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EVANGELISCHES BERATUNGSZENTRUM - EBZ München

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20<br />

2.1 Es kommen härtere Tage – Demenz, die Herausforderung unserer Zeit<br />

Während sich die Europäer des 19. Jahrhunderts noch mit<br />

Cholera und Kindbettfieber herumplagten, heißen heute<br />

die Geißeln der Menschheit Aids und Krebs. Es scheint also<br />

zu stimmen, dass jede Zeit ihre eigenen Krankheiten hat.<br />

Dabei nehmen allerdings viele Leute Störungen des Gemüts<br />

oder des Gedächtnisses weniger ernst oder verschleiern<br />

sie: Depressionen und nicht zuletzt Demenz sind keine<br />

beliebten Gesprächsthemen. Auch wenn wir in einer<br />

Informationsgesellschaft leben, in der wir alles in Sekunden<br />

googeln können, ist über diese Krankheit des Vergessens<br />

zu wenig in der Öffentlichkeit bekannt. Hinzu kommt eine<br />

gewisse Scham bei den Angehörigen: Sie geben nur ungern<br />

zu erkennen, dass ein Familienmitglied verwirrt ist. In der<br />

Anonymität eines Anrufs mag es einem Patienten oder<br />

einer Ehefrau oder einem Sohn leichter fallen, den Schreck<br />

über erste Erinnerungslücken oder die Verzweiflung über<br />

den Sprachverlust zu zeigen. Dieses hat die Evangelische<br />

TelefonSeelsorge München dazu bewogen, ihr Spektrum zu<br />

erweitern. Die Evangelische TelefonSeelsorge München hat<br />

ihre 120 ehrenamtlichen Fachkräfte für das Problem Demenz<br />

sensibilisiert und qualifiziert, so dass Ansprechpartner nun<br />

auch zu diesem Tabuthema zur Verfügung stehen.<br />

Angst<br />

In meiner früheren Arbeit als Gemeindepfarrer vertraute<br />

eine ältere Frau mir ihre Sorgen angesichts der Demenz ihres<br />

Ehegatten an: Ich wurde daher Zeuge des langsamen Verfalls<br />

des einst so vitalen Mannes. Und ich begegnete immer wieder<br />

der Erschöpfung dieser tapferen Frau. Schon der Gedanke an<br />

Demenz weckt Ängste. Nur selten können die Menschen mit<br />

einsetzender Alzheimer-Krankheit und die Angehörigen mit<br />

jemandem reden.<br />

Krankheit<br />

Nach Schätzungen leiden drei Millionen Bundesbürger<br />

an irgendeiner Form von Hirnleistungsschwäche, für die<br />

meistens Morbus Alzheimer verantwortlich ist. Unter<br />

Demenz versteht man in der Regel ein klinisches Syndrom,<br />

das vorwiegend durch Störungen des Gedächtnisses,<br />

der Raumwahrnehmung, der Sprachfunktionen und der<br />

Verstandesleistungen gekennzeichnet ist. Dieser Verlust<br />

bereits erworbener Denkfähigkeiten ist nicht angeboren,<br />

sondern erfolgt im Laufe des Lebens. Vor allem die nach<br />

dem Psychiater und Neuropathologen Alois Alzheimer (1864<br />

– 1915) benannte Krankheit kann solche Schädigungen<br />

verursachen. Ihr liegt ein fortschreitender Nervenzellverlust<br />

zugrunde, der vorwiegend die für das kognitive<br />

Leistungsvermögen verantwortlichen Hirnregionen betrifft<br />

und mit Verklumpungen innerhalb des Zwischengewebes<br />

einhergeht. Aus neuropathologischen Untersuchungen<br />

ist bekannt, dass Demenz-typische Veränderungen im<br />

Gehirngewebe bereits bei jungen Erwachsenen auftreten.<br />

Deutlich zeigt sich Demenz jedoch erst, wenn ein großer<br />

Teil der Gehirnzellen zerstört ist, was mit zunehmendem<br />

Alter geschehen kann. Im Vorfeld lassen sich die psychischen<br />

Störungen kaum von denen einer Depression unterscheiden,<br />

zum Beispiel Reizbarkeit, Verstimmungen sowie der Verlust<br />

von Interessen und Eigeninitiative. Bei der Alzheimer-<br />

Krankheit ist die Ursache noch nicht ausreichend bekannt.<br />

Seit einigen Jahren stehen Medikamente gegen Demenz<br />

zur Verfügung, auf die manche Patienten allerdings nicht<br />

ansprechen. Gedächtnistraining hilft im Anfangsstadium der<br />

Erkrankung. Leider gibt es bislang kein Therapieverfahren,<br />

das unmittelbar an der Wurzel der Erkrankung angreift.<br />

Alltagsprobleme<br />

Engelsgeduld ermöglicht den Zugang zu Dementen. Ungeduld<br />

ist hingegen gefährlich: Wenn etwa an Alzheimer erkrankte<br />

Menschen ungeduldigen Angehörigen begegnen, verzweifeln<br />

sie an dem Eindruck, etwas falsch gemacht zu haben, aber die<br />

Ursache nicht zu kennen. Anhaltende Traurigkeit folgt daraus,<br />

denn die schlechten Gefühle bleiben erhalten, selbst wenn der<br />

Anlass nach wenigen Minuten vergessen ist. Schließlich sind<br />

die direkt Betroffenen aufgrund ihrer Gedächtnisstörungen<br />

nur bedingt lernfähig. Familienmitgliedern muss klar sein,<br />

dass sie nichts mit ihrem dementen Ehemann oder Vater<br />

zuverlässig vereinbaren können. Fast immer übernehmen<br />

Angehörige die Pflege und vernachlässigen dabei eigene<br />

Sozialkontakte. In der Verdrossenheit über die Isolierung<br />

mutmaßen sie mangelnden guten Willen bei ihrem Patienten,<br />

wenn er sich vermeintlich unsinnig oder manchmal sogar<br />

verletzend verhält. Schließlich fürchten sie sich davor,<br />

irgendwann ähnlich zu erkranken. Die Unzufriedenheit kann<br />

Depressionen oder psychosomatische Beschwerden auslösen.<br />

Die Angehörigen und – sofern möglich – die Erkrankten<br />

können sich Unterstützung suchen, zum Beispiel bei einem<br />

Psychiater, bei einer Demenzberatungsstelle oder eben bei<br />

der TelefonSeelsorge.<br />

Auf Abruf gestundete Zeit<br />

„Es kommen härtere Tage. Die auf Abruf gestundete Zeit<br />

wird sichtbar am Horizont.“ In diesen Verszeilen Ingeborg

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