trans aktuell 08 2014
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18 I FAHRZEUG UND TECHNIK <strong>trans</strong> <strong>aktuell</strong> 8 · 4. April <strong>2014</strong><br />
Geben und Nehmen<br />
Fahrbericht: Mit einer variantenreichen Flotte von Verteilern<br />
deckt Daimler den Distributionsbereich ab. Dabei präsentiert<br />
sich vor allem der Atego als echter Allrounder.<br />
Lange hat es auf sich warten<br />
lassen, das erste Rendezvous<br />
mit dem runderneuerten<br />
Mercedes Atego.<br />
Während die Kunden schon<br />
seit vergangenem Jahr auf die<br />
Dienste des Euro-6-Verteiler-Lkw<br />
vertrauen dürfen, haben<br />
Journalisten ihn – gemeinsam<br />
mit seinen Brüdern Antos,<br />
Econic und Fuso Canter – jetzt<br />
erst im Ballungsgebiet um<br />
Frankfurt erproben können.<br />
Während der leichte Canter<br />
neben der städtischen Warenfeinverteilung<br />
auch Aufgaben<br />
des Handwerks erfüllt und der<br />
schwere Antos zudem im nationalen<br />
Fernverkehr gern gesehen<br />
ist, bleibt der Atego der Klassiker<br />
allein für das städtische und<br />
stadtnahe Verteilergeschäft.<br />
geboten hat. Das<br />
ab 1.200 Umdrehungen<br />
konstant<br />
verlaufende<br />
Drehmoment von<br />
750 Nm in der 177-PS-Version<br />
ermöglicht eine durchzugsstarke<br />
Fahrweise. In jeder der vier<br />
Leistungsstufen des Vierzylinders<br />
liegt das Dremomentmaximum<br />
100 Nm höher. So<br />
lässt sich einsatzgenau bis in<br />
die Zwölftonnen-Variante ein<br />
passender Antrieb auswählen.<br />
Dem Atego 818 reichen 177<br />
PS voll und ganz, um zügig unterwegs<br />
zu sein. Der Antrieb<br />
muss sich bei flotter Fahrt nur<br />
selten in höhere Drehzahlbereiche<br />
bemühen. Zwei Tonnen<br />
Nutzlast sind knapp bemessen,<br />
aber das ist das klassische Problem<br />
aller 7,5-Tonner. Wobei es<br />
beim ohnehin nicht ganz leichten<br />
Atego deutlicher zutage tritt<br />
als bei 7,5-Tonnern anderer<br />
Marken.<br />
Zum ausgeglichenen Fahrerlebnis<br />
trägt die neue Daimler-Produktpilosophie<br />
bei,<br />
selbst in diesem Fahrzeugsegment<br />
das automatisierte Powershift-Getriebe<br />
in Serie anzubieten.<br />
Im Falle des 818 ist es<br />
ein sechsstufiges automatisiertes<br />
Getriebe, das sich für den<br />
Gangwechsel verantwortlich<br />
zeichnet. Der Sprung von Stufe<br />
zu Stufe gelingt dem Getriebe<br />
so gekonnt, dass man unter<br />
normalen Bedingungen nie zum<br />
manuellen Schalteingriff per<br />
Lenkstockhebel veranlasst ist.<br />
Rundum erneuert tritt auch<br />
das Fahrwerk an. Trotz des<br />
vom Vorgänger übernommenen<br />
Rahmens darf man getrost von<br />
einem rundum neuen Lkw sprechen.<br />
Das beginnt vorne mit einer<br />
völlig neuen Lenkung, die<br />
keine Fahrbahnschläge mehr<br />
Die leichteste Version<br />
mit 7,5 Tonnen, darunter gibt<br />
es noch einen 6,5-Tonner in<br />
Feuerwehr-Spezifikation, feiert<br />
15 Jahre nach Einführung der<br />
EU-Führerscheinregelung ein<br />
fröhliches Revival. Die Zahl<br />
der Fahrer mit »altem Dreier«<br />
ist nach wie vor ausreichend,<br />
um diese Variante weiter anzubieten.<br />
Einstiegsmotorisierung für<br />
den Klassiker ist ein 155 PS<br />
starker Vierzylinder, der auch<br />
als 177-PS-Version oder als<br />
Variante mit 211 und 231 PS<br />
angeboten wird. Wie nahezu<br />
alle Komponenten im Euro-<br />
6-Atego ist auch der Antrieb<br />
eine Neuentwicklung. Mit 5,1<br />
Liter Hubraum, zwei obenliegenden<br />
Nockenwellen, Common-Rail-Hochdruckeinspritzung<br />
und Vierventiltechnik<br />
wartet der Vierzylinder auf.<br />
Und der Wachwechsel unter<br />
der Kabine macht sich nicht<br />
allein in laut Hersteller rund<br />
fünf Prozent günstigerem Verbrauch<br />
bemerkbar.<br />
Auch fahrdynamisch hat der<br />
Atego zugelegt. Aus dem Stand<br />
zieht der Vierzylinder mit einer<br />
ausgeprägten Drehfreude<br />
hoch, die das Vorgängermodell<br />
nicht immer<br />
Mit neu angelegter<br />
Hinterachse<br />
Aufwertung: Der Fahrerarbeitsplatz im Atego schließt optisch<br />
und technisch zu Antos, Actros und Co. auf.<br />
weiterleitet und trotzdem nicht<br />
überdämpft wirkt. Allein das<br />
fehlende Rückstellmoment in<br />
die Nulllage ließe sich der sehr<br />
präzisen Lenkung ankreiden.<br />
Lenkkorrekturen während der<br />
Kurvenfahrt verlangt sie ebenso<br />
wenig wie übertrieben hohe<br />
Lenkkräfte.<br />
Zum überzeugenden Gefühl<br />
am Arbeitsplatz leistet auch die<br />
neue Fahrerhausfederung einen<br />
Beitrag. An vier Punkten anstelle<br />
von ehedem dreien stützt sich<br />
das Fahrerhaus gegen den Rahmen<br />
ab. Der Effekt: ein deutlich<br />
strafferes<br />
Federungsverhalten.<br />
Das im<br />
Straßenverkehr<br />
leicht wogende<br />
Atego-Haus<br />
vergangener Tage gibt es nicht<br />
mehr. Zu guter Letzt haben die<br />
Atego-Väter auch die gelenkte<br />
Hinterachse neu konzipiert,<br />
womit sie dem Leicht-Lkw ein<br />
beispielhaftes Fahrverhalten<br />
anerzogen haben.<br />
Weniger kritisch als im<br />
7,5-Tonner ist das Basisgewicht<br />
des Zwölftonners 1224,<br />
der als Nächstes auf die Testrunde<br />
muss. Mit rund fünfeinhalb<br />
Tonnen Nutzlast schultert<br />
der »Mautkiller« fast dreimal<br />
so viel wie der leichte Bruder.<br />
Dabei trägt der Atego 1224 ein<br />
langes Hochdachfahrerhaus,<br />
das den Wohnwert zusätzlich<br />
steigert, aber auch mehr wiegt.<br />
Ablagefächer im Dachbereich<br />
und eine Ruheliege hinter den<br />
Sitzen machen den Zwölftonner<br />
langstreckentauglich. Die<br />
dafür gut ausreichenden 238<br />
PS entwickelt ein Sechszylinder,<br />
der mit dem Vierzylinder konstruktiv<br />
eng verwandt ist.<br />
Der bereits in den schweren<br />
Baureihen Antos, Arocs und<br />
Actros eingesetzte Sechszylinder<br />
tritt im Atego als 238-,<br />
272- und 299-PS-Version an.<br />
Für den Solo-Zwölftonner stellen<br />
die 238 PS und ein Drehmomentmaximum<br />
von 1.000 Nm<br />
einen jeder Fahrsituation gewachsene<br />
Motorisierung dar.<br />
Beim Aufstieg auf den Feldberg<br />
bei Frankfurt gibt sich der<br />
Atego keine Blöße. Den Sechsprozenter<br />
schaltet das automatisierte<br />
Sechsganggetriebe elegant<br />
weg, die Geräuschkulisse<br />
im Fahrerhaus bleibt dabei auf<br />
Reisebusniveau. Talwärts punktet<br />
der Lkw mit 235 Brems-PS<br />
aus der dreistufigen Motorbremse.<br />
Die Radbremsen müssen<br />
beim Abstieg vom hessischen<br />
Hügel nur noch für kurze Anpassungen<br />
benutzt werden. Die<br />
Leistung der Motorbremse ist<br />
ein wesentlicher Fortschritt im<br />
Vergleich zum Vorgänger. Auf<br />
den weiterhin als Extra angebotenen<br />
Permanent-Magnetretarder<br />
kann man folglich zumindest<br />
im Solofahrzeug verzichten.<br />
Für die leistungsstärkeren<br />
15- und 16-Tonnen-Modelle,<br />
in denen das neue Achtganggetriebe<br />
zum Einsatz kommt,<br />
darf man auf eine noch präzisere<br />
Motorbremseinsteuerung<br />
vertrauen. Das serienmäßige<br />
Angebot eines Getriebefreilaufs<br />
gehört ebenfalls zu den<br />
Highlights im Atego. Mit der<br />
DIE MOTORVARIANTEN IM NEUEN ATEGO<br />
OM 934 OM 936<br />
Hubraum 5.132 cm 3 7.698 cm 3<br />
Leistung 115 kW (156 PS) bei 2.200/min 175 kW (238 PS) bei 2.200/min<br />
130 kW (177 PS) bei 2.200/min 200 kW (272 PS) bei 2.200/min<br />
155 kW (211 PS) bei 2.200/min 220 kW (299 PS) bei 2.200/min<br />
170 kW (231 PS) bei 2.200/min<br />
max. Drehmoment 650 Nm bei 1200/min 1.000 Nm bei 1.200/min<br />
750 Nm bei 1.200/min 1.100 Nm bei 1.200/min<br />
850 Nm bei 1.200/min 1.200 Nm bei 1.200/min<br />
900 Nm bei 1.200/min<br />
Gruppenzwang: Die Frontpartie des neuen Mercedes-Benz Atego ist an die Designvorgaben für<br />
die großen Brüder Antos und Actros angelehnt.<br />
Eco-Roll-Funktion nimmt man<br />
gerade im urbanen Verteilereinsatz<br />
viel Rollschwung mit, ohne<br />
unnötig Diesel zu verbrennen.<br />
Beim leichtgewichtigen<br />
7,5-Tonner können allerdings<br />
die Fahrwiderstände abhängig<br />
von Wind und Fahrbahnoberfläche<br />
den Einsatz des spritsparenden<br />
Freilaufs unterdrücken.<br />
Einstieg leicht gemacht –<br />
mit zwei kleinen Schritten<br />
geht es auf der Beifahrerseite<br />
die Stufen hinauf durch die<br />
geöffnete Falttür in das Innere<br />
des Mercedes-Benz Econic. Dort<br />
heißt der großzügig bemessene<br />
Innenraum den Fahrer und bei<br />
Bedarf zwei Mitstreiter mit seinem<br />
aus Atego, Antos und Co.<br />
teilweise bekannten Arbeitsplatz<br />
willkommen. Vom bequemen<br />
Gestühl des Lkw aus fällt der<br />
Blick durch die Panoramaverglasung<br />
nach draußen. Dank<br />
Niederflurkonstruktion sitzen<br />
die Insassen im Econic auf Augenhöhe<br />
mit dem Fußvolk. In<br />
Kombination mit den üppigen<br />
Außenspiegeln entgeht dem<br />
Fahrer so rund ums Fahrzeug<br />
nahezu nichts.<br />
Das ist entscheidend, denn<br />
der Econic ist im Stadtverkehr<br />
zu Hause und dort oftmals im<br />
Müllsammelbetrieb im Einsatz.<br />
Passanten in Fahrzeugnähe<br />
gehören da zum Alltag.<br />
Am bevorzugten Einsatz als<br />
Müllsammelfahrzeug hat sich<br />
mit der Erneuerung des Modells<br />
wenig geändert. Deshalb<br />
findet die erste Ausfahrt auch in<br />
der Frankfurter Innenstadt mit<br />
einem Econic 2635 mit Müllpressenaufbau<br />
von Faun statt.<br />
Der vom Antos entlehnte<br />
Antriebsstrang mit dem<br />
OM936-Aggregat als Herzstück<br />
stellt sich schnell als gute<br />
Wahl für den Econic heraus. In<br />
der 350-PS-Variante mit einem<br />
maximalen Drehmoment von<br />
1.400 Newtonmetern reagiert<br />
der Motor auf die maximale<br />
Leistungsanforderung des Fahrers<br />
lebhaft. Die sechsstufige<br />
Allison-Automatik springt dabei<br />
leichtfüßig durch die Gänge,<br />
ohne die Zugkraft merklich<br />
zu unterbrechen. Im Interesse<br />
des Verbrauchs hat Mercedes<br />
die Schaltzeitpunkte der Automatik<br />
um 200 Umdrehungen<br />
gesenkt. Im Vergleich zum Vorgänger<br />
fällt das beim Vortrieb<br />
aber nicht weiter ins Gewicht,<br />
da zugleich das Drehmoment<br />
der Aggregate angewachsen ist.<br />
Eine wahre Freude ist die<br />
Wendigkeit des Econic. Dank<br />
progressiv gelenkter Nachlaufachse<br />
ist eine Umkehr auch auf<br />
kleinem Raum möglich. Etwas<br />
aufpassen muss der Fahrer<br />
dabei allerdings mit den<br />
Überhängen vorn und hinten.<br />
Dank souveräner Motorisierung<br />
und langer Rollstücke<br />
tiefenentspannt bleibt dem<br />
Fahrer so die Muße, das neue<br />
Kabineninterieur zu inspizieren.<br />
Ein Armaturenträger mit<br />
Klargrafik-Display wie im<br />
Actros, das serienmäßige Multifunktions-Lenkrad<br />
und die<br />
hochwertig anmutende Verarbeitung<br />
der pflegefreundlichen<br />
Materialien zeugen von Wertschätzung<br />
auch für den Verteilerfahrer.<br />
So lässt sich dem Atego<br />
guten Gewissens attestieren,<br />
in der variantenreichen Verteiler-Klasse<br />
mit einem rundum<br />
neuen Fahrzeug in vielen Bereichen<br />
Bestmarken zu setzen.<br />
Oliver Willms<br />
Sauberer Sammler<br />
Fahrbericht: Der Econic ist im Euro-6-<br />
Zeitalter angekommen. <strong>trans</strong> <strong>aktuell</strong> ist<br />
den Stadt-Spezialisten gefahren.<br />
Maßgeblich verbessert hat sich<br />
mit dem Modellwechsel auch<br />
die Fahrstabilität bei höherem<br />
Tempo. So gerät der Econic<br />
kaum aus dem Geradeauslauf<br />
auf der Autobahn, Ausgleichsbewegungen<br />
mit dem Lenkrad<br />
sind nur noch selten nötig.<br />
Apropos Autobahn – für<br />
Langstreckeneinsätze wäre eine<br />
Alternative zur Allison-Automatik<br />
wünschenswert. Denn<br />
deren Abstimmung treibt den<br />
Drehzahlmesser bei Tempo 80<br />
in der größten Stufe auf rund<br />
1.800 Umdrehungen hoch.<br />
Laut Mercedes könnte aber in<br />
naher Zukunft Power Shift 3 im<br />
Econic Einzug halten. Dann wären<br />
auch Hypoidachsen anstatt<br />
der AP-Achsen in den Stadt-<br />
Lkw verfügbar. Dabei lässt sich<br />
Mercedes wohl weniger vom<br />
Müllsammelsegment motivieren,<br />
sondern vielmehr vom städtischen<br />
Verteilerverkehr, in dem<br />
das Unternehmen den Econic<br />
neben Antos und Atego auch<br />
stärker positionieren möchte.<br />
Da könnte auch der fürs Frühjahr<br />
2015 angekündigte monovalente<br />
Gasantrieb helfen. So tut<br />
Mercedes technisch einiges, um<br />
Spediteuren im Verteilerverkehr<br />
den Einstieg in die Econic-Welt<br />
leichter zu machen, zumal der<br />
Stadtprofi wohl preislich nicht<br />
so attraktiv sein wird wie seine<br />
beiden Verteiler-Brüder.<br />
Markus Braun<br />
Fotos: Daimler