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Restaurator im Handwerk – Ausgabe 2/2009 - Kramp & Kramp

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Kolumne<br />

Stadtumbau Ost<br />

Zerstörung materieller und <strong>im</strong>materieller Werte<br />

Die Ko l u m n e v o n Ra i n e r W. Le o n h a r d t<br />

Nach den Zerstörungen während des zweiten<br />

Weltkriegs und dem vielfachen, durch unterlassene<br />

oder mangelnde Pflege, in der Zeit zwischen 1945<br />

und 1989 beginnende Verfall alter Bausubstanz, erfolgt<br />

seit einigen Jahren eine beispiellose Abrisswelle<br />

von alter Gebäudesubstanz in den Neuen Bundesländern.<br />

Das ganze nennt sich „Stadtumbau Ost“, wird<br />

finanziert durch Steuerzahler, zum Wohle Einiger,<br />

und zum langfristigen Schaden Vieler.<br />

Tatsache ist, in vielen Teilen der Neuen Bundesländer<br />

gehen die Bevölkerungszahlen zurück und es steht<br />

viel Wohnraum leer.<br />

Es gilt nun diesen Wohnraum „vom Markt zu nehmen“.<br />

Eine schöne sprachliche Nebelkerze. In den<br />

90er Jahren sind viele Plattenbauten saniert und vor<br />

allem <strong>im</strong> Sanitärbereich aufgerüstet worden. Viele<br />

Bürger zog es, trotz einiger Unzulänglichkeiten, die<br />

Plattenbauten mit sich bringen, mehr in den Neubau<br />

als in alte Häuser. Dies lag nicht unbedingt an einer<br />

generellen Höherbewertung der Wohnqualität von<br />

Neubauten gegenüber Altbauten, sondern es lag einfach<br />

an der Tatsache, dass kontinuierliche Verbesserung<br />

der Wohnqualität von z. B. Gründerzeitbauten<br />

und Gebäuden aus der Zeit der Jahrhundertwende in<br />

der ehemaligen DDR unterblieb. Viele dieser Gebäude<br />

wurden noch in den 90er Jahren mit Öfen beheizt,<br />

verfügten über kein warmes Wasser, keine zeitgemäße<br />

Badausstattung und oftmals befand sich das WC auf<br />

der halben Treppe.<br />

Dass unter diesen Umständen ein Mieter den Plattenbau<br />

mit Zentralheizung fließend Warmwasser und<br />

Bad mit WC vorzieht, ist nur verständlich.<br />

Seit nunmehr 20 Jahren ist die Situation eine andere.<br />

Die Häuser aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />

und dem Beginn des 20. Jahrhunderts könnten<br />

in jeder Hinsicht ertüchtigt werden.<br />

Aber der Staat (wir Steuerzahler) zahlt für die<br />

Zerstörung von alter, eigentlich intakter Bausubstanz<br />

Geld, viel Geld. In den ersten Jahren gab es pro zerstörte<br />

m² Wohnfläche 60 € sogen. Rückbauprämie,<br />

jetzt sind es noch 50 €. Hinzu kommen noch, bei<br />

eventuell bestehenden Kreditverbindlichkeiten aus<br />

DDR-Zeiten eine sogen. Altschuldenhilfe in Höhe<br />

von 70 € pro „vom Markt genommenen“ m² Wohnfläche.<br />

Bei einem vierstöckigen Gründerzeitbau kann das<br />

einen Gewinn von 120.000 € bringen, die eigentlichen<br />

Abrisskosten zahlt sowieso der Bund.<br />

Seit 2002 werden so 2,5 Mio. Euro „investiert“, um<br />

„die Attraktivität ostdeutscher Städte und Gemeinden<br />

als Orte des Lebens und Arbeitens zu sichern und zu<br />

erhöhen“. So <strong>im</strong> Bericht zum Stadtumbau Ost.<br />

Was passiert tatsächlich?<br />

Wertvolle Bausubstanz, die sowohl in ihrer Materialwertigkeit,<br />

in ihrer Wohnqualität, als auch in ihrer<br />

ästhetischen Qualität den Plattenbauten weit überlegen<br />

ist, wird zerstört.<br />

Stadt und Sozialstrukturen werden zerstört und<br />

damit umliegende Gebäude und ganze Wohngebiete<br />

entwertet. Dies hat den Bundesverband der Freien<br />

Immobilien und Wohnungsunternehmen zum Protest<br />

schreiten lassen.<br />

D.h. private Immobilienbesitzer setzen sich für den<br />

Denkmalschutz gegen den Staat ein.<br />

Die Identität der Bewohner mit ihrer Stadt geht<br />

verloren. In einigen Städten waren die Tourismusvereine<br />

und Veranstalter neben den Denkmalschützern<br />

eine der ersten Warner.<br />

Was geschah in den Nachwende-Jahren?<br />

Am Stadtrand wurden Neubaugebiete ausgewiesen,<br />

sowohl für Wohn-, wie auch für Gewerbebebauung,<br />

hier vor allem für Einkaufszentren. Obwohl in den<br />

Innenstädten genug Wohnraum, als auch verlassene<br />

Gewerbebauten bereit standen.<br />

Die Gewerbebauten waren die ersten, die mit Mitteln<br />

aus Brüssel abgerissen wurden. An vielen ehemaligen<br />

Standorten dieses Geländes existiert bis heute<br />

nur eine Branche.<br />

Die Abrisse wurden nicht vollzogen, um Bauland<br />

für neue Bauvorhaben bereitstellen zu können, sondern<br />

weil es für den Abriss Geld gab.<br />

Durch diese Hinorientierung auf die Stadtränder,<br />

die Konkurrenz durch die großen Einkaufszentren<br />

verödeten die Innenstädte, mit den heute sichtbaren<br />

Auswirkungen.<br />

Mit dem Abriss der alten Gebäude passiert aber<br />

noch etwas anderes. Die Arbeit von ortsansässigen<br />

<strong>Handwerk</strong>ern wird zerstört.Und zwar nicht nur die<br />

Arbeit der zurzeit tätigen Generation, sondern auch<br />

die Arbeit zukünftiger <strong>Handwerk</strong>ergenerationen und<br />

damit auch Ausbildungsplätze.<br />

Aber wo ist die Front der <strong>Handwerk</strong>skammern der<br />

Innungen, der Architekten und Ingenieurkammern,<br />

der Denkmalschützer und He<strong>im</strong>atvereine, der Tourismusfördergesellschaften<br />

und letztlich der Bewohner<br />

dieser Städte?<br />

52<br />

<strong>Restaurator</strong> <strong>im</strong> <strong>Handwerk</strong> – <strong>Ausgabe</strong> 2/<strong>2009</strong>

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