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martin grubinger - Tonhalle-Orchester Zürich

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Samuel Alcántara (links) und Michel Willi unterrichten Kinder in Kuba.<br />

gerecht zu werden. Doch die Zeit, so realisierten die beiden<br />

Musiker schnell, reichte nirgendwo hin.<br />

Am eindrücklichsten war für Michel Willi die Leidenschaft und<br />

Freude der Kinder. Obwohl ihnen vorgeschrieben wurde, welches<br />

Instrument sie zu spielen hatten, waren sie ganz bei der<br />

Sache, nahmen jede Anregung auf und versuchten sie sofort<br />

umzusetzen, erzählt er im Gespräch. Das technische Niveau<br />

war beeindruckend hoch, doch wussten die Kinder kaum etwas<br />

über die Interpretation von europäischer klassischer Musik.<br />

Denn die Wende in Osteuropa hat auch in Kuba – trotz der<br />

reichen musikalischen Tradition des Landes – Spuren hinterlassen:<br />

In den 90er-Jahren verliessen die meisten namhaften<br />

osteuropäischen Professoren die karibische Insel, und mit ihnen<br />

war bald auch ihr Wissen weg.<br />

Zwei spielbare Kontrabässe<br />

Michel Willi erzählt, wie ihm einer der Schüler auswendig ein<br />

Stück auf der Bratsche vorspielte. Weder der Junge noch er kannten<br />

den Komponisten. Eine passende Interpretation zu finden,<br />

war daher schwierig. Aber da Willi handeln musste, tippte er auf<br />

einen Zeitgenossen von Schostakowitsch, und die beiden arbeiteten<br />

entsprechend: zupackend und energisch. Am nächsten Tag<br />

brachte der Junge die Noten mit, die Kopie einer Kopie einer Kopie,<br />

das Titelblatt in kyrillischer Schrift. Der Zürcher Bratschist<br />

konnte entziffern, dass das Stück von Johann Christian Bach<br />

stammte, also ungefähr 200 Jahre älter war, als er gedacht hatte.<br />

Es hätte eine ganz andere Interpretation verlangt – tänzerisch,<br />

leichtfüssig. Doch Michel Willi konnte mit dem Schüler nicht<br />

mehr lange arbeiten, denn 29 andere Kinder warteten. Nun muss<br />

er damit leben, dass in Kuba die Musik eines Bach-Sohns auch<br />

einmal sehr nach 20. Jahrhundert klingen kann ...<br />

Etwas anders lagen die Probleme bei Samuel Alcántara. Er hatte<br />

zwar mehr Zeit für die einzelnen Schülerinnen, aber diese<br />

konnten das Gelernte nur bedingt üben, denn an der ganzen<br />

Schule gab es genau zwei spielbare Kontrabässe. Niemand besass<br />

ein eigenes Instrument, kostet doch ein Kontrabass das<br />

20-fache eines durchschnittlichen Monatslohns. Es mangelte<br />

zudem an Stühlen, Notenpulten, Noten – an fast allem. Glücklicherweise<br />

hatten die beiden Musiker vor ihrer Abreise im <strong>Tonhalle</strong>-<strong>Orchester</strong><br />

Zürich gesammelt und einiges an Saiten,<br />

Mundstücken oder an Stegen für Streichinstrumente mitgebracht.<br />

Und ein kubanischer Freund richtete während ihres<br />

Aufenthalts in einem Schulzimmer eine mobile Werkstatt ein<br />

und flickte Instrument um Instrument, so gut und schnell es<br />

eben ging.<br />

«Ich würde sofort wieder hinfahren»<br />

Michel Willi und Samuel Alcántara haben ihren Einsatz unentgeltlich<br />

geleistet. Die Hingabe der Kinder und Jugendlichen und<br />

ihr hellwaches Interesse am Wissen und Können der beiden<br />

Musiker des <strong>Tonhalle</strong>-<strong>Orchester</strong>s Zürich war ihnen mehr als<br />

genug. «Es war eine grossartige Erfahrung», sagt Michel Willi.<br />

«All diese leuchtenden, konzentrierten Gesichter beim Abschlusskonzert<br />

werde ich nie vergessen. Es macht einen wirklich glücklich,<br />

etwas an junge Menschen weitergeben zu können, die es<br />

mit so viel Begeisterung und Dankbarkeit aufnehmen. Ich würde<br />

sofort wieder hinfahren!»<br />

Barbara Geiser<br />

<strong>Tonhalle</strong>-<strong>Orchester</strong> Zürich Magazin August/September 2013 27

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