streifzuege_47 Kopie - Streifzüge
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ERICH RIBOLITS, BILDUNG HAT KEINEN WERT 41<br />
weiterung erfahren hatte, ist der Kompetenzbegriff<br />
eher „subjektzentriert“ und<br />
„zeichnet sich vor allem durch das Merkmal<br />
,selbst organisiert‘ aus“ (Höhne 2006:<br />
300). Er fokussiert allgemeine Dispositionen<br />
von Menschen, die zu einer – im Sinne<br />
der historisch-gesellschaftlichen Gegebenheiten<br />
– adäquaten Bewältigung<br />
der lebensweltlichen Anforderungen erforderlich<br />
sind. In entsprechenden bildungspolitischen<br />
Absichtserklärungen<br />
wird immer wieder explizit auf Selbstlern-<br />
und Selbstorganisationsfähigkeit<br />
sowie Selbständigkeit und Selbstverantwortung<br />
Bezug genommen. Besonders<br />
die Fähigkeit zur Selbstorganisation wird<br />
dabei immer wieder als elementar für das<br />
Bestehen in den neuen Arbeits- und Produktionsverhältnissen<br />
hervorgehoben.<br />
Lernen wandelt sich, wie Anna<br />
Tuschling in einem Text zum Lebenslangen<br />
Lernen zusammenfasst, zunehmend<br />
zu einer „Technik der Selbstführung<br />
mit dem Telos eines umfassenden<br />
Wandlungs- und Anpassungsvermögens“.<br />
Da Informationen mit Hilfe der<br />
Schreckstellungen zu Scheuringer<br />
und seinen Kontrahenten<br />
Gewissheit hat ein Ablaufdatum,<br />
Anlaufdatum nicht minder. Gewissheit<br />
hat eine Bandbreite der Belastung<br />
und der Zustimmung, hat etwas<br />
von einem Pass oder ist ein Schlüssel,<br />
der Zugänge und Übergänge erlaubt.<br />
Gewissheit wird erzeugt, grenzt ein<br />
und aus. Wenn Gewissheiten aneinander<br />
geraten, ist dann Feuer am<br />
Dach oder Wasser im Keller?<br />
Gewissheit hat Machart, je nachdem,<br />
woraus sie besteht, wofür sie gebraucht<br />
wird. Von der Gewissheit bis<br />
zur Ungewissheit gibt es eine Skala,<br />
zu der Vermutung, Ahnung, Zweifel<br />
gehören. Mathematisch erscheint sie<br />
als Wahrscheinlichkeit. Sogar da, in<br />
den Gefilden formaler Eineindeutigkeit<br />
gibt es gegensätzliche Ansichten<br />
und Vorgangsweisen betreffend den<br />
Gegensatz zwischen Übergang (Analogie)<br />
und Stufe (Diskretion). Der<br />
Zwang, sich für eine oder eine gegensätzliche<br />
Lösung zu entscheiden,<br />
ist ein eigenes Problem: Wer oder<br />
was erzeugt diesen Zwang, wie äußert<br />
er sich, wie wirkt er auf die gegnerischen<br />
Entscheidungen und deren<br />
2000 Zeichen<br />
Umstände und Bedingungen.<br />
Einige Volksweisheiten geben dazu<br />
Hinweise: „Wenn zwei sich streiten,<br />
freut sich der Dritte“, ist eine solche.<br />
In der auslösenden Kontroverse (vgl.<br />
<strong>Streifzüge</strong> Nr. 43-46) über die Bedeutung<br />
des Rausches wird deutlich, was<br />
alles dabei zu Tage kommt und unter<br />
den Teppich gekehrt oder dort vermutet<br />
wird. Nicht selten sind solche<br />
Differenzen stellvertretend für nicht<br />
Zugegebenes oder nicht Eruierbares.<br />
Genauso oft sind sie immanent, sind<br />
nicht eindeutig lösbar oder sind aneinander<br />
räumlich, zeitlich, öffentlich<br />
oder privat gebunden. Oft genug liegt<br />
die Entscheidungsmöglichkeit auf einer<br />
anderen Ebene, in einem anderen<br />
Bereich usf. Das Trennende und<br />
das Gemeinsame von Streit in unterschiedlichster<br />
Form, Bedeutung und<br />
Wirkung stellt sich als Hintereinander<br />
heraus. „Unkenntnis schützt vor<br />
Strafe nicht“, gilt ja genauso umstritten<br />
wie die Differenzen über Schuld<br />
und Sühne. Zu allen Fällen sind daher<br />
die unterscheidenden und einigenden<br />
Faktoren möglichst präzise zu definieren.<br />
Da ist dann mehr zu gewinnen<br />
als der Streit.<br />
P.P.<br />
abwärts<br />
Technik heute ohnehin jederzeit abrufbar<br />
sind, rückt das Was – der Wissensinhalt<br />
– zugunsten der Prozesshaftigkeit<br />
und des Wie des Wissenserwerbs immer<br />
mehr in den Hintergrund. „Was zählt ist<br />
die Kompetenz, sich in der entgrenzten<br />
„Wissensgesellschaft“ zurechtzufinden,<br />
das heißt Wichtiges von Unwichtigem<br />
unterscheiden, Pfade durch den Informationsdschungel<br />
schlagen und sich fortwährend<br />
auf Neues einstellen zu können.<br />
Übersetzt in die Sprache der Computer:<br />
Auf das Betriebssystem und die Software,<br />
nicht auf das Content-Management<br />
kommt es an. Der Lehrende wird zum<br />
Katalysator (scheinbar Anm. E.R.) autonomer<br />
Lernprozesse, Unterrichten zum<br />
Beraten, Vermitteln und Mentoring“<br />
(Tuschling 2004: 155, 158). Auch der<br />
Lernbegriff selbst erfährt mit der Umdeutung<br />
von Lernen zu einem Prozess<br />
der Selbstmodellierung im Sinne der Prämissen<br />
des Selbstunternehmertums eine<br />
massive Ausweitung. „Er bezieht sich auf<br />
organisiertes wie nichtorganisiertes, institutionelles<br />
wie nichtinstitutionelles, formelles<br />
wie informelles Lernen; er richtet<br />
sich ohne Ausnahme an alle und jeden;<br />
er stellt nicht nur den Anspruch an Einzelne,<br />
ein Leben lang zu lernen, sondern<br />
propagiert die „lernende Gesellschaft“.<br />
(…) An die Stelle ehemaliger Curricula<br />
[tritt] ein fragmentiertes Lernangebot:<br />
modularisierte, atomisierte Einzelkomponenten,<br />
die je nach Bedarf aneinander<br />
angeschlossen oder ausgetauscht werden<br />
sollen. Ihren Zusammenhang stiftet keine<br />
kritische Bildungstheorie, sondern der<br />
jeweils erwünschte pragmatische Effekt“<br />
(Pongratz 2006: 167). Seine Legitimation<br />
bezieht das informelle, selbstgesteuerte<br />
und selbstorganisierte Lernen nicht aus<br />
der allen traditionellen Bildungstheorien<br />
immanenten Vorstellung eines durch die<br />
reflektierte Auseinandersetzung mit den<br />
Tatsachen der Welt zunehmend zu seiner<br />
Reife gelangenden Menschen, sondern<br />
aus der Vorstellung, dass sich die<br />
Zielsetzung menschlicher Existenz darin<br />
erschöpft, unter gegebenen gesellschaftlichen<br />
Bedingungen möglichst erfolgreich<br />
„über die Runden“ zu kommen, indem<br />
man sein Dasein als Unternehmen betrachtet,<br />
dessen Kurswert durch eine mittels<br />
Lernen erreichte geschickte Positionierung<br />
am Marktplatz des Lebens positiv<br />
oder negativ beeinflusst werden kann.<br />
„Die Entfremdung und Ausbeutung<br />
des Menschen findet im 21. Jahrhundert<br />
nicht mehr über autoritäre politische<br />
Strukturen oder politische Ideologien<br />
statt, sondern über eine neue pädagogische<br />
Ideologie, die da heißt: lebenslanges<br />
und selbstorganisiertes Lernen“ (Hufer/<br />
Klemm 2002: 101). Ziel des „neuen Lernens“<br />
ist das Heranbilden des „flexiblen<br />
Menschen“ (Sennett 2006), den seine<br />
nachgiebige, formbare Identität nicht<br />
bloß dazu befähigt, sich ganzheitlich den<br />
wechselnden Anforderungen der informations-<br />
und kommunikationstechnologisch<br />
dominierten Arbeitswelt zu unterwerfen,<br />
sondern der die ihm zugemuteten<br />
Bedingungen der Verwertung gar nicht<br />
erst als Entfremdung wahrnimmt. In diesem<br />
Sinn geht es im sogenannten Bildungswesen<br />
nicht um die intellektuelle<br />
Auseinandersetzung mit den (neuen)<br />
Anforderungen im System der Arbeitskraftverwertung,<br />
sondern um das Herausbilden<br />
der Bereitschaft, mit diesem in<br />
einer „bejahenden Form“ umzugehen, es<br />
geht um das Erwerben gesellschaftsadäquater<br />
„Überlebensstrategien“, um „Cleverness“,<br />
nicht um Widerstand, der den<br />
gesellschaftlichen Zumutungen entgegengesetzt<br />
werden könnte. Selbstverständlich<br />
war es – wie schon ausgeführt<br />
<strong>Streifzüge</strong> N° <strong>47</strong> / Dezember 2009