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12<br />

und zu einer zusätzlichen Stärkung des Willens zum Leben führen. Die entscheidende Frage<br />

ist jedoch, ob es einen absoluten Lustzustand überhaupt geben könne. Hat denn nicht die Rede<br />

von Lust nur dort Sinn, wo es auch Unlust bzw. Leid gibt? Sind sie nicht dialektisch<br />

vermittelt? Die Streichung einer Seite des Gegensatzpaares Lust/Unlust würde diese Dialektik<br />

erst recht entfachen: dann würden möglicherweise die geringeren Lüste nicht mehr<br />

befriedigen und selbst zu einer Art Unlust werden. Um diese verhängnisvolle Eigendynamik<br />

der Lüste einzusehen, muß man jedoch nicht in die Zukunft blicken und einen Idealzustand<br />

der Menschheit konstruieren – es reicht vollkommen, wenn wir in der gegenwärtigen<br />

Erlebnisgesellschaft (Schulze) verbleiben.<br />

Man hat jüngst in der Soziologie den Wandel der Lebensauffassungen moderner Menschen<br />

<strong>als</strong> Umkehr von der Außen- zur Innenorientierung gefaßt. 29 Die Erlebnisorientierung ist zu<br />

einem festen Bestandteil der Gegenwartsgesellschaft geworden. Das Tückische am<br />

Erlebnisbedürfnis ist aber, daß es, einmal gestillt, nicht aufhört, die Psyche des Individuums<br />

zu reizen, sondern noch stärker auf sie einwirkt. Auf der Suche nach dem ultimativen<br />

„Erlebniskick“ setzt man sich der Gefahr aus, immer wieder „enttäuscht“ zu werden. Alles<br />

Mögliche erlebt man auf diese Weise – nur den Sinn nicht. Der Skeptiker Marquard schreibt<br />

dazu: „Weil der Lebenssinn verlorengegangen ist, flieht man in Surrogate, ... in das<br />

Anspruchsdenken. Die Ansprüche wachsen, weil der Sinn ausbleibt: die moderne<br />

Wohlstandgesellschaft ist ... der Versuch, den verlorenen Sinn durch Luxus zu ersetzen; durch<br />

eine Art umgedrehten ‚overkill‘ – <strong>als</strong>o durch ‚overlife‘ – wird das Sinnlose transformiert zum<br />

Superleben. [...] Die moderne Anspruchsgesellschaft ist der Kummerspeck des Sinndefizits.“ 30<br />

Man könnte geradezu von einer Paradoxie der Erlebnisorientierung sprechen:<br />

„Erlebnisorientierung wird zum habitualisierten Hunger, der keine Befriedigung mehr zuläßt.<br />

Im Moment der Erfüllung entsteht bereits die Frage, was denn nun <strong>als</strong> nächstes kommen soll,<br />

so daß sich Befriedigung gerade deshalb nicht mehr einstellt, weil die Suche nach<br />

Befriedigung zur Gewohnheit geworden ist.“ 31 Die Erlebnisparadoxie besteht darin, daß das<br />

Mittel (Genuß) zur Lösung des Problems (Stillen des Erlebnisbedürfnisses) zum verstärkten<br />

Katalysator des Problems wird (das Bedürfnis wird noch größer). ‚Der Not entkommen, aber<br />

zu Tode gelangweilt‘ – das ist das tragikomische Los des postmodernen Menschen.<br />

Einiges von Mainländers Utopie scheint bereits in der Gegenwart realisiert zu sein,<br />

wenngleich nur in bestimmten Regionen der Erde und dann noch in unterschiedlichem<br />

Ausmaß. Aber bereits Mainländer hat um die Gefahren einer solchen Lebensweise gewußt.<br />

Denn ist man der Not entrissen, droht der Plagegeist namens Langeweile. „Die Not ist ein<br />

schreckliches Übel, die Langeweile aber das schrecklichste von allen.“ 32 Unter diesen<br />

Umständen könnte man dem Tod ausnahmsweise eine positive Konnotation abgewinnen: er

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