Das grüne Gewissen - Travel ONE
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travel. one<br />
das Magazin für Reiseprofis<br />
A u s g a b e z w ö l f 1 8 . J u n i 2 0 1 0<br />
ÖKOLOGISCH!<br />
Erfolgsrezept, Marketingmittel oder Feigenblatt<br />
– die Touristik und das Thema Nachhaltigkeit Seite 10<br />
Interview<br />
ANVR-Chef Frank Oostdam<br />
Was der niederländische<br />
Reiseverbandsdirektor von der<br />
Luftverkehrsabgabe hält. Seite 8
titelthema.nachhaltigkeit<br />
Unternehmen sind immer mehr gefordert, ökologisch und sozial zu<br />
wirtschaften. Auch in der Touristik ist Nachhaltigkeit gefragt.<br />
<strong>Das</strong> grüne <strong>Gewissen</strong><br />
■ Im Schaufenster stehen handbemalte<br />
Kerzen aus Südafrika. Im Regal daneben<br />
liegen westafrikanische Tischdecken und<br />
Taschen aus thailändischen Tsunami-<br />
Projekten. »Die Kunden fragen meist, wer<br />
die Dinge produziert hat und aus welchem<br />
Material sie hergestellt wurden«,<br />
sagt Carla Schäfer, während sie von ihrem<br />
Schreibtisch aus in den vorderen Teil des<br />
Ladens blickt. »Kaum jemand will jedoch<br />
wissen, ob ein Hotel ökologisch oder sozial<br />
arbeitet.«<br />
Carla Schäfer betreibt in Darmstadt<br />
ein Reisebüro. Doch wirbt sie in ihrer<br />
Agentur nicht nur für den Urlaub. Die<br />
Chefin von T.O.M.S. Flugreisen verkauft<br />
gleichzeitig auch Kunsthandwerk aus Kooperativen<br />
der sogenannten Dritten Welt.<br />
Nachhaltigkeit – für sie ist das schon lange<br />
ein Thema. Aber: Die ökologischen<br />
und sozialen Fragen haben den Weg von<br />
der Auslage bisher nur selten nach hinten<br />
an den Counter geschafft. Die Darmstädterin<br />
ist sich trotzdem sicher: »<strong>Das</strong> Denken<br />
verändert sich. Auch bei Reisen werden<br />
künftig nicht nur Spaß und Strand<br />
im Vordergrund stehen.«<br />
Neue Wahrnehmung. <strong>Das</strong>s Urlauber<br />
in Zukunft auch Wert auf Nachhaltigkeit<br />
legen – diese Meinung setzt sich in der<br />
Touristik allmählich durch. Längst denken<br />
nicht nur kleine Veranstalter mit grüner<br />
Geschichte über ihr Wirken nach. Auch<br />
die Großen der Branche sowie Fluggesellschaften,<br />
Reedereien und Destinationen<br />
beschäftigen sich häufiger mit den Konsequenzen<br />
ihres Tuns. Doch was ist Nachhaltigkeit<br />
überhaupt? Welche Rolle spielt sie<br />
heute und in den nächsten Jahren in der<br />
Touristik? Was treibt Unternehmen und<br />
Länder an? <strong>Travel</strong> One will darauf eine<br />
Antwort geben. Wir widmen uns in nächster<br />
Zeit ausführlich diesen Fragen und<br />
schreiben zum ersten Mal einen Nachhaltigkeitspreis<br />
aus (Seite 12).<br />
Die Zukunft im Fokus. Nachhaltigkeit<br />
bedeutet vor allem eines: Nicht auf<br />
Kosten der Natur und anderer zu wirtschaften.<br />
»Wir müssen unseren Kindern<br />
und Enkelkindern ein intaktes ökologisches,<br />
soziales und ökonomisches Gefüge<br />
<strong>Travel</strong> One schreibt erstmals<br />
einen Nachhaltigkeitspreis<br />
für die Touristik aus<br />
hinterlassen«, fordert der Nachhaltigkeitsrat,<br />
der 2001 von der deutschen Bundesregierung<br />
berufen wurde und das<br />
Thema in Gesellschaft und Wirtschaft<br />
weiter vorantreiben soll.<br />
Der Appell richtet sich natürlich ebenfalls<br />
an die Touristik. »Auch sie muss<br />
etwas tun«, unterstreicht Dr. Edgar Kreilkamp,<br />
der sich als Professor für Tourismusmanagement<br />
an der Leuphana Universität<br />
Lüneburg intensiv mit der<br />
Problematik auseinandersetzt. Sein Argument:<br />
»Die Reisebranche lebt von Natur<br />
und Landschaft. Ihr sollte daran gelegen<br />
sein, dass sie erhalten bleiben.«<br />
Nur eine Minderheit der Veranstalter<br />
allerdings hat sich Nachhaltigkeit bislang<br />
auf die Fahnen geschrieben. Am konsequentesten<br />
agieren die Unternehmen, die<br />
sich dem Forum anders Reisen, einem<br />
Verband für umwelt- und sozialverträglichen<br />
Tourismus, angeschlossen haben.<br />
Bei den rund 150 Mitgliedern handelt es<br />
sich durchweg um kleine Anbieter. Sie<br />
versuchen, so betonen sie, die Ressourcen<br />
sorgsam und gezielt zu nutzen und fremden<br />
Kulturen mit Respekt zu begegnen –<br />
und genießen auch den Ruf, diesen Anspruch<br />
zu erfüllen. »Für große<br />
Veranstalter dagegen besteht die Gefahr,<br />
dass diese nicht das Image haben, nachhaltig<br />
zu sein«, meint Kreilkamp.<br />
Wo aber beginnt Nachhaltigkeit? Bereits<br />
mit dem Austausch von Glühbirnen gegen<br />
Energiesparlampen? »Dies ist der erste<br />
Schritt einer längeren Reise«, meint Dr.<br />
Wibke Reger, Geschäftsführerin des Studienkreises<br />
für Tourismus und Entwicklung,<br />
und betont: »<strong>Das</strong> reicht aber natürlich<br />
nicht aus.« Die Anbieter – und<br />
gleichzeitig die Kunden – müssten sich<br />
Gedanken über die Verkehrsmittel zur<br />
Anreise und das Verhalten am Urlaubsort<br />
machen. »<strong>Das</strong> setzt die Bereitschaft bei<br />
allen Beteiligten voraus, nicht ausschließlich<br />
nach wirtschaftlichen Kriterien zu<br />
entscheiden, also letztlich nicht nur nach<br />
dem Preis der Reise.«<br />
Einige touristische Unternehmen –<br />
darunter befinden sich zum Beispiel TUI,<br />
Studiosus, Lufthansa und Aida Cruises –<br />
dokumentieren ihr Handeln in Nachhal-<br />
10 travel.one 18.6.2010
Foto: shutterstock<br />
18.6.2010 travel.one 11
titelthema.nachhaltigkeit<br />
tigkeitsberichten. Sie halten dabei genauso<br />
den Papierverbrauch im Büro fest wie<br />
das Engagement im Reiseland. TUI etwa<br />
beschreibt auf 98 Seiten, was der Konzern<br />
im Geschäftsjahr 2009 in Bezug auf Umwelt<br />
und Gesellschaft getan hat. Auch der<br />
Umgang mit den Mitarbeitern und die<br />
Produktentwicklung werden behandelt.<br />
Studiosus legte sogar eine Broschüre von<br />
118 Seiten vor. »Ein Unternehmen muss<br />
darüber Auskunft geben, wie es seiner gesellschaftlichen<br />
Verantwortung gerecht<br />
wird«, erklärt Studiosus-Chef Peter-Mario<br />
Kubsch, »das erwarten Kunden und<br />
Öffentlichkeit zu Recht.«<br />
Ehrlichkeit unabdingbar. Was<br />
aber ist lediglich geschicktes Marketing?<br />
Und wie ernst meinen es die Unternehmen<br />
wirklich? »Alle, die sich Nachhaltigkeit nur<br />
aufs Fähnchen schreiben, müssen sich irgendwann<br />
daran messen lassen und Farbe<br />
bekennen«, sagt Studienkreis-Geschäftsführerin<br />
Reger. Nur so zu tun als ob, funktioniere<br />
auf Dauer nicht. »Wer es nicht<br />
ehrlich meint, fällt schnell auf«, meint auch<br />
Professor Kreilkamp.<br />
Wibke Reger:<br />
»Tourismus muss ökologisch<br />
verträglich und<br />
sozial gerecht sein«<br />
Edgar Kreilkamp:,<br />
»Nachhaltigkeit ist ein<br />
gesellschaftliches<br />
Anliegen«<br />
Nachhaltigkeit zählt bei immer mehr Kunden<br />
auch als Qualitätskriterium. Marktforscher<br />
glauben, dass diejenigen, die gesund<br />
und nachhaltig leben, auch im Urlaub davon<br />
keinen Abstand nehmen wollen. »Diese<br />
meist hoch gebildeten, gut informierten<br />
und oft gut verdienenden Menschen machen<br />
in den westlichen Ländern bis zu einem<br />
Drittel der Bevölkerung aus«, weiß<br />
Reger und spricht von einem größer werdenen<br />
Personenkreis.<br />
An den Fachhochschulen und Universitäten<br />
wächst derweil eine Generation<br />
Touristiker heran, die sich mit Nachhaltigkeit<br />
bereits während des Studiums befassen.<br />
Seminare zu dem Thema stehen inzwischen<br />
fast überall im Lehrplan. Und im<br />
brandenburgischen Eberswalde gibt es sogar<br />
den Master-Studiengang »Nachhaltiges<br />
Tourismusmanagement«. Seit 2004 bildet<br />
die dortige Hochschule für Nachhaltige<br />
Entwicklung jährlich 46 Frauen und Männer<br />
aus. Die Studenten beschäftigen sich<br />
mit den ökologischen, ökonomischen und<br />
sozialen Auswirkungen von Tourismus. Sie<br />
diskutieren auch über nachhaltiges Marketing<br />
und die Gründe für hohe Personalfluktuation.<br />
Dabei sollen sie lernen, so Professor<br />
Dr. Holger Lütters, dass der heutige<br />
Massentourismus kein Modell für die Zukunft<br />
ist: »Es kann schließlich nicht so weitergehen<br />
wie bisher.« Petra Hirschel<br />
Der Nachhaltigskeitspreis<br />
■ <strong>Travel</strong> One schreibt dieses Jahr zum ersten<br />
Mal einen Nachhaltigkeitspreis aus. Wir prämieren<br />
ein aktuelles Projekt, das sich um die Verbesserung<br />
der ökologischen und sozialen Bilanz der<br />
Tourismuswirtschaft verdient macht.<br />
■ Bewerben können sich Destinationen sowie<br />
alle touristischen Unternehmen. <strong>Das</strong> heißt: Neben<br />
den Ländern Reisebüros, Reiseveranstalter, Fluggesellschaften,<br />
Bahnunternehmen, Kreuzfahrtund<br />
Fährreedereien, Mietwagenfirmen, Hotels<br />
und Zielgebietsorganisationen.<br />
■ Jeder Bewerber reicht ein konkretes, aktuelles<br />
Projekt ein, dessen Spektrum von sozialem und<br />
ökologischem Engagement in den Zielgebieten<br />
bis hin zu ressourcen- und klimaschonenden Maßnahmen<br />
am Arbeitsplatz reichen kann.<br />
■ Einsendeschluss ist am 22. Juli 2010. Schicken<br />
Sie Ihre Bewerbung an: <strong>Travel</strong> One, Redaktion,<br />
Stephanstraße 3, 64295 Darmstadt. Oder per<br />
E-Mail an k.hohfeld@travel-one.net.<br />
■ Die Beurteilung überlassen wir einer Jury, die<br />
sich aus neutralen sach- und fachkundigen Persönlichkeiten<br />
zusammensetzt. In der Jury wirken<br />
unter anderen mit: Prof. Karl Born (Hochschule<br />
Harz), Prof. Dr. Edgar Kreilkamp (Leuphana Universität<br />
Lüneburg), Hans-Gustav Koch (DRV),<br />
Prof. Dr. Adrian von Dörnberg (Fachhochschule<br />
Worms), Prof. Dr. Harald Pechlaner (Katholische<br />
Universität Eichstätt-Ingolstadt).<br />
■ Die Preisverleihung findet am 2. September<br />
im Rahmen der Verleihung des <strong>Travel</strong> One Kompass<br />
in Frankfurt statt.<br />
12 travel.one 18.6.2010
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