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streifzuege_47 Kopie - Streifzüge

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14 ROGER BEHRENS, GENTRIFICATION<br />

LIVING ROOM<br />

demografischen Struktur der Stadt analysiert;<br />

eine gesellschaftskritische Klassenanalyse<br />

fehlt ebenso wie eine Kritik der<br />

politischen Ökonomie der Stadt. Stattdessen<br />

konzentriert sich die gegenwärtige<br />

Gentrifizierungskritik auf die Verteidigung<br />

eines linkskulturellen, alternativen<br />

Status Quo, das heißt auf die Verteidigung<br />

vermeintlicher urbaner Freiräume.<br />

Sie sind Gegenstand der Auseinandersetzungen,<br />

weil man in ihnen selber wohnt<br />

oder einen repräsentativen Teil der Lebenszeit<br />

verbringt; es sind mithin genau<br />

deshalb Freiräume, weil man hier präsent<br />

ist und einen bestimmten „alternativen“<br />

Lifestyle etabliert hat. Kraft der Illusion,<br />

dass man sich mit seinem eigenen Lebensstil<br />

stets außerhalb der kapitalistischen<br />

Verwertungslogik glaubte, ergo dass das<br />

durch den eigenen Lebensstil definierte<br />

Viertel von einer nicht aggressiv-kapitalistischen<br />

Ökonomie gekennzeichnet sei<br />

(sondern durch fairen Tausch, Plattenläden<br />

mit den Soundtracks der Freiräume,<br />

günstige Second Hand-Läden, gemütliche<br />

Flohmärkte etc.), hat sich die paradoxe<br />

Ideologie verdichtet, dass einerseits<br />

die Gentrifizierung nur das eigene Viertel<br />

betrifft und nachgerade als persönlicher<br />

Angriff auf die „eigenen Freiräume“<br />

deklariert wird, dass andererseits sich erst<br />

mit der Gentrifizierung eine Ökonomisierung<br />

des Stadtteils vollzieht, die in<br />

anderen, nicht von der Gentrifizierung<br />

betroffenen Stadtteilen schon längst abgeschlossen<br />

scheint.<br />

Aufwertung<br />

„Mit Gentrification wird die bauliche<br />

Aufwertung eines Quartiers mit nachfolgenden<br />

sozialen Veränderungen bezeichnet,<br />

die in der Verdrängung einer<br />

statusniedrigen sozialen Schicht durch<br />

eine höhere resultieren. Zu beobachten<br />

waren solche Prozesse in Deutschland<br />

zum ersten Mal in den späten siebziger<br />

Jahren, als Studenten und Künstler (‚Pioniere‘)<br />

sich in leerstehenden Wohnungen<br />

und Gewerbegebäuden in Quartieren<br />

aus der Zeit der Industrialisierung<br />

einrichteten, durch ihre baulichen, kulturellen<br />

und ökonomischen Aktivitäten<br />

das Milieu und das Image der verfallenden<br />

Nachbarschaft veränderten und so<br />

einen neuen Investitionszyklus auslösten,<br />

an dessen Ende dann das Quartier überwiegend<br />

in den Händen von überdurchschnittlich<br />

gut verdienenden, jungen<br />

Haushalten lag – überwiegend Haushalte<br />

von Alleinstehenden, in hochwertigen<br />

Dienstleistungstätigkeiten beschäftigt.<br />

In den USA wurden sie als young urban<br />

professionals charakterisiert, und die Abkürzung<br />

Yuppies ist auch in Deutschland<br />

zum gängigen Begriff in der Beschreibung<br />

dieses ungeplanten Wandels von<br />

innerstädtischen Altbaugebieten geworden.“<br />

(Hartmut Häußermann, Dieter<br />

Läpple, Walter Siebel, Stadtpolitik, Ffm.<br />

2008, S. 242f.)<br />

Der aus der US-amerikanischen New<br />

Urban Sociology der achtziger Jahre<br />

kommende Begriff „Gentrification“ ist<br />

kritisch gemeint und bedeutet zunächst,<br />

der üblichen stadtsoziologischen Definition<br />

nach, die „Aufwertung innerstädtischer<br />

oder innenstadtnaher Viertel“.<br />

Damit sind die drei wesentlichen<br />

Aspekte der Gentrification angedeutet:<br />

Erstens: Gentrification findet in Großstädten,<br />

Metropolen, urbanen Ballungszonen<br />

statt, nicht in Dörfern oder ländlichen<br />

Regionen; zweitens: Gentrification<br />

betrifft Viertel in der Nähe der Zentren,<br />

nicht Randgebiete, Trabantenstädte etc.;<br />

drittens: Gentrification ist eine ökonomische<br />

Aufwertung, die in einer sichtbaren<br />

und erlebbaren Erhöhung der Lebensqualität<br />

in einem Viertel ihren Ausdruck<br />

findet – und das setzt voraus, dass es<br />

überhaupt signifikant etwas aufzuwerten<br />

gibt (in Hamburg dürften innenstadtnahe<br />

Viertel wie Pöseldorf, Eppendorf oder<br />

Rotherbaum kaum gentrifiziert werden),<br />

dass es aber auch einen Bedarf an<br />

Aufwertung gibt, der eine lebensstilistische<br />

Identifikation mit dem eigenen Alltag,<br />

der über die Parameter „Wohnen“<br />

und „Arbeiten“ hinausgeht, voraussetzt<br />

(die städtischen Bau- und Planungsmaßnahmen<br />

in Hamburger Vierteln wie<br />

Hammerbrock, Hamm, Dulsberg, Stellingen<br />

etc. werden eben nicht als Gentrification<br />

registriert).<br />

Aufwertung ist auch in diesem Kontext<br />

nicht anders denn als ökonomischer<br />

Begriff zu verstehen, mit dem allerdings<br />

angezeigt ist, inwieweit eine abstrakte<br />

kapitalistische Verwertungslogik sich<br />

im Alltagsleben konkretisiert, nämlich<br />

in Hinblick auf die Herausbildung städtischen<br />

Lebens in den letzten zwei Jahrhunderten.<br />

Menschen verorten sich sozial<br />

nicht mehr in ihrer Klasse, sondern<br />

in einem an die urbane Umgebung gekoppelten<br />

Lebensstil. Diese Identifikation<br />

vollzieht sich durch permanente Repräsentation<br />

des Lebensstils, wodurch<br />

sich letztendlich überhaupt erst ein bestimmter<br />

Charakter eines Viertels ergibt.<br />

Dafür brauchen die Menschen vor allem<br />

Zeit, in der sie sich nicht mit vorgegebenen<br />

Angeboten der Reproduktion ihrer<br />

Arbeitskraft beschäftigen (Einkaufen,<br />

Kino, Fernsehen, Sport etc.), sondern<br />

ihre leibliche Anwesenheit in ihrer Wohnumgebung<br />

zur (Selbst-) Beschäftigung<br />

machen – gewissermaßen anfangen, sich<br />

selbst in ihrer urbanen Existenz zu konsumieren.<br />

Sich selbst in dieser Weise auszustellen<br />

und seinen Lebensstil repräsentieren<br />

zu wollen, muss jedoch auch als<br />

Bedürfnis erzeugt werden.<br />

Konsumistisches Selbstverständnis<br />

Erst mit der vollständigen Durchsetzung<br />

der kapitalistischen Warenproduktion in<br />

allen Lebensbereichen, die sich seit den<br />

fünfziger Jahren in der Formierung einer<br />

Popkultur vollzog, in der der Konsum<br />

und ein konsumistisches Selbstverhältnis<br />

zum Lebensmittelpunkt der<br />

Menschen ideologisiert werden, wird<br />

auch das Wohnen – sei’s in den Städten,<br />

sei’s in den Neubausiedlungen oder<br />

nostalgischen Dörfern – neu in seiner<br />

gesellschaftlichen Bedeutung konfiguriert:<br />

Immobilien, Häuser, Eigenheime<br />

werden zu Orten, an denen der<br />

Mensch nicht nur Zeit verbringt, sondern<br />

die dort verbrachte Lebenszeit wird<br />

zum Ausdruck der Persönlichkeit. Dieser<br />

Prozess ging mit einer Veränderung<br />

der Wohnorte selbst einher und aus der<br />

Rückkopplung zwischen dem privaten<br />

Wohnraum und seiner Lage verallgemeinerte<br />

und individualisierte sich zugleich<br />

eine Ideologie der Lebensweise, bei der<br />

die Gestaltung des architektonischen<br />

Raumes mit Lebensqualität verbunden<br />

wurde. Vorbilder gab es dafür nicht nur<br />

etwa in den handwerklich-vorkapitalistischen<br />

Lebensweisen (eine Linie, die<br />

sich von der mittelalterlichen Stadt über<br />

Fourier, Morris u.a. bis Le Corbusier<br />

nachzeichnen lässt) oder in der lebensreformerischen<br />

und sozialistisch inspirierten<br />

Gartenstadtbewegung um Neunzehnhundert,<br />

sondern auch – und das ist<br />

ein Bild, das bis heute propagiert wird<br />

– in den inszenierten Wohnformen des<br />

prosperierenden Adels, der mit den allgemeinen<br />

positiven Vorstellungen vom<br />

Großbürgertum konvergiert: Das Häuschen<br />

im Grünen, eine barocke Möblierung<br />

der guten Stube, überhaupt die<br />

Idee des Wohnzimmers (statt Diele), die<br />

Ausstaffierung der Wohnung mit Tinnef<br />

und Kitsch, schließlich eine bizarre<br />

Idee von „Design“ gehören dazu. Bis in<br />

die siebziger Jahre äußerte sich dies, finanziert<br />

durch Bausparverträge und mit<br />

staatlichen Subventionen unterstützt, in<br />

einer Stadtflucht, in deren Zuge riesige<br />

<strong>Streifzüge</strong> N° <strong>47</strong> / Dezember 2009

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