EVANGELISCHES BERATUNGSZENTRUM - EBZ München
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22<br />
2.2 Das Sorgerecht für nicht verheiratete Väter<br />
Die neue Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.07.2010 und unsere Erfahrungen in der Rechtsberatung<br />
Derzeit geltendes Recht<br />
Nach derzeit geltendem Recht hat die Mutter eines nicht<br />
ehelichen Kindes das alleinige Sorgerecht für dieses Kind (§<br />
1626 a II BGB). Der Vater des nicht ehelichen Kindes hat nur<br />
dann das gemeinsame Sorgerecht mit der Mutter, wenn das<br />
Paar ausdrücklich erklärt, dass es die Sorge gemeinsam übernehmen<br />
will (§ 1626 a BGB, Sorgeerklärung). Heiratet das<br />
Paar gilt automatisch ein gemeinsames Sorgerecht.<br />
Die Sorgeerklärung hat gemäß § 1626 c I BGB<br />
höchstpersönlichen Charakter und konnte bisher nur von<br />
der Mutter selbst abgegeben werden. Diese Erklärung durch<br />
einen richterlichen Beschluss zu ersetzen kam bislang nicht<br />
infrage. Ein Richter konnte selbst dann nicht dem Vater das<br />
Sorgerecht zusprechen, wenn die Weigerung der Mutter eine<br />
solche Erklärung abzugeben willkürlich erschien. Ohne ihre<br />
Zustimmung gab es bislang kein gemeinsames Sorgerecht.<br />
Notwendigkeit einer Neuregelung<br />
Im Dezember 2009 gab der Europäische Gerichtshof für<br />
Menschenrechte einem deutschen Vater damit Recht, dass<br />
das deutsche Gesetz Väter nicht ehelicher Kinder beim Sorgerecht<br />
diskriminiert. Das Bundesverfassungsgericht hat nun<br />
auch in seiner Entscheidung vom 21.07.2010 festgestellt, dass<br />
§1626 a BGB gegen das Grundgesetz verstößt. Damit ist die<br />
Regierung verpflichtet eine verfassungskonforme Gesetzesänderung<br />
vorzulegen. Diese wird für Ende 2011 erwartet.<br />
Wie die gesetzliche Neuregelung genau aussehen wird ist<br />
noch nicht ganz klar. Derzeit gibt es zwei Vorschläge: Die<br />
Mutter erhält zunächst weiterhin automatisch die alleinige<br />
elterliche Sorge, der Vater kann die Zustimmung der Mutter<br />
zur gemeinsamen elterlichen Sorge einklagen, wenn dies dem<br />
Kindeswohl entspricht. Oder: Die Eltern nicht ehelicher Kinder<br />
haben genauso wie die verheirateten Eltern von Geburt des<br />
Kindes an automatisch die gemeinsame elterliche Sorge. Nur<br />
wenn diese Regelung nicht dem Kindeswohl entspricht (z.B.<br />
permanente Streitereien der Eltern in Bezug auf das Kind)<br />
kann die Mutter bei Gericht die alleinige elterliche Sorge<br />
beantragen.<br />
Bis eine neue gesetzliche Regelung vorliegt gilt Richterrecht,<br />
d.h. das Familiengericht entscheidet über das gemeinsame<br />
Sorgerecht. Die persönliche Erklärung der Mutter wird durch<br />
die gerichtliche Entscheidung ersetzt. Das Familiengericht<br />
muss Eltern eines nicht ehelichen Kindes die gemeinsame<br />
elterliche Sorge übertragen, wenn angenommen werden<br />
kann, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.<br />
Durch diese Entscheidung hat der Vater eines nicht ehelichen<br />
Kindes erstmals die Möglichkeit gerichtlich überprüfen zu<br />
lassen, ob die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl<br />
entspricht und kann diese – notfalls auch gegen den erklärten<br />
Willen der Mutter des Kindes – durchsetzen. In diesem Fall<br />
würde die persönliche Erklärung der Mutter durch eine<br />
gerichtliche Entscheidung ersetzt.<br />
Grund für diese Regelung ist, dass in einer Vielzahl von<br />
Fällen die Weigerung der Mutter, dem Vater die gemeinsame<br />
elterliche Sorge zuzubilligen, nicht primär im Kindeswohl<br />
begründet ist, sondern den Eigeninteressen der Mütter<br />
dienen. Oftmals werden Verletzungen, die die Mutter auf der<br />
Paarebene erfahren hat, auf die Elternebene übertragen.<br />
Erfahrungen aus der Beratungspraxis seit der Neuregelung<br />
Soweit die Theorie. Eigentlich sollte man denken, dass jetzt<br />
alle Väter, die kein gemeinsames Sorgerecht haben, aufatmen<br />
können und nur noch darauf warten müssen, dass die neue<br />
verfassungskonforme gesetzliche Regelung in Kraft tritt. Die<br />
Praxis sieht leider anders aus.<br />
Die Beratungspraxis zeigt, dass die Zahl der Ratsuchenden<br />
seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Juli<br />
2010 sehr zugenommen hat. Es kommen etwa gleich viele<br />
Mütter wie Väter, die in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft<br />
leben. Die Väter möchten eine realistische, praxisnahe<br />
Einschätzung, wie gut denn ihre Chancen wirklich stehen<br />
das gemeinsame Sorgerecht zu bekommen, selbst wenn die<br />
Mutter dies total ablehnt. Die Mütter suchen ebenfalls eine<br />
Beratung in Bezug auf ihre verfahrensrechtlichen Risiken. Sie<br />
haben große Ängste das alleinige Sorgerecht zu verlieren. Sie<br />
befürchten sich zukünftig mit einem Vater auseinandersetzen<br />
zu müssen, der bei allen grundlegenden Erziehungsfragen ein<br />
50%iges Mitspracherecht hat. Viele wünschen sich auch eine<br />
Beratung dahin gehend, wie sie taktisch am besten vorgehen<br />
sollen um eine solche „Verurteilung zum gemeinsamen<br />
Sorgerecht“ (so wird es von ihnen empfunden und benannt)<br />
zu verhindern.<br />
Nach Einschätzung der Praktiker/innen wird die neue<br />
Regelung nur eine Veränderung und Verbesserung für die<br />
nicht ehelichen Lebensgemeinschaft geben, in die künftig<br />
Kinder hinein geboren werden. Hier sehe ich eine echte<br />
Chance für einen Neubeginn, insbesondere wenn sich<br />
die automatische gemeinsame Sorge von Geburt an als<br />
gesetzliche Lösung durchsetzt. Das hätte den großen Vorteil,<br />
dass das „auf die Probe stellen der Väter“ durch die Mütter ein<br />
Ende hat. In der Beratung wird immer wieder deutlich, dass