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streifzuege_47 Kopie - Streifzüge

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PETER POTT, SCHÖNER WOHNEN 11<br />

um den Ausbau einer Räumlichkeit, der<br />

Subjekte voraussetzt, die den ausgebauten<br />

Raum schon in ihrem „Kopf gebaut“<br />

haben, bevor sie ihn materialisieren. Der<br />

Ausbau oder besser gesagt: die Ausweitung<br />

des gesellschaftlichen Spielraums<br />

der Individuen, die die positive Aufhebung<br />

des Privateigentums beinhaltet, beinhaltet<br />

logischerweise auch die positive<br />

Aufhebung der Privatperson: die bewusste<br />

und willentliche Rückkehr des bürgerlichen<br />

Subjekts „in sein menschliches,<br />

d.h. gesellschaftliches Dasein“, in dem die<br />

Individuen ohne Angst verschieden sein<br />

können, ihre furchtlos geäußerten Einfälle<br />

sich zu einer Vorstellung von der<br />

Wirklichkeit vermitteln, die die alte aufhebt.<br />

Und das nicht nur im Spiel, sondern<br />

mit der Kraft, die Fakten schafft − und<br />

Arbeit heißt, mit der die Gemeinschaft<br />

sich als Produktionsapparat setzt, mit dem<br />

sie sowohl ihr sachliches wie auch ihr lebendiges<br />

Vermögen, die Qualität und<br />

Quantität der ihr zur Verfügung stehenden<br />

Produkte und ebenso ihre Produktivkraft<br />

vermehrt. Fragt sich allerdings, ob<br />

das eine möglich ist, wenn das andere nötig<br />

ist: ob „das wirkliche Leben, das den<br />

jetzigen Zustand aufhebt“ (Marx), sich so<br />

zu organisieren vermag, dass es den herrschenden<br />

Zuständen auch tatsächlich<br />

trotzen kann, wenn doch die Trotzigen<br />

nicht umhinkönnen, sich den Anmaßungen<br />

der herrschenden Klasse zu beugen.<br />

Richtiges Leben<br />

Adornos Feststellung, dass es „kein richtiges<br />

Leben im falschen“ gibt, ist wenig<br />

ermutigend. Sie trifft nur bedingt zu.<br />

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass<br />

das Leben nie das richtige ist, es das richtige<br />

immer noch vor sich hat – und dieses<br />

Vorhaben im falschen Leben auch<br />

lebt. Es gibt im falschen Leben ein richtiges,<br />

das das falsche aufhebt: „die wirkliche<br />

Bewegung“, die Marx und Engels<br />

kommunistisch nennen, „welche den jetzigen<br />

Zustand aufhebt“ (MEW 3, S. 35).<br />

Diese Bewegung gibt es unter jeder Bedingung.<br />

Es gibt nicht immer und überall,<br />

gibt nirgends, gab nie Bedingungen,<br />

unter denen das richtige Leben sich<br />

ohne Einschränkung auch zu realisieren<br />

vermochte. Stets unterlag es staatlichen<br />

Beschränkungen, wenn auch lange<br />

nicht in der umfassenden Weise des modernen<br />

bürgerlich-kapitalistischen Staates.<br />

Es gibt auch in diesem falschen Leben<br />

ein richtiges, das dem falschen trotzt<br />

– und bei allem Trotz sich beugt. So tief<br />

inzwischen, dass Zweifel erlaubt sind,<br />

ob es je wieder aus seinem Tiefsinn auftaucht,<br />

um über den oberflächlichen Erfahrungsaustausch<br />

menschlicher Individuen<br />

wieder richtig in Form zu kommen,<br />

die abgetauchte wirkliche Bewegung sich<br />

auf eine Gesellschaft zubewegt, die vermeidet,<br />

„die Gesellschaft ... als Abstraktion<br />

dem Individuum gegenüber zu fixieren“<br />

(MEW EB, S. 539). Der Zweifel<br />

bleibt, auch wenn nicht zu zweifeln ist,<br />

dass genügend Spielraum ist, sich der routinierten<br />

Verbeugung vor der Herrschaft<br />

des Interesses zu entziehen – und sich auf<br />

eine liebenswürdigere Lebens- und Arbeitsweise<br />

zu besinnen als die, der die Individuen<br />

notgedrungen nachgehen müssen.<br />

Dass die Masse diesen Spielraum<br />

dann doch nicht nur verspielt, beweist<br />

schon die Masse „Schwarzarbeit“, in der<br />

mit mehr Liebe als sonst und guten Bekannten<br />

ein Haus gebaut oder sonst eine<br />

Arbeit gemeistert wird, die dem offiziellen<br />

Arbeitsmarkt im wahrsten Sinne des<br />

Wortes abhanden kommt. Sie beweist allerdings<br />

auch, dass Individuen, die sich<br />

zusammentun und mit schwarzer Arbeit<br />

der weißen trotzen und weitergehen<br />

als die Polizei erlaubt, doch in der<br />

Regel nicht weit genug gehen, um dem<br />

richtigen Leben im falschen eine wirkliche<br />

Chance zu geben, die verlangt, dass<br />

die schwarz miteinander verbundenen<br />

Produzenten ihr Produkt nicht auf den<br />

Markt tragen, sondern es auch gemeinsam<br />

genießen, das miteinander gebaute<br />

Haus auch miteinander bewohnen und<br />

so gewohnheitsmäßig mit mehr Liebe<br />

zur Sache kommen, mehr Leben im Haus<br />

sich abspielt. Es läge nahe.<br />

„Der Kommunismus ist wirklich die<br />

geringste Forderung, / Das Allernächstliegende,<br />

Mittlere, Vernünftige“, heißt<br />

es in dem Anfang der 1930er Jahre geschriebenen<br />

Gedicht „Der Kommunismus<br />

ist das Mittlere“ von Bertolt Brecht.<br />

Er bietet „die praktikablen Erkenntnisse“,<br />

so erläutert Walter Benjamin brieflich<br />

Brechts Gedicht Werner Kraft, „die<br />

unfruchtbare Prätension auf Menschheitslösungen<br />

abzustellen, ja überhaupt<br />

die unbescheidene Perspektive auf totale<br />

Systeme aufzugeben, und den Versuch<br />

zumindest zu unternehmen, den Lebenstag<br />

der Menschheit ebenso locker aufzubauen,<br />

wie ein gutausgeschlafener, vernünftiger<br />

Mensch seinen Tag antritt“<br />

(zitiert nach Erdmut Wizisla, S. 272).<br />

Schwarzarbeit, die so weit nicht geht,<br />

dass die in ihr unvermeidlichen menschlichen<br />

Begegnungen sich auch als „das<br />

energische Prinzip der nächsten Zukunft“<br />

(Marx) organisieren, hat kaum<br />

eine Chance, „die unfruchtbare Prätension<br />

auf Menschheitslösungen abzustellen“.<br />

Die Produzenten bleiben dem<br />

Tiefsinn verhaftet, der sie an „die unbescheidene<br />

Perspektive auf totale Systeme“<br />

kettet. Von der Erfahrung ihrer produktiven<br />

Energie berauscht und praktisch<br />

mit Auge und Ohr, mit allen fünf Sinnen<br />

darauf eingestellt, mehr mit- und füreinander<br />

zu tun, erleben sie mit dem Rückzug<br />

ins „Privatleben“ die kollektive Erfahrung<br />

des Rausches als private Potenz,<br />

mit der sie die gesellschaftliche Macht,<br />

die ihnen noch zu eigen ist, als belanglos<br />

abtun und lieber ihr Leben lassen, als das<br />

„Allernächstliegende, Mittlere, Vernünftige“<br />

zu tun.<br />

Welche Macht sie noch haben? Sie haben<br />

ein mehr oder weniger ausgekochtes<br />

Leben, das trotz eindringlicher Verformungen<br />

die „revolutionäre Energie“ besitzt,<br />

die versteinerten Verhältnisse immer<br />

wieder zum Tanzen zu zwingen, um in<br />

dem „Ausnahmezustand, in dem wir leben“,<br />

die individuelle Energie als gesellschaftliche<br />

Macht zu erleben, mit der sich<br />

auch „schwarz“ arbeiten lässt. Wenn sie<br />

die Chance nicht nutzen bzw. sie nicht<br />

weitgehend genug nutzen, zwar mit mehr<br />

Liebe als sonst und guten Bekannten ein<br />

Haus sich bauen, doch dieses Haus nicht<br />

nutzen, um es mit den ihm „schwarz“ verbundenen<br />

Produzenten auch zu bewohnen<br />

und mit ihnen gewohnheitsmäßig<br />

mit Liebe zur Sache zu kommen, dann...<br />

Dann sollten sie nicht nur die Herrschenden<br />

anklagen und darüber klagen, dass<br />

„die Möglichkeit des Wohnens ... von<br />

<br />

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LIVING ROOM<br />

<strong>Streifzüge</strong> N° <strong>47</strong> / Dezember 2009

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