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BEST OF Otto Brenner Preis 2008 Kritischer Journalismus

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Kultur einer neuen Anspruchslosigkeit<br />

Der deutsche Gesetzgeber propagiert – soll man ihn dafür preisen? – eine Kultur<br />

der neuen Anspruchslosigkeit. Längst vorbei ist die Zeit, da er Gesetzgebung<br />

hochmütig als Kunst betrachtete, die in Wort und Geist dem Wort und dem Geist<br />

der Verfassung zu entsprechen habe. Inzwischen hat er – soweit er sich mit der<br />

Bekämpfung von Kriminalität im Allgemeinen und der Bekämpfung des Terrorismus<br />

im Besonderen befasst – sogar den Anspruch fahren lassen, Normen zu<br />

schaffen, denen die Karlsruher Richter nicht unverzüglich den verfassungsrechtlichen<br />

Exitus bescheinigen – so zuletzt geschehen in den Entscheidungen des<br />

Bundesverfassungsgerichts zur automatischen Kennzeichenkontrolle und zu<br />

Online-Durchsuchungen.<br />

Gestern nun hat die Kultur der neuen Anspruchslosigkeit ihre höchste und tiefste<br />

Erfüllung gefunden: Das Bundesverfassungsgericht hat wieder einmal dem<br />

Gesetzgeber miserabelste handwerkliche Arbeit attestiert, hat wieder einmal –<br />

schon nach oberflächlicher Prüfung in einer Eilentscheidung – drohende schwere<br />

Grundrechtseingriffe erkannt und dem Bundestag das Gesetz zur verdachtslosen<br />

Vorratsdatenspeicherung um die Ohren geschlagen. Wenige Stunden später aber<br />

überraschte die Bundesjustizministerin die Öffentlichkeit mit der Nachricht:<br />

„Vorratsdatenspeicherung bleibt zulässig“. Die Ministerin hätte auch heraus -<br />

stellen können, dass weder die Interpunktion noch die Orthografie des Gesetzes<br />

in Karlsruhe auf nennenswerten Widerstand gestoßen sind.<br />

Tatsache ist, dass das Bundesverfassungsgericht gestern alle durch die Vorratsdatenspeicherung<br />

drohenden offenkundigen Grundrechtseingriffe – das sind<br />

solche, die ein Blinder mit und ohne Krückstock erkennt, sofern es sich nicht um<br />

den Gesetzgeber handelt – bis zur Entscheidung in der Hauptsache unterbunden<br />

hat. Zwar bleiben die Telekommunikationsunternehmen zunächst verpflichtet,<br />

sechs Monate auf Vorrat zu speichern, wer wann mit wem über Handy, Telefon<br />

oder E-Mail in Verbindung stand. Aber herausgeben – und darauf kommt es an –<br />

dürfen sie die Daten erstens nur, wenn es in den Ermittlungen um besonders<br />

schwere Straftaten geht, beispielsweise Mord oder Raub, und zweitens auch nur<br />

dann, wenn die Aufklärung auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos<br />

wäre.<br />

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