrer Musik<br />
hätte sich seit den AUTOPSY-Anfängen Ende der Achtziger<br />
nichts Grundlegendes geändert, fassten sie das wohl als<br />
Kompliment auf, gerade mit Blick auf das, was sich heute<br />
so als Death Metal verkauft. Schließlich zogen die beiden<br />
einst aus, dem ihrer Meinung nach überproduzierten und<br />
massenkompatiblen Death Metal ihrer Kollegen ein räudiges<br />
und ekliges Etwas entgegen zu stellen. Seit 1994 tun<br />
sie dasselbe mit ABSCESS, nur in noch etwas dreckigerer<br />
Form (2009 gab es übrigens nach 15 Jahren Stille mit<br />
einer 7“ auch mal wieder ein Lebenszeichen <strong>von</strong> AUTO-<br />
PSY). Und so bleiben sie natürlich auch auf Album Nummer<br />
sechs wunderbar sturköpfig, scheren sich einen Dreck<br />
um die Moderne, schleppen und knüppeln sich durch eine<br />
Stunde primitiven – aber nicht dummen! – Death Metal.<br />
Brüder im Geiste sind da bekanntlich DARKTHRONE, die<br />
auf „Dawn Of Inhumanity“ im Hintergrund grölen durften.<br />
(8) André Bohnensack<br />
AGGROTRONIC<br />
Es ist die Kraft<br />
CD | Ecocentric / ecocentricrecords.com || Puh, das<br />
geht an die Substanz. Da braucht es mehr als Kraft, um diesen<br />
krassen Mix aus herbem 8-Bit-Gewitter, Nintendo-,<br />
Grind- und Hardcore durchzustehen. Aber wenn man<br />
gut gefrühstückt hat, hört sich die Sache auch schon ganz<br />
anders an. Struktur? Tradition? Konvention? Dem strecken<br />
die drei anmutig den Mittelfinger entgegen. Hinter dem<br />
infernalischen Trio verbirgt sich übrigens Alexandra Petrovics<br />
Schreiorgan (ex-BOLZ’N, CROWSKIN), Christian<br />
Bass (WHITE EYES, THE DESTINY PROGRAM) am Schlagzeug<br />
und John Dreisbach (SIDE PROJEKT) an den elektronischen<br />
Spielgeräten. Null Komma nix für schwache Nerven!<br />
(7) JeNnY Kracht<br />
ACID EATERS<br />
s/t<br />
MCD | myspace.com/theacideaters | 12:49 || Viele<br />
Italiener scheinen ja einen RAMONES-Schrein zu Hause<br />
zu haben, dem sie ausgiebig huldigen. Als Nebeneffekt<br />
kommen deshalb wohl zahlreiche Bands vom Schlage<br />
ACID EATERS aus dem Stiefelland. Die Jungs haben also<br />
die richtigen Vorbilder und leihen sich auch gerne mal<br />
etwas bei Landsleuten wie den SNAZZY BOYS, MANGES<br />
oder RETARDED. Der Sound ist gut, das Zusammenspiel<br />
aber weniger. Auch sind die sechs Songs ziemlich vorhersehbar<br />
und können über die Gesamtspielzeit keine echte<br />
Spannung aufbauen. Das Potenzial ist bei den ACID EATERS<br />
zweifellos vorhanden, aber sie müssen die Durchschlagskraft<br />
noch erhöhen. (5) Bernd Fischer<br />
A SAILOR’S GRAVE<br />
Set A Fire In Your Heart<br />
CD | Crazy Love | crazyloverecords.de | 37:50 ||<br />
Bandname, Albumtitel und Label weisen klar den Weg zur<br />
Schublade: Punk’n’Roll mit Slapbass. Anker, Tattoos und
Piratenromantik fürs Bühnenbild: fertig ist ein wilder<br />
Mix aus DEMETED ARE GO!, THE GRIT und HOT WATER<br />
MUSIC (HWM). Genau nach denen klingt der letzte <strong>von</strong><br />
elf Songs („Feeling better now“). Ganz typisch ist der eingängige<br />
Song mit seinen Effektspielereien (Gesang) und<br />
seiner extremen HWM-Nähe aber nicht für den Sound<br />
<strong>von</strong> Bob, Matt, Manning und Jay. Aber eben genau diese<br />
vorsichtigen Ausflüge in fremde musikalische Gewässer<br />
gefallen, denn im Großen und Ganzen ist das hier maximal<br />
solides Mittelfeld. Bedeutet: absolut nichts Neues, Riffs und<br />
Melodien sind wohlbekannt und man hört nahezu immer<br />
das gleiche Lied. Nur „London song“ verzichtet auf räudigen<br />
Punk, hat gar einen gewissen SMITHS-Touch. „Kill<br />
your radio“ kopiert die MISFITS und „Little fire“ VOICE<br />
OF A GENERATION (RIP). Es bleibt ein unschönes Gefühl<br />
wilder Kopiererei und der Unausgereiftheit. THE GRIT<br />
sind da schon eine andere Liga ... (6) Lars Weigelt<br />
APPALOOSA<br />
Savana<br />
CD | Urtovox | urtovox.it | 38:18 || Das dritte Album<br />
des musikalisch eigenständigen Quartetts aus Livorno, das<br />
seit zwölf Jahren international sein Unwesen treibt. Neun,<br />
fast durchgehend instrumentale, sehr atmosphärische<br />
Songs. Abwechslungsreiche Bassläufe, Keyboardsounds,<br />
elektronische Beats und Samples. Manche mögen so etwas<br />
zum Tanzen, andere als lockere Hintergrundmusik. Im Vergleich<br />
zu M2 bewegen sich APPALOOSA auf einem höheren<br />
Level, haben einen ganz anderen Anspruch und schaffen<br />
es, sich ins Gedächtnis einzuschleichen. Verbindungen<br />
zu anderen, gleichwertigen Bands herzustellen, ist nicht<br />
ganz einfach. Wer bessere Hintergrundmusik sucht, wird<br />
hier fündig. (7) Christoph Parkinson<br />
THE ALBUM LEAF<br />
A Chorus Of Storytellers<br />
CD | Sub Pop/Cargo | subpop.com | 49:48 || Da soll<br />
noch einer sagen, im Alter würde der Mensch sich gegen<br />
Veränderungen sperren. Jimmy LaValle zum Beispiel feiert<br />
mit THE ALBUM LEAF sein zehnjähriges Jubiläum. Dafür<br />
ist er <strong>von</strong> City Slang zu Sub Pop gewechselt und hat erstmals<br />
zugelassen, dass seine Live-Musiker mit ihm zusammen<br />
im Studio an neuen Songs arbeiten. Das war es aber<br />
auch schon mit den Neuerungen, denn an der Musik hat<br />
sich durch all das nichts geändert. Auch das Jubiläumsalbum,<br />
das fünfte insgesamt, ist eine entspannte Angelegenheit,<br />
voll <strong>von</strong> geduldig arrangierten, teilweise beinahe<br />
symphonischen Songs, die jedem Filmstudenten Tränen<br />
der Vorfreude entlocken würde. Ebenfalls geblieben ist der<br />
Wechsel zwischen Trip und Pop, der zwischen analog und<br />
digital. In dieser Hinsicht hat sich also seit dem Vorgänger<br />
„Into The Blue Again“ nicht viel getan, aber in diesem Fall<br />
ist das überhaupt nicht schlimm. „A Chorus Of Storytellers“<br />
ist ein Stimmungsalbum vom Feinsten, und so was<br />
kann Jimmy LaValle eben am besten. (8) Christian Meiners<br />
ARCHIE BRONSON OUTFIT<br />
Coconut<br />
CD | Domino | dominorecordco.com | 40:05 ||<br />
Bandinfos sind wie Verkehrsunfälle: Man will nicht hinschauen,<br />
man weiß, dass es nicht schön ist, aber so willig<br />
der Geist ist, so schwach<br />
ist das Fleisch – und so<br />
kämpft man sich dann<br />
einmal mehr durch völlig<br />
sinnfreie Floskeln,<br />
durch Sätze, die im englischen<br />
Original mal<br />
eine Bedeutung gehabt<br />
haben könnten, jetzt aber<br />
nur noch zu verwirrtem<br />
Stirnrunzeln führen.<br />
Aber egal, Musikrezensentenprobleme<br />
sind<br />
Luxusprobleme, was<br />
zählt, ist die Musik, die sich auf dem neuen Album des Londoner<br />
Trios findet, das sich für den Nachfolger <strong>von</strong> „Derdang<br />
Derdang“ vier Jahre Zeit gelassen hat – und vier Jahre<br />
sind eine lange Zeit in einem schnelllebigen Geschäft, und<br />
ein solches ist speziell der Pop-Betrieb im hypegeilen England<br />
– heute Helden, morgen vergessen. Welches Schicksal<br />
ABO erwartet? Man wird sehen, denn ARCHIE BRONSON<br />
OUTFIT machen es einem nicht leicht, stehen sie doch mit<br />
„Coconut“ knietief im Psychedelic-Schlamm und wühlen<br />
darin herum, dass es eine Freude ist. Mal blitzt eine Lou<br />
Reed-Reminiszenz auf, dann THE JESUS & MARY CHAIN<br />
oder SPACEMEN 3, Kaputt-Blues à la Jon Spencer, GUN<br />
CLUB, Americana, SUN DIAL – es ist ein ganzer Sack an<br />
Zutaten, der sich aus den Hosentaschen der Band ergießt<br />
wie die Pillenvorräte eines Polytoxomanen bei der Razzia<br />
– wer da wann wo was genommen hat, ist da auch vollends<br />
egal. Also Augen zu, Hand auf, ab in den Mund damit,<br />
schlucken – gute Reise. (8) Joachim Hiller<br />
ADMIRAL ANGRY<br />
A Fire To Burn Down The World<br />
12“ | Shelsmusic | shelsmusic.com | 23:41 || Es ist<br />
sicher kein feiner Zug, sich am Leiden anderer zu weiden;<br />
zu sagen, dass „A Fire To Burn Down The World“ eine<br />
unheimlich packende Vertonung <strong>von</strong> Wut und Trauer ist,<br />
im Wissen um den Tod eines Bandmitglieds, somit eigentlich<br />
pietätlos, aber eben zutreffend. Dass die verbliebenden<br />
Mitglieder der Band nach dem Tod <strong>von</strong> Gitarrist und Bandkopf<br />
Daniel Kraus, der kurz nach der Veröffentlichung des<br />
Debütalbums „Duster“ 2009 an Mukoviszidose verstarb,<br />
ihre Verzweiflung in Form dieser 1-Song-EP zu verarbeiten<br />
versuchten, hört man zu jeder Sekunde, hat der Verlust<br />
des Freundes ihrem Ultraslow-Sludge-Doom doch eine<br />
Intensität verliehen, die auf KHANATE-Niveau liegt. (8)<br />
André Bohnensack<br />
ANCHORS AWEIGH<br />
Written To Remind<br />
CD | myspace.com/anchorsawagharmy | 30:20 ||<br />
ANCHORS AWEIGH bleiben bei ihrem zweiten Album<br />
ihrer Coverart im Seefahrerstil treu. Man hat es hier mit<br />
guten Melodien, solidem Gesang, gut angeordneten<br />
Crewshouts und einer hochwertigen Produktion zu tun.<br />
Leider bleibt es bei solidem Melodic Hardcore, denn man<br />
hat die ganze Zeit das Gefühl, dass man das doch irgendwo<br />
schonmal (besser, aber natürlich auch schlechter) gehört<br />
hat. Der Funke will bei mir nicht überspringen. Im Großen<br />
und Ganzen eine solide Platte, ohne viele Überraschung,<br />
die trotzdem irgendwie Spaß macht. (6) Peter Nitsche<br />
ANIMA<br />
Enter The Killzone<br />
CD | Metal Blade | Metalblade.com | 40:38 || In<br />
Ox #80 hatte ich das Debüt der übel gelaunten Nordhäuser<br />
schon auf dem Tisch, so folgt nun konsequenter Weise<br />
der zweite Streich namens „Enter The Killzone“. Und dieser<br />
knüpft wirklich nahtlos an das akustische Gemetzel an.<br />
Wurde auf dem Debüt noch hier und da ein bisschen mehr<br />
schwedisches Todesblei verschossen, hat man jetzt Thors<br />
Hammer endgültig gegen die Keule mit dem rostigen<br />
Nagel getauscht. Definitiv wurde hier noch einmal eine<br />
Schippe an Härte und Brutalität draufgelegt. Der Name des<br />
Albums ist durchaus Programm und hat nicht selten den<br />
einen oder anderen Höhepunkt zu bieten. Meine Anspieltips<br />
„Welcome to our killzone“, „Loner’s reflection“ oder<br />
• ALKALINE TRIO This Addiction<br />
• SMOKE BLOW The Record<br />
• CONVERGE Axe To Fall<br />
• CUTE LEPERS Smart Accessoires<br />
• JELLO BIAFRA & THE GUANTANAMO<br />
SCHOOL OF MEDICINE The Audacity Of Hype<br />
SOUNDFLAT<br />
1. STAGGERS Go Go Gorilla 7“ | 2. KONGSMEN On<br />
Campus LP/CD | 3. WILD EVEL AND THE TRASHBO-<br />
NES Let’s Go Right Now 7“ | 4. SATELLITERS Lost In Time<br />
7“ | 5. MARCEL BONTEMPI Shag Rag 7“ | 6. STAGGERS<br />
Zombies Of Love LP | 7. IMPERIAL SURFERS Double<br />
Shot Of 1 & 2 Shot EP Lim. Ed. 2x7“ | 8. V.A. Sin-sa-tion!<br />
Vol.2 LP | 9. ATTENTION! s/t LP | 10. MONTESAS Aloha<br />
From Alpha-Centauri 10“/CD<br />
FLIGHT 13<br />
1. TURBOSTAAT Island Manöver LP/CD | 2. LEATHER-<br />
FACE The Stormy Petrel LP/CD | 3. OIRO Ozean der Anarchie<br />
7“ | 4. SMOKE BLOW The Record LP/CD | 5. JAW-<br />
Joachim Hiller<br />
In der Anlage: TINY GHOSTS Another Poison Wine | LEA-<br />
THERFACE The Stormy Petrel | RED SPAROWES The Fear Is<br />
Excruciating, But Therein Lies The Answer Die drei besten<br />
Punkrock-Songs überhaupt: SEX PISTOLS Anarchy in the<br />
UK | STOOGES Search & destroy | SLIME Deutschland muss<br />
sterben Das musst du gelesen haben: Stevie Chick: Spray<br />
Paint The Walls Bemitleidenswert: Stefan Uhl<br />
André Bohnensack<br />
In der Anlage: BLACK BONED ANGEL Verdun | DARKT-<br />
HRONE Circle The Wagons | FLESHIES Brown Flag Die drei<br />
besten Punkrock-Songs überhaupt: MISFITS Bullet |<br />
SNUFF Martin | THE UNDERTONES Teenage kicks Das musst<br />
du gesehen haben: ANVIL The Story Of Anvil Hassenswert:<br />
Das Verhältnis <strong>von</strong> Aufwand zum Ergebnis<br />
Jens Kirsch<br />
In der Anlage: SONIC YOUTH Dirty | SEED OF PAIN Blindfolded<br />
& Doomed | THE CURE Pornography Die drei besten<br />
Punkrock-Songs überhaupt: SAMIAM Good enough<br />
| CLASH Shoul I stay or should I go | HOT WATER MUSIC<br />
220 years Das musst du gesehen haben: Die beiden Drummer<br />
<strong>von</strong> TEPHRA live im Waldmeister, Solingen Hassenswert:<br />
Kung Fu auf Hardcore-Konzerten<br />
Arndt Aldenhoven<br />
In der Anlage: EDGE OF SANITY Purgatory Afterglow |<br />
CONVERGE Axe To Fall | ANGELS & AIRWAVES Love Die drei<br />
besten Punkrock-Songs überhaupt: SMOKE BLOW Am<br />
Strand | KASSIERER Mit meinem Motor | CLASH Should I<br />
stay or should I go Das musst du gelesen haben: Die vier<br />
Elling-Romane Liebenswert: Earl Hickey<br />
Claus Wittwer<br />
In der Anlage: NEIL YOUNG Prairie Wind | NANCY SINA-<br />
TRA AND FRIENDS Same | JOE STRUMMER & THE MESCA-<br />
LEROS Streetcore | Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt:<br />
alle auf dem ersten Album <strong>von</strong> THE CLASH Das musst<br />
du erfahren haben: alles, bei dem man meint, mitreden zu<br />
wollen. Hassenswert: Carglass repariert, Carglass tauscht aus.<br />
Jan-Niklas Jäger<br />
In der Anlage: PJ HARVEY White Chalk | JOY DIVISION The<br />
Best Of Joy Division | YEAH YEAH YEAHS Fever To Tell Die<br />
drei besten Punkrock-Songs überhaupt: RAMONES Judy is<br />
a punk | BUZZCOCKS You say you don’t love me | RICHARD<br />
HELL & THE VOIDOIDS Love comes in spurts Das musst du<br />
erfahren haben: Darth Vader ist Luke’s Vater Liebenswert:<br />
Regina Spektor<br />
Marcus Latton<br />
In der Anlage: KONG Snake Magnet | DILLINGER ESCAPE<br />
PLAN Option Paralysis | REFUSED The Shape Of Punk To<br />
Come Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt: RITES<br />
OF SPRING For want of | HOT WATER MUSIC God deciding |<br />
PROPAGANDHI Without love Das musst du gesehen haben:<br />
Lady Vengeance Liebenswert: Titanic-Abo<br />
Christian Maiwald<br />
In der Anlage: LITURGY Renihilation | THEE SILVER MT.<br />
ZION MEMORIAL ORCHESTRA Kollaps Tradixionales |<br />
SONIC YOUTH Rather Ripped Die drei besten Punkrock-<br />
Songs überhaupt: ZOUNDS Subvert | AT THE DRIVE-IN<br />
Ticklish | HÜSKER DÜ Celebrated summer Das musst du<br />
gelesen haben: alle Comics <strong>von</strong> Ruppert & Mulot Hassenswert:<br />
Klüngel<br />
Zahni Müller<br />
In der Anlage: A WILHELM SCREAM EP | AMULET Burning<br />
Sphere | ENDSTAND Never Fall Into Silence Die drei besten<br />
Punkrock-Songs überhaupt: UNDERTONES Teenage kicks |<br />
SEX PISTOLS God save the Queen | STIFF LITTLE FINGERS<br />
Suspect device<br />
Peter Nitsche<br />
In der Anlage: SUBLIME Gold | ABFUKK Asi. Arrogant. Abgewrackt<br />
Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt: NOFX<br />
Kill all the white men | MISCHIEF BREW Against | SUBLIME<br />
Poolshark Das musst du gesehen haben: Milles und mein<br />
Kickerspiel Liebenswert: Alte Freundschaften aufrechthalten<br />
Christin Pausch<br />
In der Anlage: STRIKE ANYWHERE Iron Front | POLAR<br />
BEAR CLUB Chasing Hamburg| NOFX Coaster Die drei besten<br />
Punkrock-Songs überhaupt: STRIKE ANYWHERE<br />
Chalkline | RISE AGAINST Give it all | GREEN DAY Basket<br />
case Das musst du gehört haben: Ich hab morgen Geburtstag.<br />
Liebenswert: David H.<br />
Kay Werner<br />
In der Anlage: DIE AERONAUTEN Hallo Leidenschaft | FLIP-<br />
PER Love | CHRISTINE KITTRELL Call Her Name Die drei<br />
besten Punkrock-Songs überhaupt: STOOGES Search and<br />
destroy | ADVERTS Gary Gilmore’s eyes | BUZZCOCKS Boredom<br />
Das musst du erfahren haben: UK SUBS mit geänderter<br />
Setlist auf Tour Liebenswert: Willie Mae „Big Mama“<br />
Thornton’s „Hound dog“<br />
Finn Quedens<br />
In der Anlage: MAKEOUTS In A Strange Land! | THE HOR-<br />
RIBLY WRONG s/t | TURN IT OFFS Too Much Static Die drei<br />
besten Punkrock-Songs überhaupt: TEENAGE HEAD Picture<br />
my face | LOLI & THE CHONES You’re so cool | WIPERS<br />
Window Shop for Love Das musst du gelesen haben: Snakepit<br />
Comics<br />
Myron Tsakas<br />
In der Anlage: MIDLAKE The Courage Of Others | SONS OF<br />
BILL One Town Away | JUPITER JONES Raum um Raum Die<br />
drei besten Punkrocksongs überhaupt: BOYSETSFIRE Rookie<br />
| MUFF POTTER Unkaputtbar PROPAGANDHI Stick the<br />
rEvIEws<br />
So funktioniert´s:<br />
• Wir wollen <strong>von</strong> euch wissen, welche 5(!) Platten momentan am häufigsten gehört werden. Wir stellen aus allen<br />
genannten Platten monatlich die Ox-Lesercharts zusammen und präsentieren diese auf www.ox-fanzine.<br />
de und dann alle zwei Monate auch an dieser Stelle.<br />
• Unter allen Mitmachenden verlosen wir jeden Monat diverse CDs, Platten, T-Shirts, Poster, etc.<br />
• Mitmachen unter www.ox-fanzine.de und da unter „Charts” oder via eMail an charts@ox-fanzine.de<br />
BREAKER Reissues LP/CD | 6. AERONAUTEN Hallo Leidenschaft<br />
LP/CD | 7. ALKALINE TRIO This Addiction<br />
2LP/CD | 8. VICTIMS FAMILY White Bread Blues LP+CD<br />
| 9. TEN VOLT SHOCK 78 Hours LP/CD | 10. JOHNNY<br />
CASH American VI LP/CD<br />
CORE TEX<br />
1. LEATHERFACE The Stormy Petrel CD | 2. FREDDY<br />
MADBALL Catholic Guilt CD 3. COCKNEY REJECT Fussball,<br />
Oi! und Krawalle Buch | 4. ANTICOPS Out In The<br />
Streets LP/CD | 5. KILLING TIME Three Steps Back LP/<br />
CD | 6. RADIO DEAD ONES Berlin City-EP 10“/CD | 7.<br />
SKARHEAD Drugs, Music & Sex LP/CD | 8. SMOKE BLOW<br />
The Record LP/CD | 9. V.A. Berlin Hardcore Vol. 2 CD |<br />
fucking flag up your goddamn ass, you sonofabitch Das musst<br />
Du gesehen haben:<br />
Deutschland - Argentinien Hassenswert: Rassistische Ausweiskontrollen<br />
der Bundespolizei<br />
Dr. Oliver Fröhlich<br />
In der Anlage: IMMOLATION Majesty And Decay | ACTIVE<br />
MINDS It’s Perfectly Obvious That This System Doesn’t Work |<br />
SHINING Blackjazz Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt:<br />
EXPLOITED Troops of tomorrow FEHLFARBEN All<br />
that heaven allows INTERZONE Hintermänner Das musst du<br />
gehört haben: SARKE Vorunah Liebenswert: Louis<br />
Sebastian Walkenhorst<br />
In der Anlage: RAZORS IN THE NIGHT Carry on | VERSE<br />
Aggression | STRENGTH APPROACH All The Plans We Made<br />
Are Going To Fall Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt:<br />
SHAM 69 Hersham boys | FRANK TURNER Photosynthesis<br />
| THE MISFITS Attitude Das musst du erfahren<br />
haben: Party Hard im Conne Island Leipzig am 19.2.2010 bei<br />
TOXPACK, rememberings for ages, fellas! Liebenswert: meine<br />
Kids tanzend zu TIM ARMSTRONG’S Into action<br />
Simon Dillo<br />
In der Anlage: OIL! The Glory Of Honour | RUBBER RODEO<br />
Scenic Views | DOIN’ JUST FINE 5 Lovesick Punk Rock Songs<br />
Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt: SHAM 69 If<br />
the Kids are united | DEAD BOYS Sonic reducer | UNDERTO-<br />
NES Teenage Kicks Das musst du gesehen haben: Looking for<br />
Eric Hassenswert: Minusgrade im März<br />
David Schumann<br />
In der Anlage: THE WONDER YEARS The Upsides | FOUR<br />
YEAR STRONG Enemy Of The World | BOB DYLAN Discography<br />
Vol. 1 Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt:<br />
MISFITS Where Eagles Dare | BLACK FLAG Depression<br />
| MINOR THREAT Minor Threat Das musst du unbedingt<br />
gelesen haben: Jonathan Safran Foer - EATING ANI-<br />
MALS Hassenswert: Kapitalismus<br />
Lars Koch<br />
In der Anlage: SAM COOKE Live At The Harlem Square Club,<br />
1963 | JAWBREAKER Dear You | THE SAINTS Eternally Yours<br />
Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt: L.E.S. STIT-<br />
CHES Choices THE DRIPS Broken | DEAD BOYS Ain’t it fun<br />
Das musst du erlebt haben: NOTHINGTON live Liebenswert:<br />
JAMIE T. covert live „Policeman“ <strong>von</strong> den SILENCERS<br />
Tobias Ernst<br />
In der Anlage: GUNS UP Outlive | UNVEIL/DEADVERSE<br />
Split | PANTERA Vulgar Display Of Power Die drei besten<br />
Punkrock-Songs überhaupt: PENNYWISE Bro hymn NO<br />
USE FOR A NAME Justified Black Eye NOFX Kill all the white<br />
man Hassenswert: Meine Oma ist gestorben<br />
Lars Weigelt<br />
In der Anlage: I WALK THE LINE Language Of The Lost | THE<br />
PEACOCKS After All | ALKALINE TRIO This Addiction Die<br />
drei besten Punkrock-Songs überhaupt: STIFF LITTLE<br />
FINGERS Gotta gettaway | THE CLASH Complete control |<br />
SOCIAL DISTORTION Don’t drag me down Das musst du<br />
erfahren haben: Auf Olympia und Co. verzichten Liebenswert:<br />
Frühling, was sonst?<br />
Andreas Krinner<br />
In der Anlage: NATIVE NOD Today Puberty, Tormorrow The<br />
World | HOT SNAKES Audit In Progress | LEATHERFACE<br />
The Stormy Petrel Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt:<br />
WIPERS Over the edge | DESCENDENTS Clean sheets<br />
| GORILLA BISCUITS New direction Das musst du gelesen<br />
haben: Wenedikt Jerofejew - Die Reise nach Petuschki Liebenswert:<br />
Larry David<br />
Sebastian Wahle<br />
In der Anlage: HOT WATER MUSIC A Flight And A Crash |<br />
PHOENIX Wolfgang Amadeus Phoenix | SINCE BY MAN Photos<br />
From Hotel Apokalypse Die drei besten Punkrock-Songs<br />
überhaupt: HOT WATER MUSIC Paperthin | LIFETIME Airport<br />
monday morning | STRIKE ANYWHERE Sunset on 32nd<br />
street Das musst du gesehen haben: (500) Days of summer<br />
Liebenswert: Vegetarierinnen<br />
Andreas Kuhlmann<br />
In der Anlage: IMMOLATION Majesty And Decay | REIGN<br />
SUPREME Testing The Limits Of Infinite | JACK SLATER<br />
Extinction Aftermath Die drei besten Punkrock-Songs<br />
überhaupt: ALKALINE TRIO Take lots with alcohol | THE<br />
CLASH Lost in the supermarket | AFI Sacrifice theory Das<br />
musst du gelesen haben: MARKUS ZUSAK Die Bücherdiebin<br />
Liebenswert: Jennifer und Michael (danke!)<br />
Christoph Lampert<br />
In der Anlage: BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE s/t |<br />
SIGHTS AND SOUNDS Monolith | V.A. Let Them Know (The<br />
Story Of BYO) Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt:<br />
7 SECONDS Trust | ITCH Good to be alive | POLITI-<br />
CAL ASYLUM I won’t buy it Das musst du erfahren haben:<br />
PASCOW live Hassenswert: Schnee immer wieder Schnee<br />
Simon Brunner<br />
In der Anlage: MIGHTY MIGHTY BOSSTONES Pin Points<br />
& Gin Joints | WILFRIED SCHMICKLER Es war nicht alles<br />
schlecht | THE TIKI KINGS s/t Die drei besten Punkrock-<br />
Songs überhaupt: THE CLASH London calling | DEAD KEN-<br />
NEDYS Kill the poor | SEX PISTOLS God save the queen Das<br />
musst du erfahren haben: Dieses ewige Gejammer, so viele<br />
Opfer, überall! Liebenswertes: Tiere<br />
Markus Kolodziej<br />
In der Anlage: PROJECT:KOMAKINO: The Struggle For Utopia<br />
| HUMAN TETRIS: s/t | BLACK TAPE FOR A BLUE GIRL:<br />
Ten Neurotics Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt:<br />
/LESERchARTS<br />
/vERKAUfSchARTS<br />
10. JELLO BIAFRA & THE GUANTANOMO SCHOOL OF<br />
MEDICINE The Audacity Of Hype LP/CD<br />
GREEN HELL<br />
1. ROCKY VOTOLATO True Devotion LP + 7“ | 2. GAVIN<br />
PORTLAND Hand In Hand LP/CD | 3. ALKALINE TRIO<br />
This Addiction LP/CD | 4. LEATHERFACE The Stormy<br />
Petrel LP/CD | 5. SHOUT OUT LOUDS Work LP/CD | 6.<br />
JOHNNY CASH Ain’t No Grave LP/CD | 7. BLACK BUG<br />
s/t LP | 8. DEADLINE Bringing Down The House LP/CD<br />
| 9. KONGSMEN On Campus LP/CD | 10. BLACKLISTED<br />
No One Deserves LP/CD<br />
/pLAyLISTS<br />
DEAD KENNEDYS: Holiday in Cambodia | PETER AND THE<br />
TESTTUBE BABIES The jinx | THE FLYS Love and a molotov<br />
cocktail Das musst du gesehen haben: Das katalanische Aktionstheater<br />
Las Fura dels Baus 1990 mit Kettensägen, Tierkadaveren,<br />
viel Mehl und Wasser.<br />
Bernd Fischer<br />
In der Anlage: JIZZLOBBERS s/t | KING KHAN & BBQ s/t |<br />
THE MIGHTY STEF 100 Midnights | Die drei besten Punkrock-Songs<br />
überhaupt: RAMONES Blitzkrieg Bop | EA80<br />
Nimmer geh beiseit | NAPALM DEATH You suffer Das musst<br />
du gelesen haben: Corporate Rock Knockout Fanzine Liebenswert:<br />
Panzerwelse<br />
Carsten Hanke<br />
In der Anlage: NINA SIMONE My Baby Just Cares For Me |<br />
KITTY, DAISY & LEWIS same | GEORG KREISLER Everblacks<br />
| Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt: RAMO-<br />
NES Hey, ho, let’s go! | THE CLASH London calling | SOCIAL<br />
DISTORTION Don’t drag me down | Das musst du gesehen<br />
haben: Rock’n’Roll Wrestling Bash im GLORIA Liebenswert:<br />
Griechenland<br />
Katharina Gilles<br />
In der Anlage: LE TIGRE This Island | KATATONIA Viva Emptiness<br />
| KARI RUESLATTEN Other peoples story Das musst<br />
du gelesen haben: Max Goldt - Die Radiotrinkerin Liebenswert:<br />
C.P.<br />
Bodo Unbroken<br />
In der Anlage: MICAH SCHNABEL When The Stage Lights Go<br />
Dim | CHEAP GIRLS Find me a drink home | DAG NASTY<br />
Can I say Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt:<br />
UNDERTONES Teenage kicks | ANGRY SAMOANS Lights out<br />
| DEAD BOYS Sonic reducer Das musst du erfahren haben:<br />
Acoustic Show <strong>von</strong> Against Me! Hassenswert: Post<br />
Guntram Pintgen<br />
In der Anlage: DISCIPLINES Smoking Kills | GLUECIFER<br />
Automatic Thrill Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt:<br />
BLACK FLAG Rise above | ADOLESCENTS Kids of the<br />
black hole | IRON MAIDEN Sanctuary Das musst du gesehen<br />
haben: DISCIPLINES live im Sonic Ballroom<br />
Robert Buchmann<br />
In der Anlage: BLOODLIGHTS Simple Pleasures | SKIDS Scared<br />
to Dance | DIAL M FOR MURDER! Fiction Of Her Dreams<br />
Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt: SOCIAL DIS-<br />
TORTION Cold feelings | HÜSKER DÜ 59 times the pain |<br />
THE MURDER CITY DEVILS Dance Hall Music Das musst du<br />
erfahren haben: BLOODLIGHTS live Liebenswert: Captain<br />
Poons norwegischer Akzent<br />
Jörkk Mechenbier<br />
In der Anlage: CRAVING A Good Cast Is Worth Repeating |<br />
ALKALINE TRIO This Addiction | THE WOODEN SHJIPS Vol. 2<br />
Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt: STEAKKNIFE<br />
Hell yeah | BLACK FLAG Wasted | ANGRY SAMOANS You stupid<br />
jerk Das musst du gesehen haben: THE RAVEONETTES<br />
live Liebenswert: Moritz Mutter<br />
Christoph Parkinson<br />
In der Anlage: BRING ME THE HORIZON Suicide Season Cut<br />
Up | CRYSTAL CASTLES Same THE PIERCES Thirteen Tales<br />
Of Love... Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt:<br />
DESCENDENTS I’m not a punk | GG ALLIN You hate me and I<br />
hate you | SCREECHING WEASEL Falling apart Das musst du<br />
gelesen haben: William S. Burroughs „Junkie“ Liebenswert:<br />
Die Sängerin <strong>von</strong> KARATE DISCO<br />
Matilda Gould<br />
In der Anlage: OVERKILL Ironbound | LARRY BARETT The<br />
Big Slowdown | PATSY O’HARA Deathinteresse Die drei besten<br />
Punkrock-Songs überhaupt: LEATHERFACE Wallflower<br />
| STIFF LITTLE FINGERS Alternative ulster | SOCIAL DIS-<br />
TORTION Don’t drag me down Das musst du gehört und<br />
gesehen haben: Olli Mustonen interpretiert Tschaikowski<br />
Liebenswert: Schnee - wenn er endlich wieder weg ist<br />
Konstantin Hanke<br />
In der Anlage: PART CHIMP Thriller | BURIED INSIDE<br />
Spoils Of Failure | MIDLAKE Courage Of Others Die drei besten<br />
Punkrock-Songs überhaupt: SEX PISTOLS Bodies |<br />
MINOR THREAT Filler | VORKRIEGSJUGEND Schöne neue<br />
Welt Das musst du gehört haben: Seyed Khalil Ali Nezhad<br />
Liebenswert: Ostseetrip mit Anschie Bernd<br />
Jürgen Schattner<br />
In der Anlage: TURBOSTAAT Das Island Manöver | LEA-<br />
THERFACE Stormy Petrel | I WALK THE LINE Language of<br />
the Lost Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt: LEA-<br />
THERFACE I want the moon | THE CLASH London calling |<br />
RAMONES Sheena is a punk rocker Das musst du gelesen<br />
haben: Spray paint the walls (The Story of Black Flag) Hassenswert:<br />
Guido Westerwelle<br />
Lauri Wessel<br />
In der Anlage: FLOGGING MOLLY Live At The Greek Theatre<br />
| ANTI-FLAG For Blood And Empire | GASLIGHT ANTHEM<br />
The ’59 Sound Die drei besten Punkrock-Songs überhaupt:<br />
BAD RELIGION Operation rescue | GREEN DAY Jesus<br />
of suburbia | RANCID Old friend Das musst du gesehen<br />
haben: Allan Shore Liebenswert: Shirley Schmidt<br />
Gunnar Baars<br />
In der Anlage: WHY Elephant Eyelash | NOTWIST The Devil,<br />
You & Me | LES SAVY FAV WHAT WOULD WOLVES DO? Die<br />
drei besten Punkrock-Songs überhaupt: PIXIES Gouge<br />
Away | SONIC YOUTH Skip Tracer | ALKALINE TRIO Private<br />
eye Das musst du gelesen haben: Alain Robbe-Grillet - Die<br />
blaue Villa in Hongkong Liebenswert: Yoni Wolf<br />
OX-FANZINE 83
EvIEws<br />
the<br />
Mighty<br />
stef<br />
100<br />
Midnights<br />
solo-shows<br />
14.04._Bochum, Wageni<br />
16.04._Bielefeld, Plan B<br />
17.04._Berlin, White Trash<br />
22.04._Karlsruhe, Scruffys Irish Pub<br />
23.04._Crailsheim, Bar 7180<br />
25.04._Hannover, GiG Linden<br />
01.05._Lemgo, Maifest am Beat Café<br />
Band-shows<br />
14.05._Marburg, Molly Malones<br />
15.05._Sarstedt, Rainers Rockhouse<br />
20.05._Erfurt, Stadtgarten Club<br />
21.05._Berlin, White Trash<br />
22.05._Meppen, Jugendzentrum<br />
26.05._Bremen, MS Treue<br />
„Masterpiece“<br />
HOTPRESS MAGAZINE<br />
„duBlins finest<br />
unsung hero“ NME<br />
Der zweite Longplayer<br />
des irischen Troubadours.<br />
out now!<br />
www.themightystef.com<br />
www.myspace.com/themightystefband<br />
OX-FANZINE 84<br />
„XXXIII“. Die astreine Produktion ist man ja bei Metal<br />
Blade-Releases bereits gewohnt. So prügeln sich ANIMA<br />
durch 40 Minuten brutalen Death Metal à la DEICIDE,<br />
gemixt mit technisch durchgeknalltem Grindcore, der<br />
wirklich keine Langeweile aufkommen lässt. Im Gegenteil<br />
– hier braucht es mehr als einen Durchlauf. „Deathcore“,<br />
auch wenn ich den Namen hasse wie der Teufel das Weihwasser,<br />
darf also auch gut sein (8) Carsten Hanke<br />
ANTARES PREDATOR<br />
Twiligt Of The Apocalypse<br />
CD | Battlegod Productions/Twilight | battlegodproductions.com<br />
| 45:40 || Briefkasten auf, Rechnungen,<br />
sinnlose Werbung und das Paket vom Ox. Das<br />
bedeutet Arbeit und Vergnügen zugleich. Was werden die<br />
Damen und Herren für mich ausgesucht haben? Schauen<br />
wir mal nach, viele CDs und ... ANTARES PREDATOR. Als<br />
ich das Cover der Scheibe sah, dachte ich sofort, oh Mist,<br />
damit haben sich die Burschen keinen Gefallen getan, denn<br />
gerade mit dem Namen wohl etwas zu einfach, zu plump.<br />
Auf dem Cover ist so was wie der Terminator zu sehen, also<br />
Action-Metal oder was? So könnte man es sagen, denn<br />
wie in einem guten (!) Action-Film ist Abwechslung das<br />
Salz in der Suppe und genau da<strong>von</strong> haben wir hier eine<br />
Menge. Gründungsmitglied „Oyvind Winther“ (ex-KEEP<br />
OF KALESSION) verpackt eine Menge an Thrash, Black<br />
(neuer symphonischer Art) und Heavy Metal in dieser CD.<br />
Alles auf sehr hohem Niveau aber leider sehr glatt und kalt,<br />
so wie seine Sci-Fi Texte diesen Eindruck noch verstärken<br />
sollen. Wer neue DIMMU BORGIR mag ... mich langweilt<br />
diese Platte leider schon nach dem dritten Lied. (6)<br />
Andre Moraweck<br />
AFFENMESSERKAMPF<br />
Seine Freunde kann man sich nicht aussuchen<br />
LP | That Lux Good | myspace.com/thatluxgoodrecords<br />
|| Ein wundervolles Cover: Fünf junge Männer<br />
posieren in braven hellen Hemden, als handle es sich um<br />
ein Jahrgangsfoto der<br />
Abschlussklasse eines<br />
Jesuiteninternats. Um es<br />
mit einem Wort zu sagen:<br />
Kotzbrocken. Aber Fotos<br />
sind nur Inszenierung,<br />
wie man nach einem<br />
Blick auf die Cover-<br />
Rückseite erkennt, wo<br />
die Fünf in Zivilkleidung<br />
zu sehen sind:<br />
Jeans, Chucks, Kapus –<br />
und man erkennt, dass<br />
AFFENMESSERKAMPF<br />
aus Kiel da selbst Modell standen. Guter Humor, Jungs –<br />
und der zeigt sich auch in den Texten. Mein Höhepunkt<br />
ist das an Kreislers „Taubenvergiften im Park“ angelehnte<br />
„Jungdesignerspackenvergiften im Park“, in dem mit jener<br />
ach so hippen, urbanen Pseudo-Elite aufs Wundervollste<br />
abgerechnet wird. Auch „Ein deutsches Herz hat aufgehört<br />
zu schlagen“ („Deutschland is so scheiße, da muss<br />
man echt reihern“) lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen<br />
übrig – man wünscht sich viel mehr Bands mit solch<br />
klaren, nicht verkopften und dennoch nicht stumpfen Texten.<br />
Musikalisch erinnert mich der überdrehte, leicht hysterische<br />
Gesang an die auch humoristisch nicht unbegabten<br />
NOVOTNY TV, aber auch frühe MUFF POTTER sowie<br />
die Rachut-Bands lassen grüßen. Das Ganze gibt’s „nur“ auf<br />
Vinyl, veröffentlicht vom Tübinger That Lux Good-Label,<br />
das man mal im Auge behalten sollte. (8) Joachim Hiller<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
AN HORSE<br />
Rearrange Beds<br />
CD | Grand Hotel van Cleef | ghvc.de | 36:05 || Die<br />
erklärte Lieblingsband <strong>von</strong> TEGAN & SARA ist genauso wie<br />
ihre Entdeckerinnen ein Duo, das wunderbar eingängigen<br />
und schönen, leicht schrammeligen Indierock zaubert.<br />
Das Pärchen, das während langweiliger Schichten in einem<br />
Brisbaner Plattenladen diesen kurzerhand zum Probenraum<br />
umgestaltete, beschallte bald australische Straßenecken,<br />
bevor es die Chance bekam, mit DEATH CAB FOR<br />
CUTIE und TEGAN & SARA auf Tour zu gehen. Mit dieser<br />
Rückenstärkung kam eins zum anderen, Grand Hotel van<br />
Cleef zu AN HORSE und diese zu ihrem ersten Album. Auf<br />
ganz wundervolle Weise erzählt Kate Cooper <strong>von</strong> besonderen<br />
Momenten des Lebens und verbindet diese mit Melodien,<br />
die zwar weder Radio noch Ohrwurm sind, aber dennoch<br />
hängen bleiben. Ein wunderbar unbelastetes, frisches<br />
Album – der Frühling darf jetzt kommen. (8)<br />
Christoph Schulz<br />
ALDAARON<br />
Nous Reviendrons Immortels<br />
CD | Paragon | paragonrecords.net| 47:00 || Frankreich<br />
und Black Metal passen nicht zusammen, sagt meine<br />
Frau. Romantik und Chanson würden da doch eher passen.<br />
Das hat meine Liebste nun da<strong>von</strong>, immer den Raum<br />
zu verlassen, wenn ich DEATHSPELL OMEGA, BLUT AUS<br />
NORD, ANTAEUS oder MÜTIILATION auflege. Ganz in<br />
dieser Liga würde ich das Debüt der Männer aus den französischen<br />
Alpen noch nicht sehen, aber wieder als einen<br />
Beweis, wie gut auch „neuer BM“ sein kann. Neu muss/<br />
soll nicht immer zwangsläufig Fortschritt oder Neuentwicklung<br />
bedeuten, denn hier werden eher Pfade der älteren<br />
Black/Death (DISSECTION) Metal-Szene beschritten,<br />
und dies mit erhobenem Kopf und schneebedecktem<br />
Schwert. Gute (aber nicht zu glatte) Produktion und technisch/kompositorisch<br />
sind ALDAARON über jeden Zweifel<br />
erhaben. Ein echt gutes Debütalbum. Aber ich nun wieder<br />
mit einer französischen Black-Metal-Band, vielleicht<br />
schenken die Jungs mir ja mal ein T-Shirt. (8)<br />
Andre Moraweck<br />
ABFUKK<br />
Asi.Arrogant.Abgewrackt.<br />
LP | myspace.com/totalabfukk || „Asi.Arrogant.<br />
Abgewrackt.“ – der Name ist Programm. Diese Band mit<br />
Mitgliedern <strong>von</strong> ITALIAN STALLION und SNIFFING GLUE<br />
spielt 80’s Hardcore-Punk par excellence, gepaart mit kurzen<br />
und knappen deutschen Lyrics, bei denen kein Blatt vor<br />
den Mund genommen wird. Nach ihrem sehr früh ausverkauften<br />
Demotape legen die vier Wegberger noch eine<br />
Schippe drauf und zeigen, wie man sich heute noch in die<br />
Achtziger-Szene <strong>von</strong> Washington D.C. beamen kann. Provokation<br />
und Aggression sind an der Tagesordnung – jeder<br />
bekommt sein Fett weg. Zudem ist das Album komplett<br />
D.I.Y. releaset und es erscheint nur auf LP, was diesen nostalgischen<br />
Part weiter unterstützt. Leider wurde das Album<br />
schon vor einem Jahr aufgenommen und man hat bis jetzt<br />
gewartet, bis es endlich rausgekommen ist. Warum nur? Sie<br />
prügeln ihren Trash-Punk direkt raus, ohne Rücksicht auf<br />
Verluste und es macht einfach tierisch Spaß – ganz nach<br />
dem Motto: Alltag raus, ABFUKK rein. (9) Peter Nitsche<br />
A HERO A FAKE<br />
Let Oceans Lie<br />
CD | Victory | victoryrecords.com | 59:54 || Beim<br />
direkten Vergleich mit dem Vorgänger „Volatile“ hat man<br />
beinahe das Gefühl, zweimal das identische Album gehört<br />
zu haben. Es kann natürlich auch am fehlenden Artwork,<br />
den nicht beigelegten Texten und der insgesamt lieblosen<br />
Präsentation liegen, dass A HERO A FAKE inhaltslos wirken,<br />
vielleicht sind sie es nicht, aber ich sehe mich keinesfalls in<br />
der Holschuld, was Texte und Tracklist angeht. Wenn es nur<br />
um Musik ginge, könnten wir auch alle Pop hören. Aber<br />
reduzieren wir es mal auf die Musik, A HERO A FAKE geben<br />
sich alle Mühe, das zu schaffen, was HORSE THE BAND<br />
oder MASTODON schon mit Bravour umgesetzt haben,<br />
nämlich intelligenten Prog-Core zu machen. „Let Oceans<br />
Lie“ hingegen klingt oft vorhersehbar und dieses Wechselspiel<br />
zwischen Growls und Singsang war mir schon immer<br />
ein Dorn im Auge, entweder oder. Irgendwie sind sie damit<br />
ja auch Pop. (6) <strong>Thomas</strong> Eberhardt<br />
ACTIVE MINDS<br />
It’s Perfectly Obvious That<br />
This System Doesn’t Work<br />
CD/LP | Loony Tunes | myspace.com/loonytunesrecords<br />
|| 24 lange Jahre sind die ACTIVE MINDS schon<br />
im D.I.Y.-Mikrokosmos unterwegs und haben vor einiger<br />
Zeit ihr aktuelles Album<br />
natürlich auf ihrem eigenen<br />
Label Loony Tunes<br />
herausgebracht. Kann<br />
eine Zwei-Mann-Band<br />
mit Drums und Gitarre<br />
eigentlich gute Musik<br />
abliefern, fragt sich da<br />
der Uneingeweihte? Was<br />
für eine Frage, selten hart<br />
und aggressiv knallen<br />
mir die ersten Gitarrenriffs<br />
entgegen und eröffnen<br />
ein wahres Feuerwerk<br />
an mitreißenden Punk- und Crust-Songs, die gelegentlich<br />
auch mal grinden. Der Sound ist dicht, die Songs<br />
gehen überraschenderweise sofort ins Ohr und loten zwischen<br />
Anarchopunk-Mitgröl-Hymnen wie „A microchip<br />
on your shoulder“ und SEEIN REDschem Grind bei „Blinded<br />
by science“ gekonnt alle Untiefen aus. ACTIVE MINDS<br />
mögen heutzutage zwar lange Haare haben, aber der Bandname<br />
wurde seinerzeit mit Bedacht gewählt und so gibt es<br />
im fetten Booklet Infos zu den einzelnen Songs und deren<br />
Entstehung und auch alle Texte mit großartigen Wortspielen.<br />
Hervorragendes Inferno. (9) Dr. Oliver Fröhlich<br />
ARISE<br />
The Reckoning<br />
CD | Regain | regainrecords.com | 41:27 || Hoppla,<br />
die wollen es aber wissen. Von den Göteburgern ARISE<br />
gibt es zehn Mal auf die Zwölf: krachiger Thrash Metal<br />
mit gehörigen Death-Anleihen und abwechslungsreichem<br />
Frontbrüller. Die allwissende Encyclopaedia Metallum<br />
kennt alleine neun Bands dieses Namens, woran eine<br />
mittlerweile eher unbedeutende brasilianische Band nicht<br />
ganz unbeteiligt gewesen sein dürfte. Aber nicht im fernen<br />
Belo Horizonte wildert der Fünfer, sondern bleibt heimischen<br />
Gefilden, im Speziellen Göteborg treu. So ist die Basis<br />
Thrash Marke THE HAUNTED mit Melodien à la Rach, äh,<br />
alte IN FLAMES garniert, dazu eine glasklare Produktion,<br />
die für meinen Geschmack etwas mittenlastig und künstlich<br />
ist, aber dadurch enorm laut und aggressiv wirkt.<br />
Wirklich Neues haben ARISE nicht zu bieten, aber „The<br />
Reckoning“ läuft gut rein und tritt ordentlich Arsch, was<br />
an manchen Tagen durchaus meine niederen Instinkte zu<br />
befriedigen weiß. (7) Dr. Oliver Fröhlich<br />
ANGST SKVADRON<br />
Sweet Poison<br />
CD | Agonia/Twilight | agoniarecords.com | 40:00<br />
|| Auf dieses Scheibchen hatte ich mich gefreut wie<br />
(fast)ganz Hamburg auf die 1. Bundesliga, und siehe da,<br />
die Jungs (und Mädels?) der polnischen Black-Metal-<br />
Schmiede Agonia Records halten auch mit der neuen<br />
ANGST SKVADRON-CD, was ihr Backkatalog verspricht.<br />
Finstere, ultra-schwarze Musik. Ja, ich schreibe nicht Black<br />
Metal, denn was sich hier im Spieler dreht und in Sekunden<br />
den ganzen Raum, ja die ganze Welt um mich in eine<br />
andere Dimension verfrachtet, ist einfach mehr als „nur“<br />
das nächste Black-Metal-Album des URGEHAL-Front-<br />
Maniacs „Trond Nefas“. Was hier geboten wird, setzt Maßstäbe<br />
in Sachen Dunkelheit, Depression und Abwechslung.<br />
Dass der gute Nefas mit seiner Hauptband im Black Metal<br />
alles richtig macht, steht in einem anderen Review, hier<br />
tobt er sich aus. Siebziger Jahre Psychedelic Rock, Space<br />
Black Metal, Alien Rock Death, Doom Depri Metal ... hat<br />
da jemand gerade die genialen LIFELOVER erwähnt? Ich<br />
jedenfalls könnte noch Stunden weitermachen, genau wie<br />
ich die Platte gern noch Stunden hören würde, und zwar<br />
so laut es geht, und noch eins lauter! Einen Titel als besonders<br />
herauszufiltern, wäre sinnlos, denn so funktioniert<br />
diese Platte nicht. Bitte komplett anhören, Voraussetzungen:<br />
Lautstärke, Dunkelheit – und Schubladen gehören ins<br />
Möbelhaus! (10) Andre Moraweck<br />
ATROCITY<br />
Let War Rage<br />
CD | Mad Lion/Twilight | madlion.eu | 48:03 ||<br />
Geil, geil, geil, ich liebe CARNIVORE (darf man das heutzutage?).<br />
Diese Amis namens ATROCITY, nicht mit den<br />
furchtbaren deutschen Latex-Gothenheimern zu verwechseln,<br />
sind zwar ebenfalls seit 1985 mit ca. einer<br />
menschlichen Generation Pause dabei, haben aber an keinerlei<br />
musikalischer Evolution teilgenommen und spielen<br />
absolut aggressiven und heftigen Oldschool Death-Metal<br />
mit beachtlicher Hardcore-Kante und gelegentlichen<br />
Grindcore-Einschüben. Hier ist alles dreckig und unfassbar<br />
direkt auf die Fresse, voller Wut und Hass, aber auch gar<br />
nichts perfekt, geschönt oder poliert. Wäre ich böse, würde<br />
ich behaupten, ANTISEEN und CARNIVORE hätten sich<br />
zusammengetan und eine Live-Scheibe eingespielt. Wenn<br />
das vorstellbar ist, dann hast du ATROCITY. (8)<br />
Dr. Oliver Fröhlich<br />
NOVA ASCHERE<br />
Rotten Make Up<br />
CD | Nicotine | nicotinerecords.com | 43:36 || Das<br />
Vermächtnis des verstorbenen Nova Aschere, der nach<br />
einem tendenziell strapaziösem Lebenslauf ein Album<br />
voller Verzweiflung, Erfahrungen des Scheiterns über die<br />
Schattenseiten des Lebens aufgenommen hat. Er selbst<br />
nannte es Glamrock, vermutlich mit einigen Andrew Eldritch-Reminiszenzen,<br />
wobei er selbst als zentrale Einflüsse<br />
Sherry, Eyeliner, Rasierklingen und Zigaretten benennt.<br />
Welcome to the hell of clichés. Eingespielt hat er das Album<br />
weitestgehend im Alleingang und es gibt eine richtig<br />
brauchbare Coverversion des STOOGES-Klassikers „Dirt“<br />
und <strong>von</strong> THE VELVET UNDERGROUND („All tomorrow’s<br />
parties“), die ohnehin neben dem Eyeliner und den anderen<br />
Sekundärklischees großen Einfluss auf den Musiker<br />
gehabt haben dürften. (6) Markus Kolodziej<br />
ARMSTRONG<br />
When We Were Kings<br />
CD | Coast Rock Music | coast-rock.de | 32:17 || Die<br />
Fakten sprechen für ARMSTRONG, soviel ist mal klar. Lose<br />
zusammengefasst liest sich der Beipackzettel <strong>von</strong> „When<br />
We Were Kings“ in etwa so: Seit 2003 aktiv, als deutsche<br />
Band schon zwei UK-Touren unter ihrem Gürtel, haben<br />
mal was mit Glen Matlock zusammen gemacht, auf dem<br />
aktuellen Album gibt es unter anderem Hilfe <strong>von</strong> Mitglie-<br />
dern der Bands BONEHOUSE und SMOKE BLOW, produziert<br />
<strong>von</strong> Ulf Nagel und und und. Selbst wenn man all das<br />
außen vor lässt, bleibt ein durchaus solides Album. Die elf<br />
enthaltenen Songs zeichnen sich durch ein großes Plattenregal<br />
an Einflüssen aus, und versammeln dermaßen viele<br />
stilvolle Zitate, dass es nicht weiter auffällt, wenn die eine<br />
oder andere Idee schon etwas Staub angesetzt hat. Klischees<br />
sind halt immer nur so scheiße wie die Typen, <strong>von</strong> denen<br />
sie bedient werden. ARMSTRONG sind cool und haben<br />
sich dementsprechend nichts vorzuwerfen. Punkrock mit<br />
Melodie und Herzblut irgendwo zwischen BUZZCOCKS<br />
und AUTOMATICS. Gute Sache! (7) Lars Koch<br />
ATROCITY SOLUTION<br />
Tomorrows’s Too Late<br />
CD | Tent City | tentcityrecords.com | 32:52 || Politisch<br />
motivierter Hardcore Schrägstrich Punk Schrägstrich<br />
Ska-Punk, mit einer Stimme, die eher an das handelsübliche<br />
Gekeife im Black Metal erinnert. Ich mache es kurz:<br />
ATROCITY SOLUTION hören sich so an, als hätten sie alle<br />
Platten <strong>von</strong> LEFTÖVER CRACK (plus den etlichen Bands<br />
aus deren Dunstkreis) im Regal stehen. Stören tut das nicht,<br />
denn für ihr relativ junges Alter haben die vier Musiker aus<br />
Wassau in Wisconsin verstanden, was die Essenz ihrer Einflüsse<br />
ausmacht. Es wäre wirklich wünschenswert, wenn<br />
sich mehr Bands derart skrupellos durch ihre Songs prügeln<br />
würden, ohne gleich auf dicke Hose zu machen. Sieben<br />
Songs in einer höllischen Geschwindigkeit, nie zu<br />
stumpf und immer mit dem nötigen Biss. Okay, zugegeben,<br />
die Texte sind schon etwas plump formuliert, aber es gibt<br />
universelle Wahrheiten, bei denen es wichtig ist, dass sie<br />
überhaupt gesagt werden, und nicht, wie man das tut. (8)<br />
Lars Koch<br />
AT THE SOUNDAWN<br />
Shifting<br />
CD | Lifeforce | lifeforcerecords.com || Die Italiener<br />
AT THE SOUNDAWN haben ihren Stil auf „Shifting“<br />
noch um einiges verfeinert. Noch immer ist es NEURO-<br />
SIS-ähnlicher, mit Doom-Anleihen gespickter Progessive<br />
Metal, der manchmal ganz ohne Worte auskommt. Ganz<br />
klar, „Shifting“ fordert den Hörer, will er das ganze Album<br />
verstehen. Immer wieder driftet die Band in atmosphärische<br />
Soundgefilde, um danach meist durch das Geschrei<br />
<strong>von</strong> Shouter Luca De Stefano ordentlich Druck zu machen.<br />
Sicherlich, AT THE SOUNDAWN haben sich weiterentwickelt,<br />
die Songs sind noch fetter als auf ihrem Lifeforce-<br />
Debüt. Aber irgendwie will es schon wieder nicht „klick“<br />
machen. Meist verliert sich die Band dann doch in Geplänkel<br />
und man ertappt sich dabei, ihnen gar nicht zuzuhören.<br />
„Shifting“ ist gut, könnte aber noch besser sein. (5)<br />
Sebastian Wahle<br />
ANOTHER SATURDAY NIGHT<br />
s/t<br />
LP | Slow Gold Zebra | myspace.com/slowgoldzebra<br />
|| Auf dem New Yorker Label Slow Gold Zebra erscheint<br />
dieses Album der ebenfalls aus NYC stammenden ANO-<br />
THER SATURDAY NIGHT, die Ende 2008 schon eine Single<br />
veröffentlicht hatten. Wüsste man nicht, dass die Band jung<br />
und aktuell aktiv ist, müsste man angesichts des Sounds der<br />
Aufnahmen und ihres Stils da<strong>von</strong> ausgehen, dass es sich<br />
um eine Band <strong>von</strong> Anfang/Mitte der Siebziger handelt,<br />
um Zeitgenossen <strong>von</strong> DICTATORS, NEW YORK DOLLS,<br />
HEARTBREAKERS und TESTORS. Das Ganze ist also retro as<br />
fuck, aber rundum gut gemacht und außerdem doch recht<br />
knackig gespielt. Ein sehr klassischer, eingängiger Sound,<br />
ein ganzes Stück cooler als das, was einem sonst aus dieser<br />
Richtung angeboten wird und das entweder zu prollig oder<br />
zu sehr nach einer Kopie der Kopie (etwa der HELLACOP-<br />
TERS) klingt. Rundum gelungen. (8) Joachim Hiller<br />
BBB<br />
BENNI HEMM HEMM<br />
Retaliate<br />
CD | Kimi | kimirecords.net | 20:55 || Hier hält sich<br />
der Isländer weitgehend zurück und reduziert seine Songs<br />
auf Songwriter-Intimität. Inzwischen lebt er in Schottland<br />
und hat seinen Umzug zum Anlass genommen, weitgehend<br />
im Alleingang Songs nur in englischer Sprache zu verfassen.<br />
Und wie sonst auch, ist es die Spannung aus Zurückgenommenheit<br />
und einem Drängen ins Weite, hin zur großen<br />
Geste, die die fünf Songs am ehesten spannend machen.<br />
Das gelingt ihm im Schlafzimmer jedoch nicht ganz so<br />
packend wie mit ausladenderer Instrumentierung. Mit<br />
„Blood of my blood“ hat er zwar einen absolut hörenswerten,<br />
im Kleinformat aufbäumenden Song mit einem eindringlichen<br />
Miniatur-Chorus im Gepäck, der allerdings in<br />
seiner Intensität hier allein steht. (6) Christian Maiwald<br />
BEN SOLLEE & DANIEL MARTIN MOORE<br />
Dear Companion<br />
CD | Sub Pop/Cargo | subpop.com | 36:42 || „This<br />
is only a song, it can’t change the world“, singen die beiden<br />
in „Only a song“ und zeigen darin, dass es vielmehr<br />
darum geht, was zu machen – und wenn ihre Lieder dabei<br />
helfen, dann ist das genau die Widerlegung, die sich Sollee<br />
und Moore wünschen. Denn „Dear Companion“ ist<br />
eine Protestplatte, wenn auch eine leise. Die beiden Songwriter<br />
prangern das so genannte „mountain top removal“<br />
an, bei der ganze Berge abgetragen werden, um an darunter<br />
liegende Kohle zu gelangen. Hört sich übertrieben an,<br />
wird aber in den USA so gemacht. Natürlich scheren sich<br />
die Konzerne nicht darum, wie sie damit die Natur verschandeln<br />
und in welchem Zustand sie ganze Landstriche<br />
hinterlassen. Grund genug also für einen Aufschrei. Der<br />
fällt hier aber wenig grell aus, das Duo spricht den Hörer<br />
eher um die Ecke an. Es wird Songwriter-Americana geboten,<br />
die mal mehr Richtung Country tendiert, dann blitzen<br />
wieder Jack Johnson-artige, zurückgelehnte Elemente<br />
durch. Das ist alles durchweg ohne Strom instrumentiert,<br />
aber trotzdem eindringlich und streckenweise sehr, sehr<br />
schön, gerade wenn sich der Gesang mehrstimmig auffächert.<br />
Und gute leise Musik hilft einer Sache dann doch<br />
mehr weiter als schlechte laute. (7) Christian Maiwald<br />
JASON BOESEL<br />
Hustler’s Son<br />
CD | Team Love | team-love.com | 46:02 || „Hustler’s<br />
Son“ ist ein Country-Album, das keine großen Ausschläge<br />
vorzuweisen hat. Jason Boesel wirkt die meiste Zeit ein<br />
wenig teilnahmslos, und wenn er gesanglich dann doch<br />
ein wenig anziehen könnte, wie beispielsweise in „Getting<br />
healthy (Good luck)“, dann klingt es „bemüht“, wie man<br />
in einem Arbeitszeugnis wohl schreiben würde. Wenn er<br />
ein wenig mehr Druck hinter seine Stimme brächte, dann<br />
würde vielleicht ein etwas mehr hängen bleiben als der<br />
Eindruck eines vor sich hinplätschernden Albums.<br />
Myron Tsakas<br />
BASTARD<br />
Aftermath<br />
CD | STF | stf-records.de | 37:18 || Soll „Aftermath“<br />
die Zeit nach dem Matheunterricht sein? Spaß beiseite. Der<br />
süddeutsche Fünfer BASTARD legt nach zehn Jahren Existenz<br />
sein Debüt mit zehn Songs groovenden Death Metals<br />
vor, der recht eigenwillig daherkommt. Dieses liegt einerseits<br />
an der exzellenten melodischen Gitarrenarbeit über
AUXES<br />
Ichkannnichtmehr<br />
CD | Gunner | gunnerrecords.com |33:44 || Ist es<br />
Zufall, dass der Refrain-Chor des Openers „Chronologial<br />
chaos“ klingt wie der <strong>von</strong> BLACK FLAGs „Rise above“? Vielleicht,<br />
vielleicht aber auch nicht, aber auf jeden Fall ist es<br />
Dave Laney und Band mit „Ichkannnichtmehr“ gelungen,<br />
das schon brillante Debüt „Sunshine“, 2008 auf<br />
Lovitt erschienen, noch zu toppen – mit noch intensiverem<br />
(Post-)Hardcore meets Noiserock, mit einer fiebrigen,<br />
vibrierenden, sehr rhythmischen Platte, die aber auch<br />
hymnisch, melodiös und euphorisch ist. Klassischer Achtziger<br />
US-Hardcore (siehe oben) meets Neunziger-DC-<br />
Sound à la GIRLS AGAINST BOYS, JONES VERY trifft auf<br />
MILEMARKER, jene Band aus Chicago, die derzeit wohl auf<br />
Eis liegt, uns aber seit den späten Neunzigern mit jedem<br />
Album, jeder Tour aufs Neue begeistern konnte. Dabei<br />
stehen die Chancen, dass man in näher Zukunft was <strong>von</strong><br />
MILEMARKER zu hören bekommt, vielleicht gar nicht so<br />
schlecht, lebt deren Al Burian (der hier als Background-<br />
Sänger auftaucht) doch mittlerweile in Berlin, und Dave<br />
Laney ist schon 2009 nach Hamburg umgesiedelt, <strong>von</strong> wo<br />
aus er auch in Patchwork-Manier die Fertigstellung dieses<br />
Albums betrieb – und eine Erklärung für den deutschen<br />
Titel gibt es damit auch. Ein wirklich rundum perfektes,<br />
mitreißendes, fesselndes Album, an dem auch Florian<br />
Brandel, Pete Wagner, Noah Leger und Tim Remis beteiligt<br />
sind, wobei es ein festes Line-up schon aufgrund der verschiedenen<br />
Wohnorte nicht (mehr) gibt – <strong>von</strong> Dave mal<br />
abgesehen. (9) Joachim Hiller<br />
CRIME IN STEREO<br />
I Was Trying To Describe You To Someone<br />
CD | Bridge Nine | bridge9.com | 40:03 || Bereits auf<br />
dem letzten Überfliegeralbum „Crime In Stereo Is Dead“<br />
zeigte die Band um Sänger Kristian Hallbert, wie spannend<br />
und innovativ Hardcore heutzutage klingen kann.<br />
Auf Album Nummer vier soll dies nun fortgesetzt werden,<br />
wobei man sich große Mühe gegeben hat, den Vorgänger<br />
nicht zu kopieren. Was sofort auffällt: die Mühe war<br />
nicht umsonst. CRIME IN STEREO haben mit „I Was Trying<br />
To Describe You To Someone“ ein spannendes Stück Musik<br />
erschaffen, welches den modernen Hardcore mit allerlei<br />
Zitaten aus dem Indierock und zuweilen sogar Pop verbindet.<br />
Fans werden es so oder so lieben, wer sich bisher<br />
nicht dazu zählt und einfach mal ein Ohr riskieren möchte,<br />
sollte auf jeden Fall nicht gerade mit musikalischen Scheuklappen<br />
durch die Gegend laufen, denn nur dann wird<br />
man mit Glanztaten wie „Exit halo“, oder „Not dead“<br />
belohnt. Vielleicht wird man nicht unbedingt an den Erfolg<br />
des Vorgängers anknüpfen können, da sich manch einer<br />
nicht direkt mit der aktuellen Marschrichtung anfreunden<br />
kann, aber CRIME IN STEREO können ihrerseits morgens<br />
ohne Probleme in den Spiegel sehen und sich zudem sicher<br />
sein, ein wirklich spannendes Album weit abseits ausgelutschter<br />
Hardcore- und Punk-Pfade erschaffen zu haben.<br />
Empfehlenswert! (9) Jens Kirsch<br />
COMMON ENEMY<br />
Living The Dream?<br />
LP | Horror Business | horrorbiz.com || Killer, Killer,<br />
Killer! Ohne Scheiß, genau das waren meine Gedanken,<br />
als ich zum ersten Mal diese halbdurchsichtige Stück<br />
grünes Vinyl aufgelegt habe, wie seitdem immer wieder,<br />
denn diese Skater aus der Hölle (oder Reading, PA)<br />
haben’s einfach drauf: Thrashcore galore. Wenn sie loslegen<br />
mit „Still having fun“, klingt es wie eine Drohung und<br />
wirkt wie eine Adrenalin-Injektion. „Living The Dream?“<br />
ist das vierte Album in zehn Jahren, nach „Outsiders“, „Late<br />
Night Skate“ und „T.U.I. Thrashing Under The Influence“,<br />
dazu kommen noch ein halbes Dutzend Singles und Split-<br />
Releases sowie etliche Compilaton-Beiträge. Mittlerweile<br />
sind Justin Enemy (git), sein Bruder Greg Disorder (bass)<br />
und Tank (dr) perfekt aufeinander eingespielt, so auf den<br />
Punkt, dass ihr Sound trotz des irren Tempos nie eintönig<br />
wird. Das einzige ständig wechselnde Mitglied ist der Sänger.<br />
Aktuell ist es Gary Critical, der kreischt oder schreit,<br />
so schnell er kann, und die Texte manchmal fast auszukotzen<br />
scheint. Für das Album wurden mit ihm auch einige<br />
ältere Stücke neu aufgenommen – so was ist immer eine<br />
heikle Sache, aber sogar „Syphon & destroy“, meinen absoluten<br />
Lieblingssong, finde ich auch in der neuen Version<br />
wieder genauso geil. Ein absoluter COMMON ENEMY-Fan<br />
scheint auch Dave Horrorbiz zu sein, ihr Mann und Label<br />
in Europa, der weder Geld noch Mühen gescheut hat, um<br />
„Living The Dream?“ auch als Vinyl rauszubringen. Auch<br />
das fantastische Comic-Artwork wirkt in der Größe viel<br />
cooler, und dass ein Download-Code beiliegt, ist ja heute<br />
state of the art. Allerdings muss ich zugeben, mit COM-<br />
MON ENEMY auf den Kopfhörern durch die Stadt zu laufen,<br />
das kann sich ziemlich desaströs auf mein Sozialverhalten<br />
auswirken. Drauf geschissen, ich liebe den Sound<br />
dieser Band! Ab 20. Mai 2010 geht es übrigens für zehn<br />
Tage auf Europatour ...and again having fun? Interview im<br />
nächsten Ox. (10) Ute Borchardt<br />
FLESHIES<br />
Brown Flag<br />
LP+CD | Recess | recessrecords.com | 29:19 || Drei<br />
Jahre haben die FLESHIES angeblich an „Brown Flag“ gearbeitet<br />
– sie nennen es ihr „Chinese Democracy“ – aber es ist<br />
wohl eher anzunehmen, dass diverse Nebenprojekte und<br />
das Leben abseits <strong>von</strong> Musik die Arbeit am vierten Album<br />
der Kalifornier in die Länge zogen. Leisten konnten sie sich<br />
solchen Zeit-Luxus, da wieder im Studio <strong>von</strong> Schlagzeuger<br />
Hamiltron aufgenommen wurde; etwas externes hätte<br />
ihnen wohl auch niemand finanziert, muss man die FLES-<br />
HIES doch auch weiterhin als relativ unverkäuflich einstufen.<br />
Dass das der Grund ist, warum „Brown Flag“ nicht wie<br />
die Vorgänger bei Alternative Tentacles erscheint, sei hiermit<br />
behauptet, aber nicht bewiesen. Dabei sind die FLES-<br />
HIES auf „Brown Flag“ so eingängig wie seit dem Debütalbum<br />
„Kill The Dreamer’s Dream“ <strong>von</strong> 2001 nicht mehr;<br />
dass beispielsweise Sänger John Geek sein Faible für Progressiv-Hardcore<br />
bei TRICLOPS! auslebt, hat bei den FLE-<br />
SHIES etwas an Sperrigkeit aus dem Weg geräumt. „This is<br />
the closet FLESHIES can get to writing a genuine pop rock<br />
record“, sagt er selbst, und das trifft insofern zu, weil solch<br />
straighte Punkrock-Songs wie hier gerade auf dem Vorgänger<br />
„Scrape The Walls“ kaum zu finden waren, stimmt<br />
allerdings nur bedingt, wenn man sich an der generellen<br />
Kauzigkeit der Band stört oder was dagegen hat, wenn ein<br />
Song wie das knapp siebenminütige „Finger in the sky“ in<br />
etwas gipfelt, das nach Hippie-Hymne meets Bowie klingt.<br />
Damit hätte man sich aber sogleich als Idiot geoutet, der<br />
sich irgendwann in den ignoranten Arsch beißt, wenn er<br />
in Retrospektiven lesen darf, wie brillant und einzigartig<br />
diese leider immer übersehene Band namens FLESHIES<br />
doch rückblickend war. (9) André Bohnensack<br />
I WALK THE LINE<br />
Language Of The Lost<br />
LP/CD | Fullsteam/Rookie/Cargo | fullsteamrecords.com<br />
| 34:00 || Keine zwei Jahre liegen zwischen<br />
dem überraschendem „Black Wave Rising“ (Review #78)<br />
und dem neuen Werk der fleißigen Finnen. Und dieses tut<br />
hörbar gut, wirkt wie ein Befreiungsschlag, obwohl es thematisch<br />
in tief zerrissene Seelen blicken lässt – „Die Sprache<br />
der Verlorenen“ in zehn düsteren Kapiteln. Musikalisch<br />
präsentiert sich die Band hier so stimmig, kompakt<br />
und spannend wie noch nie. Jawohl, auch ein viertes kann<br />
ein bestes Album sein. Was auf dem Vorgänger noch dezent<br />
begonnen wurde, fortan als neuer Status quo galt, gilt hier<br />
erst recht: Sphärische Wavesounds, Schlagzeugspiel weitab<br />
der 4/4-Norm und latente Weltuntergangsstimmung als<br />
thematische Klammer. Herzlich willkommen im Schattenreich<br />
des bunten Punk-Zirkus, den die Band weiter<br />
gen eigenen Sphären verlässt. Synthies ersetzen Hammond,<br />
progressive Songstrukturen die klassischen. Treibende<br />
Rhythmen lassen den einstigen puren Punkrock fast<br />
vergessen. Aber nur fast, denn IWTL sind auch 2010 IWTL.<br />
Wäre auch schade um die eingängigen Punkriffs, die fast<br />
in jedem Song <strong>von</strong> tollen Melodiebögen begleitet wurden<br />
und auch werden. „Backfire“, „Every stone left unturned“<br />
und „Lost frequency“ grooven sich sofort ins Gehör. „Neon<br />
lights“ und „Sleepwalking (To the end of the world)“ hingegen,<br />
sind die bisher progressivsten Songs mit mächtigem<br />
Elektro-Touch und sind verdammt eingängig. „Kill your<br />
friends“ ist ein „nettes“ halbakustisches Stück über zwischenmenschliche<br />
Enttäuschungen. Der für mich beste<br />
Song des Albums ist das abschließende „When the roads<br />
are running out“. Groovender, versetzt gespielter Rhythmus<br />
und der intensive Refrain garantieren Suchtpotenzial.<br />
Eher Eighties als späte Seventies, aber essentieller denn<br />
je. Kurzum: zehn unentbehrliche Tracks für die Weltuntergangsparty.<br />
Klasse! (9) Lars Weigelt<br />
LEATHERFACE<br />
The Stormy Petrel<br />
CD | Big Ugly Fish/Cargo | biguglyfish.co.uk | 40:22<br />
|| Der geschätzte Kollege Stille brachte meinen ersten<br />
Eindruck des neuen LEATHERFACE-Albums mit diesen<br />
unverblümten Worten zum Ausdruck: „Ganz oben auf<br />
der Downer-Liste. Ein Review dazu könnte aus einem Wort<br />
bestehen: GÄHN!“ Nun bin ich auch nicht dagegen gefeit,<br />
mal ein vorschnelles Urteil zu fällen, doch genau das hatte<br />
ich wohl in diesem Fall getan. Denn das neue LEATHER-<br />
FACE – das erste seit „Dog Disco“ <strong>von</strong> 2004 – ist der typische<br />
Fall eines Albums, dessen zwölf Songs man über einen<br />
längeren Zeitraum auf sich wirken lassen muss. Gierig ein<br />
erstes Mal angehört ist die Chance auf Enttäuschung groß,<br />
sind Frankie Stubbs, Dickie Hammond, Graeme Philliskirk<br />
und Stefan Musch ein ganzes Stück ruhiger geworden,<br />
vermisst man die bärige, rauhe Härte, für die man<br />
sie doch so liebt, wegen der sie <strong>von</strong> so einigen Bands verehrt<br />
und kopiert werden. Nun, mir scheint auch Stubbs<br />
ist nicht gefeit gegen eine gewisse Altersmilde, und genau<br />
die schlägt hier durch. Wer sich <strong>von</strong> „The Stormy Petrel“<br />
(„Storm Petrel“ ist die englische Bezeichnung des<br />
Sturmvogels) jene brüllenden, lauten, schmerzerfüllten,<br />
aggressiven Nummern erhofft, die man <strong>von</strong> LEATHER-<br />
FACE neben ruhigeren, melancholischen Nummern auch<br />
immer erwarten durfte, der hat Grund enttäuscht zu sein,<br />
sollte aber unbedingt noch 5, 10, 15 weitere Hördurchgänge<br />
absolvieren – und ich wette, irgendwann „klickt“<br />
das Album, denn nicht nur der wundervolle Opener „God<br />
is dead“, sondern auch Stücke wie „Broken“ oder „Monkfish“<br />
haben sich festgesetzt, erweisen sich als weitere Hits<br />
im LEATHERFACE-Universum, in dem die Band aus Sunderland<br />
immer noch der am hellsten leuchtende Stern ist,<br />
um den all die Verehrer kreisen. Wundervoll! (9)<br />
Joachim Hiller<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
MAD SIN<br />
Burn And Rise<br />
CD | People Like You | peoplelikeyou.de | 51:48 ||<br />
Ursprünglich sollte das zehnte MAD SIN-Album gar nicht<br />
„Burn And Rise“ heißen. Als die Band die Arbeit an der<br />
Platte aufnahm, stand der Titel „MAD SIN Must Burn“ im<br />
Raum; eine Anspielung auf das partystarke Bandleben, in<br />
dem keine Feier ausblieb und die Nächte zu Tagen gemacht<br />
wurden. Dann kam 2009 und mit ihm mehrere dramatische<br />
Wendungen. Sänger Köfte deVille wurde <strong>von</strong> seiner<br />
langjährigen Freundin verlassen, drei Menschen in seinem<br />
Umfeld starben und er selber entging nur knapp dem Tode.<br />
Danach war ihm klar, dass er sein Leben umstellen musste,<br />
wenn er erstens weiterleben wollte und MAD SIN zweitens<br />
auch in Zukunft zu den wichtigsten Akteuren der weltweiten<br />
Psychobilly-Szene zählen sollten. Es folgten ein radikal<br />
geänderter Lebenswandel und der Wille, nach dem 2009er<br />
Burnout das bisher beste Album zu schreiben. Als Erstes<br />
verwarf man daher die Titelidee und benannte die Scheibe<br />
in „Burn And Rise“ um. Dann besann man sich auf die<br />
musikalischen Ursprünge der Band, die sich <strong>von</strong> den sehr<br />
punkigen Vorgängern und „Survival Of The Sickest“ (2002)<br />
und „Dead Moon’s Calling“ (2005) entfernen wollte. Das<br />
heißt konkret, dass „Burn And Rise“ in weiten Teilen eine<br />
Rockabilly- beziehungsweise klassische Psychobilly-Platte<br />
geworden ist, die aber durchaus genreuntypische Inhalte<br />
hat. Denn während der Opener „Last gang standing“ und<br />
das wütende „Shitlist bop“ rein musikalisch gesehen flotte<br />
Rockabilly-Stomper sind, liegen den Songs gerade die sehr<br />
ernsten Ereignisse des Jahres 2009 zugrunde. Ebenso erzählen<br />
das balladeske „Für immer“, das an den frühen Cash<br />
angelehnte „Nine lives“ sowie der treibende Psycho-Song<br />
„She’s evil“ da<strong>von</strong>, sich nach einer zerbrochenen Beziehung<br />
wieder aufzuraffen. Zum anderen gibt es sozialkritische<br />
Songs. „Won’t see the sunrise anymore“ ist musikalisch<br />
an die METEORS angelehnt, der Text spricht allerdings<br />
<strong>von</strong> Köftes Ekel gegenüber den Taten Joseph Fritzls.<br />
Außerdem lud sich Köfte SMOKE BLOWs Letten ein, um<br />
gemeinsam im schnellen „Geisterfahrer“ das gesellschaftliche<br />
Leben in Deutschland als Fahrt eines Geisterfahrers zu<br />
beschreiben, während er sich einige Songs später in „Devil’s<br />
tail“ fragt, warum es zu Amokläufen junger Menschen<br />
kommt. Kurzum: „Burn And Rise“ ist musikalisch interessant,<br />
weil MAD SIN nach zwei punkigen Alben zu ihren<br />
Wurzeln zurückkehren. Inhaltlich brilliert das Album, weil<br />
die Band Themen aufgreift, die sie in dieser Form vorher<br />
nicht behandelt hat. Beides zusammen lässt nur ein Urteil<br />
zu: MAD SIN ist nach dem 2009er Down tatsächlich ihr<br />
bestes Album geglückt. (9) Lauri Wessel<br />
PROJECT:KOMAKINO<br />
The Struggle For Utopia<br />
CD | Desire/Broken Silence | dersire.com | 37:48<br />
|| Wer 2009 nach einer perfekten Synthese aus dem<br />
Bass <strong>von</strong> RED LORRY YELLOW LORRY und der beklemmenden<br />
Dunkelheit <strong>von</strong> JOY DIVISION suchte, kam an<br />
PROJECT:KOMAKINO aus London um den jungen Grafiker<br />
und Musiker Kris Kane nicht vorbei. Lange Zeit war das<br />
Album nur als Japanimport erhältlich und ist nun seit kurzem<br />
auch in Europa veröffentlicht. Eines der besten Alben<br />
des vergangenen Jahres. Ein Song wie das treibende „Pen-<br />
rEvIEws<br />
/Top of ThE ox<br />
umbra 1“ kommt wie eine massive schwarze Wand aus<br />
Dark Wave, Post-Punk und der dunklen elektronischen<br />
Seite des Krautrock daher. Der Bariton <strong>von</strong> Kris Kane ist<br />
in diesem Song so dunkel, dass er Vergleiche kaum zulässt.<br />
Das passt, denn die Texte handeln oft <strong>von</strong> dystopischen und<br />
anti-utopischen Fiktionen künftiger Gesellschaften (so ist<br />
schon der Albumtitel fast als geistiger Gegenentwurf zu<br />
<strong>Thomas</strong> Morus Buch „Utopia“ zu verstehen). Songs wie<br />
„Nebula“ und „Walking on glass“ verleihen Dunkelheit,<br />
Dekonstruktivismus und Katharsis einen magischen Glanz.<br />
Die elektronischen Elemente der Stücke haben durchaus<br />
Ähnlichkeit mit der Art und Weise, wie man sie vom<br />
„Low“-Album (1977) <strong>von</strong> David Bowie kennt. Mit ULTE-<br />
RIOR, ELECTRICITY IN OUR HOMES (die bereits mit<br />
James Chance spielten) und IPSO FACTO, mit denen Kris<br />
Kane bereits live gespielt hat, haben sich zur Zeit in UK<br />
einige Bands jenseits der Wahrnehmung eines breiten Publikums<br />
etabliert, die einen (stark Post-Punk-beeinflussten)<br />
Sound spielen, der in seiner Authentizität ihren geistigen<br />
Überväter aus den späten Siebziger und frühen Achtziger<br />
Jahren in nichts nachsteht. Bei PROJECT:KOMAKINO gibt<br />
es eine enge Verknüpfung der Musik mit den Aktivitäten<br />
<strong>von</strong> Kris Kane als Grafiker, der stark durch das im gerade<br />
industrialisierten Russland geprägte Grafikdesign beeinflusst<br />
ist (was man dem Coverartwork der japanischen<br />
Erstausgabe des Albums deutlich anmerkt). Das Album<br />
schließt mit einigen guten Remixes, unter anderem <strong>von</strong><br />
Tom Furse (THE HORRORS) und – sehr gelungen – dem<br />
russischen Cold Wave-Protagonisten MOTORAMA. (10)<br />
Markus Kolodziej<br />
TRANS AM<br />
Thing<br />
CD | Thrill Jockey | thrilljockey.com | 38:40 ||<br />
Kürzlich erschien auf Thrill Jockey eine limitierte Vinlyonly-Veröffentlichung<br />
eines TRANS AM-Live-Albums,<br />
und jetzt folgt auch eine neue Studioplatte, drei Jahre nach<br />
„Sex Change“. Orientierte sich der Vorgänger stark an Achtziger-Synthiepop<br />
und Elektro-Funk, besitzt „Thing“ eine<br />
Art „Back to the roots“-Feeling und einen weniger songorientierten<br />
Charakter. Ansonsten bleibt in gewisser Weise<br />
alles beim Alten: während Sebastian Thomson am Schlagzeug<br />
mit einem fordernd treibenden Rhythmus die Basis<br />
schafft, produzieren Nathan Means und Philip Manley mit<br />
Gitarre, Bass und Keyboards zitierfreudigen, nicht ganz<br />
unironischen voluminösen Spacerock, der noch stärker als<br />
sonst seine Beeinflussung durch allerlei Krautrock-Spielarten<br />
offenbart, selbst wenn sich darin auch mal ein paar<br />
TUBEAWAY ARMY/Gary Numan-Zitate verirren. Den<br />
Vocoder-Gesang empfinde ich aber als eher abturnend. Im<br />
Info zur Platte witzelt das Trio aus Washington DC darüber,<br />
dass „Thing“ eigentlich der Soundtrack für einen aktuellen<br />
großen Science Fiction-Film werden sollte, aber da hätte<br />
jemand kurzfristig kalte Füße bekommen – Humor hatten<br />
die Jungs ja schon immer. Das mit dem Soundtrack ist<br />
allerdings nicht unbedingt falsch, denn das Album besitzt<br />
tatsächlich eine abstrakte Qualität, und im Vordergrund<br />
steht dabei ein stärkeres Experimentieren mit Sound und<br />
Rhythmus, in das man sich erst mal reinhören muss. Dann<br />
entfaltet aber auch „Thing“ die Qualitäten, die TRANS AM<br />
seit ihrem Debüt 1996 zu so einer gleichbleibend spannenden<br />
Band gemacht haben, deren feiner Sinn für Selbstironie<br />
nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass hier drei<br />
intelligente und extrem fokussierte Musiker am Werk sind.<br />
(9) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
TINY GHOSTS<br />
Another Poison Wine<br />
CD | Destination Unknown | destinationunknownrecords.de<br />
| 43:12 || Mit „Everytime We Write A Love<br />
Song“ veröffentlichte die Band aus Freiberg Ende 2008 ein<br />
Album, das für den hungernden und dürstenden HÜSKER<br />
DÜ-Fan dem lang ersehnten Regen nach langer Dürre entsprach:<br />
Da machte sich eine Band aus Enddreißigern daran,<br />
ihren Helden des Achtziger-(Post-)Punk wie WIPERS,<br />
GUIDED BY VOICES und HÜSKER DÜ zu huldigen, und sie<br />
machte alles richtig: Ein ganzes Album voller zart schmelzender<br />
Indierock-Hymnen, sogar am Gesang gab es nichts<br />
auszusetzen – wundervoll. Rund zwei Jahre später sind die<br />
TINY GHOST nun zurück, und das lässt sich vorausschicken:<br />
„Another Poison Wine“ ist genauso wundervoll wie<br />
das Debüt. Mir fällt vor allem auf, dass ich bei den Inspiration<br />
gebenden Bands damals eine zu erwähnen vergessen<br />
habe, die sich diesmal deutlich aufdrängt: R.E.M. Bei<br />
allen Erfolgen sind die sich ja auch immee treu geblieben,<br />
haben ihren markanten, aus der gleichen Schule wie<br />
HÜSKER DÜ stammenden Sound nie geändert, nur variiert,<br />
und wenn ich die Hart/Mould/Norton-Ähnlichkeit<br />
der TINY GHOSTS etwas verschiebe, landen wir bei Grant<br />
Harts Solowerken sowie Moulds SUGAR. Will heißen:<br />
Die TINY GHOSTS sind gereift, der schon HD beeinflussende<br />
Neil Young drückt hier immer wieder durch, und das<br />
Ergebnis ist ein Werk, das zwar nicht grundsätzlich durch<br />
Originalität glänzt, aber auch alles andere als der Versuch<br />
ist, einen Cover-Contest zu gewinnen. Man hört dem Vierer<br />
einfach auf äußerst wohltuende Weise seine Einflüsse<br />
an, die instrumentale und gesangliche Ausführung wie<br />
auch die Produktion ist makellos, das Songwriting und das<br />
Arrangement meisterlich. Ich würde mir wünschen, bei<br />
der nächsten Tour <strong>von</strong> Bob Mould wären TINY GHOSTS<br />
Vorgruppe, und dann kommt bei der Zugabe der Meister<br />
auf die Bühne, nimmt seine Gitarre und spielt mit ihnen–<br />
ohne Vocoder-Verzerrung – „Sorry somehow“ ... (9)<br />
Joachim Hiller<br />
OX-FANZINE 85
EvIEws<br />
THE AMPHETAMEANIES<br />
Good One Go<br />
7“ | Rat Race | ratracerecords.de || In diesem Jahr soll<br />
es endlich das dritte Album meiner schottischen 2Tone-<br />
Lieblinge geben. In der Zwischenzeit will die Band das<br />
neue Material live prüfen und wird vielleicht auch wieder<br />
hierzulande zu sehen sein. Laut Marc vom Label Rat Race<br />
soll es bis zur Veröffentlichung der neuen Platte das eine<br />
oder andere 7“-Vinyl geben. „Good One Go“ ist also der<br />
Anfang. Schöne Melodien, treibende Rhythmik und sehr<br />
gelungene Bläserarrangements. Beide Stücke haben einen<br />
sehr melancholischen Charakter, was zumindest mein subjektives<br />
Erleben betrifft. Mal was anderes. Bin gespannt,<br />
was uns dieses Jahr sonst noch aus Glasgow erwartet. (8)<br />
Simon Brunner<br />
AIR FORMATION<br />
Low December Sun<br />
7“ | Club AC 30 | clubac30.com || Ein schöner Hybrid<br />
aus Shoegazer-Pop und Space-Rock, der deutlich unter<br />
dem Einfl uss <strong>von</strong> THE JESUS & MARY CHAIN und MY<br />
BLOODY VALENTINE steht. Seit zehn Jahren veröffentlich<br />
die Band aus Brighton Alben, die weitestgehend an der<br />
Öffentlichkeit vorbeigehen. Eine Delay-Gitarre mit Feedback<br />
und einem reduzierten Keyboard-Sound tragen den<br />
sehr unaufdringlichen Gesang <strong>von</strong> Sänger Matt Bartram<br />
durch die Songs. AIR FORMATION haben das Potenzial,<br />
auch mal mit ihren Brüdern im Geiste THE HORRORS die<br />
Bühne zu teilen. Matt Bartram veröffentlichte jüngst auch<br />
ein sehr hörenswertes Soloalbum. (7) Markus Kolodziej<br />
BARRERACUDAS<br />
Dog Food/Diet Coke<br />
7“ | Bachelor | bachelorrecords.com || Die A-Seite<br />
ist uninspirierter garagiger Pubrock-Song mit Piano über<br />
das Lieblingsessen des Sängers. Soll wohl auf lässige Hunde<br />
schließen lassen, ist aber unlustig und Lieder über Essen ist<br />
ja nur noch Nineties. Die B-Seite hingegen (dass man sich<br />
so was in Atlanta, Georgia traut) ist ein hübsch glammiger<br />
Powerpop-Ohrwurm. Werden aber selbst in ihrem Genre<br />
keine großen Spuren hinterlassen. (7) Walmaul<br />
BOUVET<br />
s/t<br />
7“ | Sound Fiction | soundfi ction.no || Sehr schöne<br />
und aufwendig gemachte Single der Band aus Norwegen,<br />
mit einem sehr ansprechendem und artifi ziellem Design.<br />
Ein Architekt, ein Ornithologe und ein Lehrer für Italienisch<br />
spielen in ihrer Freizeit in einer Band und lassen<br />
erst mal offen, wer für den mitunter etwas enervierenden<br />
Gesang verantwortlich ist: aber die Musik (ohne Gesang)<br />
und das Artwork sind in Ordnung, kann man mögen. (6)<br />
Markus Kolodziej<br />
COOL JERKS / PSYCHODAISY<br />
Split<br />
7“ | Soundfl at | soundfl at-records.de || Na, es geht<br />
doch ... So mal eben, als Schwanengesang sozusagen, bringen<br />
die COOL JERKS einen ihrer besten Songs raus. „Sorry<br />
und goodbye“ ist ein würdiger Ausstand für eine der heißesten<br />
Partybands der Republik. Schade eigentlich, mehr<br />
<strong>von</strong> diesem hochkarätigen (deutschsprachigen) Material<br />
wäre mir schon sehr recht gewesen. Der Song hält durchaus<br />
die Qualität des 03er-Albums „Wir beaten mehr“, der<br />
ersten rein deutschsprachigen CJ-LP. Splitsinglepartner<br />
OX-FANZINE 86<br />
relativ stumpfen Grundriffs, die SIX FEET UNDER zur<br />
Ehre gereichen würden, andererseits am abgrundtiefen<br />
Gegrowle, das konsequent jede Art <strong>von</strong> Variation verweigert,<br />
arg denglischt und obigen Eingangsspaß zu erschreckender<br />
Realität werden lassen könnte. Gerade die Gitarrenläufe,<br />
die gelegentlich Anleihen im Thrash Metal nehmen,<br />
machen den Reiz aus, den BASTARD durchaus hat.<br />
Ohne deren Akzente wäre „Aftermath“ allerdings nur<br />
Stangenware. (6) Dr. Oliver Fröhlich<br />
SARAH BLACKWOOD<br />
Wasting Time<br />
CD | Wolverine | wolverine-records.de | 40:43 ||<br />
Sarah Blackwood kann was. Das zeigt sie nicht nur als Sängerin<br />
<strong>von</strong> THE CREEPSHOW, sondern auch bei ihren Soloalben.<br />
Auf ihrem Debüt<br />
„Way Back Home“ hat<br />
sie die Hörer auf eine<br />
Reise zu ihren musikalischen<br />
Wurzeln eingeladen.<br />
Ganz abseits vom<br />
Psychobilly hat sie ein<br />
sehr persönliches und<br />
auch außergewöhnliches<br />
Album, das eher im<br />
Genre Singer/Songwriter,<br />
Americana, Country,<br />
Folk und Rockabilly<br />
beheimatet ist, herausgebracht.<br />
Mit „Wasting Time“ beweist Sarah Blackwood, dass<br />
das Debüt kein Zufallstreffer war. Das neue Album ist noch<br />
besser. Die Melancholie scheint etwas verschwunden zu<br />
sein. „Wasting Time“ wirkt fröhlicher, reifer – und manchmal<br />
auch etwas poppiger oder auch stellenweise mal mehr<br />
nach „Nashville“. Eine Form <strong>von</strong> „Wasting Time“ ist ihre<br />
neue Scheibe auf keinen Fall – im Gegenteil: Das Album ist<br />
ein Glücksfall (9) Igor Eberhard<br />
BIRDS ARE ALIVE<br />
Plucked & Fucked Up<br />
CD | Kizmiaz | myspace.com/kizmiazrds | 36:37 ||<br />
Ich verstehe nach wie vor den Reiz, als One-Man-Band<br />
Musik zu machen, einfach dieses Gefühl, mehrere Instrumente<br />
gleichzeitig zu spielen und zu merken, was für<br />
ein Sound da raus kommt. In puncto Hören bin ich aber<br />
schon längere Zeit überreizt, zu viel Durchschnitt wird<br />
da an die Oberfl äche gespült. BIRDS ARE ALIVE aus Nantes<br />
in Frankreich pendelt sich für mich etwas darüber ein,<br />
ist aber trotzdem genretypische Kost: Bumtschak-Drums,<br />
eine mal dezente, mal distorted Bluesgitarre und (meist)<br />
verzerrter Gesang. Kizmiaz spricht <strong>von</strong> Bands und Musikern<br />
auf Fat Possum und Alive Records, und das passt als<br />
Vergleich auch ganz gut. Genrefans dürfte das gefallen,<br />
mein Bauch ist einfach voll. John Schooley, King Automatic<br />
und ein paar andere halten da einfach das Zepter in der<br />
Hand. Das Siebdruck-Artwork auf braunem Karton sieht<br />
übrigens einfach klasse aus und „Black feather“ ist ein sehr<br />
schöner Song. (6) Alex Strucken<br />
BRANT BJORK<br />
Gods & Goddesses<br />
CD | Low Desert Punk/Cargo | lowdesertpunk.com |<br />
32:30 || Brant Bjork hat schon wieder ein neues Album?<br />
Na ja, gut, das letzte ist ja auch schon fast zwei Jahre her ...<br />
Der Mann produziert wirklich Musik ohne Ende. Seit dem<br />
letzten Album, „Punk Rock Guilt“, tut er das sogar auf seinem<br />
eigenen Label, Low Desert Punk. Und „Gods & Goddesses“<br />
ist wieder ein Brant Bjork-Album geworden, wie<br />
PSYCHODAISY, dem Connaisseur bereits durch die Split-<br />
7“ mit TEENAGE MUSIC INTERNATIONAL ein Begriff,<br />
liefern ebenfalls gewohnt gute Kost ab und belegen eine<br />
würdevollen zweiten Platz mit ihrem Verzweifl ungsbeatsong<br />
„Manchmal möchte’ ich dir was sagen“, einer völlig<br />
beat(le)ifi zierten Ode an eine verloren geglaubte Liebe.<br />
Schöne Splitsingle fürs DJ-Köfferchen, man kann wahllos<br />
irgendeine Seite aufl egen, ohne etwas falsch zu machen.<br />
(9) Gereon Helmer<br />
CLOROX GIRLS<br />
All I Wanna Do<br />
7“ | Discos Subterraneos | myspace.com/discosubterraneos<br />
|| Drei Songs, da<strong>von</strong> zwei auf Spanisch, der<br />
Landessprache des Labels dieser EP. Hat ein schönes, festes<br />
Kartoncover, aber irgendwie sind hier nicht die besten<br />
Songs der CLOROX GIRLS enthalten. Gefällig, nett, aber<br />
nicht eingängig. (5) Kalle Stille<br />
COSMETICS<br />
Soft Skin<br />
7“ | Captured Tracks | capturedtracks.com ||<br />
Debütsingle des Duos Nic M und Aja Emma aus Vancouver<br />
– und die macht süchtig. Während Aja Emma in „Soft<br />
Skin“ wie eine unterkühlte Cold-Wave-Diva auf einem<br />
glasklaren Minimal-Synth-Teppich singt und das mit einer<br />
Stimme, die nur zu perfekt an Siouxsie Sioux erinnert, ist<br />
„Black leather glove“ auf der B-Seite eher in der Nähe eines<br />
frühen YEAH YEAH YEAHS-Songs (mit TUBEWAY ARMY-<br />
Reminiszenzen), als Karen O noch nicht über den Catwalk<br />
in Paris taumelte. Für dieses Jahr ist noch ein Album der<br />
COSMETICS in Vorbereitung, das für Cold- und Minimal-<br />
Wave-Protagonisten ein Highlight werden dürfte. Sollten<br />
die COSMETICS in unseren Breitengraden auftreten, dann<br />
bitte mit NOBLESSE OBLIGE. Ganz generell sollte man die<br />
Veröffentlichungen des New Yorker Labels Captured Tracks<br />
im Auge behalten, das mitunter ganz obskure Schätze veröffentlicht.<br />
(9) Markus Kolodziej<br />
THE COURTEENERS<br />
You Overdid It Doll<br />
7“ | Universal/Polydor | polydor.com || Die Band<br />
aus Manchester begeistert, indem sie nonchalant dem<br />
Drive der frühen THE LIBERTINES den Hall und Pathos<br />
der EDITORS einhaucht. Sehr großartige und eingängige<br />
Melodien, und was will man <strong>von</strong> einer Band mehr erwarten,<br />
die sich öffentlicher „Liebesbekundungen“ <strong>von</strong> Morrissey<br />
erfreuen darf. Seine Begeisterung war so groß, dass er<br />
einen ihrer Songs bei einer Session für den amerikanischen<br />
Sender KRCW coverte. Und wer möchte dem Mozzer<br />
widersprechen, wenn er über die COURTEENERS treffend<br />
formuliert: „Every song is very strong and full of hooks and<br />
full of dynamics and I thought, ,this is great‘ and that so<br />
many groups in England, they’re hyped and they’re huge<br />
and they’re all over the press and they don’t really actually<br />
have any songs, they don‘t really have anything to offer.“<br />
Auch Gitarrist Johnny Marr (THE SMITHS, THE CRIBS)<br />
hat sich bereits als Fan geoutet. (9) Markus Kolodziej<br />
DELPIC<br />
Doubt<br />
7“ | Polydor | polydor.com || Das vielzitierte „Musthave“<br />
für Fans <strong>von</strong> NEW ORDER. DELPIC können getrost in<br />
einem Atemzug mit den KLAXXONS und den zu Zeit sehr<br />
hippen und euphorisierenden THESE NEW PURITANS<br />
es typischer nicht sein könnte: komplett aus einem Guss,<br />
entspannt und unglaublich groovend. Wenn meine persönlich<br />
Meinung auch ist, dass die gesamte Stoner-Rock-<br />
Szene nie wieder an die Großartigkeit <strong>von</strong> KYUSS heranreichen<br />
wird, so denke ich auch, dass Brant Bjork derjenige<br />
ist, der am ehesten den apodiktisch lakonischen Vibe, dieses<br />
gespannt-entspannte sich wenden, das ein wesentlicher<br />
Bestandteil <strong>von</strong> KYUSS war, aufgenommen und weitergeführt<br />
hat. Was ich allerdings nach wie vor an Brant Bjork<br />
bemängele, ist, dass es eben nur dieser Vibe ist, den er aus<br />
der guten alten Zeit herübergerettet hat. Mir ist das Ganze<br />
auf Albumlänge einfach etwas zu dröge, etwas zu unspannend,<br />
auch wenn das Album, wie „Gods & Goddesses“ nur<br />
acht Songs lang ist. Schnellere Songs sucht man auf diesem<br />
Album vergeblich, aber wer dem Groove huldigen will, ist<br />
hier goldrichtig. (7) Nadine Maas<br />
BLACK BONED ANGEL<br />
Verdun<br />
CD | Riot Season/Cargo | riotseason.com | 51:55 ||<br />
Die Schlacht um Verdun gilt heute als Symbol des modernen<br />
Krieges: 320.000 französische und deutsche Soldaten<br />
starben 1916 um und in<br />
der Stadt im Nordosten<br />
Frankreichs, ohne dass<br />
dies zu nennenswerten<br />
Fortschritten auf beiden<br />
Seiten während des ersten<br />
Weltkrieges führte.<br />
Dass das neuseeländische<br />
Trio BLACK BONED<br />
ANGEL mit seinem fünften<br />
Album (vier da<strong>von</strong><br />
in den letzten zwei Jahren<br />
erschienen) „Verdun“<br />
nun den passenden<br />
Soundtrack für dieses monatelange Warten und Sterben<br />
geschrieben hat, mag zynisch klingen, trifft es aber aus<br />
künstlerischer Sicht. Sich langsam aufbauend, stetig lauter<br />
und brutaler werdend und in Gitarrenlärm und Kriegsgeräuschen<br />
gipfelnd, ist „Verdun“ ein in drei Akte unterteiltes,<br />
knapp eine Stunde langes Stück Drone-Doom, dessen<br />
bedrückend apokalyptische Atmosphäre mit nur minimalen<br />
Mitteln erzeugt wurde. Oder, wie es ein Reviewer auf<br />
metal-archives.com ausdrückt: keine Japaner mit Laptops,<br />
keine osteuropäischen Sounddesigner, kein gregorianisch<br />
beeinfl usster Gesang, bloß drei Neuseeländer mit sehr, sehr<br />
lauten Instrumenten. Das ist wohl als Seitenhieb auf die<br />
jüngeren Entwicklungen bei SUNN O))) zu verstehen. (9)<br />
André Bohnensack<br />
BRIDGES LEFT BURNING<br />
A Breath Of Loss<br />
CD | Down The Drain | downthedrainrecords.de |<br />
29:10 || Der bayerische Fünfer legt hier nach einer EP<br />
sein Debütalbum vor und liefert eine halbe Stunde schön<br />
melodischen Hardcore-Punk ab. Die Lyrics behandeln<br />
zwar nicht neue, dafür aber immer aktuelle Themen, so<br />
wird gegen Religion, Krieg und Ausbeutung gewettert,<br />
auch persönliche Orientierungslosigkeit oder eine kritische<br />
Auseinandersetzung mit den Veränderungen in der<br />
eigenen Szene fi nden ihren Platz. Ein kleiner Wermutstropfen<br />
ist, dass die Platte etwas schizophren klingt. So<br />
sind die Songs eigentlich im melodischen HC und Punkrock<br />
zu Hause, wecken dann Erinnerungen an BOYSETS-<br />
FIRE zu „After The Eulogy“-Zeiten, alte STRIKE ANY-<br />
WHERE oder warten mit kleinen PROPAGANDHI Zitaten<br />
auf. Andere Tracks wiederum toben sich für mich ein<br />
genannt werden, deren „We want war“ einer der besten<br />
Songs des vergangen Jahres gewesen ist. Extrem melodiöser<br />
und tanzbarer Synth-New-Wave, der knietief in den Achtziger<br />
Jahren steckt. In Deutschland hat die Band aus Manchester<br />
bereits als Support für BLOC PARTY gespielt, und<br />
vermutlich wird sie der NME in Kürze verheizen. (8)<br />
Markus Kolodziej<br />
DOCTOR EXPLOSION<br />
The Chesterfield Childish Club<br />
7“ | Soundfl at | soundfl at-records.de || Seit langem<br />
das erste Lebenszeichen der Spanier, die live zwar immer<br />
aktiv waren, aber in Sachen Studioaufenthalt eher faul. So<br />
wurden zwei der vier Songs hier auch schon 2004 aufgenommen,<br />
die beiden anderen entstanden zwischen<br />
2006 und 2009 – schnell geht anders. Jetzt endlich haben<br />
Mike Mariconda und Jorge Explosion letzte Hand angelegt<br />
und Soundfl at-Traxel brachte das Ding raus und alle<br />
sind zufrieden und glücklich, denn irgendwie habe ich sie<br />
vermisst, die hektischen Spanier mit ihrem mitreißenden<br />
Mix aus Sixties-Garage-Punk und R&B. Laut Band sind die<br />
Songs trotz anders lautender Titel zum Teil Coversongs <strong>von</strong><br />
LARRY AND THE BLUE NOTES und Chuck Berry – und<br />
der Titelsong scheint ja sowieso eine kleine Vorbeugung<br />
vor CHESTERFIELD KINGS und Billy Childish zu sein. Auf<br />
Platte gut, live aber noch viel besser! (8) Joachim Hiller<br />
EA80 / DIE STRAFE<br />
(Unser) Gießen<br />
5“ | Slowboy | slowboy.de || „Ausverkauft!“ steht auf<br />
der Slowboy-Website unter der Beschreibung dieser 5“, die<br />
sich in einem normalen CD-Pappschuber versteckt und als<br />
sauber kleingestanzte 7“ entpuppt, die zudem nur einseitig<br />
bespielt ist. Auf der unbespielten Seite gibt’s eine Lasergravur<br />
des Gießener Stadtwappens, auf der bespielten drängeln<br />
sich drei Minuten Musik, verteilt auf zwei Stücke, auf<br />
gerade mal einen knappen Zentimeter zwischen Ein- und<br />
Auslaufrille: Zum einen DIE STRAFE, zum anderen EA80.<br />
Exzellente Soundqualität geht anders, aber hey, das ist<br />
Punk. Beide Bands widmen sich der Würdigung der Karnevalskultur<br />
in der Heimatstadt der befreundeten BOX-<br />
HAMSTERS, und die Interpretation all dessen wird Musikwissenschaftler<br />
und Punk-Historiker mit dem Interessenschwerpunkt<br />
Niederrhein noch Jahrzehnte beschäftigen.<br />
Wer die Single hat, der hat sie, und wer nicht, der wird sie<br />
auch nicht mehr bekommen. Joachim Hiller<br />
FILTHY DIRTY MUGS<br />
Stop Thinking And Drink<br />
7“ | DC-Jam Records | dcjamrecords.com | 4:24 ||<br />
Die FILTHY DIRTY MUGS aus Kalifornien haben die „The<br />
Gang’s All Here“-Zeit der DROPKICK MURPHYS zum Vorbild<br />
und versuchen genauso zu klingen. Leider bleibt es<br />
beim Versuch, denn die Band reicht nicht ansatzweise an<br />
die DROPKICK MURPHYS ran. Deswegen ist dieses Release<br />
Zeitverschwendung, wenn man nicht Hardcore-Fan aller<br />
Spartenstreetpunkkombos ist, die jemals auf People Like<br />
You, Taang und diversen anderen Labels erschienen sind.<br />
(2) Lauri Wessel<br />
FEHLFARBEN<br />
Wir warten<br />
7“ | Tapete | tapeterecords.com || Eine dieser Singles,<br />
die ich nicht verstehe, weil beide Songs eins zu eins schon<br />
auf LP veröffentlicht wurden. Da rettet auch das rote Vinyl<br />
bisschen zu viel mit Metal-Licks und Doublebass aus. Die<br />
fl ott runtergezockten melodischen Songs stehen der Band<br />
wesentlich besser zu Gesicht. Alles in allem aber ein solides<br />
Debüt, bei dem man merkt, dass sich die dahinter stehenden<br />
Menschen Gedanken um die inhaltliche Komponente<br />
gemacht haben. Und ein „Life of Brian“-Sample ist<br />
sowieso über jeden Zweifel erhaben. (7) Sebastian Diez<br />
THE BASTARD NOISE /<br />
THE ENDLESS BLOCKADE<br />
The Red List<br />
CD | 20 Buck Spin | 20buckspin.com | 62:19 ||<br />
Gibt es jemanden, der den Überblick behalten hat über<br />
den Output <strong>von</strong> THE BASTARD NOISE oder gar alle Veröffentlichungen<br />
besitzt? Ich muss da passen, kann noch<br />
nicht mal sagen, wann die Kalifornier wieder zu „richtiger“<br />
Musik gefunden haben, hatte ich sie doch als reines<br />
Elektronik-Noise-Projekt in Erinnerung. Hier jedenfalls<br />
sind die 1991 als Nebenbeschäftigung <strong>von</strong> MAN IS THE<br />
BASTARD gegründeten THE BASTARD NOISE etwas, das<br />
einer konventionellen Auffassung <strong>von</strong> Musik zumindest<br />
nahe kommt und sich nicht so weit vom Powerviolence<br />
<strong>von</strong> MITB entfernt, natürlich unterlegt <strong>von</strong> einer Menge<br />
analog erzeugtem Noise. Ihrer Tradition der Split-Releases<br />
folgend, geht die Hälfte <strong>von</strong> „The Red List“ an die Kanadier<br />
THE ENDLESS BLOCKADE, die quasi den umgekehrten<br />
Weg gehen und ihren grindigen Powerviolence immer<br />
noisiger und elektronischer werden lassen. THE BASTARD<br />
NOISE haben übrigens in dem Zeitraum, in dem ich das<br />
hier schreibe und du es liest, noch ein paar mehr neue<br />
Platten aufgenommen. Viel Spaß beim Suchen. (8)<br />
André Bohnensack<br />
BORKNAGAR<br />
Universal<br />
CD | Indie Recordings/Soulfood | indierec.net |<br />
45:54 || Eine der wenigen wegweisenden Black-Metal-<br />
Bands ist seit mittlerweile 15 Jahren BORKNAGAR, die<br />
nach ihrem begnadeten Erstling mit naturverbundenem<br />
Tribaldrumming eine scharfe Kurskorrektur Richtung<br />
„progressiv“ unternahmen und sehr verspielt-verworrene<br />
Alben veröffentlichten, deren Hauptthema immer wieder<br />
das Leben im Einklang mit der Natur war. Dieser Weg gipfelte<br />
2007 in „Origin“, dem folkigen Akustik-Werk. „Universal“<br />
geht nun ein Stück zurück und bietet hervorragende<br />
komplexe Songs voller Melodien, Chorgesängen<br />
und harschem Gesang. Auch wenn zu Beginn zwei heftige<br />
Songs mit Reminiszenzen zum Frühwerk Einzug gehalten<br />
haben, ist „Universal“ über weite Strecken gleichsam traditionell<br />
wie progressiv-ruhig geraten, gelegentlich episch<br />
und pathetisch, aber aufgrund der abwechslungsreichen<br />
Instrumentierung immer spannend. Eine echte Bereicherung<br />
ist die Schweine-Orgel, die zusätzlich ein 70er Gefühl<br />
einfl ießen lässt. Dass eine Band wie BORKNAGAR nicht<br />
nur auf ausgeklügelte Arrangements Wert legt, sondern<br />
auch einen fantastischen organisch-transparenten Sound<br />
in binäre Zahlencodes verwandeln kann, sei hier nur als<br />
Randnotiz bemerkt. Grandiose Musik. (9)<br />
Dr. Oliver Fröhlich<br />
BARN BURNER<br />
Bangers<br />
CD | Metal Blade | metalblade.com | 40:40 || Im<br />
neuen Jahrtausend sind die offenbar in ihrem Stil eingefahrenen<br />
Labels wie Earache, Nuclear Blast oder in diesem<br />
Fall Metal Blade stark bemüht, ihren Backkatalog durch<br />
musikalische Vielfalt zu erweitern. War die letztgenannte<br />
Sound-Schmiede lange Zeit ein Fundus für den „klassi-<br />
/SINGLES<br />
nicht viel. Diese Art Veröffentlichungen mochte ich früher<br />
nicht, heute mag ich sie immer noch nicht. Unveröffentlichte<br />
B-Seiten oder keine Singles machen! Kalle Stille<br />
GAPE ATTACK!<br />
Burn This City<br />
7“ | FDH | fdhmusic.com || Auf FDH US haben auch<br />
DIGITAL LEATHER und THE MANIKINS bereits veröffentlicht.<br />
Und das macht Sinn, denn GAPE ATTACK! aus<br />
Seattle bewegen sich mit ihrer Debütsingle im gleichen<br />
Spannungsfeld zwischen trashigen SUICIDE-Sequenzeren,<br />
Drumcomputern und verzerrtem Gesang. Sehr minimalistisch<br />
produziert, aber gerade das hat Charme. GAPE<br />
ATTACK! veröffentlichen parallel auf dem Skrot Up-Label,<br />
das primär sehr schöne und aufwendige Kassetten in sehr<br />
speziellem Design <strong>von</strong> geistesverwandten Bands GRAVE<br />
BABIES, CAT GOT STRINGS und KID ROMANCE veröffentlicht.<br />
(8) Markus Kolodziej<br />
THE INCREDIBLE STAGGERS<br />
Go Go Gorilla<br />
7“ | Squoodge | squoodge.de || Sagenhaft, ein einseitig<br />
bespielter Siebenzöller mit gerade mal einem einzigen<br />
Song darauf! Normalerweise würde ich ja jetzt laut<br />
„Unverschämtheit!“ krakeelen und den Verantwortlichen<br />
ihren Release links und rechts um die Ohren dreschen,<br />
aber bei Papa Roland lässt sich das Kriterium „normal“<br />
nicht immer so ohne weiteres anwenden, verfolgt er<br />
mit seinen Veröffentlichungen schließlich oftmals einen<br />
gewissen Kunstanspruch, der sich meist nicht unbedingt<br />
gleich auf den ersten Blick erschließt. In diesem Falle wird<br />
dem Anspruch jedenfalls durch einen edlen Logo-Siebdruck<br />
auf der B-Seite sowie einer schicken B-Movie-artigen,<br />
<strong>von</strong> der Staggers-Organistin Lightning Iris angefertigten<br />
Covercollage Genüge getan. Bei dem Song handelt<br />
es sich im Übrigen um eine Variation des weithin SHAN-<br />
DELLS-Klassikers, welche wie gewohnt in dem hervorragend-manischen<br />
Teentrash-Garagestomp-Style gehalten<br />
ist, für den die Österreicher natürlich vollkommen zu<br />
Recht international allerhöchste Bewunderung und Wertschätzung<br />
genießen. Dennoch wohl eher mehr ein „fan<br />
collector’s item“, weswegen ich mir diesmal auch ausnahmsweise<br />
eine Benotung verkneife. Ben Bauböck<br />
INDIAN WARS<br />
If You Want Me<br />
7“ | Bachelor | bachelorrecords.com || Diese<br />
4-Song-7“ ist der Debüt-Release der Band um die Brüder<br />
John und Dave McMartin aus Vancouver, Kanada.<br />
Die vier Songs der „If You Want Me“-EP sind sowohl im<br />
Garage-Punk wie im klassischen Rock’n’Roll der Sechziger<br />
zu Hause, Jay Reatard (RIP) und ROLLING STONES<br />
lassen hier gleichermaßen grüßen, aber auch Dan Sartain<br />
und BLACK LIPS. Der hallige Sound ist weder übermäßig<br />
trashig noch kommen die Songs glattgebügelt daher, und<br />
so steht man auch in dieser Hinsicht ganz unextremistisch<br />
irgendwo in der Mitte. Rundum gelungen. (7)<br />
Joachim Hiller<br />
IRRITONES / ROUGH KIDS<br />
Split<br />
7“ | Crapoulet | crapoulet.fr || Auf der A-Seite der<br />
klarvinylig-grünpunktigen Single fi nden sich die IRRITO-<br />
NES aus Marseille, bei denen man auf alte Bekannte <strong>von</strong><br />
HATEPINKS und AGGRAVATION stößt, und wer immer
schen“ Banger, finden sich hier nun vermehrt Acts wieder,<br />
die mit dem ursprünglichen Label-Sound nicht mehr viel<br />
zu tun haben. Auch wenn BARN BURNER beileibe nicht<br />
modern oder neu klingen, erweitern sie das Spektrum<br />
des Labels ungemein. Zwar spielen die vier humorvollen<br />
Kanadier auf ihrem treffend benannten Debütalbum „Bangers“<br />
irgendwie immer noch Metal. Dieser lässt sich aber<br />
hauptsächlich dann finden, wenn ungeniert IRON MAI-<br />
DEN zu Debüt- und „Killers“-Zeiten zitiert werden. Dazu<br />
paaren sich Classic-Rock-Arrangements der Marke THIN<br />
LIZZY. Ansonsten ist „Bangers“ Stoner-Rock der etwas hysterischen<br />
Sorte, sprich: für dieses Genre ungewöhnlich<br />
schnell und mitreißend. Das ist schön krachend gemischt,<br />
dynamisch gespielt und macht die ganzen elf Songs lang<br />
tierischen Spaß. (8) Arndt Aldenhoven<br />
BANANE METALIK<br />
Nice To Meat You<br />
CD | Fiendforce/Cargo | fiendforce.de | 38:57 ||<br />
Im Sommer 2009 sollte dieses Album bereits auf People<br />
Like You erscheinen, doch die Probleme, die PLY zur Neustrukturierung<br />
zwangen,<br />
führten zu einer Absage<br />
des Releases, <strong>von</strong> dem<br />
schon Promo-Exemplare<br />
existierten. Entsprechend<br />
fand sich in Ox #85 die<br />
Besprechung <strong>von</strong> Christoph<br />
Lampert, die wir<br />
angesichts des nun auf<br />
Fiendforce erfolgten<br />
Albumreleases zitieren:<br />
„Die französischen<br />
Psycho-Gore’n’Roller<br />
BANANE METALIK gab<br />
es schon einmal <strong>von</strong> 1992 bis 1995. Dann waren sie zehn<br />
Jahre <strong>von</strong> der Bildfläche verschwunden, um ab 2005 die<br />
Bühnen der Welt wieder mit ihrem bunten Mix aus Horror,<br />
Theater, Punk und Psycho unsicher zu machen. Jetzt legen<br />
sie mit ,Nice To Meat You’ ihr neues Album vor und dieses<br />
gefällt mir überraschend sehr gut. Die Songs sind deutlich<br />
schneller und punkiger, als dies bei Pychobilly-Bands<br />
sonst der Fall ist, und vor allem ist es der Charme des französisch-englischen<br />
Gesangs, der mich bei diesem Werk<br />
begeistern kann. Dazu kommt ein Sänger, der seine typischen<br />
Horrortexte so zwischen den Zähnen hervorschmirgelt,<br />
dass es eine Freude ist, diesem Reibeisen zuzuhören.<br />
Gut gefallen mir sowohl die Mariachi-Trompeten bei<br />
,Santa Muerta’ als auch die Geigen bei ,Maniac’ und die allseits<br />
bekannte Zirkusmelodie bei ,Le cirque des horreurs’.<br />
Diese Songs seien auch denen als Anspieltip empfohlen, die<br />
ansonsten nichts mit geslapten Bässen anfangen können.<br />
Ein rundum gelungenes Album also, das mir deutlich besser<br />
mundet als das letzte Werk der Labelmates DEMENTED<br />
ARE GO!.“ (8) Joachim Hiller<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
BUTCHER BIRDS<br />
Set My Bones<br />
CD | Mere Noise | merenoise.net | 42:36 || Nach<br />
der EP „Eat Their Young“ <strong>von</strong> 2005 katapultieren die drei<br />
Frauen und ein Herr am Schlagzeug <strong>von</strong> BUTCHER BIRDS<br />
aus Brisbane, Australien einen zum zweiten Mal mit Wucht<br />
in die Neunziger Jahre zurück. Wie eine gut gemachte und<br />
<strong>von</strong> Herzen kommende Hommage an diese Zeit, in der<br />
Grunge im Begriff war, das große Ding zu werden, hört<br />
sich „Set My Bones“ in gewisser Weise an: hier das SONIC<br />
YOUTH-, da das SEBADOH-Zitat, stimmlich (mit Aus-<br />
mit deren Schaffen im Bereich des knapp und knackig<br />
gehaltenen Punkrocks vertraut ist, bekommt auch bei den<br />
zwei IRRITONES-Songs „Mikado business“ und „Pretentious!“<br />
vertraut-schmackhafte Kost vorgesetzt. Auf der<br />
Flipside sind die ROUGH KIDS aus Los Angeles zu hören:<br />
simpler, mitreißender Punkrock, der seine Wurzeln klar<br />
in den Siebzigern hat – melodiös und kickend zugleich.<br />
(8/7) Joachim Hiller<br />
IMPERIAL SURFERS<br />
Double Shot Of ... 1&2<br />
2x7“ | Soundflat | soundflat-records.de || Soundflat<br />
Records hat beide Läufe der Hit-Flinte durchgeladen.<br />
Label-Zampano Traxel drückt den Abzug und ballert<br />
eine doppelte Ladung Frat-Rock auf heimische Plattenspieler.<br />
Zur Erläuterung: Frat-Rock, das ist der unbekümmerte,<br />
oftmals instrumentale Rock’n’Roll, der Uni-<br />
Sausen und Highschool-Tanzabende in den frühen Sechzigern<br />
zum Beben brachte. KINGSMEN, JOHNNY & THE<br />
HURRICANES, MCCOYS, das waren die Bands, die John<br />
Belushi im Frat-Party-Filmklassiker „Animal House“ so<br />
richtig ausrasten ließ. Und mit diesem stets partykompatiblen<br />
Sound toben sich die Madrider IMPERIAL SUR-<br />
FERS nun aus. Acht swingende Songs auf zwei EPs, darunter<br />
sechs Instros, spielen die Spanier mit unfassbarer Leichtigkeit<br />
und eine Freude am Musizieren, die ihresgleichen<br />
sucht. Die zwei 45er machen einfach nur Spaß und sind für<br />
die erfolgreiche Fete auf dem Wohnheimflur so essentiell<br />
wie unbegrenztes Fassbier, willige Chicks, Kotzelachen im<br />
Treppenhaus und mindestens zwei Polizeieinsätze wegen<br />
Ruhestörung und Erregung öffentlichen Ärgernisses. (8)<br />
Gereon Helmer<br />
GHOSTS RUN WILD /<br />
INVISIBLE MAN’S REVENGE<br />
Split<br />
7“ | Dirty Ugly | myspace.com/dirtyuglyrecords ||<br />
Irgendwie ist es lachhaft, wenn ein Label Gift und Galle<br />
spuckt gegen CDs und Vinyl lobpreist, dann aber nur über<br />
ein Profil bei Fuck-MySpace verfügt und nicht über eine<br />
vernünftige Website. Website = Vinyl, MySpace = Scheiße.<br />
So einfach ist meine Welt. Aber egal, lassen wir das, denn<br />
die Splitsingle aus klarem Vinyl taugt einiges. Auf der einen<br />
Seite sind GHOSTS RUN WILD zu hören, die aus Virginia<br />
kommen und als Boy/Girl-Duo wundervoll spooky<br />
und trashy Psychobilly spielen, mit Kreissägegitarren und<br />
mächtig viel Hall. Auf der anderen Seite „die Rache des<br />
unsichtbaren Mannes“, die aber nicht sonderlich bedrohlich<br />
ausfällt, ist es doch nur die x-te Variation des schraddeligen<br />
One-Man-Band-Schemas. Da hat man schon<br />
schlechtere, aber auch bessere Genre-Vertreter gehört.<br />
(8/5) Joachim Hiller<br />
KEINE ZUKUNFT WAR<br />
GESTERN ROAD CREW<br />
s/t<br />
7“ | Andi’s Friends | myspace.com/andisfriends<br />
|| Wer auf der Lesereise zum Buch zugegen war, hat die<br />
Interpretationen der vier auf dieser EP enthaltenen Klassiker<br />
bereits gehört und wird mir zustimmen, wenn ich<br />
behaupte, dass diese EP mit ihren 350 Exemplaren bei der<br />
Tour längst ausverkauft worden wäre, wenn es sie denn<br />
dort schon gegeben hätte. Klingt definitiv anders als die<br />
Originale, und wenn ich sagen, dass es sich stellenweise wie<br />
eine junge Nina Hagen anhört, dann ist das nicht negativ<br />
gemeint, ganz im Gegenteil. Eine richtig schwere Aufgabe<br />
war’s aber nicht, denn alle Stücke sind ziemlich unkaputtbar.<br />
(7) Kalle Stille<br />
nahme <strong>von</strong> „Amp“) eher an Kim Deal als an die ungezähmten,<br />
schrägen Stimmen SLEATER-KINNEYs oder Kathleen<br />
Hannas erinnernd und zwischen latenter Lärmigkeit und<br />
glasklaren Rocksongs wie dem Opener „The gate“ pendelnd.<br />
Wo manche die knackige Produktion, die Power<br />
und schönen Arrangements loben mögen, ist mir das allerdings<br />
nicht originär genug, so könnte man den über siebenminütigen<br />
Song „Yoko coma“ mit der Titel gebenden<br />
Zeile im Text beispielsweise locker für einen BREEDERS-<br />
Song halten. Zum zweiten blitzen neben all den sicherlich<br />
vorhandenen schönen Momenten (die straighte Rocknummer<br />
„Blood message“ kann einiges!) zu wenig wirkliche<br />
Höhepunkte auf, sind sie nämlich zu knarzig und sperrig<br />
für sweete Rock/Popmusik, und letztendlich noch zu<br />
zahm und hinter Lärm-Avantgardisten wie SONIC YOUTH<br />
oder MUDHONEY zurückbleibend. Sowohl die großen<br />
Melodien als auch das große Chaos bleiben aus – Durchschnitt.<br />
(6) Andreas Krinner<br />
BUNKAANGST<br />
Hamstarad<br />
CD | bunkaangst.de | 19:40 || BUNKAANGST sind<br />
keine Spaßkanonen. Zum einen wird dies durch den Bandnamen<br />
deutlich, und zum anderen durch ihre Musik. Die<br />
nachdenklichen und auch immer nicht ganz verständlichen<br />
Texte stehen hier im Mittelpunkt. Untermalt wird das<br />
Ganze mit einer negativen Grundstimmung, die durch den<br />
relativ cleanen Gitarrensound und dem Gesang entsteht.<br />
Keine CD, die man sich zum gemütlichen Feierabendbier<br />
reinziehen würde. Qualitativ haben BUNKAANGST auf<br />
dieser sechs Titel enthaltenden CD nicht das Schlechteste<br />
fabriziert, jedoch braucht es hier schon einen sehr speziellen<br />
Musikgeschmack. (5) Sven Grumbach<br />
BURNING HOTELS<br />
Novels<br />
CD | Miss Press | misspressrecords.com | 36:19 ||<br />
Schriebe ich hier jetzt was <strong>von</strong> „anspruchsloser, unanstrengender<br />
Wohlfühlmusik“, könnte man das womöglich<br />
als negative Aussage über dieses Album der Band aus<br />
Texas auffassen. Dabei ist es einfach nur das Fazit zu einem<br />
Album, das sich mit relativ wenig eigenständiger kreativer<br />
Leistung seitens der Band im Kielwasser <strong>von</strong> KILLERS, EDI-<br />
TORS und Co. geschmeidig durch den Pop-Ozean schippert.<br />
So belanglos sich das anhört: Kann man sich gut<br />
anhören, braucht man bei genauerer Betrachtung aber<br />
überhaupt nicht. (5) Joachim Hiller<br />
BUZZ ALDRIN<br />
Blaque Dye<br />
CD | Data File Music | datafilemusic.com | 39:55<br />
|| Zweiter ist keiner gern. Die Person Buzz Aldrin, ihres<br />
Zeichen zweiter Mensch auf dem Mond, ist und bleibt<br />
im Schatten Neil Armstrongs. Warum hat sich dann eine<br />
Oldenburger Band nach eben diesem Mann benannt?<br />
Understatement? Oder ist es die Sympathie mit den ewig<br />
Zweiten? Solch eine Interpretation lässt die Band charmant<br />
wirken, für die Qualität des Debüts spricht sie allerdings<br />
nicht. Denn die acht Songs wirken zwar in ihrer<br />
musikalischen Kompromisslosigkeit und Schwere anfangs<br />
anstrengend. Aber schnell wendet sich das Blatt, wenn<br />
man bereit ist, sich <strong>von</strong> der derben Mischung aus Noiseund<br />
Sludgecore mitreißen zu lassen. Die Herangehensweise<br />
erinnert an EISENVATER und das tiefschwarze Artwork<br />
wie auch die Titelbezeichnung repräsentieren den<br />
düsteren Sound optimal. Dabei sei erwähnt, dass die seit<br />
fünf Jahren aktive Band keinerlei Gitarren nutzt. So kommen<br />
die verzerrten Klänge allesamt aus zwei Bässen, womit<br />
LIES FEED THE MACHINE<br />
Gallows<br />
7“ | Contraszt | diyordie.net | Neuestes Release der<br />
in Berlin beheimateten LIES FEED THE MACHINE, die sich<br />
hier durch vier <strong>von</strong> D-Beat-Drumming und punkig krachenden<br />
Riffs geprägte Songs prügeln. Erinnerungen an<br />
eine punkigere Version <strong>von</strong> FROM ASHES RISE und HIS<br />
HERO IS GONE sind nicht <strong>von</strong> der Hand zu weisen und<br />
sprechen für die Qualität der Platte. (8) Jens Kirsch<br />
MIO / DUCT HEARTS<br />
Split<br />
7“ | Lala Schallplatten | myspace.com/lalalabel ||<br />
Das Leipziger-Duo MIO geht bei dieser Split-7“ mit dem<br />
Song „Möglichkeit“ an den Start und präsentiert ein fünfminütiges<br />
Semi-Instrumentalstück, bei dem der Gesangsanteil<br />
auf wenige Sekunden reduziert ist. Gut gemachter,<br />
atmosphärischer Nineties Screamo beziehungsweise Emo<br />
mit leider relativ wenig Wiedererkennungswert, aber daran<br />
kann man sicher arbeiten. Auf der anderen Seite gibt es<br />
einen Track <strong>von</strong> DUCT HEARTS zu hören, der mich stark<br />
an ELLIOTTs grandioses „Song In The Air“-Album erinnert<br />
und damit dick punktet. Lediglich das Ende des durch Hall,<br />
Delay-Gitarren und vor allem durch den wunderbar einfühlsamen,<br />
stark an Chris Higdons Stimme erinnernden<br />
Gesang sich langsam aufbauenden Songs kommt mir nach<br />
über sechseinhalb Minuten fast etwas zu abrupt. Trotzdem<br />
bleibt „Schlafen“ ein absolut schöner Song. Da<strong>von</strong> bitte<br />
mehr! Tim Masson<br />
MYELIN SHEATHS<br />
Stackticon<br />
7“ | Bachelor | bachelorrecords.com || Bandname<br />
und Songtitel legen zwar einen wissenschaftlichen<br />
Ansatz nahe, aber zum Glück versuchen sich die MYELIN<br />
SHEATHS nicht an pseudointellektueller Studentenmusik.<br />
Die vier Songs (inklusive einem Instrumental) rumpeln<br />
munter vor sich hin, irgendwo im Spannungsfeld zwischen<br />
BLACK LIPS, GORIES und CHEAP TIME. Ich vermisse<br />
zwar manchmal ein wenig Durchschlagskraft, aber insgesamt<br />
stimmt das Gesamtbild. Da die MYELIN SHEATHS<br />
bald auch eine Single auf HoZac veröffentlichen, sollte das<br />
Newcomer-Radar bei gestandenen Garage-Rock-Adepten<br />
ohnehin ordentlich ausschlagen. (7) Bernd Fischer<br />
POWERCHORDS<br />
More Than Me<br />
7“ | Bachelor | bachelorrecords.com || Nach dem<br />
Album 2008 auf Screaming Apple melden sich die POW-<br />
ERCHORDS aus Chula Vista im südlichsten Zipfel <strong>von</strong> Kalifornien<br />
mit einer 2-Song-7“ zurück und erfreuen erneut<br />
mit wundervollem Pop-Punk, der eine Sahnehaube aus<br />
Powerpop mit bunten Zuckerperlen obendrauf trägt. Auch<br />
diesmal höre ich die DICKIES deutlich heraus, BUZZ-<br />
COCKS und UNDERTONES ebenso, wer also auf Süßes<br />
steht und seine Punk-Platten vorzugsweise in der Konditorei<br />
kauft, der bekommt hier eine extragroße Kalorienbombe.<br />
Lecker! (8) Joachim Hiller<br />
JAMES PANTS<br />
I Live Inside An Egg<br />
7“ | Stones Throw US | stonesthrow.com || Mr. Pants<br />
schafft hier einen wirklich staubtrocknen und gekonnten<br />
Spagat zwischen unterschiedlichen Stilrichtungen wie<br />
Electro-Boogie, Synth/Minimal Wave und Punk-Disco<br />
und ist locker in der Lage, die Hardliner aus der TUBEWAY<br />
ARMY/Gary Numan-Fraktion mit den obskuren CAMEO-<br />
Anhängern (Pants adaptiert hier eine reduzierte „She’s<br />
strange“-Hookline) und der Italo-Disco zu verbinden. Der<br />
sich die Band einen zusätzlichen Exotenbonus in diesem<br />
sowieso schon exotischen Genre einheimst. Um auf den<br />
Faktor zwei zurückzukommen: Die englische Redewendung<br />
„to do number two“ bedeutet so viel wie „ein großes<br />
Geschäft machen“. Ein großes Geschäft wird die Band<br />
im kommerziellen Sinne nicht machen, ein Griff ins Klo<br />
ist „Blaque Dye“ aber erst recht nicht. Die Nummer eins<br />
wird man mit solch einer brachialen Musik genauso wenig.<br />
Doch das wird kaum das Ziel <strong>von</strong> BUZZ ALDRIN sein. (8)<br />
Arndt Aldenhoven<br />
BLESSURE GRAVE<br />
Judged By Twelve, Carried By Six<br />
CD | Alien8 | alien8recordings.com | 45:14 ||<br />
Warum ist eigentlich immer der Rezensent der Fantasielose,<br />
wenn ihm beispielsweise zum Debütalbum dieses<br />
Boy/Girl-Duos aus San<br />
Diego sofort JOY DIVI-<br />
SION als Referenz in<br />
den Sinn kommen? Nun<br />
will ich keinesfalls BLES-<br />
SURE GRAVE als fantasielose<br />
Band bezeichnen,<br />
aber dass sowohl gesanglich<br />
wie musikalisch JOY<br />
DIVISION eine große<br />
Inspiration darstellen,<br />
darüberhinaus KILLING<br />
JOKE, THE MARCH VIO-<br />
LETS, DEATH IN JUNE<br />
und THE CURE als Einflüsse genannt werden, ist nicht<br />
gerade überraschend. Und mir käme angesichts der soliden<br />
Machart, der gekonnt umgesetzten, wirklich sehr<br />
authentisch nach den späten Siebzigern und frühen Achtzigern<br />
klingenden Songs auch nicht in den Sinn, der Band<br />
irgend etwas anderes als Begeisterung entgegen zu bringen.<br />
In der jüngeren Vergangenheit gibt es nicht wenige Bands,<br />
die sich auf sehr authentische Weise an den Ikonen einer<br />
längst vergangen Zeit orientieren, und das Positive daran<br />
ist, dass sie das sehr stilsicher tun und damit hoffentlich<br />
jenem Kitsch-Goth, der bis heute mittels Zillo & Co. und<br />
durch so peinliche Karnevalsveranstaltungen wie jener in<br />
Leipzig promotet wird, zunehmend das Wasser abgraben.<br />
Parallel zur CD-Version erscheint auch eine Vinyl-Edition<br />
auf Release The Bats, allerdings gibt’s auf der CD noch vier<br />
Bonus-Songs <strong>von</strong> der „Learn To Love The Rope“-12“. (8)<br />
Joachim Hiller<br />
BITTER PILLS<br />
s/t<br />
MCD | Boss Tuneage/Cargo | bosstuneage.com |<br />
19:32 || Beim Abspielen dieser sieben Indie-Gitarrenrock-Stücke<br />
fühle ich mich 15 bis 20 Jahre zurück versetzt.<br />
Kein Wunder, stecken doch hinter BITTER PILLS Greame<br />
Gilmore <strong>von</strong> BROCCOLI und Chris Petty <strong>von</strong> HOOTON<br />
3 CAR, die in den Neunzigern aktiv waren. Ich stelle mir<br />
gerade ein Konzert mit VARSITY DRAG vor – eine geniale<br />
Kombination. Manchmal stört mich der wackelige Gesang.<br />
Aber ansonsten sind das wunderschöne Indierock-Perlen,<br />
irgendwo zwischen BIG STAR, POSIES, TEENAGE FAN-<br />
CLUB, LEMONHEADS und SUGAR. Das Rad wird hier ganz<br />
bestimmt nicht neu erfunden, aber die abwechslungsreichen<br />
Arrangements, das eingängige Songwriting und die<br />
angenehm analoge Produktion stimmen. Vielleicht erfährt<br />
dieses Genre gerade eine Renaissance, was für meinen<br />
Geschmack nicht das Schlechteste wäre. Jetzt fehlt eigentlich<br />
nur noch, dass solche Produktionen auf Vinyl veröffentlicht<br />
werden. (8) Simon Brunner<br />
Titelsong klingt wie die US-amerikanische Version <strong>von</strong><br />
Andreas Doraus „Fred vom Jupiter“ auf New Wave. Kracher!<br />
(8) Markus Kolodziej<br />
ROY ELLIS & THE TEENAGERS<br />
Let Me Take You Higher<br />
7“ | Liquidator | liquidatormusic.com || Allein das<br />
Cover-Foto ist schon grandios. Da kann sich so mancher<br />
jugendliche Freund des rhythmischen Sprechgesangs noch<br />
einiges abgucken in Sachen Pose und dicke Hose. Trotzdem<br />
sollte man wahrscheinlich froh sein, dass musikalisch<br />
weniger extravagante Pfade beschritten werden.<br />
Nein, wir reden nicht <strong>von</strong> Reggae, dem Metier, in dem Ellis<br />
eine Legende ist, sondern <strong>von</strong> klassischem Soul. Der Song<br />
ist ausgesprochen gut und die TEENAGERS ohnehin eine<br />
prima Band. Auf der B-Seite ist dann leider schon wieder<br />
ein (zugegebenermaßen nettes) Instrumental. Warum nur?<br />
Haltet den Mann doch beschäftigt, sonst verbringt er noch<br />
mehr Zeit mit dämlichen Gospel-Konzerten. (7)<br />
Ferdinand Praxl<br />
SHANE MACGOWAN AND FRIENDS<br />
I Put A Spell On You<br />
7“ | Mute | mute.com || Der Sänger und Kopf der<br />
POGUES hat sich einige illustre Gäste für seine Haiti-<br />
Benefiz-Single ins Studio geholt, um den Klassiker <strong>von</strong><br />
Screamin’ Jay Hawkins in einer etwas kuriosen Version<br />
einzuspielen. Keine Geringeren als Mick Jones (THE<br />
CLASH) und Dauerpirat Johnny Depp treffen mit Gitarren<br />
im Studio ein und Nick Cave, Bobby Gillespie (PRI-<br />
MAL SCREAM), Chrissie Hynde (THE PRETENDERS), Glen<br />
Matlock (SEX PISTOLS) sowie die Jazzsängerin Paloma<br />
Faith und einige mehr steuern den Gesang bei. Bob Geldorf<br />
wurde indes nicht gesichtet. Sehr schräg. Sehr karitativ.<br />
Und MacGowan sieht mit langem Haar wieder richtig<br />
frisch aus (für seine Verhältnisse). Bisher nur als Download<br />
erhältlich. (8) Markus Kolodziej<br />
SATÀN<br />
Shit #3<br />
7“ | Shit Music For Shit People | myspace.com/shitmusicforshitpeople<br />
|| Auf einem wunderbaren Label,<br />
dass sich ausschließlich der Veröffentlichung <strong>von</strong> Vinyl und<br />
Kassetten verschrieben hat, erscheint die 4-Track-EP <strong>von</strong><br />
SATÀN, einem italienischen Duo, das sich ganz der experimentellen<br />
Musik verschrieben hat. Zwischen Pop, Punk,<br />
Noise, Postcore, Sixites, Shouts, Screams und Gesang verstecken<br />
sich feine Melodien genauso wie ihre genauen<br />
Gegensätze. Und wer Shetlandponys genauso gerne hat wie<br />
ich, wird Songs wie „More funny than a mini horse“ zu<br />
schätzen wissen. Uneingeschränkte Konsumempfehlung!<br />
(9) Anna Behrendt<br />
SICK MORMONS<br />
Taekwando<br />
7“ | Gummopunx | myspace.com/gummopunxrecords<br />
|| Vier Songs mit der Quintessenz aller guten Zutaten<br />
<strong>von</strong> Bands wie FREEZE oder CHANNEL 3 und der Rotzigkeit,<br />
die AEROBITCH auf dem Höhepunkt ihres Schaffens<br />
erreicht haben. Very Oldschool, very verdammt cool,<br />
ohne Durchhänger. (9) Kalle Stille<br />
SINGLE STATE OF MAN / MEN AS TREES<br />
Split<br />
7“ | Synalgie et al. | synalgie-records.com || SINGLE<br />
STATE OF MAN aus Unterfranken haben sich offensichtlich<br />
gänzlich <strong>von</strong> den auf dem Debüt-Album zu hörenden<br />
Schrei-Emo-Einflüssen frei gemacht, den Gesang<br />
gestrichen und sich stattdessen den wesentlich stärke-<br />
rEvIEws<br />
BEAT BEAT<br />
s/t<br />
LP | Bachelor | bachelorrecords.com || Achtung!<br />
Nicht zu verwechseln mit dem CARBONAS-Ableger BEAT<br />
BEAT BEAT oder den gerade schwer gehypeten Indie-<br />
Nasen BEAT! BEAT! BEAT! Gegründet wurde die Band vom<br />
Drummer der mittlerweile aufgelösten RODRIGUEZ, der<br />
sich aber nach kurzer Zeit als One-Man-Band langweilte<br />
und sich die restlichen Musiker und jetzige Besetzung der<br />
Band zusammensuchte. Nach einer Weile folgte dann eine<br />
Single auf Spin the Bottle aus Toronto, eine US-Tour, eine<br />
weitere Single und nun die erste LP. Produziert wurde die<br />
übrigens <strong>von</strong> Matteo <strong>von</strong> den MOJOMATICS, deren Einfluss<br />
man auch etwas heraushört, denn das Album ist schon<br />
etwas poppiger als die Singles. Aber das gefällt mir natürlich<br />
auch. Wer also auf eine Mischung <strong>von</strong> YOLKS und FE<br />
FI FO FUMS steht, sollte nicht lange zögern. Aber hier gilt<br />
besonders: Augen auf beim Plattenkauf! (8) Finn Quedens<br />
BRIGHT EYES & NEVA DINOVA<br />
One Jug Of Wine, Two Vessels<br />
CD | Saddle Creek/Cargo | saddlecreekrecords.com<br />
| 36:10 || Eigentlich ist das hier ein Rerelease, aber<br />
nur ein halber. Denn die Kooperation <strong>von</strong> Conor Oberst<br />
und BRIGHT EYES einerseits und Jake Bellows und NEVA<br />
DINOVA andererseits beginnt 2004 mit der Veröffentlichung<br />
einer 6-Track-Split-7“ und findet ihre Vollendung<br />
2010 mit einer erneuten gemeinsamen Aufnahmesession<br />
der beiden Bands aus Nebraska – im Falle <strong>von</strong> BRIGHT<br />
EYES sind es sogar die ersten neuen Aufnahmen seit 2007.<br />
Vier neue Songs eröffnen so diesen Release, gefolgt <strong>von</strong><br />
denen <strong>von</strong> 2004, so dass der mit insgesamt zehn Stücken<br />
zum Album gewachsen ist. Und man muss ganz klar sagen,<br />
dass die alten Sachen zwar durchaus stimmungsvoll sind,<br />
aber auch nicht wirklich spannend – im Gegensatz zu den<br />
elektrisierenden, mitreißenden neuen Stücken, die am<br />
Anfang der CD zu hören sind. Lohnenswerter neuer Stoff<br />
für Conor Oberst- und BRIGHT EYES-Süchtige! (7)<br />
Joachim Hiller<br />
BRIAN JONESTOWN MASSACRE<br />
Who Killed Sgt. Pepper?<br />
CD | A/Cargo | cargorecords.co.uk | 71:42 || Nach<br />
mehreren Besprechungen <strong>von</strong> Releases <strong>von</strong> Anton Newcombes<br />
Band THE BRIAN JONESTOWN MASSACRE habe<br />
ich immer noch nicht ganz kapiert, wie diese Neo-Psychedelic-Truppe<br />
aus San Francisco genau tickt, und auch<br />
bei „Who Killed Sgt. Pepper?“ wird das nicht unbedingt<br />
durchschaubarer. Klar ist nur, dass Newcombe eine Obsession<br />
für den Psychedelic-Rock der 60er und 70er Jahre hat,<br />
das macht schon der Titel deutlich, ansonsten gibt es oft<br />
montone Rave-artige Elektroniksounds, die erstaunlicherweise<br />
diesmal verstärkt an die späten BUTTHOLE SUR-<br />
FERS erinnern und ihre Alben „Electriclarryland“, „After<br />
The Astronaut“ und „Weird Revolution“. Eine äußerst<br />
rhythmische und elektronische Form eines hypnotisch<br />
groovenden Trance-Rocksounds, wo SPACEMEN 3 und<br />
SPIRITUALIZED ebenfalls nicht weit sind, deren William<br />
Carruthers hier als Bassist beteiligt war. Nicht jeden wird<br />
dieser eigenwillige Umgang mit Sounds und Beats gleichermaßen<br />
glücklich machen, aber „Who Killed Sgt. Pepper?“<br />
ist eine der bisher am besten funktionierenden und<br />
in sich geschlossensten Platten <strong>von</strong> BJM. Gleichermaßen<br />
dreist wie brillant ist dann, wie Newcombe in „This is the<br />
one thing we did not want to have happen“ den Schlagzeugsound<br />
<strong>von</strong> „She’s lost control“ und die Lyrics <strong>von</strong> „I<br />
remember nothing“ zu einer gelungenen JOY DIVISION-<br />
Hommage zusammengebaut und daraus einen ganz neuen<br />
ren, rein instrumentalen Momenten zugewandt: Der auf<br />
Seite A dieser Split-7“ enthaltene Song „Health & history“<br />
klingt stark nach bei EXPLOSIONS IN THE SKY und NEIL<br />
ON IMPRESSION zu findenden Momenten. Er weist also<br />
zwar eine große Nähe zu den Kopiervorlagen auf, funktioniert<br />
aber vortrefflich. Die US-Amerikaner MEN AT<br />
TREES steuern auf der B-Seite mit „Wreckage“ einen Song<br />
zu dieser Split bei, der sich ohne Umschweife am Sound<br />
<strong>von</strong> Screamo-Größen wie ORCHID und RAEIN orientiert.<br />
Erneut eine Synalgie-Platte, die Mensch sich ohne Bedenken<br />
besorgen kann. Konstantin Hanke<br />
KEVIN SECONDS / MIKE SCOTT<br />
Split<br />
7“ | Fond of Life | fondoflife.net || Kevin Seconds,<br />
den man eigentlich als Frontmann <strong>von</strong> 7 SECONDS kennt,<br />
ist ja schon seit vielen Jahren solo unterwegs, als klassischer<br />
Singer/Songwriter, der sich selbst auf der akustischen<br />
Gitarre begleitet und das schon tat, lange bevor andere,<br />
jüngere Punk/Hardcore-Musiker diese Art des Musizierens<br />
für sich entdeckten. Sein aktuellster Release ist diese<br />
Split-7“ in blauem Vinyl, die auf jeder Seite zuerst einen<br />
Song <strong>von</strong> Kevin Seconds enthält, gefolgt <strong>von</strong> einem <strong>von</strong><br />
Mike Scott aus England, der früher mal bei PHINIUS GAGE<br />
war. Beide beherrschen ihr Handwerk, doch Seconds hat<br />
bei mir klar die Nase vorn. (7/6) Joachim Hiller<br />
THE SNAKES<br />
Billy Jack<br />
7“ | Slow Gold Zebra | myspace.com/slowgoldzebra<br />
|| Seltsame Sache: Kopf der SNAKES ist ein gewisser<br />
Billy Jack, Halb-Indianer und früher bei den „Green<br />
Berets“ alias Special Forces, also Ex-Angehöriger jenes Teils<br />
der US-Armee, der in aller Welt die Drecksarbeit erledigt<br />
für die US-Regierung. Halten wir dem Herrn mal das „Ex“<br />
zugute, ich wüsste sonst nicht, worauf man als Angehöriger<br />
jener Killertruppe stolz sein sollte. Wie man so liest, entdeckte<br />
Billy in den letzten Jahren seine indianischen Wurzeln<br />
und machte sich so seine Gedanken über die Menschheit,<br />
was nun in seiner Musik kulminiert. Nun ja, es klingt<br />
sicher besser, als die Beschreibung vermuten lässt, aber mir<br />
geht das mäandernde Gitarrengelärme im LoFi-Gewand<br />
nebst „HiyaHoya“-Gesinge auf die Nerven. (3)<br />
Joachim Hiller<br />
STATE<br />
Excommunicated / Nihil Ex Nihilo<br />
7“ | Statement | statenoillusions.com || Zwei neue<br />
Singles der schon seit Ende der Siebziger aktiven STATE aus<br />
Detroit, die sich in jeweils vier beziehungsweise fünf Songs<br />
die Wut über den Zustand dieser Welt aus dem Leib kotzen.<br />
Textlicher Höhepunkt ist für mich hier „Evangile“, in dem<br />
das religiös-faschistische Protestantengesindel in den USA<br />
sein Fett wegbekommt. Aber auch „Destroyed Rock City“<br />
ist ein Bringer, denn schnell gesungen klingt das wie „Detroit<br />
Rock City“. Und bei „I hate this society“ bleiben einfach<br />
keine Fragen mehr offen. In-die-Fresse-Hardcore der<br />
ganz alten Schule, sowohl alte BLACK FLAG und CIRCLE<br />
JERKS, aber auch TOXIC REASONS und POISON IDEA lassen<br />
grüßen. Dazu klassisches schwarz-weißes Artwork und<br />
Copy/Paste-Layout – kaum zu glauben, dass solche Musik<br />
2009 entstanden ist und nicht 1983. (9) Joachim Hiller<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
TISCHLEREI LISCHITZKI / GRIZOU<br />
Split<br />
7“ | Elfenart | elfenart.de || Die Berliner GRIZOU und<br />
TISCHLEREI LISCHITZKI aus „Lüneburg und so“ haben<br />
sich, wie das heute mal so ist, im Internet kennen gelernt,<br />
OX-FANZINE 87
EvIEws<br />
Song gemacht hat. Wo andere Musiker letztendlich nur<br />
in der nostalgischen Mottenkiste wühlen, versteht Newcombe<br />
den Zusatz „Neo“ auf jeden Fall als echten Ansporn,<br />
Rock & Roll neu zu definieren, was ihm auf „Who Killed<br />
Sgt. Pepper?“ auch ganz ausgezeichnet gelungen ist. (8)<br />
<strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
BESNARD LAKES<br />
The Besnard Lakes Are The Roaring Night<br />
CD | Jagjaguwar/Cargo | jagjaguwar.com | 46:36 ||<br />
Kanadier mal wieder, die sind scheinbar gerade ein Garant<br />
für gepflegten Indierock, ob nun in komplexerer Form<br />
wie bei Constellation oder in poppigeren Gefilden angesiedelt<br />
wie bei Arts&Crafts. Bei Letzteren dürften sich auch<br />
THE BESNARD LAKES mit ihrem dritten Album wohl fühlen,<br />
aber auch Jagjaguwar haben ja durchaus Sinn für verspieltere,<br />
exzentrischere Formen <strong>von</strong> Indierock, so wie ihn<br />
auch dieses Ehepärchen praktiziert, das aber so klingt, als<br />
ob hier ein kleineres Kammerorchester am Werk wäre. Die<br />
Zutaten reichen dabei <strong>von</strong> Neil Young, 60s-Folk, Psychedelic<br />
bis hin zu GALAXIE 500 oder MY BLOODY VALENTINE,<br />
woraus Olga Goreas und Jace Lasek allerdings sehr fokussierten<br />
Dreampop-Shoegaze-Rock mit herrlichem Harmoniegesang<br />
destillieren, mit fast schon unverschämt eingängigen<br />
Melodien. Glücklicherweise keine dieser lahmarschigen,<br />
introvertierten künstlerischen Statements allzu<br />
sensibler Musikerpersönlichkeiten, sondern eine zupackende<br />
Rockplatte mit majestätisch dichtem Sound,<br />
der sofort Eindruck hinterlässt und auch in den stilleren<br />
Momenten und ausladenden Instrumentalparts niemals<br />
an Intensität verliert. Nichts, was man unbedingt in Kategorien<br />
wie „Meisterwerk“ diskutieren müsste, aber alleine<br />
schon durch den epischen Opener „Like the ocean, like the<br />
innocent“ willkommen ist. (7) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
BURY MY SINS<br />
Rats<br />
MCD/10“ | Damage Done/Shark Men | damagedonerecords.com<br />
| 25:52 || Der Titletrack eröffnet das<br />
neue Lebenszeichen <strong>von</strong> BURY MY SINS und wartet gleich<br />
mit einem recht traditionellen Metalsolo auf, während der<br />
Rest der Mannschaft volles Tempo fährt. Hardcore-Elemente<br />
tauchen dann erst im zweiten Song „Oblivion the<br />
end“ auf, denn hier spielt man vermehrt Stakkato, gönnt<br />
sich aber auch wieder ein bombastisches Solo, was aber<br />
eigentlich ziemlich überzeugend klingt. Was das Artwork<br />
angeht, wurde diesmal was anderes versucht und Daniel<br />
Ehrlich hat „Rats“ ein ansehnliches Cover verpasst. Stilistisch<br />
ist man versucht, <strong>von</strong> Stagnation auf einem hohen<br />
Niveau zu sprechen. Das Interlude „Talent“ schwingt<br />
kurz die Prog-Metal-Keule, bevor „Trapped meaningless“<br />
dann wieder mal einen Hardcore-Song bietet, der<br />
anfangs an TERROR erinnert, dann aber schnell in, wohlgemerkt<br />
technisch perfekten, Metal à la SLAYER oder<br />
DEATH umschwenkt. Ein Hammer-Track, der <strong>von</strong> einem<br />
ebensolchen, nämlich „The killer in me“ gefolgt wird und<br />
das Release aus dem Gewohnt-gut-Status in die Katagorie<br />
Holy Shit katapultiert. Da ist noch Luft nach oben, aber<br />
jetzt bloß nicht zu schnell nachlegen. Für Sammler gibt es<br />
die 10“-Vinylversion auch in Gold. (7) <strong>Thomas</strong> Eberhardt<br />
RHYS CHATHAM<br />
The Bern Project<br />
CD | Hinterzimmer/Cargo | hinterzimmer-records.<br />
com | 43:41 || Rhys Chatham ist schon ein alter Hase<br />
im Bereich der Avantgardemusik, hat in den Siebzigern mit<br />
LaMonte Young und Tony Conrad zusammengearbeitet,<br />
ebenso wie mit Glen Branca während der ersten Welle <strong>von</strong><br />
Punkrock in New York und besaß wie dieser auch eine Verbindung<br />
zu Indierock und Artverwandtem. Und so spielten<br />
in seinen Ensembles etwa Mitglieder <strong>von</strong> BAND OF<br />
man schrieb hin und her, spielte eine Reihe Konzerte<br />
zusammen, teilte „Anlagen, Bühne, Schlafräume, Essen und<br />
die Autobahn“ – und widmet der schönen gemeinsamen<br />
Zeit nun diese Split-7“ mit je zwei neuen Songs. Was GRI-<br />
ZOU hier machen, das hätten wir früher als Emo-Punk<br />
bezeichnet, da gab’s aber die geschminkten Kinder auch<br />
noch nicht. Eine Verwandtschaft mit DUESENJAEGER und<br />
TURBOSTAAT ist jedenfalls nicht zu leugnen. Auch bei<br />
TISCHLEREI LISCHITZKI geht es irgendwie um Gefühle, in<br />
„Zuviel TV“ gipfelt das in der mit einem hypnotischen Beat<br />
unterlegten, manisch wiederholten Frage: „... und wenn<br />
ich mir den Kopf abschlag, wie ist das Leben dann?“ Eigentlich<br />
mag ich diese Art <strong>von</strong> deutschsprachigem Punk nur in<br />
Ausnahmefällen – das ist so einer. Ein beigelegter Download-Code<br />
macht die Sache perfekt. Ute Borchardt<br />
THE TOWN OF MACHINE<br />
s/t<br />
7“ | Unterm Durchschnitt | unterm-durchschnitt.<br />
de || Ex-Mitglieder der verblichenen Formationen JET<br />
BLACK und MALLORY’S LAST DANCE haben sich als<br />
THE TOWN OF MACHINE zusammengetan und legen<br />
nun diese 7“ als erstes Release vor. Die beiden darauf zu<br />
hörenden Songs lassen sich einwandfrei in die Screamo-<br />
Ecke schieben; Screamo, so wie er etwa zur Mitte bis zum<br />
Ende der 1990er-Jahre gespielt wurde und also noch nicht<br />
Kajal, Röhrenjeans und Hochglanzkacke, sondern Wut<br />
und Herzblut meint. Das nach dem Ende der Zivilisation<br />
in Jim Jarmuschs „Dead Man“ benannte Quartett orientiert<br />
sich zweifellos an Bands wie SAETIA, PORTRAITS OF<br />
PAST und TIDAL, zelebriert also musikalischen Rückgriff,<br />
bleibt lediglich Wiederholung. Ist mir ehrlich gesagt dann<br />
aber doch wesentlich lieber als irgendwelche seelenlosen<br />
Modekaspereien. Wer was Frisches sucht, braucht hier<br />
nicht weiter suchen, Fans des Genres können aber bedenkenlos<br />
ihre Vinyl-Sammlung aufstocken. Konstantin Hanke<br />
OX-FANZINE 88<br />
ccc<br />
THE ULTRA 5<br />
Sympathy For The Devil<br />
7“ | Tryptic France | tryptic-records.com || Drei bisher<br />
unveröffentlichte Songs der legendären Psychotic-<br />
Garage-Band aus New York, die in etwa so klingen, als ob<br />
die THE CHESTERFIELD KINGS, THE STOOGES und THE<br />
CRAMPS eine wüste Orgie feiern und dann mal eben<br />
nonchalant auf dem Höhepunkt der Sessions eine sieben<br />
Minuten lange Coverversion des ROLLING STONES-<br />
Klassikers „Sympathy for the devil“ abliefen. Großartiger<br />
Garage -Trash mit wilder Psycho-Sixties-Orgel. Hat Feuer,<br />
und wie. Haben die eigentlich jemals mit den FLESHTO-<br />
NES gespielt? (8) Markus Kolodziej<br />
ÜBER<br />
Segon Senzill / España Y Mierda<br />
7“ | Sell Our Souls | selloursouls.com || ÜBER<br />
kommen aus Barcelona – ein Umfeld mit einem ausgeprägten<br />
Faible für Umlaute, was vielleicht ihren merkwürdigen<br />
Namen erklärt – und spielen eine eigenwillige<br />
Mischung aus trashigen Garagebeats, Punkrock-Attitüde<br />
und unmissverständlich angepissten Texten, wobei sie es<br />
SUSANS oder auch Thurston Moore <strong>von</strong> SONIC YOUTH.<br />
Im Fall <strong>von</strong> Gitarrist und Trompeter Chatham spricht man<br />
wohl auch schon besser <strong>von</strong> Komponist als <strong>von</strong> Musiker.<br />
Für „The Bern Project“ hat sich der inzwischen in Frankreich<br />
lebende Chatham mit einigen Musikern aus der<br />
Schweizer Avantgarde- und Jazz-Szene zusammengetan.<br />
Dennoch muss man keine Angst vor dieser Platte haben,<br />
die vor allem sehr entspannt dahinfließenden Post-Rock<br />
beinhaltet, mit tighter, sich unmerklich steigernder Rhythmik,<br />
durch die die sechs Kompositionen auf höchst subtile<br />
Höhepunkte zusteuern. Fast schon erschreckend konventionell<br />
das Ganze, wären da nicht gewisse Dissonanzen,<br />
vor allem durch Chathams Trompetespiel, die „The Bern<br />
Project“ eine jazzige Schlagseite verliehen, neben noisigeren<br />
Soundeffekten, die die grundsätzliche Homogenität<br />
der vielschichtigen Platte aber nicht wirklich stören, eher<br />
gekonnt bereichern. Aus dem Rahmen fällt höchstens die<br />
finale, recht experimentelle Live-Nummer, die nicht allzu<br />
viel mit dem Sound des Restalbums zu tun hat. Auf jeden<br />
Fall jemand, bei dem sich eine weitere Beschäftigung mit<br />
seinem bisherigen Schaffen lohnt. (7) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
COOL JERKS<br />
Bunkerparty<br />
10“ | Soundflat/Broken Silence | soundflat-records.<br />
de || Wer das Beatschaffen der Soundflat-Hausband<br />
COOL JERKS miterleben durfte, konnte sich am nächsten<br />
Werktag auf den Weg<br />
zum Schuster und zur<br />
Textilreinigung begeben.<br />
Die Shows der Bremer<br />
Beatcombo extraordinaire<br />
waren <strong>von</strong> jeher<br />
berüchtigt. Gefangene<br />
wurden nicht gemacht,<br />
kompromissloser Beatspaß<br />
war stets garantiert.<br />
Eine kleine Schar handverlesener,<br />
aber völlig<br />
tanzdementer und amüsierbereiter<br />
Freunde<br />
und Fans der Band wurde auf Anraten der für jeden Gimmick<br />
zu begeisternden Soundflat-A&R-Abteilung in den<br />
Bremer Bunker gekarrt, die analoge Bandmaschinen und<br />
die Vorkriegsmikrofone wurden schlampig verdrahtet,<br />
und der Tonmeister drückte die „Aufnahme“-Taste.<br />
Das Band lief, die willigen „Freunde“ rasteten, ebenso wie<br />
die Musiker, wie auf Kommando aus. Das Resultat klingt<br />
nun genau so schön dreckig und unverfälscht wie Geogie<br />
Fames „Flamingo“-Live-LP oder die ersten beiden Geno<br />
Washington-Scheiben. Platz für Feinheiten gibt es hier<br />
nicht, und auch schöngeistiges Songmaterial wäre fehl am<br />
Platz. Das braucht ein Partydokument wie diese 10“ nicht<br />
im Geringsten. Ratlos macht mich allerdings nur, warum<br />
es nur für acht Songs gereicht hat, die Intensität des simplen<br />
Spaßes hätte durchaus für ein Doppelalbum gereicht.<br />
Bester Song ist dabei die Instrumenal-Nummer „Twisting<br />
Georges“, die Nummer hätte auch Joe Meeks TORNADOS<br />
einen kleinen Hit bescheren können. (9) Gereon Helmer<br />
CARTA<br />
An Index Of Birds<br />
CD | Silber | silbermedia.com | 66:45 || „Building<br />
bridges“ zitiert den psychedelischen Rock <strong>von</strong> THE<br />
GOD MACHINE sehr angenehm, das darauf folgende<br />
„Hourglass“ ist fluffiger Post-Rock mit Geige, mäandernd<br />
und zugleich doch kompakt. Tja und dann kommen noch<br />
weitere zehn Stücke, die die Spannung der ersten zwei<br />
Titel nicht aufrecht erhalten können. Tracks kommen<br />
und gehen, sind durchaus untereinander abwechslungsreich,<br />
aber bleiben einfach nicht hängen, zu unentschlossen<br />
wirkt dieser Shoegaze-Post-Rock-Hybrid über weite<br />
Strecken. Schade, wo es doch so vielversprechend anfing.<br />
(4) Christian Maiwald<br />
/SINGLES<br />
draufhaben, mit den einfachsten Mitteln für Abwechslung<br />
zu sorgen. 2007 ist ihre zweite Single erschienen und wird,<br />
der Einfachheit halber auch so genannt: „Segon Senzill“,<br />
auf dem edlen Pappcover die entzückende Zeichnung eines<br />
feuerspeienden Drachens mit Riesenpenis. Zu hören gibt<br />
es fünf Songs, alle bis auf „I will go by bike“ auf Spanisch,<br />
und „Rock’n’roll y carretera“ ist schon ein echter Hit.<br />
Inzwischen ausverkauft, wurde die 7“ dann nachgepresst<br />
und kam 2009 gleich zusammen mit ÜBER-Single Nummer<br />
drei: „España Y Mierda“. Auf dem Cover der Kopf <strong>von</strong><br />
Juan Carlos und ein stinkender Haufen Scheiße, dazu das<br />
dünne Papier, edel ist hier nix mehr, ein Song heißt „Crisis“,<br />
ein anderer „Todo es una mierda“. Alles scheiße, aber<br />
der Kampf geht weiter: „La calle es mia“ ... we are ÜBER!<br />
Ute Borchardt<br />
VIRUS / DOTS<br />
Split<br />
7“ | Depression House | myspace.com/depressionhouserecords<br />
|| Hahahaha, brillant! Bei VIRUS handelt<br />
es sich offensichtlich um zwei total fertige Oberkaputniks,<br />
die hier drei absolut entzückende, dadaistische Nerdcore-<br />
Stücke zum Besten geben, angesichts derer ich mich nicht<br />
so recht zu entscheiden vermag, ob ich nun aufgrund der<br />
dargebotenen Intensität mein Mobiliar zu Klump hauen<br />
oder mich eher doch nur vor lachen auf dem Boden kugeln<br />
soll, so abgedreht, wie die hier zu Werke gehen ... Jedenfalls<br />
ganz, ganz großes Tennis, das. Ein kleines Quentchen<br />
konventioneller, aber nicht minder geil, kommen dann<br />
die mittlerweile auch leider wohl schon wieder aufgelösten<br />
DOTS (ebenfalls Italiener) um die Ecke gebogen: Vier<br />
Songs, die eine perfekte Schnittmenge aus dem ultratight<br />
auf den Punkt gespielten Retrosound DEAN DIRG’scher<br />
Prägung und einer gewissen Killed by Death-Schlagseite<br />
darstellen. Die Scheibe überzeugt obendrein noch durch<br />
eine hübsch danebene Covergestaltung und ist auf gerade<br />
mal popelige 280 Stück limitiert, also bitteschön nicht<br />
zögern, sondern zugreifen, falls man die irgendwo mal<br />
unter die Nase gehalten bekommt – knallt nämlich ganz<br />
ordentlich. (8) Ben Bauböck<br />
THE VERMIN POETS<br />
s/t<br />
7“ | Smart Guy | smartguyrecords.com || Sehr<br />
schöne 4-Track-Garage-Punk-EP (500 US Copies only),<br />
bei der Billy Childish ganz vornehm mit dem Bass in den<br />
Hintergrund tritt und den Gesangspart seinem Bandkollegen<br />
Neil Palmer überlässt. Das Ganze ist mit ein wenig<br />
TELEVISION PERSONALITIES- und THE KINKS-Sound<br />
angereichert. Das dazugehörige Album „Poets Of England“<br />
folgt im März, wie immer auf Damaged Goods. Billy Childish<br />
hat zur Zeit eine viel gelobte Ausstellung seiner verschiedenen<br />
Arbeiten als Maler im renommierten Institute<br />
of Contemporay Arts (ICA) in London, die in der englischen<br />
Kunstpresse ein sehr positives Echo gefunden hat<br />
und als sehr gut besucht gilt. Zudem stellt das ICA in seinen<br />
Nebenräumen auch den Musiker und Schriftsteller Childish<br />
vor. (8) Markus Kolodziej<br />
CARNIFEX<br />
Hell Chose Me<br />
CD | Victory | victoryrecords.com | 34:39 || Die<br />
Zahl gesichtsloser Deathcore-Kapellen ist Legion, CARNI-<br />
FEX schrammen nur haarscharf an diesem vernichtenden<br />
Urteil vorbei, weil sie „DEATH“ groß schreiben und „core“<br />
klein, soll heißen auf „Hell Chose Me“ regiert technischer<br />
Death Metal amerikanischer Prägung, Langweiler-Zusammenbrüche<br />
und Stakkato-Griffbett-Onanie halten sich im<br />
überschau- und -hörbaren Rahmen, während die Roland<br />
808 exzessiv eingesetzt wird und gehörig im Untergrund<br />
rumst. CARNIFEX ragen vor allen Dingen deshalb aus der<br />
Masse heraus, weil sie einigermaßen in der Lage sind, Songs<br />
zu schreiben und nicht genretypisch mit Ach-was-sindwir-tolle-Musiker-Attitüde<br />
Parts aneinander kleistern, die<br />
ums Verrecken nicht zusammenpassen, ohne die nächste<br />
überflüssige gegatete Breakdown-Stakkato-Bridge zu<br />
bemühen. Auf „Hell Chose Me“ hingegen ist alles im Fluss,<br />
brutal und kompakt, auch wenn eine Langzeitwirkung der<br />
Songs eher fraglich ist. (6) Dr. Oliver Fröhlich<br />
CHAINS OF HATE<br />
Cold Harsh Reality<br />
MCD | Rucktion | rucktion.com | 17:22 || Erste<br />
MCD der Engländer, die sich mit ihrem moshlastigen<br />
Bollo-Hardcore auf Rucktion Records zwischen KNUCK-<br />
LEDUST, BUN DEM OUT und SIX FT. DITCH bestens ins<br />
Bandraster einfügen. Mit einer Spielzeit <strong>von</strong> gut 17 Minuten<br />
langweilen COH nicht, ich frage mich aber, ob ihnen<br />
auf Albumlänge nicht doch die Puste ausgehen könnte. Für<br />
den Moment ist „Cold Harsh Reality“ eine willkommene<br />
Zwischenmahlzeit, bleibt aber auf lange Sicht eher belangloser<br />
Bollo-Hardcore, der aus der Masse anderer Bands<br />
kaum heraussticht. (6) Tobias Ernst<br />
CRIPPLE AND CASINO<br />
s/t<br />
CD | Radio Is Down | radioisdown.com | 36:34 ||<br />
US-Labels zeichnen sich nicht unbedingt durch übermäßiges<br />
Interesse am musikalischen Geschehen im Rest der<br />
Welt aus, wie man weiß – <strong>von</strong> ein paar lobenswerten Ausnahmen<br />
mal abgesehen. Eine solche ist Radio Is Down<br />
aus Olympia, WA, ein kleines Label, dessen Betreiber Matt<br />
Lebens vor einer Weile auf CRIPPLE AND CASINO aus Zagreb<br />
stieß und sich so für die Band begeisterte, dass er den<br />
Kroaten anbot, ihr Album zu veröffentlichen. Die Band, bei<br />
der Menschen aktiv sind, die auch bei den schon in diesem<br />
Heft besprochenen LUNAR und ANALENA spiel(t)en,<br />
nahm dafür zehn Songs auf, die Matt an seine Helden der<br />
Neunziger erinnern, unter anderem SONIC YOUTH, JESUS<br />
LIZARD und JAWBOX. Und es fällt nicht schwer, diese<br />
Assoziationen nachzuvollziehen, wobei die Kim Gordon-<br />
Sache sich schnell erklären lässt, singt Petra doch ähnlich<br />
monoton und eigenwillig zum druckvollen, flirrenden,<br />
noisigen Gitarrenrock ihrer Bandkollegen Marko, Darko<br />
und Zarko, äh, Zec. So ganz angebracht sind die Superlative<br />
des Vergleichs unterm Strich dann doch nicht – wer<br />
hätte das gedacht? –, doch alles in allem ist das Debüt <strong>von</strong><br />
CRIPPLE AND CASINO, das in einer hübschen Papptasche<br />
kommt, eine wirklich gelungene Angelegenheit. (7)<br />
Joachim Hiller<br />
CAESARS ROME<br />
The Company We Keep<br />
CD | Superball | superballmusic.com | 41:27 ||<br />
Zugegeben, ideenreich oder kreativ sind CEASARS ROME<br />
nicht. Sie sind, um es ganz ehrlich zu sagen, sogar das<br />
totale Gegenteil da<strong>von</strong>, was ihr Label sie im Info anpreist.<br />
Dort wird ihr Sound als eine Melange beworben, die <strong>von</strong><br />
THRICE über JIMMY EAT WORLD zu BRAND NEW und<br />
HOT WATER MUSIC reiche – was völliger Unsinn ist. Denn<br />
„The Company We Keep“ ist schlichtweg ein gutes bis teilweise<br />
sogar sehr gutes Emorock-Album, das sich an allen<br />
Konventionen orientiert, die in diesem Genre etabliert<br />
sind. Die dichten Soundwände kennt man <strong>von</strong> COHEED<br />
AND CAMBRIA, die verspielten Melodien und die teilweise<br />
etwas komplexeren Songstrukturen liehen sich<br />
die Waliser bei ihren Kumpels FUNERAL FOR A FRIEND.<br />
Obendrein experimentieren sie mitunter mit Rockparts,<br />
die man <strong>von</strong> gediegenen FOO FIGHTERS kennt. Das ist<br />
alles gar nicht schlimm, denn summa summarum kann<br />
man „The Company We Keep“ problemlos hören und<br />
genießen, wenn man die drei letztgenannten Bands mag.<br />
Nur sollte man nicht versuchen, eine Band als etwas zu<br />
verkaufen, das sie nicht ist. (7) Lauri Wessel<br />
CALIBRO 35<br />
Ritornano Quelli Di<br />
CD | Ghost/Cargo | ghostrecords.it | 38:55 || Ennio<br />
Morricone hat es vorgemacht und mit seinen Soundtracks<br />
Hollywood-Geschichte geschrieben – mit Melodien,<br />
die die Welt pfeift.<br />
Und unzählige italienische<br />
namenlose Mini-<br />
Morricones haben B-<br />
und C-Movies vertont,<br />
schäbige Exploitation-<br />
Filmchen, die kaum<br />
jemand sehen wollte.<br />
Deswegen gerieten deren<br />
Scores leider oft in Vergessenheit,<br />
im Gegensatz<br />
zu so manchem Streifen<br />
völlig zu Unrecht.<br />
Die lobenswerte Compilation-Reihe<br />
„Beat At Cinecittà“ hatte vor einigen Jahren<br />
eine Menge solcher Soundtrack-Perlen zusammengetragen,<br />
und genau diese Sounds waren es, die als Grundlage<br />
für das Mailänder Instrumental-Ensemble CALIBRO<br />
35 dienten. Besetzt mit hochkarätigen Studio-Muckern<br />
produziert das Quartett Melodien für Filme, die es nie gab,<br />
vollzieht den Spagat zwischen Funk, Jazz, Rock, Soul und<br />
Klassik mit der toskanischen Leichtigkeit. Und obwohl<br />
– das ist für Soundtracks nun mal eigen – Melodiebögen<br />
und Harmoniegefüge oft nur flüchtig, skizzenhaft erscheinen,<br />
bauen alle Songs eine unglaubliche Spannung auf. Sie<br />
wirken, auch Merkmal eines guten Soundtracks, auf der<br />
Gefühlsebene, lassen den Zuschauer bestimmte Handlungsstränge<br />
intensiver erleben. Dies gelingt CALIBRO 35<br />
auf dem neuen (zweiten) Album meisterhaft. Die Resonanz<br />
in Italien war bislang fulminant, mittlerweile haben<br />
sie auch „echte“ Soundtracks in die Kinos gebracht, spielen<br />
Live-Sets vor der Leinwand, touren in den USA. Zu Recht,<br />
denn sie liefern einfach oscarverdächtige Qualitätsware ab.<br />
(8) Gereon Helmer<br />
THE CRAZY CRAZY<br />
WORLD OF MR. RUBIK<br />
Are You Crazy Or Crazy Crazy<br />
CD | Lokomotiv/Audioglobe | locomotivrecords.<br />
com | 39:55 || Das italienische Projekt mit dem Namen,<br />
der so lang ist, dass ich ihn hier jetzt nicht ausschreibe, hat<br />
zum Ziel, sich gegen den aktuellen Mainstream zu stellen<br />
und etwas gegen den geistigen Stillstand zu tun, unter dem<br />
italienische Intellektuelle im Moment leiden. Ganz schön<br />
hohe Ziele, auch weil hinzukommt, dass CCWOMR sarkastisch<br />
sein und eine Zusammenfassung verschiedenster<br />
Musikstile in ihre Musik integrieren möchte. Viele Musikkritiker<br />
hat dieses Unterfangen schon überzeugen können,<br />
wurde CCWOMRs zweite Veröffentlichung <strong>von</strong> der<br />
Zeit 2007 als eine der besten des europäischen Undergrounds<br />
gewürdigt. Doch trotz allem: Überzeugen können<br />
mich CCWOMR nicht. Verschiedene Tracks stehen<br />
zusammenhanglos nebeneinander, so dass man den Eindruck<br />
bekommt, es handle sich um verschiedene Bands.<br />
Abwechslung schön und gut, doch leider klingt die Platte<br />
konzeptlos, ohne Spannungsbogen, als ob die Einscheidung,<br />
was man eigentlich spielen möchte, noch ausstehe.
Und wieso „crazy“? Überwiegend psychedelische Klänge,<br />
die <strong>von</strong> Rock’n’Roll-Einlagen wie „my mama told me“<br />
unterbrochen werden, wirken eher belanglos als verrückt.<br />
Anstatt „crazy“ sind CCWOMR schlicht überschätzt. (7)<br />
Katrin Schneider<br />
CERVELLI STANKI<br />
15 Years ... Old Tunes, New Blood<br />
CD | Violax | myspace.com/cervellistanki || Lassen<br />
wir mal das übliche „Best Of“- und Jubiläumsgeschwafel<br />
weg: Die 15 Jahre Bandgeschichte <strong>von</strong> CERVELLI STANKI<br />
habe ich an einem Stück durchgehört. Hat mir nicht<br />
gereicht, seit langem mal wieder eine CD, bei der ich sofort<br />
die Repeat-Taste am Player betätige und die zweite Runde<br />
einläute. Zwölf neu eingespielte Songs, drei neue Songs<br />
mit der aktuellen Besetzung aus zwei Ex-KLASSE-KRIMI-<br />
NALE-Mitgliedern und dazu noch die geile Coverversion<br />
„Frana“ gibt’s <strong>von</strong> den italienischen Skinheads auf „Old<br />
Tunes, New Blood“ zu hören. (In diesem Fall) Glücklicherweise<br />
kenne ich die ursprünglichen Aufnahmen nicht,<br />
so dass ich mir kein Urteil erlauben kann, ob dem Original<br />
bei der Neueinspielung irgendwas abhanden gekommen<br />
ist! Treibender Oi!/77er-Punk, eingängige Singalongs,<br />
sogar richtig schnell gespielt, teils mit Hardcore-Elementen<br />
versetzt. Bella Italia, verdammt gute Scheibe! (8)<br />
Christian Fischer<br />
JOHNNY CASH<br />
American VI: Ain’t No Grave<br />
CD | American Recordings || Der letzte Bruce Lee-<br />
Film, definitiv! Mit viel Tamtam nachgeschobene sechste<br />
American-Veröffentlichung, nachdem es bei der „V“ schon<br />
hieß, dass es die ultimativ<br />
letzte CD gewesen sein<br />
soll – und nach der dann<br />
die „Unearthed-Box“<br />
kam. Mal sehen, was Rick<br />
Rubin demnächst noch<br />
im Keller findet, vielleicht<br />
sollte er dazu mal<br />
die Bootlegger fragen, die<br />
die „American Outtakes“<br />
auf den Markt geworfen<br />
haben. Musikalisch<br />
nach wie vor über jeden<br />
Zweifel erhaben, aber der<br />
Großteil der besseren Stücke war auf „V“. Dazu fühlt es sich<br />
nicht mehr ganz so ergreifend an, wenn Johnny wie beim<br />
Vorgänger die Stimme aus Schwäche versagt. Trotzdem<br />
kann man sich mit einem einigermaßen funktionierenden<br />
Gehör und Geschmack nicht der Wirkung <strong>von</strong> „Ain’t<br />
no grave“ und ganz besonders „Satisfied mind“ entziehen,<br />
die jemand eingespielt hat, in der Gewissheit, dass jeder<br />
Tag sein letzter sein könnte. Zehn Stücke, die ein sympathisches<br />
Label vier Jahre früher zusammen mit „A Hundred<br />
Highways“ als Doppel-LP beziehungsweise Doppel-CD<br />
veröffentlicht hätte, aber wir sind ja hier leider nicht im<br />
Märchenland. (9) Kalle Stille<br />
CALEYA<br />
These Waves Will Carry Us Home<br />
LP | Sick Man Getting Sick | myspace.com/sickmangettingsick<br />
|| CALEYA kommen aus Hamburg und spielen<br />
Post-Metal. Hinter den Songs ihres Debütalbums steckt<br />
ein musikalisches Kraftpaket, welches sich hinter Bands<br />
wie TEPHRA nicht zu verstecken braucht. Ruhige Intros<br />
münden in wuchtig wogende Rifflandschaften, über welchen<br />
sich markerschütternde Schreie mit cleanen Vokalpassagen<br />
abwechseln. Leider sind Letztere nicht immer<br />
wirklich gelungen, was den positiven Gesamteindruck<br />
jedoch nicht ernsthaft schmälert. Erfreulich ist vor allem,<br />
dass CALEYA auch die Geschwindigkeit nicht scheuen und<br />
ihre gewaltigen Songkolosse häufig durch einen Schuss<br />
Post-Hardcore auflockern. Das ist der Halbwertzeit der<br />
Platte sehr dienlich, denn somit ist sicher, dass diese noch<br />
öfter den Weg in meine Anlage finden wird. (7) Jens Kirsch<br />
CRAZY ARM<br />
Born To Run<br />
CD | Gunner/Broken Silence | gunnerrecords.com<br />
|| Die Aufnahmen zum Debüt der Band aus Plymouth<br />
zogen sich etwas in die Länge. Nach drei Jahren und drei<br />
Studioterminen war es dann schließlich soweit. Hinterher<br />
weiß man ja bekanntlich immer alles besser, aber Zeit und<br />
Eifer scheinen sich gelohnt zu haben, denn „Born To Run“<br />
ist ohne Zweifel als gelungen zu bezeichnen, denn die Briten<br />
tragen ihre Mischung aus klassischem Punk und versierter<br />
politischer Einstellung, die hier und da an STRIKE<br />
ANYWHERE-meets-THE CLASH erinnert, äußerst zielgerichtet<br />
vor. Die Songs sind zudem allesamt technisch<br />
anspruchsvoll, mir mitunter vielleicht etwas zu verspielt,<br />
was ihrer Eingängigkeit aber nichts nimmt. Im April sind<br />
CRAZY ARM im Vorprogramm <strong>von</strong> Frank Turner zu sehen<br />
und man darf gespannt sein, wie sich die jungen Briten<br />
dann live schlagen werden. Bodo Unbroken<br />
CITAY<br />
Dream Get Together<br />
CD | Dead Oceans/Cargo | deadoceans.com | 42:34<br />
|| „Little Kingdom“, das letzte Album dieser achtköpfigen<br />
Formation aus San Francisco, war noch überwiegend<br />
instrumental, hatte sich aber bereits auf originelle Art<br />
und Weise Progrock und andere Spielarten <strong>von</strong> Siebziger-<br />
Musik angeeignet. Auf ihrem bisher dritten Album schwelgen<br />
Ezra Feinberg und Tim Green (der erneut Produzent<br />
war) auch diesmal wieder in ausschweifenden progrockigen<br />
Gitarren-Soli und zitieren dabei Robert Fripp oder die<br />
glamrockigeren Momente <strong>von</strong> Brian Enos frühen Soloplatten.<br />
Gleichzeitig scheint auch der Anteil angenehm süßlicher<br />
Melodien zugenommen zu haben, unterstützt durch<br />
den sehr schönen Harmoniegesang der beiden hier beteiligten<br />
Sängerinnen. Das gibt dem Ganzen zwar bisweilen<br />
eine hippieeske 60s-Folk-Räucherstäbchen-Atmosphäre,<br />
was aber nicht heißt, dass CITAY sich nicht auch in diesen<br />
Momenten als Meister eines ungemein atmosphärischen<br />
psychedelischen Geflechts aus virtuos inszeniertem<br />
Improvisationsrock in epischer Breite und faszinierend<br />
konventionellem Pop präsentieren würden, teilweise auch<br />
in friedlicher Koexistenz. Interessant auch, wie sehr Greens<br />
Gitarrenspiel dabei sogar noch an die FUCKING CHAMPS<br />
erinnert, ohne dass man beide Bands irgendwie miteinander<br />
vergleichen könnte. Dabei gelingt CITAY beim Titeltrack<br />
auch noch ganz nebenher ein fantastischer kleiner<br />
Hit. Und wer so verdammt gut und eigenständig ist, der<br />
darf sich auch an den großartigen GALAXIE 500 versuchen,<br />
denen sie mit ihrer Version <strong>von</strong> „Tugboat“, inklusive überraschend<br />
brutalen Gitarrenfeedbacks gegen Ende, sicherlich<br />
keine Gewalt antun, ganz im Gegenteil. (9)<br />
<strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
CHASING FOR GLORY<br />
Rookie<br />
CD | FinestNoise/Radar | finestnoise.de | 35:17 ||<br />
Die vier bayrischen Punkrocker präsentieren auf ihrem<br />
zweiten Album feinen Polit-Punk mit dem Soundmix aus<br />
RISE AGAINST und BAD RELIGION. Die vielen Rhythmuswechsel<br />
und Breaks sollen Weckrufe sein, damit die Leute<br />
endlich das Elend sehen. Diese musikalische Unterstützung<br />
der Lyrics ist echt auf hohem Niveau. Besonders die<br />
Texte haben es mir angetan: Ob korrupte Konzerne, nati-<br />
onalistische Vereinigungen oder einfach nur der bequeme<br />
Mann <strong>von</strong> nebenan – jeder bekommt hier sein Fett weg<br />
und motiviert zum mitmachen. Der Albumtitel geht auf<br />
den titelgebenden Song zurück, bei dem man sich mit<br />
dem Thema Kindersoldaten auseinandersetzt. „Child soldiers<br />
are rookies of war“ – mehr braucht man nicht mehr<br />
dazu zusagen. Zudem gibt’s im Booklet noch einige Aussagen,<br />
die einen zum Nachdenken bewegen. Hier gibt’s feinsten<br />
Punkrock mit intelligenten Lyrics. (8) Peter Nitsche<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
DDD<br />
JOHNNY DOWD<br />
Wake Up The Snakes<br />
CD | Munich | munichrecords.com | 62:31 || Mit<br />
Johnny Dowd ist das immer so eine Sache: Durchweg<br />
machen Dowd und seine Band einen guten Job, allein, es<br />
fehlt an Hits. Ich spreche nicht <strong>von</strong> lästigen Ohrwürmern,<br />
sondern Songs dergestalt, welche man hört, die einem<br />
gefallen und viele Stunden später erst, oder am Tag darauf,<br />
sind sie plötzlich wieder da, summen ihre angenehme<br />
Melodie aus der Erinnerung direkt in den Kopf. So werden<br />
jeweils aktuelle Lieblingsstücke geboren, aus der Erinnerung,<br />
und der Erwartung schnell nach Hause zu kommen<br />
und sich eben diesen Song unbedingt nochmals anzuhören.<br />
Johnny Dowd gefällt mir immer exakt so lange, wie<br />
die Platte sich dreht, danach räumt er das Feld, ohne bleibende<br />
Eindrücke zurückgelassen zu haben, außer dem, dass<br />
ich ihn gerne wieder auflege, um mich an seiner verschrobenen<br />
Stilrichtung zu erfreuen. So bin ich immer wieder<br />
angetan, ein neues Werk vorgelegt zu bekommen, habe aber<br />
nie in großer Fiebrigkeit mit den Füßen gescharrt, weil<br />
ich ihn in der Zwischenzeit einfach nicht auf dem Schirm<br />
hatte. (7) Claus Wittwer<br />
DELANEY DAVIDSON<br />
Self Decapitation<br />
CD | Voodoo Rhythm/Cargo | voodoorhythm.com |<br />
37:36 || Obgleich Delaney Davidson mit „Self Decapitation“<br />
sein Solo-Debüt vorlegt, so sollte der 1972 auf der<br />
neuseeländischen Nordinsel<br />
geborene Songwriter<br />
für treue Connaisseure<br />
des Voodoo<br />
Rhythm-Kosmos kein<br />
Unbekannter mehr sein,<br />
war er doch während<br />
der beiden Alben „Flammend’<br />
Herz“ und „Wunderkammer“<br />
Mitglied<br />
des bizarren, schweizerischenBegräbnisorchesters<br />
DEAD BROT-<br />
HERS. Und dass diese<br />
Zeit durchaus gewisse Spuren im Schaffen des Mannes<br />
hinterlassen hat, wird bereits bei dem gewaltigen Opener<br />
„Around the world“ deutlich: Ein Gänsehaut erzeugender<br />
Todeswalzer, der nahezu an die bedrohlichen Qualitäten<br />
der „Murder Ballads“ eines anderen großen Künstlers<br />
<strong>von</strong> Down Under heranreicht. Ausgehend <strong>von</strong> diesem<br />
ohnehin schon hervorragenden Beginn, entfaltet<br />
sich während der folgenden zehn Stücke ein ungemein<br />
packendes Meisterwerk, welches sich stilistisch <strong>von</strong> der<br />
genickbrecherischen Version eines uralten, grob psychedelisch<br />
angehauchten Rhythm & Blues-Traditionals („In<br />
the pines“), über herzerweichende, wunderschöne Folkballaden<br />
(„Little heart“), derwischartige, halbakustische<br />
Gitarrenrocker („Lackie’s men“), ein superfinsteres Cover<br />
<strong>von</strong> Reverend Beat-Mans „Back in hell“, bis hin zu Balkaneinflüssen<br />
(das mit Hilfe des deutsch-rumänischen „Speed<br />
brass“-Ensembles FANFARA KALASHNIKOV aufgenommene<br />
„I slept late“) erstreckt. Und auch wenn Multi-Instrumentalist<br />
Davidson wohl die gesamte Platte genauso gut<br />
alleine hätte einspielen können, so hat er es sich dennoch<br />
nicht nehmen lassen bei einigen Songs mit solch hochkarätigen<br />
Musikerkollegen wie dem Beat-Man höchstselbst,<br />
Eric McFadden, Dan Elektro <strong>von</strong> den WOGGLES oder auch<br />
dem bayerischen One-Man-Band-Berserker Garage Kid zu<br />
kollaborieren. Resultat: Ein hervorragendes Album mit viel<br />
Tiefgang, Seele und Herzblut, bei dem mir abschließend<br />
eigentlich nur noch mein persönlicher Favorit hervorzuheben<br />
bleibt, nämlich das schmissige Cover <strong>von</strong> Jerry Roll<br />
Mortons mächtig versautem Rock’n’Roll-Klassiker „Dirty<br />
dozen“ – was zur Hölle war denn eigentlich bitte nochmal<br />
Gangsta Rap?! (9) Ben Bauböck<br />
THE DANGEROUS SUMMER<br />
Reach For The Sun<br />
CD | Hopeless | hopelessrecords.com || THE DAN-<br />
GEROUS SUMMER erinnern mich an eine Vielzahl <strong>von</strong> in<br />
letzter Zeit ins Licht der Öffentlichkeit getretenen Bands,<br />
die einen eher zurückgenommenen Post-Emo-Sound<br />
spielen, irgendwo zwischen späteren THE GET UP KIDS<br />
und den aktuellen Releases <strong>von</strong> THE SCENIC oder THE<br />
MORNING LIGHT. Warum auch nicht? Die Songs sind gut<br />
geschrieben, hymnisch und eindringlich, und vor allem<br />
der Sänger klingt so sehr nach Kenny <strong>von</strong> THE STARTING<br />
LINE, dass man teilweise das Gefühl hat, PERSON L wären<br />
nie passiert. Nur fehlt mir ein bisschen der letzte Kick,<br />
der darauf verweist, dass Emo eigentlich <strong>von</strong> Emo-Core<br />
kommt. Trotzdem: Sehr schön. (8) David Schumann<br />
DADFAG<br />
Scenic Abuse<br />
CD | Broken Rekids | brokenrekids.com | 27:56 ||<br />
Seit langem mal wieder ein Release auf Broken Rekids.<br />
DADFAG heißt die Band, und ich habe keine Ahnung, was<br />
der Name bedeutet, ob man ihn in die Worte „dad“ und<br />
„fag“ zerlegen darf. Mike Millett <strong>von</strong> Broken Rekids war<br />
jedenfalls so begeistert <strong>von</strong> den Konzerten der seit einer<br />
Weile in San Francisco ansässigen Band, die mit Eva Hannan<br />
und Danielle Benson (Gitarre und Bass, beide Gesang)<br />
und Alan Miknis (Drums) einen klaren Frauenüberschuss<br />
aufweist, dass er ihr Debütalbum machen musste. Ihre<br />
Liveauftritte, so schreibt Mike, seien geprägt vom Bemühen,<br />
dem Publikum Unwohlsein zu bereiten, auch unter<br />
Einsatz <strong>von</strong> Backutensilien und Dildos. Dabei, so muss ich<br />
allerdings anfügen, reicht es bei manchen Menschen auch<br />
sicher schon aus, wenn hier der spitze, schrille Gesang einsetzt<br />
– ich kann verstehen, dass so was Unwohlsein auslöst,<br />
wenn man nicht eine gewisse Schwäche für atonale,<br />
no-wavige, an Riot-Grrl-Rock erinnernde Female-Vocals-<br />
Ensembles hat. Mike verweist hierzu auf SONIC YOUTH<br />
und Lydia Lunch, was auf der Hand liegt, denn die zwölf<br />
Stücke klingen eher so, als kämen sie aus den frühen Achtzigern<br />
und seien nicht erst 2009 aufgenommen worden.<br />
Sperrig und anstrengend, aber eben nicht ohne Reiz, so<br />
lässt sich „Scenic Abuse“ beschreiben. (7) Joachim Hiller<br />
BABY DEE<br />
A Book Of Songs For Anne Marie<br />
CD | Tin Angel | tinangelrecords.co.uk | 45:15 || An<br />
sich handelt es sich bei „A Book Of Songs For Anne Marie“<br />
um die Neuauflage eines 2004 auf David Tibets Label Durtro<br />
Jnana erschienenen Albums des New Yorker Paradiesvogels<br />
Baby Dee, allerdings damals nur in einer lange vergriffenen<br />
150er-Auflage als nackte CD ohne Cover oder<br />
Sonstiges veröffentlicht. Und aus den ursprünglich sie-<br />
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OX-FANZINE 89
OX-FANZINE 90<br />
ben Tracks sind jetzt zwölf geworden, die auch in musikalischer<br />
Hinsicht runderneuert wurden. Stilistisch ist<br />
Baby Dee wohl am besten in der Schnittmenge <strong>von</strong> ANT-<br />
ONY AND THE JOHNSONS und Joanna Newsom anzusiedeln,<br />
eine herrlich emotionale Sammlung <strong>von</strong> Kammerpop-Miniaturen,<br />
getragen <strong>von</strong> Dees Harfe-Spiel oder zarten<br />
Piano- und Akkordeon-Klängen, neben anderen eher<br />
aus der Klassik bekannten Instrumenten, und natürlich<br />
seiner/ihrer (pardon, aber diese Transgender-Geschichten<br />
sind mir immer zu verwirrend ...) exzentrischen Gesangseinlagen.<br />
Alles haarscharf an der Grenze zum Kitsch, aber<br />
dabei so tiefempfunden und unter die Haut gehend, dass<br />
man sich Dees skurrilem wie minimalistischem Crooner-Pathos<br />
nur zu gerne hingibt, was ich mal als Mischung<br />
aus John Cale und Harry Belafonte beschrieben hatte. Fast<br />
schon zu schön für diese Welt, diese Musik. (8)<br />
<strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
DARWIN DEEZ<br />
s/t<br />
CD | Rough Trade | roughtrade.de | 32:49 || Darwin<br />
Deez ist so was wie der Erland Øye der USA. Womit man<br />
ihm wohl Unrecht tut. Deez ist wahrscheinlich einfach<br />
ein junger Nerd, der irgendwie durch das gesellschaftliche<br />
Raster gefallen ist und anstatt eine Karriere als Waffennarr<br />
oder christlicher Fundamentalist einzuschlagen, eines<br />
Tages beschloss, mit seinen vier verbliebenen Gitarrenseiten,<br />
der Drum-Machine, Handclaps (!) und dem nicht <strong>von</strong><br />
der Hand zu weisenden Stimmtalent Musik machen. Alles<br />
zusammen ist ein Electropop-Mix, der sich in jedem Song<br />
vom Soul, Rhythm & Blues, Hymnen- oder aber Garagenpop<br />
Elemente leiht und diese geschickt ineinander verdreht.<br />
Nicht zu verachten sind außerdem die durchaus<br />
charmanten Liebeserklärungen an Frauen und die Musik:<br />
„You are a radar detector“, very sweet. Eine angenehme<br />
Heimbeschallung – und viel besser als Radio! (7)<br />
Christoph Schulz<br />
DE STAAT<br />
Wait For Evolution<br />
CD | Cool Green | coolgreenrecordings.com | 52:15<br />
|| Laut, witzig und direkt: DE STAAT aus den Niederlanden<br />
spielen mit diversen Einflüssen, <strong>von</strong> Tom Waits und<br />
Nick Cave über DIE EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN bis<br />
hin zu CLAW BOYS CLAW. Das Ein-Mann-Projekt <strong>von</strong><br />
Torre Florim entwickelte sich zu einer richtigen fünfköpfigen<br />
Band. Ursprünglich wollte Torre Florim nur eine Single<br />
aufnehmen, als aber seine Freunde die Stücke hörten,<br />
waren sie so begeistert, dass sie ihn überredeten, eine Band<br />
zu gründen. Die 13 Titel auf „Wait For Evolution“ umspannen<br />
eine sehr große stilistische Bandbreite, das finde ich<br />
sehr interessant, ob Ass-kickin’ Rock’n’Roll, Noise oder<br />
Industrial, es klingt alles gut und passt ins Bild. Auch Exoten<br />
wie zum Beispiel „Love it“, bei diesem Stück wurde nur<br />
mit Stimmen gearbeitet, aber es gibt keine Texte, sozusagen<br />
eine Art Free-Experimental Doo-Wop. (8) Kay Werner<br />
DONKEY WORK<br />
Kick Up A Recket<br />
CD | Diffidati | stella-rossa.net || Eine neue Skinhead-Band<br />
aus Potsdam, die entgegen dem beschissenen<br />
Proll-Trend nicht auf den „Deutschrock/Onkelz-Klon,<br />
die x-te“ aufspringt und stattdessen mit teils midtempo,<br />
teils aggressiverem Oi!, Skinhead-Reggae und einigen<br />
Ska-Parts den traditionellen Weg geht. Die Texte (deutsch<br />
und englisch) zeigen den dicken Mittelfinger in Richtung<br />
Anti-p.c.-Helden, die immer noch nicht kapiert<br />
haben, dass es nichts Rebellisches oder Cooles an rechter<br />
Scheiße gibt. Heute Northern Soul-Niter, morgen<br />
SKREWDRIVER und „When the boat comes in“, alles unter<br />
dem Deckmäntelchen des „Ich lass mir nichts vorschreiben!“<br />
– einfach zum Kotzen! Höhepunkt der Scheibe ist<br />
das sehr smoothige „Skinhead life“. Da scheint die Sonne<br />
nicht aus dem braunem Arsch, sondern dort wo sie hingehört,<br />
direkt über Jamaica und den Roots der Bewegung.<br />
Leider verspielen die Jungs ihr Potenzial mit der Zeit wieder,<br />
denn neben dem Mittelfinger gibt’s auch den belehrend<br />
erhobenen Zeigefinger. Ein Lied gegen die Unterdrückung<br />
der Frauen; Soldaten und Krieg ist scheiße; Bone-<br />
BATTLEFIELD: BAD COMPANY 2<br />
Game | Electronic Arts | electronic-arts.de | PC,<br />
PlayStation 3, Xbox 360 || „Battlefield: Bad Company“<br />
(dt. Version) versetzte Spieler 2008 in die Rolle eines aus<br />
geldgeilen Außenseitern bestehenden Armee-Teams und<br />
würzte es mit einer nahezu vollständig kaputtbaren Kulisse<br />
sowie schwarzem Humor. Zwei Jahre danach ist Letzterer<br />
leider beinahe völlig abhanden gekommen, da der<br />
Trupp inzwischen mit ernsteren Aufgaben beschäftigt ist:<br />
Um russische Schergen <strong>von</strong> dem Anzetteln des Dritten<br />
Weltkriegs abzuhalten, müssen Einzelspieler den Trupp<br />
13 lineare Aufträge lang durch Dörfer, Dschungel-, Bergoder<br />
Wüstengebiete führen. Bei dem Versuch, den Mix aus<br />
Kugelhagel, Fahrmissionen und Taktik zu überleben, greifen<br />
die bösen Buben auf 46 Waffen und 15 Land/Luft/<br />
Wasserfahrzeuge zurück. Dank erhöhtem Zerstörungsgrad<br />
der Kulissen lassen sich Feinde besser in Fallen drängen.<br />
Dieses Element, vier Charakterklassen, 15 Zusatzgeräte,<br />
13 Spezialisierungen und mehr als 15.000 Waffen-Kit-<br />
Anpassungsmöglichkeiten lockern auch den Mehrspielerwettstreit<br />
auf. Neben üblicher Kost auf acht großen, für bis<br />
zu 24 Teilnehmer zugänglichen Karten bittet der Destruction-2.0-Modus<br />
zur Landschaftszerstörung, während die<br />
Squad-Variante die Bildung <strong>von</strong> Vierergruppen ermöglicht.<br />
Mit diesen und anderen Erweiterungen avanciert der<br />
Zweitling zu einer ernstzunehmenden Mehrspielerkonkurrenz<br />
für die Ego-Shooter-Elite. Dominik Winter<br />
DANTE’S INFERNO<br />
Game | Electronic Arts | electronic-arts.de | PlayStation<br />
3, PSP, Xbox 360 || Basierend auf einer Abwandlung<br />
des ersten Teils des Literaturklassikers „Die göttliche<br />
Komödie“, verkörpern<br />
Spieler in dem Action-<br />
Adventure „Dante’s<br />
Inferno“ (dt. Version)<br />
Dante Alighieri. Um die<br />
entführte Seele seiner<br />
ermordeten Geliebten zu<br />
retten, folgt der Schriftsteller<br />
dem Gehörnten<br />
in die Hölle. Ausgestattet<br />
mit einem unkomplizierten<br />
Kampfsystem,<br />
unzähligen Angriffskombinationen<br />
und Zaubersprüchen,<br />
schnetzelt<br />
Dante sich durch Untotenaufläufe,<br />
löst eine Hand voll Rätsel, Quicktime-Events,<br />
Kletter- und Reiteinlagen. Als Hilfsmittel bei der Portionierung<br />
satanischer Handlanger und genialer Bossgegner<br />
dienen eine überdimensionierte Sense und ein heiliges<br />
Kreuz, das Seelen und Zauber besiegter Feinde bündelt.<br />
Bei der Reise durch neun variantenreiche Unterweltkreise<br />
heads sind Abschaum; Kapitalismus gehört bekämpft; ein<br />
Anarcho-Song über die bessere Welt ... Das ist ja alles für<br />
sich genommen völlig richtig und erstrebenswert, in der<br />
Kompaktheit eines ganzen Albums aber einfach zu viel des<br />
Gut(mensch)en(tums). Die Grenze ist da halt fließend. Der<br />
Coversong <strong>von</strong> MISANDAO ging allerdings komplett in die<br />
Hose. Somit bleibt ein unter dem Strich gelungenes Debüt,<br />
dass thematisch etwas verkrampft durch „p.c.-Overflow“<br />
rüberkommt. Gibt’s bei euch in Potsdam nicht auch ein<br />
schlichtes „Having a laugh & having a say“ ...? (6)<br />
Christian Fischer<br />
THE DOITS<br />
Northern Accents<br />
CD | Sunnyvale/Versity | versitymusic.com | 40:25<br />
|| Wie die Zeit vergeht: Zwischen ihrem ersten Album<br />
„This Is Rocket Science“ <strong>von</strong> Anfang 2005 und dem Nachfolger<br />
„Lost, Lonely &<br />
Vicious“ vom Sommer<br />
2006 ließen die Schweden<br />
nur wenig mehr als<br />
eine Jahr verstreichen,<br />
doch bis zu „Northern<br />
Accents“ – und ich habe<br />
es überprüft, in der Zwischenzeit<br />
war nichts –<br />
gingen über drei Jahre<br />
ins Land. Drei Jahre,<br />
in denen die Band aus<br />
Stockholm, die einst mit<br />
New York-Style-Protopunk<br />
anfing, aber schon mit dem zweiten Album schwere<br />
Powerpop-Tendenzen zeigte, noch stärker an ihren Kompositionen<br />
feilen konnte, mit dem Ergebnis, dass „Northern<br />
Accents“ ein wirklich perfektes Gitarrenrock-meets-<br />
Powerpop-Album geworden ist. So wie HÜSKER DÜ einst<br />
eine Schwäche für die BYRDS an den Tag legten, so haben<br />
sich die DOITS auch eine solche Infektion zugezogen und<br />
im gleichen Zuge alles abgelegt, was noch an die frühe<br />
HELLACOPTERS-Connection erinnern könnte. An anderer<br />
Stelle, bei „Down that line“ etwa, fühle ich mich an Joe<br />
Jackson erinnert, auch Tom Petty scheint zu den bevorzugten<br />
Songwritern des schwedischen Vierers zu gehören,<br />
und dass Christoffer Lundquist als Produzent eher im Pop<br />
als im Rock zu Hause ist, hat dem Album mehr genutzt als<br />
geschadet. Ein zeitloses Werk, oft aber auch knapp an der<br />
Grenze zu einer gewissen Beliebigkeit, die dann aber doch<br />
nicht überschritten wird. (8) Joachim Hiller<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
DISCO//OSLO<br />
s/t<br />
MCD | Antikörper-Export | antikoerper-export.<br />
de | 10:00 || Die Überraschung des Monats in meinem<br />
Briefkasten. Musiker bekannter Oldenburger Bands finden<br />
sich zu einem neuen Projekt zusammen und hauen<br />
uns – einfach mal so – fünf prächtige Punk-Songs in deutscher<br />
Sprache um die Ohren. Irgendwo zwischen TUR-<br />
BOSTAAT und Rachut & Co. angesiedelt, sind die Songs<br />
auf dieser Debüt-Single <strong>von</strong> einer unbekümmerten Spielfreude<br />
durchzogen, dass es eine wahre Freude ist, die CD<br />
gleich noch ein drittes Mal laufen zu lassen. Weiter so, da<br />
darf gerne noch mehr kommen. Und dann stehen die fünf<br />
Songs dieser CD auch noch zum kostenlosen Download auf<br />
der MySpace-Seite der Band zur Verfügung. Na, das ist doch<br />
mal was. (8) Christoph Lampert<br />
DEAD WESTERN<br />
Suckle At The Supple Teats Of Time<br />
CD | Discorporate | discorporate-records.com |<br />
47:07 || Hinter DEAD WESTERN steckt ein gewisser Troy<br />
Mighty aus Sacramento, den man wohl am besten in die<br />
Schublade Neo-Folk steckt, CURRENT 93 in weniger mystischer<br />
Form, gepaart mit leichten Einflüssen <strong>von</strong> Klassik,<br />
vorgetragen in seltsamer exzentrischer Stimmlage, nicht<br />
weit entfernt <strong>von</strong> Scott Walker, Baby Dee oder ANTONY<br />
AND THE JOHNSONS. Dabei klingt Mighty oft wie eine<br />
Parodie auf Tom Waits, aber das darf man natürlich nicht so<br />
bewerten, denn der Mann meint es sehr, sehr ernst mit sei-<br />
begegnet Dante immer wieder zahlreichen Protagonisten<br />
seiner „göttlichen Komödie“ – angefangen bei Minos<br />
über Achilles bis zu Kleopatra. Da Alighieris Schriftvorlage<br />
eine Reise durch drei Jenseitsreiche schildert, darf man <strong>von</strong><br />
Fortsetzungen ausgehen – idealerweise unter Beibehaltung<br />
der präsentatorischen Qualität, aber mit mehr eigenen,<br />
nicht ganz so offensichtlich an Genre-Führer „God Of<br />
War“ angelehnten Merkmalen. Dominik Winter<br />
GUITAR HERO VAN HALEN<br />
Game | Activison | activision.de | Wii || „Sammy<br />
Hagar? Nie gehört, wer soll das sein?“, könnte die Gegenfrage<br />
Eddie van Halens auf die Frage lauten, warum denn<br />
hier keinerlei Songs berücksichtigt wurden, die VAN<br />
HALEN mit Hagar als Sänger aufnahmen. Denn merke:<br />
unter Profilneurose leidende Rockstars beschäftigen ein<br />
eigenes „Ministerium für Wahrheit“ und das sorgt dafür,<br />
dass die Vergangenheit der Gegenwart angepasst wird, und<br />
für Eddie ist momentan nunmal David Lee Roth der einzig<br />
wahre VAN HALEN-Sänger; was geht ihn sein Gequatsche<br />
<strong>von</strong> gestern an, als dieser noch persona non grata<br />
war. Nicht der einzige Grund, warum der dritte, eine einzelne<br />
Band in den Mittelpunkt stellende Teil der „Guitar<br />
Hero“-Serie ein Rohrkrepierer ist. Drauf geschissen,<br />
dass es sich hier technisch bloß um „Guitar Hero Metallica“<br />
handelt, nur mit anderen Songs und einer anderen<br />
Band, das ist mir egal, den Zusammenhang der „Bonus-<br />
Bands“ mit VAN HALEN soll mir aber mal jemand erklären.<br />
Oder bin ich bloß zu doof, um zu erkennen, was Billy<br />
Idol, THE CLASH, KILLSWITCH ENGAGE, WEEZER oder<br />
JIMMY EAT WORLD mit dem kalifornischen Wichtigtuer<br />
gemein haben? Und wo wir gerade bei unbeantwortbaren<br />
Fragen sind: Wer hat Eddie van Halen eigentlich den Status<br />
des Über-Gitarristen verliehen? Außer beschissen penetrante<br />
Popsongs zu schreiben, bei denen er dann minutenlang<br />
am Griffbrett wichsen muss, hat der Mann doch nichts<br />
geleistet. Gefühl? Songdienliches Spielen? Am Arsch! Dass<br />
seine Fingerakrobatik das hier zum vielleicht anspruchsvollsten<br />
„Guitar Hero“-Teil macht, will ich nicht bezweifeln,<br />
gleichzeitig ist es der furchtbarste. Übrigens werde ich<br />
den nächsten, der mir gegenüber behauptet, „Jump“ wäre<br />
doch ein tolles Lied, auch mal springen lassen: aus größtmöglicher<br />
Höhe, in Sammy Hagar-Verkleidung und mit<br />
Eddie van Halen als Auffangendem. André Bohnensack<br />
GOD OF WAR III<br />
Game | Sony | playstation.de | PlayStation 3 || Eine<br />
riesige Nachahmerzahl sägte in den vergangenen Jahren<br />
an Kratos’ Hack’n’Slay-Thron. In „God Of War III“ (dt.<br />
Version) wetzt der kalkweiße Spartaner endlich wieder<br />
selbst seine (anfangs abhanden gekommenen) Chaosklingen,<br />
um sich dem Olymp und Göttervater Zeus höchstpersönlich<br />
entgegenzustellen. Der Aufbau des bombastischen,<br />
<strong>von</strong> intelligenter Kameraführung eingefangenen<br />
ner Kunst und so durchzieht seine fragile wie leise Musik<br />
eine einschüchternde sakrale Erhabenheit, vor allem wenn<br />
das akustisches Gitarrenspiel mit Violine, Orgel oder Percussion<br />
erweitert wird. Eine gewisse Monotonie lässt sich<br />
bei „Suckle At The Supple Teats Of Time“ zwar nicht <strong>von</strong><br />
der Hand weisen, aber das liegt vor allem an der Introvertiertheit<br />
und Subtilität der Kompositionen, deren Feinheiten<br />
sich erst ganz langsam offenbaren. Letztendlich eine<br />
dieser Platten, die man sich erst mal erarbeiten muss, die<br />
dann aber eine erstaunlich lang anhaltende Faszination<br />
und Wirkung besitzt, wenn man sich denn auf ihre tieftraurige<br />
Atmosphäre einlassen will. Besuche einer Kirche<br />
oder eines Friedhofs dürften kaum lustiger sein. (7)<br />
<strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
DEAR HEARTS<br />
Tail Lights & Bygones<br />
MCD | myspace.com/dearheartsmusic | 17:14 || Die<br />
belgischen DEAR HEARTS fanden sich erst im September<br />
letzten Jahres zusammen und legen jetzt bereits eine<br />
selbstproduzierte Debüt-EP vor. Dass hier eine gerade ein<br />
halbes Jahr existierende Band spielt, hört man zwar nicht,<br />
die sechs melodischen SOCIAL DISTORTION-beeinflussten<br />
Songs sind durchwegs gelungen. Dennoch hat man<br />
beim Hören den Eindruck, dass hier noch weit mehr möglich<br />
wäre, wenn die Band etwas länger an den Aufnahmen<br />
gefeilt hätte. Die CD macht jedenfalls neugierig auf künftige<br />
Releases vier Belgier. (6) Simon Dillo<br />
DEAD UNITED<br />
The Chainsaw Chronicles<br />
CD | Contra Light | contra-light-records.com | 41:17<br />
|| Mitte 2007 erschien das selbstproduzierte Debütalbum<br />
der Band aus Würzburg, und jetzt – (Un)Tote haben alle<br />
Zeit der Welt – haben sie den Nachfolger raus, der mich erst<br />
mal durch eine Tracklist mit 20 Titeln schockte. Ein genauerer<br />
Blick enthüllt dann, dass es „nur“ 14 Songs sind, beim<br />
Rest handelt es sich um Filmszenen-Intros – man kann also<br />
nicht behaupten, DEAD UNITED seien in den letzten Jahren<br />
in ihrer Gruft untätig gewesen. In exzellenter, wuchtiger<br />
Produktion gibt’s hymnischen Horrorpunk in Reinkultur,<br />
MISFITS-Verehrung wie aus dem Lehrbuch, und<br />
wer immer THE OTHER, THE SPOOK und ähnliche Creatures<br />
of the Dark schätzt, kommt auch hier auf seine Kosten<br />
und kann seine blutrünstigen Gelüste stillen. Konsequent<br />
hat die Band die thematische Ausrichtung in Coverund<br />
Bookletartwork bis ins Detail ausgefeilt, die Texte sind<br />
auch abgedruckt, wobei ich hier– ich glaube, das war auch<br />
Absicht – eher schmunzeln muss, als dass ich mir vor Angst<br />
in die Hose mache. Ich hoffe, ich trete niemandem zu nahe,<br />
wenn ich „The Chainsaw Chronicles“ als glücklicherweise<br />
keine ganz bierernste Angelegenheit beurteile – ein musikgewordenes<br />
„Shawn of the Dead“ trifft es ganz gut. „Willkommen<br />
in der Vorschule zur Hölle“ schreibt die Band<br />
in ihrem Info sicher nicht in völlig unironischer Absicht.<br />
Also: Kettensäge raus und dann haben wir zusammen ein<br />
bisschen Spaß. (7) Joachim Hiller<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
DECEMBER PEALS<br />
People Have Demons<br />
CD | Chorus Of One | chorusofonerecords.it | 42:23<br />
|| Nach der enorm schweinerockigen, sehr guten „If You<br />
Wanna Be Loud“-EP aus dem Herbst 2007 und ihrer davor<br />
liegenden poppig-punkigen Vergangenheit sind die Ibbenbührener<br />
beziehungsweise mittlerweile Münsteraner mit<br />
einem neuen Album zurück. Und in der Zwischenzeit<br />
scheinen sie viel AC/DC und noch viel mehr BEATSTEAKS<br />
gehört zu haben, den vornehmlich zwischen diesen beiden<br />
Polen (mit gesangstechnisch deutlicher Tendenz zu<br />
Zweiterem) bewegen sich alle 13 Songs der CD. Macht das<br />
anfangs noch Spaß, wird es nach ein paar Songs dann so<br />
langsam langweilig, weil eigentlich nix Neues passiert. Und<br />
nach Verklingen der letzten Töne hatte ich das dringende<br />
Bedürfnis, mir zwecks Ohrendurchspülen die Originale<br />
aus dem Schrank zu holen. Hätte man die Hälfte der Songs<br />
weggelassen und wieder eine EP aufgenommen, wäre das<br />
dem Vergnügen sicherlich deutlich zugute gekommen. (5)<br />
Jan Eckhoff<br />
/GAmES<br />
PlayStation-3-Debüts fällt serientypisch aus: Im Vordergrund<br />
des Geschehens stehen kontinuierlich schwieriger<br />
werdende Rachegefechte gegen bestialische Armeen der<br />
griechischen Mythologie und des Totenreichs sowie steinharte<br />
(Quicktime-)Auseinandersetzungen mit übermächtigen<br />
Göttern und Titanen. Ein überarbeitetes Kampfsystem<br />
mit gewohnt einfacher Combo-Ausführung, vielfältige<br />
Gegnerarten und eine größere Auswahl an Spezialangriffen,<br />
Finishing-Moves, Relikten, Zaubern und aufrüstbaren<br />
Waffen erweitern bisherige Serienkeilereien sinnvoll.<br />
Darüberhinaus laden Fremdaufträge und Minispiele<br />
zu auflockernden Ruhepausen, verlangen anspruchsvolle<br />
Rätsel nach Gehirnsport, Flug/Kletter/Sprungpassagen<br />
nach Geschicklichkeit, verzweigte Handlungsstränge nach<br />
Entscheidungen und versteckte Schätze/Wege sowie im<br />
Vergleich zu „God Of War II“ viermal größere Welten nach<br />
Erkundungsgeist. Es kann eben nur einen geben.<br />
Dominik Winter<br />
HEAVY RAIN<br />
Game | Sony | playstation.de | PlayStation 3 ||<br />
An Amerikas Ostküste werden seit einiger Zeit regelmäßig<br />
Jugendliche ermordet. Als Shaun Mars auf die Vermisstenliste<br />
rückt, bleiben<br />
Vater Ethan, Journalistin<br />
Madison Paige,<br />
Detektiv Scott Shelby<br />
und FBI-Agent Norman<br />
Jayden nur wenige Tage<br />
Zeit zur Aufklärung. Die<br />
vier Personen sammeln<br />
eine Vielzahl an Puzzleteilen,<br />
die in Kombination<br />
neue Fortschritte<br />
ermöglichen. Da ihre<br />
Beweggründe und Fähigkeitenunterschiedlicher<br />
nicht sein könnten,<br />
ergeben sich Inhalte zwischen<br />
Adventure- und Action-Passagen, Dialogen, Rätseln,<br />
Prügeleien, Schießereien und Verfolgungsjagden. Dass jede<br />
Entscheidung die Geschichte beeinflusst und sich auch<br />
nach mehrmaligem Spielen noch ungesehene Handlungsstränge<br />
und Enden ergeben, ist eine weitere Besonderheit,<br />
die „Heavy Rain“ (dt. Version) allerdings mit anderen<br />
Titeln teilt. Dickster Grund, die Software nicht als bloßes<br />
Spiel, sondern als interaktiven Thriller im Film-Noir-<br />
Stil zu klassifizieren, stellt die Bedienung dar: „Heavy Rain“<br />
gewährt Eingriffe in alltägliche Aktionen der Protagonisten<br />
– angefangen beim Krawattenbinden bis zum Küssen. Das<br />
erscheint ungewohnt, trägt aber enorm zur Vertiefung des<br />
„Mittendrin“-Gefühls bei. Ein außergewöhnliches, wenn<br />
aufgrund einiger Blickwinkelprobleme auch nicht immer<br />
übersichtliches Erlebnis. Dominik Winter
DOIN’ JUST FINE<br />
5 Lovesick Punk Rock Songs<br />
MCD | Feeling Fine Music | doinjustfine.com | 15:56<br />
|| Die fünf liebeskranken Punkrock-Songs auf der selbstproduzierten<br />
Debüt-EP des französischen Trios können<br />
sich hören lassen. Ob sich die Band damit zur „saddest<br />
band in the world“ qualifiziert, wie sie selbst behauptet,<br />
wage ich nicht zu beurteilen, aber in der melodischen<br />
Punk-mit-Country-Einflüssen-Liga spielen sie auf Anhieb<br />
weit oben mit. Bei wem jetzt die SOCIAL-DISTORTION-<br />
Lampe leuchtet, der liegt goldrichtig, DJF führen Mike Ness<br />
& Kollegen ganz oben auf der Liste der musikalischen Einflüsse.<br />
Anders als bei vielen anderen SD-Klonen wirken<br />
DOIN’ JUST FINE aber sehr authentisch. Das liegt vermutlich<br />
ganz einfach daran, dass dieser Release fünf gute, tadellos<br />
produzierte Songs beinhaltet. (8) Simon Dillo<br />
DEADLINE<br />
Bring the house down<br />
LP/CD | People Like You | peoplelikeyou.de | 36:21<br />
|| Hier ist sie also, die neue DEADLINE. Ich schätze mal,<br />
das viele Jungs und Mädels darauf gewartet haben. Ich<br />
nicht,wenn ich ehrlich<br />
bin. Nicht weil ich die<br />
Band nicht mag, aber auf<br />
Platte haben sie in meinen<br />
Augen beziehungsweise<br />
Ohren nie das<br />
Potenzial ausgeschöpft,<br />
das die Briten zu so<br />
einer genialen Live Band<br />
macht. Dementsprechend<br />
entspannt ging ich<br />
an diese Scheibe ran. Das<br />
Songwriting ist komplett<br />
auf Liz’ Stimme zugeschnitten<br />
und dadurch bleiben alle anderen Instrumente<br />
nahezu gleich laut im Hintergrund. Eine solide Produktion<br />
und sehr klar. Die Songs bleiben sofort hängen und schon<br />
beim zweiten Hören erwische ich mich beim Mitsummen<br />
und lauter stellen. Okay, definitiv etwas, was ich nicht<br />
erwartete, aber der Oberhit schlechthin ist „Two head“!<br />
Eine 2Tone-Nummer, die mich sprachlos macht. Das sollten<br />
die Briten öfters machen. Auch eine Coverversion <strong>von</strong><br />
„These boots are made for walking“ ist mit an Bord und<br />
damit werden Liz und ihre Jungs auch jedes Publikum zum<br />
Feiern bringen. So wie es aussieht, haben es DEADLINE<br />
geschafft mich zu überzeugen. (8) Sebastian Walkenhorst<br />
DEADBEAT HERO<br />
Help!!!<br />
CD | myspace.com/deadbeathero1| 25:46 || Die<br />
für mich ansprechendste Eigenproduktion dieser Ausgabe<br />
legen DEADBEAT HERO vor. Ihnen gelingt das Kunststück,<br />
recht experimentierfreudigen Hardcore mit Metalund<br />
Post-Rock-Anleihen zu verknüpfen, dabei aber weder<br />
nach 08/15-Metalcore noch allzu verkopft zu klingen.<br />
Vielmehr sind sie schon auf ihrer Debüt-EP ziemlich<br />
eigenständig; eine Referenz, die voll ins Schwarze trifft,<br />
wüsste ich jetzt jedenfalls nicht. Des massiven Riffings<br />
wegen werfe ich mal den Namen COALESCE in den Raum,<br />
aber das ist ein sehr grober Anhaltspunkt. Sollte man selbst<br />
gehört haben und wäre bestimmt eh schon in aller Munde,<br />
wenn die Band nicht gerade aus der bayerischen Provinz,<br />
sondern aus den USA kommen würde. Noch kein hundertprozenziger<br />
Volltreffer, aber eine starke Visitenkarte ist<br />
„Help!!!“ allemal. (7) Andreas Kuhlmann<br />
DOLLFACE<br />
Silent Rebellion<br />
CD | 65Productions/Cargo | 65productions.se |<br />
35:42 || In seiner Heimat Schweden durfte der Fünfer<br />
schon ein paar Achtungserfolge feiern und nun soll auch<br />
der Rest der Welt, oder zumindest Europe Mainland, ihrem<br />
zweiten Album zujubeln. Die Zutaten Indie-Rock, New<br />
Wave und Pop mögen nicht neu sein, aber die Zusammenstellung<br />
lässt sich tatsächlich gut hören. Produziert wurden<br />
die 14 Tracks übrigens <strong>von</strong> Henryk Lipp (THE SOUND-<br />
TRACK OF OUR LIVES, MILLENCOLLIN) und Michael<br />
Nilsson (C AARMÉ, THE FUME). Als Referenz werden im<br />
Waschzettel unter anderem MANDO DIAO genannt, das ist<br />
mir doch ein wenig zu hoch gegriffen. Zwar sind die Songs<br />
eingängig, tanzbar und Titel wie „Me and the bomb“ bergen<br />
Hitqualitäten, aber im Pool der vielenn vielen Indie-<br />
Bands aus Skandinavien (und deren meist englische Vorbilder)<br />
werden es die Südschweden schwer haben, sich ihren<br />
Platz zu erspielen. Zu wenig Eigenes, zu viel schon Gehörtes.<br />
(5) Jürgen Schattner<br />
DIRTBOMBS<br />
Race To The Bottom<br />
12“ | Cass | cassrecords.com || Ein lustiger Bursche,<br />
dieser Mick Collins. Schätzungsweise steckt er hinter dieser<br />
Ankündigung der aktuellen, auf 500 Stück limitierten<br />
33rpm-12“, die das Label wiefolgt weitergibt: „The record<br />
no one wants to hear! We took a poll of the Dirtbombs fan<br />
base on their likes and dislikes and cooked up the exact<br />
opposite of what they’re looking for. Enjoy 23 excruciating<br />
minutes of aimless, meandering synthesizer noodling.<br />
You thought the six minutes of this song on We Have<br />
You Surrounded was painful? This 12-inch makes earbleeding<br />
seem like a blessing in comparison.“ So klingt es<br />
dann auch. Scherz oder volle Absicht? Man weiß es nicht ...<br />
Genies, Scharlatane oder Wahnsinnige? Auch darüber kann<br />
man streiten. Ab in den Schrank damit. Joachim Hiller<br />
DIE MOLOTOV COCKTAILS<br />
Demenzcafé<br />
CD | Wie-Waldi-Tonträger | punk-booking.de |<br />
26:36 || Die MOLOTOV COCKTAILS aus Recklinghausen<br />
sind ein wahrer Explosivkörper. Zwar nicht vom<br />
Sound her, aber <strong>von</strong> den Inhalten ihrer Texte. Sie legen<br />
gezielt Brände, um auf das aufmerksam zu machen, was um<br />
uns herum alles schiefläuft. So geht es unter anderem um<br />
Amokläufer, Kinderschänder und die Fehler der Gesellschaft<br />
an sich. Der ruppige Sound lässt dabei auch den<br />
Letzten wach werden. Die Titel haben einen relativ einfachen<br />
Aufbau und stellen dadurch die Message klar in den<br />
Vordergrund. Musikalisch fehlt es an Feuer, so dass sich die<br />
MOLOTOV COCKTAILS nicht auf Dauer in mein Gehirn<br />
brennen werden. (6) Sven Grumbach<br />
DRAMAMINE<br />
s/t<br />
LP | Sabotage/X-Mist | sabotagerecords.net | 30:24<br />
|| Ein Hoch auf die Wortspiele: Den Bandnamen könnte<br />
man einerseits „drama mine“ lesen, also „mein Drama“,<br />
andererseits als das Medikament verstehen, das ursprünglich<br />
gegen Reisekrankheit helfen sollte, angeblich aber<br />
auch für schöne Trips sorgen kann. Wie auch immer, beides<br />
passt irgendwie zu dieser Band, auch wenn DRAMAMINE<br />
alles andere als müde macht. Viel zu lärmig, viel zu dramatisch<br />
ist die Musik, als dass man dazu wegdösen möchte. In<br />
guten Momenten sind Ähnlichkeiten zu Dischord-Größen<br />
wie RITES OF SPRING oder NATION OF ULYSSES nicht<br />
zu leugnen, in weniger guten Momenten fällt einem doch<br />
auf, dass der Gesang auf Dauer ziemlich monoton ist. Insgesamt<br />
gar nicht schlecht gemacht, wenngleich die SUB-<br />
ROSA FALCON ASSOCIATION das besser kann. (6)<br />
Christian Meiners<br />
DARKTHRONE<br />
Circle The Wagons<br />
CD | Peaceville | peaceville.com | 40:44 || Ausverkauf!<br />
Verrat! Dreckige Punks! Seit einigen Jahren ereifern<br />
sich Teile der Black-Metal-Welt über den musikalischen<br />
Weg, den ihre einstigen Heroen eingeschlagen haben<br />
und für den das Duo selbst 2007 mit dem EP-Titel „New<br />
Wave Of Black Heavy Metal“ einen passenden Begriff fand.<br />
„Circle The Wagons“ dürfte somit ein weiteres Hassobjekt<br />
derer sein, die <strong>von</strong> DARKTHRONE immer noch ein zweites<br />
„Transilvanian Hunger“ erwarten, verzichten die Norweger<br />
auf ihrem 15. Album doch abermals auf (fast) alle<br />
Trademarks des Black Metals, die sie einst (mit-)erfanden<br />
und bedienen sich weiterhin lieber am Früh-Metal, an<br />
all den großartigen, oftmals schon fast vergessenen Bands,<br />
deren Platten in ihrer Sammlung stehen (und nicht zuletzt<br />
an der Band, die ihr zweites Album „Black Metal“ nannte,<br />
liebe Über-Trueness-Verfechter). Und das in einer liebenswerten<br />
Primitivität, mit augenzwinkernder Zitatfreudigkeit<br />
und einer Unbekümmertheit, die in der Tat schon<br />
beinahe Punkrock ist. Insofern werden Nocturno Culto<br />
und Fenriz sicher kein Problem damit haben, als Punks<br />
„beschimpft“ zu werden. (9) André Bohnensack<br />
DEAD SUBVERTS<br />
Taking Civil Liberties<br />
MCD | Antikörper Export | antikoerper-export.<br />
de | 14:37 || Schon auf dem Ende 2009 erschienenen<br />
Bremer D.I.Y.-Sampler „Break Out #3“ sind sie mir positiv<br />
aufgefallen, den Namen habe ich mir gemerkt: DEAD<br />
SUBVERTS. Das erinnert nicht <strong>von</strong> ungefähr an „Subvert<br />
city“ <strong>von</strong> den unvergleichlichen SUBHUMANS,<br />
denn die dreiköpfige Band aus Manchester und Swindon<br />
– bestehend aus Leuten <strong>von</strong> 2 SICK MONKEYS und ex-<br />
THE SOMETHING SOMETHINGS – steht für den typischen<br />
UK-Anarchopunk aus der HC-Fraktion: politisch,<br />
energiegeladen, aggressiv. Unter den sieben Songs ist mit<br />
„Nothing but a nightmare“ auch ein Cover der legendären<br />
RUDIMENTARY PENI. „Taking Civil Liberties“ ist in England<br />
bei dem Labelkollektiv Pumpkin Records erschienen,<br />
in Deutschland gibt es die CD-R als Release <strong>von</strong> Antikörper<br />
Export. Ute Borchardt<br />
DIRTMUSIC<br />
BKO<br />
CD | Glitterhouse | glitterhouse.com | 49:33 || Im<br />
Zusammenhang mit Bands wie DIRTMUSIC spricht man<br />
ja gerne <strong>von</strong> „Supergroup“, und so bündeln sich hier die<br />
Talente <strong>von</strong> Chris Eckman (THE WALKABOUTS), Hugo<br />
Race und Chris Brokaw (COME, CODEINE) bereits zum<br />
zweiten Mal für ein komplettes Album. Und das Ergebnis<br />
klingt, wie man sich das eben vorstellen würde, und eben<br />
auch wieder nicht. Race und Eckman hört man als Sänger<br />
natürlich sofort raus, ansonsten durchzieht die zehn Stücke<br />
eine sehr entspannte Stimmung, so eine Art Ambient-<br />
Desert-Rock. Aufgenommen wurde die Platte in Mali, was<br />
sicherlich die dezenten Einsprengsel <strong>von</strong> Ethno-Sounds<br />
erklärt, genau so besitzt „BKO“ aber auch ein gewisses australisches<br />
Flair. Jedenfalls hat man beim Hören ständig staubige,<br />
heiße Wüstenlandschaften vor dem geistigen Auge, in<br />
denen sich alles etwas langsamer vorwärts bewegt. Wenn<br />
man so lange wie die hier Beteiligten Musik macht, muss<br />
man sich ja mal was Neues einfallen lassen, wobei „BKO“<br />
puristischere Singer/Songwriter-Fans auch nicht unbedingt<br />
verstören wird. Aber DIRTMUSIC fügen durchaus<br />
vertrauten Elementen aus Blues und Country auf jeden<br />
Fall immer wieder kleinere innovative wie überraschende<br />
Sounds hinzu, die selten wie echte Fremdkörper wirken.<br />
Selbst die subtil groovende Coverversion <strong>von</strong> VELVET<br />
UNDERGROUNDs überstrapaziertem „All tomorrow’s<br />
Artwork by Florian Metzner<br />
(myspace.com/mickymurdoc)<br />
Dein Artwork oder Foto auf dem Cover der Ox-CD? Einfach<br />
als PDF oder JPG an mail@ox-fanzine.de schicken<br />
und dann sehen wir weiter!<br />
01 LEATHERFACE (Sunderland, Great Britain)<br />
Das erste LEATHERFACE-Album seit 2004 ist der typische<br />
Fall einer Platte, deren zwölf Songs man über einen<br />
längeren Zeitraum auf sich wirken lassen muss. Irgendwann<br />
„klickt“ „The Stormy Petrel“ aber, und nicht nur<br />
der Opener „God is dead“, sondern auch „Broken“<br />
oder „Monkfish“ erweisen sich als Hits.<br />
02 BEDLAM KNIVES (Los Angeles, CA, USA)<br />
Doug Dagger ist ein Genie: SCHLEPROCK waren grandios,<br />
die GENERATORS sind es bis heute, und nebenher<br />
gründet er mit BEDLAM KNIVES mal einfach eine weitere<br />
Band, die 99 Prozent aller Bands, die sich an klassischem<br />
kalifornischen Punkrock versuchen, mal eben<br />
in die Tasche steckt.<br />
03 GIMP FIST (Darlington, Great Britain)<br />
Bei GIMP FIST spielen Ex-Mitglieder <strong>von</strong> MAJOR ACCI-<br />
DENT und RED ALERT. Und in diese Richtung geht<br />
auch die musikalische Reise: Klassischer 82er Oi! im<br />
Stil <strong>von</strong> englischen Bands wie BLITZ oder den COCK-<br />
NEY REJECTS – oder eben der beiden Vorgängerbands.<br />
04 GUNS ON THE RUN (Philadelphia, PA, USA)<br />
Die Band aus Philadelphia, PA bezieht sich in ihren Einflüssen<br />
sowohl auf frühen US-Hardcore wie auf englischen<br />
Oi! und Aussie-Rock, ist in der Ausführung dann<br />
aber doch recht simpel: melodiöser und hymnischer<br />
Streetpunk für Fans <strong>von</strong> GENERATORS, SOCIAL DIS-<br />
TORTION und COCK SPARRER.<br />
05 COBRA (Osaka, Japan)<br />
Bei „Hello! This Is Cobra“ handelt es sich um das aktuelle<br />
Album <strong>von</strong> COBRA, das bereits im April 2009 in<br />
Japan erschien. Die elf Songs knüpfen da an, wo die<br />
letzte Platte aufgehört hat. Stampfender, absolut bodenständiger<br />
Streetpunk mit einer ganz eigenen Note.<br />
06 HEARTBREAK STEREO<br />
(Turku/Helsinki, Finland)<br />
HEARTBREAK STEREO liefern mit „Carried Through<br />
This Waltz“ ihr zweites Album ab. Schneller, melodischer<br />
und stark hymnischer Punkrock, der in der Tradition<br />
<strong>von</strong> Bands wie THE BRIGGS, RANCID oder<br />
BOMBSHELL ROCKS steht.<br />
07 ESKORBUTO (Santurtzi, Spain)<br />
ESKORBUTO aus Santurtzi gründeten sich 1980 und<br />
wurden mit den Jahren zu einer der beliebtesten Punkbands<br />
Spaniens, die heute in der gesamten spanischsprachigen<br />
Punkwelt als eine der einflussreichsten gilt.<br />
Der Klassiker „Maldito pais“, hier auf der Ox-CD zu<br />
hören, ist ein absoluter Hit.<br />
08 ACCELERATORS (Rotterdam, Netherlands)<br />
Obwohl die ACCELERATORS blutjung sind, können sie<br />
auf eine mehrjährige Erfahrung zurückblicken. Im Vergleich<br />
zu herkömmlichen Pop-Punk-Bands betonen sie<br />
Geschwindigkeit und kreischende Soli und arbeiten so<br />
eine Nähe zum Hardcore heraus, setzen sich aber trotzdem<br />
in den Gehörgängen fest.<br />
09 MCRACKINS (Vancouver, BC, Canada)<br />
Zwei Jahre sind seit ihrer „Abschiedstournee“ vergangen<br />
und die MCRACKINS schenkten der Welt seitdem<br />
zwei weitere Studioalben und eine Live-Platte.<br />
Das brandneue Studioalbum der Kanadier bietet vierzehn<br />
Mal erstklassigen Bubblegum-Pop-Punk, wie ihn<br />
nur Bastarde <strong>von</strong> RAMONES und KISS spielen können.<br />
10 PINTANDWEFALL (Helsinki, Finland)<br />
Wie eigentlich alle All-Girl-Bands sind PINTANDWE-<br />
FALL <strong>von</strong> den SPICE GIRLS und ihren Müttern beeinflusst<br />
– das wird zumindest auf der MySpace-Seite der<br />
Finninnen behauptet. Die Wahrheit ist aber um einiges<br />
aufregender und trägt keinen Kajal, sondern mit Vorliebe<br />
Masken.<br />
11 GOOD WEATHER GIRL (London, Great Britain)<br />
Mag alle Welt abraven auf irgendwelche neuen Antifolk-<br />
Helden, so ist es diese minimalistische, lakonische, simple<br />
Platte mit dem nur wenige Tonlagen erkundenden<br />
Gesang, die mit jedem weiteren Hören mehr fasziniert.<br />
Ein spannendes, irgendwie anrührendes Werk.<br />
rEvIEws<br />
/DIE BANDS DER ox-cD<br />
12 GRINGO STAR (Atlanta, GA, USA)<br />
Laut eigenen Angaben spielen GRINGO STAR „Southern<br />
Beat Psychedelia Rock“. Laut Aussage einiger amerikanischer<br />
Journalisten sind sie eine der am härtesten arbeitenden<br />
Bands aus Atlanta, Georgia. Und jetzt haben sie<br />
einen Song auf der Ox-CD. Es kann also nichts mehr<br />
schiefgehen.<br />
13 THE DOITS (Stockholm, Sweden)<br />
„Northern Accents“ ist ein perfektes Gitarrenrockmeets-Powerpop-Album<br />
geworden. So wie HÜSKER<br />
DÜ einst eine Schwäche für die BYRDS an den Tag legten,<br />
so haben sich die DOITS auch eine solche Infektion<br />
zugezogen und im gleichen Zuge alles abgelegt,<br />
was noch an die frühe HELLACOPTERS-Connection<br />
erinnern könnte.<br />
14 FITZCARRALDO (Aschaffenburg, Germany)<br />
Im Vergleich zum Debüt steht weniger der sprunghafte<br />
Wechsel der Emotionen, sondern die Intensität der<br />
Empfindungen im Vordergrund. Elektronische Beats,<br />
Sprachsamples, Feedback-Gewitter, Dampfwalzen-Riffs,<br />
cleanes Gitarrengezupfe und der fast vollständige Verzicht<br />
auf Vocals verbinden sich zu einer Wall of Sound.<br />
15 THE HIRSCH EFFEKT (Hannover, Germany)<br />
Das Debüt <strong>von</strong> THE HIRSCH EFFEKT ist Musik wie eine<br />
bunte Tüte vom Kiosk: düster wie Lakritze, fluffig wie<br />
weiße Mäuse, schön wie die Hände der dicken Frau,<br />
die sie zusammenstellt und wütend wie die Leute hinter<br />
einem in der Schlange, die eigentlich nur schnell<br />
ihre Schachtel Kippen kaufen wollten.<br />
16 DEAD UNITED (Würzburg, Germany)<br />
„The Chainsaw Chronicles“, das neue Album der Band<br />
aus Würzburg, ist wie Zähneputzen mit Maden, wie<br />
sich mit einer Kettensäge am Rücken zu kratzen, wie<br />
einen Pullover aus Stacheldraht zu tragen. Also Horrorpunk,<br />
der einem die Haare zu Berge stehen lässt.<br />
17 BANANE METALIK (Rennes, France)<br />
Die französischen Psycho-Gore’n’Roller BANANE<br />
METALIK gab es schon einmal <strong>von</strong> 1992 bis 1995. Dann<br />
waren sie zehn Jahre <strong>von</strong> der Bildfläche verschwunden,<br />
um ab 2005 die Bühnen der Welt wieder mit ihrem<br />
Mix aus Horror, Theater, Punk und Psycho unsicher zu<br />
machen und nun ein weiteres Album vorzulegen.<br />
18 RAFIKI (Mellrichstadt, Germany)<br />
Ska-Punk, rhythmische Off-Beat-Passagen mit eingängigen<br />
Bläserthemen ergänzen sich perfekt mit melodischen<br />
Punksequenzen. Inhaltlich wird der Bogen <strong>von</strong><br />
sozialen Problemen über das Thema Liebe bis hin zum<br />
unbeschwerten Partyleben geschlagen. RAFIKI liefern<br />
ein gelungenes Album ab, das nach vorne geht.<br />
19 KARATE DISCO (Neuwied, Germany)<br />
Das zweite Album der Neuwieder Band um die charismatische<br />
Frontfrau Ricarda. Dreizehn moderne,<br />
deutschsprachige Punk-Hits, inklusive Herz, Hirn,<br />
Härte, viel Melodie und einer gehörigen Prise Rotz.<br />
Die fantastische Produktion und das stilsichere Artwork<br />
runden den „Discostress“ ab.<br />
20 AFFENMESSERKAMPF (Kiel, Germany)<br />
AFFENMESSERKAMPF lassen an Deutlichkeit nichts zu<br />
wünschen übrig – man wünscht sich viel mehr Bands<br />
mit solch klaren, nicht verkopften und dennoch nicht<br />
stumpfen Texten. Musikalisch erinnert der überdrehte<br />
Gesang an NOVOTNY TV, aber auch frühe MUFF POT-<br />
TER sowie die Rachut-Bands lassen grüßen.<br />
21 STATE Spießbürger (Ann Arbor, MI, USA)<br />
STATE aus Ann Arbor/Detroit gibt es schon seit ein<br />
einer halben Ewigkeit, doch ihr hektischer Hardcore-<br />
Punk, der an frühe CIRCLE JERKS, ADOLESCENTS und<br />
BLACK FLAG erinnert, gefällt nach wie vor ausgesprochen<br />
gut. Lärmig, rücksichtslos, auf die Fresse – so muss<br />
Punkrock sein!<br />
22 PÖBEL & GESOCKS (Dinslaken, Germany)<br />
1979 als BECK’S PISTOLS gegründet, ziehen PÖBEL &<br />
GESOCKS bis heute singend, trinkend, lachend, tanzend<br />
und prollend durch deutsche Lande. Über Sunny<br />
Bastards / Crazy United Records wird nun eine CD/LP<br />
namens „Becks Pistols“ veröffentlicht – falls eine Brauerei<br />
aus Bremen nichts dagegen hat.<br />
23 OXXON (Stuttgart, Germany)<br />
OXXON prügeln ihre Instrumente jetzt schon seit 1995<br />
durch die Punkszene. „Radio Zero“ ist ein Album aus<br />
einem Guss, das eingängige Melodien und richtig<br />
gut kickenden Punkrock perfekt kombiniert. Wer eine<br />
Schwäche für SOCIAL DISTORTION, US BOMBS oder<br />
GENERATORS hat, der ist mit OXXON gut beraten.<br />
24 MONKEY SUITE (Frankfurt/Main, Germany)<br />
Die Punk’n’Roll-Band MONKEY SUITE aus Frankfurt<br />
am Main veröffentlichte im November 2009 mit dem<br />
Minialbum „Pay To Play ...“ einen Auszug aus ihrem fast<br />
ausnahmslos eigenen Programm. Vergleiche mit frühen<br />
SIOUXSIE AND THE BANSHEES oder X-RAY SPEX drängen<br />
sich auf.<br />
25 CHASING FOR GLORY (Straubing, Germany)<br />
CHASING FOR GLORY spielen auf ihrem neuen Album<br />
„Rookie“ schnelle, melodische Polit-Punkrock-Songs<br />
über soziale Missstände. Ob korrupte Konzerne, nationalistische<br />
Vereinigungen oder der bequeme Mann <strong>von</strong><br />
nebenan – jeder bekommt hier sein Fett weg.<br />
Du machst ein Label, du spielst in einer Band, und willst wissen, wie du auf einen Schlag eine<br />
ganze Menge Leute im In- und Ausland auf deine Musik aufmerksam machst? Ganz einfach -<br />
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Das kostet zwar was, aber wenn ihr interessiert seid und denkt, ihr könntet stilistisch auf eine<br />
Ox-CD passen sowie über gute Studioaufnahmen verfügt, dann schickt uns eine eMail an<br />
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OX-FANZINE 91
LAUREL AITKEN<br />
Boogie In My Bones<br />
CD | Pressure Drop | cherryred.co.uk | 77:10 || Ein<br />
seltsames Gefühl beschleicht mich beim Hören dieser altehrwürdigen<br />
Aufnahmen des Godfather of Ska, als er dieser<br />
noch nicht war. Cherry Red haben in Zusammenarbeit<br />
mit Captain Oi! diese Zusammenstellung sämtlicher Aufnahmen<br />
<strong>von</strong> Laurel Aitken in der Zeit <strong>von</strong> 1956 bis 1960,<br />
als er noch Künstler auf Jamaika war, liebevoll ausgesucht.<br />
Schon irre, bedenkt man, dass sicher niemand <strong>von</strong> uns die<br />
Anfänge des jungen Sängers mitbekommen hat. Musikalisch<br />
hatte dies noch gar nichts mit Ska zu tun. Ansatzweise<br />
tritt etwas Rock’n’Roll zutage, ansonsten hat man den Eindruck,<br />
Harry Bellafonte sei hier zugange. Das Saxophon<br />
als Soloinstrument ist stets im Vordergrund. Einige dieser<br />
Singles wurden noch auf 78 rpm abgespielt, wie ich aus<br />
dem empfehlenswerten Booklet entnehmen kann. Was für<br />
eine Zeitreise ... Auch wenn seine ersten Aufnahmen, die<br />
doch sehr dem Mento gewidmet waren, nun gar nichts<br />
mit Skinhead-Mucke zu tun haben, eines muss man festhalten:<br />
Fast alle seine Stücke sind eingängige Ohrwürmer,<br />
und auch wenn die Aufnahmen etwas altbacken und verstaubt<br />
klingen mögen, in dieser Phase hatte er immer eine<br />
gute Begleitband. Für Fans des großen Laurel Aitken auf alle<br />
Fälle empfehlenswert. (7) Simon Brunner<br />
BOUNCING SOULS<br />
Ghosts On The Boardwalk<br />
CD | Chunksaah | chunksaah.com | 43:24 || 2009<br />
versuchten sich die BOUNCING SOULS an einem neuen<br />
Geschäftsmodell: Angesichts der Krise der Musikindustrie<br />
releasten sie kein Album, sondern brachten stattdessen<br />
jeden Monat einen neuen Song als Download raus. Für<br />
die Vinylliebhaber gab es damals schon alle zwölf Songs<br />
nebenher auch als 7“-Serie, und als „Ghosts On The Boardwalk“<br />
erscheinen sie nun auf CD. Allerdings – und das<br />
bringt uns zum tragischen Teil dieser Rezension – ist das<br />
hier das Langweiligste, was die Band jemals gemacht hat.<br />
Ihren Pfiff, ihre einfachen, aber ergreifenden Melodien und<br />
ihre bewegenden Momente lösen die BOUNCING SOULS<br />
in poppiger Beliebigkeit auf, die nicht ansatzweise an die<br />
Vorgänger „Anchors Aweigh“ und „The Gold Record“ herankommt.<br />
Als Fan mag ich es gar nicht aussprechen, aber<br />
das hier ist musikalischer Abstieg in real-time. (5)<br />
Lauri Wessel<br />
BONDAGE FAIRIES<br />
What You Didn’t Know When You Hired Me<br />
LP | Krawallex | myspace.com/krawallex || So was<br />
ist natürlich ein Freistoß ohne Mauer für den stressgeplagten<br />
Rezensenten. Das erste Album der BONDAGE FAIRIES<br />
gab’s lange Zeit nur auf CD, jetzt hat Krawallex Records aus<br />
Pforzheim als erste Veröffentlichung überhaupt das Debüt<br />
der C64-Trasher noch mal in einer 1.000er-Auflage auf<br />
Vinyl rausgebracht. Wer die CD-Fassung aus dem Jahr 2006<br />
kennt, weiß, was ihn hier erwartet. Der quietschefröhliche<br />
Commodore-Steinzeit-Charme kommt jetzt allerdings<br />
direkt über die Nadel des Plattenspielers ins Herz aller, die<br />
sich mit „Giana Sisters“, „Frogger“ und ähnlichem die Finger<br />
wundgespielt haben. Das passt super zusammen, denn<br />
Vinyl und 8-Bit-Synthie-Trash-Punk werden ja beide<br />
irgendwie doch heutzutage als retro oder auch „vintage“<br />
angesehen. Mal <strong>von</strong> den Sounds abgesehen, haben Deus<br />
Deceptor und sein Kollege Elvis Creep auch das Talent, zwischen<br />
all dem Geknirpse einige wunderbare Popsongs mit<br />
OX-FANZINE 92<br />
parties“ funktioniert in diesem Zusammenhang ganz<br />
wunderbar und bekommt eine leichte Prise Afropop verpasst.<br />
Ein schönes, gleichbleibend spannendes Album, was<br />
man sich auf diesem Sektor häufiger wünschen würde,<br />
ergänzt um eine DVD mit Aufnahmen der Sessions und vier<br />
zusätzlichen Tracks. (8) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
DRIVEN FEAR<br />
Society’s Finest?<br />
CD | Pee | peerecords.com | 26:47 || In Down Under<br />
passiert derzeit in Sachen HC-Export wirklich einiges.<br />
Und nach Bands wie CARPATHIAN, MILES AWAY oder<br />
50 LIONS stehen DRIVEN FEAR aus Brisbane, bereit weitere<br />
Territorien für sich einzunehmen. Auf ihrer aktuellen<br />
EP „Society’s Finest?“ bietet das Quintett sieben Songs lang<br />
(plus Hiddentrack) feinsten Hardcore-Punk, der unwahrscheinlich<br />
knallt und mit jede Menge Drive extrem Lust<br />
auf mehr macht. Ich freue mich schon jetzt riesig auf das<br />
hoffentlich bald folgende Album, denn mit „Society’s<br />
Finest?“ haben sich DRIVEN FEAR bei mir direkt in meine<br />
„Top HC acts to watch“-Liste katapultiert. Hier muss schon<br />
was mächtig schief laufen, wenn DRIVEN FEAR nicht<br />
schon bald in einem Atemzug mit Bands wie THIS IS HELL,<br />
RAISED FIST oder COMEBACK KID genannt werden. (7)<br />
Tim Masson<br />
EEE<br />
EIGHT LEGS<br />
Best Of Me<br />
LP/MCD | Snowhite/Universal | snowhite.de |<br />
17:67 || Pünktlich zum Tourstart hierzulande haben die<br />
acht Beine aus Stratford upon A<strong>von</strong> schon wieder ein neues<br />
Werk veröffentlicht. Diesmal zwar nur eine EP mit sechs<br />
Songs, trotzdem ist die Produktivität mit einer Veröffentlichung<br />
pro Jahr beeindruckend. EIGHT LEGS sind zwar<br />
auch hier gewohnt uninnovativ, halten aber eine grundlegende<br />
Qualität. Bleibt zu hoffen, dass sie sich mit dem<br />
finalen „Cosmonauts“ nicht in den OASIS-Fan-Himmel<br />
schießen, sondern sich die Menschheit noch an Bands wie<br />
CHARLATANS oder FELT erinnert fühlt. (6) Nina Maenz<br />
THE ESTRANGED<br />
Type Foundry Sessions I<br />
LP | Dirtnap | dirtnaprecs.com || Da lag ich ja wohl<br />
mal daneben, als ich mich nach ihrer mauen CD dazu entschlossen<br />
habe, die 7“s großzügig auszulassen. Nennt mich<br />
ruhig Blödmann, an dieser Stelle hab ich es mir redlich<br />
verdient. Dirtnap hat dankenswerterweise die fünf allesamt<br />
in einer Session aufgenommenen Siebenzöller wieder<br />
zusammengepackt und auf einer LP vereint. Im Gegensatz<br />
zur „Static Thoughts“-CD enthält diese Platte jede Menge<br />
Hits, die hier glänzen, eben weil sie unpolierter und rauher<br />
klingen. Erinnert nicht nur ein Mal an HOT SNAKES,<br />
die Gitarren der WIPERS, DRIVE LIKE JEHU und ROCKET<br />
FROM THE CRYPT ohne Bläser. So sehr ich auch gesucht<br />
habe, die Herren hier kommen nicht aus San Diego, sondern<br />
aus Portland. (8) Kalle Stille<br />
EF<br />
Mourning Golden Morning<br />
CD | ATS/Cargo | andthesound.se | 51:39 || Ein<br />
Novum stellt das dritte Album der größtenteils instrumentalen<br />
Band aus Göteborg, Schweden nur in der Hinsicht<br />
dar, dass die Herren Aström, Öhman und Torsson bei<br />
„Mourning Golden Morning“ erstmals mit einem Produzenten<br />
gearbeitet haben. Die Wahl fiel auf Magnus Lind-<br />
unterhaltsamen Lyrics einzubauen. Auf CD war „What You<br />
Didn’t Know When You Hired Me“ schon top, auf Vinyl ist<br />
alles noch schöner. (7) Timbob Kegler<br />
BEAUTY SCHOOL DROPOUT<br />
Palookaville (A Retrospective)<br />
CD | Boostuneage/Cargo | bosstuneage.com | 32:55<br />
|| „Boss Tuneage Retro“ scheint sich großer Beliebtheit<br />
zu erfreuen. Nur so kann ich mir erklären, dass das Label<br />
immer mal wieder, und speziell in letzter Zeit, alte „Klassiker“<br />
<strong>von</strong> Bands aus der „zweiten Reihe“ beziehungsweise<br />
deren Gesamtwerke unter das Volk bringt. Das mit der<br />
zweiten Reihe ist keineswegs diffamierend gemeint, sondern<br />
soll lediglich den Bekanntheitsgrad der Band definieren<br />
und hat nichts mit deren Qualität als Songwriter<br />
und Musiker zu tun. BEAUTY SCHOOL DROPOUT wurden<br />
1995 in Glasgow gegründet und veröffentlichten in<br />
den sechs Jahren ihres Schaffens ein komplettes Album<br />
mit dem Titel „Teasing The Fat Kids“ sowie diverse Sampler-Songs.<br />
Die Band war zu ihrer Zeit in Japan sehr angesagt,<br />
was wohl nicht zuletzt an dem melodischen Punkrock<br />
mit feinem Gesang (à la FUNERAL ORATION) liegt, den<br />
die Band da raushaut. Neben der Historie der Band scheint<br />
auch eine Reunion Ende 2009 der Auslöser für diese Veröffentlichung<br />
zu sein. Drei neu aufgenommen Tracks, sowie<br />
das bislang unveröffentlichte erste Demo und die finalen<br />
Aufnahmen <strong>von</strong> 2001 (kurz vor dem Split – bislang nur<br />
auf einer „Singles Collection“ zu finden) sind auf dieser CD.<br />
Kurzweilig. (6) Zahni Müller<br />
BOW WOW WOW<br />
The Best Of: Love, Peace And Harmony<br />
CD | Sony BMG | sony.com | 53:48 || Fast vergessen,<br />
aber im gegenwärtigen Überfluss der selbsternannten Stil-<br />
Ikonen (die mal nur nebenbei Musik machen), erscheint<br />
die jüngst erschienene Best-Of-BOW WOW WOW-CD. Ein<br />
sehr guter Anlass, sich dieser Band zu erinnern. 1980 <strong>von</strong><br />
Malcolm McLaren aus Musikern <strong>von</strong> ADAM & THE ANTS<br />
rekrutiert, hält sich bis heute die Legende, dass er die burmesische<br />
Sängerin Annabella Lwin im Alter <strong>von</strong> 14 Jahren<br />
im Norden <strong>von</strong> London zufällig im Waschsalon ihrer<br />
Eltern entdeckte. BOW WOW WOW verbanden Post-Punk,<br />
Candy- Pop und African Burundi Music zu einer ziemlich<br />
einmaligen Melange. Die Band hatte mit Singles wie<br />
„I want candy“ und „C30, C60, C90, Go“ die weltweit<br />
erste Cassetten-Single-Veröffentlichung und respektable<br />
Erfolge in UK. Für ihr Debütalbum „See Jungle!“ wählte<br />
der Medienexperte McLaren verkaufsträchtig ein Foto, das<br />
Annabella Lwin nackt neben ihren (selbstredend bekleideten)<br />
Bandkollegen zeigte. Das Foto ist eine Nachbildung<br />
<strong>von</strong> „Dejeuner sur l’herbe“, einem Bild des französischen<br />
Impressionisten Édouard Manet und führte, ganz im Sinne<br />
<strong>von</strong> McLaren, zu einer endlosen (Pornografie-)Diskussion<br />
in der britischen Presse (und zu einem keuscheren Cover<br />
in den USA). Dennoch, der Sound <strong>von</strong> BOW WOW WOW<br />
war, gerade durch die afrikanischen und burmesischen<br />
Trommeleinflüsse (derer sich dezent bereits auch Adam<br />
Ant bediente), ziemlich einmalig in dieser Zeit, auch wenn<br />
die Band oft genug aufgrund ihrer Optik Gesprächsthema<br />
war. BOW WOW WOW haben ohne Zweifel heute noch<br />
ihren Einfluss auf Acts wie die Sängerin M.I.A. aus London,<br />
die diesen Sound in ihre Version <strong>von</strong> 2 Step, Dance Hall und<br />
Electro verwebt. Auch die Regisseurin Sofia Copolla schätzt<br />
die Band und verwendete einige BOW WOW WOW-Songs<br />
wie „I want candy“, für den Soundtrack ihres Films „Marie<br />
berg, der auch schon CULT OF LUNA zur Seite stand. Das<br />
Endergebnis überrascht dennoch nicht, denn EF verfolgen<br />
weiter den Kurs, den sie 2003 einschlugen: Sanfte, warme,<br />
plüschige und dennoch druckvolle, gelegentlich auch mal<br />
laut werdende Musik zu spielen, die auf dem weiten Feld<br />
des Post-Rocks eher in den sonnigen Gefilden anzusiedeln<br />
ist als dort, wo ewige Finsternis herrscht. Auch dieses<br />
Album ist auf dem bandeigenen Label And The Sound<br />
erschienen, und so angenehm und anschmiegsam sich dieses<br />
Album auch zeigt, so muss man doch anmerken, dass<br />
EF unter all den Bands, die sich mittlerweile in dieser Szenerie<br />
tummeln, nicht sehr viele Alleinstellungsmerkmale<br />
aufweisen. (7) Joachim Hiller<br />
ELUVIUM<br />
Similes<br />
CD | Temporary Residence/Cargo | feraltone.co.uk |<br />
42:39 || 2007 erschien Matthew Coopers fünftes Album<br />
„Copia“ unter dem Namen ELUVIUM, und man war schon<br />
damals darüber verblüfft,<br />
wie vielschichtig<br />
und kraftvoll seine<br />
symphonischen Drone/<br />
Ambientsounds arrangiert<br />
waren. Und auch<br />
auf „Similes“ ist kein<br />
Stillstand in dieser Hinsicht<br />
zu erkennen, oft das<br />
Problem auf dem Sektor<br />
Ambientmusik, denn zu<br />
dem fast sakral anmutendenminimalistischen<br />
Klanglandschaften<br />
<strong>von</strong> ELUVIUM gesellen sich diesmal teilweise Percussion<br />
(eher ein sanftes Pulsieren als Beats im klassischen Sinne)<br />
und Gesang, was die <strong>von</strong> jeher sehr melodischen Kompositionen<br />
<strong>von</strong> Cooper in Grenzbereiche <strong>von</strong> Pop katapultiert,<br />
vergleichbar mit den frühen Platten eines Brian<br />
Eno. Grundsätzlich wird aber auch „Similes“ wieder durch<br />
die sanften, monotonen Wellenbewegungen flirrender<br />
Sounds bestimmt, die einer Vertonung <strong>von</strong> seltsam euphorisch<br />
wirkender Stille gleichkommen, und in dieser Anmut<br />
nur <strong>von</strong> wenigen Ambient-Musikern erreicht wird. Vor<br />
allem hinsichtlich ihrer emotionalen Wärme und ihren<br />
abwechslungsreichen Spannungsbögen, die einen schnell<br />
vergessen lassen, dass hier vieles synthetischen Ursprungs<br />
ist. Denn Coopers subtile kompositorische Herangehenweise<br />
geht deutlich über das reine Abrufen genormter<br />
Rechner-Sounds und willkürliche Anordnen elektronischer<br />
Störgeräusche hinaus. (9) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
ELEPHANT9<br />
Walk The Nile<br />
CD | Rune Grammofon/Cargo | runegrammofon.<br />
com | 44:56 || Was sich über das Debüt „DodoVoodoo“<br />
dieses Progressive/Neo-Psychedelic/Jazz-Rock-<br />
Trios aus Oslo sagen ließ, trifft auch auf das aktuelle<br />
Album „Walk The Nile“ zu. Groovender Improvisationsrock<br />
mit starken Jazzanteilen und dominanten Keyboardund<br />
Orgel-Sounds, allerdings völlig auf Gitarre verzichtend.<br />
Das stört aber genauso wenig wie beim Debüt, denn<br />
was ELEPHANT9 hier stattdessen mit Tasteninstrumenten<br />
an aggressiven noisigen Sounds produzieren, macht<br />
Gitarren auch nicht unbedingt notwendig. Und wie auch<br />
schon bei „DodoVoodoo“ stehen hier weniger konkrete<br />
Songs im Vordergrund als eine atmosphärische Umsetzung<br />
<strong>von</strong> Rhythmik, mal mehr mal weniger dissonant, und<br />
entweder extrem beschleunigt oder beunruhigend chillig<br />
Antoinette“ sogar in einer <strong>von</strong> Kevin Shields (MY BLOODY<br />
VALENTINE) bearbeiteten Version. Die Band löste sich<br />
1983 auf und versuchte sich 1998 an einer stillen (sprich:<br />
am öffentlichen Interesse vorbei gegangenen) Reunion.<br />
Diese Compilation mit 14 Songs fängt alle guten Momente<br />
der Band ein und glänzt erneut mit einem schönen Foto<br />
<strong>von</strong> Annabella Lwin. (8) Markus Kolodziej<br />
ESKORBUTO<br />
Maldito Pais<br />
2CD | Munster/Cargo | munster-records.com |<br />
65:09/59:47 || ESKORBUTO aus Santurtzi gründeten<br />
sich 1980, als das Ende der faschistischen Franco-Diktatur<br />
gerade mal ein paar Jahre<br />
her war und das Leben<br />
im verarmten Baskenland<br />
alles andere als ein<br />
großer Spaß war, als der<br />
Konflikt zwischen Polizei<br />
und den ETA-Separatisten<br />
die junge Demokratie<br />
belastete. Beeinflusst<br />
vom englischen<br />
Punkrock der Siebziger<br />
richtete sich die<br />
Wut des Trios so ziemlich<br />
gegen alles, und sie<br />
machte auch nicht Halt vor den Nationalisten ihrer Heimat.<br />
So schrieben sie, als sie 1983 auf einer Fahrt nach<br />
Madrid wegen angeblicher ETA-Unterstützung verhaftet<br />
wurden, den Song „A la mierda el País Vasco“, der 1984<br />
auf dem Debüt „Zona Especial Norte“ landete und mit dessen<br />
Titel sie sich in ihrer Heimat keine Freunde machten –<br />
„Verpiss dich, Baskenland!“ ist kaum patriotisch deutbar.<br />
Sowieso sangen ESKORBUTO immer Spanisch, verwendeten<br />
in Songtiteln gerne ein K statt des C, und wurden mit<br />
den Jahren zu einer der beliebtesten Punkbands Spaniens,<br />
die heute in der gesamten spanischsprachigen Punkwelt als<br />
eine der einflussreichsten gilt. Bis 1998 war eine letzte Version<br />
<strong>von</strong> ESKORBUTO noch aktiv, angeführt vom Gründungsmitglied<br />
und Drummer Pako, der 1992 die Band<br />
weiterführte, als seine Bandkollegen Iosu und Juanma<br />
ihrer Heroinabhängigkeit erlagen. Diese Doppel-CD, deren<br />
Booklet neben einer spanischen und einer englischen History<br />
diverse alte Fotos enthält, umfasst neben Sessions zur<br />
ersten Single das erste Demo, Proberaumaufnahmen und<br />
einige Live-Aufnahmen, vor allem <strong>von</strong> 1982, aber auch<br />
<strong>von</strong> 1984. Die Soundqualität ist mäßig, wer es etwas perfekter<br />
haben will, sollte sich nach den Alben umschauen,<br />
aber in Sachen, nun ja, „rauher Authentizität“ sind die<br />
Sachen erstklassig. Und der Klassiker „Maldito pais“, hier<br />
auf der Ox-CD zu hören, ist ein Hit. (8) Joachim Hiller<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
DAY BY DAY<br />
Animal Abuse Is Nothing Bygone<br />
LP | Twisted Chords/Broken Silence | twistedchords.de<br />
|| DAY BY DAY aus Karlsruhe waren <strong>von</strong> 1991<br />
bis 1995 aktiv. Da es nach wie vor reges Interesse an dieser<br />
Band gibt, hat nun Twisted Chords sämtliche Beiträge<br />
der Band auf schmuckem weißen Vinyl zusammengefasst.<br />
Wie der Plattentitel bereits verrät, machten Sängerin<br />
Tati und ihre Jungs das Thema Tierrechte und Widerstand<br />
gegen die Ausbeutung und Unterdrückung <strong>von</strong> Tieren zum<br />
Schwerpunkt. Musikalisch kenne ich nichts Vergleichba-<br />
– ELEPHANT9 bleiben dabei auf sehr sympathische Weise<br />
immer extrem unberechenbar. Alles beim Alten also, aber<br />
dennoch scheint „Walk The Nile“ das stilistische Spektrum<br />
der Norweger noch weiter verdichtet und perfektioniert<br />
zu haben. Eigenwilliger Freestyle-Rock in formvollendeter<br />
Ausprägung, der aber nicht nur auf einem unterkühlten<br />
akademischen Level verharrt, sondern wirklich mitreißen<br />
kann. (8) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
ENTHRONED<br />
Pentagrammaton<br />
CD | Regain/Soulfood | regainrecords.com | 41:00<br />
|| Das Pentagrammaton: die Form des Pentagramms oder<br />
das Hauptgebäude der „Akademie der Hohen Magie“ –<br />
beides sagt genau das aus, was diese Institution aus Belgien<br />
ausdrücken will. Hier geht es um Okkultismus, Satanismus<br />
und Magie. Und das nicht nur in den Texten, denn<br />
man kann bei dieser Band ihre Überzeugung, ihren Hass<br />
hören, ja, förmlich spüren. Der Titelsong macht dieses eindrucksvoll<br />
deutlich und man befindet sich jetzt schon<br />
im Pentagrammaton auch wenn das Ganze noch „besser“<br />
klingen könnte. Ich meine hiermit eher dreckiger, dunkler<br />
und nicht ganz so „schön“ und „gut produziert“. Ich<br />
weiß, all dies sind im Allgemeinen Attribute für eine gute<br />
Platte, aber gerade hier wäre weniger sicher mehr gewesen.<br />
Klar ist „Pentagrammaton“ eine herausragende Black-<br />
Metal-Scheibe alter Schule, aber vielleicht haben Regain ja<br />
noch einen Rohmix, und den würde ich gern mal hören.<br />
(8) Andre Moraweck<br />
ENDLESS HALLWAY<br />
Autonomy Games<br />
CD | EMI | emimusic.de || Eigentlich bin ja nicht<br />
wirklich der Fachmann für Alternative Rock, den es wahrscheinlich<br />
benötigen würde, um ENDLESS HALLWAY<br />
aus Los Angeles angemessen rezensieren zu können, denn<br />
die „überbordenden Phantasiegebilde“ oder die „in allen<br />
Spektralfarben schillernden (...) Soundskulpturen“, <strong>von</strong><br />
denen das Bandinfo vollmundig spricht, hören sich für<br />
mich irgendwie an wie normale, sich an MUSE und Co.<br />
orientierende Rocksongs, die früher gut in MTVs „Alternative<br />
Nation“ gepasst hätten. Der Schreiber des Bandinfos<br />
hingegen verdient den Literaturnobelpreis der Musikindustrie.<br />
Oder auch nicht. (6) David Schumann<br />
EL BOSSO MEETS THE SKADIOLAS<br />
Helden der Nacht<br />
LP/CD | Sunny Bastards/Broken Silence | sunnybastards.de<br />
| 45:28 || Mit „Immer nur Ska“ schrieben EL<br />
BOSSO & DIE PING PONGS vor 20 Jahren Musikgeschichte<br />
und waren Inspiration für viele deutschsprachige Ska-<br />
Punkbands. Sänger El Bosso will es nun noch einmal wissen<br />
und startet mit der Münsteraner Punkband RADIOLAS,<br />
jetzt unter dem Namen SKADIOLAS ein Comeback. Neue<br />
Ska-Punk-Freunde werden sich mit „Helden der Nacht“<br />
wohl aber nicht gewinnen lassen, zu sehr werden hier doch<br />
Klischees bedient. So klingt die Gitarre bei allen Stücken<br />
gleich, und (fast) ohne irgendwelche Tempowechsel oder<br />
Breaks versinken auch die verunglückten beziehungsweise<br />
verskapunkten Coverversionen <strong>von</strong> „Runaround Sue“ oder<br />
„Bartender“ im Einheitsbrei. Die eigentlich handwerklich<br />
gute Musik, ausgestattet mit Kontrabass und exzellenten<br />
Bläsern (unter anderem mit Dr. Ring Ding an der Posaune),<br />
reicht nicht an alte Bosso-Songs wie „Immer nur Ska“ oder<br />
„Prinzessin“ heran. Immerhin kommt die Erstauflage im<br />
Digipak mit einem Stoffaufnäher und das Sunny Bastards-<br />
Sublabel Crazy United Records bietet eine auf 500 Stück<br />
limitierte, farbige Vinylausgabe an. (6) Kay Werner<br />
/RE-RELEASES<br />
res: ein bisschen werde ich an ABGESTORBENE GEHIRN-<br />
HÄLFTEN, PULLERMANN, SOFA HEAD oder VICE SQUAD<br />
erinnert, was aber nur bei der einen oder anderen Nummer<br />
zutrifft. Melancholische, an Independent erinnernde<br />
Melodieläufe kreuzen sich mit Crust-, Metal- und Punk-<br />
Elementen. Trotz engagierter Texte nervt mich auf Dauer<br />
die Produktion und deshalb vermute ich, dass diese Platte<br />
wirklich nur was für Leute ist, die mit DAY BY DAY aufgewachsen<br />
sind und mehr Bezug zu dieser Band haben. (6)<br />
Simon Brunner<br />
DEAD ELVIS AND HIS ONE MAN GRAVE<br />
Dig ’em Up!<br />
LP | Luna Sounds | luna-sounds.de || Der tote Fettsack<br />
beehrt uns hier also mit einer 14 Titel umfassenden<br />
Werkschau, bestehend aus einer Kollektion seiner schönsten,<br />
auf immerhin bereits vier (höchstwahrscheinlich<br />
schon lange vergriffenen) Siebenzöllern und einer 10“<br />
verteilten Songs, sowie vier bis dato noch unveröffentlichter<br />
Stücke, <strong>von</strong> denen wiederum zwei live in Finnland,<br />
beziehungsweise der Türkei mitgeschnitten wurden.<br />
Tja, und was soll ich sagen: Hielt ich den King zu seinen<br />
Lebzeiten zwar für einen recht begabten B-Movie-Darsteller,<br />
gleichzeitig jedoch als Rock’n’Roll-Ikone für maßlos<br />
überschätzt, so muss ich doch durchaus attestieren, dass<br />
mir das posthume Ouevre des ollen Hüftspeckwacklers<br />
ganz vorzüglich mundet! Um einiges roher und ungestümer<br />
noch als zu seinen wildesten Sun Records-Zeiten vermengt<br />
er hier klassischen Rockabilly mit einer ordentlichen<br />
Kelle Blues, einer fein abgeschmeckten Prise Country<br />
und verpackt das Ganze in eine äußerst angenehme LoFi-<br />
Garagenproduktion. Offensichtlich scheint es „the pelvis“<br />
recht gut bekommen zu sein, dass ihm im Laufe der letzten<br />
Jahre mit Hasil Adkins, Lux Interior und einigen anderen<br />
Haudegen schlagkräftige Unterstützung im „Rock’n’Roll<br />
heaven“ zuteil wurde. Auch wenn ein Großteil seiner ehemaligen<br />
Fans die Zuwendung zum räudigen Trash unverständlicher<br />
Weise wohl nicht zu goutieren scheint, denn<br />
hieß es früher nämlich noch „50,000,000 fans can’t be<br />
wrong“, so ist dieses Schmuckstück doch gerade mal auf<br />
schändliche 400 handnummerierte Exemplare limitiert –<br />
also besser schnell zugreifen! (7) Ben Bauböck<br />
ELÄKELÄISET<br />
Humpan Kuninkaan Hovissa<br />
CD | Nordic Notes/Broken Silence | nordic-notes.de<br />
| 72:47 || Das Konzept <strong>von</strong> ELÄKELÄISET setze ich mal<br />
als bekannt voraus, deshalb an dieser Stelle nur eine Kurzfassung:<br />
Seit den frühen<br />
Neunzigern hat sich das<br />
Nebenprojekt der ernsthaften<br />
Band KUMIKA-<br />
MELI zum monströsen<br />
Selbstläufer – mit Kultstatus<br />
– entwickelt. Das<br />
hundertfach erprobte<br />
Rezept, das man entweder<br />
lustig findet oder<br />
nicht: Bekannte Hits der<br />
Musikgeschichte werden<br />
im spartanischen Polka-<br />
Stil nachgespielt, den<br />
die Band als „Humppa“ bezeichnet, weil die Lieder eben<br />
so klingen. Sowohl vor wie auf der Bühne ist jede Menge<br />
Alkohol im Spiel, und ja, das ist lustiger als jede andere
EFTERKLANG<br />
Magic Chair<br />
CD | 4AD | 4ad.com | 43:52 || Dass EFTERKLANG aus<br />
dem hohen Norden kommen, merkt man schon irgendwie<br />
an ihrer klanglichen Melancholie in Moll, so klingen<br />
eben keine Engländer oder Amerikaner, selbst wenn die<br />
Dänen einen ähnlich verspielten, leicht experimentellen<br />
Kammerpop fabrizieren oder an Chicago-Post-Rock wie<br />
THE SEA AND CAKE erinnern. In Dänemark ist die Band<br />
offenbar recht populär, dennoch will ihr drittes Album<br />
aufgrund des durchgängigen Schlaffheitsgrads nicht so<br />
recht überzeugen. „Magic Chair“ ist mal wieder der Fall<br />
einer Platte, die recht schöne Soundideen aufweist, aber<br />
insgesamt mit wenig aufregendem Songmaterial aufwartet.<br />
Und mal ganz ehrlich, wenn man SIGUR RÓS haben<br />
kann, warum sollte man sich man mit deren radiotauglicher<br />
Alternative aus der zweiten Reihe zufrieden geben, die<br />
dann auch nicht mehr weit <strong>von</strong> COLDPLAY entfernt ist?<br />
EFTERKLANG sind im besten Falle ein recht indifferentes<br />
Vergnügen, aber eigentlich weiß ich schon jetzt nicht mehr,<br />
wie sie genau geklungen haben. (5) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
EASPA MEASA / DIVISIONS RUIN<br />
Split<br />
LP | Contraszt | diyordie.net || Beide auf dieser Split-<br />
LP vertretenen Bands spielen Hardcore mit massiver Crust-<br />
Schlagseite, der durchaus zu gefallen weiß. Dabei heben<br />
sich EASPA MEASA etwas deutlicher hervor, da sie ihre<br />
Songs mit jeder Menge Melodie versehen haben. In Kombination<br />
mit der Mischung aus männlichen und weiblichen<br />
Vocals keimen hier zuweilen Erinnerungen an die<br />
Franzosen ANANDA auf, die diesen Sound in den Neunziger<br />
Jahren etablierten. Die Qualität der Stücke <strong>von</strong> DIVISI-<br />
ONS RUIN sollte dennoch nicht unbeachtet bleiben, denn<br />
auch deren Songs gehen mehr als gut ins Ohr und machen<br />
Lust auf ein eigenes vollständiges Album. Empfehlenswerte<br />
Platte. (7) Jens Kirsch<br />
ELECTRIC PRESIDENT<br />
The Violent Blue<br />
CD | Fake Four Inc./Cargo | fakefourinc.com |<br />
46:06 || Drittes Album der beiden Musiker Ben Cooper<br />
und Alex Kane aus Jacksonville. Trotz sparsamster Besetzung<br />
gibt es keine Lagerfeuer-, sondern durchaus aufwändig<br />
arrangierte Träumermusik. Ein schlendernder<br />
Beat, dezente Klanglandschaften und drüber eine sanfte<br />
Stimme – Dreampop hat so etwas einmal jemand genannt.<br />
So weit, so gut. Hier und da aber lassen sich die beiden <strong>von</strong><br />
ihrer selbst erschaffenen Entspannungsmusik einlullen<br />
und kommen nur allzu behäbig <strong>von</strong> der Stelle. Sieht man<br />
über diesen kleinen Makel hinweg, kann man sich schön<br />
zurücklehnen und seinerseits einlullen lassen. (6)<br />
Christian Meiners<br />
ERLAND AND THE CARNIVAL<br />
E&TC<br />
CD | Full Time Hobby | fulltimehobby.co.uk | 46:28<br />
|| Das Trio ERLAND AND THE CARNIVAL sind Erland<br />
Cooper (Gesang, Gitarre), der bis 1999 bei THE VERVE<br />
spielende Simon Tong (Gitarre) und Schlagzeuger David<br />
Nock. Zusammen legen sie eine interessante Mischung aus<br />
Folk, Psychedelic und Fuzzing-Electronics vor. Die Einflüsse<br />
der Band kann man mit ein paar Worten oberflächlich<br />
einordnen: 13TH FLOOR ELEVATORS, Strange Folk<br />
à la Adam Green und den KINGS OF CONVENIENCE mit<br />
elektrischen Gitarren. Die Jungs lassen eine Collage entstehen,<br />
die ihre literarischen wie auch musikalischen Einflüsse<br />
zu einem ausgefeilten psychedelischen Folkmusik-<br />
Coverband, weil „Die Rentner“ es immer wieder schaffen,<br />
mit finnischen Texten die Originale so zu entfremden,<br />
dass selbst erfahrene Musikhörer ihre Mühe damit haben,<br />
das „geschändete“ Original herauszuhören. Ein großer<br />
Spaß, der in der ständigen Wiederholung zwar etwas leidet,<br />
aber damals, 1995, als dieses (ihr zweites) Album erstmals<br />
erschien, war die Sache noch neu. Die Neuauflage, für<br />
die die originalen 24 Songs um vier Bonustracks ergänzt<br />
wurden, ist entsprechend was für die Späteinsteiger, gehört<br />
aber zur Grundausstattung in Sachen ELÄKELÄISET, finden<br />
sich hier doch die Verwurstungen <strong>von</strong> solch Klassikern<br />
wie „Ace of spades“, „Viva Las Vegas“ oder „Dancing with<br />
myself“, „Living on a prayer“, „Personal Jesus“ oder „Enola<br />
Gay“, wobei man die Fachkundigkeit der Finnen daran<br />
erkennt, dass selbst so ein Klassiker wie „Open your eyes“<br />
<strong>von</strong> LORDS OF THE NEW CHURCH dran glauben musste.<br />
Auch nach 15 Jahren noch großartig! (9) Joachim Hiller<br />
GOVERNMENT ISSUE<br />
The Punk Remains The Same<br />
MCD | DC-Jam | dcjamrecords.com | 07:43 ||<br />
Eigentlich totaler Quatsch, so was auf CD zu veröffentlichen,<br />
aber zumindest existiert wohl auch noch eine<br />
7“. Ein klassischer Rerelease ist das hier nicht, sondern<br />
eine 5-Song-Live-EP mit Aufnahmen aus den Jahren<br />
1982 und 1983. „Notch to my crotch“ und „Sheer terror“<br />
(aufgenommen in Washington, DC am 13.05.1983)<br />
sowie, „Snubbing“, „Hour of 1“ und „Happy people“<br />
(vom 22.10.1982). Ob und wo und wann die zuvor schon<br />
erhältlich waren, ist mir nicht bekannt, doch dokumentieren<br />
sie die rohe, mitreißende Härte der Frühphase der<br />
Band um John Stabb. Für Neueinsteiger gibt es wichtigere<br />
G.I.-Releases (ich empfehle die zweiteilige „Complete<br />
History“ auf Dr. Strange), doch für Fans ist „The Punk<br />
Remains The Same“ durchaus okay. (7) Joachim Hiller<br />
KLEENEX/LILIPUT<br />
Live Recordings, TV-Clips & Roadmovies<br />
CD+DVD | Kill Rock Stars | killrockstars.com ||<br />
Jaaa, eigentlich ... eigentlich sind Live-Platten in 99%<br />
der Fälle komplett überflüssig. Ein Ausnahmefall ist diese<br />
Zusammenstellung der Schweizer Ur-Punkband KLEE-<br />
NEX, die, 1978 gegründet, ab 1980 aus nahe liegenden<br />
Gründen <strong>von</strong> einer gewissen Firma zur Namensänderung<br />
gedrängt wurde und bis zur Auflösung 1983 als LILIPUT<br />
weitermachte. Dass diese Live-Platte nebst uraltem Filmmaterial<br />
auf der DVD nun auf dem US-Label Kill Rock<br />
Stars erscheint (wie 2001 auch „The Complete Recordings“),<br />
hängt damit zusammen, dass KLEENEX/LILIPUT<br />
in ihrer Urform eine reine Frauenband waren, was dazu<br />
führte, dass sie <strong>von</strong> der in den Neunzigern entstandenen<br />
US-Riot-Grrrl-Szene zu Pionierinnen jener Bewegung<br />
erkoren wurden, was angesichts der Tatsache, dass BIKINI<br />
KILL und andere auf Kill Rock Stars veröffentlichten, das<br />
Interesse des Labels <strong>von</strong> der US-Westküste erklärt. Auf der<br />
Audio-CD dieses Doppelpacks finden sich zwei Konzertmitschnitte<br />
in jeweils sehr guter Qualität, also keinesfalls<br />
irgendwelche schäbigen Bootleg-Recordings aus dem<br />
Publikum. Den Anfang machen zehn Songs <strong>von</strong> KLEENEX<br />
aus Biel <strong>von</strong> 1979, gefolgt <strong>von</strong> 14 LILIPUT-Stücken, 1983<br />
in Zürich mitgeschnitten. Letztere Aufnahmen verantwortet<br />
das Schweizer Radio DRS3, entsprechend professionell<br />
sind sie auch und dokumentieren die musikalische Ausgereiftheit<br />
der Band, die wegen ihrer personellen Konstellation<br />
damals gerne mit der englischen Frauen-Punkband<br />
SLITS verglichen wurde, oder auch mit X-RAY-SPEX, was<br />
musikalisch nicht unbedingt Sinn machte, aber angesichts<br />
eines Mangels an anderen Vergleichsmöglichkeiten mit<br />
Betonung des Geschlechts auf der Hand lag. Die DVD ent-<br />
Album verbinden. Ein psychedelischer Background begleitet<br />
die Songs, Synthies blubbern mal dezent im Intro, mal<br />
in kleinen Pausen und werden genau auf den Punkt eingesetzt.<br />
Hörtip ist „You don’t have to be lonely“, der phänomenale<br />
Opener „Love is a killing thing“ und als persönlicher<br />
Favorit „The sweeter the girl the harder I fall“. Schönes,<br />
interessantes und unterhaltsames Album des Strange<br />
Folk – überraschend gut! (8) <strong>Thomas</strong> <strong>Neumann</strong><br />
fff<br />
FABULOUS PENETRATORS<br />
With Love<br />
LP/CD | Stag-O-Lee | stag-o-lee.com | 40:11 || Ich<br />
hatte bereits das Vergnügen, die famose „The Hump“-Single<br />
der FABULOUS PENETRATORS zu besprechen. Jetzt<br />
legt die Londoner Band auf Albumlänge noch mal ordentlich<br />
nach, denn ein wilderer, frischerer und unverbrauchterer<br />
Stilmix aus Garage, Rock, Soul, R&B, Psych, Glam und<br />
Rockabilly lässt sich derzeit auf internationalem Parkett<br />
wohl schwer finden. Man stelle sich einfach vor, die HIVES<br />
hätten nicht angefangen, mit bekackten HipHop-Produzenten<br />
zu kungeln, sondern stattdessen intensiv Platten <strong>von</strong><br />
den FUZZTONES, MAKERS, STONES oder SONICS gehört<br />
und sich einfach aufs Wesentliche beschränkt: Geile Rockmusik!<br />
Außerdem wurde das Abziehbild <strong>von</strong> Sänger rausgekickt<br />
und stattdessen ein echt manischer Rock’n’Roll-<br />
Bastard ans Mikro gestellt. Statt MTV-Party wird der Rotlichtbezirk<br />
angesteuert, statt Champagner gibt’s Billig-<br />
Whiskey, statt Zigarren gibt’s Selbstgedrehte, Backpulver<br />
statt Kokain und Kaschemmenprügelei statt Supermodel-<br />
One-Night-Stand. Wenn ihr versteht, was ich meine ... Ein<br />
Song wie „Shake yer bones“ darf da übrigens durchaus als<br />
Aufforderung angesehen werden. Bumsmusik galore und<br />
damit eine Platte, die richtig Spaß macht. (8) Bernd Fischer<br />
FALL APART<br />
Through Your Eyes<br />
CD | Cobra | myspace.com/cobraxrecords | 27:48<br />
|| Moderner Oldschool-Hardcore der schnelleren Sorte<br />
mit hier und da eingestreuten rockigen Passagen aus der<br />
Schweiz. Bei Erscheinen dieses Heftes wird die Band bereits<br />
Geschichte sein und über Tote spricht man nicht schlecht.<br />
Trotzdem muss ich sagen, dass mich die elf Lieder ziemlich<br />
gelangweilt haben. Zu marginal sind die Unterschiede zu<br />
Bands wie THIS IS HELL, GO IT ALONE oder CHAMPION,<br />
wobei diese Bands ja auch schon der was-weiß-ich-wievielte<br />
Aufguss des immer gleichen Tees sind. Handwerklich<br />
und produktionstechnisch wie die „Großen“, aber das<br />
kann leider kein Qualitätskriterium sein. (5)<br />
Sebastian Banse<br />
FALL OF EFRAFA<br />
Inlé<br />
CD/2LP | Denovali | denovali.com | 79:29 || „Inlé“<br />
ist der abschließende dritte Teil einer an Richard Adams’<br />
Buch „Watership Down“ angelehnten Album-Trilogie der<br />
Engländer FALL OF EFRAFA. Es stellt gleichzeitig auch das<br />
letzte Kapitel in der Historie einer Band dar, um die sich<br />
in ihrer Heimat kaum jemand scherte, um die in unseren<br />
Gefilden aber ein enormer Wind gemacht wurde.<br />
Die Begeisterung, die auch ich noch für das Vorgängeralbum<br />
„Elil“ aufbringen konnte (vgl. Review in Ox #79),<br />
ist derweil purer Ernüchterung gewichen. Was bleibt, ist<br />
höchstens okayer Neocrust, der versucht, sich sowohl mit<br />
einem außermusikalischen Programm als auch dem Versuch<br />
der Einbindung postrockiger Fragilität vom Genre-<br />
hält je drei TV-Clips <strong>von</strong> KLEENEX und LILIPUT sowie den<br />
1982 auf der Europatour <strong>von</strong> LILIPUT gedrehten Super-8-<br />
Film „Roadmovie“. Sicherlich ist die alte Komplett-Diskografie<br />
der beiden Bands essentieller, für Fans jedoch stellt<br />
dieses Doppelpack Pflichtmaterial dar. (8) Joachim Hiller<br />
JIMI HENDRIX<br />
Valleys Of Neptune<br />
CD | Experience Hendrix/Sony | jimihendrix.com |<br />
61:59 || Glaubt man den Bootleg-Sammlern, existieren<br />
im Grunde schon seit Jahren keinerlei unveröffentlichte<br />
Aufnahmen mehr <strong>von</strong> Jimi Hendrix. Bewegt man sich<br />
dagegen ausschließlich in der Legalität, gibt es eben dann<br />
und wann doch mal etwas „Neues“ zu entdecken. Aktuell<br />
im„Previously unreleased“-Fach ist „Valleys Of Neptune“,<br />
eine Sammlung <strong>von</strong> zwölf Songs, die Hendrix 1969,<br />
also nach dem letzten offiziellen Album „Electric Ladyland“,<br />
aufnahm, zum Teil mit der JIMI HENDRIX EXPE-<br />
RIENCE, zum Teil mit dem Bassisten Billy Cox als Ersatz<br />
für den geschassten Noel Redding. Ob wir es hier also mit<br />
dem eigentlich vierten Album Hendrix’ zu tun haben, darf<br />
bezweifelt werden, schließlich war der Mann in der Auswahl<br />
seiner Songs respektive ihrer verschiedenen Versionen<br />
extrem wählerisch, da hätte also noch einiges passieren<br />
können. Nehmen wir „Valleys Of Neptune“ also als<br />
das, was es ist: zwölf Songs, die hier in der Form vorliegen,<br />
wie sie zum jeweiligen Zeitpunkt aufgenommen wurden.<br />
Das schließt Neubearbeitungen <strong>von</strong> bereits Veröffentlichtem<br />
wie „Stone free“, „Fire“ oder „Red house“ ein, es<br />
sind aber auch Stücke dabei, die wohl wirklich nur emsige<br />
Hendrix-Fans besitzen dürften. Diesen Alleswissern und<br />
-kennern dürfte aber zumindest der Sound dieser Aufnahmen<br />
hier neu sein, schließlich wurden sie erst vor kurzem<br />
vom Hendrix-Tontechniker Eddie Kramer neu bearbeitet.<br />
Dass „Valleys Of Neptune“ als richtiges Album nicht funktionieren<br />
will, liegt am Wissen, dass es keines ist; an der<br />
Zusammenstellung, dem informativen Booklet und natürlich<br />
der Musik selbst gibt es aber nichts zu meckern. (8)<br />
André Bohnensack<br />
LUCY SHOW<br />
... Undone<br />
CD | Words On Music/Broken Silence | words-onmusic.com<br />
| 44:38 || Zuerst war ich ja versucht, in<br />
dieser Besprechung „... Undone“ <strong>von</strong> LUCY SHOW als<br />
ein klassisches Retro-Achtziger-New-Wave-Post-Punk-<br />
Album einzuordnen, als Bands wie CURE, MAGAZINE,<br />
COMSAT ANGELS, oder TEARDROP EXPLODES die Energie<br />
des Punk nutzten, mit psychedelischen Gitarrensounds<br />
kombinierten und so bittersüße Pop-Juwelen kreierten.<br />
Da lese ich, dass es sich bei „... Undone“ um einen Rerelease<br />
handelt. Das Album wurde vor über 25 Jahren veröffentlicht<br />
und war 1985 das Debüt der vierköpfigen Londoner<br />
Post-Punk-Band LUCY SHOW. Zu dieser Zeit hatten sich<br />
Post-Punk-Bands der ersten Stunde wie MAGAZINE und<br />
TEARDROP EXPLODES längst aufgelöst oder wurden wie<br />
im Fall <strong>von</strong> CURE oder COMSAT ANGELS bedeutend poppiger.<br />
Das war offenbar der Beweggrund für LUCY SHOW,<br />
diesen damals ja schon recht alten und gar nicht angesagten<br />
Stil wieder aufleben zu lassen. Zwar habe ich LUCY<br />
SHOW seinerzeit verpasst, aber auch 2010 klingen die elf<br />
Songs erstaunlich frisch und relevant. (8) Kay Werner<br />
MODEL PRISONERS<br />
Cow Milking Music<br />
LP+CD | Disturbed/Cargo || By Disturbed Records<br />
handelt es sich um das Label <strong>von</strong> Sonny Vincent, und man<br />
ahnt es, der alte Haudegen hat auch was mit dieser Band<br />
zu tun. Bei den MODEL PRISONERS handelt es sich um<br />
Rest abzusetzen. Es scheint jedoch, als wären der Band<br />
auf der Zielgeraden die Ideen für eine adäquate Umsetzung<br />
alldessen ausgegangen: rhythmisch immer gleich,<br />
harmonisch streng monoton, gesanglich abwechslungsarm<br />
grunzblubbernd. Das Album plätschert seltsam leblos<br />
dahin, ist durchgehend in einer auf die Dauer einschläferndem<br />
Midtempo-Viskosität gehalten und mit überlangen,<br />
klimperigen Post-Rock-Versuchen künstlich auf ultrazähe<br />
80 Minuten aufgebläht. Schwerfälligkeit meint hier<br />
nicht massive Wucht, sondern träge Langeweile. Abgesehen<br />
<strong>von</strong> der Idee der inhaltlichen Adaption Adams’ und seiner<br />
zugegebenermaßen ziemlich gelungenen textlichen<br />
Umsetzung, kommt da einfach zu wenig rüber.<br />
Konstantin Hanke<br />
FAUST<br />
Faust Is Last<br />
2CD | Klangbad/Broken Silence | klangbad.de<br />
| 48:51/45:09 || Letztes Jahr gab es via Bureau B das<br />
FAUST-Album „C’est Com... Com... Compliqué“, mit<br />
dabei die beiden Gründungsmitglieder<br />
Jean-<br />
Hervé Peron und Werner<br />
Diermaier, aber wo<br />
war eigentlich Hans Joachim<br />
Irmler? Offenbar<br />
existieren inzwischen<br />
zwei <strong>von</strong> einander unabhängige<br />
Inkarnationen<br />
der Krautrock-Legende<br />
FAUST, denn Mitte April<br />
erscheint auf Irmlers<br />
Label Klangbad dessen<br />
Album (in einem ästhetisch<br />
sehr ansprechenden Digipak) unter diesem Namen,<br />
eingespielt mit Schlagzeuger Jan Fride <strong>von</strong> KRAAN, neben<br />
Steven Wray Lobdell, Lars Paukstatt und Michael Stoll, die<br />
schon länger mit Irmler zusammenarbeiten. Unberechenbar<br />
waren FAUST ja schon immer und sind wahrscheinlich<br />
auch deshalb immer noch in der Lage, aufregende<br />
Musik zu schaffen, man könnte das auch alternativ „in<br />
Würde altern“ nennen. „Faust Is Last“ (Ist das überhaupt<br />
korrektes Englisch? FAUST sind die Letzten?) ist jedenfalls<br />
ein schwerer Noiserock-Brocken, mit dem die Band<br />
mal wieder ihrem Ruf als geniale Dilettanten gerecht wird,<br />
denn entweder jammt man hemmungs- und richtungslos<br />
herum oder es entwickeln sich dabei sehr griffige, regelrecht<br />
eingängige Parts, bei dem die Band zwischen fuzzigem,<br />
hartem Psychedelic-Rock, lärmigem Industrial und<br />
durchaus auch mal entspannten Ambient-Klängen hin<br />
und her schaltet. Man könnte anmerken, dass man das im<br />
Detail alles schon mal gehört hat und dass FAUST irgendwie<br />
alles und nichts können, aber in der Gesamtheit hinterlässt<br />
„Faust Is Last“ dann doch wieder Eindruck – sicherlich<br />
auch abhängig da<strong>von</strong>, mit welcher Erwartungshaltung<br />
man an so eine Platte herangeht. Leicht verdaulich ist<br />
das natürlich nicht, streckenweise regelrecht anstrengend,<br />
aber diese Form <strong>von</strong> musikalischer Radikalität der Vollblut-Avantgardisten<br />
hat auf jeden Fall ihren Reiz. Ein Stück<br />
haben sie den Kollegen CLUSTER gewidmet: 20 Sekunden<br />
extrem beschleunigter Lärm, ein netter Scherz. Auf<br />
der zweiten Disc gibt es weitere sieben Stücke, wo man sich<br />
vollends auf reine, etwas entspanntere, aber immer noch<br />
recht noisige Klangcollagen mit rhythmischem Charakter<br />
konzentriert, bei denen auch Irmlers Orgelspiel sehr schön<br />
zur Geltung kommt. Eventuell ist das sogar die spannendere<br />
der beiden CDs, denn FAUST gelingen dabei äußerst<br />
atmosphärische Momente, die dem näher kommen, was<br />
jenes Bandprojekt, das er Mitte der Achtziger mit Bob Stinson<br />
<strong>von</strong> den REPLACEMENTS ins Leben rief, nachdem der<br />
<strong>von</strong> seinen Bandkollegen rausgeworfen worden war, was<br />
angeblich auch was mit seinem Alkoholkonsum zu tun<br />
hatte. Sonny Vincent, der Anfang der Achtziger <strong>von</strong> New<br />
York nach Minneapolis gezogen war, hatte dort schnell<br />
Bon Stinson kennen gelernt, der unbedingt in Sonnys Band<br />
spielen wollte und dafür sogar die REPLACEMENTS verlassen<br />
wollte. Sonny riet ihm ab, doch als Bob dann Jahre<br />
später ohne Band dastand, gewährte er ihm Asyl und die<br />
MODEL PRISONERS entstanden. In seinen ausführlichen<br />
Linernotes schreibt Sonny im Detail über seine schwierige<br />
Beziehung mit Bob, der einerseits ein guter Kumpel und<br />
exzellenter Musiker war, aber auch ein psychisches Wrack<br />
und ein Alkoholiker, der weder nüchtern noch volltrunken<br />
spielen konnte, sondern nur mit einem bestimmten<br />
Pegel. Das klingt in Vincents Erinnerungen lustiger als<br />
es wohl war, und so war der Band auch keine lange Karriere<br />
vergönnt: 1988 war wieder alles vorbei, auch wenn<br />
Sonny und Bob immer wieder zusammen spielten, so auch<br />
auf Touren in Europa, zuletzt 1995 kurz vor Bobs Tod. Auf<br />
dieser LP in blauem Vinyl nun, der die Songs auch im CD-<br />
Format beiliegen, finden sich die Aufnahmen der MODEL<br />
PRISONERS, die Sonny Vincent aus verschiedenen Quellen<br />
und in sehr unterschiedlicher Qualität rekonstruieren<br />
konnte. Es ist Material für Fans und Freunde, das sich stilistisch<br />
kein Stück vom Seventies-NYC-Proto-Punk-Sound<br />
<strong>von</strong> Vincents anderen Bands unterscheidet – ein Release<br />
<strong>von</strong> vor allem dokumentarischem Wert. (7) Joachim Hiller<br />
PAINTED WILLIE<br />
Mind Blowing<br />
CD | DC-Jam | dcjamrecords.com | 32:04 || Ein<br />
Großteil des mittlerweile bei Katalognummer 377 (Stand<br />
2008) angelangten Outputs, des legendären SST-Labels ist<br />
längst out of print und man wünscht sich sicher nicht bei<br />
allen Releases eine Neuauflage, da neben viel Gold auch<br />
reichlich Blech veröffentlicht wurde. Doch das PAIN-<br />
TED WILLIE-Album „Mind Bowling“ <strong>von</strong> 1985 (SST 058)<br />
gehört nicht zur eher redundanten Masse. Mir waren sie<br />
1986 mit ihrem Track („The big time“) auf der „Program:<br />
Annihilator“-Label-Compilation aufgefallen, und da speziell<br />
ihr Drummer Dave Markey kein Unbekannter ist in<br />
der L.A.-Punk-Szene, ist es um so relevanter, dass DC-<br />
Jam Records jetzt dieses Album neu aufgelegt hat. PAIN-<br />
TED WILLIE waren seinerzeit aus der nicht unbekannten<br />
L.A.-Band SIN 34 hervorgegangen, hatten vor ihrem<br />
Deal mit SST eine 7“ und eine 12“ veröffentlicht und legten<br />
mit „Mind Blowing“ ihr SST-Debüt vor. 1986 gingen<br />
sie ein halbes Jahr lang mit BLACK FLAG auf Tour, 1987<br />
dann kam ihr zweites Album, bevor es mit der Band wieder<br />
vorbei war. Markey taucht auch im BLACK FLAG-Buch<br />
„Spray Paint The Walls“ auf, und er war es, der schon früh<br />
die L.A.-Punk-Szene mit der Kamera dokumentierte und<br />
so verwundert es nicht, dass er bis heute unzählige Musikfilme<br />
(unter anderem „1991: The Year Punk Broke“ über<br />
SONIC YOUTH) und Musikvideos gedreht hat. Musikalisch<br />
fügten sich PAINTED WILLIE seinerzeit in den rhythmischen<br />
(Post-)Punk <strong>von</strong> Bands wie MINUTEMEN/fIRE-<br />
HOSE, MEAT PUPPETS oder SACCHARINE TRUST ein,<br />
waren aber etwas weniger anstrengend. Ein interessanter<br />
Rerelease, dem man einige Bonus-Songs sowie vernünftige<br />
Linernotes hätte spendieren sollen. (8) Joachim Hiller<br />
PAVEMENT<br />
Quarantine The Past: The Best Of<br />
CD | Domino | dominorecordco.com | 73:02 ||<br />
2010 ist das Jahr des PAVEMENT-Comebacks, denn elf<br />
Jahre nach den letzten Konzerten im Herbst 1999 ist<br />
rEvIEws<br />
man im Allgemeinen unter Krautrock versteht, eben die so<br />
genannte „Kosmische Musik“, also experimenteller Spacerock,<br />
der die Beschränkungen <strong>von</strong> Zeit und Raum aufhebt.<br />
Insofern hat auch Julian Copes Aussage „There is no<br />
group more mythical than FAUST“ immer noch Bestand.<br />
(9) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
FANSHAW<br />
Dark Eyes<br />
CD | Mint/Broken Silence | mintrecs.com | 33:09<br />
|| Auf „Dark Eyes“ werden Themen wie unerfüllte Sehnsüchte,<br />
Einsamkeit und Verzweiflung <strong>von</strong> Oliva Fetherstonhaughs,<br />
einer kanadischen Sängerin und Songwriterin,<br />
gekonnt in eindringliche Erzählungen gepackt. Zusammen<br />
mit Shane Turner und Johnny Payne arbeitete Oliva Fetherstonhaughs<br />
fünf Jahre an dem Debütalbum <strong>von</strong> FANS-<br />
HAW. Obwohl die Band Kate Bush, Ella Fitzgerald und CAT<br />
POWER als wichtige Einflüsse nennt, bewegt sich die Musik<br />
auf einem schmalen Pfad zwischen Düsterpop und Folkballade.<br />
Fünf Jahre sind eine lange Zeit für ein Album, aber<br />
es hat sich gelohnt, besonders wenn die Stücke mit einer<br />
solch eindringlichen Stimme vorgetragen werden. (7)<br />
Kay Werner<br />
FRAMES<br />
Mosaik<br />
CD | Steamhammer/SPV | spv.de | 60:00 || Mit<br />
„Mosaik“ präsentieren die Hannoveraner FRAMES ihr<br />
Debütalbum, auf welchem sie sich epischem, instrumentalem<br />
Art Rock, genannt Post Rock hingeben. Das ist natürlich<br />
risikoreich, denn aufgrund der immensen Flut an<br />
Genrekollegen ist es denkbar schwer, sich noch irgendwie<br />
musikalisch abzusetzen und seiner Musik einen eigenen<br />
Stempel aufzudrücken. Man kann FRAMES jedoch attestieren,<br />
dass ihnen genau dies gelungen ist. Statt sich also<br />
im Laut/Leise-Prinzip, der Mischung aus klimpernden<br />
Gitarren und gewaltigen Riffgebirgen zu ergehen, macht<br />
man sich Melodien aus dem Bereich des avantgardistischen<br />
Pop zu Nutze und flechtet jene in seine imposanten<br />
Kompositionen ein. Bleibt unterm Strich festzuhalten,<br />
dass „Mosaik“ eine äußerst kurzweilige Stunde Musik enthält,<br />
die nicht zwingend nur Genrefans gefallen dürfte. (7)<br />
Jens Kirsch<br />
FEUERWASSER<br />
Stürme der Zeit<br />
CD | feuerwasserpunk.com | 36:13 || Wenn ein<br />
Bandname passt, dann wirklich dieser. Denn die Jungs <strong>von</strong><br />
FEUERWASSER nehmen in ihren Titeln kein Blatt vor den<br />
Mund und feuern in alle erdenklichen Richtungen munter<br />
drauf los. Politisch, gesellschaftskritisch und aufmüpfig<br />
sind ihre Texte. Untermauert mit einem straighten Sound,<br />
weiß man <strong>von</strong> der ersten Minute an, um was es der Band<br />
geht. Dass hier vor allem die etwas härtere Gangart geboten<br />
wird, versteht sich dabei <strong>von</strong> selbst. Metal-Anleihen sind<br />
des Öfteren zu vernehmen, Melodien nur in Ausnahmefällen.<br />
Einer dieser Ausnahmefälle ist der für mich stärkste<br />
Titel „Du bist Deutschland“. Ansonsten geht es in 13 Songs<br />
ihres Erstlingswerks äußerst energisch zugange. Ein Album,<br />
das einem in bestimmten Stimmungslagen viel gibt, in<br />
anderen eher weniger. (6) Sven Grumbach<br />
FAT BELLY<br />
Turn The Amplifiers On (Alter!)<br />
CD | G-Force | g-forcerecords.de | 45:38 || FAT<br />
BELLY kommen aus Hannover und sind seit 2001 am Start.<br />
Anfangs ein Trio, sind sie inzwischen auf ein Quintett in<br />
„klassischer Besetzung“ angewachsen (Gesang, zwei Gitar-<br />
die Band um Stephen Malkmus wieder live aktiv. Und<br />
da man da<strong>von</strong> ausgehen muss, dass der Name zwar über<br />
all die Jahre durchaus in Erinnerung geblieben ist oder<br />
zumindest im Kontext <strong>von</strong> THE JICKS und SILVER JEWS<br />
genannt wurde, wo Malkmus in den letzten zehn Jahren<br />
unter anderem in Erscheinung trat, aber auch die Tatsache,<br />
dass die PAVEMENT-Klassiker „Slanted And Enchanted“<br />
(1992), „Crooked Rain, Crooked Rain“ (1994) und<br />
„Wowee Zowee“ (1995) in den letzten Jahren als Deluxe-<br />
Rereleases neu aufgelegt wurden, belegt, dass PAVEMENT<br />
zwar „dead, but not forgotten“ waren. Nun sind manche<br />
Menschen der Meinung, das Schaffen <strong>von</strong> Malkmus & Co.<br />
sei im US-Indierock-Kanon so wichtig wie das <strong>von</strong> DINO-<br />
SAUR JR und SONIC YOUTH, doch der Meinung war ich<br />
nie, waren mir PAVEMENT bei aller grundsätzlichen Sympathie<br />
und Wertschätzung doch immer etwas zu verkopft.<br />
Wie dem auch sei, mit Hilfe dieser 23 Songs umfassenden<br />
Compilation, die aus dem Material der erwähnten ersten<br />
drei Alben ebenso schöpft wie aus dem <strong>von</strong> „Brighten<br />
The Corners“ (1997) und „Terror Twilight“ (1999) gibt<br />
es jetzt eine klassische Best-Of-Zusammenstellung, denn<br />
man muss im Vorfeld der Reunion-Shows da<strong>von</strong> ausgehen,<br />
dass – vom Bandnamen abgesehen – die eigentliche Musik<br />
nicht jedem unter 30 bekannt ist. Was mir beim Durchhören<br />
auffiel: Der Reiz <strong>von</strong> PAVEMENT lag und liegt in<br />
der Unaufdringlichkeit ihrer Stücke, in der Unaufgeregtheit,<br />
in Malkmus’ nonchalanter Art zu singen. Und so ist<br />
diese Zusammenstellung der ideale Einstieg in die Welt <strong>von</strong><br />
PAVEMENT. (9) Joachim Hiller<br />
REJECTED YOUTH<br />
Angry Kids<br />
CD | Concrete Jungle | conretejunglerecords.com |<br />
42:44 || Endlich, endlich ist der 2005er und laut Band<br />
ihr „ultimativster, kraftvollster“ Longplayer <strong>von</strong> REJECTED<br />
YOUTH aus Nürnberg wieder erhältlich. Neben einem<br />
neuen, aufwendig verarbeiteten Cover mit allen Lyrics gibt<br />
es Bonustracks, einen <strong>von</strong> damals unveröffentlichten Song,<br />
Bandfotos, mp3-Versionen aller Titel und alles, was das<br />
Herz sonst noch begehrt. Altbekannt, nur in etwas besserer<br />
Qualität sind natürlich auch die regulären Songs dabei, und<br />
wen würde es wundern, die sind noch genauso gut oder<br />
schlecht wie sie schon bei Erstveröffentlichung waren. Also<br />
nicht lange nachdenken: zugreifen, bevor auch die schicke<br />
Neuauflage dieses Streetpunk-Klassikers ausverkauft ist.<br />
Judith Richter<br />
RIP CARSON AND THE TWILIGHT TRIO<br />
Savage American Rock<br />
Stand Back!<br />
CD | Part | part-records.de || Persönlichkeiten, die<br />
man bereits auf CD als solche erkennt, sind selten. Rip Carson<br />
ist so einer. Ohne ihn je gesehen zu haben, was sich<br />
heute durch YouTube schnell ändern ließe, kann man<br />
seine Energie und seine Ausstrahlung spüren. Der Mann<br />
geht steil. Und das mit rohem Fünfziger Rock’n’Roll der<br />
Extraklasse. Die beiden CDs „Savage American Rock“ und<br />
„Stand Back“ sind 1999 beziehungsweise 2000 erschienen<br />
und damit schon circa zehn Jahre alt. Dieser ursprüngliche<br />
Rock’n’Roll ist mittlerweile aber zeitlos. Die Platten<br />
könnten auch 20 oder 30 Jahre alt sein und Rip Carlson<br />
ein Weggefährte <strong>von</strong> Gene Vincent, der sicher seine Freude<br />
daran gehabt hätte. Der Gesang wäre in den wilderen Stücken<br />
auch für viele aktuelle Psychobilly-Bands eine Bereicherung.<br />
Facettenreicher habe ich diese Garage-Variante<br />
des Rockabilly lang nicht mehr gehört. Rip Carson ist übrigens<br />
immer noch aktiv, allerdings scheinbar mit wechselnder<br />
Band. Augen auf halten, vor allem, wer mal nach San<br />
Diego kommt. (8) Robert Noy<br />
OX-FANZINE 93
EvIEws<br />
SLIM CESSNA’S AUTO CLUB<br />
Buried Behind The Barn<br />
CD | Alternative Tentacles | alternativetentacles.com<br />
|| Neuer beziehungsweise eigentlich alter Stoff für alle<br />
SCAC-Fans: SLIM CESSNA’S AUTO CLUB, die düsteren<br />
Country/Americana-Musiker rund um die beiden Sänger<br />
Slim und Munly veröffentlichen mit „Buried Behind<br />
The Barn“ acht Songs in ihrer Rohfassung, alle fanden sich<br />
später entweder auf einem Album oder einer Compilation<br />
wieder. Warum das Ganze also, wird sich der eine oder<br />
andere fragen? Der devote SCAC-Fan stellt diese Frage aber<br />
natürlich nicht: Man ist glücklich, Songs wie das großartige<br />
„Cranston“, quasi die Hitsingle auf dem Album „The<br />
Bloudy Tenent Truth Peace“, in ihrer ursprünglichen, und<br />
wie ich finde, besseren Version hören zu dürfen. Das Interessante<br />
an „Buried Behind The Barn“ ist, dass hier der<br />
dunkle Country-Punk <strong>von</strong> Jello Biafras Lieblingen in ihrer<br />
ungeschliffenen und etwas rauheren Form zu hören ist.<br />
Stücke wie das auf der Compilation „Radio 1190“ erschienene<br />
„Angel“ oder „Earthquake“ (ein Vinyl-only track auf<br />
„Always Say Please And Thank You“) werden darüber hinaus<br />
auch so manchem Fan vielleicht nicht bekannt sein.<br />
Der allen SCAC-Fans bekannte Song „Shady lane“, ebenfalls<br />
<strong>von</strong> „The Bloudy Tenent Truth Peace“ findet sich hier in<br />
einer etwas relaxteren und ruhigeren Version, die durchaus<br />
seine Berechtigung neben der späteren Albumversion<br />
hat. „Buried Behind The Barn“ erscheint ebenfalls als 10“<br />
mit Download-Code und ist für alle SCAC-Anhänger ein<br />
Pflichtkauf. (8) Robert Buchmann<br />
TALCO<br />
Mazeltov<br />
CD | Destiny/Broken Silence || 2008 erschien diese<br />
Album bereits auf Mad Butcher, jetzt gibt es eine Neuauflage<br />
auf Destiny und ich zitiere Simon Brunners damalige<br />
Rezension: „Da auf Black Butcher erschienen, rechnete ich<br />
eigentlich mit einer Ska-(Punk-)Band. TALCO hat aber<br />
mit Offbeat nicht viel zu tun. Fette Gitarren, ein wuchtiges<br />
Schlagzeug, ein straighter Bass, aber scharfes Gebläse<br />
peitschen das italienische Wortgefecht des Sängers voran.<br />
Die ganz eigene Note verschaffen sich TALCO durch Verwendung<br />
italienisch-folkloristischer Musik, die vom traditionellen<br />
Intro meistens in ein heftiges, wenn auch sehr<br />
melodisches Punk-Gewitter umschlägt. Gekonnt verwenden<br />
TALCO Akustikgitarren, Ziehharmonika, Trompeten,<br />
Tuba und Violine, bis die fett produzierten Drums und<br />
die Gitarrenwände aus einer bekömmlichen mediterranen<br />
Küche ein teuflisch scharfes Gericht machen. Unterm<br />
Strich schneller, energischer und aggressiver Punkrock, der<br />
durch die folkloristische Seite höchst melodisch und vielseitig<br />
ist. Eine sehr positive Veröffentlichung, die sich aus<br />
dem Folkloristischen angenehm vom parallelen Latin-<br />
Punk abhebt – eine Band, die ich mal live sehen will.“ (8)<br />
Joachim Hiller<br />
TRUSTY<br />
Demo<br />
CD | DC-Jam | dcjamrecords.com | 32:04 || TRUSTY<br />
kamen eigentlich aus Little Rock in Arkansas, doch mit<br />
ihrem Umzug in die US-Hauptstadt qualifizierten sie sich<br />
sowohl geografisch wie auch musikalisch dafür, in den<br />
illustren Kreis der Dischord-Bands aufgenommen zu werden.<br />
Ihr Debüt hatten sie 1991 für Truant Records aufgenommen<br />
(seltsamerweise hatte das Label damals eine LP<br />
ans Ox geschickt), die beiden Dischord-Alben „Goodbye,<br />
Dr. Fate“ und „The Fourth Wise Man“ aber waren es, mit<br />
OX-FANZINE 94<br />
ren, Bass, Drums). Seit dieser Zeit wurden vermehrt Gigs<br />
gespielt, eine EP mit dem Titel „Live, Die, Laugh And Cry“<br />
selbst produziert und verkauft sowie Kontakte geknüpft.<br />
Mit der Verbindung zu Jenzzz Gallmeyer (GIGANTOR,<br />
TERRY HOAX) schließlich wurde das hier vorliegende<br />
Debütalbum <strong>von</strong> FAT BELLY aufgenommen, produziert<br />
und abschließend in den Blasting Room Studios <strong>von</strong> Jason<br />
Livermore gemastert. Hier sind also alle Wege beschritten<br />
worden, um die nächste junge Band ein Stück weit in<br />
den „Pop-Punk-Olymp“ hinein zu hieven. Ob das gelingt,<br />
weiß ich nicht – die MySpace-Hits deuten allerdings darauf<br />
hin. Die Band ist zudem nach wie vor dabei, regelmäßig<br />
zu spielen und ihre Live-Präsenz zu untermauern. Dieses<br />
Album wird all jenen Menschen gefallen, die auf melodischen<br />
Punkrock stehen, der niemandem wehtun und vor<br />
allem Spaß machen soll. Aber dafür bin ich nun echt zu alt<br />
... Zahni Müller<br />
FREYA<br />
All Hail The End<br />
CD | Victory | victoryrecords.com | 50:29 || Nachdem<br />
mich sowohl das letzte EARTH CRISIS-Album „To<br />
The Death“, als auch FREYAs „Lift The Curse“ überzeugen<br />
konnten, habe ich mit „All Hail The End“ so meine Probleme.<br />
Zwar erkennt man den Stil der Metal/Hardcore-<br />
Truppe aus Syracuse sofort wieder und braucht deshalb<br />
keine lange Eingewöhnungszeit beim ersten Hören. Nach<br />
mehreren Durchläufen aber langweilen FREYA zusehends,<br />
weil alle 13 Songs komplett gleich gestrickt sind, <strong>von</strong> den<br />
überflüssigen cleanen Vocals bei „The Guardian“ mal ganz<br />
abgesehen. Was ist hier passiert? Das neue Album wirkt wie<br />
eine Pflichtveröffentlichung, die ohne Herzblut und Leidenschaft<br />
eingespielt wurde, um Fans und Label zufrieden<br />
zu stellen. Nein, das ist leider nicht das, was man <strong>von</strong><br />
FREYA nach dem starken letzten Release erwarten durfte.<br />
Da höre ich mich doch lieber wieder durch den EC-Backkatalog.<br />
Tobias Ernst<br />
FACT<br />
In The Blink Of An Eye<br />
CD | Vagrant | vagrant.com/uk || Mit den japanischen<br />
Pop-Punkern FACT habe ich zum ersten Mal die Ehre, eine<br />
Band aus meiner Wahlheimat fürs Ox zu reviewen. Was für<br />
ein Glück, dass es sich dabei um ein derart gutes Album<br />
handelt! FACT klingen so, als seien die Neunziger Jahre nie<br />
vorbei gegangen, und PROPAGANDHI und STRUNG OUT<br />
würden noch immer die Verkaufslisten alternativer Plattenläden<br />
anführen. Obwohl die Japaner ihren Pop-Punk<br />
natürlich mit modernen Versatzstücken aus den Bereichen<br />
Emo und Metal anreichern – sogar Keyboards und Vocoder-Effekte<br />
sind zu hören –, verlieren sie dabei aber nie den<br />
Song an sich aus den Augen und schütteln auch auf ganzer<br />
Albumlänge grandiose Melodien aus dem Ärmel, die<br />
einem so schnell nicht langweilig werden. Mehr da<strong>von</strong>!<br />
(8) David Schumann<br />
FITZCARRALDO<br />
Lass sein was ist<br />
CD | Baxx Beat | baxxbeatmusic.de | 47:26 ||<br />
Benannt haben sich die Aschaffenburger nach dem wohlhabenden<br />
Fermín Fitzcarrald, genannt „Fitzcarraldo“, der<br />
seinerzeit den Versuch unternahm, ein Schiff außerhalb<br />
seines eigentlichen Elementes, des Wassers, über einen<br />
Bergrücken zu transportieren. Im Jahre 1982 erschien<br />
über dieses gewaltige Vorhaben auch ein gleichnamiger<br />
Film mit Klaus Kinski in der Hauptrolle. Hört man ich<br />
nun das zweite Album <strong>von</strong> FITZCARRALDO an, so könnte<br />
/RE-RELEASES<br />
der die Band etwas größere Bekanntheit erreichte, und ich<br />
schrieb über „The Fourth Wise Man“ <strong>von</strong> 1996: „TRUSTY<br />
erweisen sich hier als Bindeglied zwischen den Killermelodien<br />
<strong>von</strong> GRAY MATTER (meiner Meinung nach DIE<br />
verkannte Überband) und dem rhythmischen Gepulse <strong>von</strong><br />
LUNGFISH, angereichert um beinahe schon GREEN DAYmäßige<br />
lockere Pop-Flockigkeit.“ 1998 dann war Schluss,<br />
die Band hatte genug vom ständigen Touren und löste sich<br />
auf. Mit der Wiederveröffentlichung des ersten Demotapes<br />
aus dem Jahre 1989 im CD-Format erfüllt sich DC-Jam-<br />
Boss Darron J Hemann nun einen Traum, denn als Teenager<br />
sah er 1989 TRUSTY als Vorband <strong>von</strong> SNFU und hatte eines<br />
jener Punkrock-Schlüsselerlebnisse, so mitreißend war<br />
ihre Musik. Nach dem Konzert kaufte er ihr Demotape und<br />
20 Jahre später veröffentlicht er nun diese Songs auf seinem<br />
Label. Die Aufnahmequalität ist sehr gut, musikalisch<br />
waren TRUSTY in ihrer Frühzeit noch etwas schnörkelloser,<br />
und wer 7 SECONDS und DAG NASTY liebt, sollte sich<br />
<strong>von</strong> diesen Aufnahmen hinreißen lassen – auch nach über<br />
20 Jahren noch. (8) Joachim Hiller<br />
VIBRATORS<br />
Energize<br />
LP | papagajuv hlasatel | phr.cz | 46:10 || Aus der<br />
tschechischen Republik kommt das 2002 veröffentlichte<br />
VIBRATORS Album „Energize“ nun erstmals auch<br />
als durchsichtige Vinylversion, limitiert auf 500 Stück, auf<br />
den Markt. Die 16 Titel wurden 2001 <strong>von</strong> Knox, Eddie und<br />
Robbie Tart eingespielt und fallen größtenteils unter klassischen<br />
UK-77er-Punk, aber was will man <strong>von</strong> einer Band<br />
wie den VIBRATORS auch erwarten. Innovationen? Ähnlich<br />
wie U.K. SUBS (und andere) veröffentlichen auch die<br />
VIBRATORS ab und an mal wieder eine neue Platte, live<br />
gibt es dann aber doch wieder die jahrzehntelang bewährte<br />
Setlist mit den Hits wie „Baby baby“, „Pure mania“, „Disco<br />
in Moscow“, „Troops of tomorrow“ und „Yeah yeah yeah“<br />
zu hören. Damit wir uns nicht falsch verstehen, „Energize“<br />
ist schon ein solides Punkrock-Album, nur hat die Band<br />
bessere Songs geschrieben und genau diese sollte man sich<br />
auch besorgen. (6) Kay Werner<br />
WEEN<br />
THE POD<br />
CD | Schnitzel | schnitzel.co.uk | 76:30 || Langsam<br />
gilt es, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen. Neues aus<br />
dem Hause WEEN ist – wie schon die letzten Male, als ich<br />
die Freude hatte, mich den Veröffentlichungen zu widmen<br />
– Altes aus dem Hause WEEN. „The Pod“ ist ein Rerelease<br />
des 1990er Albums, lediglich neu gemastert. Zwar gefällt<br />
es mir ebenfalls, <strong>von</strong> Jahr zu Jahr einige Zimmer meiner<br />
Wohnung neu zu streichen und sich damit am neuen<br />
Lebensgefühl zu weiden, aber wenn WEEN jetzt vollkommen<br />
in die Resteverwertung und Neuauflagen abrutschen,<br />
schmälert das doch sehr den Genuss. Faustregel: Rereleases<br />
und Outtakes sind immer nur als zusätzliche Bereicherung<br />
zu sehen, dürfen aber neue Veröffentlichungen keinesfalls<br />
gänzlich verdrängen, was bei WEEN nunmehr leider der<br />
Fall geworden ist. „The Pod“ ist nach wie vor ein großartiges<br />
WEEN Album – sperrig mögen es die einen nennen,<br />
eine krude Mischung für Freunde alter BUTTHOLE SUR-<br />
FERS mit mehr Hippie-Liebesdrogen im Gepäck als jene,<br />
nenne ich es. Ob dazu ein neues Mastering <strong>von</strong>nöten war,<br />
mag jeder selbst entscheiden, der Dreck des Originals wirkt<br />
dadurch auf Hochglanz poliert, was zumindest besser und<br />
sorgfältiger gelungen ist, als bei manch anderen Rereleases.<br />
Claus Wittwer<br />
man meinen, die Band hätte den Soundtrack zu diesem<br />
Film geschrieben. Immer wieder wähnt man das ruhige<br />
Moment der Natur vertont, durch welches plötzlich und<br />
unerwartet Tonnen <strong>von</strong> Stahl befördert werden. In diesem<br />
Kontext macht die Laut/Leise-Dynamik, mit der die Band<br />
zuweilen arbeitet, durchaus sehr viel Sinn. Post-Rock und<br />
-Metal in Kombination mit ausladenden Shoegaze-Parts<br />
bestimmen hier das Geschehen und vollbringen dabei das<br />
Kunststück, nicht wie ein Abklatsch der üblichen Verdächtigen<br />
zu klingen. FITZCARRALDO haben ein Gespür für<br />
Melodien und ebenso ein Händchen für donnernde Riffattacken;<br />
das vorliegende Ergebnis spricht für sich! (8)<br />
Jens Kirsch<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
FLOGGING MOLLY<br />
Live At The Greek Theatre<br />
2CD+DVD | SideOneDummy/Cargo | sideonedummy.<br />
de | 48:34/45:32 || Normalerweise kann man mich mit<br />
Irish-Folk und „Celtic Punk“ ja um den berühmten Block<br />
jagen, bis ich tot umfalle, aber bei FLOGGING MOLLY aus<br />
Los Angeles – wobei deren Bandleader Dave King ja auf<br />
jeden Fall ein waschechter Ire ist – mache ich gern mal<br />
eine Ausnahme. Die siebenköpfige Band ist in den letzten<br />
zehn Jahren richtig groß geworden, inklusive hoher<br />
Chartplatzierungen ihrer Alben, vor allem in den Staaten,<br />
und so wurde diese Live-Platte vor über 5.000 Leuten<br />
im Greek Theatre in Los Angeles mitgeschnitten. Insgesamt<br />
22 Songs aus der bisherigen Karriere, acht da<strong>von</strong> vom<br />
letzten Album „Float“, was ja nicht untypisch ist, wenn<br />
Bands ein neues Album betouren, in ausgewogener Tonqualität,<br />
nicht zu perfekt oder steril, so dass man auch noch<br />
deutlich merkt, dass das Ganze vor einem real existierenden<br />
Publikum stattfindet. Und auch wenn „Float“ deutlicher<br />
rockiger ausfiel und der Anteil rasant punkigen Irish-<br />
Folks etwas zurückgefahren wurde, kann man FLOGGING<br />
MOLLY nicht vorwerfen, irgendwelche Eingeständnisse an<br />
den Massengeschmack gemacht zu haben. Das merkt man<br />
vor allem live, wo die Band eine mitreißende Party veranstaltet,<br />
die elegant die Waage hält zwischen besoffen-ausgelassener<br />
Fröhlichkeit und nachdenklicheren Momenten,<br />
wenn King etwa Johnny Cash oder seinem verstorbenen<br />
Vater Songs widmet. Dumm ist es allerdings, wenn besonders<br />
originelle Schreiberlinge FLOGGING MOLLY ausschließlich<br />
auf platte Saufmusik reduzieren wollen, denn<br />
King ist ein exzellenter Songwriter, der dem Output seiner<br />
Band immer wieder sehr emotionale Momente beschert,<br />
wo die eine oder andere Träne schon mal das Guinness verwässern<br />
kann. Das komplette Konzert gibt es auf zwei CDs<br />
und einer DVD (auf der sich unter anderem auch noch alle<br />
Band-Videos befinden). Und auch wenn mir in der Regel<br />
Live-CDs lieber sind, ziehe ich hier ganz klar die DVD vor<br />
(zu mal der Sound auch etwas kraftvoller wirkt), denn<br />
King und seine Band zusammen auf der Bühne agieren zu<br />
sehen, ist schon kein ganz unwichtiger Faktor, wenn man<br />
FLOGGING MOLLY in ihrer Gesamtheit genießen will.<br />
Zumal King auch ein perfekter Entertainer ist, der selbst<br />
die dröge Vorstellung der Mitmusiker extrem unterhaltsam<br />
gestalten kann. Ein wirklich schönes Package im opulent<br />
ausgestatteten Digipak (leider mit einigen peinlichen<br />
Schreibfehlern) mit einer mitreißenden Live-Show, durch<br />
die man wirklich Fan werden könnte, falls man es nicht<br />
schon längst ist. (8) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
BLACK FRANCIS<br />
Nonstoperotik<br />
CD | Cooking Vinyl | cookingvinyl.com | 36:55 ||<br />
Im letzten Jahr, nach dem sehr schönen GRAND DUCHY-<br />
Album zusammen mit Ehefrau Violet Clark, hatte ich mich<br />
wieder etwas mit dem ungebrochenen Schaffensdrang <strong>von</strong><br />
Black Francis aka Frank Black aka Charles Thompson angefreundet.<br />
Jetzt gibt es ein weiteres Album unter eigenem<br />
Namen und es fällt erst mal auf, dass Francis allzu offensichtliche<br />
Singer/Songwriter-Stereotype zu vermeiden<br />
versucht. Stattdessen gibt es recht trockene (Hard)Rock-<br />
Songs, die <strong>von</strong> leicht schrägen, folkigen Midtempo-Nummern<br />
kontrastiert werden, die auch schon mal einen barocken<br />
Pop-Bombast besitzen, wie etwa der amüsant-kitschige<br />
Titeltrack. Man ist ja schon immer froh, wenn<br />
einen Black Francis überhaupt noch irgendwie überraschen<br />
kann, und das tut er auf „Nonstoperotik“ durchaus<br />
gekonnt, wo der Mann mal wieder etwas wagemutiger<br />
klingt und etwas <strong>von</strong> seiner früheren songwriterischen<br />
Brillanz und dem Irrsinn der PIXIES an den Tag legt. Insofern<br />
besitzt „Nonstoperotik“ erfreulicherweise eine Qualität,<br />
die das Album zu einem der besseren in Blacks Schaffen<br />
der letzten Jahre macht. Parallel dazu bietet Black<br />
übrigens aktuell auch noch auf seiner Website eine limitierte,<br />
hübsch ausgestattete Sammleredition seiner gar<br />
nicht üblen Musik für den expressionistischen deutschen<br />
Stummfilm „Der Golem“ für schlappe 90 Dollar an – fast<br />
schon wieder schade, das wäre sicher nicht nur für extreme<br />
Black-Fans interessant. (7) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
FRIGHTENED RABBIT<br />
The Winter Of Mixed Drinks<br />
CD | Fat Cat | fat-cat.co.uk | 45:39 || Es kommt bei<br />
jeder Band mal der Moment, wo sie ihre Unschuld verliert<br />
und versucht, ein breiteres Publikum zu erreichen,<br />
was sich oft in einer polierteren Herangehenweise beim<br />
Songwriting niederschlägt. Nichts gegen fette Produktionen,<br />
so was kann Spaß machen, wenn das aber darin resultiert,<br />
dass die Band dabei jeglichen Biss verliert, geht der<br />
Schuss eher nach hinten los. Bei den Schotten FRIGHTE-<br />
NED RABBIT, deren Album „The Midnight Organ Fight“<br />
ich ganz exzellent fand, ist die Suche nach dem großen<br />
Pop-Moment offenbar dem Bemühen gewichen, diesen<br />
mit der Brechstange auch wirklich finden zu wollen. Der<br />
bisherige spartanische schrammelige Folk wird fast vollständig<br />
<strong>von</strong> verspieltem, nicht unsympathischen Kammerorchesterpop<br />
überlagert, eine recht einseitige Angelegenheit,<br />
denn die Schotten klingen dabei nur noch selten<br />
wirklich rauh und kantig. Ähnliches konnte man auch<br />
beim letzten Album ihrer Landsleute SONS AND DAUGH-<br />
TERS feststellen. Unter dem Strich kommt dabei zwar<br />
immer noch akzeptabler, niveauvoller und sogar irgendwie<br />
origineller Indierock heraus, aber mir fehlen da abseits<br />
ganz hübscher Melodien offen gesagt die wirklich mitreißenden<br />
Momente. (5) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
FUCK YOUR SHADOW FROM BEHIND<br />
Freigeist<br />
CD | Bastardized | bastardized.de | 41:36 || Wer<br />
beim Bandnamen jetzt an irgendeine Form <strong>von</strong> Comedy-<br />
Musik denkt, irrt gewaltig. Stattdessen kommen hier mal<br />
eben so ein paar Jungspunde daher, nehmen mit ihrem<br />
Namen gekonnt Deathcore-Klischees auf die Schippe und<br />
hauchen gleichzeitig dem Genre neues Leben ein. Dabei<br />
verzichten sie fast komplett auf Simpel-Mosh-Parts und<br />
bewegen sich stattdessen gekonnt zwischen technischem,<br />
rhythmisch verstracktem Metalcore à la MISERY SIGNALS<br />
und melodischem wie brutalem Death Metal der Marke<br />
THE BLACK DAHLIA MURDER, worüber die zwei Frontmänner<br />
sich regelrecht die Seele aus dem Leib brüllen.<br />
Besonders schön ist, dass die Musik zwar durchweg wenig<br />
mit Hardcore zu tun hat, die Texte sich aber unter anderem<br />
auch kritisch mit den Themen Rassismus („Es war die<br />
Zeit“) und Religion („Die Abkehr“) auseinandersetzen. Mit<br />
generell absolut unpeinlichen, poetischen deutschen Texten<br />
und einer Professionalität, die national im Genre ihres-<br />
gleichen sucht, machen FYSFB selbst die lange Wartezeit<br />
auf ein ganzes Album nach dem vorzüglichen Demo <strong>von</strong><br />
2007 vergessen. Definitiv eines der Highlights des Jahres.<br />
(9) Andreas Kuhlmann<br />
GGG<br />
THE GREAT ST. LOUIS<br />
In Your Own Time<br />
CD | Boss Tuneage/Cargo | bosstuneage.com | 26:11<br />
|| St. Louis liegt im US-Bundesstaat Missouri. Trotzdem<br />
muss ich beim Hören <strong>von</strong> „In Your Own Time“ sofort an<br />
Florida denken, und<br />
das, obwohl THE GREAT<br />
ST. LOUIS aus England<br />
kommen. Trotz aller<br />
räumlichen Verwirrung<br />
machen alle drei Ortsangaben<br />
Sinn. Ihrem eigenen<br />
Bandnamen werden<br />
THE GREAT ST.<br />
LOUIS bereits in den ersten<br />
zehn Sekunden des<br />
Albums gerecht, das mit<br />
einem sehr nach Mississippi<br />
klingendem Gitarrenriff<br />
beginnt. Jede Angst vor einer unerträglichen Southern-Rock-Platte<br />
verfliegt aber spätestens mit dem Einsetzen<br />
des Gesangs. Was hier präsentiert wird, ist nicht<br />
etwa albernes Cowboy-Gehabe, sondern heiseres Herausbellen<br />
<strong>von</strong> Trostlosigkeiten, auf die schon das in Brauntönen<br />
gehaltene Cover im Einsame-Scheunen-Look vorbereitet<br />
hat. Auf „In Your Own Time“ findet man zehn<br />
solide Midtempo-Punkrock-Songs, getragen vor allem<br />
<strong>von</strong> der Stimme des Sängers, die sehr an Mike Hall <strong>von</strong><br />
GUNMOLL/IN THE RED und damit auch an HOT WATER<br />
MUSIC und Co. erinnert. Es ist kein Zufall, dass THE GREAT<br />
ST. LOUIS zusammen mit eben jenen Kollegen aus Florida<br />
auf dem 2008 erschienenen LEATHERFACE-Tribut (Rubber<br />
Factory) zu finden sind, womit wir den Bogen zurück<br />
nach England geschlagen hätten. Obwohl THE GREAT ST.<br />
LOUIS mit „In Your Own Time“ also den Whiskeystimmen-Punkrock<br />
nicht neu erfinden, kann man man das<br />
Album getrost als hörenswerte Erweiterung dieser rauhgeschliffenen<br />
Schublade betrachten. (8) Gunnar Baars<br />
GRAMOPHONE ALLSTARS<br />
Simbiosi<br />
CD | Liquidator | liquidatormusic.com | 58:50 ||<br />
Die spanischen GRAMOPHONE ALLSTARS machen auf<br />
„Simbiosi“ da weiter, wo sie mit ihrem Vorgängeralbum<br />
„Just Delightin’ ...“ aufgehört haben – ein technisch perfekt<br />
dargebotener Mix aus Jazz und Ska. Der Einfachheit halber<br />
oder als Tribut an die alte Vinylscheibe gibt es auf „Simbiosi“<br />
diesmal zwei Seiten, während die ersten sechs Songs<br />
eindeutig jamaikanisch gewürzt sind, tauchen die letzten<br />
sechs Songs tief in jazzige Sphären ein. Sehr viel bemerkenswerter<br />
finde ich es, mit welcher Leichtigkeit die achtköpfige<br />
Band im ersten Teil Soul-, Ska- und Jazz-Elemente<br />
verknüpfen. Die jazzige Stimme <strong>von</strong> Judit Neddermann<br />
kommt bereits hier voll zur Geltung. Im zweiten Teil ist das<br />
Jamaikafeeling zwar noch vorhanden, aber es geht dann<br />
doch klar in Richtung Cool-Jazz à la Chet Baker. Ganz hervorragend<br />
umgesetzt, mit viel Raum für individuelle und<br />
raffiniert ausgefeilte Jazz-Arrangements. Eine hervorragende<br />
Platte, um Ska- und Jazzfreunde zusammenzubringen.<br />
(8) Kay Werner<br />
GREAT CRUSADES<br />
Fiction To Shame<br />
CD | Glitterhouse | glitterhouse.com | 51:51 ||<br />
GREAT CRUSADES aus Chicago legen auch auf ihrem siebten<br />
Album „Fiction To Shame“ einen gefälligen Mix aus<br />
Rhythm & Blues, Glam, Punk- und Wüstenrock sowie<br />
60s-Garagenbeat vor. Teilweise wirken die Songs etwas<br />
düster und gehen eher in die Richtung BAD SEEDS statt<br />
GODFATHERS, vielleicht liegt es daran, dass sich die Texte<br />
eher mit den schattigen Seiten des Lebens beschäftigen.<br />
Drei der vier Bandmitglieder heißen mit Vornamen übrigens<br />
Brian, ist das ein Zufall? Die vier kennen sich bereits<br />
seit der fünften Klasse und machen seit Ende der Neunziger<br />
Jahre Musik. Der Schlagzeuger Christian Moder hätte<br />
Anfang 2008 fast das Zeitliche gesegnet, denn während der<br />
Aufnahmesession führte eine nicht beziehungsweise fast zu<br />
spät diagnostizierte Blinddarmentzündung zu einer Not-<br />
OP und einer längeren Zwangspause. Auf einer Europatournee,<br />
mit Moder, wurden dann die neuen Songs getestet<br />
und schließlich 2009 mit neuen Erkenntnissen und Gastmusikern,<br />
zum Beispiel am Cello, eingespielt. Das Ergebnis<br />
ist gelungen und im Vergleich zum Vorgängeralbum etwas<br />
melancholischer ausgefallen. (8) Kay Werner<br />
GUTS PIE EARSHOT<br />
Chapter Two, Volume Two<br />
CD | Major Label/Broken Silence | majorlabel.de ||<br />
Ein Album nach einigen Jahren erneut aufzunehmen, es<br />
mit den zwischenzeitlich gemachten Erfahrungen zu spicken,<br />
es abzurunden – daran denken sicher viele Bands.<br />
2004 schrumpften GPE nach über zehnjähriger Schaffenszeit<br />
<strong>von</strong> einem Quintett zu einem Duo. Das Ergebnis<br />
dieser Reduktion war der Release „Chapter One, Volume<br />
Two“ im Jahre 2006. Schon für sich genommen ein großartiges<br />
Album dieses ungewöhnlichen Drum & Cello-<br />
Duos. Knappe vier Jahre später nahmen sie die Stücke also<br />
erneut auf, speckten sie ab, mixten und masterten sie neu.<br />
Am Ende wurde aus zwei CDs eine, konzentriert, fokussiert<br />
auf das Wesentliche. Der Sound wirkt kompakter, viele<br />
Stücke erkennt man kaum wieder, aber dies ist durchaus<br />
gewollt. Liegt ihr Augenmerk immer noch auf dem Spielen<br />
<strong>von</strong> klassischen Konzerten, trifft man sie doch gehäuft auf<br />
Partys an, deren Besucher sie über Stunden mit ihrem vertrackten<br />
Mix aus Punk, Folk, Breakbeats und handgemachtem<br />
Techno beschallen. (8) JeNnY Kracht<br />
GUTS PIE EARSHOT<br />
Give Away<br />
CD | Major Label/Broken Silence | majorlabel.de<br />
|| Als ich Anfang letzten Jahres mit den Jungs über ihre<br />
neuen Aufnahmen sprach (Ox #82), ließen sie schon erahnen,<br />
dass es diesmal bei einem Album in eine etwas andere<br />
Richtung gehen würde. „Karaoke-reverse“ stand auf dem<br />
Plan der beiden, die seit 2004 ohne ihre Sängerin und<br />
ihren Bassisten unterwegs sind. So luden sie befreundete<br />
Musiker und GPE-Seitenprojekte ein, ihre Stücke zu verfeinern,<br />
diese mit Gesang und Samples anzureichern. So<br />
entstand eine höchst ungewöhnliche Mischung an GPE-<br />
Songs, mal mit HipHop, Rap oder Techno-Samples überlagert.<br />
Für ein Stück gesellte sich auch ihre alte Sängerin<br />
Anneke hinzu – und ich muss sagen, ihr Stück gefällt mir<br />
immer noch am besten. (8) JeNnY Kracht<br />
GUNSLINGERS<br />
Manifest Zerø<br />
LP/CD | World In Sound | worldinsound.com |<br />
30:09 || Als letztes Jahr das Debüt <strong>von</strong> den GUNSLIN-<br />
GERS erschienen ist, war dies mehr als nur die Überraschung,<br />
durch einen unverhofft ins Haus schneienden,<br />
musikalisch und gestalterisch herausragenden Tonträgers,<br />
dabei verblüffte vor allem eine Soundwall, die irgendwo
zwischen Psychedelic und Noise ihre Heimat finden<br />
würde. Diese Richtung haben die GUNSLINGERS weiter<br />
verfolgt und noch an einem dichteren Song- und Soundgefüge<br />
für das neue Album gearbeitet. „Manifesto Zerø“<br />
walzt einen mit seinen sechs Tracks kurz nach einem schräg<br />
angesagten Intro ohne zu zucken nieder und man erblickt<br />
das Licht der Welt erst wieder nach ein wenig mehr als<br />
dreißig Minuten, um sich zu schütteln und – Nadel wieder<br />
in die Rille. Nochmal. Nochmal. Nochmal. Es ist wie<br />
beim ersten Album – es wird einfach nicht langweilig.<br />
Auch nicht nach zwanzigmal nacheinander Hören. Die<br />
GUNSLINGERS sind keine Eintagsfliege. Super! Das zweite<br />
Album ist der Hammer – das war nicht leicht. Absoluter<br />
Psychedelic Overdrive! (9) <strong>Thomas</strong> <strong>Neumann</strong><br />
GRACE.WILL.FALL / LOWER THAN<br />
ATLANTIS / TALK RADIO TALK /<br />
MNMNTS<br />
Split<br />
10“ | Redfield/Cargo | redfield-records.de || Vier<br />
Bands treffen sich auf einer campino-orangenen 10“<br />
(einer <strong>von</strong> 125, die anderen 375 haben andere Farben),<br />
die schon optisch lecker<br />
anmutet. Süßer Zuckerkram<br />
ist der Inhalt allerdings<br />
nicht, eher so was<br />
wie ein Pfefferbonbon:<br />
Den Anfang machen<br />
die geschätzten Schweden<br />
GRACE.WILL.FALL,<br />
deren letztes Album auf<br />
Midsummer mit seinem<br />
an MODERN LIFE IS<br />
WAR erinnernden Hardcore<br />
ausgesprochen gut<br />
zu gefallen wusste. Es folgen<br />
die Engländer LOWER THAN ATLANTIS (Album dieser<br />
Tage auf Redfield), die düster und druckvoll zur Sache<br />
gehen, aber auch eine gewisse Melodiösität aufweisen und<br />
mit „Far Q“ eine recht atmosphärische Stimmung erzeugen.<br />
Guter Sänger – ich mag rauhe Stimmen. Auf der Flipside<br />
dann TALK RADIO TALK und MNMNTS. Erstere kommen<br />
aus Stade, und spätestens mit ihrem 2008er-Album<br />
auf Swell Creek sollte man sie wahrgenommen haben,<br />
sofern man auf melancholischen, verzweifelten, heiser<br />
gebrüllten Gesang und die dazu passende düstere, langsamere<br />
Version <strong>von</strong> Hardcore steht. „This cave is for heroes“<br />
ist ein neuer Song <strong>von</strong> 2009, und ich bin gespannt, was<br />
man <strong>von</strong> ihnen 2010 noch zu hören bekommt. Zum<br />
Schluss dann noch MNMNTS, die man schätzungsweise<br />
wohl „Monuments“ ausspricht und mächtig groovenden,<br />
pumpenden und doch auch melodiösen Hardcore mit<br />
einer ordentlich Alternative-Rock-Kante sowie – erkenne<br />
ich da eine rote Linie bei dieser 10“? – heiserem, verzweifeltem<br />
Gesang aufwartet. Schöne Musik, schönes Format,<br />
schöne Farben, schönes Artwork. (8) Joachim Hiller<br />
GOLDUST<br />
Destroyer / Borderlines<br />
CD | Let It Burn | letitburnrecords.com | 38:47<br />
|| Nachdem die Münsteraner GOLDUST jüngst <strong>von</strong> Let<br />
It Burn gesignt wurden liegt mit dem insgesamt zweiten<br />
Album der Band nun das erste Ergebnis dieser Zusammenarbeit<br />
vor. Ein weiteres Mal beweisen GOLDUST ein<br />
Händchen für knackige Hardcore-Eruptionen fernab jeglicher<br />
Bollo- oder Metalcore-Attitüde. Äußerst druckvoll<br />
hobelt man sich durch die zwölf neuen Songs, die sich bei<br />
genauem Hinhören auch sehr gut auf einer Deathwish-<br />
Platte gemacht hätten, lässt man doch insbesondere Ähnlichkeiten<br />
zu Bands wie RISE AND FALL und bedingt sogar<br />
den DOOMRIDERS erkennen. Ein Labeleinstand nach Maß<br />
möchte man da auch gleich vermuten, womit man sicher<br />
so falsch gar nicht liegen kann. Wer auch nur Ansatzweise<br />
mit oben genannten Bands etwas anfangen kann, sollte hier<br />
zugreifen. (8) Jens Kirsch<br />
THE GILDED PALACE OF SIN<br />
You Break Our Hearts, We’ll Tear Yours Out<br />
CD | Central Control | dersire.com | 50:58 ||<br />
Zehn Songs zwischen Tom Waits, CALEXICO und Americana<br />
meets dunklen Country Rock, obgleich die Band,<br />
die sich nach einem wegweisenden Country-Rock-<br />
Album der FLYING BURRITO BROTHERS aus dem Jahre<br />
1969 benannt hat, aus Manchester stammt und <strong>von</strong> keinem<br />
Geringeren als Barry Adamson (ex-BAD SEEDS, ex-<br />
MAGAZINE) entdeckt wurde und auch auf seinem Label<br />
Central Control veröffentlicht. Zum Teil sind die Songs sehr<br />
schroff und sperrig und man muss sich bewusst mit ihnen<br />
auseinandersetzen. Der warme Flow, wie man ihn <strong>von</strong> vielen<br />
CALEXICO-Songs kennt, findet sich nur in reduzierte<br />
Form bei dem Trio wieder. Ein findiger Kritiker nennt es<br />
„Noir Western Soundscapes“ und das trifft es ziemlich gut.<br />
Bei der Band kommt alles zum Zuge, <strong>von</strong> der Ukulele und<br />
der Harmonika bis hin zum Glockenspiel – und das meist<br />
etwas schräg in der Kombination. Oft wird auch nicht im<br />
herkömmlichen Sinne gesungen, sondern eher geraunt,<br />
gestöhnt, geschrien: was einem die Weite und Härte der<br />
Steppe eben emotional so alles abverlangt. (7)<br />
Markus Kolodziej<br />
GOLDHEART ASSEMBLY<br />
Wolves And Thieves<br />
CD | Fierce Panda/Cargo | fiercepanda.co.uk | 50:46<br />
|| Sechs junge Musiker aus Englands Hauptstadt veröffentlichen<br />
im März ihren ersten Longplayer. 2008 gegründet,<br />
machte die Band bislang mit Live-Auftritten unter<br />
anderem beim Glastonbury Festival, den Open Airs in Reading<br />
und Leeds auf sich aufmerksam. Aber wenn es nach<br />
dem NME geht, dürften die Protagonisten Jake Bowser<br />
(keys, vox), James Dale (vox, bass), Nicky Francis (drums,<br />
vox), <strong>Thomas</strong> Hastings (vox), John Herbert (vox, git) und<br />
Dominic Keshavarz (lead git, vox) wohl die englischen<br />
FLEET FOXES werden. Diese „Neu-Interpretation“ folkloristischer<br />
Musik wurde in einem selbstgezimmerten Studio<br />
neben den alten Dampfmaschinen des Forncett Industrial<br />
Steam Museums im britischen Norfolk aufgenommene<br />
und <strong>von</strong> Laurie Latham (ECHO & THE BUNNYMEN,<br />
SQUEEZE, IAN DURY & THE BLOCKHEADS) abgemischt.<br />
Elf Songs (plus Interlude), irgendwo zwischen Popballaden<br />
(inklusive choralen Gesängen) und Folk, gut gemacht –<br />
besser gesagt: gut kopiert, aber meine Tasse Tee ist das nicht.<br />
(5) Jürgen Schattner<br />
GARDEN GANG<br />
The Master Plan<br />
MCD | Schlecht & Schwindlig/NMD | schlechtundschwindlig.de<br />
| 9:08 || GARDEN GANG ist eine deutsche<br />
Band aus der Nähe <strong>von</strong> München, 1992 gegründet<br />
und inzwischen mehrfach umbesetzt. Beeinflusst vom<br />
Rock’n’Roll der Fünfziger, <strong>von</strong> der Beatmusik der Sechziger,<br />
vom Punk der Siebziger Jahre und vom New Wave<br />
der späten Achtziger, spielt die Band Punkrock mit ausschließlich<br />
englischen Texten. „Wave’n’Punk & Glam-<br />
Rock-Stomp im orchestral-schimmernden Pop-Gewand“<br />
nehme ich gerne als Zitat <strong>von</strong> der Homepage. Das hier ist<br />
die Vorab-EP zum kommenden Album. Der Titeltrack „The<br />
masterplan“ bedient sich ein wenig bei DAMNED, BOYS<br />
und 999. Das sind schmackhafte Zutaten und das Ergebnis<br />
kann sich auch gut hören lassen. Als Bonus gibt es den<br />
Videotrack „Eurodisneyland tomorrow“, geschrieben <strong>von</strong><br />
TV Smith. Der lässt sich auf meinem Rechner leider nicht<br />
abspielen, schade. Wir sind gespannt auf das Album. (7)<br />
Jürgen Schattner<br />
GUNS ON THE RUN<br />
The Spirit Is Eternal<br />
CD | Warbird | warbirdentertainment.com | 34:18<br />
|| „The Spirit Is Eternal“ ist schon das vierte Album der<br />
Band aus Philadelphia, PA – das Debüt „For Glory“ erschien<br />
2006 auf Blackout Records. Der Vierer bezieht sich in seinen<br />
Einflüssen sowohl auf frühen US-Hardcore wie auf<br />
englischen Oi! und Aussie-Rock à la ROSE TATTOO und<br />
AC/DC, ist in der Ausführung dann aber doch recht simpel:<br />
melodiöser Streetpunk, für Fans <strong>von</strong> GENERA-<br />
TORS, SOCIAL DISTORTION und COCK SPARRER tauglich,<br />
mit einer guten Nase für hymnische Refrains. Das ist<br />
weder innovativ noch ungewöhnlich, aber je öfter man das<br />
Album hört, desto mehr bleibt hängen und man ertappt<br />
sich beim Mitsingen der Refrains. Apropos: Textlich sind<br />
GUNS ON THE RUN der amerikanischen Working Class<br />
verbunden, thematisieren immer wieder das Leben in<br />
einer armen Arbeiterfamilie in heruntergekommenen<br />
Vorstädten, zwischen Arbeitslosigkeit, Alkoholmissbrauch<br />
und Hoffnungslosigkeit, verbunden mit dem Gefühl der<br />
Ohnmacht der großen Politik gegenüber. Manchmal ist das<br />
etwas pathetisch, aber dann doch knapp vorbei an Phrasendrescherei.<br />
(7) Joachim Hiller<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
GENERAL FIASCO<br />
Buildings<br />
CD | Infectious/Pias | pias.com | 36:31 || Das nordirische<br />
Teenager-Trio mit den Brüdern Owen und Enda<br />
Strathern ist, so scheint es, auf einem guten Weg. Ihren ersten<br />
Gig hatten sie beim Glasgowbury Festival 2007, dem<br />
größten Festival für unsigned Bands in Nordirland und<br />
danach ging es direkt auf die BBC Introducing Stage beim<br />
Leeds- und Reading-Festival. Dann waren die damals 17bis<br />
18-Jährigen mit Bands wie SNOW PATROL und THE<br />
PIGEON DETECTIVES unterwegs und touren dieser Tage<br />
mit THE BLACK BOX REVELATION durch Deutschland.<br />
Immer schneller scheint sich das Rad zu drehen, immer<br />
jünger die Bands, die aus dem Nichts kommen, tolle Supports<br />
spielen, ihr Debüt veröffentlichen und nach wenigen<br />
Jahren für immer verschwinden. Bei GENERAL FIASCO<br />
fällt mir eine Prognose schwer. Für ihr Alter ist schon sehr<br />
gutes Songwriting und musikalisches Können vorhanden.<br />
Tolle Produktion, schickes Video am Start, aber wer<br />
braucht den x-ten Aufguss all dieser hippen englischen<br />
Post-Punk-Wave-Bands? (6) Jürgen Schattner<br />
GOLDEN HELMETS<br />
Transatlantic<br />
CD | High Noon/Cargo | myspace.com/highnoonrecs<br />
| 32:52 || Ich vermisse in Deutschland eine bumsgeile<br />
Combo, die einem mal wieder richtig die Hüften<br />
kreisen lässt. Eine Band die kaputt gerockte Tanzflächen<br />
hinterlässt, auf denen sich der Schweiß in Pfützen sammelt.<br />
Eine Band, nach deren Konzerten im Taumel der Leidenschaft<br />
uneheliche Kinder gezeugt werden. Die Energie<br />
muss stimmen! In den letzten Jahren konnten das gelegentlich<br />
die HARA-KEE-REES umsetzen oder auch KING<br />
KHAN & HIS SHRINES. Eine Band, die aber oft übersehen<br />
wurde, waren die GOLDEN HELMETS. Meine Güte,<br />
was habe ich <strong>von</strong> denen für grandiose Live-Shows gesehen!<br />
Und jetzt haben sie endlich ihre Debütscheibe „Transatlantic“<br />
draußen. Ein dreckiges Dutzend sexy Tanzflächenfeger<br />
ist drauf, irgendwo zwischen SONICS-Garagepunk, Northern<br />
Soul, Aussie-Punk à la SAINTS und fortgeschrittenem<br />
Farfisa-Wahnsinn. Und die Mischung zündet, auch wenn<br />
es schwer ist die Live-Energie der GOLDEN HELMETS auf<br />
Konserve zu bannen. Die Band bekommt das aber ganz gut<br />
hin, denn mit (Ex-)Musikern der DIRTSHAKES, BATT-<br />
LEDKYES, SHELLS oder auch CURLEE WURLEE sind hier<br />
echte Fachmänner am Werk. Leider ist das Album (ähnlich<br />
wie der ebenfalls grandiose JIZZLOBBERS-Longplayer)<br />
vorerst wohl nur auf CD erhältlich. Vinyl hätte besser<br />
gepasst. Bei Typen, die auf dem Cover Mick Jagger im<br />
Rückspiegel haben, kann man aber generell nichts falsch<br />
machen. Prima Scheibe! (9) Bernd Fischer<br />
GRUPPE 80<br />
s/t<br />
LP/CD | Crauts | myspace.com/gruppe80 | 31:54<br />
|| Ein billiger Trick, aber er hat funktioniert: Aus der CD-<br />
Hülle ragt etwas heraus, was wie ein 50-Euro-Schein aussieht,<br />
und irgendwie ist<br />
der Mensch so gepolt,<br />
dass beim Anblick <strong>von</strong><br />
bei Geld das Hirn den<br />
Händen sofort den<br />
Befehl „Zugreifen!“<br />
erteilt. Im Ox-Büro hat<br />
das mehrfach geklappt,<br />
und wäre es nicht ein<br />
80-Euro-Schein, wir<br />
wären sofort mit der<br />
Kohle in die nächste<br />
Kneipe gegangen. Da wir<br />
nicht bestechlich und<br />
auch nicht beleidigt sind, haben wir die Scheibe trotzdem<br />
auf- beziehungsweise eingelegt und waren, ja, sind begeistert:<br />
Mag ja sein, dass dieser Frühachtziger-NDW-Sound<br />
sich derzeit einer gewissen Beliebtheit erfreut, ich erinnere<br />
nur an HERPES oder 1000 ROBOTA (TREND nicht zu vergessen,<br />
die das schon länger erkannt haben), aber so lange<br />
Neo-NDW kein Massentrend wird und wir nicht gezwungen<br />
sind, die Geschichte zu wiederholen, habe ich überhaupt<br />
nichts gegen bewusst naive Texte mit Augenzwinkern,<br />
gegen simple Synthie-Bleeps und hektisch-stakkatohafte<br />
Musik. Solche nämlich bringen GRUPPE 80 zu Gehör,<br />
die aus Bremen kommen, seit 2008 ihren Spaß an solchen<br />
Sounds entdeckt haben und für ihr Debüt gleich 18 Stücke<br />
eingespielt haben, die <strong>von</strong> DEVO bis FEHLFARBEN, <strong>von</strong><br />
WIRE bis ABWÄRTS, <strong>von</strong> KRAFTWERK bis NOVOTNY<br />
TV eine ganze Menge Einflüsse verwursten. Gerade textlich<br />
erinnert der Fünfer, dem eine gewisse Nähe zu den<br />
ebenfalls in Bremen ansässigen COOL JERKS nachgesagt<br />
wird, an die famosen NOVOTNY TV, und sowieso sind die<br />
GRUPPE 80-Lyrics ein riesiger Spaß, wird doch hier sehr<br />
geschickt mit Klischees gespielt und dennoch Attitüde<br />
ohne Plattitüden vermittelt. Großer Spaß! (9)<br />
Joachim Hiller<br />
GLORYTELLERS<br />
Atone<br />
CD | Southern/Soulfood | southern.com | 34:55 ||<br />
Geoff Farina ist für mich ein persönlicher Problemfall: Mit<br />
KARATE hatte er Mitte der Neunziger Jahre mal sehr stark<br />
begonnen, um später dann immer mehr mit schwachbrüstigem<br />
Jazz-Gedudel zu nerven. Und dabei möchte ich den<br />
Kerl doch lieb haben – seine Stimme habe ich schon immer<br />
gemocht, und so grundsätzlich falsch war sein Songwriting<br />
ja auch nie. KARATE gibt es inzwischen nicht mehr<br />
und „Atone“ ist das zweite Album unter dem Namen GLO-<br />
RYTELLERS. Und auch hier stört direkt der Schlaffheitsgrad<br />
des Ganzen, der auf überwiegend akustischen Gitarrensounds<br />
basiert, gerockt wird also mal wieder nicht. Die<br />
GLORYTELLERS präsentieren sich dabei als eine Folkband<br />
rEvIEws<br />
mit beschwingt lateinamerikanischer Note, was zu einem<br />
sehr entspannten Gesamtbild führt. So ganz kann Farina<br />
zwar nicht <strong>von</strong> leiernden Jazz-Einlagen lassen, aber ich<br />
kann mich diesmal dennoch ganz gut auf das lässige folkloristische<br />
Feeling <strong>von</strong> „Atone“ einlassen, das dann doch<br />
mehr Charme als das oftmals unfokussierte Gedudel <strong>von</strong><br />
KARATE besitzt. Man könnte sogar das Gefühl bekommen,<br />
dass in „Atone“ ein echter Grower steckt. (6)<br />
<strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
GOOD WEATHER GIRL<br />
Boon<br />
CD | Hazelwood | hazelwood.de | 34:19 || Was das<br />
Frankfurter Label Hazelwood Vinyl Plastics so sympathisch<br />
macht ist die Begeisterung, die dort bei aller Professionalität<br />
jeder Veröffentlichung zu Grunde liegt. Hier sind alte<br />
Hasen als Überzeugungstäter aktiv, und das hat was mit<br />
Begeisterung zu tun. Begeisterung, die sich einstellte, als<br />
unter anderem der erste Song des Albums in den Untiefen<br />
des World Wide Web aufgestöbert wurde und man ahnte,<br />
was für eine Perle sich unter dieser verrauschten Aufnahme<br />
versteckt. Diverse Gespräche und Mails später landeten die<br />
Urheber dieser so begeisternden, zerbrechlichen, spröden<br />
Songs in Frankfurt, um dieses Album aufzunehmen, und<br />
die beiden Geschwister Dion und Shem Lucas aus London<br />
entpuppten sich als die Sprösslinge <strong>von</strong> Soo Catwoman,<br />
jener Punk-Frau, die wegen ihrer markanten Katzenohren-Frisur<br />
zur vielfotografierten Ikone der frühen<br />
Londoner Punkszene wurde. Da das Girl/Boy-Duo seinen<br />
Plattenvertrag in Unkenntnis dieser Tatsache bekam, ist es<br />
schon beinahe unfair, diese Aufmerksamkeit erregende Tatsache<br />
zu ewähnen, doch dem steht entgegen, dass „Boon“<br />
alle Aufmerksamkeit verdient hat. Mag alle Welt abraven<br />
auf irgendwelche neuen Antifolk-Helden, die mir allesamt<br />
nichts geben, so ist es diese minimalistische, lakonische,<br />
simple Platte mit dem nur wenige Tonlagen erkundenden<br />
Gesang Dions, die mit jedem weiteren Hören mehr fasziniert.<br />
Begleitet wird sie <strong>von</strong> Schlagzeug und Gitarre sowie<br />
etwas Geige, und auch wenn man hier sicherlich die Kirche<br />
im Dorf lassen und Superlative meiden sollte, so ist „Boon“<br />
doch ein faszinierendes, irgendwie anrührendes Werk. (8)<br />
Joachim Hiller<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
GAMA BOMB<br />
Tales From The Grave In Space<br />
CD | Earache | earache.com | 30:55 || Das dritte<br />
Album der Iren GAMA BOMB (Nummer zwei für Earache),<br />
die sich dem Thrash der Marke ANTHRAX und Kollegen<br />
verschrieben haben und das mit allem, was dazugehört<br />
– Stretchjeans, Basketballschuhe mit überdimensionaler<br />
Zunge und so weiter. Dabei geht die Band auf „Tales<br />
From The Grave In Space“ handwerklich sehr solide zur<br />
Sache und versteht es auch textlich sehr zu unterhalten.<br />
Sicherlich wird man für Themen wie Zombies, Aliens und<br />
alles, was irgendwie eklig ist, keinen Originalitätspreis für<br />
sich beanspruchen können, aber wer will das auch schon?<br />
In der obligatorischen halben Stunde schroten sich GAMA<br />
BOMB durch zwölf Stücke und zaubern beim Hörer ähnlich<br />
gute Laune wie zuletzt die Spaßvögel <strong>von</strong> MUNICIPAL<br />
WASTE mit deren letzten Album. Nach wie vor boomt der<br />
Oldschool-Thrash-Sektor und solange dabei Platten wie<br />
„Tales From The ...“ entstehen, kann das auch gerne so weitergehen.<br />
(7) Jens Kirsch<br />
GREYLINE<br />
Behind The Masquerade<br />
CD | Black Death | blackdeathrecords.com | 42:38<br />
|| Was sich „Behind The Masquerade“, also hinter der<br />
Maskerade der holländischen Band GREYLINE versteckt,<br />
ist schwer zu sagen. Denn auch die neun Songs auf dem<br />
zweiten Werk verstecken sich gewissermaßen hinter einer<br />
Maske. Nicht umsonst ist die musikalische Vielfalt auf<br />
der knappen Dreiviertelstunde schwer zu durchschauen.<br />
So ist der Abschlusstrack „Mirrors“ eine schweres, tieftrauriges<br />
Monument in elf Minuten; gewissermaßen eine<br />
Reminiszenz an Philip Cope, den Mann, der für den Mix<br />
des Albums zuständig ist. Denn Cope ist nicht nur Gitarrist/Sänger<br />
<strong>von</strong> KYLESA, sondern hat ebenfalls „The Red<br />
Album“ <strong>von</strong> BARONESS produziert. Und beide genannten<br />
Bands dienten den vier Holländern genauso als Inspiration<br />
wie CLUTH oder ISIS. Darf man hier also schweren, tiefschwarzen<br />
Post-Hardcore erwarten? Darf man. Genauso<br />
wie Gothrock-Klänge der Marke THE 69 EYES, Uptempo-<br />
Hardcore-Geschrote oder düstere Westernsounds. Was für<br />
Leute stecken hinter der Maskerade, die solch eine verquere<br />
Musik spielen? Diese Frage kann ich nicht beantworten.<br />
Dafür kann ich aber jedem, der interessiert ist, den<br />
Tip geben, sich auf greyonline.nl das Album kostenlos herunterzuladen<br />
– und bei Gefallen sich das Digipak oder das<br />
Vinyl via Black Death Records anzuschaffen. (8)<br />
Arndt Aldenhoven<br />
BERLIN CITY EP<br />
− 10 inch plus CD −<br />
www.alive-ag.de<br />
www.xno.net<br />
OX-FANZINE 95
EvIEws<br />
BILL HORIST<br />
Covalent Lodge<br />
CD | North Pole | northpolerecords.org || Der Gitarrist<br />
Bill Horist ist auch in MASTER MUSICIANS OF BUK-<br />
KAKE (Conspiracy Records) aktiv und kann auf über 20<br />
Kooperationen mit<br />
Musikern wie KK Null,<br />
John Zorn, Trey Gunn<br />
(KING CRIMSON), William<br />
Hooker, Trey Spruance<br />
(MR. BUNGLE,<br />
SECRET CHIEFS 3),<br />
Eugene Chadbourne,<br />
Tatsuya Yoshida (RUINS)<br />
und vielen anderen<br />
zurückblicken. Seit er<br />
1995 nach Seattle zog,<br />
etablierte er sich als<br />
geschätzter Improvisations-,<br />
Kompositions- und Performancekünstler, tauchte<br />
in über 40 Aufnahmen auf und spielte an die 700 Konzerte<br />
auf dem ganzen Globus. Diese Umtriebigkeit erklärt<br />
auch diese unfassbar lange Liste an Gastmusikern, die sich<br />
ein Stelldichein auf diesem Album geben. Unter anderem<br />
konnte er Schlagzeuger Matt Chamberlain, der bereits für<br />
PERL JAM, Tori Amos, David Bowie oder GARBAGE die<br />
Felle traktierte, Sänger B.R.A.D. Moven (THE ACCÜSED,<br />
MMOB, ASVA), Eyvind Kang (ZORN, BECK, RIBOT) an der<br />
Viola und über ein Dutzend anderer erstklassiger Künstler<br />
um sich scharen. Und wer jetzt denkt, da wird beim Starten<br />
der CD der Weltuntergang über ihn hereinbrechen,<br />
der kann holzwegiger nicht unterwegs sein. Eine lieblichseichte<br />
Akustikgitarre, begleitet <strong>von</strong> Xylophon, Streichern<br />
und einem Chor empfängt einen fast fassungslos erstaunt<br />
– und mittendrin die sanfte Stimme <strong>von</strong> Bill Horist. Kann<br />
man angesichts der Beteiligten <strong>von</strong> Post-Hardcore sprechen<br />
oder muss man doch den guten alten Indie dazu<br />
bemühen? Am Ende bleibt das profane Gefühl, einer minimalistischen<br />
Schönheit mit großartigem Musikeraufgebot<br />
begegnet zu sein. Arrangiert wurde die Aufnahme <strong>von</strong><br />
Toningenieur und Produzent Randall Dunn (SUNN O))),<br />
BORIS, KINSKI, EARTH) in den Aleph Studios zu Seattle.<br />
(9) JeNnY Kracht<br />
TAYLOR HOLLINGSWORTH<br />
Life With A Slow Ear<br />
CD | Team Love | team-love.com | 34:46 || Mit großer<br />
Zwiespältigkeit trete ich diesem Album gegenüber. Seit<br />
dem ersten Album <strong>von</strong> Langhorne Slim vor bereits einigen<br />
Jahren hat mich Musik nicht mehr so in ihren Bann<br />
gezogen und vom ersten Ton an in Begeisterung versetzt.<br />
Sehr eigene Interpretationen <strong>von</strong> Desert-Rock verschmelzen<br />
mit Uptempo-Bluegrass und zeigen die besten Seiten<br />
amerikanischen Roots-Countrys. Melodien, die mich<br />
mitnehmen und dort berühren, wo mich nur ausgesprochen<br />
gute Musik erreichen kann. Doch, und jetzt muss ich<br />
diesem traumhaften musikalischem Glaspalast mit dem<br />
Hammer zu Leibe rücken, Taylor Hollingsworth hört sich<br />
an, als würde er als eine der amerikanischen Originalstimmen<br />
der Sesamstraße singen. Um nicht missverstanden zu<br />
werden: er singt melodiös, so, wie es den Songs angemessen<br />
ist, allein seine Stimme quäkt, quietscht und nölt, als<br />
würde Bob Dylan singen können, aber auf 45 laufen. Das<br />
ist sehr gewöhnungsbedürftig. Da die Hitdichte aber ungeheuer<br />
groß ist, vermute ich fast, dass ich diese Stimme nach<br />
zehnmaligem Durchlaufen irgendwann doch noch lieb<br />
gewinnen werde. (8) Claus Wittwer<br />
OX-FANZINE 96<br />
hhh<br />
HAPPY BIRTHDAY<br />
s/t<br />
CD | Sub Pop/Cargo | subpop.com | 33:09 ||<br />
Wenn man den ganzen Tag mit auf Hochglanz polierter<br />
Pop-Scheiße zugemüllt wird, dann ist ein bisschen<br />
LoFi zwischendurch ganz erfrischend. Das Label Sub Pop<br />
ist eine gute Wahl, wenn man auf der Suche nach etwas<br />
gewollt schludrig Produziertem ist. Und HAPPY BIRTH-<br />
DAY auch. Zwar debütiert das Trio aus Brattleboro in Vermont<br />
mit diesem Album, <strong>von</strong> den Mitgliedern Kyle <strong>Thomas</strong>,<br />
Ruth Garbus und Chris Weisman kann man vorher<br />
schon gehört haben: WITCH, ALABAMA THUNDER-<br />
PUSSY oder FEATHERS lauten vorherige Stationen. Die<br />
elf Songs des Debüts laufen gefällig durch, aber auch weitgehend<br />
harmlos. Der Ansatz ist Pop, der selbstverständlich<br />
durch gezielten Dilettantismus und Missklang torpediert<br />
wird. Bei einem Model würde man sagen, sie habe den Mut<br />
zur Hässlichkeit, HAPPY BIRTHDAY zeigen diesen Mut auf<br />
musikalischer Ebene. Hier wäre andersrum ein bisschen<br />
Feigheit ganz angebracht gewesen. Die hätte den Songs vermutlich<br />
gut getan. (6) Christian Meiners<br />
HARD TO BREATHE / DEATH ROW<br />
Grill Punx Split<br />
CD | 0-22 | myspace.com/022records | 23:34 || Ich<br />
will mehr da<strong>von</strong>. Mehr Underground, mehr D.I.Y.! Unsere<br />
Nachbarn in Polen, genauer gesagt: Warschau haben hier<br />
eine feine Split-CD auf die Pitbulls der HC-Community<br />
losgelassen und den Jungs nehme ich das auch ab,was sie so<br />
<strong>von</strong> sich geben. HARD TO BREATHE haben viel Achtziger-<br />
NYHC gehört und der Sänger klingt wie ein junger Roger<br />
<strong>von</strong> AF mit polnischem Akzent. Rough and tough covern<br />
sich beide Bands gegenseitig und auch DEATH ROW sind<br />
gut und erfrischend alte Schule und metalfrei. Dabei klingen<br />
sie nicht altbacken oder wie hundertmal gehört. Freue<br />
mich immer wieder, <strong>von</strong> Bands zu hören, die sich nicht tot<br />
touren bei uns und mit guter Attitude und Musik überzeugen.<br />
Die Aufmachung ist sehr gut und neben allen Texten<br />
und vielen Comics ist ein Stadtplan <strong>von</strong> Warschau enthalten,<br />
der euch zeigt, wo in der Stadt was los ist. Clubs,<br />
Proberäume, Falafel, Grill Punx Headquarters ... Also, auf<br />
nach Warschau.(8) Sebastian Walkenhorst<br />
HARMFUL<br />
Cause<br />
CD | Pias | piasgermany.de | 38:39 || Einfach nicht<br />
totzukriegen, diese Band aus Frankfurt. 18 Jahre, acht<br />
Alben, eine stolze Bilanz. Dabei schien die drei Jahre<br />
andauernde Kreativpause seit dem letzten Album schon zu<br />
einer Endlospause auszuufern – wenn nicht Billy Gould,<br />
Gitarrist auf dem HARMFUL-Album „7“ und jetzt wieder<br />
FAITH NO MORE-Mitglied, das Trio zu einem Konzert<br />
mit seiner neuen alten Band überredet hätte. Gesagt,<br />
getan, und prompt waren alle wieder angefixt. Das Ergebnis:<br />
„Cause“, das die Band nach eigener Aussage wieder<br />
zurück zu ihren Wurzeln führt. Mag sein, den Erfahrungsgewinn<br />
haben sie jedenfalls dabei nicht über Bord geworfen.<br />
„Cause“ ist wahrscheinlich das Album, das die Widersprüche<br />
der Band am besten aufzeigt: Selten wohl standen<br />
sich Wucht und Pop, Wut und Harmonie so versöhnlich,<br />
so wohlwollend gegenüber wie auf diesem Album. Wenn es<br />
also immer lange Pausen und einen Zufall braucht, um sich<br />
nochmal zu steigern, dann bitte schön, ab in den nächsten<br />
Winterschlaf. (7) Christian Meiners<br />
HOLLY GOLIGHTLY & THE BROKEOFFS<br />
Medicine Country<br />
LP/CD | Damaged Goods/Cargo | damagedgoods.<br />
co.uk | 37:18 || Dieses Album bedarf nicht vieler Worte.<br />
Holly Golightly und Lawyer Dave haben mit „Medicine<br />
Country“ bereits ihr drittes Album unter dem Namen<br />
HOLLY GOLIGHTLY & THE BROKEOFFS veröffentlicht.<br />
Die zwölf Titel wabern im Sumpf zwischen Swamp-Rock,<br />
Country, Blues und Trash à la CRAMPS. Als Gastmusiker<br />
ist einmal Tom Heinl, aus seiner Feder stammte Hollys<br />
Weihnachtssong „Christmas tree on fire“, bei „Blood<br />
on the saddle“ dabei – natürlich ein Country-Song zwischen<br />
Hank Williams und den KNITTERS, sonst wurde<br />
alles in Eigenregie während einer Europatournee in Spanien<br />
eingespielt. Die Queen of 60s-Garage-Punk mutiert<br />
so zur Queen der erdigen Blues- und Countrymusik. Sehr<br />
gelungen ist auch das eher CRAMPS-mäßig ausgefallene<br />
WRECKLESS ERIC-Cover „Murder in my mind“. Kaufen.<br />
(9) Kay Werner<br />
HARVESTMAN<br />
In A Dark Tongue<br />
CD | Neurot/Cargo | neurotrecordings.com | 69:36<br />
|| Vier Jahre nach dem Debüt „Lashing The Rye“ fand<br />
NEUROSIS’ Steve <strong>von</strong> Till die Zeit, sich um ein zweites<br />
Solo-Album unter dem<br />
Namen HARVESTMAN<br />
zu kümmern. Natürlich,<br />
es gibt auch die<br />
regulären Solo-Alben<br />
unter dem Namen Steve<br />
<strong>von</strong> Till, deren Stil Kollege<br />
Kerpen mal mit<br />
„Gothic-Johnny Cash“ zu<br />
umschreiben versuchte,<br />
doch mit HARVEST-<br />
MAN ist <strong>von</strong> Till näher<br />
dran am furchteinflößenden,monumentalen,<br />
vielschichtigen Sound <strong>von</strong> NEUROSIS. In der Besetzungsliste<br />
steht er mit „electric guitar, appalachian dulcimer,<br />
synthesizer, m-tron, piano, bass, manipulation, filters,<br />
ring modulator, loops, vocals, delay and distortion“, hatte<br />
bei einzelnen Songs aber auch Helfer, etwa Al Cisneros, aber<br />
letztlich hat Steve das Album in seinem „Krähennest“-Studio<br />
im einsamen Norden Idahos im Alleingang zusammengeschraubt.<br />
Nun ist die Zahl jener Musiker und Bands,<br />
die sich im weitesten Sinne an monumentaler, soundtrackhafter<br />
instrumentaler Musik mit apokalyptischer Atmosphäre<br />
versuchen, in den letzten Jahren massiv angestiegen,<br />
und es bedarf einer gewissen Anstrengung, hier die<br />
wirklich herausragenden Werke <strong>von</strong> ambitionierten, aber<br />
letztlich unoriginellen Aufnahmen auseinander zu halten.<br />
Steve <strong>von</strong> Till allerdings gehört, das wird auch hier wieder<br />
klar, zur ersten Kategorie. Seine Kompositionen und Konstruktionen<br />
sind betörende Klangmonumente, und man<br />
möchte die Experimentalfilmer in aller Welt dazu aufrufen,<br />
zu jeder der zwölf Nummern die passenden bewegten<br />
Bilder zu liefern, denn Kopfkino alleine ist hier nicht<br />
genug. Das Album ist eine hervorragende Ersatzdroge bis<br />
zum Erscheinen des nächsten NEUROSIS-Albums – wollen<br />
wir nicht hoffen, dass Steve mit solchen Alben diese<br />
irgendwann überflüssig macht ... (9) Joachim Hiller<br />
HIRNSÄULE<br />
Hirnsalto<br />
CD | hirnsaeule.de | 18:30 || HIRNSÄULE? Da war<br />
doch mal was. Richtig, im Jahre 2000 hatte ich die EP „Ich<br />
weiß wo dein Haus wohnt“ mit der Band getauscht. Seitdem<br />
ist bei den Bremern reichlich Wasser die Weser hinuntergelaufen.<br />
Ich hatte die Band aus den Augen verloren<br />
und bin nun umso mehr vom Sound der neuen CD überrascht.<br />
Jahre sind vergangen und der Rumpelpunk aus den<br />
Anfangstagen der Band ist wirklich gut hörbarem Hardcore/Punk<br />
gewichen, der dem geneigten Hörer mit Hochgeschwindigkeit<br />
um die Ohren geprügelt wird. Sehr tight<br />
gespielte 14 Songs in knapp 19 Minuten gibt es zu hören.<br />
Da weiß man, was Sache ist, und für Langeweile ist die Zeit<br />
zu kurz. Von dieser CD sollte eigentlich auch eine Vinylversion<br />
erscheinen, was leider durch die finanzielle Situation<br />
der Band verhindert (oder vertagt?) wurde. So stößt<br />
der klassische D.I.Y.-Anspruch an seine Grenzen und vielleicht<br />
findet sich doch noch ein Label, welches die Songs<br />
als LP veröffentlichen möchte. Zu wünschen wäre es. (7)<br />
Christoph Lampert<br />
HIPBONE SLIM &<br />
THE KNEE TREMBLERS<br />
The Kneeanderthal Sound Of<br />
CD | Voodoo Rhythm/Cargo | voodoorhythm.com |<br />
39:04 || Auch die KNEETREMBLERS um den umtriebigen<br />
Mark Sultan aka Sir Bald Diddley sind eine ausgesprochen<br />
fleißige Combo. Sie<br />
sind nahezu ständig auf<br />
der Bühne oder im Studio,<br />
dazu hat „Baldie“<br />
auch noch diverse andere<br />
Projektchen im Rennen.<br />
Die KNEEJERK REAC-<br />
TION als Beat/R&B-<br />
Outfit, ein Ska-Ensemble,<br />
eine Louie-Louie-<br />
Frat-Band und und und<br />
... Von den KNEETREM-<br />
BLERS jedenfalls gibt<br />
es nun die mittlerweile<br />
vierte Langspielplatte. Soundmäßig hat sich nicht allzu viel<br />
geändert, neu dabei ist allerdings der Basser Gez Gerrard<br />
(auch schon bei den KNEEJERK REACTION mit an Bord<br />
gewesen ...), der mit seinem ungemein rotzigen Bluesharp-<br />
Gebläse dem Ensemble frischen Wind verleiht. Außerdem<br />
haben Baldie, Bruce und Gez auch einige Gastmusiker in<br />
Ed Deegans (vormals Toe Rag-Engineer!) Studio gelotst.<br />
Mit der Hilfe <strong>von</strong> Pianisten Kid Wig, Saxofonisten Johnny<br />
Loafer und der Chanteuse Mary Tee (auf dem wunderbar<br />
schaurigen und nekrophilen Todes-Blues „Dig that grave“,<br />
bester Song der Platte!) ist das Spektrum der TREMB-<br />
LERS nochmals erweitert worden. Country-Blues „Gonna<br />
give you everything“, schmachtender Brit-Rockabilly à<br />
la JOHNNY KIDD & THE PIRATES, bollernden Diddley-<br />
Beat, Surf-Instros („Camel neck“, ein kompletter Dick-<br />
Dale Ripoff) und Musik, bei der sich Damen besser ausziehen<br />
können, die Bandbreite ist enorm. Eine prima Platte<br />
ist das, die personelle Umbesetzung hat frischen Schwung<br />
gebracht. Einzig und allein mag ich kritisch anmerken, dass<br />
mir Baldies Gesang in der blasierten Stiff-Upper-Lip-Version<br />
bei den Brit-a-billy-Songs besser gefällt, als das rotzige<br />
R&B-Gekreische, das steht ihm nicht so. Aber kleine<br />
Ausraster braucht man eben auch <strong>von</strong> Zeit zu Zeit. (8)<br />
Gereon Helmer<br />
HOT ROD GANG<br />
Silver Wedding<br />
CD | Part | part-records.de || Die HOT ROD GANG<br />
feiert ein Jubiläum und lädt alte Bekannte in Form <strong>von</strong><br />
Covern dazu ein. Der Titel lässt es vermuten, es sind 25<br />
Jahre seit dem ersten gemeinsamen Musizieren vergangen<br />
und das wohl im gleichem Line-up. Es spricht für Menschen,<br />
wenn es ihnen gelingt, einen gemeinsamen Weg<br />
einzuschlagen, konsequent weiterzuverfolgen und das<br />
Gemeinsame im Vordergrund stehen zu lassen. Die HOT<br />
ROD GANG würde man in anderen Bereichen sicher als<br />
Retro bezeichnen können, widmen sie sich doch dem<br />
Rock’n’Roll der Fünfziger. Allerdings nicht als reine Kopisten<br />
oder in der rohen Variante, sondern durchaus mit<br />
einem modernen Ansatz. Nur so werden die 25 Jahre auch<br />
auszuhalten gewesen sein. Der Jubiläumsoutput enthält bei<br />
13 Tracks acht Coverversion, die allesamt gut interpretiert
werden. Die HOT ROD GANG ist eine erfahrene Band, die<br />
sich über die Jahre als Konzert- und partytauglich erwiesen<br />
hat, fester Bestandteil der Szene ist, auch wenn auf dieser<br />
Platte ohne echte Highlights. (6) Robert Noy<br />
HEARTBREAK STEREO<br />
Carried Through This Waltz<br />
CD | Rookie/Cargo | rookierecords.de | 33:10 ||<br />
13-facher Nachschlag für alle, deren Luftsprünge über<br />
das aufmüpfi g gute Debüt „Inspiration (Back From The<br />
Dead)“ (Review #82)<br />
aufgrund Überhörens so<br />
langsam fl acher geworden<br />
sind. Und die Reise<br />
geht genau so weiter,<br />
wo sie eben da nach elf<br />
Tracks ihr abruptes Ende<br />
nahm: Auf dem besten<br />
Weg zum Punk-Olymp,<br />
um die (!) großen Vorbilder<br />
RANCID zu enthronen.<br />
Mit einigen Songs<br />
gelingt das den drei frechen<br />
Jungspunden auch<br />
vorzüglich und die Nähe zu Tim und seinen Jungs ist schon<br />
fast beängstigend. „Sunburn“ beginnt wild und mündet<br />
in einem Chorfeuerwerk wie zu besten „Let’s go“-Zeiten.<br />
Das Gleiche gilt für das steil abgehende „Do I need a reason<br />
not to leave you here to die“. Halb so schnell, aber doppelt<br />
so cool brennt sich „Stepping out of line“ in die Gehörgänge.<br />
Verdammt, das können doch keine eigenen Songs<br />
sein. Doch, lieber Rezensent und es wäre interessant zu<br />
wissen, was die Amis dazu sagen, angesichts deren nahender<br />
Berentung. Die Finnen jedenfalls haben an ihren Trademarks<br />
geschraubt, sind zum Teil aber auch härter und wilder<br />
geworden („Bottle rocket“). Obwohl sich die Hits eher<br />
im mittleren Tempobereich abspielen, machen sich die<br />
knallharten Punk-Songs nicht schlecht, um den Kontakt<br />
zur Basis zu halten und eine klare Weichspüler-Trennlinie<br />
zu ziehen. Die pure Spielfreude und effektvoller Schlagzeugeinsatz<br />
unterscheiden die Band deutlich <strong>von</strong> der Vielzahl<br />
der RANCID-Kopisten. Leider beginnt die Scheibe mit<br />
einer dürftigen Nummer („Say nothing“) und auch zwischen<br />
die Raketensongs haben sich einige maue Töne eingeschlichen,<br />
aber unterm Strich bleibt die Bestätigung des<br />
Überraschungscoups <strong>von</strong> 2008. (8) Lars Weigelt<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
HÖLLENHUNDE<br />
Sieh die Wahrheit<br />
MCD | Rockstar Crew | hoellen-hunde.com || Die<br />
HÖLLENHUNDE kannte ich bislang nur vom „Pogo, Parties<br />
& Promille“-Sampler auf Psycho T Records, wobei <strong>von</strong><br />
Band und ihrem Beitrag seinerzeit nicht sonderlich was<br />
hängen geblieben ist. Jetzt gibt’s eine 4-Track-CD, die ihr<br />
euch kostenlos auf der Band-Homepage herunterladen<br />
oder als Promo-CD bei einigen ausgesuchten Mailordern<br />
abstauben könnt. Das gibt natürlich Pluspunkte, allerdings<br />
hätte ich auch einige Flüche vom Stapel gelassen, wenn ich<br />
dafür Geld bezahlt hätte. Sowohl textlich als auch musikalisch<br />
belanglose Rock-Straßenmucke ohne Ausfälle, aber<br />
auch ohne Highlights. Die Stimme erinnert mich irgendwie<br />
an SOKO DURST, ohne aber auch nur ansatzweise<br />
deren Qualität zu erreichen. (3) Christian Fischer<br />
HELLISH CROSSFIRE<br />
Bloodrust Scythe<br />
CD | I Hate/Twilight | ihate.se | 42:48 || „Into the<br />
old and evil“ heißt einer der Tracks der LP des süddeutschen<br />
Thrash-Metal-Kommandos, dessen Zweitling dieser<br />
Tage auf dem famosen schwedischen Label I Hate erscheint.<br />
Und wörtlicher kann man diese Ansage kaum nehmen,<br />
denn das hier ist famoser Oldschool-Thrash-Metal, rauh,<br />
ungeschliffen und direkt zum Diamanten geworden.<br />
Ungewöhnlich ist der Gesang mit Death-Metal-Einschlag<br />
zum derben Thrash-Riffi ng, das ohne jegliches Anzeichen<br />
dafür auskommt, dass die letzten 25 Jahre stattgefunden<br />
haben könnten. Dazu kommt ein gutes Gespür für Hooks<br />
und kleine feine Melodien, die gelegentlich an IRON MAI-<br />
DEN erinnern. Was mich geradezu in Verzückung versetzt,<br />
ist die perfekt eingefangene damalige Atmosphäre, zu der<br />
auch das Aufgreifen aller möglichen Phrasen und Floskeln<br />
gehört. Beispiele gefällig? Titel namens „Speed hunter“<br />
oder „Too tough to die“. Sehr, sehr unterhaltsame Scheibe!<br />
(8) Dr. Oliver Fröhlich<br />
HELLBURNSAWAY<br />
Worse Than The Truth<br />
CD | Custom Core | customcore.com | 19:18 ||<br />
Metallisch angehauchter Hardcore mit Presswehen-<br />
Gesang, viel mehr gibt es zu HELLBURNSAWAY kaum zu<br />
sagen. Dass die Band sich selbst als Newschool-Hardcore<br />
einordnet, ist eigentlich schon eher zu modern – es sei<br />
denn, man sieht TERROR und MADBALL als Newschool-<br />
Vertreter. Zugegebenermaßen klingt „Worse Than The<br />
Truth“ weniger tough als Letztgenannte, letztlich liegt das<br />
aber auch nur am fehlenden Stimmvolumen des Shouters<br />
der Franzosen. Irgendwie nett und auch professionell und<br />
solide umgesetzt, aber braucht man sich auch nur ins Regal<br />
zu stellen, wenn man <strong>von</strong> den üblichen Verdächtigen schon<br />
wirklich alles hat. (6) Andreas Kuhlmann<br />
SOPHIE HUNGER<br />
1983<br />
CD | Two Gentleman | twogentleman.net | 42:36 ||<br />
Kaum ein Jahr nach ihrem Debütalbum „Monday’s Ghost“<br />
erscheint das zweite Album der jungen Schweizerin, die<br />
sich im Grenzbereich zwischen Jazz-inspirierter Singer/<br />
Songwriterin und modernem Folk-Rock bewegt. „1983“,<br />
Hungers Geburtsjahr, ist vielschichtiger als ihr Debüt und<br />
nimmt elektronische Einfl üsse ebenso auf wie Drumcomputer,<br />
Horn und Mundharmonika. Sophie Hunger experimentierte<br />
im Studio mit Equalizern und Amps, ohne den<br />
Bezug zu den Wurzeln im Jazz aus den Augen zu verlieren.<br />
Sympathisch muss sie einem auch deshalb sein, weil sie<br />
„Le vent nous portera“ der Franzosen NOIR DÉSIR covert<br />
– und das ganz großartig. Auch wenn sie in der Vergangenheit<br />
die Bühne mit so unterschiedlichen Künstlern wie<br />
THE YOUNG GODS und der Jazzgröße Erik Truffaz teilte,<br />
würde man ihre Stimme, mitunter nahe an Beth Orten,<br />
und Musik gerne auch mal im Vorprogramm <strong>von</strong> Rogalls<br />
ELECTRIC CIRCUS SIDESHOW hören. Großartige Balladen<br />
wie „Headlights“ fi nden sich auf dem Album ohnehin.<br />
(7) Markus Kolodziej<br />
HOT WIRE<br />
Tribute<br />
If It Ain’t Rock’n’Roll We’ll Fix It<br />
CD | Part | part-records.de || Sucht jemand eine Band<br />
für seine Party oder braucht eine Band einen guten Support-Act?<br />
Wenn es dann noch Rockabilly sein soll, seid ihr<br />
bei HOT WIRE richtig. Die vier Jungs covern, was das Zeug<br />
hält, und machen vor keinem Song einen Rückzieher. Nahe<br />
liegende Größen wie Elvis oder Bruce Springsteen werden<br />
ebenso interpretiert wie ROXETTE oder die RED HOT<br />
CHILI PEPPERS. Mit Rockabilly ist fast alles möglich, auch<br />
wenn die Songs <strong>von</strong> artfremden Genres nur sehr selten besser<br />
werden. Mir stellt sich die Frage: Wie viele Bands mag es<br />
weltweit geben, die genau diese Schiene fahren? Es müssen<br />
viele sein und ich möchte sie nicht alle kennen lernen.<br />
Die Bezeichnung Coverband ist hart, aber dann doch nahe<br />
liegend. Hin und wieder macht dies aber Spaß und dafür<br />
sind HOT WIRE ein Garant. Wenn auch nicht Besonderes<br />
geboten wird, muss das aber auch erst einmal gut gemacht<br />
werden. Das gelingt bei beiden Platten, mit denen sich jede<br />
Party aufl ockern lässt. Mehr muss man dazu allerdings<br />
auch nicht sagen. (5) Robert Noy<br />
HIRSCH EFFEKT<br />
Holon:Hiberno<br />
CD | Midsummer/Cargo | midsummer-records.<br />
de || Mein lieber HIRSCH EFFEKT, euer Album ist für<br />
mich auf mehrere Arten etwas ganz Besonderes: 1. Selten<br />
hat jemand so viele<br />
verrückte Ideen auf ein<br />
Konzeptalbum gepackt,<br />
ohne THE MARS VOLTA<br />
zu heißen. Vielen Dank<br />
für euren Mut – Schranken<br />
sind was für Popper!<br />
2. Die herrlich vertrackten<br />
Songs, wie zum<br />
Bespiel „Vituperator“,<br />
sind seit Langem mal<br />
wieder etwas, das polarisiert.<br />
Aber nicht in<br />
dem „Mag ich/Mag ich<br />
nicht“-Sinne. Eher auf die Art, dass man Songs wie den<br />
zweigeteilten Opener „Epistel“ nicht immer anhören kann.<br />
3. „Holon:Hiberno“ ist für ein Trio ein verdammter Brocken.<br />
Eure Ideen möchte ich haben, dann würde mir nie<br />
langweilig. 4. Welche andere Band hat es schon geschafft,<br />
einen Kammerchor für sein Debütalbum so zu arrangieren,<br />
dass sich die Streicher perfekt ins Gesamtbild einfügen?<br />
Bravo, Bravo! P.S. Um „Holon:Hiberno“ richtig zu verstehen,<br />
muss man sich zwischendurch sicherlich mal eine<br />
Pause gönnen. Dazu fordert es einen wirklich zu sehr. Das<br />
gab es so in Deutschland noch nicht. Man könnte ANTI-<br />
TAINMENT noch im entferntesten Sinne mit THE HIRSCH<br />
EFFEKT verbinden, aber eigentlich sind beide Bands für<br />
sich schon viel zu weit outer space. (9) Sebastian Wahle<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
HITS<br />
Living With You Is Killing Me<br />
CD | Mere Noise | merenoise.net | 39:38 || Ist Duane<br />
Peters nach Brisbane, Australien ausgewandert? Angesichts<br />
des nöligen Organs <strong>von</strong> HITS-Frontmann Evil Dick könnte<br />
man das beinahe vermuten. Da die Musik seines zu gleichen<br />
Teilen weiblich wie männlich besetzten Backing-<br />
Quartetts aber weniger nach 77er-Punkrock als nach klassischem<br />
Aussie-Rock klingt, hört die Ähnlichkeit da auch<br />
schon wieder auf. Vorher waren die Beteiligten unter anderem<br />
bei STRUTTER (Evil Dick), GAZOONGA ATTACK,<br />
VAMPIRELLAS, BUTCHER BIRDS, DISABLES, DROWNING<br />
KITTENS und SHREWMS zu hören, und zumindest die<br />
ersten beiden Bands waren mir schon bekannt. Schwerfälliger,<br />
düsterer, intensiver, zwischen Wut und Schmerz pendelnder<br />
Rock auf den Spuren <strong>von</strong> MARK OF CAIN und<br />
BEASTS OF BOURBON, auch mal an PSYCHEDELIC FURS<br />
erinnernd, bei „The End“ gar an alte THE CHURCH – damit<br />
liegt man bei mir goldrichtig. Und sicher auch bei jedem<br />
anderen, dessen Sensoren auf das Namedropping erwähnter<br />
australischer Klassiker geeicht sind. (8) Joachim Hiller<br />
HIGHWAY CHILD<br />
Sanctuary Come<br />
CD | Elektrohasch | elektrohasch.de | 40:23 || Das<br />
zweite Album der Dänen, bei deren Namen ich unweigerlich<br />
an DEEP PURPLE denken muss, wirkt er doch wie ein<br />
Bastard aus „Highway star“ und „Child in time“. Klingt so<br />
auf dem Papier nicht überzeugend, aber wenn man dazu<br />
die Musik hört, drängt sich der Verdacht auf, zumindest<br />
was die psychedelischeren, frühen Nummern <strong>von</strong> Ian Gillan<br />
& Co. anbelangt. Andererseits verwundert es auch nicht,<br />
dass Lorenzo Woodrose bei einem Song („Turn me on“)<br />
einen Gastauftritt hat, denn sowohl räumlich wie musikalisch<br />
ist eine gewisse Nähe zu BABY WOODROSE durchaus<br />
vorhanden. So weit, so gut, und grundsätzlich ist auch<br />
nichts einzuwenden gegen diese Art <strong>von</strong> Psychedelic Rock,<br />
doch HIGHWAY CHILD sind mir unterm Strich doch ein<br />
ganzes Stück zu hippiesk verspielt, nicht heavy und distorted<br />
genug (anders als etwa BABY WOODROSE) – und so<br />
bin ich hier ganz schnell wieder raus. (5) Joachim Hiller<br />
III<br />
INHUME<br />
Moulding The Deformed<br />
CD | War Anthem | war-anthem.de | 36:39 || Oops,<br />
da ist aber jemand böse. Heftig shreddernder Gore-Grind<br />
in modernem oberfetten Soundgewand bricht sich den<br />
Weg durch die Gehörgänge, hinterlässt Klumpen rohen<br />
Fleisches und erstarrtes Blut im Innenohr und zermalmt<br />
die Nervenschaltzentrale. Wenn mal nicht geblastet<br />
wird, grooven INHUME ganz gut und würden gelegentlich<br />
hauptsächlich wegen der heftigen Growls im untersten<br />
Frequenzbereich an MORTICIAN erinnern, hätte diese<br />
einen Drummer und keinen Plastiksklaven. Wenn es auch<br />
an neuen Akzenten fehlt, regiert hier der gute alte Grindcore-Hammer.<br />
Das stylische Cover erinnert frappierend an<br />
die „Körperwelten“-Ausstellungen. (7) Dr. Oliver Fröhlich<br />
IRE PRESS<br />
Sol Eye Sea I<br />
CD | Make My Day | makemydayrecords.de | 59:05<br />
|| Wenn eine Band instrumentalen Rock mit Prog- und<br />
Metal-Elementen mischt, ist es kaum ein Wunder, dass<br />
ein Name wie Daryl Rabidoux mit im Spiel ist. Zur Erinnerung:<br />
Der spielte einst bei der CANCER CONSPIRACY.<br />
Hier hatte er als Produzent die Finger an den Reglern.<br />
Das Coverartwork lässt zwar auf bekifften Siebzigerjahre-<br />
Rock schließen, damit gemeinsam hat der Fünfer aus Boston<br />
aber höchstens die Auffassung, dass Musik ein Trip sein<br />
muss. Es handelt sich hier vielmehr um eine harte, technisch<br />
anspruchsvolle Variante des Post-Rocks, bei dem<br />
löblicherweise genug passiert, um die Spannung das ganze<br />
Album über zu halten und den Gesang nicht zu vermissen.<br />
Clubsounds fi nden ebenso ihren Platz wie jazzige Passagen,<br />
saftiger Metalcore und eben die bekannten schwebenden<br />
Shoegaze-Parts. Klingt sperrig, ist aber trotzdem nicht<br />
unübersichtlich, sondern auf wundersame Weise logisch<br />
ineinander gefügt. Eine krachende Ohrfeige für alle Instrumentalbands,<br />
die glauben, man könnte nicht mal ein bisschen<br />
herumexperimentieren. (8) Christian Meiners<br />
ISLAND<br />
s/t<br />
CD | Vendlus/Zeitgeister | zeitgeistermusic.com |<br />
56:58 || Der Stern über der Insel ISLAND scheint nicht<br />
unbedingt ein guter zu sein. So sind <strong>von</strong> Aufnahme bis<br />
Veröffentlichung des gleichnamigen Debüts drei Jahre ins<br />
Land gegangen. ISLAND sind Teil des Zeitgeister-Klans<br />
aus Bonn, der in wechselnder Besetzung auch unter KLA-<br />
BAUTAMANN, GRÜNEWALD oder VALBORG fi rmiert,<br />
alles sehr eigene Bands im weiten Feld zwischen rohem<br />
Death Metal und Soundscapes mit hypnotischem Gesang.<br />
Wenn VALBORG/KLABAUTAMANN das laute und GRÜ-<br />
NEWALD das ruhige Ende markieren, befi ndet sich das<br />
aktuelle ISLAND-Werk ungefähr in der Mitte. Vom obskuren<br />
Metal der Anfangstage, der gewisse Reminiszenzen<br />
zu GORGUTS zuließ, ist rein gar nichts zurückgeblieben.<br />
ISLAND sind ruhig, leise und verspielt geworden.<br />
Gezupfte Gitarren und ruhiger Gesang bestimmen das<br />
Bild, das eventuell noch an die Prog-Wand genagelt werden<br />
könnte. Gelegentlich hört man mittelalte ANATHEMA<br />
oder alte PINK FLOYD heraus, meist agieren ISLAND aber<br />
eigenständig und lassen ihre Musik mit dezenten Bläserarrangements<br />
zu einer willkommenen Alternative für ruhige<br />
Stunden werden. (8) Dr. Oliver Fröhlich<br />
IN-SANE<br />
Trust These Hands ... Are Worthless<br />
CD | Fond of Life | fondofl ife.net | 32:38 || Die<br />
Ursprünge <strong>von</strong> IN-SANE gehen zurück in das Jahr 1997.<br />
Inzwischen ist die Band als Trio etabliert. Die slovenische<br />
Truppe hat dieses Album im eigenen Studio selbst produziert.<br />
Das Ergebnis ist soundtechnisch voll auf der Höhe,<br />
musikalisch wird temporeicher, mit vielen Breaks gespickter<br />
und leicht metallischer Hardcore geboten. PROPA-<br />
GANDHI lassen grüßen, STRUNG OUT stehen auch auf<br />
der Liste. Für ein Trio ist das eine ziemliche Wand, die<br />
sich hören lassen kann. Das Songwriting geht klar, auch<br />
wenn mich die Platte mit ihren elf Songs nicht gänzlich zu<br />
begeistern weiß. (6) Zahni Müller<br />
IRREAL<br />
Höhenangst<br />
MCD | SiiiS | myspace.com/irgendwieirreal |18:20<br />
|| Die sechs Songs der drei Burgenländer kommen im<br />
Sinne kalifornischer und schwedischer Neunziger-Bands<br />
melodieverliebt und mit angezogenem Tempo daher. Einfl<br />
üsse deutscher Kollegen sind ebenso gegeben, TERROR-<br />
GRUPPE etwa, KAFKAS-Sänger Markus steuert Gastvocals<br />
bei. Textlich geht’s gerne direkt und kämpferisch zur<br />
Sache, es darf aber auch persönlich und nachdenklich werden.<br />
Gesang und Gitarrenarbeit wirken an manchen Stellen<br />
zwar noch etwas unbeholfen, wer aber in der Lage ist,<br />
einen solch großartigen Song wie das akustisch-melancholische<br />
„An meiner Wand“ zu schreiben, dem sei das<br />
verziehen. (7) H.C. Roth<br />
JJJ<br />
JEREMY IRONS AND<br />
THE RATGANG MALIBUS<br />
s/t<br />
CD | myspace.com/theratgang | 25:49 || „Elefanta“<br />
erinnert sehr stark an die späten HELLACOPTERS. Genauer<br />
gesagt, klingt es wie eine Proberaumaufnahme <strong>von</strong> „Head<br />
Off“, dem letzten (Cover-)Album eben jener Band. Sprich:<br />
JEREMY IRONS AND THE RATGANG MALIBUS spielen<br />
schwungvollen Rock’n’Roll mit zahlreichen gelungenen<br />
Blues-Einspritzern, guten Melodien und kleinen, psychedelischen<br />
Momenten. Diese musikalische Nähe lässt<br />
sich sicherlich damit erklären, dass die Band ebenso wie<br />
die Höllenschrauber aus Stockholm kommt, so dass man<br />
eine einfl ussgebende Freundschaft zwischen beiden Acts<br />
vermuten darf. Damit bleibt es dann nur noch zu klären,<br />
warum sie sich nach dem britischen Schauspieler Jeremy<br />
Irons benannt hat. (7) Lauri Wessel<br />
JAGA JAZZIST<br />
One-Armed Bandit<br />
CD | Ninja Tune | ninjatune.net | 53:36 || Fünf Jahre<br />
hatte man nichts mehr <strong>von</strong> diesem norwegischen Musikerkollektiv<br />
gehört, inzwischen „nur“ noch aus neun Mitgliedern<br />
bestehend. Zwischendurch hatte man mal JAZ-<br />
ZIST im Bandnamen über Bord geworfen, auf dem neuen<br />
Album ist der wieder intakt, dafür ist diesmal der Anteil<br />
an Jazz zurückgefahren worden, der die Norweger eigentlich<br />
immer so speziell gemacht hatte. Auf „One-Armed<br />
Bandit“ überwiegt in Folge Prog-Post-Rock mit treibendem<br />
Rhythmus, nicht unbedingt weit <strong>von</strong> TORTOISE entfernt,<br />
deren John McEntire auch am fi nalen Mix der Platte<br />
beteiligt war. Unter rein ästhetischen Gesichtspunkten gibt<br />
es an „One-Armed Bandit“ auch nichts auszusetzen, ist es<br />
eine sehr transparent produzierte Angelegenheit, die den<br />
vielschichtigen, eleganten Sound <strong>von</strong> JAGA JAZZIST gut<br />
zur Geltung kommen lässt. Dafür fehlt den neun Songs<br />
ein wenig der Biss, die sich in allzu beliebigen loungeigen<br />
Easy-Listening-Sounds verlieren, die zwar dem Ohr<br />
schmeicheln, aber sich auch wieder schnell verfl üchtigen.<br />
Sicherlich keine schlechte Platte, aber nach so langer Wartezeit<br />
dann doch irgendwie enttäuschend, vor allem im<br />
Vergleich mit dem letzten TORTOISE-Album. (6)<br />
<strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
DANIEL JOHNSTON<br />
Beam Me Up!<br />
CD | Hazelwood | hazelwood.de | 40:17 || In der<br />
letzten Ausgabe hatte ich erst Daniel Johnstons Album „Is<br />
And Always Was“ besprochen, jetzt folgt bereits ein neues<br />
auf dem hiesigen Label Hazelwood. „Neu“ ist dabei eine<br />
relative Aussage, denn vier Songs sind auf jeden Fall Neuneinspielungen<br />
<strong>von</strong> alten Johnston-Songs, darunter auch<br />
sein großartiges, aber leider viel zu kurzes „True love will<br />
fi nd you in the end“. Bei den restlichen Stücken fehlte<br />
mir die Zeit, dessen umfangreiches Schaffen genau abzuklopfen,<br />
und das Info war diesbezüglich auch wenig hilfreich.<br />
Aufgenommen hat der manisch-depressive Ausnahmekünstler<br />
das Album jedenfalls in den Niederlanden mit<br />
kleinem Orchester, also kein LoFi-Wohnzimmer-Folk,<br />
sondern gediegener Kammerpop. Wer Johnstons bisherige<br />
Platten kennt, kann sich sicherlich gut vorstellen, dass das<br />
Ganze immer noch recht schräg klingt, denn dessen krächzender<br />
Lispel-Gesang torpediert jegliche Versuche, eingängige<br />
Popmusik zu produzieren, macht aber natürlich auch<br />
den Reiz <strong>von</strong> „Beam Me Up!“ aus, neben dem gewohnt<br />
skurrilen Humor dieses Mannes. Genau deswegen wird<br />
der Großteil der Menschheit Johnston höchstwahrscheinlich<br />
wieder hassen, aber letztendlich sollte man dankbar<br />
sein, dass es noch dermaßen unangepasste Künstler wie<br />
diesen chronisch erfolglosen Singer/Songwriter gibt, der<br />
sich dadurch einen immer wieder erstaunlichen Kultstatus<br />
geschaffen hat. Und wie die meisten anderen Platten <strong>von</strong><br />
Johnston bleibt auch diese trotz der sehr schönen, kraftvollen<br />
Arrangements eine Sammlung fragmentarischer<br />
Skizzen, manchmal fürchterlich dilettantisch, aber sehr oft<br />
auch irrsinnig genial. Beam me up, Scotty, äh, Daniel! (8)<br />
<strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
JAMIES ELSEWHERE<br />
They Said A Storm Was Coming<br />
CD | Victory | victoryrecords.com || Oh, so viel<br />
Geschrei? Man könnte meinen, dem Sänger geht es<br />
schlecht. Aber würde es mir auch, wenn ich ein männlicher,<br />
geschminkter Amerikaner mit geglätteten Haaren<br />
wäre, dessen 18. Geburtstag noch in weiter Ferne liegt. Klischee<br />
olé. So, Spaß, äh, Fakten beiseite. Man sagt, JAMIES<br />
ELSEWHERE klingen wie eine Mischung aus UNDEROATH<br />
und TAKING BACK SUNDAY auf hohem Niveau. UNDE-<br />
ROATH okay, hohes Niveau stimmt auch, denn „They Said<br />
A Storm Was Coming“ ist super produziert. Aber TAKING<br />
BACK SUNDAY beim besten Willen nicht. Denn die mag<br />
ich. Und wenn ich mich recht erinnere, sind bei Letzteren<br />
auch weder Kreischgesang, Gegrunze, böse Gitarrenriffs<br />
noch coole Keyboards zu hören. Und ich fürchte, genau das<br />
OK KINGS<br />
It’s OK<br />
CD • KK-CD 047<br />
Aus Kopenhagen kommt<br />
das Surf Album des Jahres!<br />
Selbst Surf-Music Guru Phil<br />
Dirt ist begeistert: „Wow...<br />
it’s been ages waiting for<br />
this release. Great playing<br />
and writing, solid arranging, and lots to like – surf wise.<br />
Just plain good!“<br />
a TRIbUTe TO<br />
The GROOVIe<br />
GhOULIeS<br />
when w The Kids Go<br />
Go Go Crazy<br />
CD • KK-CD 046<br />
31 bands from around the<br />
world pay tribute to the<br />
fantastic GROOVIE GHOULIES.<br />
A special collection with bands not only from the poppunk<br />
scene!<br />
LOS TwaNG!<br />
MaRVeLS<br />
Jungle Of Twang<br />
CD • KK-CD 044<br />
Los Twang! Marvels<br />
verbinden Latino-Wurzeln<br />
mit wildem, primitivem<br />
Rock’n’Roll und einem<br />
stattlichen Aufgebot an<br />
unvergleichlichen, surfgetränkten Gitarrenmelodien.<br />
Großes Surf-Kino!<br />
way w OUT weST<br />
Revolution<br />
CD • KK-CD 101<br />
They are back! Fünf Männer,<br />
Drei Gitarren und jede<br />
Menge heiße Melodien. 2007<br />
ist das perfekte Jahr für<br />
diese Reunion, 10 Jahre<br />
Kamikaze Records, 10 Jahre<br />
Evolution und 13 Jahre WOW! Das neue/alte Album enthält<br />
die kompletten Aufnahmen des Evolution Albums, drei weitere<br />
Tracks aus der Evolution Session, alle Aufnahmen der<br />
King Session, Best of Motorhula und die letzten Aufnahmen<br />
der Band aus 2001. Insgesamt 11 bisher unveröffentlichte<br />
Tracks. Drei weitere gab es bisher nur auf Vinyl und sogar<br />
ein Vocal-Track ist mit dabei. Insgesamt 80 Minuten Surf<br />
Musik vom feinsten. Alle Aufnahmen wurden <strong>von</strong> EROC<br />
Remastert und was er aus den Bändern gezaubert hat, hat<br />
mich wirklich vom Stuhl gehauen. So haben WOW noch nie<br />
geklungen, klar, brillant, frisch – einfach geil!<br />
TeeNaGe MUSIC<br />
INTeRNaTIONaL<br />
Keep On Dancing<br />
LP • KK-LP 024<br />
Feinstes Vinyl mit 45 RPM<br />
und extrafettem Mastering<br />
<strong>von</strong> EROC. Dieser Dieser wilde Beat,<br />
die scheppernden Gitarren,<br />
der wuchtig fumpende Bass,<br />
die satte Orgel, das marschierende Schlagzeug und dazu<br />
noch Texte, die die ganze Hoffnung der Jugend auf ein<br />
Leben voller Sex und Tanz ausdrücken!<br />
The hawaIIaNS<br />
hula On Mars<br />
CD • KK-CD 042<br />
Ta da!!! Die neue Scheibe<br />
der PopPunk Heros aus<br />
Germany! nach dem Riesenerfolg<br />
Ihres Erstlings geht<br />
es nun volle Kante weiter.<br />
17 famose Tracks und ein<br />
geniales Cover vom Kollegen Fritte. A must have!<br />
OX-FANZINE 97
EvIEws<br />
The Spirit Of Ska<br />
VA / The Spirit Of Ska<br />
20 years jubilee ed.<br />
Zwanzig Jahre Pork Pie,<br />
Das ist ein Grund zum Feiern!<br />
Hier kommen die besten<br />
Songs der letzten 10 Pork Pie<br />
Jahre <strong>von</strong> Skaos, Valkyrians, Bluekilla, Dallax, Spitfire,<br />
Yellow Umbrella u.v.a. plus sensationelle neue/unveröffentlichte<br />
Songs <strong>von</strong> Blechreiz, Butlers, Busters, El Bosso<br />
und Liberator.<br />
THE VALKYRIANS<br />
The Beat Of Our Street<br />
( Pork Pie)<br />
Das Warten hat ein Ende!<br />
Zumindest für alle Fans der<br />
inzwischen schon fast legendären<br />
Valkyrians. Nach ihrem großartigen Debütalbum<br />
“High & Mighty” kommt nun endlich der zweite Longplayer<br />
der Finnen.<br />
LIBERATOR<br />
Stand and Deliver<br />
(Pork Pie)<br />
LIBERATOR sind definitv<br />
Schwedens erfolgreichster<br />
Exportartikel in Sachen Ska.<br />
Nachdem es in den letzten Jahren etwas ruhig um die Band<br />
geworden ist, kommen sie nun mit voller Power und einem<br />
brandneuen Album zurück. Zwölf großartige neue Songs,<br />
die uns wieder an allerbeste beste 2Tone-Zeiten denken<br />
lassen.<br />
DALLAX<br />
Big Proud<br />
heißt das neue Album der<br />
Rudeboys aus Tokyo. Ihr<br />
Wasabi angerührt aus<br />
Hardcore, Ska und Punk hat<br />
die 10 Millionen-Grenze auf der Scoville-Schärfe-SKAla<br />
locker überschritten. Perfekte Arrangements, Refrains mit<br />
Mitgröhlpotential, kaum Verschnaufpausen. Also nix für<br />
schwache Nerven. Trotzdem bestens geeignet als<br />
Einstiegsdroge für Ska-Punk-Hasser. Sind sie zu Turbo,<br />
bist du zu Rocksteady !<br />
SPITFIRE<br />
Lifetime Visa<br />
(Flat Daddy Records)<br />
Zum 15. Bandjubliäum kommt<br />
das vierte Album der Jungs<br />
aus St. Petersburg, die<br />
zurecht schon längst weltweiten Kultstatus haben. Spitfire<br />
kommen jetzt mit Volldampf und neuem lineup zurück.<br />
Musikalisch schaut man inzwischen weit über den<br />
Tellerrand einer Ska-Punk-Band hinaus und legt mit<br />
LIFETIME VISA ein großartiges und ausgereiftes Album<br />
vor.<br />
www.porkpieska.com<br />
OX-FANZINE 98<br />
zeichnet JAMIES ELSEWHERE aus. Aber wer auf so etwas<br />
steht und gleichzeitig ein Riesenfan <strong>von</strong> Bands wie A DAY<br />
TO REMEMBER, ATTACK ATTACK! und THE DEVIL WEARS<br />
PRADA ist, der sollte sich „They Said A Storm Was Coming“<br />
auf jeden Fall mal anhören. 666 Punkte gibt’s aber nicht.<br />
(3) Christin Pausch<br />
JACK SLATER<br />
Extinction Aftermath<br />
CD | Unundeux | unundeux.de | 34:21 || Das vierte<br />
Album <strong>von</strong> JACK SLATER, „Extinction Aftermath“ bietet<br />
ein weiteres Mal technisch überaus versiert vorgetragenen<br />
Death Metal, der vor allem bei der gitarrespielenden<br />
Hörerschaft ein ums andere Mal für staunende Gesichter<br />
sorgen dürfte, denn was hier teilweise aus den sechs<br />
Saiten gezaubert wird, scheint echt nicht <strong>von</strong> dieser Welt.<br />
Technisch frickelige, aber niemals nervig erscheinende<br />
Riffs und irrwitzige Bassläufe bilden das Fundament für<br />
das kehlige Gebrüll <strong>von</strong> Frontmann Stefan Horn, welches<br />
überwiegend auf Deutsch vorgetragen wird. Die dazugehörigen<br />
Texte erweisen sich leider partiell als etwas arg plakativ<br />
und provokativ. Ein Song wie „Happy hour“ (Zitat:<br />
„... Hose runter, Schwanz ins Loch, kurz und hart, laut und<br />
schnell“) ist dann doch etwas zu viel des Guten respektive<br />
Schlechten. Da wären etwas filigranere Texte wünschenswert<br />
gewesen. Dies jedoch ist der einzige Wermutstropfen<br />
bei einer ansonsten gelungenen Platte. (7) Jens Kirsch<br />
JIL IS LUCKY<br />
s/t<br />
CD | Roy Music | roymusic.com | 40:30 || Jil, ein<br />
24-jähriger Franzose, der seine musikalischen Mitstreiter<br />
sowohl in Tschechien als auch in Algerien aufgegabelt hat<br />
und nun zusammen die fünfköpfige Band JIL anführt, liebt<br />
es, mit Symbolen zu spielen und seine Zuhörer mit einer<br />
Mischung aus romantischen Balladen, tanzbaren Pop-<br />
Songs und Rhythmen zu bezaubern. Symbole, weil JIL auf<br />
dem Cover ihrer gleichnamigen ersten Veröffentlichung<br />
sinnbildlich als Weltreligionen in Roboteranzügen dargestellt<br />
werden, die Anhänger der Religionen als Roboter<br />
<strong>von</strong> gestern, vereint nur durch ihren irrealen Diskurs und<br />
surreale Dogmen. Hinzu kommt eine Musik, die durch<br />
eine unaufdringliche und zurückhaltende Stimmung fasziniert<br />
und dennoch die Hörer ganz und gar verschlingt.<br />
Manchmal melancholisch, dann wieder zuversichtlich und<br />
ohne einen Gedanken an gestern zu verschwenden. Pop<br />
und Klezmer, Balladen und Folk-Songs, Drogenerfahrungen<br />
und Kochrezepte – Jil darf sich viel erlauben in seinen<br />
Texten, doch ich verzeihe ihm. Auch weil der Anblick der<br />
als „Weltreligionen“ verkleideten Mitstreiter, die im Video<br />
zu „Wanderer“ auf Shetlandponys durch eine Winterlandschaft<br />
galoppieren, göttlich ist. (8) Katrin Schneider<br />
JUTA<br />
Running Through Hoops<br />
CD/LP | Arctic Rodeo | arcticrodeorecordings.com<br />
|| Mit „Running Through Hoops“ legen die kanadisch/<br />
italienischen JUTA ein durch und durch durchschnittliches<br />
Album vor. Alle Beteiligten verstehen etwas <strong>von</strong> ihren<br />
Instrumenten und <strong>von</strong> Popkomposition. Jedoch gleicht<br />
ein Song dem anderen und plätschert so im Hintergrund<br />
vor sich hin, was vor allem am ausdruckslosen Lullaby-<br />
Gesang <strong>von</strong> Sängerin Barbara Adly liegt. Meine Empfehlung<br />
für die Warteschleife oder den nächsten Aufzug. (3)<br />
Anna Behrendt<br />
ALL ABOARD!<br />
Demo ’10<br />
MC | myspace.com/allaboardnow || Mönchengladbach<br />
ist nun nach AYS und SETTLE THE SCORE um eine<br />
Oldschool-Punkrock-Band reicher. Als ihre Einflüsse<br />
bezeichnen sie AGAINST ME!, DESCENDENTS und GAS-<br />
LIGHT ANTHEM, denen sie in ihrem eigenen Sound in<br />
nichts nachstehen. Hier gibt’s fünf ehrliche Punkrock-<br />
Hits, die man so wahrscheinlich noch auf keinem Demo<br />
gehört an. Für die Qualität dieses Quartetts spricht auch,<br />
dass das Tape schnell ausverkauft war und nun als kostenloser<br />
Download inklusive zwei Bonussongs zu bekommen ist.<br />
Freut euch auf den 27.04., wenn ALL ABOARD! ihre erste<br />
EP rausbringen, gefolgt <strong>von</strong> zwei Split-EPs. Live gelten sie<br />
jetzt schon als großes Entertainment-Programm. Überzeugt<br />
euch selbst: ihr Konzertkalender ist vollgepumpt mit<br />
super Gigs, unter anderem mit den BOUNCING SOULS in<br />
Bochum. (9) Peter Nitsche<br />
ARCHEVEDERI<br />
Portugal<br />
CD-R | myspace.com/archevederi | 18:31 || So richtig<br />
gibt es ARCHEVEDERI aus der Hannoveraner Ecke gar<br />
nicht mehr, denn nachdem 2008 diese Aufnahmen entstanden<br />
waren, wanderte Drummer Ronnie nach Portugal<br />
aus und seine Bandkollegen beschlossen, sich erstmal<br />
um andere Dinge als das Musikmachen zu kümmern.<br />
Ganz unbekannt sind die Beteiligten nicht, waren sie doch<br />
einst bei ELEVEN TOES, die bis 2000 aktiv waren und an die<br />
sich vielleicht noch der ein oder andere erinnert. ARCHE-<br />
VEDERI sind musikalisch nicht weit <strong>von</strong> denen entfernt,<br />
durften oder mussten die sich doch immer den (schmeichelhaften)<br />
SAMIAM-Vergleich anhören. Wer also für<br />
solch melancholisch-rauhen Sound schwärmt, begeistert<br />
sich vielleicht auch für die sechs Songs <strong>von</strong> ARCHEVE-<br />
DERI. Joachim Hiller<br />
BLIND DATE<br />
s/t<br />
CD-R | myspace.com/blinddatepunk | 11:11 ||<br />
Ziemlich schräg und chaotisch was die drei Jungs und Sängerin<br />
Joanne aus Warschau da verzapfen. Aggressiv und<br />
melodiös, das weiß mir sehr zu gefallen. Überhaupt hat<br />
Warschau eine große Underground-Szene, und es kommen<br />
eine Menge gute Bands aus der Hauptstadt Polens.<br />
THE BLIND DATE klingen frisch nach frühen US-Hardcore/Punk<br />
und die sechs Songs sind sehr rauh in der Produktion.<br />
Ein kleiner Hit ist Track 4 „I’m losin myself“. Von<br />
mir aus sollte diese Art des Punks viel mehr gespielt werden,<br />
erinnert an wilde Zeiten.(7) Sebastian Walkenhorst<br />
BEDLAM KNIVES<br />
Demo<br />
CD-R | myspace.com/bedlamknives | 12:20 ||<br />
Doug Dagger ist ein Genie: SCHLEPROCK waren grandios,<br />
die GENERATORS sind es bis heute, und nebenher<br />
gründet er mit BEDLAM KNIVES mal einfach eine weitere<br />
Band, deren 4-Song-Demo – ein Album ist in Arbeit<br />
– 99% aller Bands, die sich sonst an klassischem kalifornischem<br />
Punkrock versuchen, wie ihn BAD RELIGION und<br />
Co. schon seit den frühen Achtzigern spielen, mal eben in<br />
die Tasche steckt. „Alice from Highland Park“, auch hier auf<br />
der Ox-CD zu hören, ist ein Instant-Überhit, auch „Self<br />
destruction“ und „Eat your brain“ sind ausgereifte Nummern,<br />
die für das Album nur noch etwas Schliff brauchen,<br />
während „1000 regrets“ eine surfig angehauchte Instrumentalnummer<br />
ist. Begleitet wird Doug Dagger hier <strong>von</strong><br />
Mike Snow, einst der erste GENERATORS-Gitarrist, und<br />
JIZZLOBBERS<br />
s/t<br />
CD | High Noon/Cargo | highnoon-records | 35:02<br />
|| Wem sind die BACKWOOD CREATURES noch ein<br />
Begriff? Wahrscheinlich nicht mehr allzu vielen, was<br />
jedoch eine Schande ist, war dieses in Köln ansässige Quintett<br />
doch anno 2002 mit „Living Legends“ für das mit<br />
Abstand beste deutsche Pop-Punk-Album des vergangenen<br />
Jahrzehnts verantwortlich. Nach dem Split vor einigen<br />
Jahren kam mir jedoch nicht mehr viel <strong>von</strong> den ehemaligen<br />
Mitgliedern der hinterwäldlerischen Kreaturen zu<br />
Gehör, bis mir jetzt dieses Zuckerstück auf den Schreibtisch<br />
flatterte: Die Besetzung der JIZZLOBBERS rekrutiert<br />
sich nämlich aus niemand Geringeren als Sänger Heiner<br />
(mittlerweile wohl auch am Sechssaiter recht patent)<br />
sowie Bassist Leif <strong>von</strong> den eben Genannten, ergänzt durch<br />
die Ex-HAVANA RAGDOLLS Sascha (Gitarre und Gesang)<br />
und Panu (Schlagzeug). Dass diese hochkarätige Besetzung<br />
für absolut mitreißende, adrenalinbefeuerte Endorphin-Granaten<br />
bürgt, sollte dementsprechend wohl keiner<br />
weiteren Erklärung bedürfen. Nicht weniger als 16 unmittelbar<br />
in Mark und Bein fahrende Pop-Punk-Gassenhauer<br />
mit coolem, ganz und gar unposigem Rock’n’Roll-<br />
Appeal bekommt man hier um die Ohren gehauen, und<br />
das HUMPERS-Cover „Up yer heart“ kann durchaus als<br />
guter Anhaltspunkt dafür herhalten, wohin die Reise bei<br />
den Burschen geht. Wobei die vier Ding-Dong-Daddys<br />
aus der Domstadt gewiss auch manche eigene kapitale<br />
Hits im Köcher haben, als Anspieltips seien da allen voran<br />
mal „Breakthrough“ und „Loveboat“ genannt. Und mit der<br />
brillanten Version des Woodie Guthrie-Klassikers „Fascists<br />
are bound to lose“ setzt man zum Schluss noch eines der<br />
charmantesten Anti-Nazi-Statements, welches mir seit<br />
langer Zeit untergekommen ist ... Ja, ein ganz hervorragendes<br />
Debüt: Alles tiptop! (8) Ben Bauböck<br />
JOY/DISASTER<br />
StäyGätôW<br />
CD | Maniac Depression | maniacdepressionrecords.<br />
com | 42:23 || Zusammen mit 1984 aus Strasbourg zählen<br />
JOY/DISASTER aus Nancy zu aller ersten Garde französischer<br />
Post-Punk- und Wave-Rock-Bands. Auf dem<br />
nun dritten Album werden sie <strong>von</strong> Lily Water, die auch<br />
für das Coverdesign zuständig war und bei einigen Stücken<br />
singt, unterstützt. Wer JOY/DISASTER im letzten<br />
Herbst hierzulande live gesehen hat, weiß, welche elektrifizierende<br />
Energie sie versprühen können und dass ihr<br />
Enthusiasmus und ihre Spielfreude sie über zwei Stunden<br />
trägt. Sie sind die zeitgemäße Variante <strong>von</strong> FRUSTRA-<br />
TION und CHARLES DE GOAL und ziehen doch auch Einflüsse<br />
aus Bands wie CLAIR OBSCUR oder den frühen JAD<br />
WIO („Cellar dance“). Die Franzosen waren schon immer<br />
in der Lage, Post-Punk und Wave-Rock respektive Cold<br />
Wave eine ganz eigene musikalische Raffinesse zu geben<br />
und dabei völlig auf Kostümierung zu verzichten, um den<br />
Fokus allein auf sehr catchy und packende Melodiebögen<br />
zu legen. Erstaunlich, was sich gegenwärtig in diesem<br />
Genre in Frankreich, aber auch in Russland – exemplarisch<br />
seien hier MOTORAMA und HUMAN TETRIS genannt – an<br />
guten Bands entwickelt. (8) Markus Kolodziej<br />
KEVIN K & TEXAS TERRI<br />
Firestorm<br />
CD | Realkat | 13th-street.com | 24:06 || Ich glaube<br />
es ja kaum: Sechs Jahre nach „Your Lips ... My Ass!“ hat<br />
Craig Pousen, mit dem Doug anno 1983 in seiner ersten<br />
Band DOUG & THE SLUGZ spielte. Ein wundervoller<br />
Appetizer – jetzt „Alice ...“ hören und dann auf das Album<br />
freuen, das auf Dougs Label Urgent Music erscheinen wird.<br />
Joachim Hiller<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
BEGGARS AND GENTRY<br />
I Say „Yes“, You Say „No“<br />
CD-R | myspace.com/beggarsandgentry | 9:26 ||<br />
Dem ersten optischen Eindruck nach hätte ich dieses<br />
Demo klar in die traditionellere HC-Ecke geschoben, einfaches<br />
Layout, handkopierte Text- und Infoblätter sprechen<br />
eigentlich dafür. Umso verwunderter war ich über<br />
das äußerst hardrockige Intro. Letztlich lag ich aber doch<br />
richtig. Es folgten vier ordentlich rockende Oldschool-<br />
Kracher mit Reibeisenstimme und sympathisch ungeschliffenem<br />
Sound. Kurz, laut, trotzdem abwechslungsreich.<br />
Hammer! Wer Namedropping braucht: mit Leuten<br />
<strong>von</strong> FALL APART und WITHIN WALLS. (9) Sebastian Banse<br />
BAZOOKA ZIRKUS<br />
Demo<br />
CD-R | myspace.com/bazookazirkus || Anleitung<br />
zum Bau eines Monsters in drei Schritten: 1. Man kehre<br />
die Asche <strong>von</strong> BARSEROS zusammen. 2. Man bestäube die<br />
Asche mit Sporen <strong>von</strong> KARATE DISCO und HORDAK. 3.<br />
Einmal kräftig hineinrotzen und aus der gesamten Masse<br />
ein Monster kneten. Fertig. Im Anschluss daran lässt man<br />
dieses Monster dann in einer Manege namens BAZOOKA<br />
ZIRKUS auftreten und hat somit alles richtig gemacht. Die<br />
sechs Songs wurden in Eigenregie aufgenommen, damit<br />
hat man eine Qualität erreicht, die man eigentlich bedenkenlos<br />
auf Vinyl hätte verewigen können. Doch für den<br />
ersten „richtigen“ Tonträger soll das Monster noch fetter<br />
und imposanter erscheinen. Also wird es bis zum gegebenen<br />
Zeitpunkt zunächst einmal weiter gemästet. Nebenbei<br />
sammelt man selbstverständlich fleißig MySpace-<br />
Freunde. Unter den Top-Freunden zählt man ein Label<br />
wie Revelation Records nebst Bands wie YUPPICIDE, SFA,<br />
BOLD, GORILLA BISCUITS, YOUTH OF TODAY und SUI-<br />
CIDAL TENDENCIES. Was das visuelle Auftreten betrifft,<br />
beruft man sich auf Letztgenannte. Man trägt den Schirm<br />
der Truckermütze hochgeklappt, posiert mit Ghettoblaster,<br />
würde gerne Skateboard fahren können und nimmt sich<br />
selbst während all dessen erfreulicherweise keine Sekunde<br />
ernst. BAZOOKA ZIRKUS verkörpern einen Aufguss <strong>von</strong><br />
Hardcore-Stereotypen, der dem derzeitigen New-Metal-<br />
Boom seinen Mittelfinger zeigt, ohne dass man sie deswegen<br />
ausladen wird. Geschickt angestellt und aufgrund<br />
der deutschsprachigen Texte mit dem verwegenen Humor<br />
eines BARSEROS-Songs sicherlich eine der aktuell interessantesten<br />
Bands aus dem Rheinland. Manege frei für<br />
BAZOOKA ZIRKUS. (9) Alex Gräbeldinger<br />
BIT STIFF<br />
RAW<br />
CD-R | myspace.com/abitstiff || Unglaublich<br />
viel Bühnenerfahrung bringt das Leverkusener Quintett<br />
BIT STIFF mit. Rolf Messal schrieb in den Achtzigern<br />
mit X-VISION ein neues Kapitel für den Leverkusener<br />
Indierock, knapp 15 Jahre herrschte dann Schweigen<br />
und 2008 begann dann eine neue Ära. Zusammen mit<br />
bewährten Haudegen aus dem Umfeld der Goth-Splatter-<br />
Punker STONED AGE (mittlerweile wohl auch Geschichte<br />
...) konnte eine neue Combo aus der Taufe gehoben werden,<br />
die die feinsten Eigenarten beider Bands vereint. Für<br />
Schubladendenker heißt das gitarrenlastiger Neo-New-<br />
Texas Terri, die weibliche Version <strong>von</strong> Iggy Pop und seit<br />
einiger Zeit in Berlin ansässig, es doch tatsächlich geschafft,<br />
mal neue Aufnahmen an den Start zu bringen. Ihre alten<br />
Bandkollegen hat sie in Kalifornien zurückgelassen, doch<br />
mit Kevin K und seiner Band hat sie sich exzellente Partner<br />
gesucht. Der Mann aus New York, der seit einer Weile<br />
in Florida residiert, hat eine ganz ähnliche Vorstellung <strong>von</strong><br />
Punkrock, geht die Sache aber eher <strong>von</strong> der glamrockigen<br />
Seite aus an, und zusammen mit Texas Terris STOO-<br />
GES-Verehrung ist „Firestorm“, eine 9-Song-EP (auch<br />
wenn auf dem Booklet nur acht Stücke aufgeführt sind und<br />
der neunte titellos bleibt), für beide Seiten ein sehr gelungenes<br />
neues Lebenszeichen. Sieben der Songs sind Kevin<br />
K-Nummern, zwei andere Coversongs, die <strong>von</strong> Cheetah<br />
Chrome geschriebene DEAD BOYS-Nummer „What love<br />
is“ und „London boys“ <strong>von</strong> Johnny Thunders und den<br />
HEARTBREAKERS, womit man mal wieder ganz klar abgesteckt<br />
hat, wo die gemeinsamen Wurzeln liegen. Interessant<br />
der Text zu „In Berlin“ über die letzten Kriegstage<br />
1945. (8) Joachim Hiller<br />
KKK<br />
KILLING TIME<br />
Three Steps Back<br />
CD | Grapes Of Wrath | coretexrecords.com | 28:21<br />
|| Einen passenderen Titel hätten sich die seit 1988 aktiven<br />
Hardcoreler um Frontmann Anthony Comunale absolut<br />
nicht aussuchen können.<br />
Die in 28 Minuten<br />
dargebotenen zwölf Stücke<br />
sind dermaßen Oldschool,<br />
dass es einem hin<br />
und wieder nostalgische<br />
Gefühle beschert. Das<br />
geht bei der wuchtigen<br />
Produktion los und hört<br />
natürlich bei den Songs<br />
auf, deren punkige Riffs<br />
immer wieder durch<br />
mächtige Moshparts<br />
fernab jeglicher Breakdown-Anbiederung<br />
und durch fiese Gangshouts aufgelockert<br />
werden. Die vier „Original“-Bandmitglieder haben<br />
sich hier nicht lumpen lassen und ihrer Diskografie einen<br />
echten Hammer <strong>von</strong> einem zugefügt, der den Nachahmern<br />
deutlich aufzeigt, wie geil NYHC auch heute noch klingen<br />
kann und im Grunde auch definitiv zu klingen hat. (8)<br />
Jens Kirsch<br />
KAFKAS<br />
Paula<br />
CD | Domcore/Broken Silence | sklavenautomat.<br />
de | 48:48 || Nach der „LD 50“-EP wusste man, wohin<br />
die Reise auf dem lang erwarteten neuen KAFKAS-Album<br />
gehen würde: Alle Türen in Richtung Indie-Rock waren<br />
geöffnet, und dieser Weg wird nun konsequent weitergegangen.<br />
Hier wird mit Keyboards gearbeitet, dort mit Elektronik,<br />
neue Einflüsse werden eingebaut, die Wurzeln nicht<br />
vergessen, der Punk nie verlassen, gerne mal im Ska vorbeigeschaut.<br />
Klar, hat sich viel getan, die Songs kommen<br />
cleaner daher, weniger ruppig. Sein Gespür für Melodien<br />
und sitzende Refrains hat Markus „Gabi“ Kafka nicht verloren,<br />
ebenso wenig seinen Kampfgeist. Denn auch wenn<br />
/DEmoS<br />
Wave mit einem Esslöffel Punk und betörenden Gitarristinnen.<br />
Wer konkrete Referenzpunkte braucht: LEA-<br />
THERFACE, allerdings ohne deren behäbige Ideenlosigkeit,<br />
dafür fantasievolles, kompetentes Songwriting, druckvolle<br />
Arrangements, Liebe zum Detail, sarkastisch-skurrile Texte,<br />
rotzige Gitarrensalven, THERAPY? im 16:9 Format sozusagen.<br />
Die 4-Track-CD-R gefällt ausnahmslos, neue Großtaten<br />
sind bereits angekündigt und werden wohl im Laufe<br />
des Jahres verwirklicht werden. (8) Gereon Helmer<br />
KACKOPHONIA<br />
Es lebt noch die Flamme<br />
CD-R | myspace.com/kackophonia || Meine Güte,<br />
was für ein totaler Scheißbandname! Ich weiß, das ist ein<br />
sehr billiger Schenkelklopfer, aber der Name schrie mich<br />
die ganze Zeit förmlich danach an. Wie kann mich sich nur<br />
so nennen ...? Egal, hier geht’s ja um das Album und das ist<br />
alles andere als kacke, denn die ist gemeinhin braun und<br />
diese Band ist so was <strong>von</strong> blutig rot, so englisch roh kann<br />
ein Steak gar nicht gegrillt werden. Außerdem merkt man<br />
den Herren gleich an, dass sie seit langem Musik machen<br />
und der bewusst einfach gehaltene Eins-zwei-drei-Abgehpunk<br />
nicht ungewollt mangels Instrumentenbeherrschung<br />
als Stil verwendet wird. Ganz anders dagegen die Texte, die<br />
zum Beispiel Klassiker <strong>von</strong> Bert Brecht oder Erich Mühsam<br />
zitieren. Titel wie „Auf die Barrikaden“, Texte wie „Lasst<br />
Volkes Blut in Strömen fließen / Lasst uns erhängen und<br />
erschießen“, „Hoch mit der roten Fahne“ sind mir einfach<br />
zu viel des Guten. Ich will gar keine Scheißfahnen sehen<br />
und habe nie verstanden, wie ein Mensch weniger wert<br />
sein kann und sich aufopfert für so ein blödes Stück Stoff ...<br />
Aber wer sich hier angesprochen fühlt, erhält den Soundtrack<br />
für die Revolution und die COMMANDANTES sind<br />
dagegen Vorschulprogramm ... Christian Fischer<br />
MOONSHINE<br />
s/t<br />
CD-R | Dooos | myspace.com/moonshinegbg |<br />
23:20 || Ein selbergemachtes und selbstgebranntes<br />
Album, das die Band aus Göteborg, Schweden für 3 Euro<br />
abgibt. Das Trio blickt zurück auf Jahre in anderen Bands<br />
wie AGRIMONIA, SLICKS oder WILDCAT STRIKE, und mit<br />
MOONSHINE kanalisiert man nun seine Wut in Klänge,<br />
die aus einer Crust-Vergangenheit einerseits und andererseits<br />
dem Wunsch resultieren, heute etwas melodiösere<br />
Musik zu spielen, mehr im klassischen Punkrock verwurzelt.<br />
Wer NO SHAME und HENRY FIATS OPEN SORE gleichermaßen<br />
schätzt, könnte hieran Gefallen finden, auch<br />
wenn die Produktion eher mäßig ist. Joachim Hiller<br />
STAHLKAPPENVERBOT<br />
Pass ma uff Keule<br />
CD-R | stahlkappenverbot.de | 24:06 || STAHLKAP-<br />
PENVERBOT, das sind zwei Mädels (Bass, Drums) und ein<br />
männliches Gegenstück (Gitarre), aus dem allseits bekannten<br />
Berlin. Originalgetreu ist der Albumtitel der Berliner<br />
Mundart geschuldet: „Pass ma uff Keule“. Doch keine<br />
Angst, die Titel auf diesem Demo werden dann dann doch<br />
im gut verständlichem Hochdeutsch vorgetragen – so gut<br />
es eben geht. In den Liedern, die einen nicht wirklich<br />
vom Hocker reißen, geht es um alles und nichts, so wird<br />
die ständige Bereitschaft zum Faulsein besungen, aber<br />
auch ernstere Themen. Die Songs an sich sind relativ simpel<br />
aufgebaut, aber durch Bläsereinsätze und unterschiedliche<br />
Tempi recht abwechslungsreich. Letztendlich fehlt es<br />
jedoch an dem nötigen Witz und Dampf in der Produktion.<br />
Teilweise erinnert der Sound an die frühen DIE ÄRZTE und<br />
DIE TOTEN HOSEN. (4) Sven Grumbach
„Die Götter versagen“ oder „Nur noch eine Raste“ für so<br />
manche Gänsehaut sorgen und das Gewand freundlicher<br />
wird, die Texte sind es oftmals nicht. Die KAFKAS wissen,<br />
wer ihre Feinde sind, wen man da draußen in der Welt und<br />
drinnen in den Schlachthöfen und Tiertransporter-Cockpits<br />
nicht mag, nicht mögen muss, nicht mögen darf, und<br />
scheuen sich auch nicht, das offen zu legen, scheuen sich<br />
nicht, auf Angriff zu schalten. Dennoch hat Markus, wie<br />
er auch im Interview in der #85 erzählt, gelernt, über<br />
Gefühle zu schreiben und zu singen, weshalb es auch so<br />
manches Liebeslied auf „Paula“ schafft. „Aber antikapitalistisch,<br />
das war doch klar“, wie es in „Wenn ich mal ein<br />
Tattoo habe“ so treffend heißt. Alles in allem schon jetzt<br />
mein Album 2010. (10) H.C. Roth<br />
KARATE DISCO<br />
Discostress<br />
CD | Rilrec | rilrec.de || Timing ist alles. So bringen die<br />
aus in und um Koblenz stammenden Punkrocker KARATE<br />
DISCO um Sängerin Rici nahezu zeitgleich mit Filmemacher<br />
Tim Burton ihr<br />
aktuelles Werk heraus.<br />
Das passt, denn „Alice im<br />
Wunderland“ in Punkrock,<br />
das ist es im Groben,<br />
was KARATE DISCO<br />
künstlerisch abliefern. Es<br />
wird eben auch an den<br />
Ufern des Rheins gerne<br />
und viel hinter den Spiegel<br />
geschaut ... Eben<br />
jene Tatsache und der<br />
Umstand, dass Schlagzeuger<br />
A. Gräbeldinger<br />
(der Lewis Carroll des Post-Bukowski-Jahrtausends) nun<br />
bereits seit Jahren ein Murmeltierkostüm trägt, untermauern<br />
diese These. Doch nicht auf Wahnsinn, sondern<br />
auf Vielfalt, Farbenpracht und Unterhaltungswert will ich<br />
mit diesen Vergleichen hinweisen. Denn deutschsprachiger<br />
Punkrock in bestmöglicher Bauweise, das ist es, was der<br />
Fan hier einmal mehr bekommt. Sonderlob geht an dieser<br />
Stelle an Rici, die merklich an ihrem Gesang gearbeitet<br />
hat und damit nochmal eine gute Schippe Qualität im<br />
Vergleich zum Vorgängeralbum drauflegt. Die fantastische<br />
Produktion, das seit jeher im Hause KARATE DISCO stilsichere<br />
Artwork und die Kompromisslosigkeit, mit der der<br />
Rest der Band ihre Parts im Studio eingeprügelt haben,<br />
runden den „Discostress“ ab. Wer mehr über die Verknüpfung<br />
zum aktuellen Tim Burton-Film und der Band wissen<br />
möchte, sucht bei YouTube nach dem sehr, sehr coolen<br />
Video der KARATE DISCO – und bedenke, dass diese „ihren<br />
Film“ vor dem Altmeister gedreht haben! Und wer weiß,<br />
dass KNOCHENFABRIK nichts mit Tiernahrung zu tun<br />
haben, und auf deutschen Punkrock steht, muss sich diese<br />
Platte zulegen. Basta. Jörkk Mechenbier<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
KATZENSTREIK<br />
Move<br />
CD | Unterm Durchschnitt | unterm-durchschnitt.<br />
com | 39:33 || Was soll man nach gefühlten zehn KAT-<br />
ZENSTREIK-Alben noch groß über die Band schreiben?<br />
Wie wäre es damit, dass sich mit „Move“, ihrem tatsächlich<br />
erst fünften Album, ein TURBOSTAAT-Vergleich nahezu<br />
aufdrängt? Ähnlich wie die Flensburger spielen die Göttinger<br />
nämlich aufgewühlt-emotionalen Punk, der frühe<br />
HWM und diverse Indie-Einflüsse referiert und der genau<br />
deswegen immer wieder berührt und begeistert („Eat“).<br />
Der Unterschied zwischen TURBOSTAAT und KATZEN-<br />
STREIK ist allerdings, dass Zweitgenannte greifbarere Texte<br />
schreiben, sie sind meist persönlich, wenn auch politisch<br />
konnotiert, und man versteht diverse Bezüge schneller,<br />
weil KATZENSTREIK weniger abstrakt und nicht ganz<br />
so schwafelig schreiben wie TURBOSTAAT. Und das tut<br />
„Move“ wirklich gut. (8) Lauri Wessel<br />
KENAI<br />
Hail The Escapist<br />
CD | Redfield/Cargo | redfield-records.de || Nach<br />
zwei EPs veröffentlichen KENAI nun ihr Debütalbum<br />
über Redfield Records. Musikalisch gibt man Post-Hardcore<br />
mit Screamo- und Punk-Elementen zum Besten, welchen<br />
man mit einer gehörigen Portion Elektronika versehen<br />
hat. Klar, dass man da direkt an ENTER SHIKARI denken<br />
muss, jedoch: Wo ENTER SHIKARI schnell mit ihren<br />
teilweise etwas überspitzten, penetranten Dancefloor-<br />
Sounds nerven können, wissen KENAI dieses Element<br />
deutlich angenehmer einzusetzen. Immer dann, wenn das<br />
Geplucker gerade anfangen möchte, das Nervenkostüm des<br />
Zuhörers auf unangenehme Art und Weise zu penetrieren,<br />
holt die aus Essex stammende Band zum großen Schlag aus<br />
und zerkloppt das Gedudel mit der mächtigen Riffkeule.<br />
Da bekommt das eigentlich überstrapazierte Stilmittel des<br />
Breakdowns eine neue und positive Dimension verliehen,<br />
da diese hier nicht den Testosteronspiegel der beteiligten<br />
Musiker repräsentieren sollen, sondern tatsächlich überaus<br />
songdienlich eingesetzt werden (7) Jens Kirsch<br />
KONGSMEN<br />
On Campus<br />
CD | Soundflat/Broken Silence | soundflat-records.<br />
de | 32:54 || Es wird Zeit für meinen Lebensbeichte:<br />
Ich habe eine Schwäche für Schimpansen in Menschenkleidung.<br />
Einer meiner größten Helden ist Lancelot Link<br />
<strong>von</strong> A.P.E., der „Agency for the Prevention of Evil“. Umso<br />
erfreulicher finde ich, dass mit den KONGSMEN endlich<br />
mal eine Band Charles Darwin Recht gibt. Die ganze<br />
Rock’n’Roll-Evolution begründeten unsere Bananen fressenden<br />
Vorfahren. Soundflat Records springt nun endlich<br />
auch auf den seit Jahrmillionen fahrenden Zug auf<br />
und verkauft „Affenmusik“ als das nächste große Ding.<br />
Zu Recht! Bereits in den frühen Sechziger Jahren konnten<br />
mit dem Sound <strong>von</strong> scheppernden Gitarren, rachitischen<br />
Saxofonen und quiekiger Orgel Highschool-Tanzabende in<br />
wahrhafte Dschungel des Lasters verwandelt werden (seht<br />
euch John Belushis „Animal House“ an, und ihr wisst, was<br />
ich meine ...). Dank unserer behaarten Musikerfreunde<br />
(gerüchteweise schwingen sie sich in Madrid <strong>von</strong> Baum zu<br />
Baum), kann nun der Tanzspaß für Homo Sapiens weitergehen.<br />
Die Nummern der Affenmusiker sind zwar auch seit<br />
weit über 40 Jahren bewährte Tanzdielen-Magneten in der<br />
Menschenwelt („King Kong“, „(Go Go) Gorilla“, „Monkey<br />
man“, „I go ape“). Doch nur wer im Affenhaus oder im<br />
afrikanischen Busch aufwuchs, kann diese Songs mit dem<br />
nötigen Biss spielen. Im Übrigen erzählt man sich, dass<br />
Mitglieder der KONGSMEN mit Menschenmasken verkleidet<br />
unter dem Namen „IMPERIAL SURFERS“ auftreten<br />
und, auch für Soundflat natürlich, Schallplatten eingespielt<br />
haben. Näheres dazu in der „Singles“-Rubrik. (8)<br />
Gereon Helmer<br />
KONG<br />
Snake Magnet<br />
CD/DVD | Brew | brewrecords.net | 50:16 || Kratzige,<br />
sich bis zum Erbrechen wiederholende Anti-Gitarrenriffs,<br />
ein gerade noch so im Takt spielendes Schlagzeug<br />
und ein Sänger, der sich scheinbar in einem Zustand<br />
irgendwo zwischen angepisst, gelangweilt und dauerhaft<br />
besoffen befindet: Erstaunlich, mit welchen – im Grunde<br />
genommen recht primitiven – Mitteln KONG auf ihrem<br />
Debüt „Snake Magnet“ verdammt sympathische Musik<br />
machen. An der Grenze zur Unhörbarkeit wird hier sicherlich<br />
das eine oder andere Mal gekratzt, aber das „gewisse<br />
Etwas“ kann man dem groovenden Noisecore der drei Briten<br />
kaum absprechen. Ein Bastard <strong>von</strong> einem Album, dem<br />
man den Einfluss <strong>von</strong> MCLUSKY, SHELLAC und FUGAZI zu<br />
jeder Sekunde anhört. Cool. (8) Marcus Latton<br />
KEELHAUL<br />
Keelhaul’s Triumphant Return To Obscurity<br />
CD | HydraHead | hydrahead.com | 49:26 || Ich bin<br />
zutiefst beeindruckt: Da kommt eine Band nach beinahe<br />
sechs Jahren klammheimlich aus der Versenkung hervor<br />
und liefert ein Album<br />
ab, das nicht nur extrem<br />
frisch klingt, sondern<br />
auch noch locker<br />
der Großzahl des Math/<br />
Noise-Rock-Kollegiums<br />
mindestens Neidesblässe<br />
ins Gesicht treibt.<br />
Was KEELHAUL auf „Triumphant<br />
Return To Obscurity“<br />
veranstalten ist<br />
schlichtweg atemberaubend!<br />
Die vier Herren<br />
aus Cleveland, Ohio<br />
scheren sich einen Dreck um Hörgewohnheiten. Math,<br />
Noise, Metal und Hardcore heißen die vier, den vertrackten,<br />
fummeligen, schrägen Kompositionen zugrunde liegenden<br />
Eckpfeiler; gespielt mit wunderbarer Leichtigkeit,<br />
technischer Finesse sowie routinierter Präzision, was<br />
auf beinahe mysteriöse Art absolut funktioniert. KEEL-<br />
HAUL sind extrem druckvoll und heavy, ohne das Feingefühl<br />
komplett an der Studiotür abgegeben zu haben, verspielt,<br />
ohne sich in angeberischer, sinnfreier Fummelei zu<br />
verlieren, und komplex, ohne „Unhörbarkeit“ zu generieren.<br />
„Triumphant Return To Obscurity“ klingt in etwa so,<br />
als hätten KNUT versucht, die musikalischen Ansätze <strong>von</strong><br />
BOTCH, BATTLES und LIGHTNING BOLT zu fusionieren.<br />
Ganz starkes Album! Konstantin Hanke<br />
KAZUMASA HASHIMOTO<br />
Strangeness<br />
CD | Noble/A-Musik | noble-label.net | 60:54 ||<br />
Nach seinem eher minimalistischen Soundtrack zu Kiyoshi<br />
Kurosawas Film „Tokyo Sonata“ hat der aus Tokio stammende<br />
Kazumasa Hashimoto ein neues Album namens<br />
„Strangeness“ aufgenommen, das allerdings im ersten<br />
Moment nicht unbedingt in diese Kategorie fällt. Bereits<br />
auf seinem 2007er Album „Euphoriam“ hatte Hashimoto<br />
recht konventionelle poppige Töne angeschlagen und seine<br />
fließenden, sehr melodischen Elektroniksounds, die durch<br />
die Integration akustischer Klänge und einer Klassik-Instrumentierung<br />
aber nichts mit irgendwelchen sterilen Laptop-Spielereien<br />
gemein hatten, in überraschend songorientierte<br />
Bahnen gelenkt. „Strangeness“ basiert zwar immer<br />
auf noch auf einer Art Kammerpop-Elektronik, die nicht<br />
immer auf direktem Weg ans Ziel kommt, aber durch die<br />
Hinzunahme <strong>von</strong> Hirono Nishiyamas (aka Gutevolk)<br />
wundervoll unirdischer Stimme (man fühlt sich ein wenig<br />
an Lætitia Sadier <strong>von</strong> STEREOLAB erinnert) bei den ersten<br />
Stücken entsteht bisweilen der Eindruck, es mit klassischer<br />
Popmusik zu tun zu haben. Letztendlich passt der Titel<br />
„Strangeness“ dann doch wieder – vor allem beim großartigen<br />
20-minütigen instrumentalen Titleltrack –, denn<br />
Hashimotos vielschichtige Kompositionen scheinen ein<br />
musikalische Äquivalent zu „Alice im Wunderland“ dazustellen,<br />
eine traumartige Klangwelt, die einer ganz eigenen<br />
Logik gehorcht, mit Hashimoto als Grinsekatze, dem man<br />
schon aufmerksam zuhören muss, um die Gesetzmäßigkeiten<br />
seiner Platte zu verstehen, die dann zu einem Füllhorn<br />
herrlicher Melodien, Emotionen und Sounds wird. (9)<br />
<strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
KAZIMIR<br />
Brokenlande<br />
MCD | myspace.com/kazimir | 19:09 || „Junge verliebt<br />
sich in Mädchen (Mädchen sagt Nein)“. Acht kleine<br />
Worte, klare Aussage und der volle Text des gleichnamigen<br />
Songs. Aber mehr braucht es auch nicht, um vier atmosphärische<br />
Minuten zu gestalten, mit Stimmensample und<br />
Geige am Schluss, wunderbar. Die anderen vier Stücke<br />
haben deutlich mehr Text zu bieten, eingebettet in krachigdreckigem<br />
Indie-Rock mit Hang zu Noise und Emo. Absolut<br />
runde Sache das, kraftvoll produziert und mit gegebenem<br />
Wiedererkennungswert. Ach ja, zu kaufen bekommt<br />
man „Brokenlande“ auf den Konzerten der Band oder<br />
online. (8) H.C. Roth<br />
LLL<br />
LOKALMATADORE<br />
Punk Weihnacht<br />
CD | Teenage Rebel | teenage-rebel.de | 65:52 || In<br />
270 Tagen ist Weihnachten! Jetzt gilt es sich zu sputen, noch<br />
rechtzeitig ein paar Geschenke für die Lieben zu erstehen,<br />
denn wer will zum Fest der Liebe ohne Präsente dazustehen?<br />
Und warum nicht die gute, alte Tradition der Weihnachtsplatte<br />
wiederbeleben? Wer als schon die entsprechenden<br />
Scheiben <strong>von</strong> Billy Idol und Bing Crosby sein<br />
eigen nennt, ist auch prädestiniert dafür, an „Punk Weihnacht“<br />
der LOKALMATADORE (aus Mülheim an der Ruhr)<br />
Gefallen zu finden. Allerdings gibt es hier keine weitere<br />
Weihnachtsliedervergewaltigungsplatte, sondern ein vor<br />
nicht allzu langer Zeit kurz vor Weihnachten in Hamburg<br />
aufgenommenes Live-Album, das erste der „Lokalen“ seit<br />
„HimmelAchtungPerkele“ <strong>von</strong> 1994. In okayner, sagen wir<br />
mal „authentischer“ Aufnahmequalität fühlt man sich <strong>von</strong><br />
dem Album in Versuchung geführt, sofort eine Flasche oder<br />
gleich einen ganzen Kasten Bier aufzumachen und dazu<br />
mit sich selbst eine Party zu feiern – mit „König Alkohol“<br />
und „Barbara“ etwa und all den anderen subtilen Hits, die<br />
Fisch (oder „Trocken-Fisch“, wie er seit ein paar Jahren<br />
eigentlich heißt) und Band hier in virtuoser Manier darbieten.<br />
Ein großer Spaß, der allerdings bald getoppt werden<br />
dürfte durch das neue Album, das in den nächsten Monaten<br />
endlich das Licht der Welt erblicken sollte. Und jetzt<br />
erstmal: Frohe Ostern! (7) Joachim Hiller<br />
LES WAD-BILLYS<br />
Hot Brain<br />
MCD | Schnitz Productions | leswadbillys.com |<br />
12:18 || Dass es sich bei diesem Trio aus Metz gewiss um<br />
keine unerfahrenen Greenhorns mehr handelt, hört man<br />
dieser EP schon ab den ersten mächtig treibenden Fuzz-<br />
Akkorden des titelgebenden Openers an. Über die Distanz<br />
<strong>von</strong> vier Dreiminütern, bekommt man hier so richtig<br />
schön fies verzerrten und gewaltig groovenden Garagepunk<br />
der alten Schule serviert, welcher den genannten<br />
Haupteinflüssen FLESHTONES und DIRTBOMBS aber mal<br />
durchaus zur Ehre gereicht. Mein absoluter Favorit ist hierbei<br />
übrigens das französischsprachige „Éclair“: Wer da noch<br />
seine Füße ruhig halten kann, spürt wahrscheinlich auch<br />
ansonsten nicht mehr allzu viel ... (7) Ben Bauböck<br />
LANDMINE MARATHON<br />
Sovereign Descent<br />
CD | Prosthetic | prostheticrecords.com | 39:36 ||<br />
Es ist noch kein halbes Jahr her, seit mir der Vorgänger <strong>von</strong><br />
„Sovereign Descent“ in die Finger gefallen ist. Jetzt laden<br />
die Oldschool-Deather und Grinder zum dritten LAND-<br />
MINE MARATHON. Und die Strecke ist gefährlicher denn<br />
je. Neben dem altbekannten schweren BOLT THROWER-<br />
Beschuss geht es über alte CARCASS in rasende Thrash-<br />
Gefilde und zähe Midtempo-Sümpfe. Und hinter jeder<br />
Ecke lauert ein unfassbares Energiebündel in Gestalt <strong>von</strong><br />
Grace Perry, die ihre nachdenklichen Texte wütend und<br />
frustriert in beeindruckendster Manier herausschreit.<br />
Nein, nicht wie ein Mann, sondern heftiger und härter.<br />
Aber auch das Gesamtkunstwerk hat durch einen harten<br />
organischen Sound und eine formidable Verpackung zugelegt<br />
und lässt hoffen, dass LANDMINE MARATHON ihren<br />
Insider-Status möglichst bald verlieren. Große Band. (8)<br />
Dr. Oliver Fröhlich<br />
LOW VALUE<br />
Recharge<br />
CD | High Speed Flower | hsfr.jp | 44:01 || LOW<br />
VALUE haben ihren Ursprung in Slowenien oder Kroatien,<br />
das wird aus ihrem Info nicht ganz klar. Die Band<br />
existiert seit 2000 und hat seitdem viele Gigs, besonders in<br />
eben genannten Balkanländern und Österreich, absolviert.<br />
„Recharge“ ist die zweite Scheibe nach „The Language Of<br />
Stolen Music“ aus dem Jahr 2005. Wie der schon Erstling<br />
erscheint auch dieses Album in Japan. Dort scheint es nach<br />
wie vor großes Interesse an Punk/Hardcore/Emo-Bands<br />
aus Europa und den USA zu geben. LOW VALUE präsentieren<br />
auf zehn Songs eine gute Mischung aus den Komponenten<br />
„Melodic Hardcore“, „Rock“ und „Metal“ – in<br />
Bands ausgedrückt höre ich hier Anleihen bei NO USE FOR<br />
A NAME, STRUNG OUT und TEN FOOT POLE. Der siebeneinhalbminütige<br />
Track „Call to arms“ hat dann tatsächlich<br />
noch was <strong>von</strong> MEGADETH. Grundsätzlich fällt auf, dass fast<br />
rEvIEws<br />
alle Songs annähernd oder über vier Minuten lang sind.<br />
Dennoch verliert sich die Band selten in allzu vertrackten<br />
Breaks oder Parts, sondern kommt zumeist wieder auf<br />
den Punkt. Das ist alles nicht neu, aber in Ordnung. Und<br />
zumeist schnell. (6) Zahni Müller<br />
LAPKO<br />
A New Bohemia<br />
CD | Fullsteam/Pias | fullsteamrecords.com || Die<br />
Finnen LAPKO lassen sich genauso wenig auf einen Stil<br />
festlegen wie BIFFY CLYRO und können dabei sogar schon<br />
aus dem Schatten der Schotten heraustreten. Erstaunlich<br />
wie groß Europa doch letztendlich ist: „A New Bohemia“<br />
ist das vierte Album des Trios und doch das erste, dass es<br />
bis nach Deutschland geschafft hat. Man sollte diese Band<br />
nicht ob ihrer Herkunft unterschätzen oder gar in Exotenschubladen<br />
stecken. Wäre die Popwelt gerecht, stünde<br />
bei LAPKO bald die eine oder andere Welttournee an.<br />
Eben genauso wie bei BIFFY CLYRO, die mit „Only Revolutions“<br />
das Album des letzten Jahren geschrieben haben.<br />
Musikalisch bewegt man sich auf dem gleichen Terrain wie<br />
bereits erwähnte Band und weiß damit zu überzeugen. Die<br />
zehn Songs sind durch die Reihe fantastisch und zu keiner<br />
Sekunde langweilig oder anbiedernd. Wäre die Welt<br />
gerecht, sollte jeder diese Band zumindest einmal angehört<br />
haben. (7) Sebastian Wahle<br />
LEE HARVEY OSMOND<br />
A Quiet Evil<br />
CD | Latent | latentrecordings.com || Es gibt Alben,<br />
bei denen weiß man schon nach wenigen Sekunden des<br />
Hörens, dass man hier etwas Besonderes vor sich hat.<br />
So ging es mir mit „A Quiet Evil“. Der Band aus Toronto<br />
rund um Tom Wilson (JUNKHOUSE/BLACKIE AND THE<br />
RODEO KINGS) und Mitgliedern <strong>von</strong> den COWBOY JUN-<br />
KIES und SKYDIGGERS ist hier ein kleines Americana/<br />
Alternative-Country-Meisterwerk gelungen. Tom Wilsons<br />
düstere Stimme erzeugt Gänsehautstimmung pur. Wenn<br />
Tom Wilson in „Lucifer’s blues“ teils sprechend, teils singend<br />
das Böse in der Welt beschwört, fühlt man sich ein<br />
wenig an Tom Waits erinnert. Die dunklen Seiten des<br />
Lebens sind auch textlich Hauptthema auf „A Quiet Evil“,<br />
das großartig-relaxte „Cuckoo’s nest“ oder die unheimliche<br />
Mörder-Ballade „Blade of grass“ sind nur zwei Beispiele<br />
dafür. Bei LEE HARVEY OSMOND sind Blues-<br />
Melancholie und Alternative Country-Seligkeit mit einem<br />
düsteren Vorzeichen versehen, das aber oft auch mit einem<br />
Augenzwinkern. Ebenfalls sehr gelungen ist das VELVET<br />
UNDERGROUND-Cover „I can’t stand it“. Von Anfang<br />
bis Ende bis ein großes Album, das ich jedem Alternative-<br />
Country-Fan empfehlen kann. (9) Robert Buchmann<br />
LIGHTHOUSE<br />
Abyssus Abyssum Invocat<br />
CD | Anchors Aweigh | anchorsaweighrecords.com |<br />
19:48 || Nach einem kurzen, das Unheil bereits ankündigende<br />
Intro bollern LIGHTHOUSE aus Augsburg los<br />
und entlassen den Hörer nach einem knapp 20-minütigen<br />
Gewaltausbruch wieder aus ihren Fängen und spendieren<br />
zum Schluss noch eine ordentliche Portion Kopfschmerz,<br />
dank eines fiesen Rauschens, mit dem die CD ein<br />
Ende findet. Der teilweise an BREACH oder RISE AND FALL<br />
erinnernde brachiale Hardcore wechselt zwischen brutal-unkontrollierter<br />
Raserei und vertrackten Dampfwalzenparts.<br />
Die Produktion der Oldenburger Tonmeisterei<br />
ist mal wieder super und rundet die Musik ebenso wie das<br />
düstere Coverdesign hervorragend ab. (8) Sebastian Banse<br />
LOWER THAN ATLANTIS<br />
Far Q<br />
CD | Refield/Cargo | redfield-records.de | 40:36 ||<br />
Nachdem die UK-Band LOWER THAN ATLANTIS mehrere<br />
Drummer und Bassisten verschlissen hat, haben sie<br />
nun ihr komplettes Line-up gefunden und sich sofort ins<br />
Studio begeben. Rausgekommen ist das Album „Far Q“,<br />
das dem UK-Hardcore-Hype mit Bands wie GALLOWS<br />
oder GHOST OF A THOUSAND in nichts nachsteht. Wahrscheinlich<br />
übertreffen LTA ihre beiden Konkurrenten hinsichtlich<br />
der Songtexte. Sänger und Gitarrist Mike Duce<br />
besingt nicht nur typisch englische Themen, die in den<br />
Siebzigern schon aktuell gewesen sind, wie die generationsbedingte<br />
Teilnahmslosigkeit in den Songs „Down with<br />
the kidz“ oder „I’m not bulimic“, er kommentiert auch<br />
das Leben im Internet auf eine ironische Art und Weise<br />
in „A/S/L“ und „Taping songs off the radio“. Musikalisch<br />
ist das Trio auf gleicher Augenhöhe mit Obengenannten.<br />
Punkrockparts sind im gleichmäßig verteilten Verhältnis<br />
mit Metal/Hardcoreparts zu finden. Zudem kommen sie<br />
im Mai auf Tour und können beweisen, dass sie auch live zu<br />
den Großen gehören. (8) Peter Nitsche<br />
mmm<br />
MI AMI<br />
Steal Your Face<br />
CD | Thrill Jockey | thrilljockey.com | 37:30 ||<br />
Daniel Martin-McCormick und Jacob Long waren mal<br />
in den Neunzigern bei der Dischord-Band BLACK EYES<br />
aktiv und machen inzwischen in San Francisco unter<br />
dem Namen MI AMI Musik, die man als durchaus stressig<br />
einstufen darf. Vor allem bedingt durch Daniel Martin-<br />
McCormicks Gesang (oder vielleicht doch besser Gekeife<br />
oder Gekreische?), bei dem man ihn zunächst auch für<br />
eine extrem hysterische Frau halten könnte – Ian Sveno-<br />
OX-FANZINE 99
EvIEws<br />
present:<br />
ZEni Geva<br />
alive and rising.<br />
europa Tour 2010<br />
jakuzi's attempt<br />
id / Kajkyt<br />
april<br />
*dates with Jakuzi's Attempt/<br />
^with ID / #with Kajkyt<br />
04/13 @ Fluc, Vienna/ Aut*<br />
18 @ Reithalle, Bern/ ch*<br />
20 @ L'Usine, Geneve/ ch*<br />
25 @ Festsaal Kreuzberg,<br />
Berlin/ Ger*#<br />
26 @ Hafenklang,<br />
Hamburg// Ger<br />
27 @ Gleis 22, Munster/ / Ger^<br />
28 @ Kassablanca, Jena/ / Ger^^<br />
Releases out now!<br />
HTGT08<br />
Zeni Geva - Alive<br />
And Rising CD<br />
WGR08<br />
Kajkyt - „Krst“<br />
CD/DLP<br />
V.A. Es lebe der Punk Vol. 12<br />
CD | Nix Gut | nix-gut.de | 63:03 || Es lebe der<br />
Punk, die Zwölfte! Die bekannte und beliebte Reihe aus<br />
dem Hause Nix Gut geht in die nächste Runde. Dieses Mal<br />
sind mit dabei die FREIBEUTER AG, NI JU SAN, ALARM-<br />
SIGNAL, LÜKOPODIUM, ABFLUSS, LADEHEMMUNG und<br />
einige andere. Für den schmalen Geldbeutel gibt es <strong>von</strong><br />
jeder Band wieder jeweils zwei Titel auf die Ohren. Insgesamt<br />
tummeln sich 20 Songs auf dieser CD. Eigentlich hat<br />
man hier keinen Grund zu meckern, doch eine Kleinigkeit<br />
hab ich schon zu bemängeln: Obwohl der Sampler gerade<br />
erst erschienen ist, sind teilweise ziemlich alte Titel dabei,<br />
so sucht man hier etwa Songs aus dem aktuellen ALARM-<br />
SIGNAL-Album vergeblich. Wobei dies doch eine wunderbare<br />
Gelegenheit dafür wäre, die Platte der Band hier weiter<br />
zu pushen. Aber egal, die paar Euro ist „Es lebe der Punk<br />
Vol. 12“ auch dieses Mal wieder Wert und wie immer eine<br />
gute Gelegenheit, vielleicht mal wieder neue Bands für<br />
sich zu entdecken. (7) Sven Grumbach<br />
V.A. DAS FRIVOLE<br />
BURGFRÄULEIN – Endlich 18<br />
CD | Schulanfang77 | schulanfang77.de || Die punkigen<br />
Spielmänner sind aber ganz schön flink. Gerade erst<br />
vor ein paar Wochen besprach ich die letzte Veröffentlichung<br />
„Punkverräter“ (die mir übrigens recht gut gefallen<br />
hat) und schon gibt’s einen Nachschlag: „Endlich 18“.<br />
Ein Lächeln konnte ich mir dabei nicht verkneifen, erinnert<br />
mich dieser auch gern <strong>von</strong> Nazis verwendete Slogan<br />
doch wieder an die Anekdote mit dem strunzdummen<br />
Kamerrrraden, der mit seinem „Endlich 18“-Provo-<br />
T-Shirt letztens eben weniger zu Lachen hatte. (bei wem’s<br />
nicht gleich klingelt: 18 steht in solchen Kreisen für den<br />
ollen GröFaZ). Naja, diese Sorte Dummheit kriegt wohl<br />
eher feuchte Höschen bei „Ilsa – She-Wolf of the SS“, als<br />
beim FRIVOLEn BURGFRÄULEIN. Die feiern nämlich laut<br />
Begleitschreiben wirklich den 18. Geburtstag ihrer Band<br />
und mittlerweile ist es wohl zu einer Epidemie geworden,<br />
ein Tribute-Album mit befreundeten Bands unters<br />
Volk zu schmeißen. 15 Mal interpretieren mir zumeist völlig<br />
unbekannte Bands wie FRAD TIMM & DER FLOTTE<br />
TOTTE, KABELTROMMELSALAT oder ALLE IM SCHRANK<br />
die Burgfräulein-Diskografie rauf und runter. Bei derartigen<br />
Namen passen die musikalischen Ergüsse wie die Faust<br />
aufs Auge und ich muss die Bands auch nicht weiter kennen<br />
lernen. Absolut nicht meine Tasse Met, wobei ich auch<br />
die originalen Songs größtenteils nicht kenne. Mitten in<br />
dem Reigen dann aber mein Lieblingsbarde ZWAKKEL-<br />
MANN aka Schlaffke, der hoffentlich mal ein paar Gramm<br />
zugenommen hat und nicht nur <strong>von</strong> der Körperfülle her<br />
die magere Speerspitze des Samplers sein dürfte. Schlaffke<br />
schmettert eine extra entworfene Ode an die Band unters<br />
Volk, mal wieder mit großartigem Humor versetzt. Klarer<br />
Volltreffer und neben den ROTEN RATTEN vom Bekanntheitsgrad<br />
auch Highlight des Samplers. Schließlich gibt’s<br />
noch vier eigene Nummern <strong>von</strong> DFB, die ebenfalls nichts<br />
mehr groß retten können. Da hilft auch die stets überzeugende<br />
Babette Vageenas als Gastsängerin nicht, den<br />
Gesamteindruck der Scheibe zu verbessern. Glückwunsch<br />
zum Jubiläum, feiert euch selbst kräftig, aber das ist definitiv<br />
nicht meine Party! (3) Christian Fischer<br />
V.A. Krautrock – Music For Your Brain Vol. 4<br />
6CD | Target Music | targetmusic.de || „Krautrock“<br />
– hätte man vor zehn Jahren noch bei der bloßen Erwähnung<br />
dieses Wortes als gestandener Punkrocker panisch<br />
OX-FANZINE 100<br />
WGR10<br />
Jakuzi´s Attempt -<br />
lll EP/12''<br />
WGR09<br />
„Urban Loritz Jam“<br />
DVD<br />
Coming out soon:<br />
WGR07 Wire Globe „Recycled Tracks 01“ CD<br />
WGR11 Country Of Last Things - s/t CD/12''<br />
www.wiregloberecordings.com<br />
nius ist allerdings auch nicht weit. Musikalisch merkt man<br />
dem „Drum-Punk-Trio“ auch auf ihrem zweiten Album<br />
(das erste erschien 2009 bei Quarterstick) auf jeden Fall<br />
noch ihre Post-Punk/Hardcore-Wurzeln und die Beziehung<br />
zu Bands aus dem FUGAZI-Umfeld an, da sich hier<br />
kantige, treibende Rhythmik mit aggressiven Gitarrenriffs<br />
paart. Auch wenn MI AMI diese energetische, wütende<br />
Mixtur immer wieder in lange instrumentale Improvisations-Passagen<br />
abdriften lassen, was durch die Einbindung<br />
<strong>von</strong> Afrobeat auch starke Parallelen zum avantgardistischen<br />
Post-Punk <strong>von</strong> THE POP GROUP aufweist. Besonders<br />
schön kommt das beim sechsten und letzten Song „Slow“<br />
zur Geltung, der an die tribalistischen Drumbeats <strong>von</strong> CAN<br />
erinnert, und bei dem Martin-McCormicks Stimmakrobatik<br />
weniger aufdringlich ist. Spannende Band, die sich mal<br />
wieder nicht so leicht erschließt, und wenn man sich nach<br />
30 Minuten so langsam auf das Ganze eingegroovet hat, ist<br />
auch schon fast wieder Schluss. (8) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
MONKEY SUITE<br />
Pay To Play ...<br />
MCD | myspace.com/monkeysuite | 16:23 || Wie<br />
konnte ich es bislang übersehen, dass es neben den COPY<br />
CATS noch eine weitere coole Frankfurter Punkband mit<br />
Frau am Mikrofon gibt? MONKEY SUITE heißt der Vierer<br />
mit Hang zu hymnischen Songs zwischen MISFITS-<br />
Anleihen einerseits und so einem gewissen leichten Wave-<br />
Punk-Einschlag andererseits, einen Hauch Glam nicht<br />
zu vergessen. Tom Schwoll hat die sechs Nummern ihrer<br />
Debüt-EP produziert, und auch wenn ich mir insgesamt<br />
etwas mehr Pfeffer wünschen würde – live ist jede Band<br />
schneller, ich weiß –, so hinterlässt „Pay To Play ...“ doch<br />
einen ausgesprochen guten Eindruck. Für ihre Konzerte<br />
sollte man MONKEY SUITE nicht zahlen lassen, ihre Gage<br />
haben die verdient. (7) Joachim Hiller<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
M2<br />
Global Pigeon<br />
CD | Danza Cosmica | danzacosmica.com || Nur mit<br />
Bass beziehungsweise Gitarre und Schlagzeug kreiert das<br />
Duo aus Florenz einen treibenden Sound, der ein wenig an<br />
eine Melange aus SHELLAC und Fred Frith und den (ganz)<br />
ruhigen NOMEANSNO-Songs erinnert. Die sechs witzig<br />
arrangierten Songs sind mit subtilen Texten in Niederländisch,<br />
Deutsch, Englisch, Italienisch und Französisch versehen.<br />
Der deutsche Beitrag lautet: „Bitte keine Gegenstände<br />
aus dem Fenster werfen“, unterlegt mit Eisenbahngeräuschen<br />
und der Tonaufnahme eines Berichts einer nach<br />
Israel immigrierten deutschen Jüdin. (8) JeNnY Kracht<br />
MURMANSK<br />
Eleven Eyes To Shade<br />
CD | Ranch/Spinefarm | spinefarm.fi | 41:41 ||<br />
Lustig: Die Website dieser Band findet sich unter murmansk-helsinki.com<br />
– auf diese Weise kommt Helsinki,<br />
das offiziell keine Partnerstadt hat, dann doch zu einer. Und<br />
ja, MURMANSK, 2003 gegründet, kommen aus Helsinki.<br />
„Eleven Eyes To Shade“ ist das zweite Album des Vierers,<br />
das Debüt hieß „Chinese Locks“ und kam 2008. Prägendstes<br />
Element ist die helle, säuselnde Stimme <strong>von</strong> Frontfrau<br />
und Gitarristin Laura, die mal wieder an die ikonenhafte<br />
Kim Gordon erinnert – ein Vergleich, der sich angesichts<br />
des dichten, druckvollen Gitarrenrocks <strong>von</strong> MURMANSK<br />
aufdrängt. Allerdings finden sich hier auch Post-Rock-Elemente<br />
sowie Shoegazer-Sounds, haben MURMANSK ein<br />
Händchen dafür, stürmische, laute Songs zu spielen, die<br />
die Flucht ergriffen, so sieht das heute im Falle eines aufgeschlossenen,<br />
musikhistorisch interessierten Menschen<br />
schon etwas anders aus. Natürlich war nicht alles Gold,<br />
was in den hippieverseuchten späten Sechzigern und dann<br />
in den Siebzigern hierzulande an mal mehr, mal weniger<br />
experimenteller Musik zwischen Psychedelic und Elektronik<br />
so fabriziert wurde, doch dass Bands wie FAUST, NEU!,<br />
CLUSTER, TANGERINE DREAM, AMON DÜÜL oder GURU<br />
GURU bis heute und speziell dieser Tage geschätzt werden,<br />
ist eine nicht ganz neue Beobachtung. Zuerst wurde die aus<br />
dem englischsprachigen Ausland stammende Bezeichnung<br />
„Krautrock“ sowie die Musik <strong>von</strong> Post-Rock/Metal-Bands<br />
aufgegriffen, und mittlerweile kokettieren auch deutsche<br />
Bands aus diesem Genre mit dem Begriff und diesen<br />
Einflüssen, so unkonkret sie sich auch manifestieren<br />
mögen. Da ist es nur logisch, sich mit den Ursprüngen dieser<br />
Szene zu befassen, und dazu taugt diese Compilationreihe,<br />
die nun in die vierte Runden geht. Nicht jede der<br />
Boxen erschließt völlig neue Bands, es gibt zwischen den<br />
Teilen und auch innerhalb der Boxen auf den verschiedenen<br />
CDs Überschneidungen, maßgebliche Bands tauchen<br />
mehrfach auf, und so manches, was damals gespielt wurde,<br />
ist heute einfach nur noch furchbar anzuhören (Mal ehrlich:<br />
als in Deutschland solche Musik gemacht wurde, gab<br />
es in den USA schon MC5, STOOGES, SUICIDE und NEW<br />
YORK DOLLS!), doch im Rahmen einer umfassenden<br />
musikalischen Bildung macht es durchaus Sinn, sich <strong>von</strong><br />
Vol. 1 dieser Boxen her in das Thema einzuarbeiten. Und<br />
die Schnittmenge zwischen Punk und Krautrock wird auf<br />
CD1 <strong>von</strong> Vol. 4 schon dadurch klargemacht, dass man als<br />
Opener „Macht kaputt was euch kaputt macht“ <strong>von</strong> TON<br />
STEINE SCHERBEN ausgewählt hat. (7) Joachim Hiller<br />
V.A. One Man Bands Worldwide<br />
LP | Luna Sounds | luna-sounds.de || Ich dachte<br />
zuerst, es handle sich um eine Doppel-LP, bis ich merkte,<br />
dass es einfach zweimal die gleiche Platte, mit verschiedenen<br />
Covervarianten ist. Von denen gibt es beim Squoodge-<br />
Ableger Luna Sounds natürlich wieder diverse streng limitierte<br />
Versionen. Ich halte hier ein schön gestaltetes voll<br />
farbiges Cardboardsleeve (die Standardvariante?!) in der<br />
einen und einen ausfaltbaren Siebdruck auf brauner Pappe<br />
in der anderen Hand. Zwei echte Schönheiten. Musikalisch<br />
sagt der Titel ja eigentlich schon alles, die Bandbreite an<br />
Stilen und Herkunftsländern ist aber das, was den Reiz an<br />
der Compilation ausmacht. So sind neben einigen bekannteren<br />
Namen wie DEAD ELVIS, BLOODSHOT BILL, KING<br />
AUTOMATIC oder dem BEAT-MAN auch ein ganzer Haufen<br />
obskurer Namen u.a. aus Israel, der Türkei, Russland<br />
oder Japan am Start, gibt es neben eher klassischem Hillbillysound,<br />
auch trashiges, punkiges, schräge Minimalismen,<br />
Rockabilly oder auch mal fast melodischen Garage-R&B à<br />
la BBQ und sogar Surf. Und ja, einige Hits wie z.B. „You’re<br />
nice mysterious“ <strong>von</strong> SO COW aus Irland sind auch vertreten.<br />
Man sieht, es lohnt sich, sich auf die Suche nach diesem<br />
Teil zu machen. (7) Alex Strucken<br />
V.A. Punk Chartbusters Vol. 6<br />
2CD | Wolverine | wolverine-records.de |<br />
78:27/79:08 || Meinetwegen mag man mich gerne<br />
einen bornierten Miesepeter schimpfen, aber was Coververersionen<br />
betrifft, gibt es meines Erachtens nach zwei<br />
absolute Sakrilege, bei denen für mich jeglicher Spaß<br />
ein Loch hat: Zunächst mal sollte man es nämlich tunlichst<br />
unterlassen, Songmaterial zur Verwurstung heranzuziehen,<br />
welches schon im Original dermaßen unterir-<br />
ohne die Gitarrenstürme harmlose Pop-Songs sein könnten.<br />
Ein rundum angenehmes Album – aber auch eines, das<br />
etwas beliebig ist. (7) Joachim Hiller<br />
MCRACKINS<br />
It Ain’t Over Easy<br />
CD | Wolverine/Soul Food | wolverine-records.de |<br />
36:26 || Zwei Jahre sind seit ihrer Abschiedstournee vergangen<br />
und die MCRACKINS aus Vancouver, B.C. schenkten<br />
der Welt seitdem zwei<br />
weitere Studioalben und<br />
ein Live-Album. „It Ain’t<br />
Over Easy“ ist dabei zum<br />
wiederholten Mal ein<br />
Wortspiel, dass die nordamerikanischeEier-Terminologie<br />
ausbeutet.<br />
Es erklärt im wütenden<br />
Titellied aber gleichzeitig,<br />
warum das Aufhören<br />
so schwer fällt. Das<br />
ist im Falle der MCRA-<br />
CKINS ein Glück, denn<br />
die Abweichungen <strong>von</strong> den 13 Vorgängeralben sind minimal.<br />
Der notorische Bubblegum-Punk der Kanadier betont<br />
diesmal ihre leicht härtere Nerdcore-Seite, was der sublimen<br />
Aggression <strong>von</strong> „Nerdcore rising“, „Need somebody<br />
(To knock you down)“, „Only in the movies“ und „Trash<br />
you smash you“ geschuldet sein wird. Erfreulicherweise<br />
werden die 14 Lieder im April auch in Europa live beworben<br />
werden. Die MCRACKINS werden dann erneut unter<br />
Beweis stellen, dass sie vor zwei Jahren zu Recht <strong>von</strong> Kollege<br />
Lampert für seinen Ox-Live-Bild-Folianten „We Call<br />
It Punk“ festgehalten wurden. (8) Walmaul<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
MASTER PLAN<br />
Maximum Respect<br />
CD | Nicotine | nicotinerecords.com | 43:36 ||<br />
Der Name „Shernoff“ bei den Songwriter-Credits springt<br />
sofort ins Auge, und natürlich verbirgt sich dahinter Andy<br />
Shernoff <strong>von</strong> den DICTATORS, der zusammen mit Keith<br />
Streng und Bill Milhizer <strong>von</strong> den FLESHTONES sowie Paul<br />
Johnson <strong>von</strong> WAXING POETICS mal eben zwischendurch<br />
ein Album eingespielt hat, das ganz klar an die Fans ihrer<br />
jeweiligen Hauptbands gerichtet ist. Ein Dutzend Songs hat<br />
der Ü50-Vierer eingespielt, und um es klar zu sagen: So<br />
lange Keith Streng den Mund hält, ist alles gut. Andy singt?<br />
Paul singt? Dave Faulkner <strong>von</strong> den HOODOO GURUS singt<br />
(bei „Feels good to feel“)? Alles bestens. Bei den fünf Nummer<br />
allerdings, bei denen Keith hardrockig trällert, da zieht<br />
es mir die Schuhe aus, furchtbar. Aber zum Glück trösten<br />
die sieben anderen Nummern der New Yorker All-<br />
Star-Band mit grundsolidem (Garage-)Rock, gerade die<br />
straighten Shernoff-Nummern wie das Faulkner-Stück<br />
laufen sehr gut rein. Wäre die Platte ein Konzert, ich wüsste<br />
genau, wann ich aufs Klo oder an die Theke verschwinde ...<br />
(6) Joachim Hiller<br />
MAN THE CHANGE<br />
Forgiver<br />
CD | Deafcult | deafcult.org | 24:16 || Nachdem ich<br />
das Demo vor zwei Jahren ziemlich abgefeiert habe, hatte<br />
ich schon langsam die Befürchtung, MAN THE CHANGE<br />
hätten sich danach schon wieder verabschiedet. Glücklicherweise<br />
kam es anders und das Warten auf „Forgiver“<br />
hat sich tatsächlich gelohnt. Der Fünfer aus Mannheim/<br />
disch beschissen und zutiefst verabscheuungswürdig ist,<br />
dass man sich da auch nicht mehr mit einem superironischen<br />
„zwinker, zwinker, knick, knack“ rausreden kann.<br />
Ich meine, ein stinkender Haufen Scheiße wird ja wohl<br />
bitteschön nicht deswegen zu einem leckeren Kuchen, nur<br />
weil man ihn mit Zuckerguss glasiert! Und in diesem Sinne<br />
ist es mir halt unverständlich, wie man sich solcher musikalischen<br />
Verbrechen wie zum Beispiel „Sexy“ <strong>von</strong> Westernhagen,<br />
„Life is life“, „Lemon tree“, „Looking for freedom“<br />
oder Jackos „Earth song“ auch nur mit der Kneifzange<br />
nähern kann. Die betreffenden Bands, welche für die<br />
genannten Tribute-Versionen verantwortlich zeichnen,<br />
werde ich jedenfalls bis auf weiteres nur noch mit aufrichtiger<br />
Verachtung strafen, wenn ich das, wie zum Beispiel<br />
im Falle der VERLORENEN JUNGS („Das geht ab!“<br />
– um Himmels Willen), nicht ohnehin schon so gehandhabt<br />
habe. No-Go Numero zwei wiederum besteht darin,<br />
sich ohne jegliches Gespür und Feingefühl an Hits zu vergreifen,<br />
die – wenn überhaupt – aufgrund ihrer Brillanz<br />
nur <strong>von</strong> Experten bearbeitet werden sollten, die sich mit so<br />
was auskennen: Aber für das, was beispielsweise die Knalltüten<br />
<strong>von</strong> STAGE DISASTER mit „My Sharona“ <strong>von</strong> THE<br />
KNACK angerichtet haben, wünsche ich den Verantwortlichen,<br />
dass ihnen sämtliche zum „Musizieren“ erforderlichen<br />
Extremitäten auf der Stelle verdorren mögen! Nun<br />
gut, soweit also zu den Rohrkrepierern der vorliegenden<br />
Doppel-CD. Zugegebenermaßen besteht ja auch ein Großteil<br />
der hier versammelten 48 Neuinterpretationen unterschiedlichster<br />
Beispiele des letzten halben Jahrhunderts<br />
Rock- und Popgeschichte aus zwar lieblos runtergeschraddelten,<br />
aber wenigstens noch als irrelevant bis mittelmäßig<br />
zu klassifizierenden Stücken. Wirkliche Volltreffer können<br />
jedoch lediglich die SCALLWAGS mit einer tatsächlich<br />
exzellenten Version <strong>von</strong> Michael Jacksons „Beat it“ sowie<br />
die kanadischen Eierköppe MCRACKINS mit Shaun Cassidys<br />
„Hey Deannie“ landen. Recht tapfer schlagen sich dann<br />
unter anderem noch FRONTKICK mit MEN AT WORKs<br />
„Overkill“, COTZRAIZ mit „Los Paul“ <strong>von</strong> TRIO und<br />
die GRUBBY THINGS, deren „Footloose“-Cover in seiner<br />
Infantilität ja fast schon wieder Charme hat. Alles in<br />
allem bin ich dann aber wohl doch etwas zu sehr Gourmet,<br />
um an diesem offensichtlich beliebig dahergeschluderten<br />
Sammelsurium so etwas Ähnliches wie Freude entwickeln<br />
zu können. Klingt wahrscheinlich leicht großkotzig, aber<br />
ist halt nun mal so. (3) Ben Bauböck<br />
V.A. Pagan Love Songs Vol. 2<br />
2CD | Alice in/Broken Silence || Das ist nach rund<br />
zehn Jahren die zweite „Pagan Love Songs“-Compilation,<br />
zusammengestellt <strong>von</strong> den Brüdern und DJs R.A.L.F. und<br />
<strong>Thomas</strong> Thyssen, die in Sachen Goth-Rock, Post-Punk,<br />
Death-Rock und Dark Wave über einen Zeitraum bis in die<br />
Achtziger Jahre hinein kaum Wünsche offen lässt. Definitiv<br />
ein Ausnahme-Sampler mit teilweise rarem Material<br />
(oder erstmals auf CD erschienen Songs) <strong>von</strong> wichtigen<br />
Genrebands wie SHOCK THERAPY („Pain“, unvergessen<br />
ihr Klassiker „Hate is just a 4 letter word“), FOR AGAINST,<br />
IKON, britischen Goth-Ikonen wie den SCREAMING<br />
MARIONETTES, deutschen Wegbereitern wie den GIRLS<br />
UNDER GLASS aus Hamburg (ebenso vertreten ist hier<br />
auch deren Vorgängerband CANCER BARRACK) und UK-<br />
Gothic-Post-Punkbands wie EVERY NEW DEAD GHOST<br />
und RUBELLA BALLET („Tangled web“). Der Ausgewogenheit<br />
halber finden sich auch die interessanten aktuellen<br />
Vertreter der genannten Genres wie JOY/DISASTER<br />
und FLIEHENDE STÜRME (mit ihrem Klassiker „Satel-<br />
Karlsruhe setzt da an, wo das Demo aufgehört hat, und präsentiert<br />
ein unglaublich eigenständiges, intensives Newschool-Hardcore-Album.<br />
Trotz der teilweise komplexen<br />
Songstrukturen verlaufen sich MAN THE CHANGE nicht in<br />
Frickeleien, sondern nutzen ruhige Passagen, um die eindringliche<br />
Grundstimmung des Albums zu unterstreichen<br />
und im nächsten Moment wieder mit Vollgas nach vorne<br />
zu preschen. Nicht zuletzt durch die abwechslungsreichen,<br />
gegenläufigen Gitarrenmelodien, gepaart mit den treibenden<br />
Drums und dem herrlich heiseren Schreigesang, schaffen<br />
sich MAN THE CHANGE ihren eigenen Platz in der<br />
Hardcore-Landschaft, der jeden Vergleich sinnlos erscheinen<br />
lässt. Nebenbei ist das Artwork auch wirklich spitze<br />
und die CD leider nur auf 200 Stück limitiert. (9)<br />
Sebastian Banse<br />
MY OWN PRIVATE ALASKA<br />
Amen<br />
CD | I Am Recordings/Kertone | myownprivatealaska.com<br />
| 59:54 || Sie kommen aus Toulouse, Frankreich,<br />
sind ein Trio, verstecken sich hinter den Kürzeln T.,<br />
Y. und M. und haben einen einflussreichen Freund, der<br />
nicht nur ihr Album produzierte, sondern dieses auch auf<br />
seinem Label I Am Recordings veröffentlicht. Die Rede ist<br />
<strong>von</strong> Ross Robinson und MY OWN PRIVATE ALASKA, abgekürzt<br />
M.O.P.A., deren Name klingt wie eine Anspielung auf<br />
Gus Van Sants Film „My Own Private Idaho“. „Post Rock“<br />
schlägt das beiliegende Stück Papier als Genre vor, aber<br />
das klingt so sexy wie „Sättigungsbeilage“ und hat keinerlei<br />
Aussagekraft. Es wird hier viel und laut, aber auch mal<br />
gefühlvoll ein Klavier bearbeitet – und die Besetzungsliste<br />
nennt auch nur Drums, Vocals und Piano, keine Saiteninstrumente.<br />
Dennoch: Gitarren sind hier auch im Einsatz,<br />
wenn auch nicht im konventionellen Rockmusik-Modus,<br />
sondern eher als „Lärmerzeuger“. Sowieso hat sich Robinson<br />
hier studiomäßig ausgetobt, werden reichlich Effekte<br />
aufgefahren, die zur Frage führen, wie man so was im<br />
Detail live nachmachen will – ich denke, da hat die Band<br />
einen etwas anderen Sound. Apropos: THE BLACK HEART<br />
PROCESSION kommen hier in den Sinn, BOTANICA, und<br />
ja, auch Nick Cave und die BAD SEEDS. Allerdings schreit<br />
bei keiner dieser Bands der Frontmann so verzweifelt in<br />
der Gegend herum. Über weite Strecken ist das hier völlig<br />
in Ordnung, manchmal wünscht man sich aber etwas<br />
mehr Zurückhaltung seitens Monsieur M. Unterm Strich<br />
ist „Amen“ ein beeindruckendes, wildes, punktuell auch<br />
mitreißendes Album, das mir aber auf der Gesangsseite<br />
eine Spur zu krawallig ist. (7) Joachim Hiller<br />
MARCEESE<br />
Blood For Blood<br />
CD | Mondo Press Berlin | mondopressberlin.de |<br />
66:09 || Laute Musik allein macht nicht glücklich. Und<br />
man kann nicht den ganzen Tag als KISS-Gitarrist Ace<br />
Frehley geschminkt durchs Leben gehen. Besonders Letzteres<br />
hat sich der Berliner Marceese Trabus dankenswerterweise<br />
zu Herzen genommen und nach beziehungsweise<br />
zwischen seinen Trash-Core-, Spacerock- und eben auch<br />
KISS-Coverbands auf seinem Solodebüt viel ruhigere Töne<br />
angeschlagen. Herausgekommen ist dabei ein wunderbar<br />
sanftes Album in bester Singer/Songwriter-Manier. Meist<br />
nur auf seine Akustikgitarre und den Gesang gestützt, präsentiert<br />
Marceese hier elf Lieder, irgendwo zwischen Neil<br />
Young, Eddie Vedders Gesang und Johnny Cashs „American<br />
Recordings“. Die persönlichen Texte erzählen kleine autobiografische<br />
Geschichten zwischen Liebe, Religion und<br />
den Problemen des Alltags, mal nachdenklich, mal erreg-<br />
/SAmpLER & compILATIoNS<br />
lit“) sowie die wiederbelebten Franzosen um CHARLES<br />
DE GOAL, FRUSTRATION („No trouble“) und die großartigen<br />
CLAIR OBSCUR (hier mit einem Live-Mitschnitt<br />
<strong>von</strong> 1984 aus Paris). Eine wirklich gute Zusammenstellung,<br />
die in ihrer stilistischen Vielfalt der ersten Compilation<br />
in nichts nachsteht. Da bewusst auf den enervierenden<br />
Electro-Schrott, wie er auf „Dark Awakening“-Samplern<br />
zu finden ist, verzichtet wird, ist „Pagan Love Songs Vol.<br />
2“ gegenwärtig die beste Zusammenstellung ihrer Art und<br />
zeigt, dass es eine Vielzahl guter Bands zu entdecken gibt.<br />
Man erkennt die Hand <strong>von</strong> Oldschool-Protagonisten, die<br />
ein gutes Gefühl für die richtigen Vertreter der verschiedenen<br />
Genres haben. Kommt mit einem gut gemachten<br />
16-seitigen Booklet. (9) Markus Kolodziej<br />
V.A. Shatter The Hotel<br />
CD | Mojo Brand Music | shatterthehotel.com |<br />
61:23 || „Shatter The Hotel – A Dub Inspired Tribute To<br />
Joe Strummer“ – gute Tribute-Alben sind ja nicht so häufig<br />
anzutreffen, aber wenn es dann auch noch, wie im Fall <strong>von</strong><br />
„Shatter The Hotel“, einem guten Zweck dient, gibt es kein<br />
Halten mehr. Joe Strummer war Reggae-, Dub- und Ska-<br />
Musik gegenüber immer sehr aufgeschlossen. Was liegt da<br />
also näher, als eine Zusammenstellung <strong>von</strong> Dub-Versionen<br />
ehemaliger CLASH-Songs. Stücke wie „White riot“,<br />
„Know your rights“, „Rebel waltz“, „Complete control“<br />
oder „Four horsemen“ erklingen in ganz neuen und gelungenen<br />
Dub-Variationen. Auch dub-lastige CLASH Titel wie<br />
„Straight to hell“ erscheinen in einem ganz neuen Gewand.<br />
Mit dabei sind unter anderem der ehemalige Roxy-DJ Don<br />
Letts (DUBMATIX) oder die DUBCATS mit dem 2007 verstorbenen<br />
RUTS-Gitarristen Paul Fox. Die Linernotes zur<br />
CD stammen <strong>von</strong> Chris Salewicz, dem Autor <strong>von</strong> „Redemption<br />
Song: The Ballad Of Joe Strummer“. Die Erlöse<br />
gegen direkt an „Strummerville: The Joe Strummer Foundation<br />
For New Music“. (8) Kay Werner<br />
V.A. Skate Rock Vol. 1<br />
2CD | DC-Jam | dcjamrecords.com || Wer bei einer<br />
„Skate“-Compilation an so was wie die Tapes vom Thrasher<br />
Mag aus der frühen Achtzigern denkt, liegt hier falsch.<br />
Es steht schließlich deutlich „Skate Rock“ auf dem Cover,<br />
da kann man noch so viele Kringel um das A malen, „Rock“<br />
trifft es schon ganz gut. 30 Punk- und Alternative-Rock-<br />
Bands sind auf dieser Doppel-CD vertreten mit insgesamt<br />
53 zumeist Midtempo-Songs, das läuft so durch. Keine<br />
Enttäuschung sind erfreulicherweise Bands wie GOVERN-<br />
MENT ISSUE oder auch JFA, die ich alleine schon aufgrund<br />
ihres Namens mag: „Jodie Foster Army“. Für ein erstes<br />
Highlight sorgen dann die Szeneveteranen BIG BOYS, weitere<br />
bekannte Namen sind SWINGIN’ UTTERS, McRAD<br />
oder THE DWARVES. Nur in einem einzigen Song auf dieser<br />
Compilation geht es ohne Zweifel auch inhaltlich ums<br />
Skaten, der stammt <strong>von</strong> MINUS-ONE und heißt ausgerechnet:<br />
„The kids don’t skate here“ ... ob daran wohl der<br />
„Parental Advisory“-Aufdruck schuld ist? Ute Borchardt<br />
V.A. Solidarity Is A ...<br />
2CD | myspace.com/kultursoli | 73:44/63:20 ||<br />
Als die Nato am 3. und 4. April 2009 in Straßburg ihren<br />
60. Jahrestag feierte, kamen zehntausende Menschen, die<br />
gegen Militarismus und für den Frieden demonstrierten.<br />
Diejenigen, die der Nato-Festung zu nah kamen, etwa 350<br />
Personen, wurden festgenommen. Neun Menschen sitzen<br />
zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Benefiz-Samplers<br />
immer noch im Straßburger Gefängnis. Dieser Samp-
ter. Ein wirklich gelungenes Debüt, mit dem Marceese jetzt<br />
schon zu den positivsten Entdeckungen 2010 zu rechnen<br />
ist. (8) Zoli Pinter<br />
MISFITS<br />
Land Of The Dead<br />
12“ | Misfits | misfits.com || Die guten Seiten: das<br />
Coverartwork stammt <strong>von</strong> Zeichnerlegende Arthur Suydam,<br />
wir erfahren, dass George A. Romero noch einen weiteren<br />
„... of the Dead“-Plot im Hinterkopf herumträgt,<br />
und das Vinyl ist farbig. Das war’s dann aber auch schon.<br />
Die Gesamtspielzeit beider Songs beträgt 4:59 Minuten,<br />
was eine kurze Single ergibt, statt einer 12“ zum Preis einer<br />
12“! Leider kann Jerry Only immer noch nicht singen, was<br />
die mittelmäßigen (aber gut produzierten) Songs auch<br />
nicht schlechter macht, als sie schon sind. Mal sehen, wie<br />
weit es noch in den Keller geht. (2) Kalle Stille<br />
MANTRIC<br />
The Descent<br />
CD | Prosthetic | prostheticrecords.com || Das Gute<br />
an Mathcore-Bands ist, dass man mit DILLINGER ESCAPE<br />
PLAN immer eine Referenzband hat. An DEP muss sich<br />
messen lassen, wer glaubt, er könnte Gehörgänge zerhacken.<br />
Die Norweger MANTRIC beweisen mit ihrem Prosthetic-Debüt,<br />
dass sie nicht nur einen guten Musikgeschmack<br />
haben, sondern auch viel <strong>von</strong> ihrem Handwerk<br />
verstehen. Die zwölf Songs <strong>von</strong> „The Descent“ sind gespickt<br />
mit Dillinger-Wahnsinn, NEUROSIS-Düsternis und der<br />
einen oder anderen cleanen Gesangslinie. Gemixt hat das<br />
Album Tue Madsen, der schon DARK TRANQUILLITY und<br />
THE HAUNTED bearbeitet hat. Auch bei MANTRIC hat er<br />
fantastische Arbeit geleistet. „Symptoms“ ist nur ein Knaller<br />
<strong>von</strong> vielen, die MANTRIC auf die geneigte Hörerschaft<br />
loslassen. Du solltest dazugehören. (7) Sebastian Wahle<br />
MET<br />
Einmal mit Profis<br />
CD | myspace.com/metberlin | 45:28 || MET sind<br />
drei Berliner Jungs und Mädels, die laut ihrer selbst punkige<br />
Pop-Songs und poppige Punk-Songs spielen und für<br />
Punkrock-Fans und die eine oder andere Mutti der Fans<br />
Musik machen. Dem stimme ich voll und ganz zu, nicht<br />
mehr und nicht weniger ist es, was MET seit vier Jahren<br />
erprobt und verbessert haben. 16 Songs finden sich auf<br />
ihrer dritten Veröffentlichung, die alle ganz originell sind,<br />
nett, und die man sich auf Konzerten anhören kann, ohne<br />
dass es langweilig wird. Auch wenn meinem Urteil nun<br />
etwas der Enthusiasmus abhanden gekommen ist, liegt das<br />
schlicht daran, dass mir einfach nicht mehr dazu einfällt,<br />
was ich über diese Platte sagen könnte. Aber. Doch. Okay.<br />
Passt schon. (6) Katrin Schneider<br />
MIDAS FALL<br />
Eleven. Return And Revert<br />
CD | Monotreme | monotremerecords.com | 37:48<br />
|| Die Schotten und ihre gepflegte Melancholie – ein<br />
Kapitel für sich. MIDAS FALL aus Edinburgh versprühen<br />
auf ihrem Debütalbum musikalisch den Charme <strong>von</strong><br />
RADIOHEAD und OCEANSIZE und haben mit Elisabeth<br />
Heaton eine passable Sängerin, die ab und an etwas an<br />
Dolores O’Riordan <strong>von</strong> den CRANBERRIES erinnert und<br />
die sich gut in die melancholischen (teilweise mit einer<br />
THE CURE-Hookline und viel Hallgitarre versehenen)<br />
Melodiebögen einfügt. Schöne und schlichte Melodien,<br />
unspektakulär in Szene gesetzt. Die Suche nach dem Erinnerungsgehalt<br />
gestaltet sich aber oft schwierig. Die Band<br />
ler richtet sich gegen staatliche Repression, die Willkür der<br />
Wärter und die Willkür der Rechtsbeugung im Strafsystem.<br />
Dabei spielt es keine Rolle, in welchem Land sich der<br />
Knast befindet. Das Konzept des Samplers erinnert mich an<br />
den im letzten Jahr veröffentlichten Sampler „Out Of Control“<br />
<strong>von</strong> Twisted Chords, nicht zuletzt weil auch einige<br />
Bands des Labels sich hier wieder finden. Beide CDs beinhalten<br />
ein Sammelsurium <strong>von</strong> musikalischen Genres. Im<br />
Vordergrund stehen politische Inhalte. Da ist es egal, ob<br />
man nun HipHop, Punk oder Liedermacher-Musik spielt,<br />
wichtig ist doch, dass aus allen Ecken Leute kommen, die<br />
dieses System hinterfragen und Musik nicht nur als Unterhaltung<br />
betrachten. Jeder Beitrag, ob bekannt oder unbekannt,<br />
zeigt Solidarität für die Menschen, die vorne mit<br />
dabei sind, während die meisten <strong>von</strong> uns doch mittlerweile<br />
satt und passiv geworden sind. Im Booklet schreiben<br />
die Inhaftierten über ihre Erfahrungen im Camp und<br />
aus dem Knast. Eine absolut lohnenswerte Investition. (8)<br />
Simon Brunner<br />
V.A. Soundflat Records<br />
Ballroom Bash Vol. 3<br />
CD | Soundflat | soundflat-records.de || Bereits<br />
zum dritten Mal jährt sich der Soundflat Ballroom Bash<br />
in Leipzig, und auch diesmal gibt es wieder eine entsprechende<br />
Compilation mit allen auf dem Festival spielenden<br />
Bands. Dabei sind die NORVINS, MUCK & THE MIRES,<br />
THE STAGS, PETER BERRY & THE SHAKE SET, DOCTOR<br />
EXPLOSION und KING SALAMI & THE CUMBERLAND<br />
THREE. Jede Band ist mit jeweils vier Songs vertreten, <strong>von</strong><br />
denen fast die Hälfte bisher unveröffentlicht sind. Leider<br />
gibt es nur einen CD-only-Release, der kostet dafür aber<br />
auch nicht die Welt. Das Festival findet übrigens vom 23.<br />
bis 24. Oktober 2010 in McCormacks Ballroom in Leipzig<br />
statt. (7) Finn Quedens<br />
V.A. Take Action Volume 9<br />
CD | Hopeless Records | hopelessrecords.com ||<br />
Auch auf dem neunten Teil des mittlerweile laut Labelinfo<br />
bereits mehrere Million Dollar eingespielt habenden<br />
Benefiz-Samplers des Hopeless Records Unter-Labels Sub<br />
City versammelt sich wieder die Crème de la Crème des<br />
gegenwärtigen HC, Punk und Emos, um mit 35 teilweise<br />
unveröffentlichten Songs für eine gute Sache einzutreten.<br />
Mit dabei sind diesmal unter anderem WE THE KINGS, SET<br />
YOUR GOALS, MAYDAY PARADE, FRANK TURNER, THE<br />
ALMOST, LIGHTS, COBRA STARSHIP und TAKING BACK<br />
SUNDAY. Viel besser kann man so einen Sampler eigentlich<br />
gar nicht mehr machen. (8) David Schumann<br />
V.A. The Taste Of Underground<br />
CD | Antikoerper Export | antikoerper-export.de |<br />
47:05 || „The Taste Of Underground“ ist einer <strong>von</strong> vielen<br />
Sampler, den man in die Kategorie „Nice-Price“ einsortieren<br />
kann. Denn dieser Sampler aus dem Hause Antikoerper-Export<br />
ist ebenfalls für wenige Euros zu erstehen. Insgesamt<br />
neun Bands konnte das DIY-Label zusammentrommeln.<br />
Mit dabei sind NEUE KATASTROPHEN, GOTTKAI-<br />
SER, NI JU SAN, NARCOLAPTIC, DISCO OSLO, ORÄN-<br />
GÄTTÄNG, HOMICIDAL HOUSEPIG, COUCHDRIVERS<br />
und mit GUERILLA POUBELLE auch eine Band aus Frankreich.<br />
Da einige Kapellen ja doch schon einigen Bekanntheitsgrad<br />
besitzen, ist der Samplertitel nicht ganz zutreffend,<br />
aber das wollen wir hier nicht überbewerten. Die<br />
neun Bands kommen aus unterschiedlichen Stilrichtungen.<br />
So findet sich hier eine gute Mischung aus Hardcore,<br />
Punk und roherem Gedöns. Wie auch bei einigen anderen<br />
Samplerreihen darf hier jede Band zwei Mal ran. Insgesamt<br />
ist die Zusammenstellung okay, aber nicht überragend.<br />
Anspieltip: GUERILLA POUBELLE. (7) Sven Grumbach<br />
hat das Potenzial, so richtig im Studentenradio zu zünden<br />
und im Pop-Radio zu Helden stilisiert zu werden. Der<br />
Song „17“ ist allerdings eine gekonnte Ballade. (6)<br />
Markus Kolodziej<br />
KENNETH MINOR<br />
In That They Can’t Help It<br />
CD | Hazelwood | hazelwood.de | 41:01 || Es wird<br />
einem manchmal nicht leicht gemacht. Wenn schon die<br />
Infobeilage lediglich mit so spannenden Erkenntnissen<br />
wie dem Wohnort des Sängers aufwartet, die Band auf der<br />
Netzseite des Labels noch nicht gelistet ist und die versprochene<br />
Homepage nur auf das beschissene MySpace umleitet,<br />
wo sich das Thema Info lediglich auf Nichtigkeiten<br />
beschränkt, dann hilft auch die bestgemeinte Recherche<br />
nichts. Natürlich kann man Musik für sich alleine sprechen<br />
lassen, dennoch wünsche ich mir gerade bei solchen Bands,<br />
die mir sehr gefallen, ein Minimum an Infos. Mich erinnern<br />
KENNETH MINOR, die aus Deutschland sind und die<br />
angenehmen, jedoch nie langweiligen Singer/Songwriter-<br />
Sound machen, streckenweise an die ruhigen Sachen der<br />
EELS, oder auch an dEUS, diese jedoch unplugged, was sich<br />
vor allem in der Stimme des Sängers manifestiert. Dass es<br />
sich um das Debüt der Band handelt, erfreut mich umso<br />
mehr, lässt es doch erwarten und hoffen, dass noch viel<br />
dergleichen folgen wird. (8) Claus Wittwer<br />
MISS MASSIVE SNOWFLAKE<br />
Songs About Music<br />
LP/CD | North Pole | northpolerecords.org | 39:43<br />
|| Hinter MISS MASSIVE SNOWFLAKE steckt der Multimediakünstler<br />
Shane De Leon aus Portland. Nach ausgiebigen<br />
Solotouren durch Europa und die Staaten mit Laptop,<br />
Projektor und Akustikgitarre, hat Shane De Leon für das<br />
zweite MISS MASSIVE SNOWFLAKE-Album diesmal eine<br />
ganze Band zusammengestellt. Die zehn Stücke auf „Songs<br />
About Music“ reichen <strong>von</strong> Glamrock, Pop und Post-Punk<br />
bis hin zu Jazz und Avantgarde. Am meisten Berührungspunkte<br />
gibt es mit Gruppen wie XTC während ihrer<br />
„Oranges & Lemons“-Phase. Ob es sich um die Bläserarrangements<br />
oder um <strong>von</strong> den BEATLES geprägte Pop-Einflüsse<br />
handelt, alles, was XTC auszeichnete trifft auch auf<br />
MISS MASSIVE SNOWFLAKE zu, nur dass diese dabei amerikanischer<br />
klingen. Zeitlose Musik, es handelt sich wirklich<br />
um „Songs About Music“. (7) Kay Werner<br />
THE MIGHTY STEF<br />
100 Midnights<br />
CD | Tonetoaster/Alive | tonetoaster.com | 55:49 ||<br />
Es ist relativ einfach, mich zu vergraulen. Man kann mir<br />
zum Beispiel Britpop oder Irish Folk vorspielen, dann<br />
ist in den meisten Fällen garantiert, dass ich zeitnah das<br />
Weite suche. Und plötzlich kommt dieser Typ daher ... Stefan<br />
Murphy aka THE MIGHTY STEF. Er sieht aus wie ein<br />
unehelicher Bruder der OASIS-Gallaghers und aus Dublin<br />
kommt er auch noch. Eigentlich schlechte Voraussetzungen<br />
dafür, dass wir Freunde werden. Und trotzdem schafft<br />
er es, mich mit meiner Musik in höchste Verzückungszustände<br />
zu versetzen. Okay, wenn ich die Musikstile Britpop<br />
und Irish Folk jetzt alleine stehen lassen würde, dann<br />
würde das im Falle THE MIGHTY STEF viel zu kurz greifen.<br />
Denn Stefan Murphy pickt sich mit seiner Band die<br />
Rosinen aus dem Kuchen. Egal, ob Folk, Punk, Rock, Country,<br />
Blues oder Soul – er beherrscht alles. Und das Ganze<br />
klingt perfekt, wie aus einem Guss! In einem Song setzt<br />
plötzlich ein beschwingter Gospelchor Akzente, bevor<br />
Murphy im nächsten Lied mit seiner beeindruckend vielfältigen<br />
Stimme den zynischen Hafenspelunken-Pianisten<br />
raushängen lässt und wieder zum sentimental-verkaterten<br />
Geschichtenerzähler wird. Trotzdem bilden die 13<br />
Songs ein ausgewogenes Album, das sehr ruhige Momente<br />
hat, aber teilweise auch gewaltig losrocken kann. Mal ehrlich,<br />
ich glaube Leute wie Tom Waits, Nick Cave oder Bruce<br />
Springsteen wären froh, wenn sie solche Nummern im<br />
Programm hätten wie THE MIGHTY STEF. Und mit Cait<br />
O’Riordan und Shane MacGowan (beide ex-POGUES)<br />
geben sich auch noch passende Gaststars die Ehre. Schon<br />
der Vorgänger „The Sins Of Sainte Catherine“ war bei mir<br />
ein Dauerbrenner und „100 Midnights“ knüpft dort nahtlos<br />
an. Mächtig gute Scheibe. (8) Bernd Fischer<br />
MOSKOVSKAYA<br />
20 Jahre Moskovskaya<br />
MCD | ANR Music/Broken Silence | anr-music.org |<br />
23:21 || Es gibt was zu Feiern. Die Tassen hoch: „20 Jahre<br />
Moskovskaya“. Anlässlich ihres Jubiläums gibt es mit dem<br />
neuen Sänger fünf neue Stücke in einem schmucken Digipak.<br />
Zur Band selbst und ihren Aktivitäten verweise ich auf<br />
das Interview in dieser Ausgabe. Die blitzsaubere Produk-<br />
tion beinhaltet angenehmen Ska mit herausragenden Bläser-Arrangements.<br />
Wie ihr in vergangenen Reviews nachlesen<br />
könnt, wussten mich MOSKOVSKAYA musikalisch<br />
bislang nicht zu überzeugen – ganz anders ist das bei dieser<br />
Mini-CD, die es mittlerweile mit dem Niveau der BUS-<br />
TERS, Mark Foggo’s SKASTERS und TOASTERS aufnehmen<br />
kann. Nur eine ganz wesentliche Sache fehlt für meinen<br />
Geschmack all diesen Bands in jüngster Zeit: dem Genre<br />
entsprechend eingängige Melodien zu schreiben, was bei<br />
allem musikalischen Können trotz allem immer noch das<br />
Wichtigste ist. (7) Simon Brunner<br />
MARDI GRAS.BB<br />
Von Humboldt Picnic<br />
CD | Hazelwood/Cargo | hazelwood.de | 43:16 ||<br />
Die zwanzigbeinige Groove-Maschine aus Mannheim<br />
schlägt zurück. Vielseitiger denn je geht das Bläserensemble<br />
auf Weltreise, im Rucksack<br />
das neue Album, auf<br />
dem die Einflüsse global<br />
gesammelt und dann<br />
verwurstet wurden, so<br />
dass es kaum irgendeinem<br />
bestimmten Stil<br />
zuzuordnen wäre. Der<br />
Opener „Delhi morning<br />
raga“ taugt als Bollywood-Soundtrack,<br />
„Blvd. de Clichy“ ist<br />
frankophil angehaucht,<br />
„Ismin Mahmut Altunay“<br />
orientalisch, „Americanos“ ist was für Chickichicki-Latino-Salsa-Tanzkurse,<br />
„Lotterie des Lebens“ bringt<br />
das Flair des PALAST-ORCHESTERs. Insgesamt stellt man<br />
fest, dass New Orleans als Bezugsgröße für die BB immer<br />
nebensächlicher wird. Es klingt so wie eine Band, die sich<br />
WDR-Funkhaus Europa-Musikredakteure am Telefon ausgedacht<br />
haben. Grundsätzlich ist das Picknick eine grundsolide,<br />
handwerklich perfekte, aber dennoch charmante<br />
Platte geworden. Mir fehlt etwas die einheitliche Linie,<br />
außerdem hätte ich gerne noch einen antarktischen Frühlingswalzer<br />
gehört. Aber das wird bestimmt noch ... (7)<br />
Gereon Helmer<br />
MAKEOUTS<br />
In A Strange Land!<br />
LP | Bachelor | bachelorrecords.com || Als die<br />
MAKEOUTS vor ein paar Jährchen in ihrer Garage TEEN-<br />
GENERATE-Sound auf ihren Gitarren schrammelten, hätten<br />
sie wahrscheinlich nicht damit gerechnet, dieses Jahr<br />
den schwedischen Manifest-Award zu gewinnen. Dies ist<br />
eine <strong>von</strong> Independent-Produzenten organisierte Preisverleihung<br />
mit durchaus okayen Bands, also kein Schrott wie<br />
der Echo oder Comet. Aber da in Schweden Nachwuchsbands<br />
finanziell sogar vom Staat unterstützt werden, wundert<br />
mich das auch nicht sonderlich. Jedenfalls haben die<br />
MAKEOUTS seit ihren ersten (ebenfalls sehr zu empfehlenden)<br />
SUPERCHARGEResken Singles auf Bachelor und<br />
Radio Obligato mit dieser Platte einen großen Schritt in<br />
Richtung BLACK LIPS oder BLACK TIME gemacht und<br />
ihren Sound deutlich poppiger gestaltet. „In a strange<br />
land“ schlägt meiner Meinung nach auch locker die letzte<br />
BLACK LIPS-Platte, die ich mir seit dem letzten mit Vice-<br />
Leserinnen mit Nerdbrillen und Achtziger-Vintage-Ichzieh-mich-so-bescheuert-wie-möglich-an-Modeüberlaufenem<br />
Konzert sowieso nicht mehr antun werde. (9)<br />
Finn Quedens<br />
MEDICATIONS<br />
Completely Removed<br />
CD | Dischord | dischord.com | 39:46 || Seine<br />
Strahlkraft als exzeptionelles Label mit prägender Wirkung<br />
auf die (Post-)Hardcore-Szene hat Dischord eingebüßt,<br />
auch wenn das viele alte Fans nicht wahrhaben<br />
wollen. Dischord ist zu einem Nostalgie-Unternehmen<br />
geworden, das sich vor allem dem Aufbereiten der glorreichen<br />
Vergangenheit widmet, sprich: der Neuauflage remasterter<br />
Klassiker aus den Achtzigern und Neunzigern. Die<br />
Dokumentation der gegenwärtigen Musikszene der US-<br />
Hauptstadt? Das übernehmen andere. 2008 erschien auf<br />
Dischord keine einzige neue Platte, 2009 immerhin drei,<br />
und siehe da, 2010 bislang zumindest eine, das zweite<br />
MEDICATIONS-Album. Deren Debüt kam 2005, und wie<br />
im Hause Dischord üblich, waren/sind hier keine Menschen<br />
aktiv, die man nicht vorher schon mal im Dischord-<br />
Universum verorten konnte: Chad Molter war unter anderem<br />
bei FARAQUET, Devin Ocampo ebenfalls und zudem<br />
bei BEAUTY PILL und SMART WENT CRAZY, und für<br />
den ausgestiegenen Andy Becker kam Mark Cisneros. Das<br />
rEvIEws<br />
Ergebnis ist erneut ein wundervolles Album, das eine<br />
Myriade <strong>von</strong> Einflüssen offenbart und stilistisch zwar ganz<br />
grundsätzlich ins Dischord-Weltbild passt, also im weitesten<br />
Sinne Post-Punk-Rockmusik ist, aber <strong>von</strong> Powerpop<br />
über Psychedelic und „Sophisti-Pop“ (ein Begriff, der<br />
mir bislang unbekannt war und eben über den Weg lief)<br />
ein denkbar weites Spektrum abdeckt. David Bowie, Syd<br />
Barrett, Nick Drake und Ornette Coleman werden <strong>von</strong> der<br />
Band gleichermaßen als Inspiratoren genannt, und das ist<br />
hilfreich und verwirrend zugleich. Für mich ist es höchst<br />
angenehme, zeitlose Musik, die ich jedem ans Herz legen<br />
kann, der mit dem Schaffen der Dischord-Bands seit den<br />
späten Neunzigern vertraut ist. (8) Joachim Hiller<br />
THE MEN<br />
Four Good Men And True<br />
CD | Heptown/Cargo | heptownrecords.com | 37:07<br />
|| Yeah, Beat Baby, Beat, Beat, Beat! Als ob es die Kollegen in<br />
der Redaktion irgendwie gerochen hätten, dass ich mir erst<br />
unlängst einen beinahe maßgeschneiderten Lambretta-<br />
Nadelstreifenanzug für 120 Tacken leistete (Yep, Guido<br />
hat schon recht: Von „Hartz IV“ lässt es sich mitunter doch<br />
ganz vorzüglich leben, har, har ...), bekomme ich doch aus<br />
dem Headquarter eine absolut vorzügliche Retro-Mod-<br />
Scheibe reinsten Wassers zugesandt. Diese vier smarten<br />
Schweden kredenzen hier jedenfalls ein dermaßen soulful<br />
und unwiderstehlich groovendes Zwölf-Gänge-Menü,<br />
dass es eine wahre Wonne ist. Einerseits tief vom Spirit der<br />
„first generation heroes“ à la SMALL FACES, YARDBIRDS<br />
oder auch THE CREATION beseelt, gleichzeitig aber durch<br />
die superknusprige Produktion <strong>von</strong> Christoffer Lundquist<br />
(verdiente sich unter anderem schon seine Meriten bei<br />
keinen Geringeren als ROXETTE oder auch MONEYB-<br />
ROTHER), perfekt in die Jetztzeit transportiert, bekommt<br />
man hier ein Gute-Laune-Manifest der erlesensten Güteklasse<br />
präsentiert. Rhythm & Blues küsst Soul, der Bass<br />
treibt gnadenlos nach vorne, die Gitarren setzen rasiermesserscharfe<br />
Akzente und die dreistimmigen Harmoniegesänge<br />
sitzen mindestens genauso passgenau wie der<br />
feine Zwirn, den die Buben am Leibe tragen. Wobei insbesondere<br />
Frontmann Sven Köhler mit seinem supergeilen,<br />
rauen Gesangsstil fast schon homoerotische Gefühlsaufwallungen<br />
in mir erzeugt ... Exzellente Platte, die mit<br />
jedem erneuten Durchlauf sogar immer noch ein Stückchen<br />
hinzugewinnt – prima! (8) Ben Bauböck<br />
MAINTAIN<br />
Save Yourself<br />
MCD | Break Out | myspace.com/breakoutrecords<br />
|| Diese Band ist nicht zu verwechseln mit den gleichnamigen<br />
deutschen Metalcorelern, obwohl beide Bands sich<br />
ähnlicher Stilmittel bedienen. Die Bostoner MAINTAIN<br />
jedoch legen den Fokus weniger auf Metalcore-Geschrote,<br />
sondern bedienen sich des Newschool-Hardcores der späten<br />
Neunziger Jahre und verpacken diesen in sieben Songs,<br />
die wuchtig in Szene gesetzt wurden und entsprechend<br />
viel Spaß machen. Da freut man sich doch auf das hoffentlich<br />
bald erscheinende Album. (7) Jens Kirsch<br />
MOTHER-UNIT<br />
Brain-Massage<br />
CD | Stickman | stickman-records.de | 45:17 || Was<br />
macht eigentlich 35007, jene niederländische Spacerock-<br />
Band, die ihren Namen LOOSE in alter Taschenrechnermanier<br />
in 35007 umwandelte? 2005 gab es ein letztes Album,<br />
seitdem herrscht Stille. 2003 schon war Bertus Fridael ausgestiegen,<br />
Gründungsmitglied und Gitarrist, und er ist es,<br />
der sich nun mit einem vier laaaaange Stücke umfassenden<br />
Album unter dem Namen MOTHER-UNIT zurückmeldet,<br />
dessen Titel das verspricht, was das Anhören tatsächlich<br />
ist – eine „Brain-Massage“. Mit spitzen, kundigen<br />
Fingern kneten Fridaels instrumentale Kompositionen<br />
einem die grauen Zellen durch, so dass man völlig entspannt<br />
dasitzt, während einem die psychedelischen Sounds<br />
durchs Hirn wabern. Und man stellt fest, das Bertus diese<br />
derzeit so beliebten, flächigen Post-Rock-Sounds schon<br />
drauf hatte, als die noch lange nicht so beliebt waren wie<br />
heute. Ein detailreiches, auch leisen Tönen Raum lassendes<br />
Album, das weniger durch Lautstärke und Monumentalität<br />
als durch Detailreichtum besticht. (7) Joachim Hiller<br />
MURDER BY DEATH<br />
Finch: Performing An Instrumental Soundtrack<br />
To The Book By Jeff Vandermeer<br />
10“/CD | Murder By Death | murderbydeath.com<br />
|| MURDER BY DEATH waren noch nie in der Verlegenheit,<br />
sich ob ihrer „fröhlichen Musik“ rechtfertigen zu<br />
müssen, aber dieser C imaginäre M Y CM Instrumentalsoundtrack<br />
MY CY CMY K<br />
zu dem „Blade Runner“ ähnlichen Buch „Finch“ <strong>von</strong> Jeff<br />
Butterfly Records presents...<br />
LANA LOVELAND (BUT-38)<br />
Fuzztones organist goes solo on her first Butterfly 45!<br />
THE<br />
DIRTY<br />
ROBBERS<br />
(BUT-39)<br />
THE<br />
KONGSMEN<br />
(BUT-36)<br />
THE<br />
MOOMBAS<br />
(BUT-37)<br />
ELS TRONS<br />
2ND PRESSING,<br />
ONLY 200 COPIES!<br />
(BUT-35)<br />
Distributed by<br />
Clearspot & Get Hip!<br />
MAX & THE<br />
TATRAPLAN<br />
(BUT-40)<br />
P.O. BOX 31225 · 08080 BARCELONA (SPAIN) · www.butterfly-records.com<br />
OX-FANZINE 101
EvIEws<br />
Vandermeer bewegt sich auf der ganz finsteren und klaustrophobischen<br />
Seite, zwischen den frühen GODSPEED<br />
YOU! BLACK EMPEROR (man denke als Referenzsong an<br />
deren fulminantes „The dead flag blues“) und den aktuellen<br />
Soundtracks, die Nick Cave gerade mit Warren Ellis<br />
unter anderem für den Film „The Road“ geschrieben hat.<br />
Wunderbar dunkle Cello-Partituren treffen auf eine klirrende<br />
Desperado-Gitarre, die sich an einem WOVEN<br />
HAND-mäßigen Klavier reibt, um dann doch am Ende <strong>von</strong><br />
einem treibenden SWANS-ähnlichen Schlagzeug an die<br />
Wand gedrückt zu werden. Wenn man sich an den wirklich<br />
beängstigenden Soundtrack zu John Hillcoats Gefängnisfilm<br />
„Ghosts Of The Civil Dead“ (1988), geschrieben<br />
<strong>von</strong> Nick Cave, Mick Harvey und Blixa Bargeld, erinnert,<br />
kann man erahnen, wohin die Reise geht – „Angst driven<br />
vision“. Selten wurden Beklemmung, Dunkelheit und<br />
menschliche Abgründe musikalisch so eindrucksvoll und<br />
pechschwarz inszeniert. Es bedarf einer gewissen charakterlichen<br />
Festigung, um alle 14 Stücke komplett und<br />
ohne Pause durchzuhören, ohne den Kopf im Takt gegen<br />
die Wand zu schlagen. MURDER BY DEATH ist die Götterdämmerung<br />
par excellence gelungen – into the abyss. Tiefer<br />
geht nicht. (10) Markus Kolodziej<br />
NAME<br />
Internet Killed The Audio Star<br />
CD | Lifeforce | lifeforcerecords.com | 77:35 ||<br />
Wenn ich ehrlich bin, habe ich die Rezension dieses<br />
Albums so lange aufgeschoben, wie es nur irgendwie ging.<br />
Warum? Weil die Musik nicht gerade dazu einlädt, mehr<br />
als einmal abgespielt zu werden. Nicht unbedingt, weil<br />
alles so schrecklich dissonant und progressiv wäre, denn<br />
dass so was durchaus zu anhörbaren Ergebnissen führen<br />
kann, zeigen THE DILLINGER ESCAPE PLAN schließlich<br />
immer wieder. Nein, NAME klingen einfach nur unglaublich<br />
zerfahren. Allein schon der Opener „Killer whales,<br />
man“ verbindet Mathcore, Techgrind, Stoner- und Classic-<br />
Rock auf unmögliche Art und Weise. Und das geht immer<br />
so weiter. Bisher hielt ich mich eigentlich immer für abgebrüht,<br />
was harte Musik angeht, aber hier muss ich passen.<br />
Irgendwie ist das dann doch mehr Experiment als durchdachte<br />
Musik. Geschweige denn, dass man hier Begriffe<br />
wie „Songwriting“ fallen lassen könnte. Und dann diese<br />
unglaubliche Spieldauer. Ich werd’ bekloppt. Ohne Wertung.<br />
Andreas Kuhlmann<br />
NICE NICE<br />
Extra Wow<br />
CD | Ninja Tune | ninjatune.net | 51:22 || Der bisherige<br />
Output dieses Experimental-Duos aus Portland<br />
erschien bisher auf Temporary Residence und ihr 2003er<br />
Album „Chrome“ wurde <strong>von</strong> einigen Kritikern charmanterweise<br />
als reiner Noise beschrieben, und in diesem Heft<br />
sah die Einordnung des Ganzen als „unbeschreibbar“ schon<br />
etwas differenzierter aus. Das mit dem „Noise“ ist nicht<br />
ganz <strong>von</strong> der Hand zu weisen, allerdings sind NICE NICE<br />
nicht ausschließlich um Dekonstruktion bemüht, sondern<br />
haben ihr anfänglich recht wild anmutendes Gemisch<br />
aus tribalistischer Rhythmik, übereinander geschichteten<br />
Sounds und halbwegs normalem Gesang mit deutlich<br />
erkennbaren Strukturen versehen, und das vor allem wirklich<br />
gekonnt. Das klingt mal nach funkig-kantigem DC-<br />
Post-Punk, lärmendem disharmonischen Industrial oder<br />
entspannt fließendem Krautrock mit starker psychedelischer<br />
Note, oder alles eben gleichzeitig in einem Song, und<br />
AT THE GATES<br />
The Flames Of The End<br />
3DVD | Earache | earache.com | 320:00 || Wohl<br />
keine andere Band aus dem weitläufigen Sektor des melodischen<br />
schwedischen Death Metals war derart inspirierend<br />
und wegweisend<br />
für einen Großteil der<br />
Musikszene wie AT THE<br />
GATES. Noch heute gilt<br />
ihr „Slaughter Of The<br />
Soul“ als absolutes Jahrhundertalbum<br />
und Referenzwerk<br />
für ein komplettes<br />
Genre, der New<br />
Wave Of American Heavy<br />
Metal, sowie einigen<br />
Ausläufern des Metalcores.<br />
Im Jahre 2008<br />
fand sich diese bedeutende<br />
Band noch einmal<br />
im Original-Lineup<br />
zusammen, um einige<br />
ausgewählte Konzerte zu<br />
spielen. Das wohl definitiv<br />
letzte vom Wacken Open Air 2008 fand seinen Weg<br />
auf diese DVD. Dabei ist hervorzuheben, dass die Band ihre<br />
Authentizität bewahren wollte, und daher vollkommen auf<br />
Overdubs und ähnlichen Schnickschnack verzichtete. Dies<br />
ist vor allem dann deutlich auszumachen, wenn eine der<br />
beiden Gitarren pausiert, während die andere sich durch<br />
eine der vielen göttlichen Bridges rifft. Diese eine Gitarre<br />
ist dann nämlich leider meist viel zu leise zu vernehmen.<br />
Sieht man da<strong>von</strong> einmal ab, ist der Sound dennoch hervorragend<br />
und die Bildqualität absolut überragend, <strong>von</strong> den<br />
Bühnenqualitäten des Tomas Lindberg und seinen Kollegen<br />
ganz zu schweigen. Mit „Under A Serpent Sun“ findet<br />
sich zudem eine beeindruckende Dokumentation in diesem<br />
Package, die die Geschichte <strong>von</strong> AT THE GATES aufarbeitet<br />
und dabei nicht nur mir den einen oder anderen<br />
rührseligen Gedanken an die guten alten Zeiten bescherte.<br />
Ihre Vollendung findet diese Veröffentlichung in der dritten<br />
DVD, welche exklusives und teilweise rares Live-Material<br />
enthält. Als Bonus gibt es alle Videos der Truppe obendrauf.<br />
Ein würdiges Vermächtnis einer der großartigsten<br />
Bands aller Zeiten. (10) Jens Kirsch<br />
KISS<br />
Kissology – The Ultimate KISS Collection Vol. 3<br />
5DVD | Eagle Vision | eagle-rock.de | 660:00 || KISS<br />
sind seit Jahrzehnten ein Phänomen und mehr eine absolute<br />
eigenständige Firma, denn eine Band, die <strong>von</strong> Schlabberzunge<br />
Gene Simmons mit beängstigender Unbarmherzigkeit<br />
vorangetrieben wird. Das man dabei sogar neuen<br />
Musikern die altbewährten Alter-Egos auf den Leib schneidert<br />
ist hierbei nur die Spitze des Eisbergs. Da stellt sich<br />
natürlich unweigerlich die Frage nach dem Sinn einer<br />
Veröffentlichung wie der „Kissology“-Reihe, die mit dieser<br />
Fünfer-DVD in die dritte Runde geht. Nun, das Ergebnis<br />
spricht für sich, denn was man hier für sein Geld (verhältnismäßig<br />
günstige 29,90 Euro) geboten bekommt, ist<br />
in der Tat absolut gewaltig. Knapp über elf Stunden Material<br />
aus den Jahren 1992 bis 2000, bestehend aus diversen<br />
Live-Shows, Fernsehauftritten, den legendären „MTV<br />
Unplugged“-Auftritt der Band, diversen Raritäten und<br />
vielem mehr bieten nicht nur beinharten Fans das volle<br />
OX-FANZINE 102<br />
NNN<br />
bleibt in seinem Kern erstaunlicherweise immer irgendwie<br />
Rock, wenn auch mit durchweg aggressiver Note.<br />
Zumal die Basis <strong>von</strong> Jason Buehler und Mark Shirazi für<br />
ihre mächtige Wall of Sound ganz bodenständig immer<br />
Gitarre und Schlagzeug bilden und nicht ausschließlich<br />
der Sequenzer. Wahrlich kosmische Musik, ohne dass<br />
man NICE NICE ausschließlich auf ihren Krautrock-Anteil<br />
reduzieren könnte, dafür passiert hier dann doch zu viel,<br />
was an sich gar nicht zusammen passen dürfte. Sollte das<br />
Duo live auch nur ansatzweise so gut sein wie behauptet,<br />
dürften einem dabei gehörig die Gehörgänge durchgepustet<br />
werden. (9) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
NO MORE<br />
Midnight People & Lo-Life Stars<br />
CD | Rent a Dog | rent-a-dog.com | 42:32 || Wäre<br />
man böse, könnte man die 1979 gegründete Kieler Post-<br />
Punk-Elektro-Wave-Formation als „one hit wonder“<br />
bezeichnen, ist ihnen doch mit der „Suicide Commando“-<br />
Single <strong>von</strong> 1981 ein Überhit gelungen, der bis heute in<br />
jeder Goth- und Wave-Disco zum Standard gehört und<br />
sicher einer der besten Songs des Genres ist. Allerdings<br />
hat die Kernbesetzung Andy A. Schwarz und Tina Sanudakura<br />
bis zur Auflösung 1986 viel, viel mehr Songs aufgenommen<br />
als diesen Elektropunk-Klopper – Material, das<br />
zu entdecken sich lohnt. Seit 2006 sind NO MORE in der<br />
Zweierbesetzung Schwarz/Sanudakura wieder aktiv, mit<br />
„Remake/Remodel“ gab es auch einen neuen Release –<br />
und jetzt das erste „richtige“ Studioalbum seit 1986, dem<br />
kürzlich eine Single vorausging. Wer aus naiver Nostalgie<br />
erwartet, hier den Versuch eines Remakes <strong>von</strong> „Suicide<br />
Commando“ in verschiedenen Variationen zu hören<br />
zu bekommen, dürfte enttäuscht werden – im Gegensatz<br />
zu jenen, die zeitlosen Elektro-Pop zu schätzen wissen,<br />
der ohne nervige Dancebeats auskommt. Ganz glücklich<br />
bin ich mit dem folgenden Vergleich nicht, dennoch: Wer<br />
das NEW ORDER-Spätwerk schätzt und mit dem aktuellen<br />
EDITORS-Album einverstanden ist, könnte auch hieran<br />
seinen Spaß haben. Und die alten Fans wissen sowieso,<br />
woran sie sind. (7) Joachim Hiller<br />
NARCOLAPTIC<br />
More Than Noise<br />
CD | Antikörper Export | antikoerper-export.de |<br />
34:58 || NARCOLAPTIC sind eine Band aus Hamburg<br />
und haben seit ihrer Gründung in 2005 massig Gigs abgeliefert.<br />
Der vorläufige Höhepunkt könnte die im Herbst<br />
2010 stattfindende 14-tägige Tour durch Indonesien sein.<br />
Aber auch „auf dem Kontinent“ sind für dieses Jahr schon<br />
wieder reichlich Auftritte „gebucht“. Vor dieser Debüt-LP<br />
auf Antikörper Export wurden bereits zwei EPs und diverse<br />
Sampler-Beiträge veröffentlicht. Musikalisch stehen NAR-<br />
COLAPTIC für krachigen, straighten Punkrock, mit persönlichen<br />
und politischen Texten. Wie es sich für ein Punkrock-Trio<br />
gehört, wird nicht lange gefackelt oder herumexperimentiert.<br />
13 Songs zwischen SNUFF, LIFE BUT<br />
HOW TO LIVE IT, NEIN NEIN NEIN und SO MUCH HATE.<br />
Sympathisch. (6) Zahni Müller<br />
NERVOUS NELLIE<br />
Why Dawn Is Called Mourning<br />
CD | Hazelwood | hazelwood.de | 43:13 || NER-<br />
VOUS NELLIE sind zwei Brüderpaare aus Stockholm,<br />
genau genommen aus dem Künstler- und Musikerviertel<br />
Södermalm. Ob leicht beschwingte Pop-Perlen, rhythmische<br />
Schunkelballaden oder peppige Britpop-Salven, die<br />
elf Songs auf dem dritten Album versprühen eine ungemeine<br />
Leichtigkeit. Alles geht, die BEACH BOYS treffen<br />
Unterhaltungsprogramm. Einziges Manko: Bei der Fülle an<br />
Material wiederholen sich leider viele Songs, was es einem<br />
neben der opulenten Spielzeit erschwert, die DVDs an<br />
einem Stück anzuschauen, da sich hin und wieder Längen<br />
einschleichen könnten. Gemessen am Gesamtprodukt fällt<br />
dieser Umstand jedoch nicht weiter ins Gewicht, denn was<br />
bleibt, ist die ultimative Hard Rock-Vollbedienung. Und<br />
jetzt alle: KISS, KISS, KISS! (10) Jens Kirsch<br />
OBITUARY<br />
Live Xecution<br />
DVD | Regain/Soulfood | regainrecords.com | 78:00<br />
|| Dass ich mir Bands ab einem gewissen Bekanntheitsgrad<br />
nicht mehr live ansehen möchte, ist kein elitäres Verhalten,<br />
sondern Folge der Erkenntnis, dass die wenigsten<br />
auf großen Bühnen funktionieren. OBITUARY, die ich als<br />
gute Live-Band in Erinnerung habe, sind auf diesem Mitschnitt<br />
vom 2008er Party.San Open Air bloß langweilig<br />
anzuschauen. Ein bisschen Auf- und Ablaufen, dabei das<br />
Köpfchen schütteln und kreisen lassen, dazu eine Allerwelts-Lightshow<br />
und eine Songauswahl, die viele Highlights<br />
vermissen lässt, das macht nur Sinn für diejenigen,<br />
die das hier als Erinnerungsstütze an das selbst Erlebte<br />
benutzen. Und das Bonusmaterial hätte man sich auch<br />
schenken können: unwitzige Backstage- und öde Proberaumaufnahmen.<br />
Ich erinnere mich da lieber an ein OBI-<br />
TUARY-Konzert 1992 (oder ’91? ’93?) in Belgien, bei<br />
dem Sänger John Tardy krankheitsbedingt erst durch Barney<br />
<strong>von</strong> NAPALM DEATH und dann durch seinen Bruder<br />
Donald vertreten wurde, der gleichzeitig Schlagzeug spielen<br />
musste: Halsadern können beeindruckend anschwellen,<br />
ohne zu platzen. (5) André Bohnensack<br />
STOMPER 98<br />
10 Years Birthday Bash<br />
DVD+CD | Sunny Bastards | sunnybastards.de |<br />
160:00 || Hoch die Bierflaschen auf gut zehn Jahre<br />
STOMPER 98. Die einst in Göttingen gestartete Band feiert<br />
sich, ihre „Die-Hards“ und den Way of Life sowieso nun<br />
per DVD. Diese sieht schick aus (Fotobooklet) und bietet<br />
zusätzlich zum kompletten Mitschnitt des Geburtstagsgigs<br />
im November 2008 im Leipziger Conne Island und Live-<br />
Aufnahmen vom Punk & Disorderly und With Full Force<br />
Festival (jeweils 2009) noch eine ausführliche Doku über<br />
eben diese zehn, nunmehr zwöf Jahre. Obendrein gibt es<br />
das Leipzig-Konzert als Audio-CD, was eine sehr nette<br />
Geste ist. Ja, die Band ist reinster Pathos und nicht wenigen<br />
ein Dorn im Auge, aber das hatten wir schon, siehe<br />
dazu diverse Reviews und Interviews in vergangenen Ausgaben.<br />
Selbstverständlich startet das Jubiläumspaket mit<br />
dem Leipzig-Gig, der deutlich rüberbringt, warum S98<br />
die(!) Oi!-Band der Stunde ist. Mastermind und Frontsau<br />
Sebi schafft es wie kaum ein anderer des Genres, das<br />
Vorgetragene authentisch zu verkörpern und dabei selber<br />
Spaß zu haben, wobei er auch vor schweißtreibenden<br />
Exkursionen ins Publikum nicht zurückschreckt („Klänge<br />
und Gesänge“). Er sorgt gut für Action, das Publikum war<br />
eh heiß an diesem Abend, und auch die recht professionelle<br />
Aufnahme (acht Kameras) bringt die Atmosphäre gut<br />
rüber. Am spannendsten bei solchen Materialsammlungen,<br />
ist – so auch hier – natürlich der Blick hinter die Kulissen.<br />
Da sollten vor allem die reinschauen, die bei S98 immer<br />
Gespenster sehen! In einer knappen Stunde gibt es zehn<br />
Jahre Bandleben und Skinhead-Kult aus der ersten Reihe,<br />
dazu die Jungs beim entspannten Sofa-Interview. „Aha!“<br />
die BEATLES, aber auch das ist nur eine Momentaufnahme,<br />
denn im nächsten Augenblick sitzt scheinbar Nick Cave bei<br />
den VIOLENT FEMMES an der Orgel. Oder wie lässt sich<br />
sonst ein Stück wie „Smile of your own“ erklären? Butterweicher<br />
Flowerpop voller Hingabe und Herzblut. Der relative<br />
hohe Gesang lässt mich teilweise an Arthur Russel oder<br />
Dent May denken, deren Pop-Alben an dieser Stelle auch<br />
schon ausgiebig gewürdigt wurden. (8) Kay Werner<br />
NINJA GUN<br />
Restless Rubes<br />
CD | Gunner | gunnerrecords.com || Dieses Album<br />
ist nicht neu. Trotzdem wird es das für viele sein. Schade<br />
eigentlich, denn NINJA GUN, die „Restless Rubes“ bereits<br />
im Sommer 2008 über<br />
Virgil Dickersons Suburban<br />
Home-Label in<br />
den USA veröffentlichten,<br />
verdienen es entdeckt<br />
zu werden. Die<br />
vorliegende Version, die<br />
einen Bonus-Song aufweist,<br />
ist die europäische<br />
Linzenzpressung,<br />
die der Band dann hoffentlich<br />
den Durchbruch<br />
über den Umweg<br />
Europa einbringt, ähnlich<br />
wie das schon bei GASLIGHT ANTHEM oder FAKE<br />
PROBLEMS funktionierte: Auch deren Melodien entdeckte<br />
zunächst das kleine Bremer Label Gunner Records<br />
für den europäischen Raum. Und NINJA GUNS hat ebenso<br />
das Zeug dazu, mit einer Mischung aus Indie-Rock, Südstaaten-Americana<br />
und viel Melodie mehr zu erreichen.<br />
In den USA tourte die Band gerade mit Tim Barry (AVAIL)<br />
und AGAINST ME!. Europaerfahrung sammelte man aber<br />
schon letztes Jahr, als einige Bandmitglieder Chris Wollards’<br />
SHIP THIEVES live unterstützten. Die richtige Tour-<br />
Einstellung haben die Jungs demnach. Das letzte musikalische<br />
Lebenszeichen war eine Splitsingle mit FAKE PRO-<br />
BLEMS auf Sabot Productions, auf die demnächst eine<br />
weitere 7“ folgen soll. Bis dahin empfehle ich, sich dieses<br />
großartige Album zuzulegen, damit auf der NINJA GUNS-<br />
Frühjahrstour in Sachen Mitsingen nichts mehr schiefgehen<br />
kann. Bodo Unbroken<br />
NEW SET OF BRUISES<br />
s/t<br />
CD | Boss Tuneage | bosstuneage.com | 25:54 ||<br />
NEW SET OF BRUISES kommen aus London, und Sänger<br />
Nijs Band BLOCKO ist mit an frühe JAWBREAKER und<br />
LEATHERFACE angelehntem rauhen Sound schon über die<br />
eigenen nationalen Grenzen hinaus mit Touren in Japan,<br />
Europa und den USA bekannt geworden. 2008 hat er sich<br />
daran gemacht, mit zwei Mitmusikern ein paar bereits<br />
verworfene Song-Ideen vergangener Projekte zu dieser<br />
6-Song-EP zusammenzuschustern. Und da der Apfel meist<br />
nicht weit vom Stamm fällt, finden sich auch hier melodisch-melancholische<br />
Töne, denen man die Nähe zu den<br />
Helden aus Sunderland natürlich anhört, die sich zudem<br />
stets genügend Spielraum geben und jeden Song über die<br />
4-Minuten-Grenze hieven, was dank der grundsätzlich<br />
aggressiven Stimmung, wirklich schöner Gitarrenarbeit<br />
und teils erstaunlichem Drive zu schönen Songs führt, die<br />
sich ein wenig <strong>von</strong> dem abheben, was man sonst an Klonen<br />
<strong>von</strong> der Insel kennt und Elemente des melancholischen<br />
US-Punks der Neunziger à la FACE TO FACE („Ignorance<br />
Is Bliss“!) oder SAMIAM integriert. Wird zum Ende<br />
wird sich dabei der eine oder andere denken – und was<br />
die Jungs, auch musikalisch für einen Sprung hingelegt<br />
haben, wird ebenfalls recht deutlich. Gut gestompert! (8)<br />
Lars Weigelt<br />
/movIES & DoKUS<br />
Merle Becker<br />
AMERICAN ARTIFACT<br />
The Rise Of American Rock Poster Art<br />
2DVD | Freakfilms | americanartifactmovie.com ||<br />
Erst in den letzten paar Jahren hat sich in Deutschland eine<br />
kleine Szene <strong>von</strong> Siebdruckposter-Aktivisten entwickelt,<br />
die mit den recht simplen<br />
Mitteln des Screenprintings<br />
in Kleinauflagen<br />
meist sehr schöne<br />
Konzertposter nicht nur<br />
selbst entwerfen, sondern<br />
auch oft gleich<br />
selbst drucken. In den<br />
USA existiert diese Tradition<br />
schon seit den<br />
seligen Hippie-Zeiten,<br />
als in San Francisco<br />
die Haight/Ashbury-<br />
Kreuzung Zentrum der<br />
Alternativszene war und<br />
Bands wie GRATEFUL<br />
DEAD ihre Konzerte mit<br />
immer grelleren, psychedelischen<br />
Postern<br />
bewarben. Und wie einer der interviewten Künstler <strong>von</strong><br />
damals in diesem Film erzählt, machte man damit seinerzeit<br />
bewusst alles falsch, was über gute Plakatwerbung<br />
gelehrt wurde. Klar erkennbare Motive? Deutlich lesbare<br />
Schrift? Nur Farben, die sich nicht beißen? Alles für „Normalos“<br />
– es ging darum, Aufmerksamkeit zu erregen, und<br />
so entstanden die knallbunten Neonfarbenposter, deren<br />
Originale heute zu Preisen gehandelt werden, die schon<br />
in den Bereich <strong>von</strong> Galeriekunst hineinreichen. Genau da<br />
aber, so wird in den Interviews deutlich, die Filmemacherin<br />
Merle Becker für ihre 90-Minuten-Doku geführt hat,<br />
woll(t)en all die hier gefeatureten Grafiker nie hin, denn<br />
abgehobene, universitäre „feine“ Kunst war für sie nie<br />
erstrebenswert. Das hat viel damit zu tun, dass Leute wie<br />
Tara McPherson, Derek Hess, COOP, Chuck Sperry, Winston<br />
Smith oder Frank Kozik mit den Idealen der Punkszene im<br />
Kopf aufgewachsen sind, meist nach simplen Wegen suchten,<br />
ihre Bilder in die Welt zu bringen und damit – Kozik<br />
gilt hier als Pionier – auf ein smartes Geschäftsmodell stießen:<br />
„Liebe Band, ich mache dir umsonst ein schönes Postermotiv<br />
und gebe dir auch einige der limitierten Posterdrucke<br />
ab, aber den Rest darf ich auf meine Rechnung<br />
verkaufen.“ Nach diesem Muster arbeiten heute weltweit<br />
unzählige Künstler, wie man als Besucher der Website gigposters.com<br />
weiß, und auch wenn da längst nicht alles<br />
Gold ist, was glänzt, so ist man doch immer wieder <strong>von</strong><br />
der Vielfältigkeit der Stile und Einflüsse beeindruckt, muss<br />
zugeben, dass einen diese Art <strong>von</strong> Kunst mehr anspricht<br />
als vieles, was in irgendwelchen Museen hängt. Genau so<br />
ging es auch Merle Becker, der mit „American Artifact“ ein<br />
exzellentes Portrait der wichtigsten Erfinder jener Kunst-<br />
hin immer spannender (bester Song für mich „Hindsight“)<br />
und auch wenn die LONELY KINGS so was schon vor langer<br />
Zeit besser und druckvoller hinbekommen haben,<br />
wirklich auszusetzen ist daran nichts. (7) Andreas Krinner<br />
NICKS<br />
Armed & Dangerous<br />
CD | the-nicks.de | 37:33 || Die NICKS sind, mit<br />
Unterbrechungen, bereits seit den Achtziger Jahren in<br />
Sachen Ska unterwegs, und nicht nur am Niederrhein. Die<br />
neun Titel auf „Armed & Dangerous“ überraschen mich<br />
in vielfacher Hinsicht: kein Label, der Vertrieb läuft über<br />
die Band-Homepage (10 Euro plus Porto), dann die Produktion,<br />
absolut professionell, und schließlich die Musik,<br />
absolut perfekter 2Tone-Ska, mit einigen erstklassigen und<br />
temporeichen Instrumentals „Crackhouse stomp“ und<br />
„Dirty old ska“. Aber das haben sie ja auch schon auf ihrem<br />
Vorgängeralbum „Say Something More“ bewiesen. Bands<br />
wie SPECIALS oder BAD MANNERS werden im Zusammenhang<br />
mit 2Tone-Ska natürlich gerne als Referenz<br />
genannt, aber hier sind sie wirklich angebracht. Schnörkelloser<br />
2Tone-Ska, um eine solche Band müssten sich doch<br />
die einschlägigen Labels streiten. Egal, die NICKS stehen<br />
jedenfalls für 100% Ska. (8) Kay Werner<br />
ooo<br />
OXXON<br />
Radio Zero<br />
CD | oxxon.de | 31:42 || Tübingen war in der schwäbischen<br />
Provinz schon immer eine Oase in Sachen Punkrock,<br />
und eben dort gründeten sich Mitte der Neunziger<br />
OXXON. Auf fünf Demos folgte 2008 ein erstes Album, und<br />
mit „Radio Zero“ ist nun der zweite Longplayer raus, auf<br />
dem sich elf englischsprachige Songs finden, die immer<br />
aufgelockert werden durch kurze gesprochene Passagen,<br />
hinter denen sich, so schätze ich, ein gewisser aus den USA<br />
stammender Labelbetreiber aus Tübingen versteckt. „Radio<br />
Zero“ ist ein bestens produziertes Album aus einem Guss,<br />
das eingängige Melodien und richtig gut kickenden Punkrock<br />
perfekt kombiniert, und wer immer eine Schwäche<br />
hat für kalifornische Sounds à la SOCIAL DISTORTION,<br />
US BOMBS oder GENERATORS, der ist bei OXXON auch<br />
nicht schlecht beraten. Genug der Worte, selber hören –<br />
„4ME2BE“ gibt’s auf der Ox-CD. (7) Joachim Hiller<br />
Auf der Ox-CD zu hören.<br />
OBSKURIA<br />
Burning Sea Of Green<br />
LP | World In Sound | worldinsound.com | 45:54<br />
|| Das 2007 erschienene Debütalbum „Discovery Of Obskuria“<br />
kam mit einem düsteren Background daher, war<br />
fast ein Konzeptalbum, erzählte eine Geschichte, war mit<br />
der Beigabe <strong>von</strong> Peter <strong>Thomas</strong> musikalisch schon vorab<br />
geadelt. Die Aufnahmen für das neue Album „Burning<br />
Sea Of Green“ entstanden kurz vor dem Festival auf der<br />
Burg Herzberg im Juli 2008, wo die Band ihr erstes Konzert<br />
gespielt hat. Das Line-up bestreiten Tom Brehm und<br />
Chino Burga (Gitarren), Carlos Vidal (Bass), am Schlagzeug<br />
Enrique de Vinatea – diese drei sind auch LA IRA DE DIOS<br />
–, Sandra Disterhöft (Organ), Matthias Schäuble und Murielle<br />
Stadelmann (Gesang). Die meisten Stücke auf „Burning<br />
Sea Of Green“ sind „One-takes“. Die Frische der Aufnahmen<br />
resultiert aus dem Sessioncharakter der Aufnahmesituation<br />
und der inspirierten Zusammensetzung der<br />
Band. Diese Mischung wird angereichert durch die spektakulären<br />
Gesangspassagen <strong>von</strong> Murielle Stadelmann, die<br />
/DvDS<br />
richtung sowie ihrer Kinder und Enkel und heutigen Protagonisten<br />
geglückt ist. Ein sehenswerter Film, der auf einer<br />
zweiten DVD durch reichlich Bonusmaterial ergänzt wird.<br />
(10) Joachim Hiller<br />
BLANK GENERATION<br />
DVD | MVD | mvdb2b.com | 78:00 || In der Frühzeit<br />
des Punk entstanden einige Filme, die <strong>von</strong> der Faszination<br />
„normaler“ Regisseure für diese Subkultur zeugen,<br />
und dazu gehört auch „Blank Generation“, ein Film,<br />
in dem Richard Hell die Hauptrolle spielt und der nach<br />
dem 1977er Debüt-Album seiner Band RICHARD HELL<br />
& THE VOIDOIDS benannt ist, bzw. nach dem titelgebenden<br />
Song. Dieser Song ist übrigens auch vielfach im Film<br />
zu hören – so oft, dass man sich fragt, ob Hell keine anderen<br />
Songs geschrieben hat. Die „Handlung“ des Films ist<br />
schnell erzählt: Richard Hell spielt den New Yorker Punkmusiker<br />
Billy, der <strong>von</strong> der komplett überstyleten französischen<br />
TV-Reporterin Nada (gespielt <strong>von</strong> Carole Bouquet,<br />
die kurz darauf als Bond-Girl vor der Kamera stand)<br />
interviewt werden soll. Natürlich werden die beiden ein<br />
Paar, sie hassen und sie lieben sich, und irgendwie sieht<br />
man den beiden bei verschiedenen Aktivitäten zu, es gibt<br />
Dialoge, es gibt Konzertmitschnitte der Voidoids aus dem<br />
CBGB’s, Film-Koproduzent Andy Warhol sitzt in einer<br />
fiktiven Interviewszene vor der Kamera, und man stellt<br />
irgendwann fest, dass in diesem Film wirklich nichts passiert.<br />
Sein Wert liegt in den dokumentarischen Aufnahmen<br />
<strong>von</strong> Hell und den VOIDOIDS, dem schmuddeligen<br />
New York des Jahres 1978, denn auch wenn der deutsche<br />
Regisseur Ulli Lommel in Sachen brauchbarer Handlung<br />
nichts zustande gebracht hat, so stimmen doch die professionelle<br />
gefilmten Bilder. Als Bonus-Feature gibt es ein langes<br />
Interview <strong>von</strong> Luc Sante mit dem mittlerweile 60 Jahre<br />
alten Richard Hell, das sich lohnt. Joachim Hiller<br />
CAN’T TAKE IT WITH YOU WHEN YOU DIE!<br />
DVD | myspace.com/cant-take-it-with-you || Ein<br />
Brief des Filmemachers Nicolas Drolc selbst ist alles, was<br />
mir als Info zu dieser dreiviertelstündigen DVD vorliegt,<br />
und auch das Internet ist keine besonders ergiebige Quelle,<br />
um nähere Hintergrundinformationen zum Schaffen des<br />
in Brüssel beheimateten Drolc zu erhalten. Dies mag daran<br />
liegen, dass der Besagte laut MySpace-Profil gerade mal 23<br />
Jahre jung ist und, abgesehen <strong>von</strong> ersten kleinen Fingerübungen<br />
(Videoclips für Reverend Beat-Man und King<br />
Automatic), bislang noch über eine recht jungfräuliche<br />
Vita zu verfügen scheint. Um so beachtlicher, was Drolc<br />
hier nun als immerhin halbwegs abendfüllendes Erstlingswerk<br />
vorlegt, nämlich eine schicke kleine Dokumentation<br />
über das Werk zweier tief <strong>von</strong> der (Roots-)Countryund<br />
Blues-Kultur inspirierter, miteinander befreundeter<br />
Künstler: des aus Denver stammenden Gospel-Trash-Barden<br />
Reverend Deadeye und der Aachener Illustrator Christoph<br />
Mueller. Als Aufhänger dient hierbei ein <strong>von</strong> Mueller<br />
am 8. Mai 2009 im AZ Aachen für Ersteren arrangiertes<br />
Konzert. Atmosphärisch dichte Live-Mitschnitte der<br />
schweißtreibenden, hochenergetischen Bühnenshow des<br />
Reverends (offensichtlich so etwas wie ein <strong>von</strong> sämtlichen<br />
nur denkbaren unheiligen Dämonen heimgesuchter<br />
Seelenbruder Mojo Nixons) werden kontrastiert <strong>von</strong><br />
den ausgesprochen filigranen, meist ziemlich düster wirkenden<br />
Tuschezeichnungen Muellers. Dazwischen gibt es<br />
immer wieder Interviewsequenzen zu sehen, in welchen<br />
die beiden charismatischen Männer versuchen Parallelen
an Nansi Nevins erinnern, manchmal sogar an Grace Slick.<br />
OBSKURIA erfindet einen Sound, der eine Brücke zwischen<br />
1970 und 2010 schlägt. Zum ersten Album schrieb<br />
ein Metalhead: „Obskuria takes you back to the days when<br />
music was still music!“ Das kann man auch für das neue<br />
Album unterschreiben. Nur doppelt – so gut, so catchy, so<br />
smart. Bei dem Sound wünscht will man eine Fortsetzung.<br />
Ein wirklich spektakuläres Album und ein Must-have! (9)<br />
<strong>Thomas</strong> <strong>Neumann</strong><br />
OKIESON<br />
Cupboard Full Of Things<br />
CD | Elektrograph | elektrographrecords.com |<br />
48:26 || Die Holländer liefern einen schönen Soundtrack,<br />
um sich in einer dezent abgedunkelten Kneipe<br />
gesteigertem Whiskygenuss hinzugeben und dabei <strong>von</strong><br />
weiten, noch unberührten Landschaften zu träumen, in<br />
denen Staub nicht Allergien verursacht, sondern in Wolken<br />
hinter einsamen Männern herzieht. Männer, die sich<br />
nach Geborgenheit sehnen, denen es aber nicht vergönnt<br />
ist, länger als drei Tage an einem Ort zu verweilen. Die deswegen<br />
Herzen brechen, weil ihr eigenes voller Schmerz<br />
und Sehnsucht ist. Sehnsucht nach Dingen, <strong>von</strong> denen sie<br />
wissen, dass sie unerreichbar sind, deren Spur sie aber dennoch<br />
auf ewig folgen werden. Eigentlich eine durchaus<br />
schöne Platte, die einen gekonnten Mix aus melancholischer<br />
Schwermut und Abenteuerlust verbreitet. Wenn die<br />
Songs für sich alleine stehen, gefällt mir das jedoch besser,<br />
als das Album im Gesamtdurchlauf zu hören. In letztem<br />
Falle fehlt es dann doch ein wenig an Abwechslungsreichtum,<br />
– jeder Ansatz, mal ein wenig Tempo in die Angelegenheit<br />
zu bringen, wird leider doch wieder in Whisky<br />
ertränkt. (7) Claus Wittwer<br />
OH NO ONO<br />
Eggs<br />
CD | Leaf Label | theleaflabel.com | 49:58 || Ein<br />
neuer Stern am Pop-Himmel: OH NO ONO aus Dänemark.<br />
Für ihr Debütalbum „Eggs“ haben sich die fünf neun<br />
Monate Zeit gelassen und in einem kleinen Landhaus auf<br />
der Insel Møn alles ausprobiert, Rückwärtsloops, Holzbläser,<br />
Außenaufnahmen aus der Inselumgebung, eine mit<br />
Wasser gefüllte Tonne als Perkussioninstrument oder Choraufnahmen<br />
aus einer Kirche. Lediglich das zehnminütige<br />
Schlussstück „Beelitz“ wurde in dem gleichnamigen ehemaligen<br />
deutschen Militärhospital aufgenommen. Herausgekommen<br />
sind zehn wunderbare Titel zwischen Pop,<br />
Progrock und ziemlich oft klingen OH NO ONO ähnlich<br />
wie die CARDIACS. Zwar sind OH NO ONO nicht ganz<br />
so hektisch und haben auch nicht so viele Tempo- und<br />
Rhythmuswechsel, aber wer das etwas opulente CARDI-<br />
ACS-Album „Heaven Born And Ever Bright“ mag, wird<br />
auch an „Eggs“ gefallen finden, wobei einige orchestrale<br />
Momente gerade noch den PET SHOP BOYS ausweichen<br />
können. Die Erstauflage der CD kommt mit einem<br />
20-seitigen Booklet und einem Pappschuber. Mein Favorit<br />
auf „Eggs“ heißt „Helplessly young“ und klingt wie eine<br />
Mischung aus B-52’s und Billy Idols „White wedding“. (7)<br />
Kay Werner<br />
ppp<br />
PADDY & THE RATS<br />
Rats On Board<br />
CD | Alexandra | alexandra.hu | 47:36 || Celtic-<br />
Rock aus Ungarn und gar nicht mal schlecht. 15 Mal lassen<br />
Paddy und sein Ratten ganz im Sinne der großen Vor-<br />
in dem, was sie antreibt, zu ziehen und sie in charmanter<br />
Manier Auskunft über die ökonomischen und mentalen<br />
Fährnisse geben, die so eine einsame Vagabunden- und<br />
Künstlerexistenz mit sich zu bringen vermag. „Can’t Take<br />
It With You When You Die!“ ist ein sympathisches Wohlfühlfilmlein<br />
eines talentierten Nachwuchsregisseurs, dessen<br />
Namen man sich merken sollte und welches ich jedem<br />
an guter, authentischer „Roots Music“ interessierten Menschen<br />
ans Herz legen mag. Dieses gelungene Debüt wird<br />
übrigens auch im Beisein der beiden Protagonisten am 22.<br />
April im Berliner Eiszeit-Kino aufgeführt. Ben Bauböck<br />
Adam Dubin<br />
DROP DEAD ROCK<br />
DVD | MVD | mvdb2b.com | 93:00 || Es hat auch bei<br />
mir funktioniert: Groß „Adam Ant“ und „Debbie Harry“<br />
aufs Cover schreiben und schon denkt man, so schlecht<br />
könne der Film ja gar nicht sein. Oh doch, kann er. Was<br />
Adam Dubin da 1995 gedreht hat, ist eine zähe 90-Minuten-Rock-Klamotte,<br />
deren Geschichte in der Hälfte der<br />
Zeit hätte erzählt sein können, und dann hätte sie wenigstens<br />
noch etwas Tempo gehabt. Eine mit „erfolglos“ noch<br />
überschwänglich beschriebene Rockband aus Suburbia<br />
namens HINDENBURG kommt auf die grandiose Idee,<br />
ihr Rock-Idol Spazz-O zu entführen, um damit die eigene<br />
Karriere zu erzwingen. Dumm nur, dass Spazz-O, gespielt<br />
<strong>von</strong> Ian Maynard, ein abgehalftertes Arschloch ist, an dessen<br />
Wohlergehen dessen Manager (Adam Ant) nichts mehr<br />
gelegen ist – an seinem Restvermögen aber sehr wohl.<br />
Dummerweise lenkt die Entführung wieder das Medieninteresse<br />
auf Spazz-O, sein Marktwert steigt, BLONDIEs<br />
Deborah Harry darf die skrupellose Medienunternehmerin<br />
Thor Sturmundrang spielen (Merke: Deutsch klingende<br />
Namen wirken immer total evil rocknrollig ...), und<br />
ja ... irgendwie stolpert die Handluung in der Kulisse steriler<br />
New Jersey-Vorort-Einkaufszentren dann so vor sich<br />
hin. Eine „lustige“ Szene jagt die andere, das Ganze wirkt<br />
wie das kopflose Unterfangen einer Laienspielschar, und<br />
einzig und allein Adam Ant und Debbie Harry schaffen es,<br />
so halbwegs ihre Würde zu wahren. Auch der Soundtrack<br />
mit L.E.S. STITCHES, WARRIOR SOUL, BRACKET und<br />
anderen reißt hier nichts raus. (3) Joachim Hiller<br />
JUDAS & JESUS<br />
DVD | Inkartoons | judasandjesus.com | 15:00 ||<br />
Ob „Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und<br />
Medien“ jemals zu sehen bekommen hat, für was für einen<br />
wundervollen Schweinkram er hier Geld locker gemacht<br />
hat? Ich schätze nicht. Besser so, denn jetzt ist dieser laut<br />
seiner Macher Olaf Encke und Claudia Romero „am meisten<br />
illegal downgeloadene Kurzfilm der Welt“ schon in selbiger<br />
und lässt sich nicht mehr vestecken. Die Story, die<br />
hier in bunten Comic-Bildern erzählt wird, ist uralt: Jesus<br />
nervt schon in der Schule, Judas, der kleine Teufel, ist angepisst<br />
<strong>von</strong> dessen Gutmenschelei, auf die auch noch die geile<br />
Maria Magdalena hereinfällt und später auch all die anderen<br />
Schafe, denn ja, in jener Tierrasse sind hier alle Akteure<br />
dargestellt. Aber es kommt der Tag der Rache, Judas darf<br />
Maria poppen und entsorgt Jesus an jenem bekannten<br />
Holzbalken und die blöde Nervensäge hat endlich bekommen,<br />
was ihr zustand. Der nur 15 Minuten laufende Film<br />
ist untermalt mit Musik der METEORS, die ganze Bildsprache<br />
ist recht rocknrollig, die Darstellung der Akteure und<br />
ihrer Sexualorgane sehr explizit, doch so einen Film gleich<br />
als „blasphemisch“ darzustellen, wie das <strong>von</strong> offizieller<br />
Seite aus versucht wird, ist doch etwas übertrieben. Und<br />
vielleicht sollte man ja einfach vorher genauer hinschauen,<br />
wofür man Geld ausgibt. Jetzt ist es zu spät, hihihi. (10)<br />
Joachim Hiller<br />
bilder, den frühen POGUES, dem geneigten Hörer keine<br />
ruhige Minute. Der erste Track „The six rat rovers“ bietet<br />
gleich das gesamte Spektrum der charakteristischen Instrumentierung,<br />
Eingängigkeit und Trinkfestigkeit. Denn<br />
genau diese zieht sich wie ein „blauer“ Faden durch 13<br />
eigene und zwei fremde Kompositionen respektive Traditionals<br />
(„Drunken sailor“, „Bully in the alley“). Das pirateske<br />
Coverdesign spricht die gleiche Sprache, also bester<br />
„Pub’n’Roll“ (Punk!) angereichert mit ein wenig<br />
„Freedom“. Der Opener ist wirklich klasse und bleibt bis<br />
zum Ende hin spannend. Auch im Laufe des Albums blitzen<br />
immer wieder kleine Hits auf. „Fuck you I’m drunk!“<br />
zum Beispiel, das in traditionell balladesker Art, vom seelischen<br />
Zerbrechen historisch überlieferter Kriegserlebnisse<br />
berichtet. Das Fahrwasser der POGUES wird nur selten verlassen,<br />
wer also Aha-Erlebnisse sucht: Fehlanzeige. Hier<br />
ein wenig poppiger Punkrock à la GREEN DAY („Hurry<br />
home“), da etwas Rock’n’Roll („Bang!“) schließlich aber<br />
immer wieder Molly, McKenzies, Murphys. Auch wenn in<br />
diesem Genre keine Überraschungen geschehen werden,<br />
so sehr freut man sich doch über – guten – Zuwachs, zumal<br />
aus östlichen Gefilden. Stießen aus Down Under erst kürzlich<br />
THE GO SET erfolgreich in See, so werden auch Paddys<br />
Rats zum Szene-Inventar avancieren. Die Aufmachung,<br />
inklusive aller Texte, gefällt und live könnte ich mit gut<br />
vorstellen, dass das trinkfreudige Sextett keine Gefangenen<br />
machen wird, oder doch? Piraten! (7) Lars Weigelt<br />
THE PEACOCKS<br />
After All<br />
CD/Digital | People Like You | peoplelikeyourecords.de<br />
| 40:59 || Neues und erfrischendes Material<br />
vom eidgenössischen Zappel-Trio. Erfrischend deshalb,<br />
weil das hier Dargebotene<br />
zum einen eine<br />
unerwartete Steigerung<br />
zu den sehr soliden Vorgängern<br />
(unter anderem<br />
„Gimme More“, Review<br />
#78) darstellt und zum<br />
anderen den Punkabilly-Horizontgehörig<br />
erweitert. Die klassischenPEACOCKS-Stücke<br />
fehlen hier selbstverständlich<br />
nicht („Not listening“,<br />
„Love/trouble“<br />
und „You don’t always want what you get“), aber cleaner<br />
1950er-Rockabilly und Midtempo sorgen für Abwechslung<br />
und schaffen zwischen all den hektischen Standup-<br />
Bass-Attacken, gepaart mit schneidigen Riffs und straighten<br />
Drums, hörenswerte Ruhepausen. Das ergibt auf der<br />
CD-Version 15, auf Vinyl und digital ganze 16 eigene Stücke,<br />
<strong>von</strong> denen mir drei einfach nicht mehr aus dem Ohr<br />
gehen wollen. „Lean on me“ besitzt unglaubliche Hitqualitäten<br />
mit garantierter Dauerrotation in den einschlägigen<br />
Clubs: supermelodiös, schnell und angenehm hektisch,<br />
schöne Hammondorgel, einprägsamer Refrain mit<br />
tollem Background-Gesang. Das darauf folgende „Not<br />
your man“ ist der vielleicht beste Song, den die drei bisher<br />
abgeliefert haben und ist vielmehr Billy als Rock. Das<br />
groovet und schwingt wie Sau! Die eingängige Hookline<br />
und das unwiderstehliche, relaxte Klackern des Standup-<br />
Basses, ergibt hier eine unbedingte Tanzaufforderung. Ganz<br />
andere Qualitäten bietet hingegen „Better times“: Eine<br />
klassische 1950er-Billy-Ballade mit angestaubtem Charme<br />
und schön schnulzigem Gesang. Ab ins Radio damit! Das<br />
Problem,das den Songs der Schweizer bisweilen anhaftete<br />
– Spannungsverlust – ist ab sofort Geschichte, denn die<br />
neuen Songs werden auch nach dem 20. Hören nicht langweilig.<br />
Wer die Jungs bisher nur mochte, wird sie hierfür<br />
lieben, versprochen. (8) Lars Weigelt<br />
PREYING HANDS<br />
Through The Dark<br />
CD | Contraszt! | diyordie.net | 31:25 || Mit Contraszt<br />
aus Köln ist oben nur eines der fünf beteiligten Labels<br />
genannt, die zusammen den Release dieser kanadischen<br />
Band stemmen. Gleichermaßen beteiligt sind Ruin Nation<br />
aus Bremen, Fight For Your Mind aus Frankreich, Trujaca<br />
Fala aus Polen und Inimical aus Seattle, USA. Solche Split-<br />
Releases sind eine alte Tradition in der D.I.Y.- und Crust-<br />
Szene, und gerade in Zeiten, da es auch für kleine Labels<br />
immer schwieriger wird, ist diese Art des Coop-Releases<br />
sicher eine smarte Sache. PREYING HANDS sind die Nachfolgeband<br />
<strong>von</strong> BALLAST, die sich 2006 auflösten und zu<br />
3/5 unter neuem Namen weitermachten. „Through The<br />
Dark“, ihr <strong>von</strong> Mark Lawson produziertes Album, ist eine<br />
höchst angenehme Angelegenheit: Ich mag rauhe, dunkle<br />
Frauenstimmen ja sowieso, und in Kombination mit treibendem,<br />
druckvollem, melodiösem Hardcore-Punk ist<br />
das eine unschlagbare Sache. PREYING HANDS klingen<br />
schwer nach einer Mischung aus DAG NASTY, DOVER,<br />
GITS, BAMBIX, sind musikalisch allerdings etwas giftiger,<br />
und das gefällt. Sehr schön auch die Ausstattung mit Klappbooklet<br />
aus Recycling-Pappe. (8) Joachim Hiller<br />
PATTERNS<br />
Science Piñata<br />
CD | Altin Village | altinvillage.de | 39:25 || Nach<br />
drei Singles und zwei MCs in geringer Auflage haben es<br />
PATTERNS aus Köln mit ihrem Debütalbum letztlich<br />
geschafft, sich <strong>von</strong> der<br />
Masse eigenwilliger,<br />
deutscher Post-Irgendwas-Bands<br />
zu emanzipieren<br />
und sich ihre<br />
eigene Nische zu schaffen;<br />
eine Entwicklung,<br />
die der Song auf<br />
der Splitsingle mit<br />
FUCKUISMYNAME<br />
schon angedeutet hat.<br />
War ich beim Opener<br />
zunächst etwas da<strong>von</strong><br />
enttäuscht, wie sie ihren<br />
einstigen frickeligen Dancepunk-Sound, der gleichzeitig<br />
etwas chaotisch, aber doch nachvollziehbar war und<br />
einen wahnsinnigen Drive hatte, in eine monotone, <strong>von</strong><br />
Afrobeat-Rhythmen durchzogene Weiterführung dessen,<br />
was Q AND NOT U (ein Vergleich, den wahrscheinlich<br />
niemand mehr hören kann, der aber nichtsdestotrotz<br />
auf der Hand liegt) auf ihrem letzten Album angefangen<br />
hatten, umgewandelt haben, bin ich ob der mutigen<br />
musikalischen Entwicklung und Hits wie „Diamond<br />
life“ oder dem großartigen „Principle of touch“ mittlerweile<br />
sehr angetan. So hat man es hier mit reichlich GANG<br />
OF FOUR-Gitarren und -Momenten zu tun, einer teils<br />
sehr hohen Gesangslage und vom Bass gesteuerten Songs,<br />
in denen sich als roter Faden die monotone Rhythmik, der<br />
Willen, den selben – wenn auch teils etwas vertrackteren –<br />
Beat auch mal ein wenig länger als ein paar Takte durchzuhalten<br />
durchzieht. Ein originäres Konzept, konsequent auf<br />
Albumlänge verwirklicht, das eigenwilligen, fast immer<br />
tanzbar bleibenden Partysound beschreibt, der zumindest<br />
hierzulande relativ einzigartig ist und <strong>von</strong> Guido Lucas<br />
vorzüglich in Szene gesetzt wurde – mag man oder mag<br />
man nicht. (8) Andreas Krinner<br />
PULLOUT<br />
Eagles & Vultures<br />
CD | Razorblade | razorblade-music.com | 22:50 ||<br />
Sicher ist es niemals falsch, seine musikalischen Wurzeln zu<br />
zitieren und schnörkelloser HC/Punk, der klingt wie frisch<br />
aus den Achtzigern, ist immer sympathischer als nerviges<br />
Metal-Riffing. Dass technisches Handwerk nicht alles<br />
ist, beweisen PULLOUT aus Kalifornien leider auf diesem<br />
Album, das klingt, als hätte es schon gute 20 Jahre auf<br />
dem Buckel – allerdings ohne besonderen Wiedererkennungswert.<br />
Die zwölf Lieder knüppeln (oder plätschern)<br />
so dahin, klingen nett, aber wirklich gebraucht hat man’s<br />
nicht. (5) Sebastian Banse<br />
EMMA POLLOCK<br />
The Law Of Large Numbers<br />
CD | Chemikal Underground | chemikal.co.uk |<br />
41:26 || Mit „Watch The Fireworks“ hatte Emma Pollock,<br />
Gründungsmitglied und Sängerin der schottischen<br />
Band DELGADOS, vor zwei Jahren ein beachtliches Debüt<br />
abgeliefert. Jetzt ist sie quasi wieder an den heimischen<br />
Herd zurückgekehrt und veröffentlicht ihr zweites Album<br />
beim renommierten Glasgower Label Chemikal Underground,<br />
wo auch das finale DELGADOS-Album erschien.<br />
Von denen hat sie auf jeden Fall das leicht sperrige Songwriting<br />
übernommen, in das sich dann wie in dem tollen<br />
„I could be a saint“ ein wunderschöner Refrain einfügt.<br />
Nicht der einzige Song, der „The Law Of Large Numbers“<br />
insgesamt zu einem durchweg gelungenen Pop-<br />
Album macht, allerdings eines, das nicht um vordergründige<br />
Eingängigkeit bemüht ist, und das deutlich „dunkler“<br />
als „Watch The Fireworks“ ausfällt, aber ähnlich modernisierte<br />
Folk-Tendenzen besitzt. Und auch stilistisch passiert<br />
hier sehr viel, angefangen bei dem instrumentalen Klavier-Intro<br />
oder dem fünften Song „Nine lives“ mit seinem<br />
Dixieland-Jazz-Einfluss, wobei sich Pollock insgesamt eher<br />
einer Neo-Klassik-Instrumentierung mit Streichern und<br />
Klavier bedient. Profaner Indierock ist „The Law Of Large<br />
Numbers“ nicht, was nicht heißt, dass Gitarre und Schlagzeug<br />
nicht auch starke Akzente setzen würden. Eine faszinierende<br />
Stimme hatte Pollock schon immer, aber auch als<br />
Songwriterin wirkt sie diesmal deutlich fokussierter und<br />
selbstsicherer. Man wird in diesem Jahr sicher noch den<br />
einen oder anderen Indierock-Insel-Hype ertragen müssen,<br />
„The Law Of Large Numbers“ ist da mein persönlicher<br />
Fels in der Brandung, ein durchweg gelungenes Album. (8)<br />
<strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
POPPERKLOPPER<br />
Was lange gärt, wird endlich Wut<br />
CD | Nix Gut | nix-gut.de | 42:31 || Mit „Was lange<br />
gärt, wird endlich Wut“ ist den POPPERKLOPPERn ein<br />
ganz großer Wurf gelungen. Die einstige Deutschpunk-<br />
Band hat sich stets weiterentwickelt, was keine Selbstverständlichkeit<br />
ist. Nach 20 Jahren, in denen man so einiges<br />
mitgemacht hat, ist man nun an einem Punkt angelangt,<br />
an dem man ganz oben mitmischen kann. Und das<br />
sogar auch außerhalb des Deutschpunk-Bereichs, denn<br />
auf ihrem aktuellem Album befinden sich beachtliche<br />
zehn Titel in englischer Sprache, nur die restlichen fünf<br />
Deutschpunk. Nicht nur die Band ist in all den Jahren<br />
gereift, sondern auch ihr Sound, sehr abwechslungsreich<br />
gehen POPPERKLOPPER zu Werke. So gibt es einige Songs<br />
im 77er-Gewand, teilweise gespickt mit Rock’n’Roll-Parts.<br />
Aber auch die einfachen und rauhen Deutschpunk-Titel,<br />
wie man sie <strong>von</strong> POPPERKLOPPER kennt, sind vertreten.<br />
Abgerundet wird das Ganze durch ernste und durchdachte<br />
Texte, mit denen jeder Punker etwas anzufangen weiß. Als<br />
Extra wurde auf das Album auch noch ein kleiner Konzertmitschnitt<br />
vom Resist to Exist Festival gepackt. Doch das ist<br />
noch nicht alles, auch das gesamte Artwork und vor allem<br />
das Booklet wissen zu gefallen. Hier heißt es zuschlagen.<br />
(9) Sven Grumbach<br />
PRIESTESS<br />
Prior To The Fire<br />
CD | Tee Pee | teepeerecords.com | 46:21 || Zweites<br />
Album der Kanadier, die sich einem Sound verschrieben<br />
haben, der tief im klassischen Hard Rock der Siebziger<br />
verwurzelt ist. Da bleibt es natürlich nicht aus, dass hin und<br />
wieder starke Erinnerungen an Größen wie BLACK SAB-<br />
BATH und LED ZEPPELIN (inklusive deren hippieesker<br />
Attitüde) aufkommen. Das Ganze wird dermaßen locker<br />
aus der Hüfte geschossen, dass einem vor Begeisterung<br />
beinahe die Luftgitarre aus der Hand fällt. Wer jetzt mutmaßt,<br />
dahinter könnten sich die zweiten BARONESS verstecken,<br />
liegt so falsch sicherlich nicht, allerdings verzichtet<br />
man auf das Schielen in Richtung Doom und Noise, so<br />
dass der puristische Rocksound bleibt, den ganz besonders<br />
die Schlaghosen-Fraktion verehren wird, der wiederum<br />
der Kauf dieser Platte ans Herz gelegt sei. (8) Jens Kirsch<br />
PULL A STAR TRIP<br />
E-Vasion Inn<br />
CD | Playground | playgroundmusic.com || PULL A<br />
STAR TRIP sind eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen<br />
Emo/Pop-Punk-Szene. Wo andere Bands versuchen,<br />
dem klischeereichen US-Emo-Mainstream nachzueifern<br />
oder sich nach und nach einfach in Luft auflösen,<br />
gehen PAST konsequent ihren Weg fernab <strong>von</strong> Trends<br />
und Indie-Hypes. PAST besinnen sich auf das Wesentliche:<br />
Gutes Songwriting und eingängige Melodien. Mit<br />
„E-Vasion Inn“ machen PAST da weiter, wo sie mit ihrem<br />
Debütalbum „An Internship In Optimism“ aufgehört hatten,<br />
nur dass sie in Sachen Gesang und Produktion noch<br />
einen drauflegen. Was bei anderen Bands irgendwie aufgesetzt<br />
wirkt, klingt bei PAST erfrischend echt. Man merkt<br />
ihnen die Spielfreude einfach an. Dass man dabei das Rad<br />
nicht neu erfindet, ist klar und auch gut so: „E-Vasion Inn“,<br />
das ist Akustik-Wohlfühl-Emo/Pop-Punk mit vereinzelten<br />
Screamo-Momenten, der heutzutage schon fast nostalgisch<br />
klingt. Im positiven Sinne, versteht sich. Da kommt es<br />
auch nicht <strong>von</strong> ungefähr, dass sich Jeff Claudill <strong>von</strong> GAME-<br />
FACE/MARCH als Gastsänger auf dem Song „Starvinggeisha.net“<br />
einfindet. Als Gastmusiker ebenfalls mit dabei<br />
sind diesmal Jörg Ahrens und Max Schreiber <strong>von</strong> DAYS IN<br />
GRIEF. Dass PAST dereinst auch schon mal im legendären<br />
CBGB’s gespielt haben, was für eine deutsche Band auch<br />
nicht gerade selbstverständlich ist, sei hier nur als Fußnote<br />
erwähnt. Wer jetzt noch zweifelt, der sollte sich einfach<br />
mal den Song „L.A. travel guide“ anhören. (8)<br />
Robert Buchmann<br />
OX-FANZINE 103
EvIEws<br />
OX-FANZINE 104<br />
THE PICTUREBOOKS<br />
Artificial Tears<br />
CD | Nois-O-Lution | noisolution.de<br />
| 40:25 || Okay, der Plan in Gütersloh<br />
sieht folgendermaßen aus: drei Alben in<br />
drei Jahren. Marketingtechnisch vielleicht<br />
nicht der cleverste Schachzug, aber den Fan<br />
<strong>von</strong> krachorientierter, eruptiver, wütender<br />
aber dennoch smarter Rockmusik, mit<br />
Tendenz zur Tanzfläche, freut es. Besonders<br />
weil „Artificial Tears“ noch einmal ein<br />
ganzer Schritt nach vorne ist. Im Vergleich<br />
zum letztjährigen Debüt „List Of People To<br />
Kill“ ist das neue Album wesentlich ausgefeilter<br />
und durchdachter ausgefallen.<br />
Man könnte sagen, das Songwriting ist reifer<br />
geworden, aber reif ist ein Wort, das nur<br />
gebraucht wird, wenn einem nichts Vernünftiges<br />
einfällt. Es klingt zwar nett und<br />
ist wohlwollend gemeint, aber würde den<br />
elf Songs nicht gerecht werden. Besser wäre<br />
darauf hinzuweisen, dass die drei Musiker<br />
es schaffen, mit den Erwartungen zu spielen,<br />
die der Hörer hat, wenn er das Debütalbum<br />
kennt. Will meinen, hier werden<br />
Spannungen aufgebaut, die nicht zwangsläufig<br />
durch den Krach des Vorgängers aufgelöst<br />
werden. Wozu immer gleich mit der<br />
Tür ins Haus fallen, es geht auch anders.<br />
Zumal „Artificial Tears“ nach wie vor genug<br />
Momente besitzt, die einem den Schmalz<br />
aus den Ohren pusten. Insgesamt weniger<br />
wild, aber im Gegenzug nachhaltiger<br />
und mit einer erschreckenden Ideenvielfalt<br />
bewaffnet. Die PICTUREBOOKS beweisen,<br />
dass man nicht immer geradeaus gehen<br />
muss, um auf den Punkt zu kommen. Man<br />
darf gespannt sein, was uns nächstes Jahr<br />
mit Album Nummer drei erwartet. (9)<br />
Lars Koch<br />
RRR<br />
RADIO CITY ROCKERS<br />
s/t<br />
CD | Rundling | myspace.com/radiocityrockers<br />
| 35:33 || Die RADIO<br />
CITY ROCKERS aus Dresden sind ein Projekt<br />
<strong>von</strong> KALTFRONT-, BOTTLES-, PARA-<br />
NOIA- und Ex-FLAMIN’ FRIDGES Mitgliedern<br />
und Stephan <strong>von</strong> Rundling Records.<br />
Ohne große Ansprüche frönen die fünf auf<br />
„Radio City Rockers“ einfach ihren musikalischen<br />
Vorlieben aus den frühen Achtziger<br />
Jahren. Bands wie SPECIALS, GANG OF<br />
FOUR oder CLASH sind hier nicht zu überhören<br />
und zum Teil werden die Vorbilder<br />
nur minimal verändert, aus „Rat race“ <strong>von</strong><br />
den SPECIALS wird so eine Ska-Coverversion<br />
mit einem neuen Text „Club der einsamen<br />
Seelen“, aus „She’s the one“ <strong>von</strong> den<br />
RAMONES wird „Y<strong>von</strong>ne“ und so weiter.<br />
Mir gefallen jedenfalls diese Querverweise<br />
und durch die deutschen Texte fallen<br />
mir dazu sogar MALE und frühe FEHL-<br />
FARBEN ein. Sympathischerweise wird hier<br />
nichts verleugnet und als Partyband eignen<br />
sich RADIO CITY ROCKERS sicherlich<br />
prima, denn Stücke wie „Dispo Beat“ haben<br />
Hitpotenzial und lassen einen vor allem in<br />
musikalischen Erinnerungen schwelgen.<br />
(7) Kay Werner<br />
RAISE THE HUMAN<br />
s/t<br />
CD | Antstreet | antstreet.de | 30:41<br />
|| RAISE THE HUMAN, aus Udine, Norditalien,<br />
spielen durchaus gelungenen Pop-<br />
Punk, dessen zentrale Bestandteile – Melodien,<br />
Gesangslinien, catchy Parts – <strong>von</strong><br />
NEWFOUNDGLORY, FALL OUT BOY<br />
und BLINK-182 inspiriert sind. Deswegen<br />
wirken die elf Songs etwas beliebig, da<br />
diese Musik <strong>von</strong> so unwahrscheinlich vielen<br />
Band gespielt wird, die alle auch <strong>von</strong><br />
den drei genannten Bands beeinflusst sind.<br />
Unter den Kopisten zählen diese drei aber<br />
sicher zu den besseren. (6) Lauri Wessel<br />
REVOLTING COCKS<br />
Got Cock?<br />
CD | 13th Planet | thirteenthplanet.<br />
com | 53:29 || Nur ein Jahr hat Alan<br />
Jourgensen seit dem Release <strong>von</strong> „Sex-O<br />
Olympic-O“ vergehen lassen – es ist offensichtlich,<br />
dass Jourgensen seit dem Ende<br />
<strong>von</strong> MINISTRY 2008 seine ganze kreative<br />
Energie in das einstige Nebenprojekt fließen<br />
lässt. Bei dem hatte er früher freilich<br />
noch Nebenbuhler wie Paul Barker oder<br />
Luc van Acker, doch mittlerweile ist RevCo<br />
wohl zur regulären Hauptband geworden.<br />
Die Fortführung <strong>von</strong> MINISTRY mit<br />
etwas anderen Mitteln also? Könnte man<br />
so sagen. Oder einfach Jourgensens Solotrip<br />
in der ungefähr 25. Runde? Auch das trifft<br />
es ziemlich genau. Ob ich allerdings diese<br />
krawallige Veranstaltung in der aktuellen<br />
Version ernsthaft gut finden kann, ist eine<br />
andere Sache. Ja, ich mag Jourgensen, seine<br />
provokante Art, sein kompromissloses Vorgehen,<br />
doch im Vergleich zum meisterhaften<br />
„Cocked And Loaded“ <strong>von</strong> 2006 wirkt<br />
„Got Cock?“ ziemlich zusammengeschustert,<br />
haben die Texte <strong>von</strong> „Filthy Senoritas“,<br />
„Juice“ („I’m Scheiße ... You’re Scheiße“)<br />
oder „Fuck money“ eine (unfreiwillig?)<br />
komische Note, sind eher pubertäres Gepöbel<br />
als smarter Kommentar. Und musikalisch<br />
gibt’s auch eher B-Ware – Alan, das<br />
kannst du besser. (5) Joachim Hiller<br />
REVERENDS<br />
s/t<br />
MCD | myspace.com/diereverends |<br />
14:01 || Einigen sind die REVERENDS<br />
vielleicht schon <strong>von</strong> der Ox-Compilation<br />
#86 bekannt, auf der ihr Song „Tribute“<br />
zu hören war. Meiner Meinung nach keine<br />
gute Wahl, da „Tribute“ auf der EP gesanglich<br />
wie instrumental am schlechtesten<br />
abschneidet, auch wenn er dem Punkrock<br />
gewidmet ist, in dem die Ehrwürdigen<br />
ihr zu Hause gefunden haben. Die restlichen<br />
vier Songs kann man sich weitaus besser<br />
anhören. Einfacher Punkrock, Back-up<br />
Vocals, die nach NOFX durchaus radiotauglich<br />
wären, und nette Lyrics machen die<br />
Band aus. Teilweise erinnert ihr Stil stark<br />
an AVAIL. Auf einem Festival mit einem kühlen Bier in der<br />
Hand lohnt es sich bestimmt, die Jungs live zu sehen, mehr<br />
muss es für mich aber auch nicht sein. (6) Judith Richter<br />
RETRIBUTION GOSPEL CHOIR<br />
2<br />
2CD | Sub Pop/Cargo | subpop.com | 33:51 || Das<br />
zweite, simpel als „2“ betitelte Album <strong>von</strong> Alan Sparhawk<br />
unter dem Namen RETRIBUTION GOSPEL CHOIR. Besser<br />
bekannt ist der Herr <strong>von</strong> seiner anderen Band LOW,<br />
mit denen RGC allerdings nicht allzu viele Gemeinsamkeiten<br />
aufweisen. So richtig weiß man allerdings immer<br />
noch nicht, wohin Sparhawk mit RGC eigentlich will, die<br />
auch hier wieder einen fast schon hardrockigen dichten<br />
Gitarrenteppich produzieren, der im ersten Song „Hide it<br />
away“ als U2-Hommage durchgehen könnte (sicherlich<br />
der Hit der Platte), überwiegend aber das Feld <strong>von</strong> 70sund<br />
Roots-Rock beackert. Eine durchaus ansprechende,<br />
atmosphärische Angelegenheit, wenn das Songmaterial<br />
auf „2“ doch etwas mehr Substanz besäße, das oft über<br />
die reine Zelebration mächtiger Gitarrenriffs hinaus nicht<br />
allzu viel zu bieten hat. Mal wieder meckern auf hohem<br />
Niveau, denn an sich gibt es hier einige wirklich herausragende<br />
Songs, bei denen RGC ein recht eigenwilliges<br />
Gemisch aus Stoner-Rock und Powerpop brauen, was bei<br />
den episch ausgewalzten Songs „Electric guitar“ oder „Poor<br />
man’s daughter“ besonders schön zu Geltung kommt. Beim<br />
nächsten Mal vielleicht doch lieber eine EP, dann könnte<br />
man mit ruhigem Gewissen <strong>von</strong> „All killer, no filler“ sprechen.<br />
(6) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
RED SPAROWES<br />
The Fear is Excruciating,<br />
But Therein Lies the Answer<br />
CD | Conspiracy/Cargo | conspiracyrecords.com ||<br />
Ich habe RED SPAROWES früher Unrecht getan, als ich sie<br />
wegen der NEUROSIS/Neurot-Labelmate-Konstellation<br />
und der Position <strong>von</strong><br />
Bryant Clifford Meyer als<br />
Keyboarder <strong>von</strong> ISIS eher<br />
als Band aus der zweiten<br />
Reihe, als eine Art Seitenprojekt<br />
wahrnahm.<br />
Ein unglaublicher, mitreißender<br />
Auftritt auf<br />
dem Roadburn-Festival<br />
war es, der mich da<strong>von</strong><br />
überzeugte, dass diese<br />
Formation den dienstälteren<br />
ISIS und NEURO-<br />
SIS ebenbürtig ist, ja das<br />
Zeug dazu hat, diese zu überrunden. Das dritte Album „The<br />
Fear is Excruciating, But Therein Lies the Answer“ beweist<br />
das nun ungeheuer eindrucksvoll. Man hat in letzter Zeit<br />
nicht wenige Bands mit so einem soundscapehaften Breitwand-Sound<br />
gehört und gesehen, war und ist immer wieder<br />
beeindruckt, doch erkennt auch, dass sich eine gewisse<br />
Ermüdung einstellen kann, wenn nur Standards abgespult<br />
werden zwischen laut und leise. RED SPAROWES<br />
nun beweisen, dass die Unterschiede im Detail liegen, dass<br />
Meyer und seine vier Begleiter es besser als andere beherrschen,<br />
unter die Haut gehende, düstere, monumentale<br />
Klänge zu erzeugen, die dramatisch und doch nicht plump<br />
bombastisch, detailreich, aber nicht frickelig-verspielt<br />
sind. Damit erzeugen sie eine Stimmung, die im Gegensatz<br />
zu Genrenachbarn eher euphorisch ist, wirken ihre Kompositionen<br />
stimmungsaufhellend und nicht wie Downer.<br />
Acht Songs finden sich auf dem Longplayer, und die sollen,<br />
so heißt es, eher als einzelne Werke denn als monolithischer<br />
Albumblock wahrgenommen werden. Ein meisterliches<br />
Album für die Tage, an denen einem nicht nach<br />
simplen Drei-Akkord-Smashern zumute ist. (9)<br />
Joachim Hiller<br />
JACK ROSE<br />
Luck In The Valley<br />
CD | Thrill Jockey | thrilljockey.com | 37:04 || Im<br />
Dezember letzten Jahres starb der Gitarrist Jack Rose mit<br />
38 Jahren an einem Herzinfarkt und die wenigsten werden<br />
wahrscheinlich mitbekommen haben, dass es ihn gab,<br />
auch wenn er mal bei der langlebigen Experimentalband<br />
PELT maßgeblich beteiligt war. „Luck In The Valley“ ist sein<br />
letztes Album und wird ebenfalls kaum ein größeres Publikum<br />
ansprechen. Es ist ein akustisches, rein instrumentales<br />
Neo-Folk-Album, größtenteils <strong>von</strong> Rose im Alleingang<br />
eingespielt, ergänzt durch andere Saiteninstrumente<br />
oder ein wenig Piano, allerdings völlig auf Schlagzeug<br />
verzichtend. Wenn man Folk, Country oder Bluegrass in<br />
einen eher experimentellen Kontext stellen möchte, dann<br />
dürfte „Luck In The Valley“ dafür ein gutes Beispiel sein,<br />
eine grundsätzlich traditionelle Angelegenheit, die aber<br />
ebenfalls durch die monotone Wiederholung bestimmter<br />
Elemente an den Drone-Folk <strong>von</strong> SIX ORGANS OF<br />
ADMITTANCE erinnert oder CURRENT 93. Die Musik<br />
<strong>von</strong> Rose findet dabei in einem seltsamen Zwischenstadium<br />
stat: Einerseits könnte man ihn aufgrund seines zu<br />
den Ursprüngen dieser Gattung zurückgehenden Materials<br />
für einen klassischen Folkgitarristen halten, andererseits<br />
findet hier auch eine dissonante Brechung bestimmter<br />
Traditionsmusik statt. „Luck In The Valley“ ist gleichermaßen<br />
beklemmend düster und verspielt melodisch, ein seltsames,<br />
dennoch sehr schönes Album, dessen großer Reiz<br />
vor allem in seiner oft improvisiert wirkenden stilistischen<br />
Offenheit liegen dürfte. (7) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
REFLECTOR<br />
Pass<br />
CD/LP | Noiseappeal | noiseappeal.com | 40:55 ||<br />
Das österreichische Urgestein REFLECTOR (erstes Demo<br />
kam anno 1998) legt mit „Pass“ sein drittes volles Album<br />
vor. Darauf zu hören gibt es sludgige, stark Metal-infizierte<br />
Musik, die irgendwie noiserockig ist, dabei aber wiederum<br />
zu sauber und zu weitläufig ausfällt, um offensichtlich<br />
Vergleiche mit zum Beispiel THE JESUS LIZARD oder<br />
LIGHTNING BOLT anzuregen. Das Grazer Duo scheint<br />
mit seinem Metal-Sound und der klaren Strukturiertheit<br />
eine eigene kleine Nische im Noise-Kosmos gefunden zu<br />
haben, in dem sie es sich jetzt lautstärkeintensiv gemütlich<br />
machen. Unbarmherzig und wuchtig wühlt sich das<br />
Duo, mit Gitarre und Schlagzeug bestückt, durch acht massiv<br />
schwerfällige Stücke, die zum größten Teil rein instrumental<br />
und höchst repetitiv sind. Der Sound ist ein bisschen<br />
knurrig, aber dick, die Songs sind zäh, aber rund.<br />
Auch obwohl im Gesamtkontext irgendwie der Knackpunkt<br />
fehlt, das intensive Aha-Erlebnis ausbleibt, geht diese<br />
Scheibe im Großen und Ganzen in Ordnung.<br />
Konstantin Hanke<br />
RAGNAROK<br />
Collectors Of The Kings<br />
CD | Regain | regainrecords.com | 38:00 || Mann,<br />
wer raucht denn eigentlich so viel im Regain-Büro in<br />
Schweden? Eure CDs stinken wie die Dorfkneipe um die<br />
Ecke. Aber ich denke, das ist alles Promo, alles Marketing,<br />
um den Live-Charakter der Musik zu unterstützen.<br />
Im Falle RAGNAROK ist eine solche Promo-Idee nicht<br />
nötig, denn laut Info sind sie eine der letzten True-Black-<br />
Metal-Bands – und wie recht sie damit haben. Von der ersten<br />
Sekunde an ist Krieg angesagt, in Szene gesetzt (produziert)<br />
<strong>von</strong> „Devo Andersson“ (MARDUK), der kennt sich<br />
nun mal aus mit Krieg. Ob der neue Mann am Mikrofon<br />
„HansFyrste“ (SVARTTJERN) den übermächtigen „Hoest“<br />
(TAAKE) ersetzen kann? Ja, er kann, es klingt anders, aber<br />
gut. Orthodoxer Black Metal, der am ehesten an WATAIN<br />
oder alte SATYRICON erinnert, aufgelockert mit Gitarrenharmonien<br />
und manchmal kommt sogar so was wie<br />
Rock’n’Roll-Feeling auf. Alter BM in einem modernen<br />
Gewand, ohne jedoch zu glatt oder nicht dunkel genug zu<br />
klingen. Die Platte ist schwarze Magie <strong>von</strong> einer Kapelle,<br />
die mich seit dem Debüt „Nattferd“ fesselt. (8)<br />
Andre Moraweck<br />
ROLLERGIRLS<br />
In Heaven Everything Is Fine<br />
CD/Tape | myspace.com/rollergrrrls || Wie schnell<br />
sich Gegensätze anziehen. Als Screamo-Band gegründet,<br />
entschwand ihnen auf einmal der Schreier und so entschlossen<br />
sich die übrigen drei ohne Barde weiterzumachen.<br />
Ein zweiter Gitarrist stieß dazu und fortan verschrieben<br />
sich die Darmstädter dem fein abgestimmten Instrumental-Post-Rock,<br />
als hätten sie nie etwas anderes in<br />
ihrem Leben getan. Dass dieser satte Sound einer D.I.Y.-<br />
Produktion entspringt, hört man ihm nicht an, ebenso<br />
wenig wie die Tatsache, dass Benno Herz, Christian Junglas,<br />
Christoph Forchheim und Nikolai Hildebrandt alle Anfang<br />
20 sind. Unbedingt anchecken! (9) JeNnY Kracht<br />
RADIO DEAD ONES<br />
Berlin City<br />
10“ | XNO | xno.net || Der Gott der Musik schütze<br />
die RADIO DEAD ONES und ihre Liebe zur stilvollen Verpackung.<br />
Das Auge isst mit und Details sind das Salz in der<br />
Suppe. Natürlich sagt<br />
das noch nichts über<br />
die musikalische Qualität<br />
aus. Auch die Tatsache,<br />
dass das Ding auf<br />
500 Stück limitiert ist,<br />
interessiert wohl eher<br />
die Sammler und Nerds.<br />
Cool ist es trotzdem. Und<br />
mal im Ernst, die zehn<br />
Songs sind sowieso über<br />
jeden Zweifel erhaben,<br />
die Jungs haben es einfach<br />
drauf. Mit dem enthaltenem<br />
„Girl like you“, der ersten Aufnahme der Band<br />
überhaupt, wird sogar bewiesen, dass war <strong>von</strong> Anfang an so.<br />
Und auch sonst kann man nicht meckern. Mit „Through<br />
the urban jungle“ und „Dark urban adventure“ gibt es zwei<br />
instrumentale Nummern, die ich den RADIO DEAD ONES<br />
so nicht zugetraut hätte. Die SWINGIN’ UTTERS-Coverversion<br />
„Last chance“ begeistert sowieso, „Berlin City“ gibt<br />
sowohl in einer englischen wie in einer deutschen Version<br />
(wer hätte gedacht, wie gut der Band ihre Muttersprache<br />
steht) und „So true“, der Ausblick auf Album Nummer<br />
zwei, verspricht Großes. Nach wie vor irgendwo zwischen<br />
Glam und Straße, Dreck und Schönheit beziehungsweise<br />
den alltäglichen Hochs und Tiefs. Die RADIO DEAD ONES<br />
begeistern ein weiteres Mal. (9) Lars Koch<br />
RICH TASTE<br />
Evil Taste<br />
CD | Crazy Love/Cargo | crazyloverecords.de | 34:56<br />
|| „Evil Taste“ ist das Debütalbum der Kieler Band RICH<br />
TASTE. Das Quartett spielt melodischen Oldschool-Psychobilly<br />
und Neo-Rockabilly, mit einigen eigenen Ideen.<br />
Der Klapperkasten geht schön nach vorne und vor allem<br />
das Gitarrenspiel ist schön druckvoll. Der Gesang ist sehr<br />
rauh und derb. Er klingt fast nach dem Gesang <strong>von</strong> Combos<br />
wie MESSERSTECHER HERZENSBRECHER. Einige Stücke<br />
wie „Devil’s train“ oder „Gang war“ haben sogar fast Ohrwurmcharakter.<br />
Aber: Es fehlt einfach noch einiges, um die<br />
Band <strong>von</strong> vielen anderen aus diesem Sektor unterscheiden<br />
zu können. Für ein Debütalbum ist das Ganze nicht<br />
schlecht, aber leider auch nicht mehr. (6) Igor Eberhard<br />
RAVEN<br />
Walk Through Fire<br />
CD | Steamhammer/SPV | spv.de | 57:13 || Wie<br />
die Legionen <strong>von</strong> Mallcore-Bands die Hörgewohnheiten<br />
<strong>von</strong> nach wie vor fest an das Gute im Hardcore Glaubenden<br />
verändern, lässt sich an der schönen Anekdote zeigen,<br />
als Ox-Chef Joachim neulich im Ox-Büro nach dem<br />
Hören diverser solcher Micky-Maus-Metal-Bands im<br />
Anschluss nur Positives über RAVEN sagen konnte, und das<br />
als jemand, der Heavy Metal wirklich nur in absoluten Ausnahmefällen<br />
durchwinkt. Aber er hat ja Recht: nach der<br />
Folter mit Musikabfall, der mit Hardcore nur eine völlig<br />
unverdiente Silbe gemein hat, tut ein Anachronismus wie<br />
„Walk Through Fire“ einfach gut. Die beiden Gallagher-<br />
Brüder und der auch schon seit über 20 Jahre zum Lineup<br />
gehörende Drummer Joe Hasselvander (ex-PENTA-<br />
GRAM) machen auf ihrem zwölften Album und nach zehn<br />
Jahren Pause unbekümmert mit dem weiter, womit sie vor<br />
36 Jahren begannen: NWOBHM, mal an der Grenze zum<br />
Speed Metal, mal ganz klassisch hardrockig. Und wenn<br />
selbst Joachim sich am Eierkneifer-Gesang nicht stört,<br />
dann muss das einfach gut sein. (6) André Bohnensack<br />
RADARE<br />
Infinite Regress<br />
LP | Shark Men | myspace.com/sharkmenrecords ||<br />
Hervorgegangen aus den frisch aufgelösten Chaoscorelern<br />
ACTRESS präsentieren uns RADARE auf ihrem Debütalbum<br />
„Infinite Regress“ eine musikalische 180-Grad-<br />
Wende. Wo bei ACTRESS das gewaltige Chaos und infernalische<br />
Brachialität das Geschehen bestimmten, kosten<br />
RADARE den Moment der Ruhe vollkommen aus. Flirrende<br />
Gitarrenteppiche, unterlegt mit einem Hauch elektronischem<br />
Gebliepe bilden ein Fundament, das aufgelockert<br />
wird durch den Einsatz einer Posaune (auch live<br />
beeindruckend gespielt <strong>von</strong> Bassist Matthias Jurisch) sowie<br />
zwar sporadisch, aber dafür umso wirkungsvoller eingesetzten<br />
Vocals und sich gewaltig auftürmenden Riffwänden.<br />
Eine knappe Dreiviertelstunde nimmt man sich Zeit,<br />
um vier Songs zum Besten zu geben, die zwar durchaus<br />
Ähnlichkeiten zu NEUROSIS, RED SPAROWES und ähnlichen<br />
Bands aufweisen, jedoch diese winzige Nuance<br />
Eigenständigkeit besitzen, die genügt, um die Band und<br />
ihre Platte authentisch erscheinen zu lassen. Großartige<br />
Band, großartige Platte! (9) Jens Kirsch<br />
RAFIKI<br />
Ich bremse nicht für Bosse<br />
CD | Rotlicht | rotlichtrecords.de | 44:59 || Das<br />
Debüt-Album <strong>von</strong> RAFIKI aus dem nördlichsten Zipfel<br />
Bayerns erscheint Ende April, mir liegt nur eine nackte<br />
Vorab-Version vor, weshalb an dieser Stelle nur ein knappe<br />
Vorab-Info stehen soll – eine richtige Besprechung gibt’s<br />
im nächsten Heft. Nur soviel: RAFIKI spielen extrem poppigen<br />
Ska-Pop mit exzellenten Bläsersätzen und einem<br />
gewissen Punkrock/Hardcore-Einfluss, aber irgendwie<br />
auch einem verwirrenden NDW-Einschlag. Definitiv<br />
eine ungewöhnliche, interessante Kombination, und dazu<br />
kommen smarte, kritische Texte – schon der Albumtitel<br />
macht klar, dass man eine klare Meinung zur „Gerechtigkeit“<br />
in diesem Land hat. Mehr demnächst in diesem Programm.<br />
Joachim Hiller<br />
Auf der Ox-CD zu hören.
SSS<br />
SAXON SHORE<br />
It Doesn’t Matter<br />
CD | Broken Factory | saxonshore.com | 54:20 ||<br />
„It Doesn’t Matter“ könnte man etwas freier mit „ist ja<br />
auch egal“ übersetzen, und schon hat man eine treffende<br />
Beschreibung für die Empfindungen, die einen beim<br />
Hören dieses Albums beschleichen. Aufgenommen haben<br />
es fünf Leute aus Philadelphia – keine Anfänger übrigens,<br />
denn das hier ist schon ihr fünftes Werk. SAXON<br />
SHORE nutzen die Fahrrinne, die Bands wie MOGWAI<br />
oder GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR aufgebrochen<br />
haben. Das Problem fast aller Nachzügler: Sie alle greifen<br />
auf bewährte Bausteine zurück, und die geben nun mal<br />
nicht besonders viel her. Schleppendes Tempo, schwebende<br />
Klänge und behäbiges Anschwellen der Intensität bis<br />
zur Lärmorgie – alles schon mal gehört, alles wenig überraschend.<br />
So leid es mir tut, die meisten Bands des Genres<br />
sind absolut austauschbar. SAXON SHORE mögen ihr<br />
Handwerk verstehen, aber auch sie bilden da leider keine<br />
Ausnahme. (6) Christian Meiners<br />
SONGDOG<br />
A Life Eroding<br />
CD | One Little Indian | indian.co.uk || Wehmut<br />
und Vergänglichkeit sind die zentralen Themen des neuen<br />
SONGDOG-Albums. Die Band aus South Wales rund um<br />
Singer/Songwriter Lyndon Morgan, konnte bereits mit<br />
den Vorgängeralben „A Wretched Sinner’s Song“ und „The<br />
Time Of Summer Lightning“ erstaunlich gute Reviews in<br />
der alternativen Musikpresse verzeichnen. Und das, wo<br />
man musikalisch doch sehr einfache und beschauliche<br />
Klanglandschaften erzeugt, fernab vom Mainstream. Bob<br />
Dylan und Leonhard Cohen sind die Vorbilder <strong>von</strong> SONG-<br />
DOG, für mich sind SONGDOG die folkigere und etwas<br />
eintönigere Variante <strong>von</strong> RICHMOND FONTAINE. Zwischen<br />
Streichern und Akustikgitarren wird das schnelle<br />
Vergehen der Zeit melancholisch betrachtet und beklagt.<br />
Schöne, angenehme Musik für die nachdenklicheren<br />
Momente im Leben, und funktioniert überdies auch gut als<br />
Hintergrundmusik beim Lesen. (7) Robert Buchmann<br />
SUPERCHARGER<br />
Handgrenade Blues<br />
CD | Voices Music & Entertainment | vme-group.<br />
com | 50:19 || Achtung, hier handelt es sich nicht um<br />
die Garagenpunker aus San Francisco, sondern um dänische<br />
Schweinrocker, die es wissen wollen. Mit ihrem vorliegenden<br />
Debütalbum konnten SUPERCHARGER bereits<br />
einige Erfolge verbuchen. Unter anderem räumten sie den<br />
Danish Metal Award in der Kategorie „Best Debut Album<br />
of the Year 2009“ ab. Gleich anschließend durfte die Band<br />
bei einigen Europaterminen <strong>von</strong> NASHVILLE PUSSY als<br />
Anheizer dabei sein und ihren Bluesrock- und Stonerbeeinflussten<br />
Rock’n’Roll in ganz Europa präsentierten.<br />
Wenn SUPERCHARGER in diesem Tempo weitermachen,<br />
wird man sicher noch einiges <strong>von</strong> dieser Band hören, denn<br />
diese ersten Erfolge konnte die Band völlig zu Recht feiern.<br />
(7) Simon Dillo<br />
THE STARS’ TENNISBALLS<br />
s/t<br />
MCD | Ampire | ampire-records.com || Zuerst die<br />
schlechte Nachricht: Es fehlen die Hits. Nun die gute: Die<br />
Produktion ist viel versprechend. Ganz bestimmt steckt bei<br />
THE STARS’ TENNISBALLS viel Herzblut mit drin. Dum-<br />
merweise entzünden die vier Songs plus Remix mit ihrem<br />
Indie/Acoucstic Gitarrenpop im Sinne <strong>von</strong> BRIGHT EYES<br />
nicht unbedingt das große Lagerfeuer, das hier vorbereitet<br />
wurde. „Let it go“ klingt wunderbar nach amerikanischem<br />
Indiefolk. Aber das wäre es dann auch schon. Talentiert<br />
sind die Jungs auf jeden Fall. Jetzt fehlt nur noch der<br />
Knaller-Song. Das wird schon. (5) Sebastian Wahle<br />
STONED ALIENS<br />
Moralwaschtag<br />
CD | Alienated But Striving | myspace.com/alienatedbutstriving<br />
| 35:14 || Satte 16 Jahre hat es gedauert,<br />
bis das Debütalbum „Moralwaschtag“ <strong>von</strong> den STONED<br />
ALIENS auf dem Planeten Erde das Licht der Welt erblickte.<br />
Wie heißt es doch so schön, gut Ding will Weile haben.<br />
Und das Ergebnis lohnt sich zu hören. Eine sehr unterhaltende<br />
halbe Stunde mit energiegeladenem Punkrock wird<br />
einem geboten. Überwiegend deutsche, aber auch zwei<br />
englische Titel haben die Jungs im Angebot. Wie es sich an<br />
einem „Moralwaschtag“ gehört, kommt die Politik natürlich<br />
nicht zu kurz („Blutige Freiheit“, „Drei Kriege“). Die<br />
STONED ALIENS bieten durchdachte Texte, die teilweise<br />
rauh, aber immer mit genügend Melodie unterlegt sind.<br />
Soundtechnisch klingt das Ganze nach einer Mischung aus<br />
BOXHAMSTERS, RASTA KNAST und einem Hauch BUT<br />
ALIVE. Insgesamt eine Mischung, die so einiges verspricht<br />
und dies auch halten kann. Die lange Wartezeit hat sich<br />
hier auf jeden Fall gelohnt. (7) Sven Grumbach<br />
SIX GALLERY<br />
Breakthroughs In Modern Art<br />
CD | Superball Music | superballmusic.com || Pop,<br />
Pathos und Fingertapping. SIX GALLERY aus Athens, Ohio<br />
haben sich für ihr Debütalbum viel vorgenommen. Dass<br />
die Band bis vor kurzem noch ohne Sänger reinen, instrumentalen<br />
und progressiven Post-Rock-Sound fabriziert<br />
hat, klingt fast bei jedem Song durch. Man kann schon<br />
sagen, dass das verspielte und vertrackte Gitarrenspiel der<br />
sage und schreibe vier Gitarristen um Sänger Daniel Francis<br />
zum Trademark der Band werden könnte. Sie machen<br />
da weiter, wo Bands wie MONO oder FROM MONUMENT<br />
TO MASSES ohne Sänger stehen bleiben müssen, und das<br />
macht es für den Zuhörer um einiges einfacher und die<br />
Songs greifbarer. Die zehn Tracks <strong>von</strong> „Breaktroughs In<br />
Modern Art“ sind gut, nur entdeckt man ab dem fünften<br />
Song („Eddie & the marble faun“) nicht mehr viel Neues.<br />
Eine EP mit der Hälfte der Songs hätte gute Chancen zur<br />
Veröffentlichung des Monats zu avancieren. Aber es ist<br />
nicht so, dass ab Track sechs alles öde wird. Es bleibt nur<br />
nicht mehr viel hängen. Tip <strong>von</strong> mir: das Album erst ab<br />
„Glaciar de las Lágrimas“ starten lassen. So hat man mehr<br />
da<strong>von</strong>. (6) Sebastian Wahle<br />
SOUL STALKER<br />
A Way Out<br />
CD | Manic Depression | manicdepressionrecords.<br />
com | 39:48 || Im Grunde genommen der beklemmendste<br />
Electro Dark Wave seit SIGLO XX, KLINIK,<br />
SKINNY PUPPY und FRONT 242. Man muss diese Musik<br />
in kleinen Clubs in Paris oder Strasbourg hören. Die Franzosen<br />
haben in diesem Genre schon seit langen ihre geistigen<br />
Überväter aus der belgischen EBM-Szene der Achtziger<br />
Jahre hinter sich gelassen und den Soundtrack zum<br />
maschinellen Untergang bereits vorprogrammiert. Und<br />
wenn DAF dieser Tage auf Tour sind (und Gabi Delgado-<br />
López unterhaltsam die Ausschreitungen bei einem DAF-<br />
Gig in Rom in den frühen Achtzigern resümiert), mag<br />
man auch deshalb vor Ort sein, weil das Vorprogramm <strong>von</strong><br />
NO MORE, die bereits auf Labelpartys <strong>von</strong> Manic Depression<br />
mit SOUL STALKER gespielt haben, bestritten wird,<br />
und deren Stellenwert in der französischen Dark-Wave-<br />
Gemeinde seit ihrer jüngsten Reunion enorm gestiegen ist.<br />
(8) Markus Kolodziej<br />
TONY SLY<br />
12 Song Program<br />
CD | Fat Wreck | fatwreck.com | 32:28 || Wird man<br />
mit dem Alter weiser oder ruhiger oder sucht man nach<br />
neuen Herausforderungen? Vielleicht trifft <strong>von</strong> alledem<br />
etwas auf Tony Sly zu.<br />
Nach mehr als 20 Jahren<br />
als Sänger und Gitarrist<br />
<strong>von</strong> NO USE FOR A<br />
NAME veröffentlicht er<br />
nun sein Solo-Debütalbum.<br />
Bereits vor sechs<br />
Jahren hat er zusammen<br />
mit Joey Cape <strong>von</strong> LAG-<br />
WAGON ein Akustik-<br />
Coveralbum aufgenommen,<br />
auf dem sie Songs<br />
ihrer Bands neu eingespielt<br />
haben. Nun präsentiert<br />
Herr Sly – nomen est omen – zwölf neue Stücke,<br />
die <strong>von</strong> Anfang an wesentlich ruhiger konzipiert waren.<br />
Meist wird auf mehr als eine Akustikgitarre ganz verzichtet,<br />
bei einigen Liedern gibt es dank Karina Denike <strong>von</strong> den<br />
DANCE HALL CRASHERS und Joey Cape gar mehr Sänger<br />
als Instrumente zu hören. Was schon bei NUFAN einen Teil<br />
der Songs ausmacht, wird hier zum Programm: in Akkorde<br />
gehüllte Melancholie vor einer auf- oder untergehenden<br />
kalifornischen Sonne. Damit macht Tony hier nebenbei<br />
auch die Stärke <strong>von</strong> NUFAN ganz deutlich, diese wunderbaren<br />
und fesselnden Melodien, die sowohl in vollem<br />
Punkrock- als eben auch in dünnem Akustikgewand funktionieren.<br />
„It’s all just a passing phase you’ll see“ – man<br />
kann nur hoffen, dass diese Zeile nichts mit der Frage zu<br />
tun hat, ob es weitere Soloalben <strong>von</strong> Tony Sly geben wird.<br />
Mit „Maybe I am no good at this“ liegt er schließlich ja<br />
auch vollkommen daneben. (9) Zoli Pinter<br />
STORY OF THE YEAR<br />
The Constant<br />
CD | Epitah | epitaph.com || STORY OF THE YEAR<br />
waren immer eine dieser Bands, die – ähnlich wie THE<br />
USED oder 30 SECONDS TO MARS – total an mir vorbei<br />
gegangen sind. Zu konstruiert, zu mainstreamig, zu langweilig<br />
klangen die paar Songs, die ich irgendwo gehört<br />
hatte. Stilistisch eben eher Alternative als Emo oder Post-<br />
Hardcore. Und auch das neue Album <strong>von</strong> STORY OF THE<br />
YEAR scheint meine Vorurteile zu bestätigen. Fast übertrieben<br />
hymnisch und perfekt produziert, spielen die<br />
Jungs aus St.Louis rockige Songs im Stile <strong>von</strong> Bands die ich<br />
aus gutem Grund nicht kenne. Gut machen sie das natürlich<br />
trotzdem, keine Frage. Nur halt nicht für mich. (6)<br />
David Schumann<br />
SMOKING HUT ON STONES<br />
Rope Around You<br />
CD | myspace.com/smokinghutonstones | 34:12<br />
|| Rock, baby, rock. SMOKING HUT ON STONES kommen<br />
aus Rostock und spielen heftigen (Stoner-)Rock,<br />
der die musikalische Nähe zu den Nachbarn <strong>von</strong> COO-<br />
GANS BLUFF und TRICKY LOBSTERS gar nicht verbergen<br />
will. Neue Rostocker Schule, würde ich mal sagen. Wie<br />
eine schwere Dampfwalze kommen die zehn Songs der CD<br />
rEvIEws<br />
auf dich zu und versuchen alles niederzuwalzen, was sich<br />
ihnen in den Weg stellt. Leider sind die Songs alle in demselben<br />
– einheitlich niedrigen – Tempo gespielt, so dass sie<br />
dich nicht wirklich erwischen können. Schade, denn der<br />
Sound dieses Debüts ist wirklich heftig und auch das Songwriting<br />
der jungen Norddeutschen ist schon recht überzeugend.<br />
Nur etwas mehr Abwechslung wäre schön gewesen,<br />
denn auf ganzer Länge wirken die Songs der CD doch<br />
etwas ermüdend. (6) Christoph Lampert<br />
SCARY MANSION<br />
Make Me Cry<br />
CD | Talitres | talitres.com | 32:29 || Die New Yorker<br />
Sängerin Leah Hayes, ehemals aus dem Antifolk-Singer/Songwriter-Umfeld<br />
und die zuletzt auch mit TV ON<br />
THE RADIO zusammenarbeitete, hat sich zwei Mitstreiter<br />
mit ins Boot geholt und macht jetzt großartigen und trashigen<br />
Electro No Wave, der wie THE KILLS auf Speed klingt<br />
(oder THE KILLS mit CHICKS ON SPEED). Mitunter wirkt<br />
Hayes wie eine Kopie <strong>von</strong> Alison Mosshart (der sie auch<br />
ähnlich sieht) mit kaputten SUICIDE-Sequenzern. Falls<br />
Mosshart als medial inszenierte Stilikone auf dem internationalen<br />
Catwalk mal schlapp machen sollte (und mal<br />
nicht für Ray-Ban-Brillen wirbt), kann Miss Hayes diesen<br />
Job ohne Zweifel übernehmen. Die Stimmungsfacetten<br />
<strong>von</strong> SCARY MANSION reichen <strong>von</strong> fast fragilen (dann<br />
klingt Hayes wie CAT POWER oder BAT FOR LASHES) bis<br />
hin zu explosiven Parts, in denen sie sich vermutlich live<br />
auf die Bretter wirft. Sie spielt selbst Gitarre, Klavier und<br />
den „Thunderstick“, ein traditionelles Instrument aus den<br />
Appalachen, das man sich als eine Art Banjo mit lediglich<br />
drei Saiten vorstellen muss. Zudem ist sie noch Illustratorin<br />
und gestaltet beispielsweise das Artwork für ein Ryan<br />
Adams-Album und ihre Arbeiten finde sich ebenso im The<br />
New Yorker und der New York Times. SCARY MANSION:<br />
das volle Paket Lifestyle aus der dunklen Ecke des Melting<br />
Pot. (8) Markus Kolodziej<br />
THE SAVANTS<br />
Mosquito Sunrise<br />
CD | Hulk Räckorz | punkrock.de | 35:35 || Das<br />
Info des Tübinger Quartetts liest sich wie folgt: 2 kg Punkrock,<br />
800 g Ska, ein Quentchen Pop, ein Viertel Liter Folk,<br />
eine Prise Klassik und 4 cl Metal. Leider trifft das Sprichwort<br />
„Zu viele Köche verderben den Brei“ manchmal zu.<br />
Die Punkrock-Songs, die mehr als Dreiviertel der Scheibe<br />
ausmachen, zimmern ordentlich rein. Guter, alter Punkrock<br />
im WIZO-Stil, auf deren Label dieses Album erscheint<br />
– jedoch wird hier (mit zwei Ausnahmen) auf Englisch<br />
gesungen. Manche Ska-Einlagen gefallen auf Anhieb,<br />
jedoch versuchen die vier Jungs bei manchen Songs auch<br />
noch die anderen oben genannten Musikgenres in die<br />
Songs einzuarbeiten, was leider ein wenig aufgesetzt wirkt.<br />
Aber da gibt’s ja noch die Songtexte, die dann wieder einiges<br />
wettmachen, da man hier echt auf seine Kosten kommt.<br />
Trotzdem: Jungs, bleibt beim Punkrock, der mir echt gut<br />
gefällt. (8) Peter Nitsche<br />
SPANKIES<br />
End Of Transmissions?<br />
MCD | Strictly Commerical | strictly-commercial.<br />
de | 20:05 || Mit „End Of Transmissions?“ legen SPAN-<br />
KIES aus Italien ihre Debüt-EP vor. Irgendwie klingen die<br />
darauf enthaltenen fünf Songs so, als habe man sie schon<br />
mal irgendwo gehört. Man könnte fast glauben, die SATA-<br />
NIC SURFERS, STRUNG OUT und ANTI-FLAG haben hier<br />
Pate gestanden, während die jungen MILLENCOLIN bei<br />
den Texten behilflich waren. Aber gleichzeitig haben die<br />
OX-FANZINE 105
EvIEws<br />
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Nummern durchaus auch etwas für sich.<br />
Egal, ob aus Kalifornien, Schweden, Italien<br />
oder Japan, Melodycore klingt nun einmal<br />
irgendwie ziemlich ähnlich. Das muss aber<br />
nicht nur negativ sein. Man weiß schließlich,<br />
was man zu hören bekommt, und die<br />
SPANKIES machen ihre Sache soweit ganz<br />
gut. Würde gerne mal ein ganzes Album<br />
<strong>von</strong> ihnen hören. Vielleicht sollten sich die<br />
Jungs das mit der Cheerleader-Unterwäsche<br />
als Bandnamen aber vorher doch noch<br />
einmal durch den Kopf gehen lassen. (6)<br />
Zoli Pinter<br />
STILETTOS<br />
Fuck It Rock It<br />
LP/CD | Tocado | tocado.com | 27:05<br />
|| Die STILETTOS aus den Niederlanden<br />
sind ja mittlerweile auch eine dieser Veteranenbands.<br />
Seit Jahren am Start, zählten<br />
sie dank immer wieder guter Platten<br />
und vor allen Dingen geiler Live-Shows<br />
zur Speerspitze der basslosen Garagencombos<br />
in Europa. Auf dem neuen Album<br />
machen sie zwar grundsätzlich auch nicht<br />
viel falsch, aber so richtig zünden will es<br />
bei mir leider nicht. Zwar redet das Infoblatt<br />
noch fleißig <strong>von</strong> „Garagetrash“, aber<br />
irgendwie sind mir die STILETTOS zu glatt<br />
geworden. Ich werde das Gefühl nicht los,<br />
dass sie sich bei einer breiteren Hörerschaft<br />
etablieren wollen. Da ist natürlich klar, dass<br />
man alte Fans etwas vergrault. Zwar läuft<br />
das Album insgesamt gut rein und bietet<br />
ein paar Ohrwürmer, aber ich hätte es mir<br />
an einigen Stellen weitaus kompromissloser<br />
gewünscht. Saxophon(!)- und Schweinerock-Soli<br />
in allen Ehren, aber in diesem<br />
Kontext kann ich da wenig mit anfangen.<br />
Dieses Album ist nicht wirklich schlecht,<br />
aber auch nichts Besonderes. Die 13 Songs<br />
wirken mir irgendwie aneinander gereiht<br />
und ein bisschen zu farblos und zwischen<br />
den Stühlen. Da sehe ich mir die STILET-<br />
TOS lieber wieder live an, wenn sie demnächst<br />
hoffentlich mal wieder auf Tour<br />
sind. (6) Bernd Fischer<br />
SEX JAMS<br />
Post Teenage Shine<br />
LP | Noise Appeal | noiseappeal.com<br />
|| Nach Veröffentlichung zweier 7“s, beide<br />
auf Fettkakao, die zweite in Kooperation<br />
mit Noise Appeal, erscheint nun auf zweiterem<br />
Label diese 10-Track-12“ der 2008<br />
gegründeten Band. Der Labelname ist Programm,<br />
die vier Wienerinnen krachen sich<br />
in feinster Noiserock-Manier durch ihre<br />
Songs, lassen Spielraum für schön dreckigen<br />
Rock’n’Roll. Frontfrau Katharina<br />
Trenk legt ihre facettenreichen Vocals über<br />
noisige Indierock-Gitarren, singt melodisch,<br />
flüstert, spricht, lässt sich gerne auch<br />
zu hemmungslosem Geschrei hinreißen,<br />
mal verzweifelt, mal fordernd. Doch auch<br />
wenn „Post Teenage Shine“ auf jeden Fall<br />
Klasse hat, so hörenswert wie mitreißend<br />
ist und es immer wieder eingängige Passagen<br />
beziehungsweise Momente gibt, in<br />
denen SEX JAMS – benannt nach einem<br />
nicht minder noiseverliebten MILEMAR-<br />
KER-Song – sich bewusst zurücknehmen,<br />
würde ich mich an manchen Stellen<br />
durchaus über ein paar melodischere, harmonischere<br />
Gitarren freuen. (7) H.C. Roth<br />
DIE STERNE<br />
24/7<br />
CD | Materie | materierecords.de |<br />
60:18 || Doch, es ist gewöhnungsbedürftig<br />
das neue STERNE-Album. Drei Jahre<br />
und Keyboarder Richard <strong>von</strong> der Schulenburg<br />
(am Songwriting teilweise noch<br />
beteiligt) hinter sich lassend, haben sich die<br />
Hamburger vom rauhen Sound des letzten<br />
Albums ab- und der Disko zugewandt. Die<br />
Auszeit dazwischen braucht es auch, um<br />
einen Song wie „Life in Quiz“ (auf meiner<br />
Promo-CD Track Nr. 2, auf dem Kaufalbum<br />
der, wie ich finde, gewagte Opener)<br />
verdauen zu können, einen lupenreinen<br />
Dance-Song, der alleine anhand <strong>von</strong><br />
Frank Spilkers markanter Stimme erahnen<br />
lässt, wer die dafür verantwortliche<br />
Band ist. Aber bei aller anfänglicher Skepsis:<br />
DIE STERNE dürfen so etwas! Klar, mit<br />
House und dergleichen kann man mich<br />
jagen, aber hier passt das, fügt sich in den<br />
bandtypischen Sound, ergänzt diesen.<br />
Bald lassen sich die Songs verinnerlichen,<br />
hat man sie im Kopf, da kann Produzent<br />
Mathias Modica soviel Elektronik reinprogrammieren,<br />
wie ihm Spaß macht. „Deine<br />
Pläne“ hat Ohrwurmqualität, „Depressionen<br />
aus der Hölle“ das Zeug zum Klassiker,<br />
während „Wie ein Schwein“ entspannt<br />
dahingroovet als hätte es „Räuber<br />
und Gedärm“ nie gegeben. Auch das wunderbare<br />
Akustikgitarrenstück „Ein Glück“<br />
findet neben hämmernden Beats seinen<br />
Platz, wenngleich es wie das siebenminütige<br />
„Himmel“ auf der Ladenversion zum<br />
Bonustrack der Limited Edition degradiert<br />
wurde. (9) H.C. Roth<br />
SHELLYCOAT<br />
Tales From The Swamp<br />
CD | shellycoat.de || Eine optisch wirklich<br />
ansprechende CD haben die Hamburger<br />
SHELLYCOAT da veröffentlicht. Und<br />
auch musikalisch bewegt man sich in sieben<br />
Songs stilsicher zwischen den Polen<br />
RISE AGAINST, MY CHEMICAL ROMANCE<br />
und punkigeren BILLY TALENT, wobei vor<br />
allem der für deutsche Verhältnisse überdurchschnittlich<br />
gute Gesang und die streckenweisen<br />
Ausflüge in klassischere Punk<br />
und Hardcore Gefilde positiv auffallen. (7)<br />
David Schumann<br />
SCARLET UTOPIA<br />
Adventures Under Black Light<br />
LP/CD | Nasoni | nasoni-records.com<br />
| 39:44/45:00 || SCARLET UTOPIA sind<br />
aus der Kölner Formation SILVERHEAT<br />
hervorgegangen. Scarlet Rose (Gesang) und<br />
Jean d’Auberlaque (Gitarre) haben zusammen<br />
mit Steven James Tefkey (Bass) und<br />
Peter Sherman am Schlagzeug das neue<br />
Projekt mit musikalischem Schwerpunkt<br />
auf einer Mischung aus Rock, Psychedelic und Gesang,<br />
der manchmal an JEFFERSON AIRPLANE erinnert, an<br />
den Start gebracht. Dazu noch ein wenig Elektronik und<br />
schon ist ein traumwandlerisch gutes Album mit interstellarem<br />
Spacerock und psychedelischen Soundscapes fertig.<br />
Mit diesem Debüt haben sich SCARLET UTOPIA in der<br />
ersten Reihe aufgestellt. Dichter, intensiver Gesang, coole<br />
Gitarren und ein psychedelischer Rock-Sound erwarten<br />
den geneigten Hörer. Hörtip ist „Black sun“. Die Vinylversion<br />
erscheint in einer Auflage <strong>von</strong> 500 Exemplaren, 100<br />
auf farbigem Vinyl. Aber wahrscheinlich ist eh nur noch<br />
die CD erhältlich – auf der übrigens im Unterschied zum<br />
Vinyl noch der Bonustitel „Supernovae“ (5:16) enthalten<br />
ist. Top! (9) <strong>Thomas</strong> <strong>Neumann</strong><br />
SHIT AND SHINE<br />
229-2299 Girls Against Shit!<br />
CD | Riot Season/Cargo | riotseason.com | 79:20 ||<br />
Wem es bei TODD an Noise und Irrsinn mangelt, der hat<br />
zwar was an den Ohren oder am Hirn, für den hat deren<br />
Boss Craig Clouse aber<br />
noch SHIT AND SHINE.<br />
Auf deren keine Ahnung<br />
wievielter Platte fährt<br />
Clouse auf 17 zwischen<br />
knapp zwei und<br />
über zehn Minuten langen<br />
„Songs“ wieder mal<br />
alles auf, was er im Studio<br />
zum Krach machen<br />
in Gang setzen konnte.<br />
Wie viel da<strong>von</strong> er selbst<br />
gemacht hat oder wie<br />
viel Hilfe er dabei <strong>von</strong><br />
wie viel Schlagzeugern gleichzeitig hatte, weiß ich auch<br />
nicht. Eventuell hat er auch bloß diverse Platten aus seiner<br />
Sammlung gleichzeitig durch einen Verzerrer gejagt und<br />
das aufgenommen, dabei Wert darauf legend, dass die auch<br />
bloß aus verschiedenen Genres stammen. Aber wo steht<br />
denn auch geschrieben, dass Noise und Drum’n’Bass, Metal<br />
und Ambient, Punk und Doom sich ausschließen? Auf<br />
meinem Eigentlich-unanhörbar-Meter, dessen Marken ich<br />
daran ablesen kann, wann meine Frau genervt das Zimmer<br />
verlässt, liegt „229-2299 Girls Against Shit!“ jedenfalls weit<br />
oben, respektive unten. Ein brillanter Mann, dieser Clouse,<br />
gerade als SHIT AND SHINE. (8) André Bohnensack<br />
SHINING<br />
Black Jazz<br />
CD | Indie | indierec.no | 57:14 || Eines der verstörendsten<br />
Stücke Musik, die ich je besaß – das Tape ging<br />
kaputt – war eine ewig lange Live-Aufnahme <strong>von</strong> KING<br />
CRIMSONs „21st century schizoid man“; ein Song, der<br />
bekanntlich schon in seiner Studioversion <strong>von</strong> 1969<br />
eine nicht zu fassende Intensität besitzt. Dass die Norweger<br />
SHINING (nicht verwechseln mit der gleichnamigen<br />
schwedischen Black-Metal-Band) ihr fünftes Album<br />
mit diesem Song enden lassen, zeugt <strong>von</strong> Geschmack, stellt<br />
sie aber gleichzeitig bloß. Im Vergleich mit diesem vierzig<br />
Jahre alten Monstrum steht das eigene Songmaterial nämlich<br />
ziemlich schwachbrüstig da. Beeindruckend mögen<br />
SHINING sein, wenn es um Technik und Fingerfertigkeit<br />
geht, auch das Spielen <strong>von</strong> Metal in komplexen und genreuntypischen<br />
Strukturen verdient sicher ein wohlwollendes<br />
Kopfnicken, aber wenn das Ganze unterm Strich<br />
so konstruiert klingt wie das Blendwerk <strong>von</strong> einer Kaspertruppe<br />
wie SYSTEM OF A DOWN, dann fehlt vor allem<br />
eines: Gefühl. Gefühl dafür, seine Musik leben zu lassen.<br />
Auch „Black Jazz“ lässt mich dem überbewerteten Phänomen<br />
SHINING gegenüber kalt. (5) André Bohnensack<br />
STAR FUCKING HIPSTERS<br />
Never Rest In Peace<br />
LP | Alternative Tentacles/Cargo | alternativetentacles.com<br />
|| Las ich über das Debütalbum des CHO-<br />
KING VICTIM-„Nachfolgers“ <strong>von</strong> dreckigem Ska-Punk,<br />
freute ich mich auf den Nachfolger mit Unterstützung<br />
<strong>von</strong> Leuten der einschlägigen Bands BOUNCING SOULS<br />
und CITIZEN FISH. In die Ska-Punk-Kerbe wird leider<br />
sehr selten geschlagen und die Chaos-Attacken à la CHO-<br />
KING VICTIM gibt es gar nicht. Sonst wechselt das Ganze<br />
musikalisch zwischen melodischem Singalong-Punkrock,<br />
Alternative-Rock und metallischem Hardcore. Irgendwie<br />
hat das alles enormes Hitpotenzial, höre ich subtil BLINK-<br />
182, MIGHTY MIGHTY BOSSTONES, RANCID oder<br />
SUGAR raus. Mehr noch habe ich das Gefühl, dass diese<br />
Bands aus den hier vorhandenen Arrangements, auf verschiedenen<br />
Veröffentlichungen allerdings, dem „Rohmaterial“<br />
das i-Tüpfelchen verpasst hätten. (7) Simon Brunner<br />
SONS OF BILL<br />
One Town Away<br />
CD | Blue Rose | bluerose-records.de | 52:13 ||<br />
Es gibt Alben, bei denen man die Lieder nicht auseinander<br />
halten kann, weil sie alle gleich klingen – und es gibt<br />
die seltenen Alben wie „One Town Away“, deren Lieder<br />
man nicht auseinander halten kann, weil sie alle fantastisch<br />
sind. Ein Album voller Anti-Helden als Protagonisten,<br />
sei es Joey, der in „Joey’s arm“ mit der romantisierten Südstaatenwelt<br />
um sich herum nicht viel anfangen kann („The<br />
South ain’t gonna rise again / But we’re holding out for<br />
Jesus / Or so they say on AM radio“) oder der verlassene<br />
Namenlose in „Broken bottles“, der sich in den Alkohol<br />
flüchtet („Hank Williams might be a love sick drinker /<br />
But being a love-sick drunk don’t make you Hank.“). Oder<br />
aber Frank und Johnny in „Never saw it coming“, die „after<br />
sixteen years of getting kicked and laughed at at the gym“<br />
eines Tages in der Schule ein Massaker anrichten – mit der<br />
Moral, dass „you could have been the one who took the<br />
bullet, could have been the one that held the gun.“ Musikalisch<br />
bewegen sich SONS OF BILL sicher zwischen Country<br />
und Folk und vereinen auf „One Town Away“ das Beste aus<br />
beiden Musikrichtungen. Diese Platte ist ein weiteres Beispiel<br />
dafür, wie weit weg vom billigen Hochglanzpatriotismus<br />
sich diese ursprünglichste US-amerikanischen Musik<br />
bewegen kann, und sie ist schon jetzt in der engeren Auswahl<br />
zu meinen Alben des Jahres. (10) Myron Tsakas<br />
SERENA-MANEESH<br />
2: Abyss In B-Minor<br />
CD | 4AD | 4ad.com | 60:34 || Der Titel deutet es an:<br />
Es ist Album Nr. 2 der norwegischen Band, deren Debüt in<br />
ihrer Heimat schon 2005 erschien und erst ein Jahr später<br />
international veröffentlicht wurde. Und auch diesmal<br />
gibt es eine gewisse Verzögerung, datieren die Aufnahmen<br />
bereits auf das Jahr 2008. Und wenn man etwas<br />
genauer nachforscht, findet man erstaunliche Dinge heraus:<br />
Kopf der Band aus Oslo ist Emile Nikolaisen, und der<br />
war einst Kopf einer Band namens ROYAL, die 1999 auf<br />
dem ekelhaften Christenlabel Tooth & Nail veröffentlichte<br />
und eher grungigen Pop-Rock spielte. Jahre später taucht<br />
der Name Emile Nikolaisen wieder auf – als Schlagzeuger<br />
der Glam-Punk-Band SILVER, die ebenfalls einen dubios<br />
christlichen Hintergrund hat(te), und überdies war Emil<br />
Mitte der Neunziger noch in der Metal-Band EXTOL, die<br />
sich offen als Christenband präsentierte. Und nun also<br />
SERENA-MANEESH, deren Mastermind Emil ist. Ja, 4AD ist<br />
ein respektables Label, ja, „Abyss In B-Minor“ ist ein angenehmes,<br />
ätherisches Space-Pop-Album mit Anleihen <strong>von</strong><br />
SONIC YOUTH bis zu MY BLOODY VALENTINE und SPI-<br />
RITUALIZED, doch mit christlichen Bands will ich mich<br />
nicht weiter abgeben, egal wie offen oder versteckt dieser<br />
Aspekt eine Rolle spielt. Joachim Hiller<br />
SEED OF PAIN<br />
Blindfolded & Doomed<br />
CD | Cobra X | myspace.com/cobraxrecords | 60:14<br />
|| Die Intensität, mit der die Schweizer SEED OF PAIN<br />
in ihr Debütalbum einsteigen, lässt mich an „Lektionen<br />
In Demut“ <strong>von</strong> <strong>Thomas</strong><br />
Ds REFLEKTOR-<br />
FALKE denken. Mit im<br />
positiven Sinne schauerlich<br />
intensiver Stimme<br />
wird das Gedicht „Nur<br />
zwei Dinge“ <strong>von</strong> Gottfried<br />
Benn vorgetragen,<br />
untermalt <strong>von</strong> flirrenden<br />
Melodien, die<br />
zu guter Letzt brachial<br />
in den nächsten Track<br />
„Blind masses“ überleiten,<br />
wodurch man schon<br />
mal unter Beweis gestellt hat, dass man sich durchaus zu<br />
präsentieren versteht. Was folgt, ist gewaltig psychotischer<br />
Noisecore, wie ich ihn in jungen Jahren <strong>von</strong> Bands wie<br />
AZURE, DEGARNE und/oder PROFAN kennen und lieben<br />
gelernt habe. Was „Blindfolded & Doomed“ jedoch<br />
noch einen ganzen Schwung interessanter und spannender<br />
gestaltet, ist die Vorliebe <strong>von</strong> SEED OF PAIN für New-<br />
Wave-Elemente, welche die Band immer wieder in ihre<br />
Songs einbaut. Dass man sich allein dadurch vom Gros<br />
ähnlich gearteter Bands abzuheben weiß, ist ein weiterer<br />
positiver Effekt, den man sich hier geschickt zunutze<br />
macht. Die CD-Version enthält zudem drei Bonustracks,<br />
<strong>von</strong> denen insbesondere die beiden Remixe des Songs<br />
„Doomed“ zu gefallen wissen. (8) Jens Kirsch<br />
SONIC SURF CITY / FAST FOOD<br />
Lights Out<br />
MCD | Rumble | myspace.com/rumblerecordsspain<br />
| 13:59 || Bereits im letzten Spätsommer erschien die<br />
<strong>von</strong> mir lang ersehnte Comeback-CD der schwedischen<br />
Surfpunk-Heroen SONIC SURF CITY, und kurz nach Neujahr<br />
lag sie dann auch endlich bei mir im Briefkasten. Nur<br />
so als kurzes Briefing für die zu spät Geborenen: SONIC<br />
SURF CITY, 1988 in Norrköping gegründet und ursprünglich<br />
bis 1997 existierend, kann man wohl ohne zu lügen zu<br />
den am bestgehüteten Geheimnissen, wie auch den meistunterschätzten<br />
Bands des Neunziger-Jahre-Pop-Punks<br />
zählen, wobei das vielleicht aber auch nur auf unsere Breitengrade<br />
wirklich zutrifft, vermochten es die Burschen<br />
doch immerhin, sich im fernen Japan sowie im sonnigen<br />
Spanien einen gewissen Kultstatus zu erspielen. Demzufolge<br />
nicht verwunderlich, dass schließlich einem madrilenischen<br />
Label die Ehre zuteil wurde, die ersten Lebenszeichen<br />
der vier Schweden nach geschlagenen zwölf Jahren<br />
zu veröffentlichen. Und schon ab den ersten Akkorden<br />
des Openers „Vote for summer!“ glaubt man doch<br />
glatt, die Zeit sei stehen geblieben: Eine schlagartig sich in<br />
die Großhirnrinde fräsende Bubblegum-Hymne exquisitester<br />
Manier, die es mühelos schafft die besten Ingredienzien<br />
<strong>von</strong> BARRACUDAS, JAN & DEAN sowie RAMONES<br />
zu einem äußerst schmackhaften Sahnetörtchen zu verbacken.<br />
Der Gitarrensound ist dabei lobenswerter Weise<br />
alles andere als weichgespült und der prägnante, nasale<br />
Gesangsstil <strong>von</strong> Woodie Hermanson hat gleichfalls nichts<br />
<strong>von</strong> seinem knödeligen Charme eingebüßt. Auch das etwas<br />
melancholischere „TV Pop“ sowie die sehr hübsche Ballade<br />
„Spanish sand fleas“ wissen zu begeistern, und so fiebere<br />
bereits jetzt schon mit großer Erregung dem für diesen<br />
Sommer angekündigten Album entgegen. Fein abgerundet<br />
wird die Mini-CD schließlich noch mit vier Stücken<br />
<strong>von</strong> den aus Madrid stammenden FAST FOOD. Diese<br />
drei „latino kids in leather jackets“ können aufgrund<br />
ihres mittlerweile nun auch schon 16-jährigen Bestehens<br />
ebenso getrost einen Veteranenstatus für sich reklamieren<br />
und überzeugen ihrerseits mit einem absolut abgezockten<br />
Neunziger-Jahre Pop-Punk-Sound, bei dem sich die Vergleiche<br />
zu alten No Tomorrow-Bands wie beispielsweise<br />
SHOCK TREATMENT und DEPRESSING CLAIM nicht nur<br />
aufgrund der spanischen Texte aufdrängen ... Als Rausschmeißer<br />
bekommt man dann noch eine hispanisierte<br />
Coverversion <strong>von</strong> „Make up your mind“ der PARASITES<br />
serviert und es bleibt nur zu sagen: Muy bien, jättebra, und<br />
bitte möglichst bald mehr da<strong>von</strong>. (8) Ben Bauböck<br />
SO MANY DYNAMOS<br />
The Loud Wars<br />
CD | Vagrant | vagrant.com || „The right brain wants<br />
the beat played much louder than the left.“ Ganz einfach:<br />
Sie klingen wie eine Mischung aus FOALS, LATE OF THE<br />
PIER sowie PHOENIX und haben eine Menge Hits am Start.<br />
„The Loud Wars“ klingt verdammt gut. Da hat jemand ein<br />
Händchen für zappelige Pop-Songs. Dass dieser Jemand<br />
kein anderer als DEATH CAB FOR CUTIE Gitarrist und<br />
Produzent Chris Walla ist, rundet dieses Album ab. Wenn<br />
die Leute beim Radio ein Herz und ein wenig Gespür für<br />
gute Musik hätten, liefe bald nicht nur „Keep it simple“<br />
rauf und runter. SO MANY DYNAMOS spielen mit dem<br />
Hörer und lassen Parts <strong>von</strong> Songs an anderen Stellen auf<br />
dem Album rückwärts gespielt wieder auftauchen. „The<br />
Loud Wars“ hat das Potenzial, ein Szeneliebling zu werden.<br />
Die richtigen Songs haben sie im Gepäck und auch die<br />
Attitüde stimmt: Irgendwo zwischen Pop und „uns doch<br />
egal“. Mit Hedonismus hat das nur bedingt zu tun. Dafür<br />
eher mit Kunst. „Bodies get what bodies want and bodies<br />
don’t forget.“ (8) Sebastian Wahle<br />
SEVENTYNINERS<br />
Bad Taste Of Life<br />
CD | Part | part-records.de | 35:18 || Rockabilly<br />
erfreut sich weiter uneingeschränkter Beliebtheit und<br />
das ist nicht zuletzt den Walldorfer Labelspezialisten <strong>von</strong><br />
Part Records zu verdanken. Die Verantwortlichen beweisen<br />
wirklich immer wieder ein Händchen für neue Bands<br />
in Sachen Rockabilly, Psychobilly oder Country – so auch<br />
bei den SEVENTYNINERS. „Bad Taste Of Life“ ist bereits das<br />
dritte Album des Trios und das erklärt deutlich warum die<br />
Herren schon <strong>von</strong> für namhafte Acts wie Slim Jim Phantom<br />
oder Bill Haleys COMETS eröffnen durften. Musikalisch<br />
versiert und sauber produziert geht „Bad Taste<br />
Of Life“ ab wie Brian Setzers Katze zu STRAY CATS-Zeiten<br />
und bedient mühelos alle Rockabilly-Facetten, denen<br />
immer ein leichter Psychobilly und Punkunterton zu entnehmen<br />
sind. Rockabilly ist eben mehr als Musik, sondern<br />
eine Herzensangelegenheit, und das hört man hier vom<br />
ersten bis zum letzten Song. Also Augen und Ohren auf,<br />
wenn die SEVENTYNINERS im Lande unterwegs sind. (8)<br />
Carsten Hanke<br />
SATAN TAKES A HOLIDAY<br />
s/t<br />
CD | I Made This | imadethis.se | 33:54 || Wenn<br />
eine Coverversion überhaupt nicht geht, dann ist das „Big<br />
in Japan“, jener andere Song neben „Forever young“, der<br />
ALPHAVILLE Anfang der Achtziger zu Stars machte. Das<br />
GOLDENE ZITRONEN-Cover „Für immer Punk“ war ja<br />
einst lustig, aber entschuldbar ist diese seltsam überdrehte<br />
Rockversion nur mit der Herkunft (Stockholm) und dem
Alter (irgendwo in den Zwanzigern, schätze ich) der Band.<br />
Und es gibt noch mehr Coversongs: Link Wrays „Rumble“<br />
muss dran glauben, ebenso die Johnny Kidd-Nummer<br />
„Shakin’ all over“, die sich hier nach „Rocky Horror<br />
Picture Show“ anhört. Aber es gibt auch noch andere,<br />
eigene Nummern, und mit denen beweisen STAH mehr<br />
Geschmack: THE CRAMPS treffen hier auf JON SPENCER<br />
BLUES EXPLOSION, mit einem Sänger, der sich ähnlich<br />
aufplustert wie Danko Jones. Wer eine coole Garage-Band<br />
erwartet, ist hier falsch: Das ist krawalliger Action-Rock für<br />
ein Publikum, das nach zu viel Kinderpisse (aka Red Bull-<br />
Wodka) auf Ärger aus ist, und ich bin mir nicht sicher, ob<br />
ich daran ernsthaft Spaß habe. Vielleicht erlaubt sich hier<br />
auch nur jemand einen großen Spaß, ist die Band einfach<br />
in Jackass-Manier auf Action aus, aber wer weiß das schon.<br />
Zumindest gibt die Band selbst das Motto aus „Not here to<br />
join the party, here to pick a fight“. (Wetten, dass dieser Satz<br />
in jeder Rezension zitiert wird?) (6) Joachim Hiller<br />
THE STAGS<br />
Do The Ton<br />
LP | Soundflat | soundflat-records.de || Eine Sängerin<br />
mit unter anderem französischen Texten, Orgel, 60s<br />
Beat. Passt also perfekt ins Soundflat-Programm mit CECI-<br />
LIA & DEN SAUERKRAUTS oder CURLEE WURLEE. Leider<br />
bin, war und werde ich nie ein Fan <strong>von</strong> Instrumentals<br />
sein, und da diese hier etwas zu oft vorkommen, kann<br />
die Platte nicht so ganz bei mir punkten. Es entsteht eher<br />
der Eindruck, als ob hier nur möglichst schnell die Platte<br />
voll gemacht werden sollte. Dafür sprechen auch die<br />
fünf Coverversionen. Zieht man die und die Instrumentals<br />
ab, hätte man also auch eine schöne EP daraus machen<br />
können. Nichtsdestotrotz, die Originalversionen kennt<br />
sowieso kaum jemand (ich auch nicht) und wer sonst auf<br />
das Soundflat Programm steht, kann bedenkenlos zugreifen.<br />
Für Liebhaber gibts auch noch eine auf 200 Stück<br />
limitierte Auflage mit Yps-mäßigem Gimmick, nämlich<br />
einem bedrucktem Halstuch. (6) Finn Quedens<br />
THE SOVEREIGNS<br />
Pick It Up<br />
CD | thesovereigns.de | 19:45 || Die siebenköpfige<br />
Band aus Hamburg beschreibt ihre Musik als „PolitReggaeHardcorePopSkaPunk“<br />
– oder eben einfacher als Ska-<br />
Punk. Als ich „Hardcore“ gelesen hatte, dachte ich die<br />
Sache wäre geritzt und ich würde vielleicht einen würdigen<br />
Nachfolger <strong>von</strong> CHOKING VICTIM in den Händen<br />
halten. Leider (oder auch vielleicht besser so?) handelt<br />
es sich hier eher um schnellen Ska gepaart mit ein<br />
wenig Reggae und einer Prise Punk. Das soll die Qualität<br />
des Albums aber nicht schmälern, und SUBLIME haben<br />
gezeigt, wie populär man mit dieser Musik werden kann.<br />
In den Songtexten werden sowohl der Alltag und das Leben<br />
an sich, aber auch Rebellion und der Drang nach Gerechtigkeit<br />
behandelt. Großes Plus für das Album: Man kann es<br />
kostenlos im Internet runterladen und wer mag, kann die<br />
Band mit dem Kauf der gepressten Version auf einem Konzert<br />
unterstützen. (7) Peter Nitsche<br />
SPOON<br />
Transference<br />
CD | Anti- | anti.com | 56:11 || Erst kürzlich war<br />
SPOON-Kopf Britt Daniel in seiner Funktion als Produzent<br />
des aktuellen WHITE RABBITS-Albums „It’s Frightening“<br />
nicht ganz unschuldig daran, dass die Band aus Brooklyn<br />
dadurch in der Vorhölle schicker Indierock-Belanglosigkeit<br />
landeten. Jetzt legt er konsequenterweise ein neues<br />
SPOON-Album nach, das wirklich fantastisch klingt, aber<br />
bei dem Daniel blöderweise vergessen hat, auch ein paar<br />
vernünftige Songs zu schreiben. Ein etwas sinnentleerter,<br />
streberhafter Exkurs im Arrangieren modernisierter Vintage-Sounds<br />
– Motown-Einflüsse der 60er Jahre hatte ja<br />
bereits auf dem großartigen 2007er-Album „Ga Ga Ga Ga<br />
Ga“ eine große Rolle gespielt – und manierierter Instrumentierungs-Exzesse.<br />
Eine Sammlung <strong>von</strong> Songs, die tendenziell<br />
sogar richtig sexy sind und auch dEUS- und FLA-<br />
MING LIPS-Fans erfreuen dürften, dabei aber selten über<br />
das Level unfertiger, überlanger Demos hinauskommen.<br />
Man kann sich „Transference“ deshalb wirklich wunderbar<br />
immer und wieder anhören, kaum eine Platte in diesem<br />
Jahr wird produktionstechnisch auch nur ansatzweise<br />
einen besseren Sound haben, aber wäre da nicht Daniels<br />
markanter Gesang, wüsste ich jetzt schon nicht mehr, wie<br />
der vorherige Song geklungen hat, was dann doch etwas zu<br />
dürftig ist, oder einfach gerade too sophisticated for me.<br />
(5) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
TTT<br />
TRIDENT<br />
World Destruction<br />
CD | Regain | regainrecords.com | 49:00 || Gipfeltreffen<br />
in Schweden, so oder so ähnlich kann man das<br />
Sammelsurium an namhaften Künstlern unter dem Banner<br />
TRIDENT nennen. Die Hälfte <strong>von</strong> NECROPHOBIC und<br />
kein geringerer als „Johan Norman“ (DISSECTION) haben<br />
sich hier zu kleinem Schwarzmalerzirkel zusammengefunden,<br />
und das fetzt so richtig. Von der ersten Sekunde an<br />
brennt die Luft und sie schmeckt nach Leder, Metall und<br />
Bier. Man könnte es sich leicht machen und oben genannte<br />
Kapellen als Vergleich heranziehen, und das würde auch<br />
prima passen, aber ich würde gern noch ein wenig die<br />
Kopfhörer auflassen. Ich kann mich nicht so recht entscheiden,<br />
wann genau TRIDENT ihre besten Momente<br />
haben: Wenn es Black Thrash-mäßig nach vorne geht oder<br />
wenn die schweren Death Metal-mäßigen Parts so richtig<br />
moshen oder die geniale Gitarrenarbeit an glorreiche<br />
Zeiten im Hause DISSECTION erinnern? Und waren das<br />
gerade MORBID ANGEL zu ihren Anfangstagen? Nein es ist<br />
„nur“ ein Gipfeltreffen in Schweden. (8) Andre Moraweck<br />
TO ROCOCO ROT<br />
Speculation<br />
CD | Domino | dominorecordco.com | 44:59 ||<br />
Als ich das Berlin/Düsseldorfer-Trio TO ROCOCO ROT<br />
Mitte der Neunziger das erste Mal wahrnahm, erschienen<br />
sie einem zum damaligen Zeitpunkt wie die intelligente,<br />
humanoide Alternative zu Techno, auf halbem Weg<br />
steckengeblieben zwischen Post-Rock und Elektronikmusik.<br />
2010 gibt es sie immer noch, und und nach Labels wie<br />
Kitty-Yo und City Slang ist man inzwischen bei Domino<br />
unter Vertrag, wo sie 2004 das etwas schwache Album<br />
„Hotel Morgen“ veröffentlichten. Bei „Speculation“ zeigen<br />
sich auf jeden Fall sofort die schon damals ausgeprägten<br />
Stärken des Trios Schneider/Lippok/Lippok, die sehr<br />
„warme“ Klangteppiche erzeugen können, mit pulsierenden<br />
Basslinien, die zu Beginn fast etwas <strong>von</strong> JOY DIVI-<br />
SION haben und dem überwiegend abstrakten Gemisch<br />
aus Sound und Groove den nötigen Zusammenhalt geben.<br />
Und so ist auch „Speculation“ überwiegend eine etwas diffuse<br />
Angelegenheit, aber TO ROCOCO ROT gelingen zwischendurch<br />
immer wieder sehr einprägsame, regelrecht<br />
melodische Momente, eine Meisterschaft, die etwa CLUS-<br />
TER immer noch am besten beherrschen, wie sie auf ihrem<br />
aktuellen Album noch mal beweisen konnten, und die für<br />
diese Art Sound echte Pionierarbeit geleistet haben. Interessant<br />
ist in diesem Zusammenhang auch, dass „Specu-<br />
lation“ im FAUST-Studio in Scheer aufgenommen wurde<br />
und deren Hans Joachim Irmler beim letzten Stück Orgel<br />
spielt. Womit sich der Kreis schließt beziehungsweise einmal<br />
mehr zum Ausdruck gebracht wird, wie wegweisend<br />
die in den Siebzigern in Deutschland entstandene<br />
Musik immer noch ist. Was aber nicht die Leistung <strong>von</strong><br />
TO ROCOCO ROT schmälern soll, die schon immer eine<br />
Klasse für sich waren und hier wieder eine sehr schöne, in<br />
sich stimmige Platte abgeliefert haben. (8) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
TEN VOLT SHOCK<br />
78 Hours<br />
LP/CD | X Mist | x-mist.de || Letztes Jahr ein neues<br />
Album <strong>von</strong> CRAVING, dieses Jahr also die neue TEN VOLT<br />
SHOCK: Es spritzt fast Blut, so sehr freue ich mich, und<br />
nichts ist falsch, nein es<br />
wurde gar alles richtig<br />
richtig richtig gemacht.<br />
Alles alles. Die Labelcoop<br />
<strong>von</strong> X-Mist, Salon Alter<br />
Hammer, Bakery Outlet<br />
Records und Screaming<br />
Mimi Records bringt also<br />
DAS Noiserock Album<br />
des noch jungen Jahres<br />
heraus. Von melancholischen<br />
Intermezzi und<br />
disharmonischen Läufen<br />
ist die Rede im Info,<br />
sicher richtig, dennoch hier noch ein Anglizismus obendrauf:<br />
Old-fashioned Noiserock. Wie die Helden des Genres<br />
ihn spielen. Nur jünger, frischer, besser gar an vielen<br />
Stellen. In optimalen Sound gewandet und Abseits <strong>von</strong><br />
Schwingungen und Strömungen erdacht und umgesetzt.<br />
Geil, geil, supergeil. Noiserock ist zurück auf der Karte, wie<br />
es scheint. Und ich freue mich sehr darüber. Und höre aus<br />
diesem Grunde was? Richtig! TEN VOLT SHOCK, „People<br />
get settled“. Immer und immer wieder. Bis mir alle glauben.<br />
Riesending! Jörkk Mechenbier<br />
TURBO FRUITS<br />
Echo Kid<br />
CD | Ark | arkrecordings.com | 39:23 || Was machen<br />
eigentlich BE YOUR OWN PET, die 2007 und 2008 zwei<br />
ganz ordentliche Alben veröffentlichten? Gar nichts mehr,<br />
denn 2008 war auch schon wieder Schluss für die Band<br />
aus Nashville. Aber Gitarrist und Mastermind Jonas Stein<br />
hatte mit TURBO FRUITS schnell wieder ein neues Projekt<br />
am Start, das mit „Echo Kid“ auch schon beim zweiten<br />
Longplayer angelangt ist. Der Opener hat eine Melodie, die<br />
schwer nach <strong>von</strong> SPIZZ ENERGIs „Captain Kirk“ geborgt<br />
klingt, auch der Rest ist nicht wirklich innovativ, sondern<br />
einfach stürmischer, rotziger Rock’n’Roll, der sich nicht<br />
traut Punk zu sein, der zum BLACK LIPS-Epigonentum<br />
wegen fehlender Verschrobenheit nicht taugt, für Garage zu<br />
sauber ist – und dennoch Spaß macht. Hat was <strong>von</strong> einem<br />
Pizza-Taxi-Laden, der neben Italofood auch mexikanisches<br />
und chinesisches Essen anbietet. Kann im Einzelfall<br />
auch mal lecker sein, muss aber nicht und kommt immer<br />
auf den Versuch an. (6) Joachim Hiller<br />
THUS:OWLS<br />
Cardiac Malformations<br />
CD | Hoob/Discograph | hoobrecords.com | 54:41<br />
|| Das Debütalbum „Cardiac Malformations“ <strong>von</strong><br />
THUS:OWLS, einer 5-köpfigen schwedischen Band um<br />
die Sängerin Erika Alexandersson, überrascht mich mit<br />
einem Mix aus Jazz, Experimentalelektronik und den Mög-<br />
rEvIEws<br />
lichkeiten einer gewaltigen Stimme zwischen SIOUXSIE,<br />
Björk und Suzanne Vega. Die Musiker sind, teilweise weltweit,<br />
in diversen anderen Projekten und Bands aktiv, und<br />
THUS:OWLS wurde als Freundschaftsprojekt gegründet.<br />
Die elf Titel schwanken zwischen der Schwermut einer<br />
nordisch interpretierten New Orleans Begräbnismusik,<br />
jazzigen New Wave, Darkpop sowie unter die Haut gehenden<br />
Balladen. Facettenreicher und besser geht es kaum. (8)<br />
Kay Werner<br />
TRUE<br />
Still Life<br />
CD | Geenger | geengerrecords.com | 38:22 || Was<br />
anderes gefällig? Dann ist das Debüt <strong>von</strong> TRUE sicher in die<br />
engere Wahl zu ziehen, mischt dieser Fünfer aus Kroatien<br />
doch Death Metal inklusive Growls mit Oldschool-Grindcore<br />
Marke alte NAPALM DEATH und einer Tambura, was<br />
im Prinzip so etwas ähnliches wie eine Mandoline ist. Aber<br />
es wird nicht nur geshreddert, auch lange atmosphärische<br />
Passagen mit Rhythmusfundament und Tambura als Melodieinstrument<br />
werden integriert und führen zum Teil zu<br />
Songlängen <strong>von</strong> über acht Minuten. Spannende Angelegenheit,<br />
wenn auch die Tambura eigentlich nur die Stellung<br />
der Leadgitarre übernommen hat. Ein Folkloreinstrument<br />
in dieser Musik im Vordergrund ist zwar interessant,<br />
aber auch gewöhnungsbedürftig. (7) Dr. Oliver Fröhlich<br />
TYLA & THE DOGS<br />
Bloody Hell Fire<br />
2CD | King Outlaw/Cargo | myspace.com/tylaandthedogsdamour<br />
|| In den Achtzigern waren die<br />
DOGS D’AMOUR in gewissen Kreisen schon eine große<br />
Nummer, der spätere Nikki Sudden-Sideman Dave Kusworth<br />
schwang dort vor seiner Zeit bei den JACO-<br />
BITES und BOUNTYHUNTERS die Axt. Lange bevor<br />
GUNS N’ ROSES durchstarteten, gaben die Vier die besten<br />
70s-STONES- und FACES-Imitatoren ab, lehnten sich<br />
aber auch stark an den Junkie-Chic eines Johnny Thunders<br />
oder der Glam-Impertinenz der STOOGES-Jünger HANOI<br />
ROCKS an. Tyla, treibende Kraft und personelle Konstante<br />
der DOGS, ist ja ein ziemlich umtriebiger Musiker<br />
und hat schon eine riesige Latte <strong>von</strong> VÖs auf seinen Gürtel<br />
gestickt. Auf der neuen Doppel-CD, komplett im Alleingang<br />
produziert und veröffentlicht, spielt Tyla nun all das,<br />
was er die letzten 30 Jahre immer schon spielte. Sleaze<br />
Rock ist das Zauberwort, gelegentlich mit Country-, Folkoder<br />
Bluestendenzen verfeinert. Bisweilen klingt mir Tylas<br />
Gesang mir zu gequält und auf Whiskey-Timbre gebügelt,<br />
Tom Waits steht manchmal Pate, manchmal allerdings<br />
auch Kermit. Musste es allerdings gleich eine Doppel-CD<br />
sein? Das hat den Vorteil, dass man eine der beiden CDs<br />
guten Gewissens verlegen kann. Denn es klingt doch alles<br />
unheimlich ähnlich und gleichförmig, und ob ich nun elf<br />
oder 22 Mal den gleichen Song im Regal stehen habe, ist<br />
ja doch unerheblich ... Eher langweilig lautet deshalb das<br />
abschließende Urteil. (6) Gereon Helmer<br />
THESE MONSTERS<br />
Call Me Dragon<br />
CD | Brew | brewrecords.net | 38:30 || Durchaus<br />
bemerkenswert, wie die aus Leeds stammenden THESE<br />
MONSTERS den Begriff „progressive“ für sich beanspruchen.<br />
Durch frühere Aktivitäten in der Musikszene längst<br />
keine Unbekannten mehr, legen die beteiligten Protagonisten<br />
hier ihr Debütalbum vor. Mit jenem möchte man<br />
angeblich Bands wie GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR<br />
und MOGWAI zeigen, wie sowas richtig geht – eine Aussage,<br />
die ich mal auf die Unwissenheit des Infozettel-<br />
Schreibers zurückführe, sucht man Ähnlichkeiten zu den<br />
OX-FANZINE 107
EvIEws<br />
genannten Bands doch nahezu vergeblich. Vielmehr handelt<br />
es sich hier um <strong>von</strong> Fuzz-getränkten Gitarren und<br />
einem treibenden Bass vorgetragene Variante <strong>von</strong> epischprogressivem<br />
Rock, bei dem man hin und wieder an Bands<br />
wie BARONESS, RUSSIAN CIRCLES oder OCEANSIZE<br />
denken muss. Eine beeindruckend kurzweilige Platte mit<br />
großer Halbwertzeit. (8) Jens Kirsch<br />
TUBELORD<br />
Our First American Friends<br />
CD | Hassle | hasselrecords.com || „Pop Songs for<br />
Rock Kids“ sagen TUBELORD über ihre Musik, und wenn<br />
man sich ihre Songs so anhört, versteht man, was hiermit<br />
gemeint ist. Wunderschöner, stellenweise fast fragil klingender,<br />
manchmal sogar an alte DASHBOARD CONFESSI-<br />
ONAL erinnernder Gesang trifft auf hochmelodische, verzerrte<br />
Popsongs mit leicht vertrackten Arrangements und<br />
großen Momenten dazwischen. TUBELORD sind für mich<br />
ein weiteres Beispiel dafür, dass die besten (Post-)Emo/<br />
Pop-Punk Bands heutzutage oft aus England kommen. (7)<br />
David Schumann<br />
TETINE<br />
From A Forest Near You<br />
CD | Slum Dunk Music | tetine.net | 48:26 || Das<br />
Duo aus Brasilien nennt seine Musik selbst „Tropical<br />
Mutant Funk“ oder man nennt es, wenn man sich beispielsweise<br />
den Song „Shiva“ (eines der Albumhighlights)<br />
anhört, einen perfekten Hybrid aus der nervösen<br />
Gitarre <strong>von</strong> THE POP GROUP, ESG und dem „To hell with<br />
poverty“-Basslauf <strong>von</strong> GANG OF FOUR. 1995 <strong>von</strong> Sängerin<br />
Eliete Mejorado, die ein wenig an Ari Up <strong>von</strong> THE<br />
SLITS erinnert, und Bruno Verner in São Paulo gegründet,<br />
wecken TETINE ein Empfinden, also ob die Haçienda<br />
in Manchester gerade ihren Zenit hätte, wir das Jahr 1982<br />
schrieben und TETINE für A CERTAIN RATIO eröffnen<br />
würden. Das ist wahrlich mehr Northern Soul der frühen<br />
achtziger Jahre als Tropical Heat mit Crockett und Burnett.<br />
Man kann sich gut vorstellen, wie der Club bebte, als sie<br />
letztes Jahr in Portugal mit den ebenfalls fulminanten und<br />
stilverwandten HERCULES & LOVE AFFAIR spielten. Eliete<br />
Mejorado wirkt mitunter so destruktiv erotisch aufgeladen,<br />
dass sie an die frühe Grace Jones erinnert – und diesen<br />
kühlen Charme versprüht sie auch auf der Bühne. (8)<br />
Markus Kolodziej<br />
TV EYE<br />
Nice People<br />
CD | Hoax | tveye.se | 32:59 || Hahaha, was für eine<br />
herzerfrischend beknackte Superhighspeed-Spasten-<br />
Pop-Punkgranate haben wir hier denn bitteschön?! Ein<br />
Robert Crumb<br />
DAS BUCH GENESIS<br />
Comic | Carlsen | carlsencomics.de | 228 S., 29,90<br />
Euro || Robert Crumb ist seit den Sechzigern einer der<br />
bedeutendsten Künstler im Bereich <strong>von</strong> Undergrounds-<br />
Comics, und über seinen Klassiker FRITZ THE CAT ist<br />
sicher jeder mal gestolpert, der sich auch nur halbwegs<br />
mit diesem Medium beschäftigt – spätestens durch<br />
Ralph Bakshis gleichnamigen, wenn auch nicht werkgetreuen<br />
Animationsfilm. Crumb ist auf jeden Fall bekannt<br />
für seine durch Sex, Gewalt und Drogen geprägten zeichnerischen<br />
Exzesse, eine skurrile Persönlichkeit, wo<strong>von</strong><br />
man sich in der sehenswerten Dokumentation „Crumb“<br />
über ihn selbst ein Bild machen kann. Und auch wenn ich<br />
seine anstrengend schrägen Geschichten immer nur zum<br />
Teil ansprechend fand, seine eigenwilligen Zeichnungen<br />
besaßen auf jeden Fall großen Wiedererkennungswert.<br />
Seit Mitte der Neunziger lebt Crumb in Frankreich<br />
und scheint inzwischen eher um seriöse Kunst bemüht zu<br />
sein, und so präsentiert er uns hier doch allen Ernstes DAS<br />
BUCH GENESIS, und zwar alle 50 Kapitel. Dabei ist er noch<br />
nicht mal der Erste, der sich des „Buches aller Bücher“<br />
angenommen hat, denn etwa auch Ralf König oder MAD-<br />
Zeichner Basil Wolverton hatten bereits Illustrationen mit<br />
Bibel-Hintergrund veröffentlicht. Aber warum auch nicht,<br />
ist die Genesis doch eine unerschöpfliche Quelle für Sex<br />
und Gewalt. Dumm nur, dass Crumb keine Neuinterpretation<br />
im Sinn hatte, sondern eine originalgetreue Wiedergabe<br />
diese hübschen Märchens inklusive des nervigen<br />
Bibel-Textes. Die Erschaffung der Erde und der Menschen<br />
zu Beginn ist eigentlich noch ganz unterhaltsam, aber<br />
irgendwann wird die fortwährende ungezügelte Vermehrung<br />
und das gegenseitige Totschlagen doch etwas ermüdend,<br />
zumal Crumb auch überwiegend nur starre Einzelbilder<br />
produziert, durch die keinerlei echte „Action“ entsteht.<br />
Die Bibel als solche ist sowieso nicht meine präferierte<br />
Literatur, aber was Crumb daraus gemacht hat, wird<br />
über 200 Seiten wirklich zur Qual, wobei ich mir seine<br />
eigenwilligen Zeichnungen jederzeit an die Wand hängen<br />
würde. Und auch im Regal macht sich dieser edel ausgestattete<br />
Prachtband sehr gut. Aber vielleicht wäre ein wenig<br />
LSD bei der Umsetzung ja hilfreich gewesen, denn so bleibt<br />
DAS BUCH GENESIS eine sehr unbefriedigende Erfahrung,<br />
da muss man schon großer Fan <strong>von</strong> Crumbs Schaffen oder<br />
der Materie an sich sein. Wobei es auf gläubige Menschen<br />
vielleicht sogar provokant wirken mag, wie Crumb hier<br />
die Schöpfungsgeschichte bebildert hat, denn wie heißt es<br />
doch noch gleich: Du sollst dir kein Gottesbild machen!<br />
<strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
THE SURROGATES<br />
Comic | Cross Cult | cross-cult.de | 208 S., 26 Euro<br />
|| Robert Vendittis und Brett Weldeles zwischen 2005 und<br />
2006 entstandene Heftserie THE SURROGATES ist mal<br />
wieder ein schönes Beispiel dafür, wie man eine interessante<br />
Vorlage mit einem Hollywood-Film fürs Massenpublikum<br />
in den Sand setzen kann. Was am Comic „thought<br />
provoking“ war, ist zwar auch noch im Film spürbar, letztendlich<br />
katapultieren die ganzen Verschlimmbesserungen<br />
die Verfilmung aber in ein Niemandsland zwischen<br />
„Blade Runner“, „Minority Report“, „Total Recall“ und<br />
„Strange Days“. Im Comic schreiben wir das Jahr 2054,<br />
also keine allzu weit entfernte Zukunft, in der ein Großteil<br />
der Menschheit nicht mehr die eigenen vier Wände<br />
verlassen muss und das echte Leben <strong>von</strong> menschenähnlichen<br />
Robotern absolvieren lässt, die aus sicherer Entfernung<br />
gesteuert werden. Eine faszinierende Zukunftsperspektive,<br />
dumm nur, wenn sich auch Ehepartner nur noch<br />
in Gestalt der Surrogaten begegnen, denn wer will schon<br />
noch mit Krankheit und Alter konfrontiert werden, und<br />
so ist auch diese vermeintlich perfekte Welt nur eine hübsche<br />
Illusion. Das sehen wohl auch einige andere Leute<br />
so, denn es beginnt eine Anschlagsserie auf die Surrogaten,<br />
die in Folge zwei Polizeibeamten aufklären sollen. Die<br />
aus diesen Ermittlungen gezogenen Erkenntnisse führen<br />
aber vor allem dazu, dass bei einem der beiden Beamten<br />
das bisherige Verhältnis zu seiner Lebensrealität ins Wanken<br />
gerät und er schließlich sogar in Fleisch und Blut dem<br />
Täter auf der Spur ist, als sein Surrogat zerstört wird und er<br />
das Leben wieder <strong>von</strong> einer ungewohnten, in Vergessenheit<br />
geratenen Perspektive betrachten muss. Ein Happy End gibt<br />
OX-FANZINE 108<br />
Feuerwerk <strong>von</strong> nicht weniger als 31 Titeln in gerade mal<br />
33 Minuten wird auf vorliegender CD <strong>von</strong> den schwedischen<br />
Veteranen in allerbester DICKIES-Tradition (auch<br />
der Gesangsstil erinnert an Leonard Phillips) abgebrannt<br />
und es ist mir nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, während<br />
des Verfassens dieser Zeilen einigermaßen ruhig an<br />
meinem Schreibtisch zu verharren! Keine Frage, diese vier<br />
Herren wissen, wie der Hase zu laufen hat, sind sie doch<br />
bereits schon seit den frühesten Anfangstagen am Start und<br />
legen hier nach zwölf Jahren des Bandbestehens nun endlich<br />
ihre Debütscheibe vor. Die Stücke variieren in ihrer<br />
Länge zwischen 36 Sekunden und 1:42, überzeugen aber<br />
dennoch durch verhältnismäßig abwechslungsreiches<br />
Songwriting und insbesondere durch die oft entzückend<br />
hirnverbrannten Texte versteht man es noch zusätzlich zu<br />
punkten. Wer jedenfalls auch immer an einem ausgeprägten<br />
Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom leidet, sich aber dennoch<br />
nicht ständig das Gebolze <strong>von</strong> DEAN DIRG und Konsorten<br />
geben mag, für diesen Menschen stellen TV EYE<br />
definitiv mal die perfekte Pop-Punk-Substitution dar! Ich<br />
find’s klasse. (7) Ben Bauböck<br />
TICKING BOMBS<br />
Crahs Course In Brutality<br />
CD | Concrete Jungle/Broken Silence | concretejunglerecords.com<br />
| 23:57 || Aus Schwedens Einöde,<br />
aus Fagersta, um es genau zu sagen, stammen die TICKING<br />
BOMBS. Sie klingen, wie sie heißen, sind angepisst und<br />
wütend. Wahrscheinlich komplett gelangweilt, haben sie<br />
viel Zeit gehabt sich durch 30 Jahre HC-Punk und Streetpunk<br />
zu hören und genauso los zulegen wie ihre Vorbilder.<br />
In diesem Fall nicht <strong>von</strong> der Hand zu weisen sind da Bands<br />
wie D.O.A., FEAR und BOMBSHELL ROCKS. Die Texte sind<br />
durchgehend rebellisch und rotzen den Hass raus, gegen<br />
den Staat, das System und alles was die vier Jungs so stört<br />
an ihrer Umwelt. Die D.I.Y.-Kante wirkt sich sehr sympathisch<br />
aus, so haben sie tatsächlich drei Alben vorher in<br />
Eigenregie raus gebracht und sind nun beim fränkischen<br />
Label Concrete Jungle Records gelandet. Mir gefällt die<br />
Scheibe, wobei die Spielzeit <strong>von</strong> knapp 24 Minuten eher<br />
kurz ist für einem Longplayer. Aber das komplette Album<br />
findet sich nochmal in mp3-Version auf der CD, damit<br />
kann gleich der Player gefüttert werden. (7)<br />
Sebastian Walkenhorst<br />
TARNGO<br />
Horman<br />
CD | blunoise | bluenoise.de || Solide handgemachter,<br />
mathematisch gefärbter, schwerer Post-Rock, dröhnender<br />
Bass, treibendes Schlagzeug – ja da sind sie wieder, die<br />
Herren aus dem Rheinland. Erneut mit einem gelungenen<br />
es dabei allerdings nicht, denn Venditti und Weldele lassen<br />
am Schluss offen, wie es mit der Gesellschaft an diesem<br />
Punkt weitergehen soll. Philip K. Dick und William Gibson<br />
sind in dieser kritischen Auseinandersetzung mit blinder<br />
Technologiehörigkeit allgegenwärtig – vor allem Dick und<br />
sein fast schon paranoides Infragestellen der uns umgebenden<br />
Vorstellung <strong>von</strong> Realität. Dieser inhaltliche Anspruch<br />
spiegelt sich auch in der betont künstlerischen Umsetzung<br />
<strong>von</strong> THE SURROGATES wider, denn Vendittis und Weldeles<br />
arbeiten hier mit hohem Abstraktionsgrad bei Figuren<br />
und Hintergründen, Photorealismus darf man hier nicht<br />
erwarten, was manchmal an eine digitale Form <strong>von</strong> Aquarellmalerei<br />
beziehungsweise an die manierierten Panels<br />
eines David MacKean erinnert. Ein gelungener, lesenswerter<br />
Science Fiction Graphic Novel, auch wenn das Ganze<br />
vielleicht dann doch nicht so tiefgründig ist, wie es die<br />
Macher gerne gehabt hätten, zumindest im Vergleich mit<br />
der Literatur <strong>von</strong> Dick oder den Robotergeschichten eines<br />
Isaac Asimov. Mit THE SURROGATES: FLESH AND BONE<br />
entstand 2009 noch ein passables Prequel, das 15 Jahre früher<br />
spielt, hierzulande aber bisher noch nicht erschienen<br />
ist. In den Staaten gibt es allerdings eine THE SURROGA-<br />
TES-Komplettausgabe. <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
Frank Miller, Simon Bisley<br />
BAD BOY<br />
Comic | Panini | paninicomics.de | 52 S., 12,95 Euro<br />
|| Diese 1997 entstandene Zusammenarbeit <strong>von</strong> Frank<br />
Miller und Simon Bisley erschien vor zehn Jahren bereits<br />
mal im Verlag Schreiber<br />
& Leser und wurde<br />
jetzt <strong>von</strong> Panini neu aufgelegt,<br />
mit auf SIN CITY<br />
getrimmtem alternativen<br />
Cover und Zusatzmaterial<br />
<strong>von</strong> Bisley.<br />
Über Miller braucht<br />
man wohl nicht mehr<br />
viel sagen, der Zeichner<br />
und Autor ist ja spätestens<br />
seit der Realverfilmung<br />
<strong>von</strong> SIN CITY bei<br />
einem breiteren Publikum<br />
bekannt („leider“,<br />
muss man sagen, wenn<br />
man sich seine miserable<br />
„The Spirit“-Verfilmung<br />
anschaut, Will Eisner wird sicher im Grab rotieren),<br />
während der Brite Bisley bei Verlagen wie DC gut beschäftigt<br />
ist und ebenfalls einen recht eigenwilligen Stil besitzt.<br />
Bei BAD BOY war Miller allerdings nur Autor und ähnlich<br />
wie in seinem zuvor entstandenen HARD BOILED (mit<br />
Geof Darrow als Zeichner) geht es hier um eine bizarre,<br />
gewalttätige Parallelwelt (nennen wir es ruhig Dystopie).<br />
Die Hauptfigur ist ein kleiner Junge, der offenbar in einer<br />
seltsamen Zeitschleife gefangen ist und immer wieder versucht,<br />
vor seinen Eltern zu fliehen, die gar nicht seine richtigen<br />
Eltern sind, aber dabei <strong>von</strong> Robotern im Terminator-Lumpenlook<br />
geschnappt wird. Das Ganze ist eher eine<br />
Fußnote im Schaffen <strong>von</strong> Miller, nicht mehr als eine Kurzgeschichte,<br />
aber aufgrund der düsteren, zeichnerisch originell<br />
umgesetzten Horror-SciFi-Atmosphäre und des zynischen<br />
Humors sehr unterhaltsam. Miller-Komplettisten<br />
werden diesen als gebundenes Hardcover erschienen Band<br />
sicher nicht missen wollen (falls sie ihn nicht schon längst<br />
besitzen), aber BAD BOY ist keine Veröffentlichung, die für<br />
Neueinsteiger ein guter Startpunkt wäre. Nicht übel ist<br />
übrigens der sehenswerte Fake-Trailer für eine nie ernsthaft<br />
angedachte Verfilmung <strong>von</strong> BAD BOY <strong>von</strong> einem Spanier<br />
namens Miguel Mesas, den man auf youtube finden<br />
kann. <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
Kerascoët, Fabien Vehlmann<br />
JENSEITS<br />
Comic | Reprodukt | reprodukt.com | 96 S., 18 Euro<br />
|| Immer schön, wenn sich hinter süß-naiv anmutenden<br />
Zeichnungen erstaunlich morbide Geschichten verbergen,<br />
an denen man sich schnell mal verschlucken kann. Und so<br />
entpuppt sich hier das anfängliche idyllische Kaffeetrinken<br />
mit „Alice im Wunderland“-Flair als heimtückisches Intro<br />
für eine Horrorstory ganz besonderer Art, in der William<br />
Release, aus den heiligen bluenoise-Hallen. Allen Unkenrufen<br />
zum Trotz: dieser Sound ist auch ohne Gesangsgedöns<br />
und Gitarrenschnickschnack mehr als tanzbar und<br />
geht ohne Umschweife durch Mark und Hüfte. Wer NO<br />
MEANS NO und die RUINS mag, wird TARNGO zu schätzen<br />
wissen. (8) JeNnY Kracht<br />
THE TENEBROUS LIAR<br />
Jackknifed & Slaughtered<br />
CD | TV Records | tenebrousliar.com | 42:23 || Der<br />
Musikfotograf Steve Gullick hat in den letzten zwanzig Jahren<br />
so ziemlich jeden vor der Kamera gehabt, angefangen<br />
<strong>von</strong> NIRVANA, Nick<br />
Cave, Lou Reed und Bonnie<br />
„Prince“ Billy, bis hin<br />
zu den WHITE LIES. Vor<br />
einigen Jahren gründete<br />
er dann sein eigene<br />
Band THE TENEBROUS<br />
LIAR, die mit ihrem<br />
Lo-Fi Grunge Blues das<br />
Spannungsfeld zwischen<br />
MUDHONEY einerseits<br />
und gebremsten<br />
THE BIRTHDAY PARTY<br />
oder auch Mark Lanegan<br />
andererseits ziemlich gekonnt beleben. Nicht nur das<br />
Artwork des Albums vermittelt Impressionen <strong>von</strong> dunklen<br />
Wüstenlandschaften, auch der Gitarrensound (Gullick<br />
spielt wie Rowland S. Howard eine Fender Jaguar) weckt<br />
Assoziationen an die Soundscapes <strong>von</strong> SMOG und GAL-<br />
LON DRUNK (es war 2003 kein geringerer als James Johnston<br />
<strong>von</strong> GALLON DRUNK, der Gullick bei seinen ersten<br />
eigenen musikalischen Schritten in dem Projekt BEN-<br />
DER unterstützte). Und wenn er die Motivation, Musik<br />
in diesen Klangfarben zu machen mit „Catharsis is the<br />
prime purpose of making music for me, it’s such a positive<br />
release“ umschreibt, ist klar, dass es hier nicht um the<br />
sunny side of life geht. Gullick singt nicht nur über Insomina,<br />
sondern es hört sich auch so an, also ob Insomina ein<br />
langer und enger Wegbegleiter in seinem Leben ist. Musik<br />
mit Soundtrackqualitäten für verstaubte Wim Wenders-<br />
Filme. Man sollte sich unbedingt auch mit den Arbeiten<br />
Gullicks als Rockfotograf beschäftigen. (9)<br />
Markus Kolodziej<br />
TIMEHASCOME<br />
Disaster Zone<br />
CD | Pee | peerecords.com | 19:36 || Bevor jetzt die<br />
ersten Chaoscore-Fans feuchte Höschen bekommen: Bei<br />
„Caged Inside“ handelt es sich nicht um neues Material<br />
Goldings „Herr der Fliegen“ in einem grausamen Fantasy-<br />
Reich angesiedelt wird. Denn ähnlich wie bei Golding geht<br />
es in JENSEITS um die angeborene Gewaltbereitschaft des<br />
Menschen. In diesem Fall sind die Protagonisten kindliche<br />
Märchen-Wesen, die sich gegen die bedrohliche Natur<br />
behaupten müssen und untereinander Machtkämpfe austragen,<br />
bei der Ausbildung archaischer Gesellschaftsmodelle.<br />
Gesteigert wird das Ganze noch dadurch, dass alles<br />
in der Umgebung einer langsam verwesenden Leiche eines<br />
jungen Mädchens stattfindet, die offenbar auf dem Schulweg<br />
<strong>von</strong> jemand umgebracht wurde, was eine bizarre Verbindung<br />
zur Realität schafft. Denn diese Geschöpfe scheinen<br />
quasi die Inkarnation der entwichenen Seele des Mädchens<br />
darzustellen und scharen sich jetzt wie die Einwohner<br />
<strong>von</strong> Liliput um ihren toten Gulliver. Insofern kann<br />
man viel in JENSEITS hineininterpretieren (oder, wie originell,<br />
mal wieder David Lynch ins Spiel bringen. oder<br />
vielleicht besser eher Tim Burton) oder sich einfach nur an<br />
den niedlichen Zeichnungen <strong>von</strong> Kerascoët erfreuen, die<br />
eine sich stetig steigernde Blutrüstigkeit an den Tag legen.<br />
Eigentlich müsste JENSEITS mit einem Warnhinweis versehen<br />
werden, damit niemand auf die Idee kommt, so was<br />
aufgrund des hübschen Covers einem Kind in die Hände<br />
zu geben. Denn selbst zartbesaiteten Erwachsenen dürfte<br />
diese surreale Geschichte über Verfall und Tod noch heftige<br />
Albträume bereiten. Highly recommended, but not for the<br />
faint of heart! <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
Winshluss<br />
PINOCCHIO<br />
Comic | avant-verlag | avant-verlag.de | 192 S., 29,95<br />
Euro || Die edle Aufmachung und der entsprechend<br />
hohe Preis dieses Comics des Franzosen Winshluss macht<br />
bereits deutlich, dass wir<br />
uns in Grenzbereichen<br />
<strong>von</strong> echter Kunst befinden,<br />
wobei es sowohl der<br />
Preis als auch der extreme<br />
Inhalt sein werden,<br />
die eine größere Verbreitung<br />
<strong>von</strong> PINOCCHIO<br />
verhindern wird. Bedauerlich,<br />
denn PINOC-<br />
CHIO ist sicherlich eine<br />
der abgefahrensten und<br />
gleichzeitig auch zeichnerischumwerfendsten<br />
Graphik Novels (ein<br />
Begriff, der mir langsam<br />
aber sicher auf die Nerven<br />
geht, aber sich ja leider<br />
eingebürgert hat), die mir in letzter Zeit untergekommen<br />
ist, ein Interesse an abseitigeren Inhalten allerdings<br />
vorausgesetzt. Zu Beginn wird kurz darauf hingewiesen,<br />
dass es sich hier um „eine sehr freie Adaption <strong>von</strong> Carlo<br />
Collodis Roman“ handelt, aber das merkt man auch selbst<br />
sehr schnell, denn Winshluss macht aus Collodis ebenfalls<br />
nicht sonderlich fröhlichen Geschichte einen albtraumhaften,<br />
apokalyptischen und schwarzhumorigen Horror-<br />
Trip, den man durchaus auf den übermäßigen Konsum<br />
<strong>von</strong> Drogen schieben könnte, aber wahrscheinlich hat der<br />
Franzose einfach nur eine beängstigend lebhafte Fantasie.<br />
Eigentlich heißt Winshluss ja Vincent Paronnaud und war<br />
mit seinem auf dem Comic <strong>von</strong> Marjane Satrapi basierenden<br />
Animationsfilm „Persepolis“ 2007 sogar für den Oscar<br />
nominiert, und im letzten Jahr hat er dann mit „Villemolle<br />
81“ einen Horror-Realfilm gedreht. Aus der eigentlich<br />
ganz süßen Holzpuppe (zumindest in der Version <strong>von</strong> Disney)<br />
wird in seinem PINOCCHIO ein Roboter mit ähnlicher<br />
Gestalt und Flammenwerfer in der langen Nase, den<br />
ein durchtriebener Erfinder als neue Superwaffe ans Militär<br />
verhökern will. Doch bevor es dazu kommt, ist sein<br />
außer Kontrolle geratener Pinocchio bereits unterwegs<br />
auf einer Odyssee, die dann doch etwas anders als bei Collodi<br />
aussieht, vor allem was den Gehalt an Sex und Gewalt<br />
angeht, aber dennoch immer noch gewisse Parallelen zu<br />
dem Buch-Klassiker aufweist. Aus der sprechenden Grille<br />
wird etwa eine verwahrloste Wanze, eine Art Insekten-<br />
Bukowski, die sich in Pinocchios Kopf einnistet. Irgendwie<br />
gelingt es Winshluss sogar, noch Schneewittchen einzubauen,<br />
die sich hier sadomasochistisch veranlagter Zwerge<br />
der deutschen Vorzeige-Frickler TIME HAS COME, sondern<br />
um eine australische Moshcore-Band (fast) gleichen<br />
Namens. Schlecht machen die ihre Sache allerdings<br />
ebenfalls nicht gerade. Für so Breakdown-lastige Musik<br />
sind Sound und Machart recht nah an der Perfektion. Wer<br />
allerdings Abwechslung und so was wie Melodie erwartet,<br />
wird bitter enttäuscht. Alles in allem eine nette EP, aber<br />
ich wüsste jetzt auch nicht, warum das jemand (mangels<br />
deutschem Vertrieb) aus Australien importieren sollte, wo<br />
gerade der Ruhrpott doch voll mit Bands gleichen Kalibers<br />
ist. (6) Andreas Kuhlmann<br />
TEAMKILLER<br />
No More Fears, No More Darkness,<br />
No More Delusions<br />
MCD | Cobra X | myspace.com/cobraxrecords |<br />
20:06 || TEAMKILLER machen den nächsten, beinahe<br />
absehbaren Schritt. Nachdem die Texte schon immer<br />
recht spirituell und philosophisch angehaucht waren,<br />
nimmt man sich nun auch bei den Vocals John Joseph <strong>von</strong><br />
den CRO-MAGS zum Vorbild und schließt den Kreis zwischen<br />
textlichem Inhalt und Gesangsstil. Das macht Sinn<br />
und wird besonders bei den älteren Semestern gut ankommen.<br />
Durch die neuen Vocals haben die Stuttgarter auch<br />
einen Schritt weg vom Riff, hin zum Song gemacht und<br />
sich selbst neu erfunden. Besser hätten sie es nicht machen<br />
können. Die Powerchords des Sechssaiters sind eine gute<br />
Erdung bei Texten über Wiedergeburt, Wahrheit und<br />
den Kreislauf des Leids. Aber keine Angst, die Band bleibt<br />
immer auf Distanz zur organisierten Religion. Rein inhaltlich<br />
muss man natürlich an CRO-MAGS, SHELTER oder<br />
108 denken. Rund wird das Ganze durch den Groove, der<br />
auch diesmal wieder gigantisch ist. „Spiritual Relief“ lässt<br />
dann an die BAD BRAINS denken und macht neugierig auf<br />
kommende Liveshows. (8) <strong>Thomas</strong> Eberhardt<br />
THROATS<br />
s/t<br />
MCD | Holy Roar/Twelve Gauge | holyroarrecords.<br />
com | 17:55 || Ich habe die Band aus England vor ein<br />
paar Wochen live gesehen, sofort die Platte gekauft und<br />
noch in derselben Nacht hat sie, bis zum Morgengrauen,<br />
ihre Runden auf dem Teller gedreht. Was für ein – pardon<br />
– Brett! Und zwar gespickt mit Scherben, Splittern<br />
und rostigen Nägeln. Chaos, Zerstörung, Metal, HC-Punk<br />
und Rock’n’Roll, die Band hat alles gefressen, um es dir gut<br />
durchgekaut wieder vor die Füße zu kotzen. Technisch versiert,<br />
aber schön fies und dreckig kommen die sechs Songs<br />
dieser EP daher und wer mit Bands wie CONVERGE etwas<br />
anfangen kann, sollte auch bei dieser guten Viertelstunde<br />
/comIcS<br />
erwehren muss, während Pinocchio selbst im Spielzeugland<br />
eines diktatorischen Clowns an einer Zuckerstange<br />
aufgehängt wird. Das hat schon was <strong>von</strong> dem kranken Ideenreichtum<br />
eines Robert Crumb, an den der Franzose stilistisch<br />
teilweise durchaus erinnert, und ist auf jeden<br />
Fall ein Beweis dafür, dass auch heutzutage noch radikale<br />
Underground-Comics entstehen können. Nur dass inzwischen<br />
die Hemmschwelle gesunken ist, sich damit auch im<br />
Feuilleton auseinanderzusetzen, was nichts daran ändert,<br />
dass PINOCCHIO vielen in geschmacklicher Hinsicht<br />
etwas zu weit gehen wird. Aber das macht eben die Qualität<br />
<strong>von</strong> Paronnauds beeindruckend wildem Extrem-Kunstwerk<br />
aus, bei dem man versucht ist, es als kleines, abgründiges<br />
Meisterwerk zu bezeichnen. <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
Ulli Lust<br />
HEUTE IST DER LETZTE TAG VOM REST<br />
DEINES LEBENS<br />
Comic | avant-verlag | avant-verlag.de | 464 S., 29,95<br />
Euro || Autobiographische Comics können sehr oft<br />
Garanten für schlechte Zeichnungen und öde Geschichten<br />
sein, sind also mit<br />
Vorsicht zu genießen, vor<br />
allem, wenn es sich in<br />
einem solchen Umfang<br />
wie hier abspielt. Die in<br />
Berlin lebende österreichischeZeichnerin<br />
Ulli Lust erzählt in<br />
HEUTE IST DER LETZTE<br />
TAG ... <strong>von</strong> ihrer wilden<br />
zweimonatigen Odyssee<br />
durch Italien, inklusive<br />
Begegnungen mit der<br />
Mafia und harten Drogen,<br />
die sich Ende 1984<br />
zutrug, als die Autorin<br />
sich zusammen mit ihrer<br />
nymphomanischen Freundin Edith <strong>von</strong> Wien per Auto-<br />
Stopp in den Süden aufmachte und illegal die italienische<br />
Grenze überquerte. Dass sich Lust zu dieser Zeit der Punkszene<br />
zugehörig fühlte, spielt eigentlich nur am Rande eine<br />
Rolle und spiegelt sich eher in ihrer allgemeinen Lebenseinstellung<br />
wider, also klassisches Aussteigertum und Aufbegehren<br />
gegen die spießige Gesellschaft und die sie einengenden<br />
Eltern. Eine recht abenteuerliche Reise, vor<br />
allem für eine Frau, die in Italien mit einem völlig anderen<br />
Geschlechterrollen-Verständnis konfrontiert wird und<br />
hier vor allem allzeit bereites Lustobjekt ist, weshalb die<br />
Punkerin in Folge mit einigen Beinahe-Vergewaltigungen<br />
konfrontiert wird und generell das Erleben ihrer Sexualität<br />
als extrem traumatisch erfährt. Und man wundert sich<br />
schon ein bisschen (als Mann), wieso sie manche Sachen<br />
überhaupt so gelassen über sich ergehen lässt. Insofern<br />
wiederholen sich einige der Erfahrungen, die Lust macht,<br />
in gewisser Weise immer wieder, vor allem was den extremen<br />
Machismo der Italiener angeht. Wobei sie auf ihrer<br />
Reise auch jede Menge anderer Aussteiger kennen lernt,<br />
die nach einem gesellschaftlichen Gegenentwurf suchen,<br />
was HEUTE IST DER LETZTE TAG ... über die autobiografische<br />
Ebene hinaus auch zu einem sehr lebendigen zeitgeschichtlichen<br />
Dokument beziehungsweise einer Reportage<br />
werden lässt, was den Aufeinanderprall unterschiedlicher<br />
Kulturen und Lebensmodelle angeht. Zeichnerisch hat die<br />
Grafik-Designerin für die Umsetzung einen bewusst naiven,<br />
etwas dilettantisch anmutenden Stil gewählt, der aber<br />
gut mit ihrer Geschichte über jugendlichen Leichtsinn<br />
und Selbstfindung korrespondiert und in einer sehr direkten<br />
Bildsprache resultiert, ohne dass dabei Hintergründe,<br />
also Landschaft und Architektur, weniger atmosphärisch<br />
wären. Ein echtes Mammutwerk, in das Lust mehrere Jahre<br />
Arbeit gesteckt hat und HEUTE IST DER LETZTE TAG ...<br />
mit Abstand zu einem der besten deutschsprachigen autobiografischen<br />
Comics macht, der sich durchaus mit Craig<br />
Thompsons BLANKETS oder Marjane Satrapis PERSEPO-<br />
LIS messen kann, was die erzählerische Tiefe angeht. Der<br />
hohe Preis mag im ersten Moment abschreckend wirken,<br />
aber dafür bekommt man einen Comic geliefert, der schon<br />
fast die Dimension eines Buches besitzt und auch Menschen<br />
ansprechen dürfte, die nicht unbedingt ausgesprochene<br />
Fans dieses Mediums sind. <strong>Thomas</strong> Kerpen
hingerotzten Hasses auf seine Kosten kommen. Im April<br />
kommen THROATS mit ROLO TOMASSI und TRASH TALK<br />
übrigens wieder auf Tour ...(9) Sebastian Diez<br />
UUU<br />
UNDERGROUND RAILROAD<br />
TO CANDYLAND<br />
Bird Roughs<br />
CD | Recess | recessrecords.com | 34:46 || Was<br />
macht eigentlich Todd C, Boss <strong>von</strong> Recess Records und<br />
einst bei TOYS THAT KILL und F.Y.P.? Er ist U-Bahn-Fahrer<br />
geworden und steuert die UNDERGROUND RAILROAD<br />
TO CANDYLAND. Waren die FUCK YOU PEOPLE aber noch<br />
auf Krawall gebürstet und spielten entsprechend zappeligen<br />
Punkrock, sind URTC doch ein ganzes Stück gemäßigter,<br />
spielen poppigen Punkrock mit einem gewissen Sixties-Twang.<br />
Mich erinnert das immer wieder an die CUTE<br />
LEPERS, die ja auch die Fortführung der BRIEFS mit gemäßigteren<br />
Mitteln sind, mit ausgefeilterem Songwriting.<br />
Und so mangelt es auch URTC nicht an Energie und Spielfreude,<br />
aber statt permanent Vollgas zu geben ist die Gitarre<br />
hier auch mal eher akustisch, sind die Harmonien eher<br />
Powerpop. Das Album kommt auf Vinyl sowie auf CD im<br />
selbstgebastelten Papp-Booklet mit ausgesprochen schönem<br />
Artwork – Recess ist und bleibt ein Label für eigenwillige,<br />
außergewöhnliche Releases. (7) Joachim Hiller<br />
UFOMAMMUT<br />
Eve<br />
CD | Supernatural Cat/Cargo | supernaturalcat.com<br />
| 44:41 || „Idolum“ war ein Monster <strong>von</strong> einer Platte,<br />
das ein eigenes Kapitel in dem noch zu schreibenden Lehrbuch<br />
„Wie man Psychedelisches mit Brachialem zu einer<br />
undurchdringlichen Wall of Sound aufbaut“ verdient. So<br />
etwas lässt sich kaum steigern, insofern haben UFOMAM-<br />
MUT es auch gar nicht erst versucht und sind ihr sechstes<br />
Album „Eve“ etwas anders angegangen. Grundlegendes<br />
haben die Italiener dabei nicht verändert, loten sie doch<br />
immer noch die Grenzen der Verbindung <strong>von</strong> monotonem<br />
Doom und der brutalen Variante des Psychedelic aus,<br />
den Distortion-Regler und die Lautstärke aber haben sie<br />
dezent nach links gedreht und den in fünf Kapiteln geteilten,<br />
insgesamt aber nur einen Song auf „Eve“ dynamischer<br />
als „Idolum“ gestaltet. Der Aufbau des Stücks folgt somit<br />
dem textlichen Konzept, das <strong>von</strong> dem christlichen Märchen<br />
der ersten Frau der Erde, ihrem Aufbegehren gegen<br />
ihren Schöpfer und dessen Bestrafung dafür handelt. „Eve“<br />
mag also nicht die beeindruckend mächtige Gitarrenwand<br />
sein wie „Idolum“, heftiger Psychedelisches als UFOMAM-<br />
MUT wird man aber weiterhin woanders kaum finden.(8)<br />
André Bohnensack<br />
UNSPOKEN PROMISES<br />
s/t<br />
MCD | myspace.com/unspokenpromiseshc | 16:15<br />
|| Die relativ neue Band aus dem ostfriesischen Raum<br />
macht grundsätzlich nichts falsch mit ihrem an Bands wie<br />
ANOTHER BREATH oder auch JUST WENT BLACK erinnernden<br />
intensiven Hardcore. Die fünf Lieder klingen wie<br />
aus einem Guss, gehen ordentlich nach vorne, sind aber<br />
trotzdem abwechslungsreich genug und werden teilweise<br />
mit ruhigen akustischen Gitarrenspielereien aufgelockert.<br />
Einziges Manko ist die recht starke Vorhersehbarkeit. Selbst<br />
beim ersten Hören hat man das Gefühl, man könnte mitsingen.<br />
Das macht dann allerdings auch Spaß, denn gut<br />
gemacht sind die Songs allemal. (7) Sebastian Banse<br />
UNVEIL / DEADVERSE<br />
Split<br />
CD | myspace.com/xunveilx | myspace.om/deadverseband<br />
| 24:21|| „We will rebel against every form of<br />
oppression, be it towards humans or non-humans.“ Dieses<br />
Zitat <strong>von</strong> UNVEIL fasst treffend die Inhalte der vier Songs<br />
dieser Split-CD mit DEADVERSE zusammen, die übrigens<br />
auch auf der „Destruction Wherever I Go“ 7“ <strong>von</strong> UNVEIL<br />
enthalten sind. Die Veganer verpacken ihre Standpunkte in<br />
knackigen Hardcore-Songs, die ihren besonderen Wiedererkennungswert<br />
besonders der markanten, kreischend und<br />
heiser klingenden Stimme <strong>von</strong> Shouter Christian zu verdanken<br />
haben. Mein Fazit: kurzweilig, kraftvoll, mit Herz<br />
und Hirn gespielt, machen UNVEIL hier alles richtig. Die<br />
folgenden sieben Songs gehören den befreundeten DEAD-<br />
VERSE, die etwas gemäßigter an ihre Songs herangehen.<br />
Dies hat zwar keinen Einfluss auf die Intensität der Songs,<br />
macht diese aber somit auch für ein breiteres Publikum<br />
attraktiv, werden hier doch allerhand Rockanleihen in den<br />
Sound eingebaut. Mir persönlich sagen UNVEIL zwar eher<br />
zu, insgesamt ist diese Split-CD aber ein rundum gelungener<br />
Release. (8/7) Tobias Ernst<br />
UNBUNNY<br />
Moon Food<br />
CD | Affairs Of The Heart | myspace.com/unbunny |<br />
32:07 || Man muss sich wohl nicht weiter darüber unterhalten,<br />
dass UNBUNNY ein wirklich selten blöder Bandname<br />
ist, den sich der Sänger/Gitarrist Jarid del Deo aus<br />
Seattle da für seinen kreativen Output ausgesucht hat.<br />
Und wenn ich mir die nichtssagende Besprechung zu dessen<br />
letztem Album in diesem Heft so anschaue, wüsste ich<br />
auch nicht, warum man sich mit dessen Musik weiter auseinandersetzen<br />
sollte. Seit Mitte der Neunziger nimmt del<br />
Deo bereits Musik auf und ganz grundsätzlich hat man es<br />
hier mit dem typischen überstrapazierten LoFi-Indierock<br />
für Slacker-Sensibelchen zu tun, die gerne am Lagerfeuer<br />
heulen, wozu auch del Deos dünnes Stimmchen passt. Aber<br />
irgendwas macht der Mann dann doch anders, denn seine<br />
Kompositionen weisen eine angenehme Cleverness und<br />
Verspieltheit auf und bleiben tatsächlich hängen. „Moon<br />
Food“ ist dabei gleichermaßen traditioneller Folk wie eingängiger<br />
Pop, was sich auch in den originell instrumentierten<br />
Songs durchgehend widerspiegelt. Dabei schadet<br />
es auch nicht, dass del Deo permanent an den jungen<br />
Neil Young erinnert, der auf seinen ersten Platten trotz<br />
Rockstar-Status noch ähnlich schüchtern klang. Rockstars<br />
werden UNBUNNY mit Platten wie „Moon Food“ zwar<br />
nicht mehr, aber spielen wirklich sehr schönen, unaufdringlich<br />
melodischen Indierock, bei dem die Gitarren<br />
mal etwas lauter und verzerrter klingen und auf den man<br />
sich wirklich gerne einlässt. (8) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
URAL UMBO<br />
s/t / Latent Defects<br />
CD/MCD | Utech | utechrecords.com | 46:49/33:48<br />
|| Als Vierjähriger habe ich zusammen mit meinen Eltern<br />
die Katakomben unter Rom besichtigt, und im Gedächtnis<br />
geblieben ist mir die Angst, durch einen Unfall dort alleine<br />
zurück gelassen zu werden, im Dunkeln, in der Enge und<br />
unter den ganzen dort liegenden Toten. Spielte ich diesen<br />
Gedanken nun weiter und setzte voraus, dass ein Verhungern,<br />
aus irgendeinem eigenartigen Grund unmöglich<br />
wäre, wie hörte sich der mit Sicherheit irgendwann einsetzende<br />
Wahnsinn im eigenen Kopf an, auch gespeist <strong>von</strong><br />
Geräuschen aus der sonst einsamen Umgebung? Das aus<br />
dem Schweizer Reto Mäder (RM74, SUM OF R) und dem<br />
in Chicago lebenden Steven Hess (ON, HAPTIC, PAN AME-<br />
RICAN) bestehende Projekt URAL UMBO ist nun sicherlich<br />
nicht das erste, das mit seiner Musik eine Art Grusel<br />
erzeugen möchte, ihr organischer Dark Ambient mit vielen<br />
düsteren Klangflächen als auch klar zu identifizierenden<br />
und den Song dominierenden Instrumenten hat aber<br />
zumindest diese lang vergessene Kindheitserinnerung hervor<br />
geholt, selbst bei dezentem Licht am Schreibtisch vor<br />
dem Bildschirm. „Ural Umbo“ sowie die das Debütalbum<br />
begleitende EP „Latent Defects“, deren Songs aus den selben<br />
Aufnahmen gebildet wurden, sind beeindruckend<br />
bedrückende Stücke Horror-Klangkunst, obwohl subtil<br />
und zurückhaltend. Ich gehe jetzt mal vor die Tür an die<br />
frische Luft ... (8) André Bohnensack<br />
vvv<br />
VEGAS KINGS<br />
You’ll Never Work In This Town Again<br />
CD | Mere Noise | merenoise.net | 34:27 || Mit dem<br />
dritten Album im Gepäck werden die VEGAS KINGS aus<br />
Brisbane, Australien im Mai 2010 ein zweites Mal durch<br />
Europa touren, und ich<br />
bin mir sicher, wer die<br />
Band bei der ersten Tour<br />
gesehen hat, das Debüt<br />
„For Those Who Came In<br />
Late“ (2003) oder „Dead<br />
Money“ (2007) kennt,<br />
wird auch diesmal dabei<br />
sein. Ein guter Vorgeschmack<br />
darauf ist der<br />
dritte Longplayer „You’ll<br />
Never Work In This Town<br />
Again“, das im Herbst<br />
2009, auf Mere Noise<br />
Records, erschien (dem Label <strong>von</strong> Sänger und Gitarrist<br />
Pete Collins) und das <strong>von</strong> Jim Diamond abgemischt wurde.<br />
Die VEGAS KINGS erweisen sich schon auf Platte als ungeheuer<br />
spielfreudige, mitreißende Band, die so unterschiedliche<br />
Bands wie die MONSTERS (und ganz allgemein Voodoo<br />
Rhythm Records), SCIENTISTS, GUN CLUB, OBLIVI-<br />
ANS, GORIES oder ONYAS als Einflüsse anführt, und in der<br />
Ausführung dieser Verehrung <strong>von</strong> eher trashigem Garage-<br />
Punk dann doch diesen gewissen rauhen, lauten Aussie-<br />
Touch an den Tag legt. Denn wer so ungestüm wie BORED!<br />
loslegt, wer die Kantigkeit <strong>von</strong> BEASTS OF BOURBON aufweist,<br />
der scheint auch deren Alben zu schätzen. Erstklassiger<br />
Stoff, ich bin rundum begeistert. (9) Joachim Hiller<br />
ROCKY VOTOLATO<br />
True Devotion<br />
CD | Defiance/Cargo | defiancerecords.de | 34:15 ||<br />
Das neue Album des Barden aus Seattle fängt verdammt<br />
stark an, denn der Opener „Lucky clover coin“ sowie sein<br />
Folgetrack „Fragments“ zeigen sich im Bandgewandt, was<br />
den Songs viel mehr Wärme und Fülle verleiht als Votolatos<br />
Solovorstellungen. Trotzdem vermag das reduzierte<br />
„Red river“ dem starken Prolog das Wasser zu reichen, da<br />
Rocky eine Geschichte erzählt, die einfach fesselt. Danach<br />
ist er wieder ganz der Alte, ein melancholisch-verzweifelter<br />
Songwriter, der durch sein Fingerpicking glänzt und<br />
ein überzeugter Einzelkämpfer ist, was seine Musik angeht.<br />
„Sparklers“ überrascht mit ein paar Elliott Smith-Harmonien<br />
und das darauffolgende „Instrument“ wird <strong>von</strong><br />
einer Mundharmonika eröffnet, während Votolato herzzerreißend<br />
das Heimweh besingt. Zum Heulen schön, aber<br />
zugleich auch sehr depressiv. Inzwischen klingt Votolato<br />
beinahe so erhaben wie der Man In Black, wenn da nicht<br />
die recht unspektakulären Songs gegen Ende des Albums<br />
wären. Diese erinnern doch etwas zu sehr an sein selbstbe-<br />
titeltes Debüt <strong>von</strong> 1999. Trotzdem ein Album, welches ich<br />
nicht missen möchte, selbst wenn es die hohe Messlatte der<br />
ersten Tracks nicht ganz zu halten vermag. Eine kleine Entschädigung<br />
ist da mit Sicherheit das Artwork mit Illustrationen<br />
<strong>von</strong> Rachael Peacock und die Gewissheit, dass Votolato<br />
auf dem besten Weg zu einem Klassikeralbum ist und<br />
dieses bestimmt bald vorlegen wird. (8) <strong>Thomas</strong> Eberhardt<br />
VANDAVEER<br />
Divide & Conquer<br />
CD | alter. k records | alter-k.com | 42:21 || Es ist<br />
nicht leicht, „Divide & Conquer“ zu kategorisieren. Der<br />
Opener „Fistful of swoon“ gibt eine dunkle Richtung<br />
vor: die minimalistischen Intrumente, der sich in einen<br />
Abgrund steigernde zweistimmige Gesang <strong>von</strong> Mark Heidinger<br />
und Rose Guerin, der in der abschließenden Textzeile<br />
„a kingdom you did lead from heaven to hell“ kulminert<br />
– das könnte <strong>von</strong> Leonard Cohen stammen. Dann wiederum<br />
gibt es mit „A mighty Leviathan of gold“ ein Lied,<br />
das sich anhört wie ein BRACKET-Akustik-Stück, und auf<br />
das dann das düstere Piano-Intro <strong>von</strong> „Turpentine“ folgt.<br />
Auch hier tauchen wieder die Leitmotive <strong>von</strong> Himmel und<br />
Hölle auf, auch hier steht der Protagonist am Rande eines<br />
seelischen Abgrunds, was in der großartigen Zeile „I’ll see<br />
the light in a different shade, I won’t fear the night when<br />
it’s black as day“ artikuliert wird. „Divide & Conquer“ ist<br />
ein Album voller Stimmungsschwankungen, das hohe<br />
Ansprüche an den Zuhörer stellt. Die Geduld, die man<br />
wegen seiner Vielschichtigkeit mit ihm haben muss, zahlt<br />
sich jedoch aus. (7) Myron Tsakas<br />
VELVETEEN<br />
27<br />
CD | Fuego | fuego.de | 40:14 || Die erste Assoziation<br />
beim Hören dieses einheimischen Vierers ist DEATH CAB<br />
FOR CUTIE und so recht wird man diese Referenz nicht<br />
mehr los. Elektronische Beats, Ben Gibbard-Habitus bei<br />
den Vocals, eingängige Indiesongs mit Rhodes-Orgel, mal<br />
Uptempo, dann wieder sehr bedächtig und atmosphärisch<br />
arrangiert. Das schöne Artwork erinnert an „Our Love To<br />
Admire“ <strong>von</strong> INTERPOL und würde die zweite Plagiatsklage<br />
wohl rechtfertigen, aber durch die vielen elektronischen<br />
Sprengsel im Sound der Band haben die elf Songs<br />
schon ihren eigenen Charakter. Wenn DCFC mal nicht in<br />
der Stadt sein sollten, oder man deren Alben schon zu oft<br />
hat rotieren lassen, sind VELVETEEN und ihr vierter Longplayer<br />
eine dankbare Alternative. (7) <strong>Thomas</strong> Eberhardt<br />
VIOLENT ARREST<br />
Minute Manifestos<br />
CD | Boss Tuneage/Cargo | bosstuneage.com | 27:14<br />
|| Was machen eigentlich RIPCORD, einst neben HERESY,<br />
CHAOS UK und NAPALM DEATH die Helden des Achtziger-UK-Hardcore?<br />
75% <strong>von</strong> RIPCORD machen seit einer<br />
Weile unter dem Namen VIOLENT ARREST genau da weiter,<br />
wo sie vor 25 Jahren schon waren, ballern also Song-<br />
Granaten zwischen ein und maximal zwei Minuten Dauer<br />
in die Welt hinaus und lassen nicht den Eindruck entstehen,<br />
als seien sie in den vergangenen zwanzig Jahren ruhiger<br />
oder entspannter geworden. Schnarrender Oldschool-<br />
Hardcore mit rauhem, aber durchaus melodie-orientiertem<br />
Gesang, der auch 2010 noch frisch klingt und<br />
nicht nach alten Männern, die es nochmal wissen wollen.<br />
Schnörkellos, immer voll auf die Zwölf, engagierte Texte –<br />
musikalisch würden die bei einem Konzert mit FUCKED<br />
UP und SNIFFING GLUE gut als „Zwischenband“ passen.<br />
Auf der CD finden sich zehn ganz neue Songs plus zwölf<br />
<strong>von</strong> der 2009er Do-7“ plus zwei Compilation-Tracks.<br />
rEvIEws<br />
Ein Rundum-glücklich-Paket, das man sich aber angesichts<br />
der recht geringen Spielzeit statt auf CD lieber auf LP<br />
gewünscht hätte. (8) Joachim Hiller<br />
VERMIN POETS<br />
Poets Of England<br />
CD | Damaged Goods/Cargo | damagedgoods.co.uk<br />
| 35:43 || Billy Childish hat eine neue Band. Der Nachrichtenwert<br />
dieses Satzes geht gegen Null, das ist so alltäglich<br />
wie die Tatsache, dass<br />
im Herbst die Blätter<br />
<strong>von</strong> den Bäumen fallen.<br />
Wirklich überraschend<br />
ist allerdings, das man<br />
bei den VERMIN POETS<br />
den schnauzbärtigen<br />
Fließbandsongschreiber<br />
nicht an Gitarre<br />
und Gesang erlebt. Diesen<br />
Part übernimmt nun<br />
Neil Palmer, vormals<br />
Kopf der begnadeten,<br />
aber verkannten Cambridger<br />
Garagepsych-Band FIRE DEPT. Childish zupft nur<br />
den Bass und schmettert gelegentliche Backing-Vocals.<br />
Erstaunlich jedenfalls ist, dass die Band völlig Childishuntypisch<br />
klingt. TELEVISION PERSONALITIES und THE<br />
WHO stehen Pate für den Sound, allerdings ist durchaus<br />
die schepperige Childish-Lofi-Handschrift zu spüren. Leider,<br />
und das ist quasi der roter Faden hier, ist der Gesang<br />
noch schräger als bei den meisten Childish-Bands zuvor,<br />
und manchmal ist es echt anstrengend mitzuhören, wie<br />
sich Palmer durch die stellenweise abenteuerlichen Melodiebögen<br />
quält. Lobenswert allerdings ist, dass mal wieder<br />
eine komplett neue Ideologie hinter dem Projekt steckt,<br />
die Palmer und Childish mit Feuer und Flamme umsetzen.<br />
(7) Gereon Helmer<br />
VENOMOUS<br />
Preserved Emergencies<br />
MCD | DC-Jam | dcjamrecords.com | 21:55 || Ja,<br />
der Bandname stimmt – das hier sind nicht VENOMOUS<br />
CONCEPT minus ein Wort, sondern VENOMOUS aus West<br />
Chester, PA, deren Album bereits 2007 auf Creep Records<br />
erschienen ist, jetzt aber auf DC-Jam „umgeflaggt“ wurde.<br />
Drei Jahre sind eine lange Zeit, entsprechend finden sich<br />
im Netz auch ein paar neuere Songs und ich schätze, ein<br />
weiterer Release steht in Kürze an. Ich bin gespannt, denn<br />
schon die neun Tracks dieser EP sind wirklich begeisternd,<br />
zumindest wenn man auf fiebrigen Wave-Punk steht, der<br />
mehr nach 1985 als 2007 oder 2010 klingt. Treibend, düster,<br />
dicht und melodiös, so kann man die Songs beschreiben,<br />
die mich etwas an GENE LOVES JEZEBEL erinnern,<br />
oder auch an THEATRE OF HATE, jedoch ohne deren<br />
gewisse Theatralik. Ein gewisser psychedelischer Touch ist<br />
auch vorhanden, hier und da wird vorsichtig ein Synthesizer<br />
eingesetzt – wer Gothpunk schätzt, ist hier genau richtig.<br />
(7) Joachim Hiller<br />
WWW<br />
WE ARE THE OCEAN<br />
Cutting Our Teeth<br />
CD | Hassle | hasslerecords.com || Ob WE ARE THE<br />
OCEAN an Schizophrenie oder Größenwahn leiden, kann<br />
ob des Bandnamens zwar angenommen, allerdings nicht<br />
bewiesen werden. Fakt ist hingegen, dass die Jungs aus Lon-<br />
NO IDEA BANDS ON TOUR!<br />
YOUNG LIVERS<br />
“Of Misery and Toil” LP/CD<br />
&<br />
APRIL 8 - MAY 1<br />
BRIDGE AND TUNNEL<br />
“Indoor Voices” 10”<br />
DEAR LANDLORD<br />
“Dream Homes” LP/CD<br />
MAY<br />
5 -26<br />
�THOUSANDS OF UNDERGROUND PUNK RECORDS, CDS, SHIRTS, AND OTHER FUN STUFF ONLINE �<br />
OX-FANZINE 109
EvIEws<br />
don verdammt routinierten Emo/Post-Hardcore spielen,<br />
der an den besten Stellen seiner hymnenhaften Refrains<br />
teilweise sogar an MUSE erinnert. Ansonsten wären FUNE-<br />
RAL FOR A FRIEND oder LOSTPROPHETS wohl die musikalischen<br />
Eckpunkte, zwischen denen WE ARE THE OCEAN<br />
sich äußerst gekonnt bewegen. (7) David Schumann<br />
WHITE HILLS<br />
s/t<br />
CD | Thrill Jockey | thrilljockey.com | 59:09 ||<br />
Genau so oft wie alte Krautrockbands werden im Bereich<br />
Neo-Psychedelic, inklusive irgendwelcher Grenzgänger in<br />
Richtung Ambient und Metal, in letzter Zeit auch gerne<br />
wieder HAWKWIND als Inspirationsquelle angeführt,<br />
als eine der ersten Band, die trippigen Artrock und Heavy<br />
Metal verschmolzen und wiederum Bands wie MUDHO-<br />
NEY beeinflussten. Der Spacerock dieses New Yorker Trios<br />
macht auf jeden Fall keinen Hehl daraus, das seine Erzeuger<br />
schon mal was <strong>von</strong> HAWKWIND gehört haben. Mit ihren<br />
ersten Veröffentlichungen auf CD-R zogen sie die Aufmerksamkeit<br />
<strong>von</strong> Julian Cope auf sich, der 2005 das erste<br />
Album veröffentlichte. 2007 erschien dann mit „Heads On<br />
Fire“ eine inzwischen vergriffene Platte auf Thrill Jockey.<br />
Spacerock ist wie so vieles eine recht abgenutzte Kategorie,<br />
beschreibt aber recht passend den fuzzigen Drone-Rock<br />
<strong>von</strong> WHITE HILLS, der sich nach anfänglich eher rockigen<br />
Parts immer mehr in einer hypnotischen, sich in monotonen<br />
Loops bewegenden Jam-Session verliert, ein mächtiger<br />
Wall Of Sound mit vereinzelten fast ambientartigen Einschüben.<br />
Man nehme die psychedelischeren Momente <strong>von</strong><br />
BORIS oder noch besser MONSTER MAGNETs in dieser<br />
Hinsicht wegweisendes Album „Tab“, und man bekommt<br />
eine ungefähre Vorstellung <strong>von</strong> dem, was einen hier erwartet.<br />
Ein besonderer Höhepunkt dabei ist auf das 13-minütige,<br />
beschwörende „Let the right one in“ – manche Songs<br />
sollten einfach niemals aufhören. Musik wie gemacht fürs<br />
Roadburn-Festival, wo sie 2009 auch gespielt haben. (8)<br />
<strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
WHITE HINTERLAND<br />
Kairos<br />
CD | Dead Oceans/Cargo | deadoceans.com | 41:36<br />
|| Hinter dem Duo WHITE HINTERLAND stehen die<br />
Sängerin Casey Dienel und Shawn Creeden. Auf ihrem<br />
dritten Album „Kairos“ dominieren die elektronischen<br />
Soundtüfteleien. WHITE HINTERLAND arbeiten mit<br />
Perkussion, E-Drums, Synthesizern, Loops und sonstigen<br />
Soundfetzen, allerdings alles in einer wohl dosierten<br />
Form, denn im Ohr bleiben eher die tiefen, dahinwummernden<br />
Bass-Spuren hängen. Ganz besonders fällt vor<br />
allem die teilweise an Siouxsie Sioux erinnernde Stimme<br />
auf. Die zehn Stücke auf „Kairos“ wirken so teilweise kühl<br />
und etwas verhalten, aber das passt durchaus und ist angenehm.<br />
(6) Kay Werner<br />
WHITE WIZZARD<br />
Over The Top<br />
CD | Earache | earache.com | 46:51 || Nach zwei EPs<br />
veröffentlichen die Briten WHITE WIZZARD mit „Over<br />
The Top“ ihr erstes vollständiges Album, welches dank seiner<br />
musikalischen Ausrichtung knietief in den Achtzigern<br />
steckt. Was seinerzeit JUDAS PRIEST und IRON MAIDEN<br />
vorgemacht haben soll nun offensichtlich fortgesetzt werden,<br />
was im Grunde auch ganz passabel gelingt. Angefangen<br />
bei den knackigen Riffs, die denen der Vorbilder in<br />
Nichts nachstehen, über den ausdruckstarken Gesang, bis<br />
hin zur druckvollen, authentischen Produktion, bei der<br />
vor allem der Bass so deutlich durchkommt, wie es leider<br />
viel zu selten der Fall ist, präsentieren uns WHITE WIZ-<br />
ZARD ihre Version der NWOBHM. Einziger Wermutstropfen<br />
ist die Tatsache, dass man sich in punkto Arrangements<br />
zuweilen etwas zu offensichtlich bei den „eisernen Jungfrauen“<br />
bedient. Hier wäre etwas mehr Eigeninitiative<br />
wünschenswert, denn die musikalischen Fußstapfen des<br />
DADAJUGEND<br />
Polyform<br />
MCD | Audiolith | audiolith.net | 42:07 || Das nenne<br />
ich doch mal Einsatz und eine volle wie tolle Leistung.<br />
Pralle gefüllt dröhnt mir die neue DADAJUGEND-Maxi-<br />
CD entgegen. Was andere an Spieldauer noch nicht mal<br />
für eine LP zusammenbekommen, wird hier gnadenlos<br />
als Maxi supportet. Okay, ein Song und fünf dazugehörige<br />
Remixe, Versionen, Video und Visionen. Wie auch immer:<br />
Es lohnt sich. Auf jeden Fall wundere ich mich, wie schnell<br />
ich mich auf diesen aktuellen Sound eingetanzt habe. Das<br />
hört sich <strong>von</strong> der reinen Klangästhetik an wie gepimptes<br />
Jugendheim: Italo-Disco, frühes House, wilder Wave und<br />
obskure B-Side-Elektrotechnik für Spinner. Sehr unterhaltsam<br />
und gnadenlos verstrahlt. Der unwiderstehliche<br />
Charme <strong>von</strong> verschmiertem Eyeliner und der süße<br />
Geschmack <strong>von</strong> aufgelecktem Dancefloor-Schweiß. Welche<br />
Pillen muss ich montags nehmen? (7)<br />
BOB BLANK<br />
The Blank Generation –<br />
Blank Tapes NYC 1975-85<br />
CD | Strut/K7 | strut-records.de | 77:04 || Wenn<br />
man über elektronische Musik und speziell über House<br />
oder Clubsounds spricht, wird eigentlich immer die komplette<br />
Palette an Wegbereitern in den Siebziger Jahren vergessen,<br />
und da speziell die Produzenten, die ein Händchen<br />
für frische und aufregende Sounds hatten und das, was<br />
außerdem am nötigsten war: das richtige Equipment. Das<br />
gilt erst recht für Ur-Formen der schwarzen Clubmusik,<br />
also Funk, Soul und „Disco“. Okay, George Clinton kennt<br />
inzwischen jeder, aber wer fällt euch ansonsten noch ein?<br />
Wer hat denn das Detroit-House „erfunden“? Da hört es<br />
schon auf und so ist mir Bob Blank auch erst mit dieser<br />
Zusammenstellung bewusst untergekommen. Wunderbare<br />
fette Bläser und Grooves, die einen überrollen, endlose<br />
Studio54er-Disco-Visionen oder perlender Soul.<br />
Streicher zwitschern verführerisch, extrem luftig, leichte<br />
Melodien und flirrende Gitarren. Natürlich dürfen auch<br />
die obligatorischen Handclaps mit G-Funk-Bass nicht fehlen.<br />
Eine wunderbare Reise quer durch sein Schaffen und<br />
damit immer genau am Puls einer Stadt, die nie schläft. (7)<br />
PHILIPP QUEHENBERGER<br />
Hazard<br />
CD | Laton/Trost | laton.at | 36:24 || Lebendige<br />
Elektronik so und in dieser Güte hinzubekommen, ist<br />
schon eine kleine Meisterleistung, aber dafür ist Mr. Quehenberger<br />
ja auch schon einiges an Weltzeit unterwegs.<br />
Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen beherrscht er die<br />
Technik und nicht umgekehrt. Aus Improvisationen heraus<br />
werden allerhand obskure Soundlabyrinthe auf- und<br />
abgebaut, die eigentlich in ihrer ersten Anlage sehr schlicht<br />
und spröde wirken. Das Magische aber an ihnen ist ihre<br />
unglaubliche Energie und eben die Lebendigkeit, die ja<br />
elektronischer Musik meistens abgesprochen wird. Wahrscheinlich<br />
ist es der menschliche, immer neugierige und<br />
improvisierende Faktor, der einen tiefer und tiefer hineinzieht.<br />
Das ist in etwa so, als würde der Track ins eine Ohr<br />
OX-FANZINE 110<br />
Herrn Dickinson und Kollegen sind bei aller spieltechnischen<br />
Finesse <strong>von</strong> WHITE WIZZARD definitiv zu groß, um<br />
sie würdig ausfüllen zu können. (7) Jens Kirsch<br />
WHOREHOUSE<br />
Execution Of Humanity<br />
CD | Mad Lion/Twilight | madlion.eu | 45:02 ||<br />
Was ist denn im Moment in Polen los? Bay-Area-Thrash<br />
scheint ja gerade hoch im Kurs zu stehen, und neben der<br />
grandiosen VIRGIN SNATCH-LP (okay bis auf den Bandnamen)<br />
ist auch „Execution Of Humanity“ ein beachtliches<br />
Werk im Fahrwasser <strong>von</strong> TESTAMENT und EXODUS<br />
geworden, mit viel Midtempo und Groove, gelegentlich<br />
mal eine Melodie eingestreut und der Gesang genretypisch.<br />
Obige Bands werden aber nicht geblaupaust, sondern ihre<br />
Art und ihr Gefühl übernommen und in durchaus eigene<br />
Ideen gesteckt. Wirklich Neues ist da natürlich nicht zu<br />
erwarten, aber WHOREHOUSE sind grundsolide und als<br />
Alternative zu bekannten Bands durchaus in Betracht zu<br />
ziehen. (6) Dr. Oliver Fröhlich<br />
WILDEBEESTS<br />
The Gnus Of Gnavarone<br />
CD | Dirty Water | dirtywaterclub.com | 38:19 ||<br />
Ein lustiges Wortspiel: Aus dem Buch- und Filmtitel „The<br />
Guns of Navarone“ wird hier die die Verballhornung „The<br />
Gnus Of Gnavarone“ – ein Spaß, der sich auf den Bandnamen<br />
zurückführen lässt, bezeichnet das niederländische<br />
Wort Wildebeest nicht nur ein „wildes Biest“, sondern<br />
ist ein anderes Wort für Gnu. There you go. 1998 erschien<br />
das erste Album der Briten, damals noch auf Sympathy For<br />
The Record Industry, und auf dem neuen Werk, das <strong>von</strong><br />
Jorge <strong>von</strong> DOCTOR EXPLOSION in Spanien aufgenommen<br />
wurde, erweist sich das Trio, bestehend aus John Gibbs<br />
(THE KAISERS, THE MASONICS, Holly Golightly), Lenny<br />
Helsing (THANES, GREEN TELESCOPE) und Russ Wilkins<br />
(POP RIVETS, MILKSHAKES, DELMONAS) erwartungsgemäß<br />
als Traditionalisten im Sinne ihres bisherigen Schaffens.<br />
Das puristische Auflebenlassen <strong>von</strong> Sixties-Garage-<br />
Beat erledigen die Herren genauso professionell wie mitreißend,<br />
brechen die erfreuliche, höchst unterhaltsame<br />
Routine aber auch mal durch eine überraschende Coverversion<br />
auf und würdigen die RAMONES mit einem exzellenten<br />
Cover <strong>von</strong> „I remember you“ – und auch eine psychedelische<br />
Shoegazer-Nummer darf nicht fehlen. Große<br />
Klasse, da die alten Herren hier und da auch mal die<br />
Genre-Grenzen überschreiten. (8) Joachim Hiller<br />
xxx<br />
XENO & OAKLANDER<br />
Sentinelle<br />
CD | Wierd Records | wierdrecords.com | 39:48 ||<br />
Das kleine Label Wierd Records aus Brooklyn, New York,<br />
gehört zum Besten, was die USA in Sachen Cold/Minimal<br />
Wave und Minimal Synth zu bieten hat. Betreiber ist<br />
der New Yorker DJ Pieter Schoolwerth, der seit 2003 die<br />
legendären Wierd Clubnights beschallt. Neben Bands wie<br />
BLACKLIST (in guten Momenten so etwas wie die US-<br />
Ausgabe <strong>von</strong> THE COMSAT ANGELS) zählen das Duo XENO<br />
& OAKLANDER um die Halbfranzösin Liz Wendelbo und<br />
den Amerikaner Sean McBread zu den wirklich außergewöhnlichen<br />
Acts des Labels. Auf ihrem Debütalbum gibt es<br />
wunderbaren sphärischen Achtziger Jahre-Minimal Wave<br />
und moody Electronic Pop, der ab und an so klingt, als<br />
ob das Album 1982 in einem schlecht beleuchteten Berliner<br />
Keller aufgenommen wurde und sie bereits im Vorprogramm<br />
<strong>von</strong> NO MORE gespielt hätten. Die entrückte,<br />
fast elegische Stimme <strong>von</strong> Liz Wendelbo, mit dem Lieblichkeitsfaktor<br />
einer Charlotte Gainsbourgh versehen, harmoniert<br />
mit dem narrativen und trockenen Gesangsstil <strong>von</strong><br />
McBread, wobei beide schon mal auf Französisch singen.<br />
Mitunter klingen die Songs wie eine frankophile und ver-<br />
/WILLKommEN IN DER ELEKTRISchEN ZoNE<br />
eingespeist, und wenn er das Gehirn durch das andere Ohr<br />
wieder verlässt, hinterlässt er nichts außer den sehnsüchtigen<br />
Wunsch, diese Produktion im Dauerbetrieb laufen<br />
zu lassen. Bizarr. Verführerisch. Modern. Düster. Besitzergreifend.<br />
Genial! Eine solch intensive Erfahrung habe<br />
ich bisher nur bei alten THE KLINIK-Veröffentlichungen<br />
gemacht, die <strong>von</strong> der Strukturierung her ähnlich aufgebaut<br />
sind. (10)<br />
CEEPHAX ACID CREW<br />
United Acid Emirates<br />
CD | Planet Mu | planet.mu | 56:12 || Wer ein Herz<br />
für Spinner hat, wird diese Platte lieben. Darf ich mal wieder<br />
die totale Kaufempfehlung aussprechen? Ja – Aaaaaaaaacid!<br />
Kein „War“, sondern einfach nur pralle und glücklich<br />
grinsende Gesichter. Die Musik ist so schön bunt, wirr<br />
und durcheinander, wie es sich gehört. Es britzelt, bratzelt,<br />
knistert und scheppert gehörig aus allen Lautsprechern.<br />
Arme in die Höhe und an der puren, analogen Wunderwelt<br />
reiben. Pling und Plong zu Besuch im Elektriktrick-<br />
Universum. Happy-Hardcore-Gekloppe meets Videospiel.<br />
Schraub‘ mir bitte deinen Multiple-Trig-Out direkt bis in<br />
mein Gehirn. (9)<br />
NOTIC NASTIC<br />
It’s Dark But It‘’s Ok<br />
CD | Shitkatapult | shitkatapult.com | 49:05 ||<br />
Wenn man mit einem Bus durch die Wand fahren will, darf<br />
man nicht mit angezogener Handbremse anfahren, und<br />
wenn man einen Frontalangriff auf das elektronische Leitsystem<br />
startet, sollte man sich nicht nur auf den modernen<br />
Beat verlassen. Reduktion und Konstruktion in allen<br />
Ehren, und ich habe nichts gegen kalte, gebrochene Sounds<br />
und Strukturen, nur irgendwie fühle ich mich gerade wie<br />
bei „Germany’s Next Top Model“: lauter schöne Hüllen, die<br />
hübsch anzuhören und auch ansonsten überlebensfähig<br />
sind, aber nur ein Glamorama veranstalten. Das ist mir zu<br />
viel greller Style und neue digitale Kompression. Da werde<br />
ich nicht <strong>von</strong> alleine heiß, da brauche ich Eiswürfel, damit<br />
die Nippel richtig hart werden. (6)<br />
PASCAL FUHLBRÜGGE<br />
Enthusiasm<br />
CD | Hand11/Indigo | fuhlbruegge.net | 43:08 ||<br />
Vorschusslorbeeren: Gründer des L’Age d’Or Labels und<br />
Mitglied <strong>von</strong> SAND 11. Okay, also irgendwie kein Unbekannter.<br />
Diese Mischung aus Innovationselektronik<br />
und einer sich ständig erweiternden Singer/Songwriter-Begrifflichkeit<br />
ist nicht neu und seit der unbegrenzten<br />
MySpace-Möglichkeit, neue Musik direkt gegenzuhören,<br />
tummeln sich viele auf diesem Schlachtfeld. Pascal<br />
Fuhlbrügge weiß zwar genau, was er da macht, und<br />
sicher auch warum, aber mehr als zusammenhanglose<br />
Skizzen sind das für mich nicht. Eine nette Zusammenstellung<br />
für Entdecker. Das genau ist immer das Problem:<br />
Auf verschiedenen Hochzeiten zu tanzen, ist ein Wunschgedanke<br />
und sicher ist auch das künstlerische Verlangen da,<br />
sich nicht einschränken zu lassen, aber zu welchem Preis?<br />
niedlichte Version <strong>von</strong> DAF. Allerdings sind die Songs oft<br />
einem engen stilistischen Korsett gefangen. (7)<br />
Markus Kolodziej<br />
XIU XIU<br />
Dear God, I Hate Myself<br />
CD | Kill Rock Stars/Cargo | killrockstars.com |<br />
37:09 || Kürzlich bei der Rezension des Albums <strong>von</strong><br />
FORMER GHOSTS, an dem XIU XIUs Kopf Jamie Stewart<br />
maßgeblich beteiligt<br />
war, war ich noch<br />
etwas im Unklaren darüber,<br />
inwieweit man<br />
das mit seiner Hauptband<br />
in Einklang bringen<br />
konnte. Beim Hören<br />
<strong>von</strong> „Dear God, I Hate<br />
Myself“, dem mittlerweile<br />
siebten Longplayer<br />
dieser äußerst seltsamen<br />
Formation aus Kalifornien,<br />
liegen die Parallelen<br />
deutlich auf der<br />
Hand. Kategorisieren kann man XIU XIU nach wie vor<br />
nur sehr schwer. Grundsätzlich sind XIU XIU wohl eine<br />
Popband, die Leuten mit einer recht beschränkten Definition<br />
dieses Begriffes wie eine fürchterliche Missgeburt<br />
erscheinen dürfte, die man am besten im nächsten Wassereimer<br />
ertränkt. Denn vor allem Stewarts Gesang zerrt<br />
an den Nerven, ist der doch eine bewusst schräg klingende<br />
Karikatur <strong>von</strong> Marc Almond, wobei auch die Melodramatik<br />
seiner billig klingende LoFi-Kompositionen viel<br />
mit dem barocken Synthiepop <strong>von</strong> SOFT CELL gemeinsam<br />
hat. Bemerkenswert an dieser oft sehr anstrengenden<br />
„Katzenmusik“ ist, dass sich aus Stewarts Geheule und<br />
dem skurrilen musikalischen Spielzeuginstrumentenland<br />
<strong>von</strong> XIU XIU immer wieder ganz wundervolle Melodien<br />
herausschälen, und man müsste schon taub sein, um<br />
nicht zu erkennen, dass der Typ doch irgendwie ein kleines<br />
Genie ist. XIU XIU ist einfach sympathische Spinnermusik,<br />
Lichtjahre <strong>von</strong> irgendwelchem Massengeschmack entfernt,<br />
ein abseitiger, experimenteller Folk-Elektronik-Pop,<br />
hinter dessen süßlich-naiven Melodien und den filigranen<br />
Arrangements eine extrem subversive Systematik steckt,<br />
auch hinsichtlich <strong>von</strong> Stewarts Texten. (8) <strong>Thomas</strong> Kerpen<br />
ZZZ<br />
ZWAKKELMANN<br />
Kulturbeutel 2010<br />
CD | Rilrec/Broken Silence | rilrec.de | 41:16 ||<br />
ZWAKKELMANN schlägt wieder zu, und das bereits zum<br />
vierten Mal. Das nenne ich mal konsequentes Verfolgen<br />
der eigenen Mission. Aber das Komponieren, Texten, Einstudieren<br />
und Aufnehmen kleiner, feiner Pop-Songs – in<br />
diesem Falle „16 hübsche HiFi-Hits“ – ersetzt nun einmal<br />
wunderbar den überteuerten Psychiater. Und wenn<br />
man sich mit ZWAKKELMANNs Texten wie „Kontrolliertes<br />
Trinken“, „Onanie“ oder „Ja – vielleicht bin ich asozial“<br />
beschäftigt, drängt sich schon der Verdacht auf, dass<br />
dieser <strong>von</strong> Nöten wäre. Aber zum Glück gibt es eben das<br />
Ventil des Musizierens. Was auch noch den Vorteil hat, dass<br />
die Welt da draußen in den Genuss immer wieder wunderbarer<br />
Lieder aus Schlaffkes Feder kommt. Diesmal<br />
unterstützt <strong>von</strong> Schlagzeug und Bass, ist inzwischen endgültig<br />
aus der Ein-Mann-Band ein regelrechtes Rocktrio<br />
geworden, das aber natürlich nach wie vor ganz klar durch<br />
Schlaffkes Handschrift geprägt ist. So kommen nicht nur<br />
alte SCHLIESSMUSKEL-Fans auf ihre Kosten, sondern auch<br />
jeder Mensch mit seinem Herz am richtigen Fleck, denn<br />
etwas Herzliches, Zerbrechliches und durch und durch<br />
Menschliches umgibt jeden einzelnen Song <strong>von</strong> „Kulturbeutel<br />
2010“. (9) Abel Gebhardt<br />
Der Versuch, irgendwas einfach mal ganz bewusst zu verpassen,<br />
scheint für viele Musiker oder Kreative nicht mehr<br />
attraktiv zu sein. Stattdessen Stagnation in alle Richtungen.<br />
Wann findet endlich die eine erfolgreiche Gehirnimplosion<br />
statt? (5)<br />
KONRAD SPRENGER<br />
Versprochen<br />
CD | Schoolmap/A-Musik | schoolmap-records.<br />
com | 35:45 || Komponisten haben es in der heutigen<br />
Zeit sehr schwer. Da sitzen sie jahrelang in ihren Studios<br />
und basteln so lange an ihren Aufnahmen herum, bis auch<br />
wirklich jedes Detail so ist, wie sie es wollen, und dann<br />
wird die Platte endlich auf edlem Vinyl und in einer 300er<br />
Auflage <strong>von</strong> einem italienischen Label veröffentlicht und<br />
der Rezensent hat nix Besseres zu tun, als sich in der Nase<br />
zu popeln, gleichzeitig seine Wäsche zu falten und auch<br />
noch eMails zu beantworten. Begeisterung sieht anders aus.<br />
Aber was soll ich machen, rein gar nichts inspiriert mich<br />
zu einem Höhenflug oder auf der anderen Seite zum Veriss.<br />
Die Platte kommt einfach 40 Jahre zu spät. Ein bisschen<br />
<strong>von</strong> allem. Zögernd. Unentschlossen. Brillant. Kristallklar.<br />
Durchproduziert. Die neue CLUSTER kommt mir in<br />
den Sinn. Ansatzweise. Nur der entscheidende Funke fehlt.<br />
Mögen andere ihn finden und weitertragen. Ich werde sie<br />
nicht aufhalten. Versprochen. (6)<br />
BRATZE<br />
Korrektur nach unten<br />
& die Notwendigkeit einer Übersetzung<br />
CD | Audiolith | audiolith.net | 39:34 || Was soll<br />
man bei so einem entwaffnenden Titel noch denken,<br />
schreiben oder mehr wollen? Da erliegt man doch lieber<br />
gleich dem Charme <strong>von</strong> CLICKCLICKDECKER und<br />
DER TANTE RENATE, die mit ihrem neuen Album gleich<br />
einen kompletten Überblick über die aktuelle Möglichkeiten<br />
des deutschen E-Clash geben. „Erwachsen“ sind sie<br />
geworden, hört sich doch eher spießig an und das wollen<br />
wir garantiert nicht sein. „Reifer“ (?). Okay, das ist eine<br />
nette Umschreibung für Weiterentwicklung und austoben<br />
werden sie sich sicher wieder auf der anstehenden<br />
Tour. Die Produktion ist angenehm und glasklar durchkonzipiert.<br />
Ecken, Eigenwilligkeiten und Kanten sind weiterhin<br />
vorhanden und an den passenden Stellen wohlplatziert.<br />
Hochklassig. Erstklassig. Ausgewogenheit. Präferenzklasse.<br />
(8)<br />
MASAYOSHI FUJITA & JAN JELINEK<br />
Bird, Lake, Objects<br />
LP | Faitiche | faitiche.de || Ein präpariertes Vibraphon<br />
ist wohl auch nicht eines der handelsüblichen Klangerzeuger<br />
und der Japaner Masayoshi Fujita, übrigens<br />
bekennender BON JOVI-Fan, spielt es mit Bravour. Begleitet<br />
wird er sehr zurückhaltend <strong>von</strong> Jan Jelinek mit ausgewählter<br />
Live-Elektronik. Überhaupt ist hier alles sehr<br />
lebendig und unwiderruflich dokumentiert. Raummikrofone<br />
fingen jede Bewegung, jede Aktion dieses Duos<br />
ein und natürlich auch alle Nebengeräusche. Was elektronisch<br />
erzeugt wurde und was auf dem schon angesproche-<br />
ZU<br />
The Way Of The Animal Powers<br />
LP | Public Guilt | publicguilt.com || Endlich<br />
erscheint dieses längst vergriffene Album in einer Luxusversion<br />
auf dem sympathischen Label Public Guilt. Im<br />
Jahre 2005 auf Xeng veröffentlicht, war es in Handumdrehen<br />
vergriffen. Das Spektrum der enthaltenen metalisch<br />
jazzigen Improvisationen der drei Römer erstreckt sich<br />
<strong>von</strong> treibend bis düster, <strong>von</strong> progressiv bis aggressiv, aber<br />
immer mit einer großen unterschwelligen Portion Humor.<br />
ZU sind selten allein auf ihren Tonträgern anzutreffen, so<br />
reihen sich Gäste wie NO MEANS NO, Mats Gustafsson,<br />
Peter Brötzmann, Nobukazu Takemura, Ken Vandermark,<br />
THE MELVINS oder Mike Patton in eine gediegene Riege<br />
an Spielpartnern ein. Auf diesem Album wird die Combo<br />
ergänzt <strong>von</strong> dem Cellisten Fred Lonberg-Holm, welcher<br />
bereits mit Anthony Braxtons CREATIVE ORCHESTRA<br />
oder John Zorn auf der Bühne stand. Den finalen Schliff<br />
erhält dieses Prachtstück durch Produzent und Tonmaître<br />
James Plotkin, der soundtechnisch untrennbar mit SUNN<br />
O))), ISIS, PELICAN und EARTH verwoben ist und unter<br />
anderem für Mick Harris’ SCORN in die Saiten und Trickkisten<br />
greift. Sein Schaffen verdeutlicht sich eindrucksvoll,<br />
wenn man sich dieses gute Stück über Kopfhörer einverleibt.<br />
Dieses Album erscheint in Form einer 180 Gramm<br />
Langspielplatte, in schwarz/weiß gemischtem Vinyl. (10)<br />
JeNnY Kracht<br />
ZOO<br />
Trilogi Peradaban<br />
CD | Dual Plover/Metamkine | dualplover.com ||<br />
Im ersten Moment habe ich den Eindruck, den Jungs aus<br />
Indonesien würde eine Runde Baldrian im morgendlichen<br />
Tee verdammt gut tun. Hektisches Gekreische, dissonantes<br />
Geflöte und schiefes Gefiedel trifft auf ein herrlich<br />
chaotisches Schlagzeuggeknüppel. Dabei verbinden sie<br />
ihre Punkrock-Wurzeln mit traditionellen indonesischen<br />
Musiksequenzen, experimentellem Math-Rock, Lo-Fi,<br />
Noise und Neofolk. MELT BANANA und MR BUNGLE tanzen<br />
mit den RUINS indonesische Volkstänze. Hoffentlich<br />
kommen die Jungs mal auf Tour. (8) JeNnY Kracht<br />
ZENI GEVA<br />
Alive And Rising<br />
CD | Hello From The Gutter | kknull.com | 52:47 ||<br />
Aus dem Deutschen stammende Fremd- oder Lehnwörter<br />
in anderen Sprachen finde ich immer höchst interessant,<br />
vor allem wenn man darüber spekuliert, warum es in<br />
der jeweiligen Sprache kein eigenes Wort dafür gibt – man<br />
nehme nur „angst“ im Englischen. Genauso interessant ist<br />
„Geva“ im Japanischen, das auf das deutsche Wort „Gewalt“<br />
zurückgeht. „Zeni“ übrigens bedeutet „Geld“. ZENI GEVA<br />
wiederum gibt es schon seit 1987, als Bandmastermind KK<br />
Null die Formation in Tokyo ins Leben rief. Seitdem veröffentlichen<br />
sie regelmäßig Alben, und im Gegensatz zu vielen<br />
Landsleuten tun sie das auch im Ausland, können auf<br />
Releases auf Alternative Tentacles und Skin Graft verweisen.<br />
Speziell waren die Musik und die Konzerte <strong>von</strong> ZENI GEVA<br />
schon immer (im Frühjahr 2010 steht mal wieder eine<br />
Deutschland-Tour an): Ein massiver Angriff auf die Sinne,<br />
eine anstrengende Mixtur aus Hardcore-Blasts, metallischen<br />
Riffs, komplexem Schlagzeugspiel und und jazziger<br />
Verspieltheit. Eigentlich seltsam, dass diese Musik sich eher<br />
bei Experimental-Fans und Moers-Festival-Besuchern<br />
einer gewissen Beliebtheit erfreut als bei jenen, die DIL-<br />
LINGER ESCAPE PLAN und ähnliche Mathcore-Chaoten<br />
abfeiern, obwohl die Parallelen doch unverkennbar sind.<br />
Anderseits wissen Liebhaber der mit ZENI GEVA auch personell<br />
hier und da verbundenen BOREDOMS und RUINS<br />
die Soundeskapaden <strong>von</strong> KK Null zu schätzen, denen man<br />
im Falle dieses Livealbums anhand <strong>von</strong> Mitschnitten aus<br />
Kobe und Kyoto im September 2009 folgen kann. Anstrengend,<br />
aber wie sagt man so schön? No pain, no gain. (7)<br />
Joachim Hiller<br />
nen, ähnlich dem bekannten präparierten Klavier (man<br />
nehme: Schrauben, Pappe, Klebeband, Metall, Stöcke und<br />
Ähnliches) bearbeiteten Vibraphon, lässt sich nicht wirklich<br />
herauszuhören. Natürlich werden die wunderschönen,<br />
leicht flirrenden, schwebenden und zerbrechlichen<br />
Klänge sofort diesem Instrument zugeordnet, aber wer<br />
weiß? So manchen fremdartig gebrochenen und perkussiven<br />
Klang würde ich dem auch zuordnen. Es ist wie immer<br />
und eigentlich ganz egal. Die Stimmung ist einmalig und<br />
nimmt den Hörer direkt gefangen, wenn er die Konzentration<br />
und Ruhe dazu hat. Sicher keine Musik für Nebenbei,<br />
sondern man sollte sich schon Zeit nehmen und zum<br />
bewussten Hören zurückkehren wollen. (7)<br />
VEX’D<br />
Cloud Seed<br />
CD | Planet Mu/Groove Attack | planet.mu | 59:26<br />
|| Erste Assoziation: In einer alten Schwarz/Weiß-Kulisse<br />
<strong>von</strong> David Lynch wird ein endloser Progressiv-Rave gestartet<br />
und Björk gibt die MC. Verhallte und verschmierte, extrem<br />
morbide-düstere Klanglandschaften werden <strong>von</strong> verdrehten<br />
und verzerrten Rhythmusgittern durchdrungen.<br />
Selektion. Reduktion. Vivisektionen. Kalt bis auf<br />
die Knochen, aber immer noch unsicher bei der mühsamen<br />
Wanderung durch die Antimaterie. Der Cyberspace<br />
kurz vor dem Blackout. Martialisch, funktional und berechenbar.<br />
Aussterbende Industrieromantik. Ein wichtiger<br />
Schritt, aber eben nur ein wiederhergestellter Übergang.<br />
Immer noch mehr <strong>von</strong> dieser Energie in den Maschinenraum<br />
pumpen! Wahrscheinlich sind sie sich, wie so oft, der<br />
Anfänge noch nicht einmal bewusst. Wir müssen nur wieder<br />
beginnen, die jungen, gierigen Hunde zu füttern, und<br />
schon liegt das Neuland wieder offen vor uns. It’s Time For<br />
Da Second Edition Ov Da Industrial Revolution! (8)<br />
MINAMO<br />
Durée<br />
CD | 12k/A-Musik | 12k.com | 45:17 || Das Verlangen,<br />
klassische, akustische Instrumente mit puren elektronischen<br />
Klängen zu verbinden, ist schon immer das Bestreben<br />
innovativer Künstler gewesen und sei es nur, um eine<br />
grenzenlose Klangvielfalt und Ausdrucksmöglichkeiten<br />
zu haben. In Japan hat man sich dieser Sache sehr intensiv<br />
gewidmet und ein Label wie Noble mit seinen Veröffentlichungen<br />
stellt wohl das Optimum dar, was zur Zeit<br />
möglich ist. Natürlich gibt es zu jeder Bewegung auch<br />
Bands/Projekte, die die Position <strong>von</strong> „Vorreitern“ inne<br />
haben, so wie hier MINAMO, die schon im letzten Jahrtausend<br />
damit begannen, diese musikalische Idee konsequent<br />
umzusetzen ständig weiterzuentwickeln. Da fast alle<br />
Tracks live eingespielt wurden und auf Improvisationen<br />
beruhen, gibt es natürlich auch einige hörbare Schwächen<br />
und eher langweilige, zähe Passagen ,die mit nichts sagenden<br />
Standards aufgefüllt und überbrückt werden. Insgesamt<br />
also eher eine durchwachsene Angelegenheit, die nur<br />
Leuten zu empfehlen ist, die sich eingehender mit diesem<br />
Stil beschäftigen oder beschäftigen möchten. (6)<br />
Carsten Vollmer
VA- Appetite For Deconstruction!<br />
(2004/2005) / DVD / DestinyRec.<br />
KAFKAS - Paula / CD / Domcore<br />
THE MOVEMENT -<br />
Revolutionary Sympathies / Destiny Rec.<br />
ZWAKKELMANN<br />
Kulturbeutel 2010 / CD / RilRec<br />
NÖTIGUNG<br />
Bunkersinfonien In Arsch Voll<br />
CD / Impact<br />
EGOTRONIC - Ausflug Mit Freunden<br />
CD / LP+CD / Audiolith<br />
ADOLAR - Schwörende Seen, Ihr Schick-<br />
salsjahre / CD / LP / unterm durchschnitt<br />
RIOT BRIGADE<br />
Go On! / CD / LP / Concrete Jungle Rec.<br />
HÖRINFARKT - Popp- Und Blasmusik<br />
CD / Puke Music<br />
BRATZE - Korrektur Nach Unten<br />
CD / LP+CD / Audiolith<br />
KARATE DISCO - Discostress<br />
CD / LP / RilRec<br />
THE LAZY BOYS<br />
Shadows / CD / Part Rec.<br />
AUXES - Ichkannnichtmehr<br />
CD / LP+Downl. / Gunner Rec.<br />
THE TITTY TWISTERS ORCHESTRA<br />
Gorf Pow Bang Tump! / CD / LP /Soundflat<br />
JAMES CHANCE & TERMINAL CITY<br />
The Fix Is In / CD+DVD / CD / Le Son du Maquis<br />
NINJA GUN - Restless Rubes<br />
CD / LP+Downl. / Gunner Rec.<br />
TRIBUTE TO NOTHING - How Many Times<br />
Did We Live? / CD / Destiny Rec.<br />
RASTA KNAST - Die Katze Beißt In Draht<br />
CD / Destiny Rec.<br />
CRAZY ARM - Born To Ruin<br />
CD / LP+Downl. / Gunner Rec.<br />
ASHES OF A LIFETIME - When All Goes<br />
Up In Flames / CD / European Label Group<br />
rEvIEws<br />
OX-FANZINE 111
Reviews<br />
FANZINEMACHER!<br />
Schickt uns eure Hefte zum Besprechen! Im Tausch schicken wir euch natürlich das Ox. Also ab in die Post mit eurem Meister-<br />
oder auch Machwerk: Ox-Fanzine, Postfach 110420, 42664 Solingen<br />
ALLEINER THREAT<br />
Zine | mikareckinnen@gmx.de | alleinerthreat.<br />
blogsport.de | A6, 64 S., 1 Euro + Porto || Ein neues Egozine<br />
im Hosentaschenquerformat stammt <strong>von</strong> Mika Reckinnen,<br />
der lange Zeit das Strafraumpogo-Zine gemacht<br />
sowie schon für etliche andere Fanzines geschrieben hat,<br />
vom Drachenmädchen über Plastic Bomb bis zum Trust,<br />
vor allem aber den Pankerknacker. Inhaltlich geht es in der<br />
ersten Ausgabe hauptsächlich um den Umgang mit geistigen<br />
Eigentumsrechten, wobei er sich im ersten Beitrag<br />
(„Das Ox zum Berge führen“) auf eine Kolumne <strong>von</strong> Joachim<br />
Hiller in Ox #82 bezieht und dabei – trotz scharfer<br />
Kritik – angenehm sachlich bleibt, im Unterschied zu<br />
seinem Fanzine-Kollegen „Stefan Stiletti“ im Pankerknacker,<br />
<strong>von</strong> dem sich Mika hier aber nur drei Fragen zur eigenen<br />
Person stellen lässt. In „Die Musikindustrie und die<br />
Verfolgung ihrer Kunden/innen“ und „Those Major Punks<br />
are Mysterious“ geht es wieder um das Schwerpunktthema.<br />
Mikas wahre Stärke aber ist die Short-Story, etwa seine<br />
Vision einer nahen Zukunft in „Patentierter Gewinner“<br />
oder der U-Bahn-Horror „Als Hitler geht Gott an Karneval“.<br />
Außer einigen Konzert- und Alltagsfotos aus Thailand<br />
und den Philippinen gibt es dann noch zwei Rubriken:<br />
Live-Berichte aus dem Großraum Essen sowie die Fanzine-<br />
Reviews. Okay, das ist Punkrock 2010. Ute Borchardt<br />
HUMAN PARASIT #9<br />
Zine | Philipp Bäppler, Norderstr. 35, 24939 Flensburg |<br />
humanparasit.blogspot.com | A5, 60 S., 2 Euro (inkl. MC<br />
4,-) || „Chaos, Panik, Tohuwabohu ...“Am letzten Aprilwochenende<br />
veranstaltet Bäppi ein dreitägiges Punk-Festival<br />
im Flensburger Hafermarkt, angekündigt sind „10<br />
Ausgaben Human Parasit Fanzine – 20 Kisten Freibier –<br />
30 Jahre Bäppi“. Vor der Jubiläumsausgabe, die es exklusiv<br />
bei dem Festival geben soll, musste natürlich erst HP #9<br />
erscheinen und wahrscheinlich ist das Heft deswegen ein<br />
kleines bisschen dünner ausgefallen. Genug ist trotzdem<br />
drin, zum Beispiel lange Interviews mit Niklas, dem Sänger<br />
<strong>von</strong> ALERT aus Kiel, und Clara <strong>von</strong> der schwedischen All-<br />
Girl-Band BEYOND PINK, die auch beide beim HP-Fest<br />
auftreten werden. Erfahrungen anderer Veranstalter sind da<br />
natürlich nicht uninteressant, zu Wort kommen daher Bollo/Break<br />
The Silence Festival und Jens <strong>von</strong> der Destruction<br />
Crew, eine Konzertgruppe in der Alten Meierei Kiel. Viel zu<br />
erzählen hat auch Micha, „Ururalt-Punk“ aus Hannover,<br />
etwa über die Chaostage, WOHLSTANDSMÜLL, Nasty Vinyl,<br />
„Höhnblöd“ und – die Bäckerehre. Ach ja, Bäppi wird<br />
jetzt Bäcker und somit „ein Eckpfeiler der Gesellschaft“,<br />
was ihm beim Quizshow-Casting leider auch nicht geholfen<br />
hat, aber die Story ist ein echtes Highlight. Statt also<br />
bei Pilawa aufzutreten, veranstaltet Bäppi hier sein eigenes<br />
Quiz, Hauptgewinn: Human Parasit #10, denn „... der Parasit<br />
bist du!“ Ute Borchardt<br />
IN THE STREETS OF HAMBURG #9<br />
Zine | Fanladen FC St. Pauli | streetsofHH@yahoo.de |<br />
A5, 66 S., 1 Euro || Ausgabe #9 des Fanzines der St. Pauli<br />
Skinheads: inhaltlich eine runde Sache, mit vielen Berichten<br />
über Fußball und Musik, die uns Kurzhaarigen am Herzen<br />
liegt. Gegenkultur wird hier groß geschrieben, allerdings<br />
kann ich mit dem meisten Zeug nix anfangen, denn<br />
Fanzines im Portrait, teil 1<br />
PunKrocK!<br />
Die erste Nummer des Mannheimer Fanzines erschien<br />
2005. Gegründet wurde das Heft <strong>von</strong> Bocky,<br />
zuvor Pogopresse, und Oli Obnoxious und<br />
Richard, zuvor Punkrock Guide. Heute wird das<br />
Heft gemacht <strong>von</strong> Bocky, Oli Obnoxious und<br />
Dennis Degenerate. Die bevorzugten Stilrichtungen:<br />
Streetpunk, Anarcho-Punk, Hardcore,<br />
und etwas Oi! – aber eigentlich alles, was sich mit<br />
Punk in Verbindung bringen lässt.<br />
Was mich seit gut zehn Jahren antreibt, Fanzines<br />
herauszubringen, ist wohl derselbe Grund, weshalb<br />
andere Leute eine Band gründen. Aber da ich<br />
eben zu schlecht an einem Instrument bin, habe<br />
ich mich für den Stift und die Tastatur entschieden.<br />
Doch nicht nur deshalb, sondern weil Schreiben<br />
das Medium ist, in dem ich mich am besten<br />
ausdrücken kann. Zudem verstehe ich dieses<br />
halbwegs kreative Nach-außen-Gehen als unglaubliche<br />
Bereicherung und extrem hilfreich<br />
für eine Art der persönlichen Weiterentwick-<br />
OX-FANZiNe 112<br />
der FC St. Pauli ist nicht mein Club und geht mir heftigst<br />
am Allerwertesten vorbei. Als Rautenträger schlägt mein<br />
Herz für den anderen Verein in Hamburg. In Sachen Musik<br />
sieht es da anders aus, denn mit dem SHAM 69 vs. 4<br />
SKINS ist eine richtig gelungene Kolumne am Start, und<br />
die Berichte über GONNA GET YOURS und PRODUZEN-<br />
TEN DER FROIDE stimmen mich versöhnlich. Gute Bands<br />
! Also, wer auf Bootboy-Fanzines und Fußball steht, sollte<br />
zugreifen. Ich halte es da frei nach Mark Twain: „Bevor ich<br />
die Leute, die mich hassen, liebe, fange ich lieber an, meine<br />
Freunde besser zu behandeln.“ – Hart & Smart.<br />
Sebastian Walkenhorst<br />
MONKEY BUSINESS #3<br />
Zine | Brigade Nord 1516 c/o Jörn Drees, Hellkamp 13,<br />
20255 Hamburg | BN1516@gmx.de | A5, 76 S. || Beim<br />
ersten Heft ging’s um den Klassenerhalt des VfL Osnabrück<br />
in der zweiten Fußballbundesliga. Der Fußballgott hatte<br />
kein Erbarmen und sagte sich „Lass’ die in der kommenden<br />
Saison in der dritten Liga verweilen und dann mal sehen,<br />
ob die Mannschaft und die Fans das Zeug für den Wiederaufstieg<br />
haben.“ Derzeit sieht es gar nicht schlecht aus,<br />
der Verein bewegt sich immer in der Aufstiegszone. Also<br />
mal sehen, auf welchem Tabellenplatz man am Ende der<br />
Saison steht. Bis dahin kann man sich das Fußball-Fanzine<br />
des Fanclubs Brigade Nord 1516 zu Gemüte führen. Neben<br />
diversen Auswärts- und Heimspielbesprechungen des VfL<br />
gibt es wieder Konzertberichte und Tonträgerbesprechungen<br />
und einige Insiderinfos in Sachen Fußball- und Fankultur,<br />
gemäß dem Motto: Fußball muss dreckig bleiben<br />
für den fußballbegeisterte Punk und Skin. Und auch dieses<br />
Mal gilt es Daumendrücken für den VfL Osnabrück, dass es<br />
mindestens der Relegationsplatz um den Aufstieg wird. In<br />
der Saison 2010/2011 sehen wir uns wieder in der zweiten<br />
Bundesliga! Simon Brunner<br />
PROUD TO BE PUNK #13<br />
Zine | Jan Sobe, Stockartstr. 15HH, 04277 Leipzig | jan.<br />
sobe@t-online.de | A5, 80 S., 1,50 Euro + Porto || „Punk<br />
is resistance“ steht hier fett auf der Rückseite, und also per<br />
se politisch, ansonsten wäre es wohl kaum etwas, auf das<br />
einer wie der Jan aus Leipzig stolz sein könnte. Ein hoher<br />
Anspruch geht oft mit Enttäuschungen einher, da ist verständlich,<br />
dass Jan manchmal Lust hätte, die Brocken einfach<br />
hinzuwerfen – stattdessen ist sein Fanzine schon wieder<br />
eine ganze Ecke umfangreicher geworden. 80 engbedruckte<br />
Seiten und keine Inhaltsangabe, es ist ein bisschen<br />
wie eine Wundertüte, und immer wenn ich es aufschlage,<br />
gibt es etwas anderes zu entdecken: hier das lange<br />
Interview mit den Machern des Luzerner Romp-Fanzines,<br />
dort die Vorstellung einer überregionalen Kampagne<br />
„Wir bleiben alle!“ mit dem Ziel, selbstorganisierte Räume<br />
zu erkämpfen und verteidigen, dann der wie üblich überraschend<br />
umfangreiche Sachsen-Szene-Report. Und immer<br />
wieder das A im Kreis – ob im Gespräch mit dem AutorInnenkollektiv<br />
<strong>von</strong> „Libertad para todos“, einem „Medium<br />
Thüringer AnarchistInnen“, oder der Band STURZ-<br />
FLUG und ihr „Anarchist Raw Punk Terror“. Ausführlich<br />
vorgestellt werden auch die israelischen Aktivisten „Anarchists<br />
Against The Wall“, dazu passend an anderer Stelle die<br />
Filmdoku „Jericho’s Echo – Punk Rock in the Holy Land“<br />
lung. Durch das ständige Angetriebensein, Dinge<br />
und/oder Tatsachen offensiv nachzufragen oder<br />
zu hinterfragen, eröffnen sich oft viele verschiedene<br />
Sichtweisen. Dadurch entwickeln sich gefestigte<br />
Meinungen, können aber solche auch gerne<br />
mal wieder ins Wanken bringen. So verarbeitet<br />
jeder unserer Schreiber seine Gedanken, Gefühle<br />
und Erlebtes in Texten oder Interviews. Dieser<br />
Mix ist ein Punkt, der meiner Meinung nach unser<br />
Fanzine ausmacht.<br />
Wir sind kein reines Musik-Fanzine, obwohl dieser<br />
Teil den überwiegenden Platz einnimmt. Wir<br />
achten darauf, dass wir nicht nur Bands präsentieren,<br />
die wir klasse finden. Mindestens genauso<br />
wichtig ist es uns aufzuzeigen, dass es neben der<br />
großen Leidenschaft zur Musik noch bedeutend<br />
mehr zu entdecken gibt. Da kommt dann gerne<br />
mal ein Zeichner oder Filmemacher zu Wort,<br />
ebenso gerne werden Wohnalternativen, kulturelle<br />
Projekte oder Personen vorgestellt, die nicht<br />
auf den ersten Blick Punkrock sind. Ich persönlich<br />
definiere Punk als eigenständige Kultur, die<br />
sich leider viel zu oft an der vorherrschenden<br />
Kultur orientiert und diese anprangert, anstatt<br />
selbst was auf die Beine zu stellen, um damit eine<br />
Alternative anzubieten. Punk bedeutet für mich,<br />
eine eigene Kultur zu schaffen und diese mit<br />
möglichst wenigen Kompromissen abseits dieses<br />
schrägen Systems zu leben. Um es noch einmal zu<br />
verdeutlichen: Punk ist für mich keine Gegenkultur,<br />
sondern schlicht eine andere Kultur!<br />
Ein weiterer Teilaspekt, der das Punkrock!-Fanzine<br />
ausmacht ist die Qualität der ausgewählten<br />
Themen. Diese finde ich im Informationsoverkill<br />
des Internetzeitalters extrem wichtig. Damit<br />
behaupte ich einfach mal, dass wir essentielle<br />
Berichte für unsere Subkultur machen. Das<br />
meiste darüber hinaus ist einfach bloß Masse und<br />
hat wahrscheinlich alles, bloß keine Klasse. Diese<br />
Aussage ist ganz bewusst provozierend und kontrovers,<br />
womit wir bei einem weiteren ganz wichtigen<br />
Teil unseres Fanzines sind: Wir hauen auf die<br />
Kacke, treten gerne verbal in die Eier und fühlen<br />
mit Alufolie auf verplombte Zähne. Denn nichts<br />
ist langweiliger als eine nüchterne Berichterstattung.<br />
Und da es keine Objektivität gibt, ziehen wir<br />
liebreizender Diplomatie den blutverschmierten<br />
Baseballschläger vor! Unser Heft steht ebenso für<br />
Unverbohrtheit und dennoch Ernsthaftigkeit wie<br />
für heitere Ausgelassenheit und die Unterstützung<br />
des D.I.Y.-Gedankens.<br />
Bocky punkrock-fanzine.de<br />
... Angemerkt sei noch, dass sich Jan bei alldem hier nun<br />
keinesfalls zum Szenepolizisten aufspielt, was nicht zuletzt<br />
sein Artikel „Political Correctness – Fluch oder Segen?“ beweist.<br />
Ute Borchardt<br />
PLASTIC BOMB #70<br />
Zine+CD | plastic-bomb.de | A4, 80 S., 3,50 Euro || Der<br />
Herr auf dem Cover, der nur ab unterhalb der Brust abgebildet<br />
ist und dessen haarige Beine aus knappen Shorts<br />
ragen, macht deutlich, worum es in einem Heft-Special<br />
geht: Um schwule Punks, um „Gay Punks“. Ein interessantes<br />
Thema, fallen Sätze wie „Ey, bist du schwul oder was?!“<br />
oder „Du Schwuchtel“ doch auch unter Punks in klar abfällig<br />
gemeinter Weise. Gleich am Anfang aber geht es um<br />
das Kennenlernportal „Abgefuckt liebt Dich!“, das ein<br />
durchaus interessantes Phänomen darstellt, bevor zu TE-<br />
LEMARK umgeschaltet wird, gefolgt <strong>von</strong> DISTEMPER und<br />
MOSKOVSKAYA im Doppelpack. OI POLLOI haben fürs PB<br />
ihre Tourerlebnisse protokolliert, MDC kommen mal wieder<br />
zu Wort, die Hardcore-Band OVERKILL FOR PROFIT<br />
erzählt über das Leben in Aserbaidschan (Timur bleibt vorsichtig,<br />
denn die Regierung liest mit ...), und Ronja fügt<br />
der „Herstory of Punk“-Serie mit Lizal <strong>von</strong> den DORKS<br />
aus Bayern eine weitere Folge hinzu. Inhaltlich wie immer<br />
eine bunte, sehr interessante Mischung, die unter dem in<br />
letzter Zeit wieder sehr chaotisch gewordenen Layout leidet.<br />
Joachim Hiller<br />
PUNKROCK! #11<br />
Zine | punkrock-fanzine.de | P.O. Box 10 05 23, 68005<br />
Mannheim | A5, 100 S., 3 Euro || Auch die elfte Ausgabe<br />
<strong>von</strong> Bockys Heft ist sehr lesenswert und unterhaltsam<br />
– und das fängt schon bei Bockys Kolumne an, in der er<br />
die Scheinheiligkeit <strong>von</strong> Pankerkacker-Kollege Stefan Uhl<br />
sowie <strong>von</strong> Ben und ANR Records thematisiert, was ihre<br />
„Holier than thou“-Attitüde im Umgang mit der so genannten<br />
„Grauzone“ anbelangt. Klare, aber unpolemische<br />
Worte, auf die der Pankerknacker-Mann nur mit stumpfem<br />
verbalem bzw. illustratorischem Hooliganismus zu reagieren<br />
wusste. Lesenswert: Der Australien-Tourbericht der<br />
SPERMBIRDS, die Lied-für-Lied-Kommentierung ihres<br />
Albums seitens EISENPIMMEL, Grundsätzliches in Sachen<br />
Skinhead-Kult, Chuck Ragan wurde ausgefragt, eine, die es<br />
wissen muss, berichtet vom Überlebenskampf der Kreuzberger<br />
Institution SO36, und es gibt Nachdenkliches zum<br />
Ende <strong>von</strong> MUFF POTTER. Dazu die Standards: Liveberichte,<br />
Fanzine-, Buch- und Plattenreviews, allesamt kompetent<br />
und scharfzüngig. Positiv auch das klare, aufgeräumte Layout.<br />
Joachim Hiller<br />
PANKERKNACKER #23<br />
Zine || Kleiner Geist plus großes Ego ergeben in der Summe<br />
null. Joachim Hiller<br />
STADTMANDAT #3<br />
Zine | stadtmandat-ol@web.de | A5, 56 S., 1,45 Euro +<br />
Porto || Böller beschreibt in seinem Egozine seine ganz<br />
eigenen Eindrücke <strong>von</strong> seiner Stadt Oldenburg. Oldenburg?<br />
Was fällt mir zur Stadt Oldenburg ein ... Das lässt sich jetzt<br />
also ändern, indem wir uns der Impressionen Böllers annehmen.<br />
Der erste Schwerpunkt in dieser Ausgabe ist das<br />
16. internationale Filmfestival. Da es dort außerdem seit<br />
Jahren einmal wieder zu einer Hausbesetzung kam, wird<br />
ein kleiner Exkurs in die Hausbesetzerszene Deutschlands<br />
gewagt, allerdings meiner Meinung nach sehr oberflächlich.<br />
Und dann gibt es auch noch den VfB Oldenburg, der<br />
Fanzine-KlassiKer im Portrait, teil 1<br />
THinK!?!<br />
fanzines<br />
sich in der Oberliga Niedersachsen-West durchaus einer<br />
aktiven und intakten Fan-Szene erfreuen darf. Der Verein<br />
lugt bereits seit zwei Jahren Richtung Regionalliga, hat den<br />
Sprung in der Relegation immer ganz knapp verpasst. In<br />
diesem Zusammenhang ist der Artikel über Fußball und<br />
Antirassismus vom Bündnis aktiver Fußballfans (B.A.F.F.)<br />
sehr interessant. Musik spielt im Stadtmandat nicht so die<br />
bedeutende Rolle, dennoch ist Böller aber in der Reihe<br />
über Oldenburger Musikgeschichte – in dieser Ausgabe mit<br />
Lutz Pruditsch (Trümmer Kassetten Label/RUDOLFS RA-<br />
CHE) – ein ausgezeichneter Beitrag gelungen. Informatives<br />
Heftchen! Simon Brunner<br />
TRUST #140<br />
Zine | Trust, Postfach 11 07 62 28087 Bremen | trust-zine.de<br />
| A4, 68 S., 2,50 Euro || Nachdem das Boardstein-<br />
Magazin als letzte gedruckte Klammer zwischen Punkrock<br />
und Skateboardfahren mit der Einstellung des Magazins<br />
weggefallen ist, versucht das Trust mit dem aus dem Englischen<br />
übersetzten Artikel <strong>von</strong> David Ensminger diese Verbindung<br />
wieder in Erinnerung zu rufen. Durchaus interessant,<br />
aber neue Erkenntnisse habe ich auch nicht gewonnen.<br />
RITUAL werden interviewt, ebenso NUNSLAUGH-<br />
TER. LIMP WRIST und MAGRUDERGRIND, die Ende der<br />
Achtziger gegründeten Schwarzwald-Grinder CORROSI-<br />
VE, und Rev. Norb <strong>von</strong> BORIS THE SPRINKLER wude auch<br />
ausgegraben, doch irgendwie ist das Interview zwar lang,<br />
aber der „Relevanzfaktor“ ist dann doch eher gering. Das<br />
noch recht neue Label Cobra Records wird vorgestellt, gefolgt<br />
<strong>von</strong> der Reviewstrecke, in der sich eine Frei-Anzeige<br />
für das christlich-fundamentalistische Kinderhilfswerk<br />
World Vision versteckt – ein Versehen des Layouters, wie<br />
Dolf eingesteht. Joachim Hiller<br />
UNDERDOG # 31<br />
Zine+CD | Fred Spenner, Narzissenweg 21, 27793 Wildeshausen<br />
| underdogfanzine.de | A5, 76 S., 2,50 Euro +<br />
0,85 Porto || Im Underdog ist alles feinsäuberlich nach<br />
Rubriken sortiert. Nach dem Vorwort gibt es zum Einstieg<br />
ein paar gute, aber vielleicht nicht ernst gemeinte<br />
Ratschläge, wie man am besten die Polizei verarscht – jedenfalls<br />
mit ausgesuchter Höflichkeit. Nach ein paar Seiten<br />
mit News und Gerüchten finden sich die Kolumnen,<br />
kurze und längere, so verschieden wie ihre Autoren, aber<br />
allesamt lesenswert. Die vom Herausgeber dieses Fanzines<br />
steht unter dem schönen Motto: „Making Punk a Fred<br />
again!“ Danach kommen die politischen Themen: Antifaund<br />
Tierrechtsnews, immer mit Linktips, sowie ein paar<br />
Gedanken über Arbeit und Leistung (Überraschung, Guido<br />
W. kommt auch vor) und ein sehr informativer Artikel<br />
zum Thema HardxLine, der dokumentiert, wie die extreme<br />
Rechte seit den Neunzigern versucht, Straight Edge, HC<br />
und Veganismus für sich zu nutzen. Jetzt zur Abteilung Musik:<br />
Gespräch mit GUTS PIE EARSHOT, Infos zu den Bands<br />
der beigelegten CD – darunter LIPKICK, NEUE KATAST-<br />
ROPHEN, STROM und die mysteriösen MANKU KAPAK<br />
– und ausgesuchte Tonträger-Reviews. Es folgen zwei lange<br />
Interviews, einmal mit Karl Nagel – in jeder Hinsicht ein<br />
Charakterkopf, der ja „nur provozieren“ will – und nach<br />
diesem Szene-Urgestein eins mit dem 15-jährigen Nachwuchspunk<br />
Motte, der mit seinem Fanzine PanXnotdEaD!<br />
schon für einiges Aufsehen gesorgt hat. Zum Abschluss gibt<br />
es ausführliche Buch- und Fanzine-Besprechungen. Und<br />
ich muss sagen, mir gefällt diese Ordnung. Ute Borchardt<br />
Die erste Ausgabe dieses klassischen<br />
DIN A5-Fanzines (Nr. 7) erschien<br />
im Jahr 1987, davor gab es<br />
1983-1986 diverse andere Fanzine-Gehversuche,<br />
wie Abfall-Comics,<br />
Vollsuff und Resistance. Bis<br />
zur letzten Ausgabe (Nr. 25) 1994<br />
erschienen, je nach Zählweise, sieben<br />
oder neun Ausgaben (13+14<br />
sowie 16+17 waren Doppelnummern)<br />
in jeweils 500er-Auflage sowie<br />
ein MISFITS-Fanzine mit insgesamt<br />
1.500 Exemplaren.<br />
Das Think?!! war ein klassisches<br />
„Ego-Fanzine“ <strong>von</strong> mir (Kalle Stille,<br />
Hg.) und „Kiste“ (Olaf Kistenmacher)<br />
mit dem Schwerpunkt auf Satire,<br />
Comics, Geschichten und explizit<br />
wenigen Bandinterviews oder<br />
Szeneberichten aus Hinterdingenskirchen.<br />
Die aufblühende Punk- und Hardcore<br />
Szene der Zeit gab den Rahmen<br />
vor, in dem sich das Heft bewegte,<br />
ohne sich dabei nur auf den<br />
musikalischen Teil zu beschränken.<br />
Statt Bands gab es Märchen, Fotostorys<br />
mit der „Skatebrigade Tengelmann“,<br />
GG Allin-Hampelmännchen,<br />
das „Think Kochstudio“ mit<br />
BLACK FLAG-Fischstäbchen, Anzeigen<br />
für nichtexistente Spezialvertriebe<br />
oder „10 Gründe um Omis zu hassen“ und dergleichen, hauptsächlich Unsinn.<br />
Aus selbsternannter Genialität bekam das Heft ab der zweiten Ausgabe den Untertitel „Kultzine“, was <strong>von</strong><br />
allen Lesern widerstandslos akzeptiert wurde. Unerklärtes Ziel war es, so vielen selbsternannten Szenepäpsten<br />
vor die Füße zu pinkeln, wie irgend möglich. Ein Vorsatz, den wir weitgehend erfüllt haben,<br />
weil die Szene damals noch Ironie <strong>von</strong> Geschäftsschädigung unterscheiden konnte. Ernst genommen haben<br />
wir uns dabei nicht, hatten aber dafür eine Unmenge Spaß.<br />
Das Think!!? bot uns den besonderen Luxus, dass wir mit dem Heft als Plattform tun und lassen konnten,<br />
was wir wollten. Was uns in den Sinn kam und für gut befunden wurde, fand ins Heft, was uns störte,<br />
wurde auf unsere Weise thematisiert, und was uns nicht gefiel, blieb einfach draußen. Aus unerfindlichen<br />
Gründen, Glück, Charme, Wasauchimmer ... gab es genügend Leute, die ihrerseits Gefallen an dem Unfug<br />
fanden, der mit dem Heft produziert wurde.<br />
Nach dem Think?!?: Beiträge in diversen anderen Fanzines, unter anderem Zap, Plot und Ox, in Letzterem<br />
bis heute. Ein Buch mit dem Besten aus 25 Jahren Fanzineverbrechen befindet sich in Arbeit. Website mit<br />
ein paar Hinterlassenschaften wie Comics, Bildern und Storys: bobtorture.de<br />
Kalle Stille bobtorture.de
MR 73<br />
MR 73<br />
DVD | EuroVideo | Frankreich 2008 || Regisseur Olivier<br />
Marchal, ein ehemaliger Polizeibeamter und ebenfalls<br />
gut beschäftigter Darsteller, hatte bereits 2002 mit GANGS-<br />
TERS den nicht wirklich erfolgreichen Versuch unternommen,<br />
einen realistischen Kriminalfilm zu drehen. Das war<br />
ihm zwei Jahre später mit dem extrem düsteren 36 QUAI<br />
DES ORFÈVRES (hierzulande als 36 - TÖDLICHE RIVALEN<br />
veröffentlicht) aber um so eindrucksvoller gelungen, ein<br />
Film, der fast schon die Klasse eines HEAT besaß. Mit dem<br />
noch wesentlich niederschmetternden MR 73 versucht<br />
er vier Jahre später, an dessen Qualitäten anzuknüpfen<br />
und gleichzeitig auch das Erbe eines Jean-Pierre Melville<br />
anzutreten, was den Existentialismus seiner Geschichte<br />
angeht. Visuell regiert hier allerdings wieder der kühle stilisierte<br />
Blick eines Michael Mann. Die Hauptrolle übernahm<br />
erneut Daniel Auteuil, einer <strong>von</strong> Frankreichs besten<br />
aktuellen Darstellern. Der spielt den heruntergekommenen<br />
Marseiller Cop Schneider, der seine persönlichen<br />
Dämonen – seine Tochter starb bei einem Unfall und die<br />
Ehefrau wird seitdem künstlich am Leben erhalten – nur<br />
noch durch Alkohol in den Griff bekommt, wenn überhaupt,<br />
und der aufgrund zahlreicher Entgleisungen auf der<br />
Abschussliste steht. Als er zu Beginn des Films sturzbetrunken<br />
und mit vorgehaltener Waffe einen Linienbus kapert,<br />
wird er aufgrund früherer Verdienste und des besagten<br />
schweren Schicksalsschlages nur zur Strafe in den Innendienst<br />
versetzt. Sein bisheriger Fall, die Suche nach einem<br />
sadistischen Serienmörder, der wohlhabende Frauen foltert,<br />
vergewaltigt und anschließend tötet, wird einem Kollegen<br />
übergeben, den Schneider sowieso schon hasst. Dennoch<br />
lässt Schneider trotz weiterer Saufexzesse nicht <strong>von</strong><br />
dem Fall ab, da er darin eine Verbindung zu den Taten des<br />
<strong>von</strong> ihm vor vielen Jahren zur Strecke gebrachten Serienkillers<br />
Charles Subra (Philippe Nahon, der in HAUTE TEN-<br />
SION einen ähnlich sympathischen Zeitgenossen spielen<br />
durfte) zu erkennen glaubt. Der steht gerade kurz vor seiner<br />
Entlassung und hat offenbar inzwischen zu Gott gefunden,<br />
was ihn wieder zumutbar für die Gesellschaft macht.<br />
Das sieht eine junge Frau namens Justine (Olivia Bonamy<br />
aus ILS) allerdings anders, musste sie doch zusammen mit<br />
ihrer Schwester mit ansehen, wie der Killer ihre Eltern<br />
einst vor ihren Augen abgeschlachtet hat. Und die erinnert<br />
sich an den Cop, der Subra damals geschnappt hatte und<br />
bittet ihn um Hilfe, womit sich der Kreis in Marchals Film<br />
in gewisser Weise wieder schließt. Für Schneider allerdings<br />
eher ein Teufelskreis, dem er nur durch radikale Entscheidungen<br />
entkommt, und der ähnlich wie Harvey Keitel in<br />
Abel Ferraras BAD LIEUTENANT durch eine sehr irdische<br />
Hölle gehen muss, um die Erlösung zu finden. Man hat selten<br />
so viele traumatisierte Menschen auf einem Haufen<br />
gesehen wie in MR 73, fast schon zu viele für einen einzigen<br />
Film, in dem Marchal ein wenig hoffnungsvolles, grausames<br />
Bild der Gesellschaft und der menschlichen Natur<br />
zeichnet. Und selbst Schneider, der die ganze Zeit wie ein<br />
geprügelter Hund durch die Gegend läuft, muss erst mal<br />
amoralisch handeln, damit am Ende vielleicht noch etwas<br />
Gutes dabei herauskommt. MR 73 (die Bezeichnung für<br />
einen Revolver der französischen Firma Manurhin, der im<br />
Polizeidienst eingesetzt wird) überfordert den Zuschauer<br />
dabei sogar eventuell etwas mit dieser Ballung menschlichen<br />
Elends und nicht immer vollkommen glaubwürdiger<br />
Storywendungen. Dabei gelingt Marchal aber letztendlich<br />
immer noch ein sehr packender, kraftvoller Polizei-Thriller<br />
mit Neo-Noir-Tendenzen, der sich angenehm <strong>von</strong> dem<br />
abhebt, was gerade die Amerikaner in dieser Hinsicht produzieren,<br />
und der mehr Drama ist als klassischer Whodunit.<br />
Auf DVD mit einem längeren Making Of versehen.<br />
Wobei man sich selbst einen Gefallen tut, den Film im Original<br />
mit deutschen Untertiteln zu schauen, denn so richtig<br />
überzeugend war die deutsche Synchro nicht.<br />
SEX MISSION<br />
DVD | Ostalgica | Polen 1984 || Wer aufgrund des Titels<br />
und des grenzwertigen Covers dieser DVD einen drittklassigen<br />
Softporno-Schinken erwartet, hat leider eine Fehlinvestition<br />
getätigt. Denn Juliusz Machulskis SEKSMISJA ist<br />
eine sehr amüsante Science Fiction-Farce und gehört zu<br />
den wenigen polnischen Produktionen, die auch über die<br />
Landesgrenzen hinaus einen gewissen Kultstatus erlangte.<br />
Einige sich entblößende attraktive polnische Darstellerinnen<br />
gibt es dabei zwar durchaus, aber das macht SEKS-<br />
MISJA immer noch nicht zu an niedere Instinkte appellierender<br />
Exploitation-Ware. Hierzulande erschien Machuls-<br />
kis Film ebenfalls vor Urzeiten bei UFA auf VHS, vor allem<br />
mit einem schickeren Cover, wobei man anmerken muss,<br />
dass die Gestaltung der polnischen DVD ähnlich daneben<br />
ist. Der Film selbst ist die satirische Variante einer typischen<br />
Dystopie, in der sich die beiden Wissenschaftler Albert<br />
Starski und Maksymilian Paradys zu Forschungszwecken<br />
Mitte der Achtziger für drei Jahre einfrieren lassen.<br />
Ihr Tiefschlaf dauert bedingt durch einen Krieg allerdings<br />
bis 2044, und als die beiden wieder aufgetaut werden, finden<br />
sie eine Gesellschaft vor, in der die Männer ausgestorben<br />
sind und die Frauen sich ausschließlich künstlich fortpflanzen.<br />
Die beiden sind also quasi die Hähne im Korb,<br />
eigentlich eine traumhafte Vorstellung, doch ihre weiblichen<br />
Bewacher sehen in ihnen ausschließlich Forschungsobjekte,<br />
die man am besten ihrer Männlichkeit beraubt.<br />
Natürlich versuchen die beiden Herren der Schöpfung<br />
alles, um ihrem unwirtlichen Gefängnis zu entkommen,<br />
und entdecken dabei auch das gut gehütete Geheimnis der<br />
Herrscherin über diesen Frauenstaat. Sonderlich feministisch<br />
ist SEKSMISJA dabei nicht, denn obwohl die bösen<br />
Männer verschwunden sind, die ja für all die Kriege und<br />
das Elend auf der Welt verantwortlich sind, hat sich stattdessen<br />
nur eine totalitäre Regierungsform mit repressiver<br />
sozialer Kontrolle herausgebildet. In Folge müssen die<br />
beiden leicht trotteligen Chauvi-Typen den Frauen wieder<br />
beibringen, was echte Liebe ist. Hartgesottene Feministinnen<br />
werden sich aufgrund der reaktionären Botschaften<br />
<strong>von</strong> SEKSMISJA sicherlich sofort die Pulsadern aufschneiden,<br />
aber man sollte das nicht so verbissen sehen und<br />
SEX MISSION<br />
sich einfach an diesem sehr amüsanten wie rasant inszenierten<br />
Science Fiction-Trash mit dezenten Erotik-Anteilen<br />
erfreuen, der mit sehr bescheidenen Mitteln seine individuelle<br />
Zukunftsversion umgesetzt hat, ohne dass das<br />
Ganze deshalb lieblos wirken würde. Leider basiert die<br />
aktuelle deutsche DVD auf der ebenfalls nur geschnittenen<br />
polnischen Version, liefert die fehlenden Szenen aber<br />
zumindest als Bonusmaterial mit deutschen Untertiteln.<br />
Der Film selbst ist ausschließlich auf deutsch vorhanden<br />
und besitzt das leicht verwaschene 4:3-Bild, das man <strong>von</strong><br />
allen bekannten DVD-Versionen kennt. Aber was erwartet<br />
man auch <strong>von</strong> einem polnischen Film aus den Achtzigern?<br />
Zumal er in einer für Polen politisch recht aufgewühlten<br />
Zeit entstand. Keine völlig befriedigende Veröffentlichung<br />
eines recht sehenswerten Films also, zumal die in den Staaten<br />
erhältliche DVD <strong>von</strong> Polart die vollständige Fassung mit<br />
englischen Untertiteln enthält, die dadurch noch mal circa<br />
acht Minuten länger läuft.<br />
DIE FAHRTEN DES ODYSSEUS<br />
2DVD | Colosseo | Italien 1954 || Schaut man sich das<br />
Remake <strong>von</strong> CLASH OF THE TITANS an oder PERCY JACK-<br />
SON AND THE OLYMPIANS, scheint griechische Mythologie<br />
wieder im Trend zu liegen. Da kann man sich auch<br />
mal wieder einem vermeintlichen Klassiker zuwenden, in<br />
Gestalt <strong>von</strong> Mario Camerinis ULISSE. Basierend auf den<br />
Werken des Dichters Homer, produziert vom einflussreichen<br />
wie viel geschmähten Dino de Laurentiis, mit Kirk<br />
Douglas und Anthony Quinn in den Hauptrollen. Wir erinnern<br />
uns: Odysseus war der König der kleinen Insel Ithaka,<br />
der nach dem Ende des zehnjährigen Trojanischen Krieges<br />
weitere zehn Jahre umherirrte, während sich seine Frau<br />
Penelope aufdringlichen Freiern erwehren musste, die sie<br />
zwingen wollten, einen <strong>von</strong> ihnen zu heiraten, da ihr Mann<br />
offensichtlich tot sei. Der kehrte dann allerdings irgendwann<br />
unerkannt als Bettler zurück und richtete unter<br />
den Freiern ein hübsches Massaker an. Auch bei Camerini<br />
der Höhepunkt des Films, eine immer noch erstaunlich<br />
gewalttätige Szene für einen Film aus dieser Zeit. Bis es<br />
dazu kommt, stehen natürlich die allseits bekannten Irrfahrten<br />
des Odysseus im Mittelpunkt (das Synonym Odyssee<br />
ist ja im Sprachgebrauch fest verankert), der dabei<br />
mit seinen Gefährten dem menschenfressenden Zyklopen<br />
Polyphem begegnet, den sie durch eine List blenden<br />
können. Danach landet er auf der Insel der Zauberin Kirke<br />
(oder auch Circe), die seine Gefährten in Schweine verwandelt<br />
und Odysseus durch einen Zauber „bezirzt“ (noch<br />
so ein Synonym, was würde man ohne die ollen Griechen<br />
nur machen), ein Jahr bei ihr zu bleiben, bis ihm bei einer<br />
Begegnung im Hades seine verstorbene Mutter wieder auf<br />
den rechten Weg bringt. Und natürlich nicht zu vergessen<br />
die Begegnung mit den Sirenen, die Seefahrer durch<br />
ihren Gesang in den Tod locken. Das ist zwar noch nicht<br />
alles, was bei Homer passierte, aber eine Laufzeit <strong>von</strong> gut<br />
100 Minuten und die damalige Tricktechnik setzten dem<br />
Ganzen natürlich Grenzen, vor allem was diverse Seeun-<br />
geheuer betrifft. Und eigentlich ist der Zyklop mit seinem<br />
ziemlich bescheiden aussehenden Auge das einzige Monster,<br />
was man zu Gesicht bekommt. In der Spezialeffekte-<br />
Abteilung wird einem hier nicht viel geboten, ein THE<br />
7TH VOYAGE OF SINBAD ist ULISSE sicher nicht. Dafür<br />
hat Camerini die verschachtelte Erzählweise Homers beibehalten,<br />
mit ihren Parallelhandlungen und Rückblenden.<br />
Ansonsten ist ULISSE eher ein klassischer Sandalenfilm, in<br />
dem Kirk Douglas mit dezent tragischer Note überwiegend<br />
den großen Zampano raushängen lässt, der nicht gerade<br />
ein Ausbund an Bescheidenheit und Selbstreflexion ist. Es<br />
gibt sicherlich Filme, die besser als ULISSE gealtert sind,<br />
Charme und Atmosphäre besitzt das Ganze aber dennoch,<br />
wenn man in der richtigen Stimmung für nostalgische Filmerlebnisse<br />
dieser Art ist. Interessant ist auf jeden Fall, dass<br />
der große Mario Bava an ULISSE beteiligt war (allerdings<br />
mal wieder uncredited), und ich würde jede Wette eingehen,<br />
dass der die Szenen mit Circe und im Hades inszeniert<br />
hat, denn die surreale Ausleuchtung und Farbgebung zeigt<br />
deutlich dessen typische Handschrift. Vor einigen Jahren<br />
gab es <strong>von</strong> e-m-s bereits zwei DVD-Versionen des Films,<br />
ob die neue <strong>von</strong> Colosseo die definitive ist, sei mal dahingestellt.<br />
Zumindest wird mit „digitally remastered“ geworben<br />
und „ungekürzte Fassung“. Mehrwert schafft auf jeden<br />
Fall eine bessere Ton- und Bildqualität und vor allem die<br />
ungefähr um zehn Minuten längere Version auf der zweiten<br />
Disc, die aufgrund der zusätzlichen Szenen aus einer<br />
irgendwo aufgetauchten alten Kinokopie ein schwankendes<br />
Qualitätsniveau besitzt. Zumindest sieht man sofort,<br />
was neu ist. Zwar nichts wirklich spektakuläres, trotzdem<br />
schön, dass der Film dadurch mal in vollständiger Form<br />
erhältlich ist. Auf Disc 1 befindet sich neben der bekannten<br />
kürzeren Fassung auch noch eine Doku über den Film,<br />
und italienische und englische Tonspuren mit deutschen<br />
Untertiteln sind ebenfalls vorhanden – wie sich das gehört.<br />
BLOOD DINER<br />
DVD | Epix | USA 1987 || BLOOD DINER eröffnet auf<br />
dem Label Epix eine Reihe namens „Twilight Classics“, in<br />
der auch noch WAXWORK und SUNDOWN (siehe unten)<br />
erschienen sind. Ansonsten erwartet uns da in Zukunft<br />
eher mittelmäßiges, wie THE UNHOLY oder der Cyberspace-Thriller<br />
NIRVANA mit Christopher Lambert, der<br />
auch <strong>von</strong> der technischen Umsetzung her enttäuscht und<br />
nur deutschen Ton sowie ein matschiges 4:3-Bild zu bieten<br />
hat. Oder direkt üble „Bottom of the barrel“-Erzeugnisse<br />
wie CONVICT 762, SPOILER und C.H.U.D. II - BUD<br />
THE CHUD. Für Wall Of Voodoo-Fans dürfte C.H.U.D. II<br />
allerdings <strong>von</strong> gewissem Interesse sein, hatte doch deren<br />
zweiter Sänger Andy Prieboy in Erwartung eines fetten<br />
Schecks die Musik für diesen Horror-Schrott gemacht,<br />
wobei das folgende Zitat <strong>von</strong> ihm recht aussagekräftig sein<br />
dürfte: „I worked harder on the handful of porno films I<br />
‚scored‘.“ Auch Jackie Kongs BLOOD DINER ist kein wirklicher<br />
cineastischer Leckerbissen, dennoch handelt es sich<br />
dabei um das Highlight in der ansonsten recht mauen Karriere<br />
dieser Dame. Ursprünglich war BLOOD DINER sogar<br />
mal als Sequel zu Herschell Gordon Lewis’ Splatter-Kultfilm<br />
BLOOD FEAST gedacht, entwickelte sich dann aber<br />
sehr schnell zu einer eigenständigen Horror-Parodie, die<br />
man rückblickend aber durchaus als Hommage an diesen<br />
Pionier des schlechten Geschmacks ansehen kann, zumal<br />
es auch reichlich Verweise auf diesen Film gibt. Und so<br />
schafft schon gleich der Anfang die Verbindung zu BLOOD<br />
FEAST, als die Polizei den blutigen Amoklauf des komplett<br />
verrückt gewordenen Ägypters Anwar vor dem Haus seiner<br />
Enkel Michael und George stoppt. Einige Jahre später<br />
haben die beiden dann ein vegetarisches Restaurant eröffnet<br />
und führen dort die schöne Tradition ihres Onkels fort<br />
(der inzwischen im Einmachglas als Gehirn mit Augen<br />
die Enkel herumkommandiert) und wollen die ägyptische<br />
Göttin Sheetar zum Leben erwecken, was in einer<br />
exzessiven blutigen Zeremonie inklusive Jungfrauenop-<br />
BLOOD DINER<br />
VON THOMAS KERPEN<br />
ferung gipfelt. Dazu benötigt man allerdings zuerst noch<br />
bestimmte Leichenteile, die es zu besorgen gilt, während<br />
die anfallenden Reste den begeisternden Fans vegetarischen<br />
Essens zugeführt werden, ein amüsanter Seitenhieb<br />
auf allzu unreflektierte vegetarische Lebensweise als Folge<br />
modischer Lifestyle-Trends. Dabei darf man sich nichts<br />
vormachen, BLOOD DINER ist übelster, geschmacklosester<br />
Trash, bei dem jede Menge Zuschauer die Flucht ergreifen<br />
werden, doch auch in diesem Bereich gibt es kleine<br />
Perlen, zu denen Kongs Film definitiv gehört. Die Effekte<br />
REVIEWS<br />
MOVIES<br />
sind selbst bei Troma kaum mieser, aber die durchgängige<br />
Unernsthaftigkeit und Überdrehtheit des Ganzen sichert<br />
BLOOD DINER in diesem Bereich einen der obersten Listenplätze.<br />
Es fällt wirklich schwer, seinem völlig beknackten<br />
Charme, den auch die deutsche Synchro nicht beschädigen<br />
kann, nicht zu erliegen. Auf VHS war BLOOD DINER<br />
bisher immer nur in einer um sechs Minuten Splatter massakrierten<br />
Fassung erhältlich (ein Adolf Hitler-Lookalike<br />
flog ebenfalls raus). Von Dragon gab es dann hinsichtlich<br />
der FSK-Freigabe nur eine halblegale, aber dafür ungeschnittene<br />
DVD in recht guter Qualität, und jetzt plötzlich<br />
erscheint eine vollständige, offizielle „ab 16“-DVD,<br />
die damit in jedem Kaufhaus offen erhältlich ist – verstehe<br />
das, wer will. Besitzer der Dragon-DVD müssen sich zwar<br />
nicht unbedingt um ein Update bemühen, zumal die ein<br />
schöneres Cover hatte, denn die Ausstattung hier ist ähnlich<br />
mager, auch wenn das Bild etwas verbessert wurde. Auf<br />
jeden Fall schön, dass man das in Deutschland noch erleben<br />
darf. Inzwischen ist ja sogar ein jahrelang indizierter<br />
Film wie John Carpenters THE THING ungeschnitten „ab<br />
16“ erhältlich.<br />
SUNDOWN - RÜCKZUG DER VAMPIRE<br />
DVD | Epix | USA 1990 || Anthony Hickoxs zweiter<br />
Film, ebenfalls in der „Twilight Classics“-Reihe auf DVD<br />
erschienen, in Widescreen und insgesamt ansprechender<br />
Qualität. Hierzulande bisher nur auf VHS in grässlichem<br />
Vollbild zu haben, ungeschnitten war er trotz „FSK<br />
16“ aber schon immer. Mit dabei die wundervolle Deborah<br />
Foreman (seltsamerweise ihre letzte Rolle in einem Spielfilm),<br />
die man hier fast mit Sheryl Lee verwechseln könnte.<br />
Wobei Bruce Campbell als Robert Van Helsing und David<br />
Carradine als Jozek Mardulak/Count Dracula natürlich die<br />
im Mittelpunkt stehenden Protagonisten sind. Noch deutlicher<br />
eine Horror-Parodie als Hickoxs Regiedebüt WAX-<br />
WORK, zumal er seine Vampirgeschichte in ein Western-<br />
Setting verlegt hat und sich diesmal mehr bei Leone und<br />
Walter Hill bedient als bei klassischem Horror. Plus einiger<br />
popkultureller Anspielungen, wie etwa, dass seine drei<br />
Tankstellen-Vampire mit Strohhüten und langen Bärten<br />
(einer da<strong>von</strong> Schauspiel-Veteran M. Emmet Walsh aus<br />
BLOOD SIMPLE) sehr an ZZ Top erinnern. Der Schauplatz<br />
<strong>von</strong> SUNDOWN ist ein abgelegenes Wüstenkaff, in dem<br />
Vampire inzwischen mit Hilfe spezieller Sonnencreme<br />
auch am Tag aktiv sein können und sich <strong>von</strong> künstlich hergestelltem<br />
Ersatz-Blut ernähren. Doch da die beiden dort<br />
lebenden rivalisierenden Vampir-Gruppierungen unterschiedliche<br />
Vorstellungen da<strong>von</strong> haben, wie es mit ihrer<br />
Gattung weitergehen soll („This is no life for a vampire!“),<br />
gipfelt alles in einem blutigen Machtkampf. Daran sieht<br />
SUNDOWN<br />
man gut, dass Autorinnen wie Stephenie Meyer oder Charlaine<br />
Harris offenbar auch irgendwo ihre Ideen herhaben.<br />
An sich eine recht amüsante Angelegenheit, die nur etwas<br />
an ihrer Überlänge leidet und trotz der Vampir-Thematik<br />
relativ blutleer und harmlos ausfällt. Vielleicht liegt es auch<br />
daran, dass Hickox zu viel auf einmal will und diese Reizüberflutung<br />
hinsichtlich der Vermengung unterschiedlicher<br />
Genres allzu verkrampft wirkt. Auch Bruce Campbell,<br />
als unbeholfener Nachfahre des Vampirjägers Van Helsing<br />
(„Once a bloodsucker, always a bloodsucker.“), kann<br />
sein komödiantisches Talent nur begrenzt entfalten und<br />
wird eher zur Nebenfigur degradiert, dafür ist Schmalzlocke<br />
Maxwell Caulfield um sehr präsenter. Insgesamt gibt<br />
es hier sowieso viele zu viele Figuren und Nebenhandlungen,<br />
wodurch der Film immer wieder extrem ausfranst.<br />
Aber Hickox hat es zumindest versucht, und auch<br />
wenn SUNDOWN nicht der heilige Gral der Horrorkomödie<br />
wurde, hat er immer noch genug an Witz und Einfallsreichtum<br />
zu bieten, um ihn aus dem Genre-Mittelmaß<br />
hervorzuheben. Möglicherweise überambitioniert, aber<br />
gerade dadurch neben WAXWORK einer der besseren Einträge<br />
in Hickoxs bisherigem Schaffen.<br />
WAXWORK<br />
DVD | Epix | USA 1988 || Anthony Hickoxs Regiedebüt<br />
WAXWORK hieß bei uns eigentlich REISE ZURÜCK<br />
IN DER ZEIT und war, wie so viele Video-Releases dieser<br />
Zeit, trotz „FSK 18“ erheblich geschnitten. Wie im Fall <strong>von</strong><br />
BLOOD DINER existierte bereits eine ungeprüfte DVD <strong>von</strong><br />
Dragon, inzwischen ist aber auch eine vollständige, offizielle<br />
„ab 16“-DVD erhältlich. Der Brite Anthony Hickox<br />
ist übrigens der Sohn <strong>von</strong> Douglas Hickox, der mit THE-<br />
ATER OF BLOOD einen der herrlichsten Filme mit Vincent<br />
Price gedreht hatte. Der Sohnemann ist dementsprechend<br />
auch nicht völlig untalentiert, dümpelt aber eher im<br />
OX-FANZINE 113
REVIEWS<br />
LIVE AT THE GREEK THEATRE<br />
Passend zum St Patricks Day 2010<br />
kommt die neue Live DVD & CD!<br />
Ein abendfüllendes Live-Konzert der<br />
Irish-Punks vor der beeindruckenden<br />
Kulisse des Greek Theatres<br />
in Los Angeles.<br />
CHUCK RAGAN<br />
11.03. Düsseldorf - Zakk • 12.03. Münster -<br />
Sputnikhalle • 13.03. Bremen - Lagerhalle •<br />
28.03. Karlsruhe - Jubez<br />
NATHEN MAXWELL<br />
Flogging Molly`s Bassist auf Solopfaden<br />
02.04. Hamburg - Hafenklang • 03.04. Berlin -<br />
Cassiopeia • 04.04. Köln - Luxor •<br />
06.04. Wien - Flex • 08.04. Salzburg - Rockhouse<br />
09.04. Zurich - Exil • 10.04. München - 59:1<br />
www.sideonedummy.de<br />
OX-FANZINE 114<br />
B-Lager dahin. Zumindest gelang ihm immer wieder recht<br />
unterhaltsame Genre-Ware wie etwa WARLOCK: THE<br />
ARMAGEDDON. WAXWORK könnte man als einen seinen<br />
besten Filme bezeichnen, eine Hommage an HOUSE<br />
OF WAX und MYSTERY OF THE WAX MUSEUM, ein Crossover<br />
aus angesagtem Splatter- und Teenagerfi lm mit Referenzen<br />
an die klassischen Leinwand-Monster und ebenfalls<br />
sehr deutlichen komödiantischen Momenten. Ein Horrorfi<br />
lm in bester Grand-Guignol-Tradition also. Darin stoßen<br />
sechs Schulfreunde, typische nervige 80er Jahre Teenager,<br />
darunter Zach Galligan (GREMLINS), Deborah Foreman<br />
(VALLEY GIRL) und Dana Ashbrook (der Bobby Briggs aus<br />
TWIN PEAKS) auf ein seltsames Wachsfi gurenkabinett,<br />
betrieben <strong>von</strong> David Warner (THE OMEN, STRAW DOGS),<br />
der einen diabolischen Plan damit verfolgt. Resultierte der<br />
Horror in den klassischen Wachsfi gurenkabinett-Filmen<br />
aus der Tatsache, dass unter dem Wachs ermordete Menschen<br />
steckten, besitzen die wächsernen Horror-Szenarien<br />
in WAXWORK die unangenehme Angewohnheit, allzu<br />
neugierige Menschen in für sie tödliche Parallelwelten zu<br />
transportieren, wo sie mit Zombies, Vampiren, Werwölfen<br />
und anderen bekannten Monstern konfrontiert werden.<br />
Das hat Hickox sehr atmosphärisch und blutig mit durchweg<br />
guten Effekten umgesetzt. Er zitiert dabei so ziemlich<br />
alles, <strong>von</strong> Hammer bis Argento, wodurch sein Film fast zu<br />
einer Horror-Anthologie wird. Ein bisschen zu viel des<br />
Guten ist dann allerdings der turbulente, nicht ganz passende<br />
Wildwest-Showdown im Wachsfi gurenkabinett, der<br />
zumindest keinem Geringeren als Patrick „Mrs. Peel, we’re<br />
needed“ Macnee einen markanten Gastauftritt verschafft.<br />
Ein auf seine Art angenehm origineller Film, der damals<br />
in den Staaten im Kino ziemlich unterging, aber auf VHS<br />
und DVD über die Jahre einen gewissen Kultstatus erlangen<br />
konnte. Sicherlich vor allem wegen seiner interessanten<br />
Darstellung klassischer Filmmonster in einem modernisierten<br />
Kontext. Vier Jahre später drehte Hickox dann die<br />
Fortsetzung WAXWORK II: LOST IN TIME. Nicht mehr<br />
als ein schwacher, billig gemachter Abklatsch des Originals,<br />
der ebenfalls mit reichlich Horrorfi lm-Referenzen<br />
aufwartet, was aber weniger gelungen umgesetzt wurde.<br />
Jedenfalls schön, dass WAXWORK endlich mal ganz offi -<br />
ziell überall erhältlich ist. Leider bekommt man auch hier<br />
nur ein ähnlich verwaschenes 4:3-Bild wie auf der US-<br />
DVD geboten, bedauerlich, dass bei diesem Film weltweit<br />
offenbar kein vernünftiges Master aufzutreiben ist.<br />
DER ELEFANTENMENSCH<br />
DVD | Arthaus | USA 1980 || Was macht eigentlich<br />
David Lynch gerade? Glaubt man dem Dokumentarfi<br />
lm DAVID WANTS TO FLY <strong>von</strong> David Sieveking, offenbar<br />
nichts Gescheites. Sieveking, der eigentlich nur ein<br />
paar Tipps <strong>von</strong> seinem Idol bekommen wollte, wie man<br />
schräge Filme dreht und sich deshalb mit Lynchs Ersatzreligion<br />
„Transzendentale Meditation“ und den Lehren<br />
eines gewissen Maharishi Mahesh Yogi beschäftigte,<br />
wurde in Folge tragischerweise mit einem an fortgeschrittener<br />
Gehirnerweichung leidenden Weltverbesserer konfrontiert.<br />
Lynch, der ja schon immer ein bisschen seltsam<br />
war, hat inzwischen wohl komplett jegliche Bodenhaftung<br />
verloren und konzentriert sich auf den Verkauf <strong>von</strong><br />
Heils- und Glücksversprechen als Leithammel einer sektenartigen<br />
Gruppierung, die auf dem Teufelsberg in Berlin<br />
einen „Turm der Unbesiegbarkeit“ errichten will. Eigentlich<br />
zum Lachen das Ganze, wenn es nicht so traurig wäre,<br />
denn schließlich hat Lynch in seiner Karriere einige wirklich<br />
wegweisende Filme gedreht. Dieser Unfug erklärt vielleicht<br />
auch, warum sein letztes Werk INLAND EMPIRE so<br />
ein katastrophaler Mist war, insofern stehen die Chancen<br />
schlecht, dass der Mann noch mal zu alter Form aufl äuft.<br />
Dann kann er ja demnächst zusammen mit Ken Russell<br />
in dessen Vorgarten mit Aufblas-Dinosauriern im Zustand<br />
vollkommener Glückseligkeit fünfstündige Epen über das<br />
„Yogische Fliegen“ drehen. Muss man sich halt mit seinen<br />
bisherigen Werken begnügen, wie etwa dem großartigen<br />
DER ELEFANTENMENSCH<br />
THE ELEPHANT MAN. Sein zweiter Film direkt nach dem<br />
Underground-Kultstreifen ERASERHEAD, der jetzt noch<br />
mal neu auf DVD veröffentlicht wurde – falls ihn jemand<br />
noch nicht besitzen sollte. Für Lynch war THE ELEPHANT<br />
MAN damals ein echter Glücksfall. Denn hätte er in einem<br />
jungen Produzenten, der für Mel Brooks arbeitete, nicht so<br />
einen starken Fürsprecher gehabt, wäre er wohl niemals<br />
für ein Studio wie Paramount als Regisseur für einen Film<br />
dieser Größe in Frage gekommen, mit renommierten Darstellern<br />
wie Anthony Hopkins, John Hurt, Anne Bancroft<br />
und John Gielgud. Und dann auch noch in schwarzweiß<br />
gedreht. Brooks wusste ebenfalls zu verhindern, dass die<br />
üblichen trotteligen Studiobosse Lynchs Vision irgendwie<br />
verwässern konnten, die die wenigen Dinge in THE ELE-<br />
PHANT MAN eliminieren wollten, die noch an ERASER-<br />
HEAD erinnerten. Der wurde dann sogar für acht Oscars<br />
nominiert, ging aber leider leer aus. Wenn man Lynch glauben<br />
darf, müssen die Dreharbeiten für ihn aber ein fortwährender<br />
Albtraum gewesen sein, was man in Chris Rodleys<br />
äußerst empfehlenswerten Interview-Buch „Lynch On<br />
Lynch“ nachlesen kann – näher kann man diesem ehemals<br />
brillanten Regisseur nicht kommen. Umso bemerkenswerter<br />
ist, dass THE ELEPHANT MAN bis zum heutigen Tage<br />
nichts <strong>von</strong> seiner Intensität eingebüsst hat und zu Recht<br />
als Meisterwerk gilt. Ein düsteres Abbild des Viktorianischen<br />
Zeitalters und der Folgen der Industriellen Revolution,<br />
gekoppelt mit einer menschlichen Tragödie. Was wie<br />
ein klassischer Horrorfi lm beginnt, entwickelt sich immer<br />
mehr zu einem herzzerreißenden Drama über einen fürchterlich<br />
entstellten Menschen, der darum kämpft, mehr als<br />
nur die Attraktion einer Freakshow zu sein, was ihm durch<br />
sein extremes Äußeres aber fast unmöglich gemacht wird<br />
(„I am not an elephant! I am not an animal! I am a human<br />
being! I am a man!“). John Hurt ist unter der beeindruckenden<br />
Maske <strong>von</strong> John Merrick nicht mehr zu erkennen,<br />
und wer diese für übertrieben hält, muss sich nur die Fotografi<br />
en des echten „Elefantenmenschen“ anschauen, <strong>von</strong><br />
dessen Körperteilen noch Gipsabdrücke existierten, die als<br />
Vorlage dienten. Faszinierend ist dabei generell, wie sensibel<br />
sich Lynch dabei seiner Figur annähert, die erst durch<br />
Kleidung komplett verhüllt wird oder im Schatten aus<br />
sicherer Entfernung kaum erkennbar ist, beziehungsweise<br />
<strong>von</strong> einer dünnen Trennwand verdeckt wird, so dass man<br />
nur seine grotesken Umrisse erkennen kann. Bis zum schockierenden<br />
Moment, als man Merrick völlig unmaskiert<br />
sieht, erst nur in der Totalen, um das Publikum langsam an<br />
ihn zu gewöhnen, später dann auch in Großaufnahmen, die<br />
die Menschwerdung des „Monsters“ abschließen, der am<br />
Ende auch noch so etwas wie wahre Zuneigung und Glück<br />
erfahren darf. Ein Film, der sicherlich auch stark durch Tod<br />
Brownings FREAKS <strong>von</strong> 1932 beeinfl usst wurde, einer der<br />
wenigen Horrorfi lme mit humanistischer Botschaft und<br />
unangenehm realistischer Dimension. Denn die Attraktionen<br />
der im Mittelpunkt stehenden Freakshow waren<br />
tatsächlich entstellte Menschen, was Brownings Film nur<br />
am Rande zu einem typischen Horrorfi lm machte. So wie<br />
auch Lynch in THE ELEPHANT MAN vertraute Elemente<br />
des Genres einsetzt, um letztendlich eine wesentlich tiefgründigere<br />
Geschichte zu erzählen. Als Bonus auf der DVD<br />
gibt es zwar nur eine kurzes Feature über den echten Elefantenmenschen,<br />
das aber wirklich informativ ist, ansonsten<br />
steht dieser Film für sich, der auf der Liste meiner Lieblingsfi<br />
lme ganz weit oben zu fi nden ist.<br />
ANTICHRIST<br />
2DVD | MFA+ | Deutschland/Dänemark/Frankreich/Italien/Polen/Schweden<br />
2009 || Zugegeben,<br />
ein großer Fan <strong>von</strong> Lars <strong>von</strong> Triers fi lmischen Schaffen war<br />
ich noch nie, und dieser ganze Dogma-Quatsch war mir<br />
eh immer viel zu suspekt. Denn gerade hinsichtlich des<br />
Aspekts Wirklichkeitsentfremdung des Kinos war ja wohl<br />
gerade der Däne ein Meister auf diesem Gebiet, dessen<br />
Werke ich oft kaum bis zum Ende ertrug. Sein letzter Film,<br />
ANTICHRIST, war dann mal wieder einer dieses vermeintlichen<br />
Cannes-Skandalstreifen, aufgrund seiner expliziten<br />
Darstellung <strong>von</strong> Sexualität und Gewalt. Frauenfeindlich<br />
sollte er gleich auch noch sein, aber wie so oft entpuppt<br />
sich das bei näherer Betrachtung als Sturm im Wasserglas.<br />
Denn was <strong>von</strong> Trier hier als „Shock Value“ zu bie-<br />
ANTICHRIST<br />
ten hat, beschränkt sich auf wenige Einzelszenen. Zumindest<br />
gab es dafür eine „FSK ab 18“-Freigabe, denn normalerweise<br />
kommen Kunstfi lme mit so was ja dennoch ungeschoren<br />
durch. Nach einer wirklich grandios gefi lmten<br />
Eingangssequenz, in der ein kleiner Junge aus einem Fenster<br />
in den Tod stürzt, während die Eltern im Badezimmer<br />
Sex haben (eigentlich müsste man eher „fi cken“ sagen, wie<br />
<strong>von</strong> Trier das inszeniert hat), folgt eine ausgedehnte Therapiesitzung<br />
im verwunschenen Märchenwald („Nature<br />
is Satan’s church.“) zur Verarbeitung dieses Traumas. Denn<br />
der Ehemann, der zufälligerweise Psychologe ist, kommt<br />
auf die Schnapsidee, seine Frau selbst therapieren zu wollen,<br />
die allerdings auf recht drastische Weise darauf reagiert,<br />
was man als zartbesaiteter Mensch dann doch als<br />
ziemlich schockierend empfi nden könnte. ANTICHRIST<br />
ist dabei so eine Art Psycho-Horrorfi lm geworden, was<br />
der Däne damit allerdings genau zum Ausdruck bringen<br />
will, ist mir nicht ganz klar geworden. Zumindest impliziert<br />
<strong>von</strong> Trier, dass der Ursprung des Bösen in der Natur<br />
zu fi nden ist und damit auch in der Frau, die ja <strong>von</strong> dieser<br />
mit der Gabe der Schaffung <strong>von</strong> neuem Leben ausgestattet<br />
wurde. Am besten nicht weiter drüber nachdenken, ebenso<br />
wenig wie über das bräsige Ende <strong>von</strong> ANTICHRIST, und<br />
den Film als einen in den Wald verlegten WENN DIE GON-<br />
DELN TRAUER TRAGEN genießen, denn eine unter die<br />
Haut gehende Atmosphäre besitzt dieser bizarre Psychotrip<br />
auf jeden Fall. Vor allem aufgrund der wirklich surrealen<br />
Szenerie des Waldes, die den Film alleine schon sehenswert<br />
macht, wäre da nicht dieser ganze verquaste tiefenpsychologische<br />
und philosophische Unsinn und die tiefgründige<br />
Symbolik. Womit <strong>von</strong> Trier erneut unter Beweis stellt, dass<br />
er einer dieser die Geduld überstrapazierenden Kunstfi lmer<br />
ist, die gerne mal provozieren, um dann als kontrovers<br />
zu gelten. Damit sollen sich dann irgendwelcher Filmtheoretiker<br />
herumschlagen. Und man kann durchaus verstehen,<br />
wenn jemand den Film deswegen einfach nur für fürchterliche<br />
Kunstkacke hält. Das namenlose Ehepaar wird dabei<br />
<strong>von</strong> Willem Dafoe und Charlotte Gainsbourg gespielt. Und<br />
während ich die Gainsbourg noch nie für eine tolle Darstellerin<br />
hielt, die überwiegend vom Ruf ihrer Eltern zehrt,<br />
ist Dafoe mal wieder ganz ausgezeichnet, der ja bereits in<br />
frühen Rollen wie in PLATOON eine extreme Leinwandpräsenz<br />
entwickeln konnte. Die nett aufgemachte Special<br />
Edition im Schuber und mit Wendecover enthält noch<br />
einige Making of-Featurettes, Interviews mit Lars <strong>von</strong> Trier,<br />
Charlotte Gainsbourg, Willem Dafoe und einen Audiokommentar<br />
des Regisseurs.<br />
FANTASY FILMFEST SHORTS<br />
2DVD | Sunfi lm || Der Kurzfi lm, eigentlich ein schönes<br />
Medium, gerade für junge Filmemacher, oder um generell<br />
interessante Ideen in recht komprimierter Form umzusetzen,<br />
die in einem abendfüllenden Film nicht funktioniert<br />
hätten. Leider setzt sich wie in der Musik auch hier<br />
die Unsitte durch, dass man keine Single mehr aufnimmt,<br />
sondern gleich ein komplettes Album, und so können<br />
neunzigminütige Filme dadurch zur Tortur werden. Letzt-<br />
ARBEIT FÜR ALLE<br />
endlich gibt es aber bis auf Festivals auch kaum noch Programmplätze<br />
für dieses Format, dabei könnte man doch<br />
einfach eine schöne DVD damit voll machen, wie in diesem<br />
Fall. Und so versammeln sich hier insgesamt neun<br />
Kurzfi lme aus Deutschland, Spanien, Australien und den<br />
USA, die wohl alle mal im Programm des alljährlich stattfi<br />
ndenden Fantasy Filmfests gelaufen sind. Eine Institution,<br />
die über die Jahre durch eine schleichende Kommerzialisierung<br />
viel <strong>von</strong> ihrem früheren Reiz verloren hat. Und<br />
so läuft dort zu 90 Prozent nur noch das, was in Deutschland<br />
bereits einen Verleiher für Kino oder DVD gefunden<br />
hat. Dafür kann man die Sachen oft noch ungeschnitten<br />
und im Original erleben, wobei in der Regel die Kurzfi lme<br />
das einzige sind, was man ausschließlich dort zu Gesicht<br />
bekommt. „Nur neun Filme?!“, ist man angesichts dieser<br />
DVD versucht zu sagen. Zumal man dabei Länder wie<br />
Japan, Frankreich, Großbritannien und Neuseeland vermisst,<br />
wo ebenfalls sehr gute Kurzfi lme produziert werden.<br />
Mal wieder Meckern auf hohem Niveau, denn grundsätzlich<br />
ist das hier schon eine sehr unterhaltsame wie<br />
geschmackvolle Zusammenstellung, die ganz auf das<br />
FFF zugeschnitten ist, und so regiert hier vor allem Horror<br />
und Schwarzhumoriges. Den deutschen Film ARBEIT<br />
FÜR ALLE <strong>von</strong> Matthias Vogel und <strong>Thomas</strong> Oberlies könnte<br />
man als Nachfolger <strong>von</strong> STAPLERFAHRER KLAUS ansehen.<br />
Eine Fake-Doku und satirische Refelxion unserer Arbeitswelt,<br />
in der das Rentenalter nach oben gesetzt wurde und<br />
Zivildienstleistende sich jetzt um bedürftige Arbeitnehmer<br />
kümmern. Wobei der besondere Gag hier noch der eigentliche<br />
Job des Mannes im Rollstuhls ist, er dabei im Mittelpunkt<br />
steht. Sehr schön auch der spanische Computeranimationsfi<br />
lm TADEO JONES UND DIE GRUFT DES TODES,<br />
der sich natürlich nicht mit Hollywood-Werken dieser Art<br />
messen kann, aber auf recht liebevolle Art Indiana Jones<br />
persifl iert. Dafür tricktechnisch um so beeindruckender<br />
der amerikanische Film ITSY BITSY, in dem ein junges<br />
Pärchen in ihrem Heim mit einer Spinne in den Ausmaßen<br />
eines mittelgroßen Hunds konfrontiert wird. So richtig<br />
böse wird es eigentlich nur in KILLING TIME, in dem<br />
ein Sniper ein paar Camper aufs Korn nimmt, ansonsten<br />
regiert eine eher makaber-humorige Stimmung. Eine<br />
sehr schöne und sehenswerte Veröffentlichung auf durchweg<br />
hohem Niveau, bei der die Kurzfi lme alle im Original<br />
mit deutschen Untertiteln präsentiert werden. Man muss<br />
allerdings dabei die Fähigkeit besitzen, sich kurzfristig auf<br />
die unterschiedliche thematische Herangehensweise und<br />
Stimmung der Beiträge einzustellen, wobei es natürlich<br />
nicht ausbleibt, dass der eine oder andere Filme vielleicht<br />
nicht den persönlichen Geschmacksnerv trifft. Auf einer<br />
Bonus-DVD gibt es noch einiges an Zusatzmaterial, darunter<br />
auch noch ein zusätzlicher Kurzfi lm, die kanadische<br />
Produktion WARUM DIE ANDERSON KINDER NICHT<br />
ZUM ESSEN KAMEN. Hoffentlich bleibt es nicht bei dieser<br />
einen Veröffentlichung, denn es gibt eigentlich nichts<br />
schöneres als ein paar richtig gelungene Kurzfi lme.<br />
DIE BUCHT - THE COVE<br />
DVD | EuroVideo | USA 2009 || Gut, so besonders ausgeprägt<br />
war mein Fischkonsum noch nie, und Delfi n stand<br />
dabei sowieso nicht auf der Speisekarte. Dennoch kann<br />
einem Louie Psihoyos’ mit einem Oscar ausgezeichneter<br />
Dokumentarfi lm THE COVE ganz gehörig den Appetit<br />
verderben, vor allem, wenn man glaubt, dass der Verzehr<br />
<strong>von</strong> Fisch eine ernsthafte Alternative zu dem <strong>von</strong> Fleisch<br />
wäre. Denn Fakt ist, dass die dramatische Überfi schung<br />
der Meere in diesem Bereich ebenfalls langsam aber sicher<br />
zu einem Kollaps des dortigen Ökosystems führt. Ganz zu<br />
schweigen da<strong>von</strong>, dass man sich in Form einer Thunfi sch-<br />
Pizza auch noch eine gehörige Dosis Quecksilber verabreicht.<br />
Gerade die Japaner sind ja bei der Ausrottung etwa<br />
der Thunfi sch-Bestände ganz vorn dabei, und so führt uns<br />
auch THE COVE nach Japan. Genauer gesagt in das kleine,<br />
idyllische Städtchen Taiji, das laut Ric O’Barry ein düsteres<br />
Geheimnis vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen<br />
versucht. O’Barry war in den Sechzigern dafür verantwortlich,<br />
dass der lustige Delfi n namens Flipper all diese<br />
tollen Kunststücke machte und damit Kinderherzen auf<br />
der ganzen Welt eroberte („I was young, I had a glamorous<br />
job, I was driving a Porsche and it was easy to do.“).<br />
Eigentlich waren es aber mehrere Flipper, die in der Gefangenschaft<br />
laut O’Barry regelrecht depressiv wurden und<br />
daran zugrunde gingen, was beim ihm dazu führte, dass<br />
er irgendwann vom Delfi n-Trainer zum Delfi n-Aktivisten<br />
mutierte. Ein besonderer Dorn im Auge ist ihm dabei<br />
DIE BUCHT<br />
seit Jahren die Stadt Taiji, vor deren Küste Delfi ne gefangen<br />
und in eine Bucht getrieben werden. Die großen Tümmler<br />
sortiert man dort aus, um sie für viel Geld an Delfi narien<br />
zu verkaufen, während der Rest abgeschlachtet und zu<br />
Nahrung verarbeitet wird. Was man da<strong>von</strong> letztendlich in<br />
THE COVE sieht, ist laut O’Barry allerdings nur die Disney-Version<br />
der tatsächlichen Ereignisse. Aber um da<strong>von</strong><br />
überhaupt mal etwas fi lmen zu können, bedurfte es eines<br />
immensen logistischen Aufwands, der den Film tatsächlich<br />
zur Öko-Thriller-Variante <strong>von</strong> OCEAN’S ELEVEN macht.<br />
Für die Japaner dann wohl eher „O’Barry und seine Spießgesellen“,<br />
denn der ist in Taiji kein gern gesehener Gast<br />
und muss regelrecht um sein Leben fürchten. Im Vordergrund<br />
stehen hier also die Bemühungen <strong>von</strong> O’Barry, diese<br />
Schweinerei aufzudecken, aber genauso spricht der Film<br />
natürlich auch die weitreichenden Folgen hinsichtlich des<br />
generellen Umgangs des Menschen mit dem Lebensraum<br />
Meer an, ohne den Japanern dafür die Kollektivschuld in<br />
die Schuhe zu schieben. Ein sehr nachdenklich stimmender<br />
Film, nicht ohne Unterhaltungswert, soweit das bei so<br />
einer Thematik überhaupt möglich ist. Vielleicht nicht die<br />
beste Doku aller Zeiten, die aber die richtigen Fragen stellt<br />
und sogar ein paar konstruktive Antworten dafür parat hat,<br />
die hoffentlich auch beim Publikum ankommen. Ein Verbrechen<br />
ist allerdings die FSK-Freigabe der DVD, die den<br />
Film allen Ernstes „ab 6“ durchgewunken hat. Ich wage es<br />
zu bezweifeln, ob Kinder zwischen sechs und zwölf den<br />
Inhalt <strong>von</strong> THE COVE auch nur ansatzweise verstehen und<br />
verarbeiten können, ohne da<strong>von</strong> nicht wochenlang Albträume<br />
zu bekommen. Ein weiterer Beweis für den fehlenden<br />
Realitätssinn dieser Institution.<br />
KLASS<br />
DVD | MFA+ | Estland 2007 || Möglicherweise ist<br />
KLASS der erste Film aus Estland, der mir bewusst unterkommt,<br />
aber defi nitiv kein schlechter Startpunkt. Das darin<br />
behandelte Thema ist zwar nicht sonderlich originell, aber<br />
im Zeitalter zunehmender Amokläufe schwerbewaffneter<br />
Schüler natürlich nach wie vor aktuell und wie man sieht<br />
auch länderübergreifend <strong>von</strong> Bedeutung. In den letzten<br />
Jahren gab es ja bereits Filme wie ELEPHANT (der sich auf<br />
eher abstrakte Weise dem „Columbine High School massacre“<br />
annäherte) oder 2002 BANG BANG YOU’RE DEAD,<br />
die sich mit den Amokläufen <strong>von</strong> Schülern und den Ursachen<br />
beschäftigten. Und auch in Ilmar Raags KLASS geht<br />
es um einen Prügelknaben an einer relativ austauschbaren<br />
Schule, dem seine Mitschüler das Leben zur Hölle machen,<br />
ähnlich wie es auch dem Protagonisten in BEN X ergeht.<br />
Besagter Joosep ist der klassische Außenseiter, und wer<br />
zur Gruppe der akzeptierten Schüler gehören will, beteiligt<br />
sich eben an den grausamen Erniedrigungen des hilf-<br />
KLASS
losen Jungen. Wenn man sich allerdings gegen die Gruppe<br />
stellt, also nicht mehr Teil der Peergroup ist, passiert genau<br />
das Gegenteil, wie der an sich bisher gut integrierte Schüler<br />
Kasper auf unangenehme Weise erfahren muss, als er<br />
sich für Joosep einsetzt und selbst zum Opfer <strong>von</strong> extremen<br />
Demütigungen wird. Das Ganze spielt sich innerhalb<br />
<strong>von</strong> nur sieben Tagen ab und zeigt auf eindrucksvolle Weise<br />
eine Gewalteskalation, die schließlich in einem Massaker<br />
gipfelt, als Folge spezieller gruppendynamischer Vorgänge<br />
– und das ganz ohne den Einfluss <strong>von</strong> Computerspielen.<br />
Selbst wenn sich das Ende <strong>von</strong> Raags Film irgendwie falsch<br />
anfühlt, man kann auf einer emotionalen Ebene immer<br />
nachvollziehen, was die beiden Schüler dazu gebracht hat.<br />
Und auch wenn die Übergänge <strong>von</strong> Tag zu Tag zu sehr nach<br />
stylischer MTV-Reality-Show aussehen, besitzt KLASS eine<br />
Unwohlsein bereitende Authentizität, einen ungeschönten<br />
Realismus, durch den der Film unaufhaltsam auf seine<br />
finale Katastrophe zusteuert, ohne dass jemand daran etwas<br />
ändern könnte oder im Nachhinein eine hilfreiche Erklärung<br />
parat hätte. Dazu tragen sicher auch die Fähigkeiten<br />
der jungen Schauspieler bei, die sich angenehm <strong>von</strong> den<br />
allzu makellosen Gesichtern amerikanischer Teenager-<br />
Filme abheben, und viel Identifikationspotential bieten.<br />
Eine sehr intensiver, nachhaltig verstörender Film, dessen<br />
thematische Eindimensionalität und formaler Minimalismus<br />
für seine Konzentration aufs Wesentliche nicht <strong>von</strong><br />
Nachteil sind. Der wurde bei der DVD-Veröffentlichung<br />
leider etwas stiefmütterlich behandelt. Denn es wurde auf<br />
jegliche Extras verzichtet, was zu verschmerzen ist. Aber die<br />
estländische Originaltonspur fehlt ebenfalls, weshalb man<br />
sich mit der nicht immer überzeugenden deutschen Synchro<br />
begnügen muss. KLASS wurde offenbar Opfer einer<br />
kühlen Kosten-Nutzen-Analyse des Labels, was aufgrund<br />
seiner offensichtlichen Qualitäten bedauerlich ist. Gut<br />
anschaubar ist er natürlich dennoch.<br />
SALVADOR<br />
2DVD | Koch Media | USA 1986 || Oliver Stone gilt ja<br />
in der Regel als anspruchsvoller Filmemacher mit kontroversen<br />
Themen, aber wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten.<br />
Und nach einem holperigen Karriere-Start und einer starken<br />
Phase <strong>von</strong> Anfang der Achtziger bis Mitte der Neunziger,<br />
inklusive einiger Geniestreiche als Drehbuchautor<br />
wie bei SCARFACE oder YEAR OF THE DRAGON, kommt in<br />
SALVADOR<br />
letzter Zeit <strong>von</strong> Stone überwiegend nur noch Murks – ob es<br />
an zu viel Koks liegt? SALVADOR hatte ich komischerweise<br />
bisher immer ignoriert – ebenfalls lange unterschätzt hatte<br />
ich auch den im selben Jahr entstandenen PLATOON,<br />
warum auch immer. An sich ein typischer früher Stone, der<br />
provokant Zeitgeschichte mit Unterhaltungskino mischt,<br />
also quasi Messagetainment, woraus hier gerade zu Beginn<br />
ein Art FEAR AND LOATHING IN EL SALVADOR resultiert.<br />
James Woods spielt darin den abgehalfterten amerikanischen<br />
Reporter Richard Boyle, mehr Bukowski als Hunter<br />
S. Thompson, der sich mit seinem ähnlich verlotterten<br />
Kumpel Doctor Rock (James Belushi) nach El Salvador<br />
aufmacht, in der Hoffnung, eine fette Story an Land<br />
zu ziehen (Doctor Rock: „They kill people here, Boyle!“ -<br />
Richard Boyle: „Do you believe everything you read in the<br />
papers?“). Seine Story bekommt Boyle letztendlich dann<br />
auch, da er mitten in den dortigen Bürgerkrieg zwischen<br />
Militärregime und Bevölkerung gerät und unter anderem<br />
erleben muss, wie Erzbischof Óscar Romero, einer der<br />
prominentesten Kritiker der Regierung, ermordet wird.<br />
Er selbst kommt schließlich gerade noch mit dem Leben<br />
da<strong>von</strong> und kann das Land verlassen. Zu Beginn wirkt SAL-<br />
VADOR zwar wenig überzeugend, als Stone seine leichtlebigen<br />
Spaßvögel nach Südamerika schickt, woran auch<br />
die deutsche Synchro nicht ganz unschuldig ist, die Woods<br />
flapsigen Sprüchen („I hope you all get anal herpes!“) eine<br />
komödiantische Dimension verleiht, die diese im Original<br />
nur begrenzt besitzen. Doch ab der Mitte der Films, als<br />
alles wesentlich dramatischer und turbulenter wird, entwickelt<br />
SALVADOR einen erstaunlich mitreißenden Sog,<br />
der ihn auf jeden Fall zu einem der Highlights in Stones<br />
Karriere macht, versehen mit einer deutlich humanistischen<br />
und politischen Botschaft. Ein wilder, sehr packender<br />
Film, „based on a true story“, der auch unter erschwerten<br />
Bedingungen entstand, zumal Stone trotz seines Oscars<br />
für das Drehbuch <strong>von</strong> MIDNIGHT EXPRESS damals noch<br />
relativ unbekannt war. Und auch das Thema des Films stieß<br />
vielen amerikanischen Produzenten in politischer Hinsicht<br />
übel auf („What are the death squads, but the brain<br />
child of the CIA? But you’ll run with them because they’re<br />
anti-Moscow!“). Weshalb Stone für die Finanzierung <strong>von</strong><br />
SALVADOR ordentlich in die eigne Tasche greifen musste,<br />
zumindest aber mit Oscar-Nominierungen in zwei Kategorien<br />
belohnt wurde. Die bereits seit Ende Januar erhältliche<br />
DVD <strong>von</strong> Koch im hübschen Digipack, ist die erste<br />
deutsche Veröffentlichung auf diesem Medium und eine<br />
perfekte Möglichkeit, SALVADOR neu für sich zu entdecken,<br />
da es hier neben einem Audiokommentar <strong>von</strong> Stone<br />
unter anderem auch noch eine spannende einstündige<br />
Doku über die Entstehung des Films gibt und 30 Minuten<br />
geschnittene Material. Ud selbstverständlich auch die Originaltospur,<br />
zur Abwechslung sogar mit deutschen Untertiteln.<br />
Highly recommended!<br />
THE SHOOTIST<br />
DVD | Koch Media | USA 1976 || Vor geraumer Zeit<br />
erschien Don Siegels THE SHOOTIST schon mal bei Euro-<br />
Video, in mäßiger Qualität auf DVD. Jetzt gibt es <strong>von</strong> Koch<br />
eine Neuauflage, die diesem Klassiker des Spät-Westerns in<br />
Bild- und Tonqualität endlich mal halbwegs gerecht wird,<br />
auch wenn es dabei sonst keine großartigen Extras gibt. Ein<br />
Schwanengesang in jeglicher Hinsicht und eine satirische<br />
Demontage der klassischen Mythen des Westerns. Darüber<br />
hinaus auch der letzte Film <strong>von</strong> John Wayne, der dieses<br />
Genre ja wie kein anderer geprägt hat. Und so sieht<br />
man im Vorspann eine Abfolge <strong>von</strong> Szenen aus John Waynes<br />
berühmtesten Western als Biographie seiner Figur im<br />
Schnelldurchlauf und gleichzeitig als ehrfürchtige Verbeugung<br />
vor dieser Schauspiel-Ikone. Wayne spielt in THE<br />
SHOOTIST den legendären, 58-jährigen Revolverhelden<br />
John Bernhard Books, der wegen seiner Beschwerden in<br />
Carson City einen befreundeten Arzt (James Stewart) aufsucht,<br />
der ihm dann mitteilt, dass er Krebs im fortgeschrittenen<br />
Stadium hat und nicht mehr lange am Leben sein<br />
wird. Er mietet sich daraufhin bei der Witwe Bond Rogers<br />
(Lauren Bacall) ein, die nicht besonders erfreut über diesen<br />
gewalttätigen Gast ist („Bond, I don’t believe I ever killed a<br />
man that didn’t deserve it.“). Ganz im Gegensatz zu deren<br />
Sohn (Ron Howard), der in Books eine Art Held und Vorbild<br />
sieht. Books steht jetzt allerdings vor der unangeneh-<br />
men Alternative, entweder unter starken Schmerzen qualvoll<br />
zu krepieren oder sich einen würdigen Abgang zu verschaffen<br />
und damit dem eigenen Mythos gerecht zu werden<br />
(„I’m not going anywhere, Marshal. I’m dying and I<br />
intend to die right here.“). Dabei schwingt nicht allzu viel<br />
Heroisches mit, denn Books Abgang ist ein ziemlich trauriger,<br />
bei dem auch harte Typen mal echte Gefühle zeigen<br />
dürfen. Auch wenn Siegel Wayne genug Gelegenheit<br />
gibt, auch sein humoristisches Talent zu zeigen, ohne dass<br />
seine Figur, die ganz klar ein Relikt der Vergangenheit ist,<br />
gleich zu Rooster Cogburn würde. Mit diesem großartigen<br />
Alterswerk schuf Siegel für Wayne ein würdiges finales<br />
Denkmal, und der hat sichtlich viel Spaß daran, die<br />
eigene Legende mit selbstironischer Distanz zu zerpflücken.<br />
Ein Held, der müde geworden ist und keiner mehr<br />
sein will, und den gewisse Umstände immer wieder dazu<br />
zwingen in diese Rolle zu schlüpfen, da jede Menge Aasgeier<br />
nur darauf warten, ihn endlich zu beerben. Zur allgemeinen<br />
Legendenbildung passt es dann auch, dass immer<br />
behauptet wird, Wayne, der bereits drei Jahre später verstarb,<br />
hätte zu dieser Zeit tatsächlich Krebs gehabt. Dieser<br />
wurde aber erst kurz vor seinem Tod bei ihm diagnostiziert,<br />
nachdem er ihn in den Sechzigern erfolgreich bekämpfen<br />
konnte, allerdings auch einen Lungenflügel dabei einbüsste.<br />
THE SHOOTIST untermauert auch noch mal Siegels<br />
Ruf als großartiger Regisseur, der immer intelligente<br />
Genre-Filme gedreht hat. Gleichzeitig auch ein Wiedersehen<br />
mit Hollywood-Größen wie Stewart und Bacall, die<br />
als Femme Fatale in Howard Hawks’ THE BIG SLEEP in<br />
den Vierzigern ihre Karriere begann. Und der kleine Ron<br />
Howard, der damals sein Idol Books nervte, penetriert uns<br />
heute als Regisseur mit fürchterlichen Dan Brown-Verfilmungen.<br />
So schön der Film ist, so ärgerlich ist allerdings<br />
die deutsche Synchro an manchen Stellen, denn so bald es<br />
etwas heiterer wird, steigern Rainer Brandt und Wayne-<br />
Sprecher Arnold Marquis das Klamauk-Level in wirklich<br />
unpassender Weise. Marquis war sicherlich ein altgedienter<br />
und ausgezeichneter Synchronsprecher, aber sehr häufig<br />
nervt sein übertrieben schlecht gelauntes Gebrummel<br />
ganz fürchterlich, zumal er es offenbar schrecklich witzig<br />
fand, Wayne den Rooster Cogburn-Ton zu verpassen, den<br />
der im Original eben nicht hat. Somit ist THE SHOOTIST<br />
teilweise ein weiteres unangenehmes Beispiel für Brandts<br />
selbstherrliche Umtriebe in diesem Bereich, aber ernsthaft<br />
beschädigen konnte er diesen Klassiker dann glücklicherweise<br />
doch nicht.<br />
GEFÄHRTEN DES TODES<br />
DVD | Koch Media | USA 1961 || Sam Peckinpahs erster<br />
Spielfilm THE DEADLY COMPANIONS – bis dahin hatte<br />
er bereits fürs US-Fernsehen erfolgreich gearbeitet – ist<br />
nicht unbedingt der schlechteste Start, um sich dem Schaffen<br />
dieses Regisseurs zu widmen, auch wenn sein zweites<br />
Werk RIDE THE HIGH COUNTRY (SACRAMENTO)<br />
immer als wesentlich wichtiger und besser erachtet wurde.<br />
Was vielleicht auch daran liegt, dass THE DEADLY COM-<br />
PANIONS bis vor kurzem gar nicht oder nur in grässlichen<br />
Vollbildfassungen erhältlich war und insgesamt wenig<br />
bekannt ist. Inzwischen sind aber offenbar doch noch vernünftige<br />
Master aufgetaucht und so erscheint THE DEADLY<br />
COMPANIONS nach einer Veröffentlichung in Dänemark<br />
auch hierzulande in seinem ursprünglichen Scope-Format,<br />
auf Video gab es ihn bisher noch nie. Obwohl schon<br />
Anfang der Sechziger entstanden, ein eher untypischer<br />
Vertreter des klassischen Westerns, der <strong>von</strong> recht heruntergekommenen<br />
Gestalten bevölkert wird. Die Hauptfigur<br />
ist dabei ein ehemaliger Nordstaaten-Sergeant, der Yel-<br />
lowleg genannt wird, und der nach dem Ende des Bürgerkrieges<br />
ausgerechnet den Südstaatler davor bewahrt, beim<br />
Poker wegen Falschspielens aufgehängt zu werden, der ihn<br />
auf dem Schlachtfeld einst skalpierte. Er tut sich dann mit<br />
diesem und dessen schießwütigen Kumpel zusammen, um<br />
eine Bank zu überfallen, mit der Absicht, sich anschließend<br />
endlich rächen zu können. Dabei kommt ihnen aber<br />
jemand zuvor und bei dem daraus resultierenden Feuergefecht<br />
erschießt der Sergeant im Durcheinander den<br />
Sohn eines Barmädchens (Maureen O’Hara, die Esmeralda<br />
aus THE HUNCHBACK OF NOTRE DAME <strong>von</strong> 1939). Als<br />
VERLOSUNG<br />
THE SHOOTIST<br />
GEFÄHRTEN DES TODES<br />
Diesmal haben wir je drei<br />
DVDs <strong>von</strong> MR 73 (Euro-<br />
Video), KLASS (MFA+), SEX MISSION (Ostalgica) und je zwei<br />
DVDs <strong>von</strong> FANTASY FILMFEST SHORTS (Sunfilm), WAXWORK<br />
(Epix), NIRVANA (Epix), SUNDOWN (Epix), BLOOD DINER<br />
(Epix), GEFÄHRTEN DES TODES (Koch Media), THE SHOOTIST<br />
(Koch Media), ANTICHRIST (MFA+) und DIE FAHRTEN DES<br />
ODYSSEUS (Colosseo) zu verlosen.<br />
Wenn ihr bei der Verlosung dabei sein wollt, müsst ihr folgende<br />
Fragen beantworten.<br />
Antworten an movies@ox-fanzine.de schicken (Adresse nicht vergessen!):<br />
•In welchen Filmen <strong>von</strong> Sam Peckinpah hat David Warner mitgespielt?<br />
• Wie heißt das ebenfalls aus Dänemark stammende Porno-Gegenstück<br />
des Dogma 95-Manifestes?<br />
eine Art Wiedergutmachung begleitet er die Frau zusammen<br />
mit seinen beiden Partnern durch ein Indianergebiet,<br />
da diese ihren Sohn neben dem Vater in der Stadt Siringo<br />
beerdigen will. Eine beschwerliche und lebensgefährliche<br />
Reise, denn zwischenzeitlich setzen sich Yellowlegs Partner<br />
unerwartet ab, dafür sind ihm und dem Barmädchen Indianer<br />
auf den Fersen, bis es dann zu einem eher antiklimaktischen<br />
Showdown kommt. Wirkliche Helden gibt es in<br />
THE DEADLY COMPANIONS nicht, und so ist auch Yellowleg<br />
(<strong>von</strong> Brian Keith exzellent gespielt) nur eine kaputte<br />
Type mit körperlichen Gebrechen, weswegen er kaum<br />
noch seinen Revolver richtig festhalten kann. Und der nur<br />
darauf ist, seine Rache zu bekommen, allerdings dann doch<br />
noch eine Form <strong>von</strong> Läuterung erfährt („Hating is a subject<br />
I know a little something about. You got to be careful<br />
it don’t bite you back.“). Spektakuläre Actionsequenzen<br />
wie in späteren Peckinpah-Filmen sucht man in THE<br />
DEADLY COMPANIONS noch vergeblich, was nicht heißt,<br />
dass es hier nicht auch für das Genre typische Spannungsmomente<br />
geben würde. Vor allem ist THE DEADLY COM-<br />
PANIONS aber ein sehr düsterer und nihilistischer Western<br />
und dementsprechend sehenswert, auch wenn Peckinpah<br />
so gut wie keinen Einfluss auf die Entwicklung des Drehbuchs<br />
und den Endschnitt hatte und hier nur ein besserer<br />
Auftragsregisseur war. Jedenfalls kann man mit dieser DVD<br />
endlich mal eine der letzten Lücken in der Peckinpah-<br />
Sammlung schließen. Wobei auch Fans <strong>von</strong> ungewöhnlichen<br />
Western an diesem Film ihre Freude haben werden,<br />
der bei weitem nicht so eindimensional und wenig bemerkenswert<br />
ist, wie einige Kritiker immer wieder gerne<br />
behaupten. Mike Siegel, <strong>von</strong> dem auch die hervorragende<br />
Peckinpah-Doku PASSION & POETRY stammt, hat hier als<br />
nette Extras noch einen Audiokommentar und ein knapp<br />
30-minütiges Feature beigesteuert.<br />
IN 3 TAGEN BIST DU TOT 2<br />
DVD | Senator | Österreich 2008 || 2006 drehte<br />
Andreas Prochaska mit IN 3 TAGEN BIST DU TOT recht<br />
erfolgreich einen Slasher nach amerikanischem Vorbild,<br />
der seinen besonderen Reiz aus den idyllischen Seen und<br />
Berglandschaften der österreichischen Provinz zog. Das<br />
Ganze war wohl insgesamt recht erfolgreich, und so hieß<br />
es zwei Jahre später IN 3 TAGEN BIST DU TOT 2 und der<br />
Regisseur erneut Prochaska. Nina, die im ersten Teil ihre<br />
Freunde durch einen psychopathischen Killer verloren<br />
hatte, ist inzwischen nach Wien gezogen und glaubt,<br />
die schrecklichen Erlebnisse aus dem ersten Teil verarbeitet<br />
zu haben. Bis eines Abends ihr Handy klingelt und ihre<br />
Freundin Mona sie um Hilfe bittet, wodurch Nina erneut<br />
in einen Albtraum mit ähnlicher Tragweite katapultiert<br />
wird, als sie zurück in die Provinz fährt, ins verschneite<br />
Tirol, um ihre Freundin zu suchen. War der erste Teil die<br />
Entsprechung amerikanischer Slasher, ist IN 3 TAGEN<br />
BIST DU TOT 2 Prochaskas Antwort auf Backwoods-Horror.<br />
Denn Nina bekommt es hier mit einer hübsch degenerierten<br />
Hinterwäldler-Familie zu tun, wodurch der Sicko-<br />
IN 3 TAGEN BIST DU TOT<br />
Faktor des Films gegen Ende drastisch ansteigt und man<br />
sich angesichts dieses intensiven, blutigen Gemetzels fragt,<br />
wieso das die FSK nur „ab 16“ eingestuft hat. Von einer<br />
richtigen Fortsetzung kann man eigentlich gar nicht sprechen,<br />
denn I3TBDT2 schlägt eine ganz andere Richtung ein<br />
und ist für Protagonistin eher die unerfreuliche Verarbeitung<br />
des Traumas aus dem ersten Teil – quasi ein kathartischer<br />
Prozess, den sie da durchmachen muss. Offenbar<br />
lag wohl sogar ein Drehbuch <strong>von</strong> Jörg Buttgereit für den 2.<br />
Teil vor, das aber nicht Prochaskas Vorstellungen entsprach.<br />
Sehr schön ist auf jeden Fall die verschneite Berglandschaft<br />
als Kulisse, die das abartige Treiben noch um einiges intensiver<br />
und grausamer wirken lässt. Ebenso wie die exzellente,<br />
innovative Kameraführung, denn gerade Filme aus<br />
dem deutschsprachigen Raum besitzen ja oft die unangenehme<br />
Eigenart, nur wie bessere Fernsehspiele zu wirken.<br />
Und Hauptdarstellerin Sabrina Reiter trägt auf jeden Fall<br />
dazu bei, dass der Film seine Glaubwürdigkeit behält, auch<br />
wenn sie bereits 26 ist, wobei auch der Rest der Darsteller<br />
erfreulich überzeugend ist. Richtig originell mag das zwar<br />
alles nicht sein, aber im Vergleich zur Masse überflüssiger<br />
amerikanischer Horror-Filme beziehungsweise schlechter<br />
Remakes/Sequels besitzt I3TBDT2 dann doch wieder<br />
eine sympathische Eigenständigkeit. Alleine schon aufgrund<br />
seiner visuellen Seite hebt er sich angenehm <strong>von</strong><br />
der Künstlichkeit nichteuropäischer Filme ab, und wesentlich<br />
spannender ist das Ganze auch noch. Klar, auch diesen<br />
Film hätte die Welt nicht unbedingt gebraucht, aber man<br />
hat hier über 100 Minuten zumindest nicht das Gefühl,<br />
komplett seine Zeit verschwendet zu haben. Und wer <strong>von</strong><br />
einem Genrefilm so was wie Autorenkino erwartet, ist<br />
sowieso fehl am Platz. Als Bonus gibt es auf der seit Januar<br />
erhältlichen ungeschnittenen DVD neben einer sehr interessanten<br />
entfallenen Szene einen Audiokommentar <strong>von</strong><br />
Regisseur und Hauptdarstellerin und, ganz wichtig, deutsche<br />
Untertitel, denn wer kann hierzulande schon Österreicher<br />
verstehen.<br />
No Shame<br />
»Ironing Day« Tour<br />
REVIEWS<br />
I Walk The Line<br />
»Language of the Lost«<br />
16.04. Flensburg | 17.04.<br />
Berlin | 18.04. Dresden |<br />
19.04. Chemnitz | 20.04.<br />
Nürnberg | 21.04. Mannheim<br />
| 22.04. Karlsruhe |<br />
23.04. München | 24.04. Rottenburg<br />
| 25.04. Tübingen |<br />
26.04. Solingen | 27.04. Aachen<br />
| 28.04. Erfurt | 29.04.<br />
Leipzig | 30.04. Hamburg<br />
03.04. Düsseldorf |04.04.<br />
Castrop-Rauxel | 05.04.<br />
Rastatt | 07.04. Hildesheim |<br />
08.04. Berlin | 09.04. Brandenburg<br />
| 11.04. Ulm | 12.04.<br />
Marbach | 14.04. Chemnitz |<br />
16.04. Aachen<br />
Genepool<br />
»Lauf! Lauf!« Tour<br />
08.04. Hamburg | 09.04.<br />
Hannover | 10.04. Kiel |<br />
16.04. Chemnitz, | 17.04.<br />
Berlin | 18.04. Potsdam,<br />
Ken FM Radioshow | 21.04.<br />
Wiesbaden *| 22.04. Stuttgart<br />
*| 26.04. Köln *| 27.04.<br />
Dortmund *| 07.05. Bremen<br />
| 08.05. Berlin | 23.05.<br />
Winterberg, Dirtmasters<br />
* w/ KEN<br />
OX-FANZINE 115
Reviews<br />
Stevie Chick<br />
SPRAY PAINT THE WALLS<br />
The Story Of Black Flag<br />
Buch | Omnibus Press | omnibuspress.com | 404 S.,<br />
£16.95 || Wollte man sich bislang in Buchform mit<br />
BLACK FLAG beschäftgen, blieb nur Michael Azzerads<br />
„Our Band Could Be<br />
Your Life“, das die 1976<br />
in Hermosa Beach gegründete<br />
Band um SST-<br />
Labelboss Greg Ginn im<br />
Kontext <strong>von</strong> Freunden<br />
und Zeitgenossen wie<br />
MINUTEMEN, HÜS-<br />
KER DÜ, MINOR TH-<br />
REAT, DINOSAUR JR.<br />
und SONIC YOUTH abhandelt,<br />
sowie „American<br />
Hardcore“. Der<br />
Musikjournalist Stevie<br />
Chick, der zu jung ist,<br />
um die 1986 aufgelöste<br />
Band aktiv begleitet zu<br />
haben, hat sich nach seiner<br />
SONIC YOUTH-Biographie<br />
„Psychic Confusion“<br />
in den Jahren 2008 und 2009 ausgiebig mit dem<br />
Phänomen BLACK FLAG auseinandergesetzt und aus seinen<br />
Recherchen und Interviews ein über 400 Seiten dickes<br />
Monstrum geschaffen. Mit BLACK FLAG geht es hier<br />
sowohl exemplarisch wie im Detail um eine Band, die in<br />
den Vororten <strong>von</strong> Los Angeles mit den Auswirkungen der<br />
Hippie-Nachwehen, Seventies-Rock-Gigantomanie und<br />
Polizeigewalt gleichermaßen zu kämpfen hatte – nicht<br />
zu vergessen die menschlichen Faktoren wie Neid, Missgunst,<br />
Drogen, Alkohol und Adoleszenz. Die Band um Greg<br />
Ginn und Chuck Dukowski schaffte es, abseits der etablierten<br />
Szene <strong>von</strong> Hollywood ihr eigenes Projekt einer an maximaler<br />
Härte orientierten Band durchzuziehen, gegen alle<br />
Widrigkeiten, und neben Bands wie YOUTH BRIGADE in<br />
L.A., DEAD KENNEDYS in San Francisco, MINOR THREAT<br />
in Washington, D.C. und D.O.A. in Vancouver zu Pionieren<br />
des Hardcore zu werden, die für Generationen <strong>von</strong> Bands<br />
nach ihnen jene Touring- und Szene-Strukturen etablierten,<br />
die für sie schlichtweg nicht vorhanden waren. Dazu<br />
gehört auch das <strong>von</strong> Greg Ginn gegründete Label SST, auf<br />
dem fast alle BLACK FLAG-Platten erschienen sind. Stevie<br />
Chick widmet sich in seinem sehr detailreichen Werk jedem<br />
einzelnen Bandmitglied, vor allem aber Greg Ginn,<br />
Chuck Dukowski, Bill Stevenson, Kira Roessler, Chuck Biscuits<br />
und Roberto „Robo“ Valverde“ sowie den Sängern<br />
Keith Morris (1976–1979), Ron Reyes (1979–1980), Dez<br />
Cadena, (1980–1981, 2003) und natürlich Henry Rollins<br />
(1981–1986). Chicks konnte dabei in vielen Fällen auf eigene<br />
Interviews zurückgreifen, oft zitiert er aber auch aus<br />
Interviews anderer, da wohl nicht jeder der damals Beteiligten<br />
übermäßig auskunftsfreudig war. Chicks Verdienst ist<br />
es, einerseits BLACK FLAG in ihrer Rolle als Pioniere und<br />
Stil-Ikonen zu würdigen, andererseits aber auch die Konflikte<br />
und Widersprüche aufzuzeigen. Speziell Band-Diktator<br />
Greg Ginn kommt hier bei genauem Lesen zwischen<br />
den Zeilen nicht wirklich gut weg: Einerseits wird klar, wie<br />
visionär und besessen Ginn seine musikalischen Ziele verfolgte,<br />
wie klar seine Vorstellung <strong>von</strong> seinem Label in der<br />
Frühphase war, aber aus den Aussagen enttäuschter Wegbe-<br />
Was sind die Einflüsse für deine Kunst, speziell wenn es um<br />
das Design <strong>von</strong> Bandlogos geht?<br />
Meistens finde ich etwas in der Natur, oder in Geschichte, Technik,<br />
Architektur, Musik: alles was eine hypnotische Atmosphäre<br />
ausstrahlt. Um Logos zu entwerfen, brauche ich eine ganz<br />
bestimmte Umgebung, die Vision muss klar sein. Manchmal<br />
kritzle ich einfach auf dem Papier herum, manchmal geht es<br />
auch sehr zielstrebig mit dem Zeichnen voran. Mein wichtigster<br />
kreativer Antrieb ist wohl Frustration, das habe ich für mich<br />
herausgefunden ... besonders wenn es um respektlose Kunden<br />
geht, die <strong>von</strong> einem anderen Künstler hinter meinem Rücken<br />
ein tolles Logo bekommen haben.<br />
Kannst du beschreiben, wie du ein Logodesign angehst,<br />
sowohl <strong>von</strong> der technischen Seite her, als auch mental?<br />
Was das Kopfmäßige angeht, muss ich eine Menge Bilder gesehen<br />
haben, durch verschiedene Landschaften gegangen sein<br />
oder harte Zeiten erlebt haben, wie zum Beispiel im Moment<br />
bei meinem „normalen“ Job. Oder ich muss <strong>von</strong> einem Film,<br />
Festival oder Konzert beeindruckt sein. Wenn ich verreise,<br />
OX-FANZiNe 116<br />
gleiter wie Kira Roessler, Chuck Dukowski oder Bill Stevenson<br />
wird auch klar, dass Ginn ein manipulativer Egomane<br />
ist, der BLACK FLAG letztlich auch deshalb auflöste,<br />
weil er mit Henry Rollins eine gleich starke Person in<br />
der Band herangezogen hatte, die seiner Kontrolle entglitten<br />
war – er konnte Rollins nicht mehr feuern. Wer immer<br />
BLACK FLAG sklavisch verehrt, sollte dieses Buch nicht lesen,<br />
denn es zerstört auch ein idealisiertes Bild, macht klar,<br />
wieviel Blut, Schweiss und Tränen in dieser Band steckten.<br />
Chicks ist es überdies gelungen, aus zweiter Hand ein beeindruckendes<br />
Portrait der US-Suburbia-Gesellschaft der<br />
späten Siebziger zu zeichnen, in der so viele Wurzeln der<br />
Punk- und Hardcore-Szene liegen – ohne diese zu kennen,<br />
ist ein Verständnis der aus dieser hervorgehenden Bands aus<br />
europäischer Sicht nicht möglich. Einziger negativer Aspekt<br />
dieses Buches sind die sehr detaillierten Beschreibungen<br />
der Musik <strong>von</strong> BLACK FLAG seitens Chick, bei der er<br />
oftmals zu floskelhaft vorgeht. Deshalb: Essentieller Lesestoff,<br />
sofern man der englischen Sprache halbwegs mächtig<br />
ist. Joachim Hiller<br />
Ray Bradbury, Tim Hamilton<br />
FAHRENHEIT 451<br />
Buch | Eichborn | eichborn.de | 160 S., 22,95 Euro ||<br />
Als ich François Truffauts Verfilmung <strong>von</strong> „Fahrenheit 451“<br />
aus dem Jahr 1966 mit 14 oder 15 das erste Mal sah, stand<br />
uns das „Orwell-Jahr“<br />
1984 noch bevor und<br />
kein Mensch hatte den<br />
Hauch einer Idee da<strong>von</strong>,<br />
dass 25 Jahre später Diskussionen<br />
über den alles<br />
speichernden Internet-<br />
Moloch Google geführt<br />
werden würden. Ich war<br />
jung, aber schon alt genug,<br />
um eine Ahnung<br />
da<strong>von</strong> zu haben, dass in<br />
Zukunft nicht alles besser<br />
sein würde. Truffauts<br />
Film lag Ray Bradburys<br />
Buch aus dem Jahr 1953<br />
zu Grunde, ein dystopischer<br />
Roman <strong>von</strong> zeitloser<br />
Bedeutung, dessen<br />
Geschichte auch heute noch keinesfalls wie eine naive<br />
Beschreibung einer Zukunft wirkt, die <strong>von</strong> der Realität<br />
längst eingeholt oder übetroffen wurde. Dieses Buch<br />
nun wurde 2009 mit Zustimmung des bald neunzigjährigen<br />
Bradbury <strong>von</strong> Tim Hamilton als Graphic Novel umgesetzt,<br />
und scheinbar war Bradbury vom Ergebnis so überzeugt,<br />
dass er bereit war, das Vorwort zu schreiben. Die Geschichte<br />
ist simpel: Montag ist Feuerwehrmann, doch in<br />
jener Gesellschaft – eine deutlich erkennbare Fortschreibung<br />
der heilen US-Vorstadtwelt der boomenden Fünfziger<br />
– hat die Feuerwehr eine ganz andere Aufgabe, denn die<br />
Häuser sind längst feuerfest. Stattdessen rücken die Wehrmänner<br />
mit Kerosinspritzen bewaffnet aus, wenn mal wieder<br />
ein Buchbesitzer entdeckt wurde. Bücher, das ist subversiver<br />
Kram, den es zu beseitigen gilt, und diesen Job<br />
macht Montag mit Leidenschaft. Bis er eines Tages Skrupel<br />
bekommt ... Warum hat sich eine alte Frau mit ihren<br />
Büchern verbrannt, als die Feuerwehr ins Haus kam? Was<br />
ist an diesen Büchern dran, dass jemand bereits ist dafür<br />
zu sterben? Montag nimmt ein zur Verbrennung bestimm-<br />
tes Buch mit nach Hause, und das Verhängnis nimmt seinen<br />
Lauf. Hamiltons bildliche Umsetzung der Geschichte<br />
ist gelungen, die Text-Adaption bei aller Kürzung nicht<br />
verfremdend, man bleibt der Vorlage treu und schuf so einen<br />
wirklich sehens- und lesenswerten Graphic Novel, der<br />
der literarischen Bedeutung des Roman angemessen ist.<br />
Joachim Hiller<br />
Christophe Szpajdel<br />
LORD OF THE LOGOS<br />
Designing The Metal Underground<br />
Buch | Gestalten | gestalten.com | 272 S., 35 Euro || Der<br />
1970 geborene Belgier Christophe Szpajdel begann seine<br />
Karriere als Logo-Zeichner während seines Biologiestudiums<br />
in Leuven, als er Anfang<br />
der Neunziger als<br />
Mitwirkender des Fanzines<br />
„Septicore“ Kontakt<br />
zum späteren EM-<br />
PEROR-Gitarristen Samoth<br />
hatte, denen er<br />
dann das auf jeder Veröffentlichung<br />
der Norweger<br />
verwendete Bandlogo<br />
kreierte. Bis heute hat<br />
Szpajdel hunderte Logos<br />
für Metal-Bands entworfen<br />
und gezeichnet, die<br />
jetzt in diesem Bildband<br />
versammelt und nach<br />
Stil geordnet sind. Dass<br />
er dabei für die Unterteilung der einzelnen Genres, wenn<br />
man denn bei Logos <strong>von</strong> solchen sprechen kann, als jeweiligen<br />
Einstieg ein Naturfoto wählte, zeigt Szpajdels Verbundenheit<br />
zum Black Metal, dementsprechend sind seine Designs<br />
auch oft beinahe unleserliche, künstlerisch aber ansprechende<br />
Schriftzüge, die das Archaische des Genres aufgreifen.<br />
Auf erläuternde Informationen hat Szpajdel verzichtet,<br />
„Lord Of The Logos“ funktioniert dennoch als eine<br />
Art klassischer Bildband, auch wenn uns der Kunstledereinband<br />
eine Bibel vorgaukeln möchte. André Bohnensack<br />
Oliver Uschmann<br />
DAS GEGENTEIL VON OBEN<br />
Roman<br />
Buch | Script 5 | script5.de | 344 S., 12,90 Euro || Nach<br />
der unerfreulich entsetzlichen, letzten Veröffentlichung<br />
(siehe „Fehlermeldung“) war die Angst vor dem, was als<br />
nächstes kommt, berechtigt. Doch das Aufatmen wird gestattet!<br />
Wenn man „Fehlermeldung“ als den bisherigen<br />
Tiefpunkt in der beeindruckend, sich innerhalb kurzer<br />
Zeit verlängernden Liste an Bucherscheinungen <strong>von</strong> Oliver<br />
Uschmann, bezeichnen kann, ist demgemäß „Das Gegenteil<br />
<strong>von</strong> oben“ der bisherige Höhepunkt. So außerordentlich<br />
gelungen dreiviertel der derzeit vierteiligen „Hartmut<br />
und ich“-Reihe auch sind, es war längst an der Zeit, dass<br />
sich der Autor einmal anderen Hauptfiguren in einem seiner<br />
Romane widmet. Und das hat er mit diesem frischen,<br />
unterhaltsamen und spannenden Roman fabelhaft zustande<br />
gebracht. Die Geschichte wird erzählt <strong>von</strong> Dennis, einem<br />
fünfzehnjährigen Jungen, der zusammen mit seiner<br />
Mutter in einer Hochaussiedlung wohnt. Als habe er<br />
nicht schon genug damit zu tun, die üblichen jugendtypischen<br />
Hürden zu überwinden, wird er nun auch noch auf<br />
ein vermutlich grausames Geschehen in seiner Nachbar-<br />
habe ich immer ein Skizzenbuch bei mir, ein paar A4-Blätter<br />
und Stifte, damit ich interessante Dinge direkt zu Papier bringen<br />
kann. „Ah, dieses Art-Déco-Motiv am Schaeffer Building<br />
in Eugene, Oregon zum Beispiel, passt perfekt zu meiner Idee<br />
für dieses oder jenes Logo.“ Das ist die mentale Vorbereitung.<br />
Wenn mein Kopf irgendwann voller Ideen ist, mache ich aus<br />
den guten kleinen Skizzen große Entwürfe, scanne sie auf A4,<br />
schicke sie an die Bands und wir schauen dann, was geändert<br />
werden muss. Meistens ist es so, dass der Kunde sagt: „Es ist<br />
gut, aber noch nicht ganz das, wonach wir suchen.“ Durch<br />
weiteres Fragen, komme ich dann zu weiteren Entwürfen, und<br />
wenn der Kunde zufrieden ist, mache ich mit Tusche weitere.<br />
Erst die Outlines, dann die Fillings und das Ausschmücken. Das<br />
dauert alles so seine Zeit und meine Arbeit an ein paar Logos ist<br />
immer auf einige Wochen ausgelegt. Ein wirklich gutes Logo<br />
kann niemals an nur einem Tag entstehen.<br />
Muss dir die Musik der Bands gefallen, für die du arbeitest,<br />
oder siehst du es „nur“ als Job?<br />
Bis jetzt versuche ich immer, Leidenschaft und Job auf einen<br />
Nenner zu bringen. Ich habe auch noch einen normalen Job<br />
im Management eines Supermarktes, plane aber längerfristig,<br />
mich selbständig zu machen und tue alles erdenklich mögliche,<br />
um <strong>von</strong> der Kunst leben zu können und den anderen Job<br />
an den Nagel zu hängen. Leider bin ich manchmal gezwungen,<br />
Logos für Bands zu machen, die mir überhaupt nicht gefallen,<br />
wenn andere Kunden wegfallen zum Beispiel. Es kam auch<br />
schon vor, dass irgendwelche Metalcore-Bands wegen eines<br />
Logos auf mich zugekommen sind und ich erst abgelehnt habe,<br />
dann aber doch den Auftrag annahm, weil nur wenige interessante<br />
Bands da waren, deren Logo ich unbedingt machen<br />
wollte ... Ich bin auch schon mal frustriert, wenn ich geile<br />
Logos für zweitklassige Bands machen musste.<br />
Hast du auch mal eine Anfrage aus musikalischen, persönlichen<br />
oder sogar politischen Gründen abgelehnt? Letzteres<br />
bezieht sich vor allem auf die NS-Bewegung im Black Metal.<br />
Das ist eine ziemlich schwierige Angelegenheit. Bevor ich eine<br />
Anfrage ablehne, mache ich mich erst mal schlau, frage mich<br />
Literatur<br />
schaft aufmerksam. Die Überforderung nimmt zu, aber er<br />
hat keine Wahl. Er muss Antworten auf einige Fragen finden,<br />
die sein Leben ihm stellt. Die Geschichte wird wunderbar<br />
erzählt und die Charaktere begeistern. Oliver Uschmann<br />
überzeugt nach dem Ausrutscher absolut. Nun kann<br />
man sich auch wieder auf den bald erscheinenden fünften<br />
„Hartmut und ich“-Roman freuen. Christoph Parkinson<br />
Daniel Terek<br />
DER WELTENMAMPFER<br />
Edition The Punchliner Band 3<br />
Buch | Verlag Andreas Reiffer | verlag-reiffer.de | 116 S.,<br />
10 Euro || Oje, wenn einen schon in der dritten Zeile einer<br />
Einleitung ein Tippfehler anlacht und dann im Postskriptum<br />
dieser betont<br />
werden muss, dass<br />
der Autor gegen Sexismus,<br />
gegen Homophobie,<br />
für Vegetarismus und<br />
Straight Edge ist, schlafen<br />
einem bereits fast die<br />
Füße ein. Während dem<br />
Lesen der ersten Storys<br />
beginnen diese dann tatsächlich<br />
unangenehm zu<br />
kribbeln. Daniels Schuleinführung,<br />
die Probleme,<br />
die er beim Erlernen<br />
des Radfahrens hatte oder auch seine „authentische Zeichnung<br />
ländlichen Lebens“, in welcher er das Phänomen der<br />
Dorfdisco darstellt, langweilen sehr – obwohl der Autor<br />
nicht auf den Kopf gefallen ist und sich ganz gut ausdrücken<br />
kann. Aber das Weiterlesen lohnt sich bald. Ein Text,<br />
wie zum Beispiel „Kinderquatsch mit Anne“, trifft das angegangene<br />
Thema auf den Punkt und begeistert besonders<br />
durch eine sehr bissige, gute Schreibe, welche schließlich<br />
in weiteren der insgesamt 26 Texte verzückt. Ebenfalls gefällt<br />
auch „Ganz oben“, in der sehr erheiternd eine Jugendkultur<br />
der „Aristokraten“ erfunden und beschrieben wird.<br />
Also: Nach massiven Startschwierigkeiten, hat der Weltenmampfer<br />
in seinem Debüt die Kurve gekriegt. Mal sehen,<br />
ob er diesen Level in einer zweiten Veröffentlichung<br />
durchgehend halten kann. Christoph Parkinson<br />
Roy Carr<br />
A TALK ON THE WILD SIDE<br />
Buch+4CD | Edel | edel.com | 120 S., 39,95 Euro || Bei<br />
dem Titel schaut man auf und bleibt an der Gestaltung und<br />
dem Wortspiel hängen. Lou Reeds „Walk on the wild side“<br />
fällt einem ein und man ist fast auf der richtigen Spur. Es<br />
geht zwar nicht um VELTVET UNDERGROUND, aber um<br />
die Zeit, in der die Velvets ganz vorne waren: Es beginnt<br />
1972 in New York mit einem Interview Roy Carrs mit John<br />
Lennon. Ein knappes Dutzend Megastars der Siebzigerjahre<br />
– John Lennon, Mick Jagger, Keith Moon, Phil Spector,<br />
Keith Richards, Cat Stevens, John Entwistle, John Bonham,<br />
Pete Townshend und Paul McCartney - äußern sich zum<br />
Musikgeschäft und vermitteln einen seltsam eindringlichen,<br />
manchmal verschrobenen und abwegigen Eindruck<br />
<strong>von</strong> einer Zeit, die man aus der Perspektive des gesprochenen<br />
Tondokuments eher selten kennen lernt. Dazu findet<br />
man im Begleitband eine unterhaltsame Collage an Bildmaterial,<br />
einiges Neues und auch Bekanntes. Aber vor allem<br />
überraschen die Tondokumente aus dem Zeitraum<br />
1972 bis 1978 mit ihrer Frische, wie gestern aufgenom-<br />
CHriStOPHe SZPaJDeL<br />
The Lord of The Logos<br />
Der 1970 geborene Belgier Christophe szpajdel begann seine Karriere als Logo-Zeichner während seines Biologiestudiums<br />
in Leuven, als er Anfang der Neunziger als Mitwirkender des Fanzines „septicore“ Kontakt zum<br />
späteren eMPeROR-Gitarristen samoth hatte, denen er dann das auf jeder veröffentlichung der Norweger verwendete<br />
Bandlogo kreierte. Bis heute hat szpajdel hunderte Logos für Metal-Bands entworfen und gezeichnet,<br />
die er jetzt in dem Bildband „Lord Of The Logos“ versammelt hat.<br />
und auch andere Leute, die eine Band vielleicht persönlich kennen,<br />
ob es der Auftrag wert ist. Wird die Band groß oder ist es<br />
nur ein kurzes Ausrasten <strong>von</strong> irgendwelchen unreifen Kindern,<br />
die demnächst ihre Instrumente wieder verkaufen und auf den<br />
nächsten Trend aufspringen? Da zählt jedes Detail, beginnend<br />
bei der Art und Weise, wie eine Nachricht an mich geschrieben<br />
wird, bis zum persönlichen Hintergrund des Kunden, denn<br />
ich habe absolut keine Lust für irgendwelche Emo-Kinder zu<br />
arbeiten, deren Bandphilisophie ist, ein paar Songs bei MySpace<br />
reinzustellen, um ein paar gelangweilte Freunde zu beeindrucken<br />
oder <strong>von</strong> anderen Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich<br />
will mit Leuten arbeiten, die reifer im Kopf sind und Musik<br />
aus Leidenschaft machen. Ich bin sogar mehr <strong>von</strong> persönlichen<br />
Anfragen begeistert, die nicht unbedingt <strong>von</strong> Bands kommen,<br />
denn da spüre ich häufig ein größeres Interesse, und die Wahrscheinlichkeit<br />
ist auch höher, dass meine Arbeit angemessen<br />
entlohnt wird. Die meisten Typen in den Bands, die ich online<br />
so treffe, haben kein Geld. Seit ich ein Interview für ein Webzine<br />
namens LoveLogoDesign gemacht habe, sehe ich mehr<br />
Interesse <strong>von</strong> Leuten, die Kunst einfach um ihrer selbst willen<br />
lieben. Was diese Nazi-Bewegung angeht, denke ich, dass<br />
sie Black Metal generell in Verruf bringt , und wissend ein Logo<br />
für eine NSBM-Band zu entwerfen, würde meinen guten Ruf<br />
ruinieren, das ist das Letzte, was ich will. Andererseits, versteh<br />
mich nicht falsch, gibt es leider auch gute Bands, die wirklich
men. Die Interviews sind manchmal holperig, schwer zu<br />
verstehen, vor allem aber unterhaltend und erhellend. Man<br />
sollte allerdings den Kontext der Interviews kennen, obwohl<br />
dieser <strong>von</strong> dem Bildband vermittelt wird, denn die<br />
Interviews liefern eine erhebliche Fülle an Detailinformationen.<br />
Zusammengenommen ein schönes Büchlein mit<br />
verblüffend viel Informationen, in hervorragender Ausstattung<br />
und bestens geeignet als Geschenk für einen Plattenliebhaber,<br />
der schon alles hat. <strong>Thomas</strong> <strong>Neumann</strong><br />
Heidi Minx<br />
Home Rockanomics<br />
54 Projects and Recipes for Style on the Edge<br />
Buch | <strong>Thomas</strong> Dunne Books | thomasdunnebooks.com<br />
| 144 S., $16.99 || Heidi Minx aus New York steckt hinter<br />
der Website punkrockdomestics.com, einer englischsprachigenD.I.Y.-Website,<br />
die das Selbermachen<br />
mal über die üblichen<br />
Themenfelder<br />
Konzerte, Flyer, Platten,<br />
T-Shirt-Druck etc. hinaus<br />
ausdehnt und damit<br />
auch eine politische Aussage<br />
macht: Man muss<br />
nicht den Konsumzwängen<br />
der Gesellschaft gehorchen,<br />
sondern kann<br />
sich durch handwerklich<br />
hergestellte Gegenstände<br />
und das Recyclen<br />
bestimmten Verhaltensweisen<br />
entziehen<br />
und wird damit auch noch einem Ur-Anspruch <strong>von</strong> Punk<br />
und Hardcore gerecht, nämlich sich selbst zu verwirklichen<br />
und seiner Individualität Ausdruck zu verleihen. Online<br />
gibt es unzählige Tipps, Ideen und auch (fleischfreie)<br />
Rezepte umsonst, doch in gedruckter Form und schön gestaltet,<br />
mit reichlich Fotos dazu macht das Ganze auch Sinn<br />
und taugt darüber hinaus auch noch als Geschenk. Von der<br />
pinken Farbgebung her habe ich zwar den Eindruck, das<br />
Buch wende sich eher an Frauen als an Männer, doch je<br />
nach handwerklicher Veranlagung taugt das Buch für beide<br />
Geschlechter zur Inspiration. Wohnzimmerkissen aus alten<br />
oder neuen T-Shirts nähen? Einen Nietengürtel aus einem<br />
Fahrradschlauch selber machen? Einen Bilderrahmen<br />
aus einem CD-Case basteln? Mit Sprühschablonen arbeiten?<br />
Kochen mit John Joseph <strong>von</strong> den CRO-MAGS? Gibt es<br />
alles hier. Mit durchschnittlichen englischen Sprachkenntnissen<br />
kommt man hier auf jeden Fall klar und braucht<br />
sich über Geschenkideen für die nächsten Geburtstagspartys<br />
keinen Kopf mehr machen. Joachim Hiller<br />
Oliver Uschmann<br />
FEHLERMELDUNG<br />
Der Mann und seine Krisen<br />
Buch/2CD | Gütersloher Verlagshaus | gtvh.de | 255 S.,<br />
16,95 Euro || Nach der vierteiligen „Hartmut und ich“-<br />
Reihe, begibt sich Uschmann auf ganz neue Gewässer. Mittels<br />
seiner Kenntnisse in der Transaktions- oder in der Psychoanalyse<br />
(oje ...), veröffentlicht er einen Ratgeber für<br />
den modernen, „fehlerhaften“ Mann. In mehreren Kurzgeschichten<br />
stellt er die Laster <strong>von</strong> fünf angeblich prototypischen<br />
Männerfiguren dar. Er hält fest: Männer wollen<br />
ewig Kind bleiben, können nicht mit Geld umgehen,<br />
haben Angst vor Bindung, Beziehung und Verantwortung,<br />
überschätzen sich selbst gerne und haben Angst vor Ärzten.<br />
Auf die Fehleranalyse folgen die Ratschläge für die Fehlerbehebung.<br />
Die Tipps bereiten dem modernen Leser gerne<br />
mal Übelkeit: „Werden Sie Unternehmer“, „haben Sie<br />
selber Kinder (dann werden Sie ganz <strong>von</strong> selbst erwachsen<br />
tolle Musik machen, die als NSBM abgestempelt werden, doch<br />
viele sind das nicht. Von so einer Band würde ich nur dann<br />
eine Anfrage akzeptieren, wenn sie sich selbst treu bleibt, und<br />
ich werde nicht zögern, irgendwelche Aufträge abzulehnen, bei<br />
denen eine Band will, dass ich offensichtliche NS-Symbole in<br />
ihr Logo einarbeite. Ich will hier aber auch noch darauf hinweisen,<br />
dass keltische Kreuze oder Sonnenräder <strong>von</strong> einigen<br />
als Nazi-Symbole bezeichnet werden, was aber absolut falsch<br />
ist. Diese Ansicht wird <strong>von</strong> Leuten verbreitet, die sich damit<br />
nicht auskennen. Wissen ist etwas Entscheidendes, man sollte<br />
nie ein Urteil fällen, ohne sich vorher umfassend informiert zu<br />
haben, weshalb ich oft auch einen Kunden erst mal zur Sicherheit<br />
in die Warteschleife stelle, bevor ich entweder loslege oder<br />
die Anfrage ablehne. Bei diesem Thema muss man immer sehr<br />
aufpassen.<br />
Hörst du dir die Musik der jeweiligen Bands dabei an, während<br />
du an ihren Logos arbeitest?<br />
Immer, auf jeden Fall! Jede Band, die auf mich zukommt, muss<br />
mir auch einen Link zukommen lassen. Ich werde immer<br />
Bands vorziehen, deren Musik ich mag, die kommen als Erstes<br />
dran, ich habe schließlich immer mit tonnenweise Anfragen<br />
zu tun und es ist absolut entscheidend, dass die Musik sich<br />
auf meine künstlerische Kreativität überträgt.<br />
Wie man in deinem Buch „Lord of the Logos“ sehen kann,<br />
lassen viele deiner Logos, obwohl sie für verschiedene Bands<br />
gemacht wurden, einen gemeinsamem Stil erkennen. Wie<br />
entscheidest du, was zu welcher Band passt? Oder wird der<br />
eigene Stil einer Band in deinem Kopf quasi <strong>von</strong> ihr selbst<br />
erschaffen?<br />
Ich bestehe mittlerweile darauf, dass eine Band mir soviel<br />
Anweisungen wie möglich gibt und Links schickt, wo ich mir<br />
ansehen kann, was sie sich so ungefähr vorstellt. Es ist mittlerweile<br />
ja zwangsläufig so, dass eine Anfrage sich auf Logos<br />
bezieht, die ich vorher für andere Bands gemacht habe. Ich for-<br />
...)“, „vergessen Sie Ihre Jugend“, etc. Das Buch ist für ein<br />
Sachbuch inhaltlich viel zu schwach und für einen Kurzgeschichtenband<br />
zu einfallslos. Als Ratgeber reiht es sich<br />
ein, in eine unüberschaubare Ansammlung an Veröffentlichungen,<br />
die den Wenigsten nützen. Denn nur eine geringe<br />
Anzahl der „Tipps“ ist annehmbar. Es ist nicht schwer, sich<br />
vorzustellen, wie der ehemalige Open End Fanzine-Herausgeber,<br />
Visions-Schreiber, Punkrocksänger, Blablabla, etc.<br />
mit seiner Frau, den gemeinsamen Katzen und Fischen nun<br />
auf dem Land wohnt und meint, dem seiner Empfindung<br />
nach hilfsbedürftigen Geschlecht wieder auf den richtigen<br />
Weg verhelfen zu müssen. Sorry, „Mission failed“! Abscheulich<br />
konstruierte Storys und Charaktere treffen auf<br />
unnütze Besserwisserei. Es wäre interessant zu wissen, ob<br />
die Idee, dieses Buch zu schreiben, auf seinem Mist gewachsen<br />
ist, oder auf dem seiner Frau ... Auf der Doppel-<br />
CD des Hörbuchs befindet sich eine Lesung vom 08.09.09<br />
in der Buchhandlung Bindernagel in Butzbach, in welcher<br />
der Autor vor allem die „Shortstories“ vorliest.<br />
Christoph Parkinson<br />
Wenzel Storch<br />
DER BULLDOZER GOTTES<br />
Buch | Ventil Verlag | wenzelstorch.de | 280 Seiten 17,90<br />
Euro || Willkommen in der Welt der Nachzügler. Vor fast<br />
einem Jahr schon erschien dieses Buch des Großmeisters<br />
deutscher Unkultur, der<br />
bis dato eher durch seine<br />
filmischen Werke<br />
wie „Sommer der Liebe“<br />
oder „Der Glanz dieser<br />
Tage“ zwar am Weltruhmvorbeigeschlittert<br />
ist, sich jedoch in der<br />
Subkultur einen großen<br />
Fankreis erworben hat.<br />
Wie auch sein filmisches<br />
Schaffen, so ist auch diese<br />
Ansammlung an Kolumnen,<br />
gesammelten Zeitungsschnipseln,privaten<br />
Zeichnungen, merkwürdigen<br />
Gedichten und<br />
vielem mehr durchzogen<br />
vom Mief der 50er Jahre,<br />
allerschlimmster ländlicher Frömmelei und jugendlicher<br />
Entdeckung der Pornographie, vermischt mit der Kitschigkeit<br />
der 70er Jahre und einem ganz großen Bonbon-Glas<br />
voller psychedelischer Süßigkeiten. Wie alle seine Werke<br />
polarisiert auch dieses Buch. Ich persönlich verbinde mit<br />
Wenzel Storch die Erinnerung an den größten und längsten<br />
und dadurch gleichzeitig schlimmsten Lachanfall meines<br />
gesamten Lebens, der 89 Minuten anhielt und durch den<br />
damaligen Genuss selbstgepflückter Pilze, <strong>von</strong> denen ich<br />
irrtümlich dachte, es handele sich um Champignons, noch<br />
verstärkt wurde, als ich in einem winzigen Programmkino<br />
„Sommer der Liebe“ angesehen, oder besser gesagt, erlebt<br />
habe. Dafür bin ich dem Mann ewig dankbar, nur liegen<br />
diese Zeiten sehr lange zurück, mein Humorverständnis<br />
hat sich seitdem sehr verändert, meine Gepflogenheiten<br />
bezüglich des Genusses jedweder Art <strong>von</strong> Stimulantia<br />
ist komplett zum Erliegen gekommen und vieles in diesem<br />
Buch erinnert mich nunmehr an all die eigenen Zeichnungen<br />
und Textchen, die ich in der Schule gemalt habe.<br />
Man bewahrt sowas gerne auf, aber schaut es sich doch sehr<br />
verwundert an, wenn man es nach einer Ewigkeit in einer<br />
Kiste im Keller findet. Wenzel Storch ist da anders. Er verwahrt<br />
diese Fragmente nicht nur, er bewahrt sie und erstellt<br />
damit ein Gesamtbild, das er mit dem gesammelten<br />
Schrott dieser Gesellschaft zu einer bunten Puppenstube<br />
zusammenzimmert. Einiges da<strong>von</strong> amüsiert mich auch<br />
heute noch, vieles ist mir mittlerweile zu pubertär, was<br />
aber natürlich beabsichtigt ist. Verborgen blieb mir bis dato<br />
die Wortgewandtheit, mit der sich Storch durch seine Kolumnen<br />
schreibt, die gelegentlich an Max Goldt erinnert.<br />
Eigentlich reiht sich Wenzel Storch mit diesem Buch in die<br />
Tradition großer zeitgenössischer Kirchenkritiker ein: Luther,<br />
Voltaire, Feuerbach, Nietzsche, Bonhoeffer, Storch ...<br />
Claus Wittwer<br />
Nora Bendl (Hg.)<br />
REASONS NOT RULES<br />
Buch | Cobra Books | myspace.com/cobraxrecords |<br />
154 S., 21,40 Euro || Konzertfotografie ist in den letzten<br />
Jahren zu einem beliebten Sport geworden, und man<br />
hat schon Shows besucht,<br />
wo mehr Menschen mit<br />
Objektiv als mit Gitarre<br />
und Mikrofon auf der<br />
Bühne standen. Entsprechend<br />
zahlreich auch die<br />
Websites und Blogs mit<br />
der digitalen Beute, doch<br />
Quantität und Qualität<br />
waren und sind auch hier<br />
keine Geschwister. Mit<br />
facetheshow.com und<br />
Fotografen wie Burkhard<br />
Müller, Daniel Malsch<br />
und Paco Weekenstroo<br />
hat sich allerdings ein auf<br />
Qualität und eine eigene<br />
Bildsprache setzendes<br />
Portal etabliert, das handwerkliches Können mit Fan-<br />
Begeisterung kombiniert, und aus diesem Kontext heraus<br />
entstand dieses <strong>von</strong> Nora Bendl herausgegebene Buch, als<br />
dessen Verlag Cobra Records aus dem Ruhrgebiet fungiert.<br />
Auf über 150 Seiten finden sich Konzertfotos <strong>von</strong> BLACK<br />
FRIDAY 29, CHEAP THRILLS, COLD WORLD, CONVERGE,<br />
DENY EVERYTHING, HAVE HEART, JUST WENT BLACK,<br />
JUSTICE, NO TURNING BACK, RISE AND FALL, RITUAL,<br />
TACKLEBERRY, VERSE, ZERO MENTALITY und vielen anderen,<br />
in sehr gelungenem Layout, aufgelockert durch Sätze<br />
aus Songtexten und auch ein paar Interviews und Kolumnen<br />
(TACKLEBERRY, DEATH IS NOT GLAMOROUS,<br />
Hardcore Ink Tattoo, Imperial Shirts, Flint Stelter, Brian<br />
Peterson ...) in englischer Sprache, die versuchen, den Bildern<br />
das an Inhalt zur Seite zu stellen, was sich durch das<br />
Betrachten verschwitzter, euphorisierter Menschen nicht<br />
unbedingt erschließt. Das Verdienst <strong>von</strong> Nora Bendl und all<br />
den an diesem liebevoll gemachten Buch Beteiligten ist es,<br />
eine Teilszene des Hardcore zu dokumentieren, deren Gedächtnis<br />
zu einem großen Teil nur online existiert, doch so<br />
unendlich die Weiten des Internets auch sind, so flüchtig<br />
ist auch alles dort Gespeicherte. Und da ist es gut zu wissen,<br />
dass hiermit einige wertvolle Momente und Gedanken<br />
auf ganz altmodische Art und Weise gesichert wurden.<br />
Joachim Hiller<br />
Jonas Gabler<br />
ULTRAKULTUREN<br />
UND RECHTSEXTREMISMUS<br />
Fußballfans in Deutschland und Italien<br />
Buch | PapyRossa | papyrossa.de | 153 S., 14 Euro || Der<br />
Ultra, das unbekannte, extrem heterogene Wesen. Ihm auf<br />
die Pelle rücken wollte Jonas Gabler mit seiner Diplomarbeit.<br />
Diese hat der linke PapyRossa Verlag aus Köln in der<br />
Reihe Hochschulschriften verlegt. Doch wer nun zuckt<br />
und einen verquasten wissenschaftlichen Textmist erwartet,<br />
kann ruhig noch etwas weiter lesen. Denn auch wenn<br />
es sich um eine wissenschaftliche Arbeit handelt, in weiten<br />
Teilen liest diese sich wenig verkopft und schildert gut les-<br />
dere so viele Angaben wie möglich <strong>von</strong> meinen Kunden, bevor<br />
ich an etwas arbeite. Aber es gibt tatsächlich einige Bands, die<br />
etwas erschaffen, das dazu führt, dass ich einen bestimmten Stil<br />
<strong>von</strong> alleine im Kopf habe. Zum Beispiel CONTAGIION, I SHALT<br />
BECOME, APPARITIA, WEDARD, WHEN MINE EYES BLACKEN,<br />
WINDS OF SORROW, EXILED FROM LIGHT ... Bei dem Verschmelzen<br />
ihrer Kunst mit der Art Déco – inspiriert vor allem<br />
durch die ziemlich einmalige, <strong>von</strong> den Architekten Timothy<br />
Pflueger und Bruce Goffs entworfene Boston Avenue Methodist<br />
Church in Tulsa – habe ich einen ziemlich eigenständigen Stil<br />
entwickelt, dessen Charakteristikum die hohen, geometrischen<br />
Logos sind, mit einer Vielzahl an vertikalen Linien und Schattierungen.<br />
So ist Depressiv’Moderne entstanden. Und dazu<br />
angeregt, meine naturorientierten Logos zu verbessern, haben<br />
mich der Yosemite Valley Park, Mount Shasta und die Cascadian<br />
Mountains in Oregon, die immer <strong>von</strong> unheimlichen Nebeln<br />
umgeben sind. Das hatte großen Anteil bei der Entwicklung<br />
meiner „Winterstil“-Logos, ohne dabei meine Faszination für<br />
Bäume und ihre Zweige im Winter zu vergessen. Ein exzellenter<br />
Ersatz für die Cascadian Mountains ist auch Dartmoor, wo<br />
ich wohne, zwischen November und März ist die beste Zeit.<br />
Es ist generell aber unvermeidbar, Logos zu zeichnen, die sich<br />
irgendwie ähneln, wenn man etwas produktiver ist.<br />
Ein Phänomen im Metal, besonders im Black Metal, ist ja,<br />
dass manche Logos auf den ersten Blick absolut unlesbar<br />
wirken oder nur zu entziffern sind, wenn man den Namen<br />
der Band schon kennt.<br />
Du hast völlig Recht, ich habe schon so viele absichtlich unlesbare<br />
Logos gesehen. Das Problem ist, dass ein so abstraktes<br />
Logo nur sehr schwer im Gedächtnis bleibt. Aber es gibt<br />
schon einen Kompromiss zwischen Unlesbarkeit und Einprägsamkeit<br />
eines Logos. Manche Bands haben ja eine ganze Palette<br />
an Logos und keines ist zu entziffern, was es noch schwerer<br />
macht, sich an ihren Namen zu erinnern. Wenn der Name auch<br />
noch lang ist, so ein Zungenbrecher wie LUGGAIDIMEERAN-<br />
Reviews<br />
bar und informativ die Geschichten der Ultras in Italien<br />
und in Deutschland sowie das Problemfeld des Rechtsextremismus.<br />
In Italien etwa entstanden die Ultras laut Gabler<br />
schon in den 1960er und 1970er Jahren, als in Deutschland<br />
noch die Kuttenträger wie gescheiterte Rockerclubs die<br />
Kurven bevölkerten. Gabler stellt fest, dass in jenen Jahren,<br />
als in Italien sowohl politisch linke wie rechte Strömungen<br />
auf den Straßen aktiv waren, auch die Ultras eine Art<br />
Protestkultur darstellten – die sie indes in die Stadien trugen.<br />
Je nach Sichtweise sind sie also eine soziale, oder asoziale<br />
Bewegung mit einem Faible zur extremen Provokation,<br />
teils einer Vorliebe für Gewalt und besonders in Italien<br />
oft dem Faschismus und Rassismus zugetan. Zuweilen sind<br />
Ultras – dort – in kriminelle Machenschaften verstrickt,<br />
aber – wie in Deutschland – auch aktiv im Kampf gegen<br />
Polizeistaat, Kommerz sowie gelegentlich sogar als scharfe<br />
Kritiker gesellschaftlicher Missstände umtriebig. All jene<br />
Problemfelder schildert der Autor, analysiert sie am Ende<br />
seiner (dann wirklichen) Diplomarbeit und blickt dabei<br />
auch auf die Strategien <strong>von</strong> Fanprojekten oder Initiativen,<br />
die der (provokativen) Menschenfeindlichkeit, dem<br />
(echten) Rassismus und einem (möglichen) Rechtsextremismus<br />
entgegen treten (wollen oder sollen). Es folgen ein<br />
Ausblick und Hinweise auf eine konstruktive Fanarbeit –<br />
etwa mit den Ultras oder anderen Problemfans. Das Buch<br />
schildert also jeweils zur Hälfte Historisches sowie Analytisches<br />
aus der und über die Kurve. Michael Klarmann<br />
Dieter Jüdt (Hg.)<br />
45<br />
A Single Cover Album<br />
Buch | Poste Aérienne | poste-aerienne.blogspot.com |<br />
84 S., 29,00 Euro || Hinter „Poste Aérienne“ verbirgt sich<br />
eine deutsch-belgische Illustratorengruppe, die sich mit<br />
diesem Sammelband einer<br />
nach Meinung vieler<br />
„normaler“ Menschen<br />
längst ausgestorbenen<br />
Gattung widmet:<br />
der Vinyl-Single. Wer<br />
zwischen den Fünfzigern<br />
und den Achtzigern<br />
aufwuchs, der erinnert<br />
sich in der Regel an seine<br />
erste Schallplatte, und<br />
die dürfte eine Single gewesen<br />
sein, doch woran<br />
erinnern sich später Geborene? An ihren ersten Klingelton?<br />
Ihren ersten iTunes-Download? Eine schreckliche<br />
Vorstellung ... Die ZeichnerInnen – unter anderem David<br />
v. Bassewitz, Max Fiedler, Leen Van Hulst, Ib Jorn, Dieter<br />
Jüdt, Frederik Jurk, Juliane Pieper, Felix Scheinberger,<br />
Boris Servais,Tanja Székessy und Michael Zander – waren<br />
für dieses Buch aufgerufen, ihre prägende Single-Veröffentlichung,<br />
ob nun eine aus ihrer Kindheit oder eine späte<br />
Entdeckung war ihnen freigestellt, mittels einer Covergestaltung<br />
zu würdigen. Gefragt waren Zeichnungen, keine<br />
Computergrafiken, und so wird hier den BAD BRAINS<br />
gehuldigt, Stevie Wonder, MOGWAI, NOTWIST, David Bowie,<br />
SIOUXSIE & THE BANSHEES, THIN LIZZY, BLACK<br />
SABBATH, PORTUGAL.THE MAN, Suzanne Vega und vielen<br />
andere, quer durch alle Stile, aber mit einem gewissen<br />
Schwerpunkt im Bereich der „ernsthaften“ Musik – irgendwelcher<br />
Schlager- oder Chart-Trash fehlt fast völlig,<br />
einzig Haddaway kann man wohl letzterer Kategorie zuordnen.<br />
Zu jedem Cover gibt’s einen kurzen englischen<br />
Text zur Motivation des Zeichners sowie zur Band, und natürlich<br />
dürfen diskographische Angaben nicht fehlen. Ein<br />
ausgesprochen hübsches Buch – natürlich im quadratischen<br />
Single-Cover-Format – für den Coffetable im Plattensammler-Haushalt.<br />
Joachim Hiller<br />
KIA, dazu mit einem komplett unlesbaren Logo, dann kann ich<br />
dir garantieren, dass sich niemand den Namen deiner Band<br />
merken kann, egal, wie oft er sie sich angehört oder sich das<br />
Logo angeschaut hat.<br />
Gibt es eine Arbeit <strong>von</strong> dir, auf die du besonders stolz bist?<br />
Es gibt einige, auf die ich ziemlich stolz bin, etwa SATRI-<br />
ARCH, NACHTMYSTIUM, COVENANT, THE GREEN EVENING<br />
REQUIEM, ARTISIAN, DEADLOCKED IN MISERY, CHASMA,<br />
FEEDLING, WOLVES IN THE THRONE ROOM, REVERIE,<br />
EMPEROR, ENTHRONED, BORKNAGAR, WITHERED DREAMS<br />
und PIT FIENDS. Andere finde ich nicht mehr so toll, wie die<br />
für OLD MAN’S CHILD oder die Niederländer MIDIAN. Die<br />
würde ich gerne noch einmal überarbeiten und deutlich verbessern,<br />
wenn ich dazu die Gelegenheit hätte.<br />
André Bohnensack gestalten.com<br />
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