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20 Elternschaft gegeben ist; und der Mensch ist im tiefsten Grunde nur deshalb unfrei und determiniert neben seiner Freiheit und Spontaneität, weil er auf diese unsittliche Weise entstanden ist.“ (Weininger 1980, 458) Jenen, die das Leben der Gattung durch die Befolgung des Virginitätsideals bedroht sehen, wirft Weininger den „Unglaube [n] an die individuelle Unsterblichkeit“, „Kleinmut“ und die „Unfähigkeit, außer der Herde zu leben“ vor: „Wer so denkt [nämlich anthropozentrisch, d. Verf.], kann sich die Erde nicht vorstellen ohne das Gekribbel und Gewimmel der Menschen auf ihr, ihm wird angst und bange nicht so sehr vor dem Tode, als vor der Einsamkeit.“ (Ebd., 457) 38 Vgl. zur Metaphysik der Geschlechtsliebe vor allem Schopenhauer 1986, 678–727. 39 Mainländer 2004, 91. 40 Ebd., 119. Diese und ähnliche Stellen könnten jedoch in der Gegenwart Anlaß zu Fehlinterpretationen geben. So könnte ein besorgter Zeitgenosse Mainländer vorwerfen, durch seine Lehre den Terrorismus rechtfertigbar gemacht zu haben, denn der Terrorist fürchtet nicht den Tod, wenn er sich beim Terrorakt selbst in die Luft sprengt. Er tut dies sicherlich nicht aus Menschenliebe, so müßte man zur Verteidigung Mainländers sagen – der Terrorist hat nur das Wohl einer begrenzten Menschengruppe, der er selbst durch Konfession, Interesse oder was auch immer zugehört, im Auge er denkt und handelt exklusivistisch, ist somit nur ein roher Egoist. Mainländer will jedoch Egoismus und Altruismus in einer Form vereinigt sehen, weswegen er von jedem Individuum verlangt, im Interesse der gesamten Menschheit zu handeln. Freilich ist er dabei nicht immer konsequent, denn so billigt er Handlungen aus Vaterlandsliebe – dabei sind aus diesem Antrieb einige der größten Schandtaten der Menschheitsgeschichte verübt worden. Deutliche Aussagen, z. B. gegen den Krieg, hätten hier eher für Klarheit gesorgt. Doch möglicherweise wirken sich hier die Widersprüche seiner Persönlichkeit aus – bekanntlich hat sich Mainländer einem schwierigen Militärdienst ausgesetzt, obwohl kein äußerer Anlaß dazu bestand. Der Militärdienst war vielleicht nur eine Flucht vor dem Kampf mit sich selbst, den er danach in seiner Philosophie ausgetragen hat und der all seine Kräfte binnen weniger Monate verzehrt hat. Vgl. die Tagebuchblätter Meine Soldatengeschichte, in: Mainländer 2004, 191–248. Bezeichnend sind aber die Parallelen zur Biographie anderer selbstquälerisch veranlagter Denker wie Nietzsche und Wittgenstein. 41 Der Gegensatz zur traditionellen Metaphysik springt sofort ins Auge, sobald man den ontologischen Aufbau der Philosophie der Erlösung mit demjenigen der Hegelschen Wissenschaft der Logik vergleicht: hier hat man es mit der Triade Sein–Nichts–Werden, dort mit dem Schema (Über-)Sein–Werden–Nichts zu tun. Während bei Hegel das Werden die produktive Synthese von Sein und Nichts ausmacht, löst sich in Mainländers Metaphysik das Sein sukzessive in(s) Nichts auf – die „Aufhebung“ hat hier einen (auto-)destruktiven Zug. 42 Mainländer hält jedoch noch am Zweckbegriff fest und behauptet die durchgängige Determiniertheit des Weltgeschehens. Es ist aber eine negative Teleologie und somit eine deutliche Abweichung von klassischen Denkweisen. 43 Vgl. dazu Reschika 2001, 145. 44 Mainländer 2004, 129. 45 Benjamin 1994, 138. Literatur Benjamin, Walter (1994): Denkbilder, Frankfurt a. M. Dammann, Gerhard (2002): „Zur psychopathologischen Dimension des extremen philosophischen Pessimismus“, in: Müller-Seyfarth (2002), 49–63.
21 Horstmann, Ulrich (1983): Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht, Wien/Berlin. ders. (1993): „Der verwesende Gott. Philipp Mainländers Metaphysik der Entropie“ [ursprünglich 1989 erschienen], in: Müller-Seyfarth 1993, 139–151. ders. (2002): „Der philosophische Dekomponist. Was Philipp Mainländer ausmacht“, in: Müller-Seyfarth (2002), 65–72. Lütkehaus, Ludger (1999): Nichts. Abschied vom Sein. Ende der Angst, Zürich. Mainländer, Philipp (1996a): Die Philosophie der Erlösung. Erster Band, mit einem Vorwort zur Neuausgabe von Winfried H. Müller-Seyfarth, Hildesheim/Zürich/New York. ders. (1996b): Die Philosophie der Erlösung. Zweiter Band, mit einem Vorwort zur Neuausgabe von Winfried H. Müller-Seyfarth, Hildesheim/Zürich/New York. ders. (2004): Vom Verwesen der Welt und anderen Restposten. Eine Werkauswahl, herausgegeben und eingeleitet von Ulrich Horstmann, 2. Auflage, Waltrop und Leipzig. Marquard, Odo (1986): „Zur Diätetik der Sinnerwartung. Philosophische Bemerkungen“, in: ders., Apologie des Zufälligen. Philosophische Studien, Stuttgart, 33–53. Müller-Seyfarth, Winfried H. (Hrsg.) (1993): „Die modernen Pessimisten als décadents“. Von Nietzsche zu Horstmann. Texte zur Rezeptionsgeschichte von Philipp Mainländers Philosophie der Erlösung, Würzburg. ders. (2000): Metaphysik der Entropie. Philipp Mainländers transzendentale Analyse und ihre ethisch-metaphysische Relevanz, Berlin. ders. (Hrsg.) (2002): Was Philipp Mainländer ausmacht. Offenbacher Mainländer- Symposium 2001, Würzburg.
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