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Paar- und Familienstruktur bei Klinikaufnahme

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402 Stephan Stolz<br />

unterschiedlichen Systemebenen <strong>und</strong> deren Veränderung über die Zeit. Eine Aussage<br />

darüber erlaubt eine detaillierte Familiensystemanalyse. Die folgenden Überlegungen<br />

fußen auf einem familienpsychologischen Modell, das auf Markman, Floyd,<br />

Stanley <strong>und</strong> Lewis (1986) zurückgeht (zitiert nach Schneewind, 1991) <strong>und</strong> für den<br />

Kontext ,,erworbene Hirnschädigung“ modifiziert wurde (Abb. 1).<br />

Markman et al. (1986) gehen in ihrem Modell von einem familienstreß- <strong>und</strong> familienbewältigungstheoretischen<br />

Ansatz aus, den sie mit verschiedenen Phasen <strong>und</strong><br />

Übergängen im Familienlebenszyklus verbinden:<br />

Vertikale Stressoren <strong>und</strong> Ressourcen beschreiben, wie verletzlich ein Familiensystem<br />

<strong>bei</strong> Konfrontation mit dem horizontalen Stressor ,,erworbene Hirnschädigung“<br />

ist. Vertikale Stressoren <strong>und</strong> Ressourcen stammen aus der Entwicklungsgeschichte<br />

einer Familie <strong>und</strong> können auf folgenden unterschiedlichen Systemebenen beschrieben<br />

werden: Persönlichkeitssystem (z. B. Ausmaß an psychischer <strong>und</strong> physischer<br />

Ges<strong>und</strong>heit, an sozialer Kompetenz, an Selbstwertgefühl, Ausmaß der bisherigen<br />

Krisenbewältigung etc.), <strong>Paar</strong>- <strong>und</strong> Familiensystem (z.B. Ausmaß an Kommunikations-,<br />

Problemlösefertigkeit, Ausmaß an Kohäsion <strong>und</strong> Anpassungsfähigkeit, Ausmaß<br />

der bisherigen Krisenbewältigung etc.), Mehrgenerationensystem (z.B. Qualität<br />

der Beziehungen zu den Herkunftsfamilien, Wirkungen von Familienmythen<br />

etc.) <strong>und</strong> extrafamiliäre soziale Systeme (z. B. Ausprägung der ökonomischen Bedingungen<br />

von Familien, des Sozialsystems, des sozialen Netzwerks etc.).<br />

Bei erworbener Hirnschädigung handelt es sich für die Familie um einen sogenannten<br />

horizontalen Stressor. Ein horizontaler Stressor ist gekennzeichnet durch ein<br />

unvorhergesehenes Auftreten im Verlauf des Familienlebenszyklus, das den Betroffenen<br />

<strong>und</strong> seine Familie völlig aus dem gewohnten Lebenskontext reißt. Das Ausmaß<br />

an Streß, das durch die erworbene Hirnschädigung auf die Familie einwirkt,<br />

wird zunächst in der Akutphase durch diese allein bestimmt. Im weiteren Rehabilitationsprozeß<br />

hingegen spielt das Vorhandensein von vertikalen Stressoren <strong>und</strong><br />

Ressourcen <strong>und</strong> deren Balance zum Zeitpunkt des Ereigniseintritts <strong>und</strong> deren Veränderung<br />

über die Zeit die wesentliche Rolle für die langfristige Adaptationsfähigkeit<br />

einer Familie. Somit wird verständlich, daß die Konfrontation mit dem horizontalen<br />

Stressor ,,erworbene Hirnschädigung“ <strong>bei</strong> aller Tragik letzenendes nicht<br />

die Verletzlichkeit der Familie allein bestimmt. Überwiegen vertikale Stressoren auf<br />

den unterschiedlichen Systemebenen, so ist eine Fehlverar<strong>bei</strong>tung eher die Folge.<br />

Überwiegen hingegen vertikale Ressourcen, so besteht eine günstige Prognose für<br />

eine erfolgreiche Anpassung der Familie an die erworbene Hirnschädigung des betroffenen<br />

Familienmitgliedes. Eine familienorientierte neuropsychologische Rehabilitation,<br />

welche in konsequenter Weise den familiären Lebenskontext des Patienten<br />

integriert, erfaßt demnach die prämorbide <strong>und</strong> die durch die erworbene Hirnschädigung<br />

des betroffenen Familienmitgliedes veränderte Familienkonstellation<br />

durch eine Familiensystemanalyse. Die gemäß dem oben dargestellten Modell bereits<br />

prämorbid wirksamen Stressoren <strong>und</strong> Ressourcen müssen genau erfaßt <strong>und</strong><br />

bewertet werden, da diese unabhängig von den individiuumszentrierten rehabilitativen<br />

Maßnahmen den weiteren Rehabilitationsverlauf nachhaltig beeinflussen.

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