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Fotos: Wolfgang Groeger-Meier<br />
an seinen Türen trägt. „Das<br />
sieht doch aus wie das Gesicht<br />
der ersten Giulietta“, meint er.<br />
Er habe, sagt Valentino und<br />
steckt sich eine weitere Zigarette<br />
an, die Bar nun seit 30<br />
Jahren und seitdem keine Mille<br />
verpasst. Welches seine Marke<br />
sei, Ferrari? Kopfschütteln.<br />
Maserati? Hochziehen einer<br />
Augenbraue. Bugatti? Grimmiger<br />
Blick. Etwa Mercedes?<br />
Da verschränkt er vor dem<br />
Kopf die Arme zum Kreuz.<br />
Und? Medici öffnet die Arme,<br />
dreht die Handflächen nach<br />
oben und zuckt einmal mit<br />
Blick auf die Giulietta, als wolle<br />
er damit sagen: Was soll die<br />
Frage? Immer noch ist es eben<br />
diese Haltung, die so viele<br />
Freunde der Marke auszeichnet<br />
und sie einander nahebringt.<br />
Selbst die Ordner und Polizisten<br />
üben sich in Nachsicht,<br />
als die rote Giulietta fürs Foto<br />
ein paar Mal hinter den Absperrgittern<br />
die Viale Venezia<br />
auf und ab rollt, als die eigentlich<br />
schon allein den historischen<br />
Autos der Mille Miglia<br />
vorbehalten ist.<br />
Bevor wir mit der neuen Giulietta<br />
ein bisschen mitschwimmen<br />
im Feld der alten Autos,<br />
plaudern wir noch in Brescia<br />
mit dem Piloten eines 1900<br />
Berlina von 1953. Der spricht<br />
von einem Fieber und davon,<br />
dass man immer wieder so<br />
viele treffe, die die eigene Begeisterung<br />
teilen. Meint er Alfa<br />
Romeo oder die Mille Miglia?<br />
Beides. An einer Tankstelle<br />
begegnen wir einem Siegertyp<br />
aus den 1930er-Jahren, dem<br />
Alfa Romeo 6C 1750 Gran<br />
Sport Zagato, daneben ein<br />
2000 Sportiva Prototyp. Man<br />
befüllt sie bis zum Stutzen mit<br />
Benzin, checkt noch einmal<br />
das Öl, hält ein Ohr an den Motor.<br />
Alles so weit in Ordnung?<br />
Dann los, der Zeitplan ist eng.<br />
Für uns nicht. Wir wollen uns<br />
nur anstecken lassen von der<br />
Welle der Begeisterung, die mit<br />
der Mille Miglia durch Italien<br />
schwappt. Jährlich treibt die<br />
Mutter aller Oldtimer-Rallyes<br />
entlang des Freccia Rossa, des<br />
roten Pfeils, der die Route<br />
nach Rom und zurück markiert,<br />
zwei Millionen Zuschauer<br />
an die Strecke. Sie säumen die<br />
Straßen dicht an dicht, sie<br />
überlaufen die Plätze, sie<br />
winken und jubeln dem ersten<br />
wie noch dem letzten Team zu.<br />
Ein Volksfest, dieses Jahr über<br />
vier Tage, 1700 Kilometer und<br />
74 Wertungsprüfungen.<br />
Die alte Giulietta, eine Berlina<br />
der ersten Serie, vier Gänge,<br />
Lenkradschaltung, 1,3 Liter<br />
Hubraum und etwa 50 PS, hat<br />
die Rallye vor Jahren schon<br />
einige Male absolviert, ist<br />
durch die Po-Ebene geeilt,<br />
durch die Abruzzen gestürmt,<br />
passierte das Colosseum, flanierte<br />
über die Piazza del Campo<br />
von Siena, hat ihre Passagiere<br />
auf den Pässen Futa und<br />
Raticosa hin und her über die<br />
durchgehende Sitzbank rutschen<br />
lassen und kehrte über<br />
Bologna zurück nach Brescia,<br />
ohne dass man dem bald<br />
60-jährigen Exemplar irgendwelche<br />
Kampfspuren ansähe.<br />
Sie steht da im leichten Blau<br />
Azzurro Garda, als wolle sie die<br />
1000 Meilen gleich noch mal<br />
in Angriff nehmen.<br />
Die neue Giulietta könnte sie<br />
ja begleiten, dann wäre die<br />
Seniorin auf der Reise nicht so<br />
allein und müsste nicht alles<br />
Gepäck selbst tragen. Wenn<br />
sie dann entlang der Mille Miglia<br />
schon alle roten Pfeile wieder<br />
demontiert haben, macht<br />
das nichts. Die Neue könnte<br />
mit ihrem Navi der Alten ja den<br />
Weg weisen. Ganz so, wie vor<br />
60 Jahren die damals neue<br />
Giulietta wegweisend war.<br />
Nicht nur für Alfa Romeo.<br />
Michael Orth<br />
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