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8<br />

Was bleibt dem Individuum übrig angesichts der Unausweichlichkeit des kosmischen<br />

Annihilierungsprozesses? Der Gang des Weltgeschehens ist durch die einzige, aber<br />

verhängnisvolle Tat Gottes determiniert – der Weltprozeß steuert auf das Nichts zu. Freiheit<br />

ist in dem erlösungsphilosophischen Vokabular Mainländers ein Fremdwort; sie ist<br />

(zumindest in ihrer uneingeschränkten Form) ein bloßes Hirngespinst, denn alles was der<br />

Mensch willig oder wider Willen tut, geschieht in Übereinstimmung mit seinem Charakter<br />

und mit dem Weltlauf. Moralisch handeln heißt bei ihm übrigens, daß man einerseits im<br />

Einklang mit den Gesetzen handelt, andererseits diese Handlungen auch gern ausführt, daß<br />

man Freude an ihnen hat. Um „Gefallen“ an einer bestimmten Handlung zu finden, muß der<br />

Wille durch Erkenntnis „entzündet“ werden. Die höchste Erkenntnis ist aber nach Mainländer<br />

diejenige vom Vorrang des Nichtseins vor dem Sein, sie ist „das oberste Prinzip aller<br />

Moral“ 22 . Daher wird allein derjenige wahrhaft moralisch und sogar weise handeln, der sich<br />

dem Schicksal fügt und darüber hinaus selbst zur Beschleunigung seines Laufs beiträgt.<br />

Letzteres vollbringt er dadurch, daß er sich mit Leib, Seele und Geist in den Dienst der<br />

Menschheit stellt. Er verspricht sich davon einen größeren Vorteil für sich, so daß ihm die<br />

Erkenntnis des Sinns der Aufopferung für andere das Herz „entzündet“. Nun hat man<br />

gesehen, daß sich der Lauf der Welt in zwei Bewegungen spaltet, wobei sich die erste an der<br />

Oberfläche, die zweite in der Tiefe abspielt: die Bewegung nach dem idealen Staat und die<br />

Bewegung aus dem Sein in das Nichtsein. Die erste fordert vom Individuum die<br />

bedingungslose Hingabe an das Allgemeine, verkörpert in den Tugenden der Vaterlandsliebe<br />

(sic!), Gerechtigkeit und Menschenliebe 23 ; die zweite zieht das Gebot der Virginität nach sich,<br />

was zunächst befremdlich erscheinen mag. In beiden Fällen wird die Bewegung intensiviert<br />

und man ist ein paar Schritte dem Nichts näher gekommen.<br />

Das Virginitätsgebot, welches eine „totale Umwandlung des Willens“ erforderlich macht,<br />

dürfte für Irritationen sorgen. Handelt der Mensch dabei nicht gegen die Natur? Wie soll er<br />

eine so „unerhörte“ Forderung erfüllen, ohne sich dabei Gewalt anzutun? Der Widerspruch<br />

zum Lebenwollen ist nicht zu übersehen: der Wille zum Leben „will für alle Zeit leben und da<br />

er nur im Dasein verbleiben kann durch die Zeugung, so konzentriert sich sein Grundwollen<br />

im Geschlechtstrieb, der die vollkommenste Bejahung des Willens zum Leben ist und alle<br />

andern Triebe und Begierden an Heftigkeit und Stärke bedeutend übertrifft“ 24 . Aber wenn<br />

man das Leben mit Leiden gleichsetzt, dann setzt sich mit der Fortsetzung des Lebens auch<br />

das Leid fort. Deshalb hat jener Mensch, der Kinder in die Welt setzt, Anteil an der<br />

Perpetuierung des Leids. Er kann im Tod nur eine relative Erlösung finden, da er in seinen<br />

Nachkommen weiterlebt und weiter leidet. Derjenige, der sich dagegen an der Erkenntnis der<br />

Nichtigkeit des Lebens „entzündet“, verneint den Willen zum Leben und verweigert den

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