ZAHNÄRZ TEBLATT
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Kind noch erlebt hatte, schwor sich 1970 als junger<br />
Oberbürgermeister, diese Schönheit zu retten. Es war die<br />
betonseligste Zeit, Denkmäler galten als Hindernis für den<br />
Fortschritt. In Landshut nicht. „Die Bürokratie“ hat die alten<br />
Häuser gerettet, fast alle sind sie heute unantastbar. Bauamt<br />
und der Bausenat, die Untere Denkmalschutzbehörde<br />
und die Denkmalschützer des Landesamtes, Stadtrat und<br />
Bürgermeister standen zusammen.<br />
Sie lehnten alle Abrissanträge ab und untersagten jene<br />
Modernismen, die Deimer „Zivilisationsschrott“ nennt;<br />
sie verbannten die Autos. „Für all das“, sagt Deimer heute<br />
heiter, „brauchten wir vor allem eins: Tapferkeit vor dem<br />
Freund.“ Dem Partei- oder Vereinsfreund etwa, der plötzlich<br />
ein Riesenschaufenster mit Kunststoffrahmen in ein<br />
Gebäude hauen ließ, das vielleicht noch die großen Tage<br />
der Herzogsstadt im 16. Jahrhundert gesehen hatte. Die<br />
Verwaltung zwang ihn, den Originalzustand wiederherzustellen.<br />
Schimpfende Hauseigentümer, mosernde Einzelhändler,<br />
aufgebrachte Autofahrer: Niemand kann ermessen, wie<br />
viele Flüche über Bürokraten und Amtsschimmel in den<br />
Himmel über der Martinskirche geschleudert wurden. Aber<br />
heute sind die Landshuter stolz auf ihre Stadt, die ohne<br />
Josef Deimer und sein noch heute geltendes Vorschriftenregime<br />
nicht dieselbe wäre.<br />
Es nimmt auch gar nicht die Bürokratie an sich zu, sondern<br />
vor allem das Gejammer über sie. In der ersten Legislaturperiode<br />
des Bundestags, 1949 bis 1953, wurden 545<br />
Gesetzentwürfe verabschiedet, 1990 bis 1994 waren es<br />
507 und 2009 bis 2013 dann 553. Es gab auch mal deutlich<br />
weniger, aber insgesamt blieb die Zahl konstant. Die<br />
Verordnungen und Richtlinien aus Brüssel sind teils darin<br />
enthalten, teils nicht. Ende 2012 hat die Europäische<br />
Kommission einen Bestand von 9576 EU-Verordnungen und<br />
1989 Richtlinien registriert. Gerade den Brüsseler Bürokraten<br />
trauen viele Deutsche Schlimmes zu. Und gewiss: 730 Millionen<br />
Euro mussten Bürger, Unternehmen und Verwaltung<br />
im Jahr 2012 aufwenden, um EU-Vorgaben zu erfüllen. Der<br />
Aufwand, um nationale Regelungen umzusetzen, war nur<br />
unwesentlich höher. Mag sein – aber ohne Regeln ist das<br />
Zusammenwachsen des Kontinents und seiner demokratisch<br />
regierten Nationen nicht zu haben. Die Ukrainer wären<br />
froh, hätten sie Sorgen wie angebliche Bananenkrümmungsoder<br />
Feinstaubvorschriften. Tatsächlich geht nicht einmal<br />
ein Drittel der deutschen Gesetze auf die EU zurück.<br />
Hans Peter Bull, der erste Bundesbeauftragte für den<br />
Datenschutz, sieht im deutschen Dauerlamento über Staat<br />
und Verwaltung denn auch mehrheitlich „Klischees und<br />
Vorurteile“; er spricht von einer „modischen Geringschätzung<br />
der Errungenschaften unseres Rechts- und Verwaltungsstaates“.<br />
Man könnte auch sagen: Viele Bürger, Unternehmer<br />
und sogar Politiker wissen nicht mehr zu schätzen, was<br />
sie haben. Wenn, wie bei den Frühjahrsfluten 2013, der<br />
Staat wirksam hilft, dann ja nicht trotz, sondern gerade<br />
wegen einer funktionierenden Verwaltung. Natürlich gibt<br />
es viel Unsinn und Schildbürgerdenken in der öffentlichen<br />
Verwaltung. Der Grundbesitzer bekommt ein Mahnschreiben<br />
der Flurbereinigungsbehörde in die Hand, das sich jeder<br />
Verständlichkeit verschließt. Ein Arzt verbringt bald mehr<br />
Zeit hinter Formularen als bei seinen Patienten, ein<br />
Milchbauer mehr Stunden am Schreibtisch als im Kuhstall.<br />
Nicht selten wird die Grenze zum Grotesken überschritten.<br />
So erholte sich 2012 ein Uhu in einer Vogelauffangstation<br />
im Ruhrgebiet von einer Kollision mit einem Zaun. Als das<br />
zunächst recht verwirrte Tier wieder fit war, hätte man es<br />
ja freilassen können. Aber nein. Viele Tage befasste sich<br />
die Untere Landschaftsbehörde mit der Frage, ob es sich<br />
um einen heimischen Uhu (Bubo bubo) oder einen eingeflogenen<br />
asiatischen (Bubo bengalensis) handele. Davon<br />
respektive einer Fülle von Vorschriften hing nämlich ab,<br />
ob er heim in den Wald durfte (im Fall deutscher Herkunft),<br />
sein weiteres Leben im Käfig fristen müsse (bei asiatischer<br />
Provenienz) oder in Ermangelung offizieller Papiere gar<br />
einzuschläfern sei. Erst ein DNA-Test rettete die Eule: Es<br />
war ein Bubo bubo.<br />
Der Begriff Bürokratie, sinngemäß eine „Herrschaft des<br />
Arbeitszimmers“, geht auf den französischen Ökonomen<br />
Vincent de Gounay (1712 – 1759) zurück und meinte damit<br />
die „unproduktive“ Beamtenschaft des Königshauses. Der<br />
Soziologe Max Weber versachlichte den Bürokratiebegriff:<br />
Er stand nun für den modernen Staat statt der Fürstenwillkür,<br />
für feste Regeln und Gesetze, berechenbare Entscheidungen,<br />
für Rechtssicherheit – all das durch staatliches Personal mit<br />
eigenem Berufsethos. Also vorwiegend durch Beamte. <br />
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