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Fenster für Haidhausen (Broschüre) - sprungbrett Bayern

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6 Das Konzept des Ateliers für Glasgestaltung<br />

7<br />

Die Glasbildnerin Eva Sperner<br />

Ein Ausschnitt des wirklichen Lebens, dem sich die Schule an der Wörthstraße öffnete, repräsentierte<br />

die Arbeitswelt, und dies in der Form eines selbstständig wirtschaftenden<br />

Handwerksbetriebs. Schüler der 7. Klasse lernten im Lauf des Jahres 2010 an jeweils ein bis<br />

zwei Tagen in der Woche durch praktische Arbeiten an Realaufträgen, näherhin ein raumprägendes<br />

Spiegelglaskunstwerk im Schulhaus, nach den Axiomen der entdeckenden Methode.<br />

Praktische Werkstattarbeit im Glasatelier von Eva Sperner eröffnete den Heranwachsenden<br />

neue praktische Weltbezüge. Sie vermittelte Einblicke in die Realität der Arbeitswelt, eröffnete<br />

einen Zugang zu den Arbeitsabläufen im Betrieb, ließ das einzigartige Spiegelglaskunstwerk<br />

in seinem Entstehungsprozess vor dem Auge der Produzenten erstehen: von der Planung über<br />

die Ausführung bis zur Übergabe an die Schule. Im Verlauf der Herstellung des Kunstwerks<br />

schulte die Arbeit im Atelier die „manuelle Kompetenz“, vermittelte sie den SchülerInnen<br />

die Beschaffenheit und Eigenart des Werkstoffs Spiegelglas sowie den Einsatz entsprechender<br />

Werkzeuge. Technisches Verständnis und Verfahrenskenntnisse wurden damit implementiert.<br />

Die Jugendlichen erlebten unmittelbar die praktische Anwendung schulischer Lehrplaninhalte.<br />

Aus der praktischen Werkstattarbeit ergaben sich eine Vielzahl neuer Fragestellungen, welche<br />

der unterrichtlichen Instruktion aus der jugendlichen Perspektive eine neue Legitimation<br />

verschafften. Die Beanspruchung von „Kopf, Herz und Hand“ wirkte der Fokussierung auf<br />

kognitives Lernen entgegen. Praktisches Tun, das Erlebnis der Eigentätigkeit, welche sich im<br />

Produkt des Spiegelkunstwerks vergegenständlichte, förderte die Freude am Tätigsein und<br />

Lernen. Die Arbeit im Atelier der Glasgestalterin formte dabei auch die Persönlichkeit der<br />

Heranwachsenden. Sie koordinierte den intellektuellen und affektiven Bereich, indem sie<br />

die manuelle Geschicklichkeit sowie den balancierenden Umgang mit Gewohnheiten und<br />

Gefühlen förderte. Eine so präzise und differenzierte artifizielle Tätigkeit konnte nur gelingen,<br />

weil die SchülerInnen in der Lage waren, eigene Unlustgefühle, Ungeduld, mangelnde<br />

Konzentration bzw. die Neigung zu physischer Dynamik „in den Griff“ zu bekommen und ihre<br />

Willenskraft zielgerichtet für einen klar definierten Arbeitsprozess einzusetzen. Ein hohes Maß<br />

an Selbstdisziplin, Motivation und Sachorientierung musste entwickelt werden.<br />

und zu organisierenden Lernprozess. Praktisches Sprach- und Lernhandeln diente dabei der<br />

Vermittlung von menschlichen Bedürfnissen sowie Desideraten und deren Realisierbarkeit. Auf<br />

eben die se Art und Weise führte die praktische Arbeit im Atelier für Glasgestaltung in die soziale<br />

Realität ein und demonstrierte den Jugendlichen, dass die Befriedigung von Bedürfnissen<br />

wesentlich an prozessuale Bedingungen geknüpft waren. Praktische Werkstattarbeit wurde „für<br />

andere“ geleistet und hatte insofern, neben der sozialen, auch eine ökonomische Dimension.<br />

Es ging sowohl um Produktivität als auch um die Weiterentwicklung von Sozialkompetenzen.<br />

Besonders der soziale Moment konnte im praktischen Tun unmittelbar gelernt und geübt werden.<br />

Die Jugendlichen waren darauf angewiesen, miteinander zu kooperieren und gemeinsam<br />

Arbeitsvorgänge sowie -teilungen zu reflektieren und auszuhandeln auf der Basis von sachbzw.<br />

fachlichen Erfordernissen. Das Erlebnis einer anderen „Lehrpersönlichkeit“ als der des<br />

Schullehrers war für die Heranwachsenden von evidenter Wichtigkeit. Mit Frau Eva Sperner<br />

eine „Meisterin ihres Fachs“ als echte Autorität erleben zu können, deren Autorität an ihrer<br />

Kompetenz und handwerklichen Profession sowie ihren pädagogischen Qualitäten messen zu<br />

können, war zudem ein wichtiges Additum.<br />

Besonders wertvoll war das Erkennen der eigenen Fähigkeiten sowie Fertigkeiten und deren<br />

Erweiterung im Verlauf der Werkstattarbeit. Gesteigerte Selbstwahrnehmung und größeres<br />

Selbstvertrauen bildeten sich im Vollzug des arbeitspraktischen Handelns. Eine andere Art von<br />

Denkschulung etablierte sich: Am Arbeitsergebnis der Spiegelglasproben und des Kunstwerks<br />

wurde sofort und unmittelbar sichtbar, wo unvollständig oder hypothetisch gedacht und geplant<br />

worden war. Im Prozess der Aufgabenbewältigung korrigierte oder falsifizierte nicht eine<br />

Lehrautorität die Reflexion und Konzeption der SchülerInnen, sondern das Spiegelglasprodukt<br />

selbst gerierte sich zum erkenntnisleitenden Objekt. Fazit war, dass sich eine größere ästhetische,<br />

affektive und kognitive Urteilsfähigkeit bei den Betriebspraktikanten ausbildete. Das<br />

Erlebnis eigener Lernfähigkeit auf praktischem Gebiet bot die Möglichkeit des Transfers auf<br />

theoretische Lernbereiche und forcierte das Zutrauen in einen selbst zu verantwortenden

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