Paar- und Familienstruktur bei Klinikaufnahme
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400 Stephan Stolz<br />
einer erworbenen Hirnschädigung für die Familie finden sich <strong>bei</strong> Lezak (1988) <strong>und</strong><br />
Brooks (1991) mit den richtungsweisenden Titeln ,,Brain damage is a family affair“<br />
bzw. ,,The head-injured family“.<br />
Die Hirnschädigung eines Familienmitgliedes mit den daraus resultierenden Funktionsstörungen,<br />
Beeinträchtigungen <strong>und</strong> Handicaps verändert in vielen Fällen sowohl<br />
die Binnenstruktur als auch die Interaktionsmuster einer Familie:<br />
Strukturelle Veränderungen ergeben sich häufig aus dem Positionsverlust des Betroffenen<br />
innerhalb der Familie, da sich aufgr<strong>und</strong> notwendiger Umgestaltungen die<br />
Rollenstruktur nachhaltig geändert hat. Ist der Betroffene <strong>bei</strong>spielsweise Haupternährer<br />
einer Familie gewesen, so resultieren aus eingeschränkter Berufsfähigkeit<br />
oder gar Erwerbsunfähigkeit drastisch verringerte finanzielle Ressourcen. Unter<br />
Umständen müssen die Zuständigkeiten für Einkommen <strong>und</strong> Betreuung von Kindern<br />
<strong>und</strong> Haushalt verändert werden. Auch die eingeschränkten sozialen Möglichkeiten<br />
des Patienten bedingen eine erhöhte emotionale Belastung innerhalb der Familie.<br />
Die Familie ist herausgefordert, eine neue Zielorientierung <strong>und</strong> Regelstruktur<br />
zu finden. Die familiäre Organisation wird durch die vermehrten Anforderungen an<br />
Zeit <strong>und</strong> Energie für die rehabilitativen Maßnahmen zusätzlich zu den krankheitsbedingten<br />
Anforderungen schwer belastet. Für einen langfristigen Rehabilitationserfolg<br />
ist es jedoch ausschlaggebend, daß die rehabilitativen Maßnahmen in der<br />
Familie positiv mitgetragen werden. Fehlverar<strong>bei</strong>tungen münden häufig in Abhängigkeit<br />
<strong>und</strong> regressiver Verhaltenstendenzen des Patienten, <strong>und</strong> die Familie trägt ein<br />
erhöhtes Risiko auseinanderzubrechen.<br />
Die Veränderung der familiären Interaktionsmuster <strong>bei</strong> Konfrontation mit chronischer<br />
Krankheit läßt sich vor allem in den Bereichen Zusammenhalt, Entwicklungsfähigkeit<br />
<strong>und</strong> Kommunikation beschreiben (Wirsching, 1987). Der familiäre<br />
Zusammenhalt verstärkt sich durch vermehrte gegenseitige Unterstützung. Die interindividuellen<br />
Grenzen nehmen ab, die außerfamiliären Grenzen jedoch zu. Eine<br />
zunehmende ,,Verfilzung“ (Verstrickung, Überfürsorglichkeit, Mangel an Konfliktlösung)<br />
ist oft zu beobachten. Die Entwicklungsfähigkeit ist gekennzeichnet durch<br />
den Versuch, das familiäre Gleichgewicht auf prämorbidem Niveau zu erhalten. Die<br />
Kommunikation innerhalb der Familie kann durch die Unterdrückung von Konflikten<br />
<strong>und</strong> belastenden Gefühlen im Sinne einer harmonisierenden Konfliktvermeidung<br />
geprägt sein. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, daß diese Verhaltensweisen<br />
im Akutstadium des Krankheitsereignisses als ein erster Schritt der Anpassung<br />
zu begreifen <strong>und</strong> als Leistungen zu würdigen sind, die Belastungen zu<br />
bewältigen. Eine wesentliche Bedeutung kommt jedoch der weiteren Entwicklung<br />
des Familiensystems im Verlauf der Anpassung an die Realität der veränderten Leistungsfähigkeit<br />
<strong>und</strong>/oder veränderten Persönlichkeit des Patienten zu. Da<strong>bei</strong> scheint<br />
es wichtig, daß die Familie in der Lage ist, sich auf einem langfristig funktionalen<br />
Niveau einzupendeln, um mit den Herausforderungen zurechtzukommen.<br />
Da aufgr<strong>und</strong> der Verweildauer der Patienten <strong>und</strong> der Bedingungen in den in der Regel<br />
dezentral liegenden stationären Rehabilitationseinrichtungen häufig die Möglich-