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Entwicklungsskala feststellen, an deren (vor)letzter Stelle der ideale Staat in all seiner Pracht<br />

steht.<br />

Nun haben wir gesehen, daß selbst in Mainländers Ide<strong>als</strong>taat vier Übel übrigbleiben, die sich<br />

nicht ohne weiteres beheben lassen, da sie die „Lebenssubstanz“ des Menschen betreffen:<br />

Qualen der Geburt, Krankheiten, Altern und Tod. Es steht außer Zweifel, daß sich die<br />

Lebensbedingungen in der heutigen Gesellschaft wesentlich gebessert haben, was auch eine<br />

Abschwächung (wenn auch keine Abschaffung) jener Übel zur Folge hat: werdende Mütter<br />

können sich mittlerweile in speziellen Seminaren auf die Wehen der Geburt mental<br />

vorbereiten, was eher <strong>als</strong> skurriler Individualisierungseffekt zu betrachten ist; durch<br />

frühzeitige Erkennung und sofort einsetzende Therapie können heutzutage selbst schwere<br />

Krankheiten mit Erfolg behandelt werden; die Lebenserwartung ist im letzten Jahrhundert<br />

deutlich gestiegen (der negative Effekt davon ist die „Überalterung“ der Gesellschaft). Vor<br />

Geburt, Krankheit und Altern muß man sich nicht so fürchten wie noch zu Mainländers<br />

Zeiten. Nur der Tod scheint weiterhin dem fortschrittsgläubigen modernen Menschen zu<br />

spotten. Doch wer weiß, vielleicht hat er bald keinen Grund mehr zum Lachen. Denn seit<br />

einiger Zeit bekommt die Hoffnung auf die Überwindung des größten aller Übel von neuem<br />

Nahrung: der Gentechnologe führt sich <strong>als</strong> neuer Heiland auf. Zu den Zielen der<br />

Gentechnologie gehört die Eliminierung schwerer Erbkrankheiten, die „Steuerung“, d. h.<br />

Verzögerung und evtl. Aufhebung des Alterungsprozesses – und <strong>als</strong> letzte Konsequenz die<br />

Beseitigung des Todes und die Verheißung des ewigen Lebens. Falls dies jem<strong>als</strong> gelingen<br />

sollte, könnte der Mensch die Nachfolge Gottes antreten. Der Mensch würde der Zeuge einer<br />

neuen Schöpfungsgeschichte werden, deren Dreh- und Angelpunkt er selbst wäre: der Mensch<br />

würde sich selbst (neu) erschaffen. Die Erde würde zum Wohnort von „Übermenschen“ und<br />

„Halbgöttern“. Es ist jedoch fraglich, ob es zu einer solchen Wende in der<br />

Menschheitsgeschichte jem<strong>als</strong> kommen wird. Dennoch können jene Phantasmen den Boden<br />

für einen neuen Mythos abgeben, der einen Erzähler vom Rang Mainländers erst finden muß.<br />

Nehmen wir an, es würde einmal nicht nur der Traum vom idealen Staat, sondern auch<br />

derjenige vom „idealen Menschen“ Wirklichkeit werden. Würde ein solcher Mensch glücklich<br />

sein? Not und Elend wären abgeschafft, Arbeit aufs Minimum reduziert,<br />

zwischenmenschliche Konflikte aus dem Weg geräumt, ein für allemal Frieden auf Erden<br />

hergestellt – dies wäre der gesellschaftliche Rahmen, in dem sich sein Leben abspielen würde.<br />

Es würde aber darüber hinaus auch das somatische Leid bis zur Unkenntlichkeit<br />

abgeschwächt. Wären damit nicht die Voraussetzungen für ein gutes, ja für ein schönes Leben<br />

geschaffen? Man könnte doch das Leben in vollen Zügen genießen. Die Verringerung oder<br />

gar Eliminierung des körperlichen Leids würde sicherlich zu einer Steigerung der Lebenslust

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