Rund um die Jugendhilfe - Landschaftsverband Rheinland
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Für ein integriertes, interdisziplinäres<br />
Verständnis der „Sozialra<strong>um</strong>analyse“<br />
In der gegenwärtigen Diskussion und<br />
Praxis von sozialer Stadterneuerung,<br />
<strong>Jugendhilfe</strong>planung und Neuorganisation<br />
sozialer Dienste gewinnen Orientierungen<br />
am sozialen Ra<strong>um</strong> zunehmend<br />
an Bedeutung. Das Kinder- und<br />
<strong>Jugendhilfe</strong>gesetz (KJHG) formuliert an<br />
verschiedenen Stellen Aufträge für eine<br />
sozialrä<strong>um</strong>lich ausgerichtete Analyse,<br />
Planung und Organisation von Leistungsangeboten<br />
und verweist im Konzeptbegriff<br />
der ‚Lebensweltorientierung‘<br />
ebenfalls auf rä<strong>um</strong>liche Komponenten.<br />
Bereits <strong>die</strong> erste Welle der<br />
Neuorganisation sozialer Dienste zielte<br />
mit deren Dezentralisierung auf eine<br />
auch rä<strong>um</strong>lich effektivere Organisation.<br />
Im Rahmen der neuen Steuerungsmodelle<br />
wird mit dem ‚Sozialra<strong>um</strong>budget‘<br />
eine Ressourcensteuerung eingeführt,<br />
bei der öffentliche und freie<br />
Träger gemeinsam das – für den Hilfebereich<br />
in einem Sozialra<strong>um</strong> veranschlagte<br />
– Budget bewirtschaften sollen.<br />
Und mit dem Bund–Länder-Programm<br />
‚Stadtteile mit besonderem<br />
Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt‘<br />
wird der Sozialra<strong>um</strong> z<strong>um</strong> Gegenstand<br />
von Analyse, Planung und Handlungsstrategien.<br />
Es handelt sich insgesamt<br />
<strong>um</strong> recht unterschiedliche Zusammenhänge<br />
und Perspektiven, innerhalb<br />
derer <strong>die</strong> Begriffe Sozialra<strong>um</strong>, Sozialra<strong>um</strong>bezug<br />
und Sozialra<strong>um</strong>orientierung<br />
z<strong>um</strong> Thema geworden sind.<br />
Die Professionalisierung von Berufsgruppen,<br />
<strong>die</strong> an stadträ<strong>um</strong>lichen Definitions-<br />
und Interventionsprozessen<br />
beteiligt sind, hat im Laufe der vergangenen<br />
Jahrzehnte zu einer ‚Pluralisierung‘<br />
des sozialrä<strong>um</strong>lichen Verständnisses<br />
geführt. Eine Integration<br />
verschiedener methodischer Konzepte<br />
ist bei empirischen Annäherungen<br />
an Sozialrä<strong>um</strong>e bisher ka<strong>um</strong> vorzufinden.<br />
Die Schnittstellen, über <strong>die</strong> ein<br />
integriertes interdisziplinäres Verständnis<br />
von Sozialrä<strong>um</strong>en zu gewinnen ist,<br />
bleiben häufig unbeachtet, weil <strong>die</strong><br />
Untersuchungen oft immer noch auf<br />
ein einzelwissenschaftliches Ra<strong>um</strong>konzept<br />
beschränkt werden.<br />
Wir haben deshalb eine methodische<br />
Typologie für <strong>die</strong> Sozialra<strong>um</strong>analyse<br />
vorgeschlagen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se monodisziplinären<br />
Einzelperspektiven<br />
zueinander in Bezug setzt. Dabei werden<br />
zwei Typen der Sozialra<strong>um</strong>analyse<br />
unterscheiden: An erster Stelle steht<br />
der gesamtstädtische Ansatz, bei dem<br />
<strong>die</strong> Teilrä<strong>um</strong>e einer Stadt miteinander<br />
verglichen werden. An zweiter Stelle<br />
steht der ein städtisches Teilgebiet differenzierende<br />
Ansatz, bei dem sich das<br />
Interesse auf <strong>die</strong> inneren Strukturen<br />
und Qualitäten eines in der Stadt ausgewählten<br />
Ra<strong>um</strong>es richtet. Diese komplexe<br />
Untersuchung kann auf mehrere<br />
Ebenen bezogen sein (Mehrebenenanalyse),<br />
indem <strong>die</strong> strukturelle<br />
Ra<strong>um</strong>ebene mit personalen Handlungsebenen<br />
verknüpft wird.<br />
Beim Typ I, dem gesamtstädtischen<br />
Ansatz, wird in der Regel mit quantitativen<br />
Daten nach dem klassischen<br />
h<strong>um</strong>anökologischen Modell der ‚Social<br />
Area Analysis’ operiert, <strong>um</strong> in einer gesamtstädtischen<br />
Analyse besondere Teilrä<strong>um</strong>e<br />
zu identifizieren bzw. <strong>die</strong> städtischen<br />
Teilrä<strong>um</strong>e systematisch<br />
voneinander zu unterscheiden. Zur<br />
Beschreibung und Analyse werden im<br />
Allgemeinen Indikatoren und Merkmale<br />
aus der kommunalen Statistik heran<br />
gezogen. Auf der Basis <strong>die</strong>ser sozioökonomischen<br />
Indikatoren werden<br />
Strukturmuster gesucht, <strong>um</strong> urbane<br />
Teilrä<strong>um</strong>e auf der Ebene der Gesamtstadt<br />
signifikant voneinander abgrenzen<br />
zu können und dabei Stadtgebiete<br />
mit einem besonderen Handlungsund<br />
Interventionsbedarf zu identifizieren.<br />
Beim Typ II der Differenzierung eines<br />
Teilra<strong>um</strong>es nach innen werden sowohl<br />
quantitative als auch qualitative Datenprofile<br />
einbezogen. Wegen des Zieles,<br />
den Sozialra<strong>um</strong> tiefenscharf bis zu<br />
Lebenswelten der Bewohnerschaft zu<br />
durchdringen, kommt eine gemischte<br />
Methodologie (Methodenmix) zur<br />
Anwendung. Deshalb weist der Typ II<br />
sowohl eine (a) strukturanalytische als<br />
auch eine (b) verhaltensanalytische<br />
Komponente auf. Drei aufeinander folgende<br />
Analyseschritte sind für <strong>die</strong>se<br />
Binnenorientierung kennzeichnend:<br />
Erstens <strong>die</strong> physische Ra<strong>um</strong>abgrenzung<br />
sowie Ra<strong>um</strong>definition mit Methoden<br />
der Geografie und der Stadt-/<br />
Ra<strong>um</strong>planung, zweitens darauf Bezug<br />
nehmend quantitative Datenanalysen<br />
jhr_rund <strong>um</strong> <strong>die</strong> <strong>Jugendhilfe</strong><br />
über eine Untergliederung von Verwaltungsrä<strong>um</strong>en<br />
nach den methodischen<br />
Standards der quantitativen empirischen<br />
Sozialforschung und schließlich<br />
<strong>die</strong> empirische Erfassung von individuell<br />
konstruierten Verhaltens- und<br />
Nutzungsrä<strong>um</strong>en, deren methodische<br />
Grundlagen in den Sozialwissenschaften,<br />
in der (Sozial-) Pädagogik, aber<br />
auch in Architektur und Stadtplanung<br />
(z.B. Burano, Street Reading) entwickelt<br />
worden sind.<br />
Die qualitative Betrachtung von<br />
Ra<strong>um</strong>strukturen eröffnet ein Verständnis<br />
vom rä<strong>um</strong>lichen Verhalten der Bewohnerschaft<br />
und ihren alltäglichen<br />
Nutzungsmustern. Bei <strong>die</strong>ser tiefenscharfen<br />
Ausleuchtung eines Sozialra<strong>um</strong>es<br />
als ‚gelebte Struktur’ wird der<br />
Blick vor allem auf drei rä<strong>um</strong>liche Verhaltenskontexte<br />
gerichtet: Zuerst interessieren<br />
<strong>die</strong> ‚Aktionsrä<strong>um</strong>e’ zwischen<br />
Wohnungen und Infrastrukturgelegenheiten<br />
sowie den Wegen dazwischen.<br />
Als zweites sind ‚Lebenswelten’ in Gestalt<br />
der individuellen rä<strong>um</strong>lichen Bezüge<br />
von Interesse, <strong>die</strong> in den Verhaltensweisen<br />
von Einzelnen und Gruppen<br />
regelmäßig vorkommen. Und <strong>die</strong> dritte<br />
Perspektive betrifft <strong>die</strong> Kennzeichnung<br />
rä<strong>um</strong>licher Bereiche durch<br />
‚Symbole’, aus denen sich der Zusammenhang<br />
von physischer Ra<strong>um</strong>struktur,<br />
sozialen Nutzungen und Bewohnerkulturen<br />
sowie der Historie des<br />
Ortes und soziokulturellen Mentalitäten<br />
bildhaft und kohärent erschließt.<br />
Im Zusammenspiel der skizzierten<br />
Ebenen wird <strong>die</strong> Vielschichtigkeit einer<br />
interdisziplinär integrierten Sozialra<strong>um</strong>analyse<br />
deutlich. Sozialrä<strong>um</strong>e<br />
werden nicht nur auf Indikatoren reduziert,<br />
sondern werden in Schichten<br />
analysiert (vgl. Abbildung auf S. 32).<br />
Dieses Modell wird in einer aktuellen<br />
Publikation vorgestellt (siehe: Riege<br />
/ Schubert 2002) und mit Beispielen<br />
aus verschiedenen Planungskontexten<br />
veranschaulicht. Im ersten Teil des Buches<br />
werden drei Pioniere der sozialrä<strong>um</strong>lichen<br />
Empirie vorgestellt: Es wird<br />
<strong>die</strong> soziografische Methode der Marienthalstu<strong>die</strong><br />
von Paul Lazarsfeld beschrieben.<br />
Es folgt eine Übersicht über<br />
das klassische Modell der Sozialra<strong>um</strong>analyse<br />
von Eshref Shevky und Wendell<br />
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