streifzuege_47 Kopie - Streifzüge
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ROGER BEHRENS, GENTRIFICATION 13<br />
Gentrification und urbane Bewegung<br />
von Roger Behrens<br />
„My lifestyle determines my deathstyle.“<br />
Metallica, „Frantic“<br />
Die einstige Hoffnung der funktionalistischen<br />
Planung, die moderne<br />
Stadt sei in ihrer Raumgestalt fertig,<br />
und hätte zumindest soviel Dauer und<br />
Bestand, dass in ihr die Menschen noch<br />
im neuen Jahrtausend leben könnten, hat<br />
sich nicht bestätigt. Im Gegenteil: Seit<br />
den achtziger Jahren zeichnet sich immer<br />
deutlicher ein Prozess der massiven<br />
Umgestaltung der Metropolen und<br />
ihrer Grundstruktur ab, in dem sich die<br />
allgemeinen gesellschaftlichen Tendenzen<br />
der politischen Ökonomie manifestieren:<br />
Die fordistische Stadt (eine Stadt<br />
der Inklusion) wird von der postfordistischen<br />
Stadt (eine Stadt der Exklusion)<br />
abgelöst. Welche Veränderungen das sozial<br />
und architektonisch nach sich zieht,<br />
zeigt sich an den paradox scheinenden<br />
Diagnosen der ‚Endless Cities‘ einerseits,<br />
der ‚Shrinking Cities‘ andererseits. Tatsächlich<br />
sind die bis in die siebziger Jahre<br />
hinein in Beton gegossenen Riesenstädte<br />
keineswegs statisch, stabil, „steinern“;<br />
vielmehr sind sie höchst veränderbar,<br />
dynamisch, von Krisen und Katastrophen<br />
gekennzeichnet, die sich im Einsturz,<br />
Abbruch, Leerstand, Zerfall und<br />
Verwüstung äußern.<br />
Mitten in den Metropolen Shanghai,<br />
Dubai oder Berlin gibt es Brachen, Neuland<br />
als Baufläche, auf der ganze urbane<br />
Zonen neu entstehen. In Hamburg<br />
wird im Zentrum mit der „Hafen City“<br />
ein neuer Stadtteil gebaut – ein in diesem<br />
Ausmaß und dieser Lage weltweit einzigartiges<br />
Bauvorhaben. Das hat Auswirkungen<br />
auf die umliegenden Stadtteile:<br />
vor allem das Schanzenviertel, St. Pauli<br />
und, im Zuge des Hafen City-Projekts,<br />
Wilhelmsburg.<br />
In diesen Vierteln gibt es ohnehin<br />
Wandlungsprozesse, die zunächst auf der<br />
Erscheinungsebene auffällig geworden<br />
sind: Andere Leute, andere Läden etc.<br />
Es manifestieren sich Veränderungen, die<br />
nur zu offensichtlich scheinen. „Gegner“ dieser<br />
Prozesse – Stadtteilaktivisten, Hausbesetzer<br />
und Wohnprojektler, Autonome<br />
und sonstige Engagierte sprechen von<br />
Gentrifizierung. Mittlerweile ist dieser der<br />
kritischen Stadtsoziologie entnommene<br />
Begriff kaum mehr als ein Schlagwort,<br />
mit dem in seiner allgemeinsten Definition<br />
beklagt wird, dass vorgeblich alteingesessene,<br />
„ursprüngliche“ Bewohner<br />
durch steigende Mieten von beruflich<br />
und finanziell gut situierten „Reichen“<br />
verdrängt werden. Damit einher geht<br />
eine Verwandlung des gewohnten und<br />
liebgewonnenen Straßenbildes und damit<br />
ein Verschwinden des das jeweilige<br />
Viertel – angeblich – bestimmenden<br />
Lebensgefühls: die eine „Viertelkultur“,<br />
bei der suggeriert wird, dass sie „authentisch“<br />
sei, werde zerstört und ersetzt durch<br />
eine neue „Kommerzkultur“, die „hier“<br />
gar nicht hingehöre: Modeläden, Bars,<br />
Restaurants der Neuen Küche (Fingerfood<br />
etc.) und ein damit identifiziertes<br />
Publikum prägen fortan die Szenerien.<br />
Die in der Regel nur durch vage Informationen<br />
bestätigte Meinung, dass<br />
sich die meisten der bisherigen Bewohner<br />
diesen Kommerz beziehungsweise<br />
die Verteuerungen nicht mehr leisten<br />
können, ist nur ein Aspekt der gentrifizierungskritischen<br />
„Bewegungen“. Tatsächlich<br />
konzentriert sich darauf gar<br />
nicht die Hauptkritik der Gentrifzierungsgegner;<br />
gerade die bei diesen beliebte<br />
Parole „Reclaim the Streets“ zeigt<br />
an, dass es primär um das Leben auf der<br />
Straße geht, um den dort präsenten und repräsentierten<br />
Lifestyle. Es geht nicht um<br />
Haushalts- und Wohnformen, radikale<br />
Kritik an Immobilieneigentum; weder<br />
um sozialreformerische Forderungen<br />
nach infrastrukturellen Verbesserung der<br />
Versorgung, noch um stadtkritische Utopien.<br />
Verteidigt werden die eigene Position<br />
innerhalb des „öffentlichen Raums“,<br />
und damit das postmoderne Derivat der<br />
„Privatsphäre“, die längst in diese „Öffentlichkeit“<br />
aufgelöst wurde.<br />
Diese Verschiebung des „Privaten“ ins<br />
„Öffentliche“ kündigte sich ebenfalls in<br />
den achtziger Jahren an, allgemein durch<br />
den Neokonservatismus der Ära Reagan-<br />
Thatcher-Kohl, in der Linken in Bezug<br />
auf das Stadtleben durch das Ende der<br />
Hausbesetzerbewegung und die Konzentration<br />
auf kulturelle Freiräume (in<br />
Hamburg zum Beispiel: Kemal-Altun-<br />
Platz, Rote Flora, Park Fiction). Mit der<br />
Abspaltung des „Politischen“ durch die<br />
Etablierung einer Poplinken und eines<br />
vermeintlich hedonistischen Lebensstils<br />
wurde diese Verschiebung schließlich besiegelt:<br />
in der urbanen Selbststilisierung<br />
durch Mode, adaptierte Rollen und Stereotypen<br />
und andere Formierungen eines<br />
repräsentativen Geschmacks.<br />
Eine Kritik des Kapitals, das seit der<br />
Neuzeit in Produktions- wie Reproduktionsverhältnissen<br />
in den Städten seinen<br />
vielfältigen Ausdruck gefunden hat,<br />
kommt in den Auseinandersetzungen<br />
um die Gentrifizierung zumeist nur als<br />
abstrakte quantitative Größe vor: „Alles<br />
wird teurer“, das Leben wird kommerzialisiert<br />
beziehungsweise die Stadt<br />
wird ökonomisiert. Diese Kritik bleibt insofern<br />
abstrakt und bloß quantitativ, weil<br />
sie eine viertelspezifische – also scheinbar<br />
nur hier wirkende – Erhöhung der Lebenshaltungskosten<br />
unterstellt, die an<br />
steigenden Mietpreisen und einem mit<br />
„Luxus“ assoziierten Konsumangebot<br />
(etwa Boutiquen, Cafés mit extravaganten<br />
Sortimenten) festgemacht wird; dadurch,<br />
so die These, werden die bisher<br />
ansässigen Bewohner „verdrängt“, das<br />
heißt gezwungen wegzuziehen. Faktisch<br />
zielt diese Kritik nicht auf das Kapital,<br />
sondern auf ein bestimmtes Publikum,<br />
das mit der Kommerzialisierung identifiziert<br />
wird.<br />
Fassadenkritik<br />
Es ist dies zudem ein Publikum, das in<br />
seiner Haltung und Mode vom eigenen<br />
kulturlinken pseudohedonistischen<br />
Lebensstil gar nicht so weit entfernt<br />
scheint, gleichzeitig aber diesen Lebensstil<br />
(waren)ästhetisch überformt und damit<br />
„verrät“. Eine weitere Teilnahme an<br />
diesem Lifestyle ist – wie es die Poplinke<br />
bereits vorlebte – einem permanenten<br />
Legitimationszwang unterworfen, der<br />
jetzt aber nicht mehr an als „politisch“<br />
verstandene kulturelle Einverständnisse<br />
gebunden ist, sondern an spektakuläre<br />
Inszenierungen der Simulation eines<br />
gelungenen, (ökonomisch) erfolgreichen<br />
und somit auch kulturell wertvollen Lebens,<br />
das man führt oder vielmehr führen<br />
möchte.<br />
Diese Kritik bleibt oberflächlich und<br />
buchstäblich an den Fassaden hängen:<br />
Gentrifizierung als soziales Verhältnis<br />
wird weder in der ökonomischen noch<br />
LIVING ROOM<br />
<strong>Streifzüge</strong> N° <strong>47</strong> / Dezember 2009