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ZAHNÄRZ TEBLATT

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Gewerbesteuer ist tatsächlich komplex und aufwendig,<br />

unbestritten.“ Aber niemand habe je einen belastbaren<br />

Gegenvorschlag gemacht, der nicht zweierlei bedeuten<br />

würde: dass die Bürger bezahlen müssten, was die Unternehmen<br />

bei einer Abschaffung der Gewerbesteuer sparen –<br />

und dass ein neues System mit noch mehr Bürokratie<br />

entstünde.<br />

Dabei ist die Wirtschaft paradoxerweise ein wesentlicher<br />

Grund für zu viel staatliche Bürokratie – weil, sagt Bull,<br />

„Politiker oft den Lobbyisten nachgeben“. Ausgerechnet die<br />

FDP hat ja die vergünstigte Mehrwertsteuer von Hoteliers<br />

durchgesetzt, nur ein Beispiel von Hunderten. Aber jede<br />

Ausnahme von Regeln, die für alle gelten sollten, erzeugt<br />

unausweichlich mehr Verwaltung.<br />

Es entbehrt nicht der Ironie: Johannes Ludewig ist Vorsitzender<br />

einer neuen Behörde mit Referenten, Berichterstattern,<br />

Umlaufwesen und dem wunderbaren Namen Nationaler<br />

Normenkontrollrat (NKR). Kurz: es wirkt, als sei der frühere<br />

Bahnchef und Beauftragte für die neuen Länder samt seiner<br />

Organisation ein typischer Vertreter „der Bürokratie“ – dabei<br />

ist er ihr oberster Bekämpfer.<br />

Kaum jemand weiß, dass die große Koalition 2006 durch<br />

die Gründung des NKR der Bürokratie mit einigem Erfolg<br />

den Kampf angesagt – oder besser: „der unnötigen Bürokratie“,<br />

wie Ludewig sagt. Damals war oft unklar, was<br />

neue Gesetze am Ende kosten und wie viel Verwaltungsaufwand<br />

sie bedeuten würden. „Es gab nur ein Bauchgefühl“,<br />

so Ludewig. Bis 2013 wurden die Kosten für Bürokratie um<br />

12,5 Milliarden Euro gesenkt. Seit Juli 2011 prüft der NKR<br />

sogar sämtliche Folgekosten von Gesetzen für Bürger,<br />

Wirtschaft und Verwaltung. Eine Fülle lästiger Regelungen<br />

ist bereits entfallen, beim Wohngeld, beim E-Government<br />

oder der Einreise ausländischer Fachkräfte. Gerade hat<br />

Ludewig gefordert, die Folgekosten für das Mindestlohngesetz<br />

zu benennen, wie es eigentlich vorgeschrieben ist.<br />

Niemand in der Politik soll nachher sagen können, man<br />

habe nicht gewusst, dass das alles so viel Geld kostet.<br />

Viele Politiker, die im Wahlkampf „Bürokratieabbau“<br />

verlangen, vergessen gern, wer die Bürokratie eigentlich<br />

aufgebaut hat: Sie waren es selbst. Wenn die Bürokratie<br />

tatsächlich garstig und abschreckend ist, dann sehr häufig,<br />

weil der Gesetzgeber sie genau so haben wollte – etwa<br />

beim Asylrecht oder dem Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen.<br />

Es klingt dann aber so, als säßen in den Ämtern die<br />

grauen Herren aus der „Unendlichen Geschichte“, welche<br />

die Zeit wegfressen.<br />

So gehe das natürlich nicht, findet Alt-OB Josef Deimer. Die<br />

Altstadt von Landshut hat er nicht allein durch Paragrafen<br />

gerettet, sondern durch einen langen politischen Prozess,<br />

der diese Paragrafen erst ermöglichte. Er warb und überzeugte,<br />

besorgte grummelnden Eigentümern verfallender<br />

Barockhäuser Mittel aus der Städtebauförderung, lockte<br />

den Einzelhandel, schuf Sanierungsgebiete, in denen<br />

steuerliche Entlastungen winkten – und stand als Chef stets<br />

zu seinen Leuten: „Die Verwaltung muss den Rückhalt des<br />

Oberbürgermeisters haben.“<br />

Der frühere Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes,<br />

Peter Heesen, schildert das Dilemma des Staatsdieners<br />

zwischen Bürger und Gesetzgeber an einem Beispiel. Ein<br />

Schwimmbad wird saniert. Die Gesundheitsvorschriften<br />

verlangen glatte Kacheln, damit sich nicht der böse Pilz<br />

festsetzt. Die Sicherheitsvorschriften wollen raue Kacheln,<br />

damit der Badegast nicht ausgleitet und auf die Nase fällt.<br />

Und der Beamte? fragt Heesen: „Der sitzt in seiner Stube<br />

und fragt sich: Was nun?“<br />

ß<br />

—<br />

Joachim Käppner<br />

Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 12./13.04.2014<br />

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