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streifzuege_47 Kopie - Streifzüge

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38 ERICH RIBOLITS, BILDUNG HAT KEINEN WERT<br />

benen Wissen in weitgehend unterschiedlicher<br />

Form gegenüber: Zum einen handelt<br />

es sich – siehe André Gorz (2001:5)<br />

– um formelles Wissen, worunter alle jene<br />

Kenntnisse und Fähigkeiten zu verstehen<br />

sind, deren Aneignung vorsätzlich<br />

und methodisch erfolgt und die über den<br />

Weg bloßer Erfahrung und Interaktion<br />

nicht oder nur unzureichend erworben<br />

werden können. Die Inhalte des formellen<br />

Wissens sowie die zu seiner Aneignung<br />

erforderlichen Lernprozesse werden<br />

im Wesentlichen durch die jeweiligen<br />

Ausprägungsformen des öffentlich organisierten<br />

Unterrichtswesens bestimmt.<br />

Zum anderen tritt Wissen als informelles<br />

Wissen in Erscheinung. Darunter lassen<br />

sich alle Kenntnisse und Fähigkeiten subsumieren,<br />

die spontan durch Erfahrungen<br />

und den Umgang mit anderen erworben<br />

werden, ohne dass sie je ausdrücklich thematisiert<br />

oder vorsätzlich gelernt werden.<br />

Typische Aspekte dieser Wissensdimension<br />

sind beispielsweise die Sprache inklusive<br />

der sich in unterschiedlichen Kulturen<br />

und sozialen Gruppen durch Gesten, Mimik<br />

und ähnliches artikulierenden Metasprache<br />

oder die adäquate Handhabung<br />

alltäglicher Gebrauchsgegenstände sowie<br />

das Umgehen mit üblichen Problemstellungen.<br />

Informelles Wissen artikuliert<br />

sich großteils in Form von Gewohnheiten<br />

und Fertigkeiten, die dem Einzelnen<br />

weitgehend selbstverständlich erscheinen<br />

und seine problemlose Integration in die<br />

jeweilige soziale Umwelt bewirken. Dieses<br />

präkognitive informelle Wissen stellt<br />

die soziale Basis für die sinnliche, psychische<br />

und intellektuelle Entfaltung einer<br />

Person dar und kann diese begünstigen<br />

oder hemmen.<br />

Formelles Wissen – das Schmiermittel<br />

des Industriekapitalismus<br />

Beim Erwerb formellen Wissens ist auffällig,<br />

dass, seitdem der Schulbesuch<br />

hierzulande im 18. Jahrhundert für alle<br />

heranwachsenden Gesellschaftsmitglieder<br />

verpflichtend geworden ist, Lernvorgänge<br />

in Schulen und Ausbildungen<br />

fast ausschließlich unter strukturellen Bedingungen<br />

arrangiert wurden, die ein<br />

„instrumentelles Umgehen“ mit systematisch<br />

erworbenem Wissen implizieren. Es<br />

handelt sich dabei um eine Form der Wissensaufnahme,<br />

bei der Individuen gewissermaßen<br />

wie „intelligente Maschinen“<br />

fungieren – Medien der Speicherung und<br />

instrumentell-logischen Verknüpfung<br />

von Informationen, gekoppelt mit mechanischen<br />

Verarbeitungseinheiten. Das<br />

Die Spezialisten des Überlebens<br />

Dem Kapital ist es egal, wenn<br />

Wüsten entstehen, die Polkappen<br />

schmelzen, die Ressourcen zu<br />

Ende gehen, den Menschen die Lebensgrundlagen<br />

entzogen werden.<br />

Der Kapitalismus stößt an seine Grenzen,<br />

eine Krise jagt die andere, jede<br />

schlimmer als die zuvor. Zeit für eine<br />

radikale Wende. Wann, wenn nicht<br />

jetzt!<br />

Die Litanei ist endlos und die<br />

Schlachtlämmer geraten in Bewegung,<br />

wollen bewegen und alles neu<br />

gestalten. Auf dass nur nichts geschieht<br />

und alles so bleibt, wie es immer<br />

war.<br />

Zur falschen Zeit am falschen Ort<br />

aus all den falschen Gründen. Die<br />

störenden Symptome beseitigen, um<br />

weiter dem Spektakel des Überlebens<br />

zu frönen.<br />

Dem Spektakel, dem schlechten<br />

Traum der gefesselten Gesellschaft,<br />

der schließlich nur ihren Wunsch zu<br />

schlafen ausdrückt; als solches nicht<br />

länger nur Wächter dieses Schlafes,<br />

sondern Beschützer und Verbündeter.<br />

Garant des Fortbestehens<br />

des sedierten Vor-sich-hin-Dämmerns,<br />

aus dem niemand mehr erwachen<br />

will. Ein Traum, der sogar<br />

von Zeit zu Zeit die Illusion erweckt,<br />

Wissen bleibt ihnen dabei äußerlich, es<br />

nimmt keinen Einfluss auf ihre Persönlichkeit,<br />

sondern bleibt für sie gewissermaßen<br />

etwas Fremdes, das nur als Mittel<br />

zu anderen Zwecken – Arbeitsproduktivität,<br />

Einkommen, Prestige, Zugangsberechtigung<br />

… – dient. Lernprozesse dienen<br />

dem Ziel des Antizipierens der sich<br />

aus dem gesellschaftlichen Status quo ergebenden<br />

Anforderungen. Die Individuen<br />

sind dabei bloß „bewusstlose Träger“<br />

des Wissens und werden von diesem<br />

nicht wirklich „betroffen“; entsprechend<br />

taub sind sie auch gegenüber den sich aus<br />

dem Gewussten ergebenden „Forderungen“<br />

hinsichtlich der Ausrichtung ihres<br />

Lebens. (Das macht es z.B. möglich, über<br />

die ökologische Problematik beruflich<br />

verwendeter Materialien oder die sozialen<br />

Konsequenzen beruflichen Handelns<br />

bzw. der privaten Lebensführung Bescheid<br />

zu wissen und sich dennoch ohne<br />

inneres Dilemma in der allgemein üblichen<br />

„ökologischen und sozialen Gleichgültigkeit“<br />

zu verhalten.) Körperlichsinnliche<br />

Wahrnehmungen, körperlich<br />

bedingte Gefühle, Affekte, Bedürfnisse,<br />

Erwartungen, Ängste, Sehnsüchte usw.<br />

werden nicht in Relation zu den Wissensinhalten<br />

gestellt. Ohne deren Einbeziehung<br />

ist es aber nicht möglich, sinnvolle<br />

Urteile zu fällen, Fakten zu interpretieren,<br />

Entscheidungen zu treffen und aus<br />

Erfahrungen zu lernen. Und ohne ihr<br />

Mitwirken bleibt von menschlicher Intelligenz<br />

lediglich die Fähigkeit zu rechnen,<br />

zu kombinieren, zu analysieren, Informationen<br />

zu speichern, kurz die Maschinen-<br />

Intelligenz (vgl. Gorz 2004: 89).<br />

Wissen in der skizzierten, auf Rationalität<br />

verkürzten Form dient der Verwertbarkeit<br />

und korreliert nicht mit<br />

Intellektualität. Sinnfragen werden ausgeklammert<br />

und „die aus politischer Sicht<br />

wesentlichen Fragen, die sich eine Gesellschaft<br />

stellen muss: Welche Kenntnis-<br />

2000 Zeichen<br />

wach zu sein. Besonders in Krisenzeiten,<br />

erfordern diese doch spektakuläre<br />

Veränderungen zur Aufrechterhaltung<br />

des Schlafes. So ist das Spektakel<br />

als konkrete Verkehrung des Lebens<br />

die autonome Bewegung des Leblosen.<br />

Und „it’s time for a change“ als<br />

die perfekte Waffe des Spektakels,<br />

welches es zu nichts anderem bringen<br />

will als zu sich selbst.<br />

All ihr Spezialisten des Überlebens,<br />

es gilt nicht aufgrund der Not,<br />

der Gefährdung des vertrauten Schlafes,<br />

zu kämpfen, sondern für unsere<br />

Begierden, für die Umkehrung des<br />

Verkehrten. Wir wollen nicht den<br />

Mangel an Leben prolongieren, sondern<br />

die Welt verändern und das Leben<br />

neu erfinden. Dies ist von einer<br />

gewissen hedonistischen Berechnung<br />

nicht zu trennen. Irgendwann ist der<br />

Augenblick da, in dem die Leidenschaft<br />

und das Bewusstsein, dass eine<br />

andere Welt möglich ist, wieder zu<br />

wachsen beginnen. Nicht aufgrund<br />

der Not der Unterdrückten, sondern<br />

aufgrund unseres unwiderstehlichen<br />

Verlangens nach Leben.<br />

Bis dahin schlafwandelt weiter zu<br />

euren bewegenden Veränderungen,<br />

damit das Überleben weitergeht wie<br />

bisher!<br />

Ihr könnt mich mal!<br />

R.T.<br />

abwärts<br />

<strong>Streifzüge</strong> N° <strong>47</strong> / Dezember 2009

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