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EVANGELISCHES BERATUNGSZENTRUM - EBZ München

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Pressespiegel<br />

6 Sonntagsblatt TITELTHEMA<br />

42<br />

Nr. 11 • 14. März 2010<br />

DIE POSITIONEN DER KIRCHEN<br />

Arbeit im ethischen Dilemma<br />

Die römisch-katholische Kirche hat sich<br />

1999 aus der Konfliktberatung zurückgezogen,<br />

die mit dem Ausstellen eines Beratungsscheins<br />

endet. Dem kirchlichen Lehramt<br />

erschien diese Art der Mitwirkung an<br />

diesem Vorgang, der als »verabscheuenswürdiges<br />

Verbrechen« galt und gilt, nicht<br />

mehr hinnehmbar. Nach dem Ausstieg der<br />

katholischen Bischöfe aus dem gesetzlichen<br />

Beratungssystem wurden von Laien<br />

donum vitae und andere Vereine gegründet,<br />

um das katholische Element in der Konfliktberatung<br />

zu erhalten. Das entsprang<br />

der Überzeugung, dass eine ergebnisoffene,<br />

aber zielgerichtete Beratung die beste<br />

Möglichkeit sei, um ungeborenes Leben zu<br />

schützen.<br />

Die Stellung der evangelischen Kirche<br />

zum Schwangerschaftsabbruch ist vielfältiger:<br />

Luther und Calvin lehnen den Schwangerschaftsabbruch<br />

ab. Erst zu Beginn des<br />

20. Jahrhunderts entwickelt die evangelische<br />

Sozialethik zum Teil eine nuanciertere<br />

Haltung – neben der weiterhin bestehenden<br />

radikalen Ablehnung des Schwangerschaftsabbruchs,<br />

etwa bei Dietrich Bonhoeffer<br />

oder dem Theologen Karl Barth, der<br />

von einem »heimlichen und offenen Massenmord«<br />

sprach. Viele evangelische Theologinnen<br />

und Theologen vertreten inzwischen<br />

die Meinung, ein Abbruch sei zwar<br />

eine Übertretung des biblischen Tötungsverbotes,<br />

könne aber unter Umständen als<br />

das geringere Übel in einem unlösbaren Dilemma<br />

(soziale Notlage, nach einer Vergewaltigung)<br />

ethisch vertretbar sein; der<br />

selbst verantwortete Gewissensentscheid<br />

der betroffenen Frau sei zu respektieren.<br />

Wir »sollen und dürfen die Betroffenen nicht<br />

alleine lassen. ... Eine verantwortlich getroffene<br />

Entscheidung schließt niemals aus, dass<br />

wir dabei schuldig werden« (aus der Rosenheimer<br />

Erklärung der bayerischen Landessynode<br />

zum Schutz des ungeborenen<br />

Lebens und Fragen des Schwangerschaftsabbruchs).<br />

Bischof Johannes Friedrich sagt:<br />

»Nur gemeinsam mit der Frau lässt sich<br />

das ungeborene Leben schützen.«<br />

Deswegen berät die evangelische Kirche<br />

Schwangere in Konfliktfällen, auch wenn<br />

die Beraterinnen und Berater dabei selbst<br />

in ein ethisches Dilemma geraten: Sie sollen<br />

einerseits den Schutz des ungeborenen<br />

Lebens fördern und Perspektiven aufzeigen,<br />

die auch in schwierigen Situationen eine<br />

Geburt möglich machen (z. B. Adoption, finanzielle<br />

Unterstützung von staatlicher<br />

und privater Seite) – und andererseits muss<br />

diese Beratung ergebnisoffen sein.<br />

Nach einem Schwangerschaftsabbruch bedürfen<br />

Frauen der Seelsorge .<br />

Foto: F1 online<br />

bung zu bitten. Sie tut das in einfachen<br />

Worten. Der Seelsorger betet ein Vaterunser,<br />

und Frau H. fällt leise ein. Bei der Bitte »Vergib<br />

uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben<br />

unseren Schuldigern« beginnt sie zu schluchzen.<br />

Im Anschluss legt ihr der Seelsorger die<br />

Hände auf und spricht ihr die Vergebung zu.<br />

Beide verweilen noch einen Augenblick vor<br />

der Ikone. Dann spricht der Seelsorger ein Segensgebet.<br />

Beide erheben sich. Frau H. wirkt<br />

Warum wollen Frauen abtreiben? Dazu Daten<br />

und Zahlen aus der Schwangerschaftskonfliktberatung<br />

im Evangelischen Beratungszentrum<br />

München aus dem Jahr 2007:<br />

1784 Menschen kamen zur Beratung, davon 608<br />

zur sogenannten Konfliktberatung. Etwa 47 Prozent<br />

waren ohne eigenes Einkommen, 70 Prozent<br />

der Frauen lebten in einer festen Beziehung.<br />

22 Prozent wurden vom »Erzeuger« zur Beratung<br />

begleitet. Mehr als 30 Prozent haben keine<br />

Verhütung zum Zeitpunkt der Empfängnis praktiziert;<br />

jeweils 17 Prozent sind trotz Verhütungsmitteln<br />

schwanger geworden.<br />

erschöpft und erleichtert. Der Seelsorger verabredet<br />

mit ihr, dass sie sich meldet, wenn sie<br />

nochmals sprechen möchte.<br />

Nach Wochen begegnet er ihr wieder nach<br />

einem Gottesdienst. Sie wirkt gelöst, als sie auf<br />

ihn zugeht. »Und?« fragt er. »Es geht mir viel,<br />

viel besser«, sagt sie. »Und Phönix auch…« ergänzt<br />

sie. Bei einem weiteren Gespräch unter<br />

vier Augen kurz danach ist es möglich, aktuelle<br />

berufliche und private Themen in viel größerer<br />

Freiheit anzusprechen und produktiv in<br />

Angriff zu nehmen.<br />

Der Gottesdienst in der Münchner Markuskirche<br />

ist ein erster Versuch, einen liturgischen<br />

Rahmen zu schaffen, in dem Schuld und Trauer<br />

Platz haben und Heilung und Versöhnung<br />

beginnen können. Neben Musik, Liedern,<br />

Fallgeschichten und einer biblischen Ansprache<br />

soll es eine Phase geben, wo die Gottesdienstbesucher<br />

entweder still nachdenken<br />

oder beten können, wo es aber auch mehrere<br />

Angebote gibt: das Angebot sich segnen und<br />

salben zu lassen (und dabei unter Umständen<br />

einem nicht geborenen Kind einen Namen zu<br />

geben); das Angebot eines kurzen Einzelgesprächs<br />

(wenn gewünscht mit Absolution); die<br />

Möglichkeit, Kerzen für Lebende und Tote zu<br />

entzünden oder schriftlich ein Gebet zu formulieren,<br />

das dann gegen Ende des Gottesdienstes<br />

öffentlich gebetet werden kann. Der Gottesdienst<br />

endet mit einer schlichten Agape-Feier<br />

mit Brot und Trauben, Segen und Musik.<br />

Andreas Ebert, Christian Rosendahl, Claudia Sommerauer<br />

DER GOTTESDIENST »Du hast einen Platz in meinem<br />

Herzen« wird am 29. März um 19.30 Uhr in der<br />

Münchner Markuskirche (Gabelsbergerstraße) gefeiert.<br />

Angst vor der Überlastung<br />

Angegebene Gründe für den Konflikt: psychische<br />

und physische Überlastung (mehr als 50<br />

Prozent); Schwierigkeiten in der Partnerbeziehung<br />

(37 Prozent); das Kind stört die weitere Lebensplanung<br />

(mehr als 32 Prozent); finanzielle<br />

Probleme (knapp 20 Prozent); Angst vor dem<br />

Alleinerziehen (knapp 18 Prozent); Angst vor der<br />

Verantwortung (knapp 17 Prozent); Angst vor einer<br />

Schädigung des Kindes (über 8 Prozent). Viele<br />

der ungewollt Schwangeren kommen aus der<br />

Gruppe von im Ausland sozialisierten, gering gebildeten<br />

und schlecht integrierten Frauen, die<br />

mit ihrem Partner das Thema Familienplanung<br />

nicht ansprechen würden, da es von Tabus belastet<br />

ist.<br />

Trotz vielfältiger Hilfsangebote für die meisten<br />

Frauen (abgesehen von Asylbewerberinnen, denen<br />

nur sehr eingeschränkt Hilfe zusteht!) spüren<br />

Frauen massiv die drohende oder längst<br />

existierende Überlastung und sehen in einem<br />

Schwangerschaftsabbruch den einzigen Weg,<br />

sich und ihre Familie vor dem Zusammenbruch<br />

zu schützen.<br />

Die Erfahrung bestätigt dagegen nicht das von<br />

Politik und Medien gern propagierte Bild der<br />

zahllosen Minderjährigen, die ungewollt, weil<br />

unwissend, schwanger geworden sind. Die meisten<br />

– gewollten und ungewollten – Schwangerschaften<br />

ereignen sich zwischen 20 bis 40 Jahren.<br />

Oft sind es sogar eher junge Schwangere,<br />

die verhütet haben, während oftmals Frauen<br />

über 40 gar nicht mehr verhüten, weil ihre Frauenärzte<br />

schon »Entwarnung« gegeben haben,<br />

oder über Jahre mit sehr unsicheren Methoden<br />

verhütet wurde.

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